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  „Die VOKS” von Susanne und Sy'la   (Emailadresse siehe Autorenseite),   April 2003
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorinnen.
 
Thema:  Weitere skurrile Taelon-Outsider treffen auf Rais ein, gerade als die Vorboten der tödlichen VOKS nach dem Planeten greifen. Und dann offenbaren sich auch noch die geheimnisvollen Zazas....
Zeitpunkt:  Lange nach dem Ende der 5. Staffel
Charaktere:  Die Hybridin Sy'la, die Sigera-Botschafterin Mia, Andre Markus Andersen, Haggis, Dr. Ben Myinga, Peter J. Combe, die Rai, die Taelons Ko'lan, Mur'ru und Ka'sar, die Zazas und ein schreckliches unbekanntes Volk.
 

 

DIE VOKS

Kapitel 4

 

Wie lange war es her, seit sie ausgesetzt worden waren? Eine Woche? Zwei Wochen? Oder schon einen ganzen Monat? Wie viele Stunden hatte dieser Planet noch...? Sy'la hatte kein Zeitgefühl mehr. Sie wachte am Morgen auf, aß und trank etwas und ging wieder weiter. Mia konnte auch nicht mehr sagen, wie lange es schon her war. Die ganze Zeit suchten die beiden zudem nach Haggis und dem Doktor, denn eins wusste die Botschafterin genau: sie mussten noch am Leben sein! Mia hatte jedoch große Mühe, der entdeckten Spur der Vermissten zu folgen. Ihr Geruch verwischte sich leider nach ein paar hundert Metern mit den vielen anderen fremden Gerüchen, so dass es schier unmöglich schien, die beiden in dieser weiten Landschaft noch zu finden. Dafür hatte sich Sy'la Gefühl für Energie, die sie scheinbar „sehen” konnte, noch verstärkt.

Sy'la ging es dabei seit langem nicht gut. Starke Übelkeit war das einzige, was sie seit einer halben Stunde noch fühlte, doch trotz allem wollte sie keine Pause einlegen, obwohl Mia es ihr freundlicherweise angeboten hatte. Sy'la blieb kurz stehen und warf einen Blick zum Himmel, ihre Augen vernebelten sich. Plötzlich fiel sie ohnmächtig zu Boden.

Fremde Stimmen kreisten wie Fliegen in ihrem Kopf. Die Sprache war ihr nicht bekannt, doch sie konnte die Gefühle der Fremden spüren, als wären es ihre eigenen. Sie schienen traurig und wütend zu sein. Doch warum? Den Grund wusste sie nicht.

So schnell, wie es über ihr gekommen war, so schnell verschwand dieser seltsame Traum wieder. Mia war heilfroh, dass sie selbst aufgewacht war. Schon seit Stunden hatte sie die Schlafende zu wecken versucht, doch jeder Versuch war gescheitert - fast so, als wäre Sy'la in eine Art Trance oder Koma geraten.

Langsam und vorsichtig half Mia der jungen Frau beim Aufstehen. Sy'la stand schließlich ganz wackelig auf den Beinen und Schmerzen zerrten gnadenlos in ihrem Kopf. Was war bloß mit ihr passiert? - Mia hatte für dieses Geschehen keine Erklärung.

Plötzlich regnete es in Sturzfluten los. Ach, schrecklich! Mia konnte sich in eine schützende Dolde eines Blumenbaums verkriechen, doch Sy'la, die leider nicht so schnell laufen konnte, wurde klatschnass. Wenn es auf Rais regnete, dann war es, als ob man unter einem Wasserfall stünde - man konnte am Regen ertrinken.

Nach dem Regen hatte Sy'la wieder eine Vision, die sie so mitnahm, dass sie wie betäubt in einen tiefen Schlaf fiel. Sie träumte: Da war eine kristallene Stadt, die im diffusen Licht in allen Farben glitzerte. Dann verschwamm der Eindruck. Weiße Schlangenwesen tauchten auf, in ihrer Mitte Andre - der war doch tot, hatte man berichtet? Und dann erschien das Bild einer großen weißen Schlange, aufgerichtet wie eine Kobra, nur hatte sie vorne vier kleine Ärmchen, trug eine goldene Kette und schien Sy'la im Traum mit großen türkisfarbenen Augen anzustarren und etwas zu flüstern - da erwachte sie.

 
* * *
 

Ko'lan musste erkennen, dass die Hybridin und die Formwandlerin ständig im Kreis gingen. So hatten sie bereits mehrmals ein kleines Gebirge umrundet. Sie machten keine Anstalten, - im Gegensatz zum anderen Fremden, der seine halbtoten Patienten mitbetreuen musste, - sich irgendwo niederzulassen und Vorräte anzulegen, und es war ein Wunder, dass sie bisher die rauen Nächte Rais überlebt hatten. Den Rauch der Feuerstelle des Arztes, der manchmal kilometerweit vom Felsplateau aufstieg, hatten sie bisher ebenso wenig entdeckt. Beunruhigend war weiter, dass die Hybridin offenbar krank geworden war. Es war wirklich Zeit, einzugreifen.

