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  „Die andere Seite” von Sythazen/Bianca Nunberger   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Entstehungszeitraum: November 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Dr. Park ist gezwungen, einem Implantanten das Leben zu retten, doch wer ist der Mann, der ihr so seltsam vertraut erscheint?
Zeitpunkt:  zweite Staffel - einige Monate nach 1x22 The Joining
Charaktere:  Ronald Sandoval, Dr. Melissa Park
 
Anmerkung der Autorin:  Über Feedback jeglicher Art würde ich mich sehr freuen. Auch gegen Kritik habe ich nichts, solange sie konstruktiv ist. Lest bitte auch meine anderen Stories, wenn euch diese hier gefällt. Es ist mein erster Ausflug in die Welt der E:FC-FF und ich kann nur sagen: Es hat mich voll erwischt. Mein besonderer Dank gilt Emma und Sky, für ihre Arbeit, die sie sich trotz der Feiertage machen und insbesondere auch Vibe, für ihre stets treuen Betadienste. Ich wünsche allen ein paar wunderschöne Freie Tage und ein schönes neues Jahr!
 

 

DIE ANDERE SEITE

Kapitel 12

 

Er konnte sich ein selbstzufriedenes Grinsen nicht verkneifen, als er die aktuellen Nachrichten verfolgte. Jetzt wurde nicht nur über den Bombenanschlag berichtet, den er verübt hatte, sondern auch über die Reaktionen derer, die er über alles zu hassen gelernt hatte. Mit einem kaltem Lächeln wandte Ronald Sandoval sich von den überdimensionalen, ihre Nachrichten in die Welt hinaus posaunenden Monitoren ab und ging wieder zurück in den provisorischen Unterschlupf, den er und die mit ihm Gegangenen vorerst bezogen hatten und als vorübergehenden Sammelpunkt nutzten. Jedenfalls solange, bis sie etwas Besseres, etwas für seine neu gegründete Organisation zur Befreiung der Erde Passenderes gefunden hätten. Ein Quartier, das dem lächerlichen Stützpunkt von Doors und seinem gewaltlosen Möchtegernverein von Freizeitwiderständlern bei weitem überlegen war. Etwas, das noch größer, noch effektiver sein würde. Ein Ort, von dem aus er Angst und Chaos verbreiten können würde.

In Gedanken bereits mit der nächsten von ihm geplanten Aktion beschäftigt, die noch weitaus mehr Schrecken und Horror bei Menschen wie Taelons hervorrufen sollte als bisher bereits geschehen, wandte er sich um und durchquerte die große dunkle Lagerhalle. Bei dem nächsten Anschlag sollte weit mehr als nur ein einzelner Taelon für immer ausgelöscht werden.

Mit einem kaum wahrnehmbaren Quietschen ließ sich der Wasserhahn aufdrehen. Erleichtert aufseufzend streckte Dr. Melissa Park ihre Hände unter den heißen Wasserstrahl. Ihr Assistent, der sich bereits einige Minuten früher aus dem Operationssaal entfernt hatte, reichte ihr mit einem Gesicht, das so müde wirkte wie sie sich fühlte, die körnige Schmutz und Bakterien entfernende Seife. Energisch schrubbte sich Melissa auch den letzten Rest der hinter ihr liegenden Operation von den Händen. Danach zog sie den blutigen grünen Kittel aus und warf ihn zu den Einweghandschuhen in den Müllschlucker zu ihrer Rechten. Ihr war egal, dass sie nun nur noch in einem weißem T-Shirt und der dazu passenden weißen Hose herumlief. Das einzige, was für sie in diesem Augenblick wirklich zählte, war das befreiende, fast schon erlösende Gefühl, die sowieso nicht mehr reinigungsfähigen Sachen so schnell als nur möglich loszuwerden.

„Liss, kommst Du noch mit in die Kantine?”, erkundigte sich der ebenfalls gerade seinen Kittel ausziehende Anästhesist bei ihr mit einem aufmunternden Lächeln in seinem schmalen Gesicht. „Na, komm schon und sag ja. Ich gebe Dir auch einen aus.”

Mit einem dankbaren Lächeln nickte sie und meinte: „Gerne, ein schön heißer Kaffee wäre jetzt genau das Richtige.” Schon fast glaubte sie den frisch aufgegossenen Bohnenkaffee zu riechen, so sehr verlangte sie in diesem Moment danach.