Er band um sein Gewand einen kleinen Beutel, fasste seinen Stock und begann, hinter den zwei herzugehen, um sie einzuholen. Die kleinen Rai-Kinder flatterten unterwegs wie bunte Schmetterlinge um seinen Kopf und waren mit Spiel und Schabernack beschäftigt, während ernste Krieger mit ihren kleinen Speeren vorausflogen, einerseits als Kundschafter, andererseits zur Jagd auf kleinste Beutetiere und Insekten. Andere schnatternde Rai waren in den Wiesen damit beschäftigt, Gräsersamen und Pflanzenfasern zu sammeln. Es würde nicht lange dauern, dann war es Winter und da überlebte das Volk nur mit Vorräten.

Nach einigen „Stunden” sah er die zwei Fremden; die Hybridin lag schon wieder am noch feuchten Boden und wälzte sich unruhig im Gras. Die kleine geflügelte Formwandlerin befand sich über ihr; sie sah den Taelon von Weitem und versuchte verzweifelt, Sy'la zu wecken, doch vergeblich. Dann begann sie wüst gegen den herankommenden Taelon zu schimpfen. Der - ganz würdevoll, ganz ruhig, ganz ohne Gefühlsregung, wie er eben als Kind bereits konditioniert worden war - ignorierte ihr Gezeter, und dass, obwohl sie taelonisch verwendete. Und obwohl er insgeheim gerne etwas gesagt hätte. Er beugte sich etwas besorgt über die träumende Sy'la, die eine schwache und matte Aura aufwies, legte seine Hand kräftigend auf ihre Stirn. Sy'la wachte auf - und sah direkt in das Gesicht des Taelons über ihr.

 
* * *
 

Erschrocken fuhr sie hoch, zwei himmelblaue Augenpaare blickten sich gegenseitig an. Sy'la bekam es mit der Angst zu tun. Sie kroch und schob sich rückwärts tastend langsam auf dem feuchten Boden nach hinten, bis ihr ein Baum den Weg versperrte. Dort blieb sie mit den Rücken angelehnt sitzen und starrte sekundenlang den Taelon an. Mia flatterte schützend zwischen Sy'la und Ko'lan, um ihm begreiflich zu machen, dass der Taelon Sy'la in Ruhe lassen sollte. Ko'lan hob die Hand, um Mia zu beruhigen und sagte sanft: „ Ich werde euch nichts tun. Ich bin hergekommen, um diesem Mädchen zu helfen.” Mia war verärgert, doch gleichzeitig verwundert, denn er sprach jetzt in der Sprache der Menschen.

„Jetzt? Jetzt willst du uns helfen?” fuhr sie ihn an. „Wir hätten deine Hilfe schon vor Wochen gebraucht! Erstens: Es war nicht fair uns gefangen zunehmen, zweitens hättest du uns nicht einfach in dieser Wildnis aussetzen dürfen und drittens...” Mia sah Ko'lan mit einem messerscharfen Blick an, bevor sie weiterredete: „Wir haben unser Schiff verloren und dazu noch zwei unseren Freunde, von den zwei Vermissten gar nicht zu sprechen!!!”

Stille breitete sich aus. Nach ein paar Augenblicken wollte der Taelon zu Mias Beschuldigungen etwas erwidern, doch Sy'la schnitt ihm das Worte ab, bevor er sie aussprechen konnte: „Nein, das stimmt so nicht!” Sy'la hatte sich aufgerichtet und stand neben Mia, die aufgeregt hin und her flatterte. „Andre ist noch am Leben. Ich weiß es!”

Mias neugierige Blicke zu Sy'la begehrten eine Erklärung. „Diese...Visionen,” fuhr die Hybridin fort, „ich glaube, dass sie der Realität entspringen. Auf diesem Planeten leben noch mehr intelligente Wesen, von denen wir nichts wissen; und sie kommunizieren telepathisch. Das ist es, was diese Träume auslöst!” Sy'la machte einen tiefen erleichterten Seufzer: „Ich habe Andre bei ihnen gesehen.”

Der hübsche Taelon zeigte sich erstaunlich zahm, gelassen und kooperativ, als wäre GAR NICHTS passiert, und wollte die zwei sogar zum Arzt auf dem Felsplateau begleiten, der, wie er versicherte, auch noch am Leben war. Mia war diese Bereitwilligkeit eindeutig suspekt. Diese Spezies war weitum im Universum, das sie kannte, als arrogant und berechnend verschrien, der Ärger jeder Art auf den Fuß folgte, und sei es nur in Form der Vernichtungsarmee der Jaridians. Was sollte bei diesem hier anders sein? Sollten Sy'la und Ko'lan sich noch so sehr gegenseitig mit ihren engelsblauen Augen anhimmeln, SIE würde auf der Hut sein! Und, nebenbei bemerkt, fühlt sie sich irgendwie ausgeschlossen. Beide fingen an, sich über die Handhabung von Telepathie und Schwingungswahrnehmung auszutauschen, während sie da nur über ihnen umherflattern konnte.

 
* * *
 

(Nicht weit vom Planeten der Rais entfernt, im Weltraum:)
„Hast du die Messungen abgeschlossen?” fragte Mur'ru. Sie versuchte weiterhin, die Geräte so zu justieren, dass dieses von ihnen gekaperte jaridianische Scoutfahrzeug etwas schneller fliegen konnte. Aber viel war da nicht zu machen.

„Die Front des VOKS nähert sich unausweichlich und wird uns letztlich einholen, früher oder später. Die Reichweite und die Beschleunigung dieses Raumschiffs ist nicht groß genug, um zu entkommen,” erwiderte Ka'sar. „Und wir haben kaum noch Energie. Bis Rais, aber dann... Wir werden unserem Schicksal wohl nicht entgehen können.”

Mur'ru schickte ihrem geliebten Partner Wellen beruhigender Sympathie zu. Sie wusste, dass Ka'sar als Wissenschaftler sein Bestes tat. Hauptsache, sie waren bis zum Ende zusammen. Dankbar erwiderte Ka'sar ihre Gedanken. „Wie glaubst du, wird Ko'lan es auffassen, uns zu sehen?” gab er zu bedenken. „Auch wenn er ausgestoßen ist, ist er doch auf das Gemeinwesen konditioniert. Falls er uns überhaupt erkennt, dann sind wir unserer Liebe wegen für ihn nur ein Mythos, geflohene Verbrecher, die der Todesstrafe entkommen konnten. Er wird nur Verachtung für uns haben. Glaubst du wirklich, dass er mit uns kooperiert?”

Mur'ru sah nachdenklich in die tiefe Schwärze des Weltraums hinaus. Noch sah man in diesem Sektor die Sterne, doch nicht weit hinter ihnen existierte nichts als absolute Leere, eine riesige Blase an Nichtexistenz jeglicher Form von Materie, eingesogen von der VOKS. Sie näherte sich rasend schnell, auch diesem Sonnensystem da vorne.

„Da gibt es nirgendwo mehr Jaridians, du weißt das, und auch keine Taelons mehr! Nur noch uns Ausgestoßene, irgendwo verstreut unter diesen Galaxien. Wir sind die einzigen, die übrig sind. Andere hat er nicht mehr zur Auswahl.” Mur'ru war noch immer verletzt, obwohl es so unendlich viele Jahre her war. „Shabraaa! Ja, nur weil wir nach der Zeugung unseres Kindes zusammenbleiben wollten, hat man uns zum Tode verurteilt. ‚Primitive Gefühle’ zweier zurückgebliebener Taelons, die das Gemeinwesen destabilisieren! Das reichte der Diplomaten- und Priesterkaste für ein Todesurteil. Und unser Kind, weggenommen, konditioniert und zurückgestuft in der Hierarchie in die unterste Kaste! Nie werde ich das vergessen. Und jetzt sind gerade wir es, die noch leben, eine Ironie, findest du nicht?”

„Die Taelons als Spezies sind nun einmal dekadent geworden, denk nur, keine Liebe mehr, ja nicht einmal so etwas wie ‚Geschlechter’ - als ob unsere Spezies nicht auch Geschlechter gehabt hatte, genau wie die Jaridians! Zu dekadent selbst zur Fortpflanzung. Oder sich zu wehren. Und jetzt ist unser Volk gänzlich zugrunde gegangen.” Ka'sar strich seiner liebsten Freundin sanft über ihr Hinterhaupt. „Aber du, Mur'ru, warst nie dekadent! Nur so konnten wir damals entkommen, nur so konnten wir dem jaridianischen Scout dieses Schiff abnehmen! Du bist so, wie eine unserer alten Kriegerinnen! Ich liebe dich dafür.”

Die zwei taelonischen Parias sahen den Planeten Rais vor sich, und riefen im Inneren nach ihrem Artgenossen Ko'lan. Der Planet sollte nur eine unterentwickelte Spezies aufweisen, die ihnen nicht gefährlich werden konnte. Natürlich zeigte das Scoutschiff sofort an, wo die Energiekammer des Taelon war. Auf den Hass der Jaridians war eben immer Verlass gewesen.