Anschließend desinfizierte sie sich die Hände und wollte sich gerade dem auf sie wartenden Kollegen zuwenden, als ihr Blick flüchtig den über dem Waschbecken hängenden Spiegel streifte. Zuvor hatte sie ihn bewusst ignoriert, doch jetzt schaffte sie es nicht. Fast schon gegen ihren Willen trat sie näher an das mit einigen Wassertropfen bespritzte Spiegelglas heran, ihre Gedanken dabei bei dem gerade operierten Patienten weilend. Wieder fragte sie sich, ob es ihr gelungen war, alle Schäden zu beseitigen und alle Nervenenden wieder mit ihren richtigen Gegenstücken zu verbinden. Die Antwort auf diese Frage würde sie wohl erst erhalten, wenn der Mann erwachte. Das hieß, falls er überhaupt aus seinem tiefen Koma wieder in die reale Welt finden würde. Melissa konnte nur hoffen, dass keine geistigen oder anderweitigen Behinderungen aufgetreten waren. Doch bei solchen Verletzungen wie der, die sie gerade in einer über acht Stunden dauernden Operation behandelt hatte, konnte man immer erst mit absoluter Sicherheit sagen, ob Folgeschäden verbleiben würden oder ob er alles heil überstanden hatte. Nur kurz dachte sie an das, was sie nicht hatte beheben können und was erst mit dem endgültigen Verheilen der Wunden vollends zu Tage treten würden.

Ihr Kollege schien wohl gerade das Selbe gedacht zu haben, als er sah, wohin sie blickte. „Ich werde wohl den Psychologen informieren müssen, dass er ab morgen einen neuen und nicht gerade leichten Fall haben wird.”

Überrascht blickte sich Melissa zu ihm um: „Wieso denn das?”

„Ach, komm schon, Liss.” Vollkommen überrascht über die Frage der Ärztin schüttelte er den Kopf. „Eine Kugel ist direkt in seinem Gesicht explodiert und der Mann hat gerade die Hälfte davon verloren. Seine rechte Seite wird wohl für immer eine ziemliche Ansammlung von Narben darstellen, anstatt noch etwas Erkennbares zu zeigen. Der Mann braucht einfach einen Psychologen, der ihm da durch hilft. Sonst können wir ihn das nächste Mal womöglich unter einem Zug oder aus einem Fluss herausholen.”

„Du glaubst, er ist suizidgefährdet?”, fragte sie weiter, während ihre Gedanken sich bereits damit beschäftigten, inwieweit ein zerstörtes Gesicht ihren Patienten wohl in seiner Arbeit behindern würde. Überhaupt nicht, gab sie sich gleich darauf die Antwort und so auch ihrem Kollegen: „Bei jedem anderen Fall würde ich Dir zustimmen, aber hier wird es nicht notwendig sein. Sein Aussehen spielt für diesen Mann wohl kaum eine Rolle.”

„Ach, Liss”, erwiderte der jetzt an der Tür auf sie wartende und nun ebenso wie sie in seiner weißen Arztkleidung steckende Mann energisch. „Selbst ein Implantant wird doch nicht derart gefühlskalt sein und eine solche Entstellung einfach so wegstecken können. Das glaube ich nie und nimmer.”

„Natürlich wird es ihn nicht egal sein”, gab Melissa aufseufzend zur Antwort. Wie oft hatte sie schon zu erklären versucht, wie sehr die Cyber-Virus-Implantate und insbesondere der Motivationsimperativ das Denken der damit ausgestatteten Menschen regelrecht verwandelten. Doch keiner ihrer Kollegen glaubte ihr, dass es solche Ausmaße annehmen könnte, dass ein Mensch vollkommen seinen freien Willen verlor. Welche Narren sie doch alle waren. Doch viel weiter als immer mal wieder eine flüchtige Bemerkung fallen zu lassen, durfte sie nicht gehen. Es wäre zu riskant und gefährlich für sie. Schließlich wusste hier niemand, dass sie Nacht für Nacht, wenn sie ihre Tagesschicht beendet hatte, für den Widerstand tätig war. Dann fiel ihr wieder der immer noch auf seine Antwort wartende Kollege ein: „Es wird ihm bestimmt nicht egal sein. Aber er wird es als gegeben hinnehmen und weiter seine Arbeit tun. Sein Aussehen spielt dabei keine Rolle, solange es ihn nicht in der Erfüllung seiner Pflichten gegenüber seinem Companion behindert. Sein Motivationsimperativ wird es nicht zulassen, dass er etwas anderes als seine Aufgabe sieht.”

„Nun, wir werden ja sehen, wenn er wieder aufwacht. Falls er wieder aufwacht, meine ich”, und lächelnd fügte er hinzu: „Du immer mit deinen Horrorgeschichten, Liss ...”
Noch ehe sie antworten konnte, winkte er ab: „Komm, lass uns unseren Kaffee holen. Sonst schlafe ich noch im Stehen ein.”

Nickend warf Dr. Melissa Park einen letzten Blick in den Spiegel, drehte sich dann um und begleitete ihren Kollegen aus dem Vorbereitungsraum hinaus. Hinter ihr wurde gerade von zwei Pflegern der frisch Operierte hinaus geschoben und in die Intensivstation gebracht, wo man die nächste Zeit über seine Vitalwerte stets im Auge behalten würde.

Kaum in der kleinen, nur für die Ärzte und Krankenschwestern eingerichteten und gut von der Öffentlichkeit abgeschotteten Kantine angekommen, ließ sich Dr. Melissa Park von einem der Küchenangestellten eine große dampfend heiße Tasse frisch aufgebrühten Bohnenkaffees reichen. Nur mit einem halbem Lächeln ließ sie sich auf eine der Eckcouchen sinken und umklammerte mit beiden Händen ihre grün glasierte Tasse. Langsam schweifte ihr Blick über die gemütlich eingerichtete Kantine, die in ihrem Aussehen viel mehr an ein großes Wohnzimmer erinnerte als an einen Speise- und Pausenraum.

Außer ihr selbst und dem eben mit ihr zusammen eingetroffenen Kollegen befanden sich noch zwei weitere Ärzte in dem kleinen exklusiv eingerichteten Raum. Den Boden bedeckte ein grüner, flauschiger Teppich, in welchen die verschiedensten Karomuster eingewebt schienen. An der rechten Seite sorgten ein großer Wandkamin und das darin flackernde Feuer für eine heimelige Atmosphäre. Die Wände waren mit einer angenehm blauen Stucktapete überzogen worden und an der aus Balken bestehenden Decke hingen mehrere schwere Holzlampen. Auch das ein oder andere Geweih zierte die Wand, neben den verschiedensten Bildern der hier arbeitenden Kollegen und Kolleginnen, die sich in ihrem Dienst an der Öffentlichkeit besonders hervorgetan hatten. Sie selbst hatte es noch nicht geschafft, einen Platz in dieser Ehrengalerie zu ergattern. Doch auch wenn sie sich darüber freuen würde und es vor nur wenigen Jahren ihr größter Traum gewesen war, nur ein einziges Mal unter all den anderen hoch geehrten Professoren und Doktoren zu glänzen, so wusste sie nur zu genau, dass sie es in diesem Leben wohl nicht schaffen würde. Ihre Prioritäten hatten sich einfach zu sehr verändert, als dass sie die für das Erreichen dieses Zieles nötige Zeit noch hätte einsetzen können.

Wie als wäre das ein Stichwort für ihre müde kreisenden Gedanken gewesen, brachte sie der Anblick der etwa ein halbes Dutzend zählenden Portraitbilder zu den letzten Ereignissen zurück. Nicht die Operation, die sie derart in Anspruch genommen hatte und bei der sie sich - gleich was ihre persönliche Meinung war - keinen Fehler hatte erlauben dürfen. Schon seit längerer Zeit wurde jeder Eingriff - und sei er auch noch so klein und harmlos - von mehreren im Operationssaal angebrachten Kameras verfolgt und aufgezeichnet. Diese Maßnahme war nötig, nicht nur weil man die Aufzeichnungen späteren Studenten zeigen wollte, sondern auch um eventuell auftretenden Kunstfehlerklagen wirkungsvoll entgegentreten zu können. Nicht zuletzt war dies auch eine der offensichtlicheren Methoden der Krankenhausleitung, ihre Angestellten genauer im Auge behalten zu können - besonders, seit dieses Krankenhaus als eines der ersten eine innigere Zusammenarbeit mit den Taelons eingegangen war.

Jonathan Doors hatte ihr hier durch mehrere nicht nachvollziehbare Kontakte eine Stelle besorgt. So war sie und somit auch Jonathan Doors immer auf dem Laufenden, was die neuesten Versuche der Taelons in öffentlichen Krankenhäusern anbetraf. Das Memorial Hospital war eine der ersten Kliniken, die zum Beispiel das Taelonplasma hatten anwenden dürfen. Natürlich nur unter der Bedingung, dass alle daraus erfolgenden Erkenntnisse uneingeschränkt den Taelons mitgeteilt wurden. Melissa Park hatte mit diesem Arrangement zuerst große Probleme. Doch als sie sah, wie sehr es den Schwerstverletzten half, die sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit gestorben wären und in welchem Maße es körpereigene Regenerationsfähigkeiten der Menschen anregte - gleich ob jung oder alt - hatte auch sie als Ärztin nichts mehr dagegen sagen können, ohne größeres Misstrauen zu erregen und auf sich zu lenken. So hatte sie die aus den diversen durchgeführten Tests an Probanden, die sich sogar tatsächlich aus freiem Willen dazu bereit erklärt hatten, nicht nur an ihre Vorgesetzten und somit an die Taelons weiter gegeben, sondern gleichzeitig auch exakte Kopien mit einigen kleinen heraus geschmuggelten Extraproben an Jonathan Doors weitergeleitet.