 
* * *
 

(In der unterirdischen Kristallstadt:)
Er wachte auf, sein Kopf und seine Glieder taten ihm schrecklich weh, was war nur geschehen? Er konnte sich nur schemenhaft an die letzten Szenen erinnern, bevor er sein Bewusstsein verlor. Langsam hob er sein Haupt und sah sich ängstlich um. Er lag auf einem Tisch in einem weißen hell erleuchteten Raum, der steril und fremdartig wirkte, fast so, wie in einem Krankenhaus. Andre fiel auf, dass die Wände strahlten, doch nirgends war ein Lampe oder etwas ähnliches. Stattdessen hingen Geräte von der Decke herunter, und neben seinem Lager war noch ein kleinerer Tisch mit seltsam aussehenden spitzen Werkzeugen. Außer ihm war sonst keiner in diesem Zimmer. Er wollte aufstehen, doch musste er feststellen, dass man ihn festgebunden hatte. Mehrmals versuchte er sich los zu reißen, bis er es aufgab, an den silbrigen Fesseln zu ziehen, die seine Hände und Füße umgaben. Das Material war einfach zu hart und wiederstandsfähig. Nach einer Weile öffnete sich eine Tür. Der junge Mann sah zur Seite und erschrak zutiefst, als diese Wesen zur Tür hereinkamen. Es waren fünf an der Zahl. Eines unterschied sich deutlich von den anderen, es hatte eine goldene Kette um den Hals und war außerdem größer als die übrigen. Es war auch diese Schlange, die zuerst anfing zu reden, sie sprach in einer Sprache, die Andre noch nie zu Ohren bekommen hatte. Zischend und pfeifend klang sie, und hatte einen gewissen undefinierbaren Rhythmus.

 
* * *
 

(Auf der Oberfläche:)
Endlich waren sie bei dem Doc und Haggis angekommen. Ko'lan hatte sie zu der Stelle geführt. Myinga sah seine Freunde schon von weitem kommen und stieg rasch vom Felsen herunter. Er hatte seit langem mit keinem mehr gesprochen, und so freute er sich riesig, als er Mia und Sy'la in den Armen nahm. Über Ko'lan war er ziemlich überrascht, denn er hatte den Taelon zuvor von einer anderen, dunkleren Seite kennen gelernt. Nur mit misstrauischen Blicken begegnete der Doktor dem Taelon. Er akzeptierte ihn aber schließlich, als die beiden Gefährtinnen von Ko'lans „Rettungsaktion” erzählten.

Die Gruppe wollte auf das kleine Felsplateau hochklettern, als Sy'la schon wieder eine Vision bekam: Diesmal lief sie einen weißen breiten Gang entlang. Hinter, neben und vor ihr diese Schlangenwesen, die sie festhielten, um eine Flucht zu verhindern.

Dann änderte sich der Blickwinkel. Sie sah die Schlangen von vorne kommen. Andre ging unfreiwillig zwischen ihnen, sein Gesicht von Angst und Verwirrung geplagt, sein ganzer Körper, zitternd, war mit Schweiß überdeckt.

„Neeeeeein!” schrie sie und hielt sich an Ko'lan Arm fest, der neben ihr stand, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. Diesmal war sie von allein aus ihrer Traumwelt zurückgekehrt; kopfschüttelnd fragte sie sich, warum das alles ausgerechnet ihr passieren musste.

 
* * *
 

(In der Kristallstadt:)
Der Schwede hatte furchtbare Angst vor den weißen Schlangenwesen. Es war, als wäre er vor ihnen absolut gläsern. Ihre Blicke schienen sich in seinen Schädel zu bohren. Sie kannten jede einzelne Zelle von ihm, jede Erinnerung und jeden Winkel seines Geistes. Die Menschen hatten auch kaum andere Aliens kennen gelernt, woher sollte ausgerechnet er wissen, was er von ihnen zu halten hatte? Er hatte schon die Taelons verabscheut, aber diese grässlichen und zischenden Schlangen? Die nicht nur am Boden krochen, sondern sich auch an der Decke und an den Wänden entlang schlängeln und -ringeln konnten? Waren das auch Eingeborene des Planeten? In den Taelon-Dateien des Schiffes hatte nichts davon gestanden. - Nachts hatte Andre Alpträume, und immer wieder schrie er unbewusst geistig um Hilfe.

Sie betrachteten ihn so merkwürdig. Sie konnten seine Abneigung „riechen”. Irgendwann wurde er zu müde, um Angst zu haben. Und im Endeffekt hatten sie außer Untersuchungen nichts mit ihm angestellt. Sie waren weder freundlich, noch unfreundlich. Sie fragten nicht lange. Sie taten mit ihm, was sie glaubten, tun zu müssen. Sie hatten sein Bein geheilt, gaben ihm Brei, Wasser und regelmäßige Duschen und unterhielten ihn mit allerlei „Filmen”, jedenfalls verwandelte sich eine Wand in seiner Zelle in eine Art dreidimensionalen Bildschirm. Die Filme in dieser unverständlichen zischenden Sprache zeigte Ausschnitte aus dem Weltraum, Sonnen und Planeten. Sie zeigten öfters einen Eisplaneten. Die Schlangenwesen - hießen sie „SZZZahZZZa”? - hatten sich wohl wegen der Kälte an der Oberfläche vorwiegend unterirdisch entwickelt. Irgendwann war die Sonne gestorben, und das restliche Volk war mit einigen großen Raumschiffen aufgebrochen.