Sie hätte es sich niemals erlauben können, ihren letzten Patienten sterben zu lassen. Nicht nur, weil man nie wissen konnte, wer sie gerade über eine der vielen Kameras beobachtete, sondern auch, weil sie sich sonst ihre Stelle und ihre Karriere an dieser sich bisher als recht ertragreiche Informationsquelle erweisenden Klinik hätte auf viele Jahre hin verbauen können. Es gefiel ihr zwar ganz und gar nicht, einem ihrer schlimmsten Feinde und Gegenspieler das Leben gerettet zu haben, doch hatte sie in diesem Punkt und ganz besonders an diesem Ort keine andere Wahl gehabt. Doch das war - wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich bleiben wollte - nicht der einzige, ja, nicht einmal der ausschlaggebende Punkt gewesen dafür, dass sie alles in ihrer Macht und Kunst als Ärztin Stehende getan hatte, um dem Patienten zu helfen. Nein, es gab da noch einen anderen Grund, den sie noch nicht so ganz verstand. Ein seltsames Gefühl des Wiedererkennens hatte sie ergriffen, als der Mann heute Morgen mit einem Krankenwagen eingeliefert worden war - oder besser das Gefühl, dass sie ihn eigentlich hätte erkennen müssen.

Seufzend schüttelte Dr. Melissa Park den Kopf und fragte sich an diesem Tag nicht zum ersten Mal, wie es zu diesen merkwürdigen Empfindungen kommen konnte. Sie kannte keinen Implantanten persönlich. Sicher hatte sie Agent Sandoval - so wie wohl jeder Amerikaner im letzen Jahr - des Öfteren in diversen Ausstrahlungen der Televisionssender gesehen, entweder, wie er immer mal wieder gegen die Widerstandsbewegung wetterte oder im Schatten eines seiner Taelons stehend, um diesen zu bewachen. Naja, das war nun schon seit drei Monaten Vergangenheit, und seit den damaligen Ereignissen hatte sich so einiges verändert - insbesondere Ronald Sandoval, der nun, ohne sein Cyber-Virus-Implantat, einer der aggressivsten Taelongegner geworden war, den sie sich nur hätte vorstellen können. Flüchtig streifte sie eine Erinnerung an etwas, an ein Ereignis und eine Person, die mit diesen letzten Geschehnissen ebenso zu tun hatte wie der ehemalige Companionagent. Doch dieser Gedanke verschwand ebenso schnell wie er aufgetaucht war. Auch andere Beschützer hatte sie das eine oder andere Mal bei diversen Veranstaltungen gesehen. Doch zweifelte sie daran, dass sie bei auch nur einem von ihnen dieses seltsame Gefühl des Wiedererkennens auch nur im Entferntesten empfunden hätte.

Wäre sie noch bei Jonathan Doors beschäftigt gewesen, hätte sie diesen jetzt wohl einfach per Global angerufen und sich bei ihm erkundigt, bei welcher Veranstaltung es Probleme gegeben hatte. Denn wie sonst sollte ein Beschützer eine derartige Verletzung erhalten haben, wenn nicht, um seinem ihm zugewiesenem Companion, unter Einsatz seines eigenen Lebens, die Existenz zu retten? Doch das war nun und auch in Zukunft nicht mehr möglich. Sie hatte sich gegen Doors und die anderen unter ihm verbleibenden Widerstandskämpfer gestellt, hatte sich vor aller Augen auf die Seite von Ronald Sandoval geschlagen und war ihm auf seinem Kriegszug gefolgt - etwas, das Melissa Park früher für undenkbar gehalten hätte, aber auch eine Entscheidung, welche sie nun, nach dem sie sie getroffen hatte, nicht für eine einzelne Sekunde bedauerte.

Anfangs hatte sie geglaubt, dass er ihre sofortige Kündigung in dieser von den Taelons überwachten Klinik verlangen würde. Doch wieder einmal, so wie so oft in den vergangenen letzten drei Monaten, hatte es Ronald Sandoval geschafft, sie zu überraschen. Er wollte nicht, dass sie ihre Arbeit dort aufgab. Das genaue Gegenteil war der Fall. Er wollte sogar, dass sie sie noch intensivierte und noch größere Leistungen vollbrachte, um möglichst aufzufallen und schneller in der krankenhauseigenen Hierarchie aufzusteigen, so dass sie am Ende noch mehr Einfluss hätte und an noch mehr Informationen gelangen könnte. Plötzlich lächelte sie wieder, als ihr einfiel, was sie noch würde tun können, um herauszufinden, welchem der vielen Beschützer sie gerade das Leben gerettet hatte. Warum sollte Ronald Sandoval nicht auch wissen, was geschehen war? Ja, wenn sie so darüber nachdachte, war es für sie immer wahrscheinlicher, dass der zu gleichen Teilen von Hass und Schmerz zerfressene Asiate wohl besser als jeder andere wissen konnte, was sich ereignet hatte. Sie traute ihm durchaus zu, selbst dafür verantwortlich zu sein. Entschlossen stand Dr. Park auf und verließ die Kantine, die grün glasierte Tasse Kaffee unangetastet und vergessen auf dem kleinen hölzernen Tisch stehen lassend. Sie musste nur einen ruhigen, abgeschiedenen Raum finden, in dem sie Ronald Sandoval ungestört und unbeobachtet würde anrufen können, und dann, davon war Melissa mit jedem Schritt, den sie tat, überzeugter, würde sie endlich wissen, was sich ereignet hatte und wer ihr Patient war.

Der einzige Ort, der ihr im Moment auf Anhieb einfiel, an dem sie wohl unbeobachtet - und, was mit das Wichtigste war, unbelauscht - ihr Global würde benutzen können, wäre die Umkleidekabine. So machte sich Melissa Park auf den Weg in die unterste Etage des riesigen Komplexes. Wer auch immer ihn entworfen und die Räumlichkeiten aufgeteilt hatte, musste wohl verrückt gewesen sein oder sich gedacht haben, dass es auch Ärzten nicht schaden konnte, wenn sie in Bewegung blieben. Viel praktischer und angenehmer wäre es doch gewesen, die Umkleidekabinen in unmittelbarer Nähe der Kantine anzulegen. Aber nein, die beiden einzigen Örtlichkeiten, wo die Ärzte und Professoren mal unter sich waren, lagen fast das halbe Gebäude umfassend voneinander getrennt. Der Erbauer musste wirklich einen schrägen Sinn für Humor gehabt haben, denn das Einzige, das sich noch hier unten befand, war die Leichenhalle und die entsprechend kühlen Aufbewahrungsräume der Pathologen. Nun gut, dass sich ausgerechnet hierher ein potentieller Dieb oder Ähnliches verirren könnte, war äußerst unwahrscheinlich, aber dennoch kam es Melissa, die von ihren Freunden und Kollegen meist nur Liss gerufen wurde, mehr als nur ein wenig seltsam vor.

Endlich hatte sie ihr Ziel erreicht und, wie sie erfreut feststellte, war sie die Einzige, die sich in dem langen Flur aufhielt. Die mit Schlössern abgesicherten Kabinen erstreckten sich mehrere Dutzend Meter weit zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken hin aus. Je niedriger man innerhalb der Krankenhaushierarchie stand, desto weiter hinten befand sich die eigene Kabine. Sie selbst musste nicht bis ganz nach hinten laufen, vorbei an den mal blau und mal grün lackierten Türen, unter ihren Füßen den jeden Tag frisch geputzten grünen Parkettboden und über sich die knisternden und kaltes Licht verströmenden Neonröhren. Schließlich ihre blau gestrichene Türe erreichend, gab sie den entsprechenden Zahlencode in das Tastaturfeld daneben ein und betrat ihr eigenes kleines Reich. Es war nicht groß - es bot gerade genug Platz, um sich nicht beengt oder eingesperrt vorzukommen, aber nicht genug, um es sich gemütlich machen zu können oder auch nur den Anflug eines Wohlgefühls aufkommen zu lassen. Wenigstens bestand der Boden nicht mehr aus diesem Kälte speichernden Parkett, das einem hier unten langsam aber sicher zu Frostbeulen verhelfen konnte, hielt man sich hier zu lange auf, sondern aus einem dunklen, kurz geschorenen grauen Filzstoff.

Weiter glitt ihr Blick durch den kleinen Raum, der jedoch von allen als Kabine bezeichnet wurde. Nach rechts zu dem großen Wandspiegel, den sie schon kurz nach ihrem Arbeitsantritt hier mit einem riesigen Poster der Milchstraße überklebt hatte. Weiter zu der unter dem Spiegel stehenden kleinen Wandbank und schließlich nach links, hin zu dem ebenfalls mit der Wand verschmolzenen Kleiderschrank und dem kleinem Safefach rechts davon. Ein letztes Mal lauschte Melissa angespannt, ob sie nicht irgend ein Geräusch außer dem Knistern der Neonröhren wahrnehmen konnte, oder ob sie sich derzeit wirklich ganz alleine hier aufhielt. Tatsächlich schien kein Anderer das Bedürfnis zu haben, sich umziehen zu wollen, und so konnte sie ganz ungestört und ohne Angst vor Entdeckung ihr Global öffnen, eine bestimmte Nummer wählen und voller Anspannung darauf warten, dass der gewünschte Empfänger am anderen Ende sich endlich dazu bequemte, den Anruf entgegen zu nehmen. Nach einigen weiteren Versuchen gelang es endlich und das angespannte und leicht verärgert wirkende Gesicht von Ronald Sandoval erschien auf dem kleinen Bildschirm ihres Gerätes.