Dann wieder wurden Filme über die Zazas selbst gezeigt. Falls er die Filme richtig deutete, waren sie allesamt Forscher. Offenbar befand sich bei ihnen ein riesiges Gehirn nicht nur im Kopf, sondern zog sich über den ganzen Schlangenrücken entlang, geschützt von verschiebbaren Knochenplättchen, die die Beweglichkeit des Körpers garantierten. Sie lebten im Raumschiff, wobei das Innere gestaltet war wie eine Stadt - wie die Kristallstadt, in der er sich befand.

Wenn das so war - und das war für Andre als Physiker faszinierend - mussten sie mit dem Schiff in Rais Erde „teleportiert” sein, und zwar so, dass die Erde verdrängt - vielleicht in einer anderen Dimensionsblase vorübergehend deportiert - worden war. Die Schiffe mussten einen vollkommen anderen Antrieb als die der Taelons haben, und die Zazas selbst mussten technisch viel weiter entwickelt sein als diese!

An diesem Punkt des Verständnissen angekommen, kamen wieder ein paar weiße Schlangen in seinen Raum geschlängelt und sahen ihn wieder merkwürdig an. Er konnte wieder, wie bereits öfters, ein Ziehen in seinem Schädel spüren, ein Zischen und Wispern. Er hatte dabei das unwiderstehliche Gefühl, sich sofort hinlegen und einschlafen zu müssen. Im Halbschlaf hatte er eine Vision. Er lag auf einer Wiese unter einer Weide. Er sah ein weißes unschuldiges Schaf mit einer goldenen Kette um den Hals neben sich stehen, und dieses Schaf sprach
plötzlich mit ihm: „Endlich hörst du mir zu!”

„Wieso höre ich dich sprechen”, meinte der Schläfer verwirrt, „du bist doch nur ein Schaf!”

„Denk nicht dran”, sagte das Schaf, „schlaf weiter und hör mir nur zu. Wir sind uralte Forscher. Wir mischen uns nirgends in Konflikte ein, halten uns versteckt und beobachten nur. Niemand kennt uns, und werden wir entdeckt, ziehen wir weiter in Bereiche des Universums, wo uns niemand kennt. Unser Gott ist genannt das ‚ewige universelle Rätsel’, das ewige Fragezeichen, und daher ist es unsere Pflicht und Lebensaufgabe, alles im Universum zu erforschen. Denn so sagt unser Gott: Wenn wir damit aufhören, weil wir alles wissen, und das Rätsel gelöst haben, wird unser Volk verschwinden.”

„Du bist doch nur ein Schaf!” protestierte Andre. „Du solltest Wolle geben und Gras fressen, anstatt solche Sprüche von dir zu geben. Siehst du,” Andre hielt dem Schaf ein Büschel Gras vor die Schnauze, „ wie saftig das Gras hier ist!”

„Aber ja, weiß ich doch”, sagte das Schaf dazu und stupste ihn mit der Schnauze in die Seite, „aber viel wichtiger ist das physikalische Problem, dass direkt auf diesen Planeten zusteuert und bald hier sein wird. Es wird alles vernichten.”

„Ich verstehe nicht, was du meinst. - Willst du nicht doch etwas Klee?”

„Schlaf schön weiter”, empfahl das Schaf, „wenn du aufwachst, wirst du wissen, was ich meine. Träume schön.” Das Schaf wandte sich um und trabte davon, und Andre fiel in einen tiefen erholsamen Schlaf. Der erholsamste seit langem.

 
* * *
 

(Auf der Oberfläche:)
Ko'lan besichtigte Myingas halbtoten Patienten. Wie er schon vorher gesagt hatte, schienen zwei zu sterben; der Taelon wunderte sich geradezu, dass sie noch am Leben waren. Auf diesem Planeten gab es keine medizinische Apparatur, und er selbst kam nicht aus der Arztkaste. Auf Drängen Sy'las versuchte er, sie mit der Übertragung seiner Körperenergie ein wenig zu stabilisieren. Wieder Erwarten schien es einer Person danach besser zu gehen. Noch einige Übertragungen, und vielleicht würde sie munter werden.

Der Taelon fuhr plötzlich zusammen und sah zum Himmel. „Was hast du denn?” fragte Sy'la und sah ebenfalls zum Horizont.

„Zwei Artgenossen kommen hierher”, erwiderte Ko'lan, „zwei Parias. Und bringen garantiert Ärger mit.”

„Parias?” fragte Sy'la neugierig und starrte verblüfft den Himmel an. Komisch, auch sie konnte jetzt etwas spüren. Energie, die immer dichter und näher zu kommen drohte. „Das sind weitere Taelons, nicht wahr?” - „Ja zwei Ausgestoßene, wie ich es bin.” An Ko'lans Verhalten konnte Sy'la feststellen, dass dieser über die Neuankömmlinge nicht sehr erfreut war. ‚Warum nur?’ fragte sich die Hybridin selbst.