„Ja, was gibt's?”, stieß er, ziemlich verärgert ob der recht ungebeten kommenden Störung, hervor. Gerade war er dabei gewesen, sich erneut die verschiedensten Pressekampagnen gegen Doors und Co. anzusehen und aus den neuesten Nachrichtensendungen den immer noch anhaltenden Schrecken, den er mit seinem Anschlag verbreitet hatte, zu genießen. Doch als er das Gesicht von Melissa Park auf seinem Bildschirm auftauchen sah, rang er sich zumindest ein wenig Höflichkeit ab. Schließlich war sie eine wertvolle Mitarbeiterin - vielleicht gar die wertvollste, die er bisher besaß ...
„Dr. Park, was ist so überaus dringend, dass Sie es riskieren, mich zu kontaktieren? Ich bin zwar kein Implantant mehr, der sich an absolut alles erinnern kann, aber soweit ich weiß, habe ich Ihnen befohlen, sich auf keinerlei Risiken einzulassen, die Ihren Job im Memorial Hospital gefährden könnten.”
Wie er nicht ohne ein gewisses Maß an Befriedigung feststellte, schien auch Dr. Park sich in diesem Moment an seine ausdrücklich gegebenen Anweisungen zu erinnern.

„Tut mir leid, aber ich hatte keine andere Wahl und auch keine Zeit, bis heute Abend zu warten”, entgegnete Melissa schließlich zerknirscht. Es verlangte sie ganz und gar nicht danach, gleich in den ersten Tagen ihrer Mitarbeit für Sandoval einen schlechten oder unzuverlässigen Eindruck zu erwecken. „Ich habe eine dringende Frage an Sie, Ronald”, fügte sie schließlich zögernd hinzu. Sie war sich nun gar nicht mehr so sicher, ob sie überhaupt eine Antwort darauf wissen oder doch lieber im Unklaren gelassen werden wollte. Doch für derartige Überlegungen war es jetzt zu spät.

Ungeduldig darauf wartend, dass sie endlich mit dem, was sie wollte, herausrückte, begann er mit den Fingern auf den Rand seines Globals zu klopfen. „Und? Was für eine ach so dringende Frage wäre das nun? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, hier herumzustehen. Schließlich bin ich gerade dabei, uns eine sichere Ausgangsbasis zu schaffen, von der aus wir operieren können.” Wieder musste Ronald sich zwingen, die in ihm brodelnden Emotionen zu unterdrücken. Er hasste das, weil es ihn an sein früheres Ich, seine frühere Existenz bei den Taelons erinnerte und er hätte am liebsten alles ausgelöscht, das damit zu tun hatte. Nun ja, auch wenn er das bei sich selbst nicht schaffen konnte, so vermochte er wenigstens mit allem anderen, was ihn daran erinnerte, fertig zu werden. Sicherlich konnte er genauso kalt und emotionslos erscheinen wie früher auch, wenn es seinen Zwecken diente, so wie zum Beispiel bei der Auseinandersetzung mit Jonathan Doors vor kurzem. Doch war dies geschehen, so musste er sich irgendwo abreagieren, seine angestauten Gefühle an irgend etwas oder jemanden loswerden. Nun, bisher war er noch nicht dazu gekommen, aber auch Melissa war dafür die falsche Person. Schließlich brauchte er sie noch.

„Es geht um einen Patienten, den ich gerade operiert habe”, begann Melissa langsam zu erzählen. „Es war ein Implantant und ... nun ja, also ich weiß nicht, warum, aber er kommt mir bekannt vor. Auch wenn ich ihn nirgends zuordnen kann. Sein Gesicht wurde von einer Kugel getroffen und ziemlich verunstaltet, aber ich habe einfach das Gefühl, dass ich ihn von irgendwo her kennen müsste.”

„Und? Sie arbeiten in einer Klinik, die von den Taelons beherrscht ist - was haben Sie denn erwartet? Natürlich werden dort auch Implantanten behandelt. Das ist zwar etwas ungewöhnlich, da sie normalerweise direkt aufs Mutterschiff gebracht werden, aber wenn es besonders schlimm war ..” Achselzuckend schüttelte er den Kopf. Da musste wohl ein Taelon ganz besonders an den Informationen seines CVI-Trägers hängen, um ihm eine derart kostspielige Operation zu gönnen ...
Dann runzelte er die Stirn, ob des letzten Gedankens auf eine Idee gebracht, und formulierte seine Überlegungen in Worte: „Anscheinend verfügt dieser Mann über spezielle Informationen, die sein Companion noch unbedingt von ihm erhalten will. Ansonsten würde er sich einfach einen neuen Beschützer wählen und den alten sterben lassen.”

Melissa nickte zögernd. Die Richtung, in die dieses Gespräch plötzlich verlief, gefiel ihr ganz und gar nicht. Nicht, weil sie es störte, dass Sandoval so plötzliches Interesse an ihrer Neuigkeit hatte, sondern eher, weil sie besorgt annahm, dass nun er seinerseits ihre Tarnung für einige wenige Informationen aufs Spiel setzen würde - und tatsächlich, seine nächsten Worte bestätigten sie in ihren Befürchtungen.

„Sie werden so viel wie möglich über ihn in Erfahrung bringen, vor allem über die Informationen, die dieser Implantant offenbar hat”, befahl Sandoval mit nun wieder vollkommen ruhiger, ausgeglichener Stimme. Endlich konnte er wieder etwas mehr tun, als sich nur an den Nachrichten zu ergötzen und weitere Pläne für noch größere Anschläge zur weiteren Schreckensverbreitung zu organisieren. Er hatte schon längst begriffen, dass er noch mehr und genauere Leute benötigte, hauptsächlich aber die nötigen Informationen, die er unbedingt brauchte, um am Leben zu bleiben und effektiv sein zu können. „Wenn es Ihnen nicht gelingt, das Gewünschte zu erhalten, sorgen Sie dafür, dass auch die Taelons nicht erfahren, was er offenbar so Wichtiges weiß.”

Melissa Park schloss kurz die Augen, öffnete sie dann jedoch sofort wieder und nickte bestätigend. Das würde alles andere als leicht werden. Doch Sandoval würden ihre diesbezüglichen Sorgen nicht im Geringsten interessieren und sie wollte auf keinen Fall, dass er sie für unfähig hielt, seinen Anweisungen zu folgen. Auch wenn es etwas riskant werden sollte.
„Also sind nicht Sie für den Verletzten verantwortlich?”, erkundigte sie sich noch neugierig. Schließlich war das der eigentliche Grund ihres Anrufes bei ihm gewesen, um zu erfahren, wer der Mann war, dem sie gerade das Leben gerettet hatte.

„Natürlich nicht.” Unwillig starrte er Dr. Park an. „Jedenfalls noch nicht. Sie wissen doch genau, dass ich sagte, dass wir erst noch ein paar mehr Leute benötigen, um effektiver arbeiten zu können. Aber wenn Sie sich dann wohler fühlen, warum fragen Sie nicht einfach die Taelons, wer der Mann ist. Oder einen der Freiwilligen. Die werden es bestimmt wissen und auch keinen Verdacht schöpfen, wenn die behandelnde Ärztin mehr über den Patienten zu wissen verlangt. Wie sieht der Mann aus?” Vielleicht erkannte er ihn ja an ihrer bloßen Beschreibung und sie konnte sich die Fragerei ersparen. Auch war er inzwischen ziemlich neugierig auf die Identität des Verletzten. Wenn er genau wusste, welchem Companion der Mann zugeteilt gewesen war, konnte er viel besser die mögliche Wichtigkeit seiner erhaltenen Informationen einschätzen.

„Nun, er hat rötlichbraune Haare, ist etwa 1,80 groß, schlank, aber knochig gebaut und hat braune oder grünbraune Augen. Ich weiß, dass ich ihn früher schon einmal gesehen habe, aber durch die Verletzungen in seinem Gesicht komme ich einfach nicht darauf”, antwortete sie und fügte noch hinzu: „Ich kann Ihnen ein Bild von ihm geben, denn was die Freiwilligen anbetrifft, so waren keine bei seiner Einlieferung dabei.”