Der Taelon fuhr mit seiner Behandlung an der halbtoten Haggis fort, ohne sich weiter auf
dieses Geschehen zu konzentrieren. Er wollte sich später mit den beiden Taelons befassen, die sich dem Planeten in rasender Geschwindigkeit näherten.

 
* * *
 

(Im Anflug auf Rais:)
Mur'ru hatte das Steuer fest in der Hand und steuerte geradewegs auf die Energiekegel zu, die der Computer durch die Strahlenmessungen des Planeten Rais angezeigt hatte. Es war höchst seltsam, dass es zwei taelonische Energiestrukturen waren, denn nach ihrem Wissen war auf diesem Planeten nur ein Taelon zu finden, Ko'lan.

Ka'sar hatte die Messungen inzwischen abgeschlossen und war zu einem endgültigen Ergebnis gekommen. Die Scouts waren nur noch wenige Tage von diesem Planeten entfernt - genauer gesagt (8 Tage und 15 Stunden). Es blieb also nur wenig Zeit, Ko'lan auf das Schiff zu holen. Und ob er mit ihnen kooperieren wollte, war zunächst die wichtigste Frage. Mit einem verliebten Blick sah Mur'ru zu ihrem Partner hinüber. Ko'lan - der musste auf jeden Fall mit ihnen zusammen arbeiten, oder das Schicksal beziehungsweise die Jardians würden ihm das Leben nehmen.

Eine weiche Landung, auf einer saftig grünen Wiese, war gelungen. Die zwei Taelons stiegen aus dem Schiff und schauten sich erst mal um. Sie fanden eine artenreiche Landschaft vor, wie zuvor der Per-Peri und seine Gefährten. Genau wie bei diesem waren auch hier die Rai-Krieger aufmerksame Beobachter.

Ko'lan spürte schon, dass die Parias ihre Füße auf den Trabanten gesetzt hatten. Zum Glück hatte er es endlich geschafft, die Patientin so zu stabilisieren, dass sie außer Lebensgefahr war. Sie schief ruhig und atmete gleichmäßig ein und aus.

„Sie sind hier in der Nähe,” sagte Ko'lan etwas benommen und blickte dabei um sich in alle Richtungen, bis sein Kopf nach Westen sah.

Er hatte zuviel Energie für dieses weibliche Menschenwesen verbraucht, einfach zuviel. Jetzt wäre eine Energiedusche dringend nötig! Aber nein, er musste ins Dorf zurück. Die Höflichkeit gebot, noch vor der Energiedusche die zwei anderen Taelons zu begrüßen. Die einzige positive Nachricht: sie waren allein. Sie hatten das Schiff ausgerechnet im Yaomi-Gras gelandet, stellte Ko'lan bei seiner Ankunft missbilligend fest. Und sie hielten sich provozierend an den Händen.

Mit steinerner Miene führte er die Begrüßungsgeste aus, die die zwei blauen Energiewesen erwiderten. Sie verbeugten sich auch artig vor Sy'la, berührten sie und materialisierten sich. Mur'ru in pinklila, Ka'sar im schwarzvioletten Bio-Dress, welches sich farblich nach den Auren der Taelons richtete. Für alle war es somit sichtbar, dass die zwei zu den wenigen Taelons gehörten, die sich fortgepflanzt hatten. „Ihr seid mitten im Gras gelandet, welches die Rai als Getreidefelder angelegt hatten. Sie werden im Winter deswegen einen Mangel haben”, stellte Ko'lan vorwurfsvoll auf taelonisch fest. „Ärger begleitet euch, wohin ihr geht.”

„Was kannst DU denn schon von uns wissen?” meinte Mur'ru ungerührt dazu. „Du lebst hier friedlich im Exil. Immerhin wurden wir seit (Jahrhunderten) von Taelons, Jaridians, deren Hilfsvölker und von anderen fremden Spezies durch diese Region gehetzt und wir haben überlebt.”

„Aber jetzt gibt es keine Taelons mehr”, fuhr Ka'sar fort, „eure ganze einsuggerierte Gefühllosigkeit hat nur eins bewirkt: die Unfähigkeit, Kinder zu zeugen. Das alte System ist an seiner Erstarrung und Kälte zugrundegegangen. Das Universum ist leer! Fühlst du es nicht: nirgendwo Taelons, nirgendwo Jaridians. Wir sind die einzigen, die übrig sind.”

„Also stünde es dir gut an, deine Arroganz uns gegenüber aufzugeben und mit uns zusammenzuarbeiten”, griff Mur'ru den Faden wieder auf. „Wir sind alles, was du noch hast.”

„Ich verstehe eure Sprache nicht so gut, könntet ihr vielleicht...,” begann Sy'la.