„Das klingt alles äußerst unwahrscheinlich”, meinte Sandoval, einmal mehr die Stirn runzelnd. „Sind Sie sich sicher darüber, dass es sich bei Ihrem Patienten um einen Implantanten handelt?”
Die Taelons würden doch niemals einen ihrer Geheimnisträger, der verletzt und möglicherweise unkontrolliert war, unbewacht in einer hauptsächlich von Menschen geführten Klinik lassen. Wer wusste schon, was für Gefahren sich daraus ergeben konnten? Er lächelte plötzlich. Was für Möglichkeiten sich da plötzlich auftaten ... Doch dann erstarb sein Lächeln ebenso schnell wie es gekommen war. Das war einfach viel zu verlockend und roch zu sehr nach einer von den Taelons dem Widerstand gestellten Falle. Wenn es für die Companions von Nutzen war, würden sie auch ein Dutzend ihrer Implantanten verstümmeln, um so mögliche Widerstandsmitglieder aktiv werden zu lassen und in ihre Finger zu bekommen. Er wollte gerade schon seinen Befehl von vorhin zurücknehmen, als Dr. Park auch schon weiter sprach und ihm mit ihren nächsten Worten jeglichen Gedanken an von Taelons gestellten Fallen mit einem Schlag vergessen ließen.

„Kein einziger Freiwilliger war bei ihm, aber ein Mann namens ... Bob ... Bob Morovsky. Ein Polizeicaptain aus einem in der Nähe liegenden Revierdistrikt”, fügte Melissa noch hinzu, stockte jedoch, als sie den merkwürdigen Gesichtsausdruck ihres Gegenübers wahrnahm. „Was ist? Kennen Sie ihn?”

Ronald war erstarrt und seine Finger hatten sich so fest um das Global geschlossen, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, zusammen mit Erinnerungsfetzen an einen rothaarigen, knochig gebauten Mann, der einen Freund namens Bob Morovsky hatte und ...
Aber das war unmöglich. Dieser Mann war schon seit drei Monaten tot. Ha'gel hatte ihn getötet, so wie er auch Siobhan ermordet hatte und so wie er ...
Aber was, wenn es doch sein konnte? Was, wenn es die Taelons geschafft hatten, ihn am Leben zu erhalten? Was, wenn die Beerdigung, die Trauerfeier und alles darum herum nur eine ausgeklügelte Täuschung gewesen war? Aber warum sollten die Taelons dann ausgerechnet jetzt ... warum sollte Da'an, der neue Synodenführer, ausgerechnet jetzt sein Geheimnis lüften? Er musste unbedingt Gewissheit über die Identität beider Männer haben. „Sind Sie absolut sicher, dass der Polizist so heißt?”

Überrascht und ein wenig verwirrt zog sie ein Gesicht, gab jedoch sofort die gewünschte Antwort: „Es gab zwar anfangs einiges an Durcheinander, da der Sanitäter den Patienten mit diesem Namen eingeliefert hatte, aber Captain Morovsky klärte die Verwechslung sofort auf, als er sich von seinem Schock etwas erholt hatte. Er war ziemlich besorgt und ich hatte den Eindruck, dass - so unglaublich das auch scheinen mag - er den Implantanten als einen Freund betrachtete.”
Dann kamen ihr zwei Gedanken auf einmal, und sie erblasste leicht. Zum einen kam auch ihr jetzt erstmals die Idee, dass es sich bei all dem um eine Falle handeln könnte und zum anderen fiel ihr gerade wieder ein, was sie die ganze Zeit über vergessen hatte. Denn Captain Morovsky saß immer noch unten oder, von ihrem jetzigen Standort betrachtet, oben in der Wartehalle und wusste mit Sicherheit noch nicht, dass sein Freund überlebt hatte. Doch warum benahm sich Sandoval jetzt so seltsam? Es wirkte schon fast als würde er ...
„Sie kennen den Mann, oder?”

”Ich bin mir nicht sicher, aber ...”
Dann, ganz plötzlich, kam ihm ein anderer Gedanke. Ein Gedanke, der sein Herz schneller schlagen ließ und seinen Atem beschleunigte.
Er würde vielleicht doch noch seine Rache bekommen ...
Ohne noch einen Gedanken an eventuell gestellte Fallen zu verschwenden, traf er seine Entscheidung: „Unternehmen Sie nichts. Ich werde persönlich vorbeikommen.”
Erst als er es ausgesprochen hatte, begann er wieder einigermaßen vernünftig zu denken und fügte hastig hinzu: „Kontaktieren Sie mich umgehend, wenn doch noch Freiwillige auftauchen sollten. Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen.” Damit schloss er sein Global, damit jedwedem und in dieser von ihm überhastet getroffenen Entscheidung durchaus berechtigtem Einwand ihrerseits zuvorkommend. Ein erwartungsvolles Lächeln stahl sich auf seine normalerweise alles andere als erfreut wirkenden Gesichtszüge. Sollte Parks Patient tatsächlich der Mann sein, der ihm das Liebste genommen hatte, war ihm alles andere egal. Solange er nur seine Rache bekam.

 

Ende von Kapitel 12

 

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