Mur'ru sah sie missbilligend an. „Du musst von dieser unterentwickelten Rasse sein, die die Taelons zuletzt aufgesucht haben. In dieser Region des Universums spricht jede höhere Lebensform taelonisch oder einen Jaridian-Dialekt als Verkehrs- und Handelssprache. Nur primitive Lebensformen sind unfähig, sie zu lernen. Du erwartest, dass wir deine primitive Sprache sprechen, die wir soeben erstmals gehört haben, und noch nicht einmal kennen! Ich kann dir nur sagen: LERNE!”

 
* * *
 

Mia gefiel es gar nicht, dass ihre Freundin von dem arroganten Taelon so zurechtgewiesen wurde. „Eingebildetes Volk!” schimpfte sie, sich sacht mit ihrem Flügelschlag in der Luft in Kopfhöhe haltend. „Fast ausgestorben, aber noch immer von sich überzeugt. Was wollt ihr überhaupt hier? Ko'lan besuchen? Piraten-Geschäfte könnt ihr hier keine machen, dieser Planet hat keine Technologie!”

„Wir sind keine Piraten, sondern wir lebten ehrbar vom Tauschhandel, wie in früheren Zeiten andere Taelons es auch taten,” verteidigte sich Ka'sar. „Für das Mineralsalz zum Beispiel von Virisien, welches wir nach Narnar brachten, versteckte uns das Volk dort gerne vor den Jaridians, und die dort wachsenden Koo-Pflanzen lieferten wir nach Watang. Und von Watang brachten wir Jagdwaffen nach Zloti. Alles ehrbare Geschäfte.”


„Ja, sehr ehrbar”, meinte Ko'lan ironisch. „Jeder weiß, dass Virisia radioaktiv verseucht ist. Das Extrakt der Koo-Pflanze stellt auf Watang ein Rauschgift dar, und auf Zloti herrscht Bürgerkrieg.”

Ka'sar brach in zynisches Gelächter aus. Lachen war ein brutaler Verstoß gegen jede gute Taelon-Erziehung! Ka'sar wusste das. „Seht euch Ko'lan an! Selbst ein Verbannter, belehrt er uns. Und was hast du getan? Zuviel geredet und Gewissen gezeigt? Gefühle gar? Du bist wirklich erheiternd! Mur'ru - ist er nicht erheiternd?”

„Wie könnt ihr euch nur so aufführen! Ein solches Benehmen haben nur kleine Taelon-Kinder - oder Jaridian! Ja, ihr seid nicht besser als die Jaridians,” erregte sich nun Ko'lan und wandte sich zum Gehen. „Ich will mit euch nicht mehr sprechen!”

„Nein, du wirst noch nicht gehen,” befahl geradezu Mur'ru. „Wir sind diesmal wirklich aus einem ernsten Grund hier. Dieses Schiff hat kaum noch Energie. Ich bezweifle, dass es sogar genug wäre für einen Start. Aber selbst mit Energie wäre es nicht schnell genug, uns von hier fortzubringen. Eine alles verschlingende VOKS-Front kommt geradewegs auf uns zu, und es scheint kein Entkommen zu geben. Einst hast du zu den besten Wissenschaftlern unseres Volkes gezählt! Das Phänomen ist dir sicher bekannt.”

„Und zu allem Übel kommen auch noch jaridianische Scouts mit ihren Schiffen hierher; sie werden bald hier sein, um uns zu töten.” Ka'sar benahm sich jetzt wieder so ruhig, wie es unter Taelons schicklich war.

„Welche Ironie - die Jaridians sind fort, aber ihre Maschinen morden weiter.” - Mur'ru bemühte sich, eindringliche Gedanken an seinen Artgenossen zu übermitteln. „Wir müssen SOFORT Maßnahmen ergreifen, um sie zu überlisten. Vielleicht können wir dann eines der Schiffe kapern. Obwohl sie für die VOKS viel zu langsam sind, um zu entkommen.”

Plötzlich sackte Sy'la wieder mit einem leisen Stöhnen zu Boden und fasste sich an den Kopf. „Ach, dieses furchtbare Ziehen im Schädel”, seufzte sie voller Schmerz. Alles zerfloss in Grau. Ihre Vision: Sie stand in der kristallenen Stadt. Überall züngelnden weiße Schlangen, und mitten drin Andre! Er sagte etwas. Sie bemühte sich, zuzuhören. „Die Zazas wollen plötzlich fort”, fing er an, „aber wir brauchen sie, um die Erde zu retten! Sie haben eine extrem hohe Technologie! Wir müssen mit ihnen verhandeln.”

Irgendwie fühlte Sy'la, dass Andre mit den „Zazas” die Schlangen meinte, und dass es ihm den Umständen nach in ihrem Traum nicht mehr ganz so schlimm ging. „Der Taelon muss mit ihnen telepathisch sprechen, vielleicht kann er sie überzeugen! Es ist sehr wichtig”, beschwor er sie. - Eine große weiße „Kobra” mit beeindruckenden türkisfarbenen Augen erschien plötzlich vor ihren inneren Augen. Sie fühlte auf einmal, dass die Schlangen Andre gehen lassen wollten, bevor sie aufbrachen. Dann wurde Sy'la ohnmächtig.

Als sie zu sich kam, waren Stunden vergangen und es war Nacht. Die Taelons hatten sich zurückgezogen, selbst Ko'lan, der Sy'la sich ausschlafen lassen wollte. Sie lag in der inzwischen ganz wohnlich gewordenen Felsenhöhle in der Obhut Dr. Myingas. Ein Feuer brannte am verbarrikadierten Eingang, und Mia lag schlummerte am Kopfende ihres „Bettes” aus Stroh am Boden, welches bedeckt war mit einer der wenigen Decken. Von draußen erklang wieder das furchtbare Fauchen und Heulen und schrille Schreien der Opfer der herumstreifenden Raubtiere. ‚Fast wie bei einem Nachtlager mitten in einem Raubtiergehege’, flüsterte sie in die Nacht hinein.

 
* * *
 

Die Nacht war sehr erholsam gewesen. Sy'la stand auf dem Felsplateaeu und schaute zu, wie die grüne Riesensonne verschlafen auftauche, eine wunderschöne Aussicht. Die Vögel zwitscherten, es lag eine dünne Tauschicht auf den Blättern der Gräser und Bäume.

Dann kamen ihre Erinnerung zurück. Sie musste so schnell wie nur möglich zu Ko'lan gelangen. Hastig rannte sie zurück in die Felshöhle und packte ihre wenigen Sachen zusammen (bestehend aus einem Rucksack mit Proviant und einer Wasserflasche), ohne zu merken, dass sie Mia dabei aufweckte. Die elfenähnliche Gestalt beobachtete etwas verschlafen, wie ihre Freundin die Höhle verlassen wollte. „Halt! Wo gehst du denn hin?” rief Mia leise, die vom Lager aufflatterte.

„Psst! - Ich muss zu Ko'lan, ich muss ihn berichten was ich gestern in meiner Vision gesehen habe. Es ist wirklich dringend und sehr wichtig...!” Sy'la schnallte sich den Rucksack fester um die Schulter und drehte sich schon zum Gehen, da unterbrach sie Mia mit Logik: „Du weißt doch gar nicht wo, es lang geht.”

Sy'la stoppte und schaute zu ihrer Freundin hinüber. „Aber du hast dir doch sicherlich den Weg gemerkt?” Mia nickte und lächelte leicht, dann machten sich die Zwei auf.

 
* * *
 

Sie liefen schon seit Stunden durch die Landschaft. Mia war sich sicher, dass sie den richtigen Weg gingen. Nur noch ein paar Minuten und sie würden die Rai treffen, darüber war sich die Botschafterin im klaren, denn die Rai waren immer und überall zu finden. Sie mussten sich nur bemerkbar machen. Von ihnen würden sie dann schon Auskunft über den Aufenthaltsort des blauen Riesen erhalten.

Sy'la taten bereits die Füße weh. „Wie lange dauert es denn noch?” fragte sie ungeduldig. Mia verdrehte die Augen. Ja die Menschen, sie waren schon eine seltsame Art, und manchmal brachte es das Mädchen richtig zum Ausdruck. Mia brauchte nicht mehr zu antworten, denn die beiden standen wenige Sekunden nach Sy'las Frage direkt vor den Rai, die ihnen der Weg versperrten.

Mia flog ihnen entgegen und verlangte nach dem Taelon. Sy'la, die ein paar Meter entfernt war, beschäftigte sich einstweilen mit den Rai-Kindern, die wie wild um ihren Kopf umher flogen und sie ärgerten.

Als Mia zu Sy'la zurückkam, flogen die Rai-Kinder in alle Richtungen davon und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Die Schnelligkeit war eine Eigenschaft, die sogar die Kleinsten der Rai beherrschten. Es war wohl der Krieger, der direkt hinter Mia flog, vor dem die Kleinen sich so erschreckt hatten, dass sie gleich weggeflattert waren. Er sollte ihnen den Weg durch den dichten Wald zum Dorf zeigen, wo Ko'lan in seiner blauen Höhle hauste.

Endlich waren sie angekommen. Der Taelon ging ihnen schon entgegen, und es waren auch diese beiden anderen dabei. Mur'ru und Ka'sar. Scheinbar hatten sie gerade etwas besprochen, als Mia und Sy'la ihren Blickfeld betraten und in ihr Gespräch hineinplatzten. Ko'lan war offenbar sehr erfreut die zwei wieder zu sehen, und begrüßte sie gleich mit den typischen Taelongruß, während Mur'ru und Ka'sar nur zögernd die Fremden begrüßten.

„Geht es dir wieder besser?” fragte Ko'lan die jungen Hybridin.

„Ja, danke mir geht es gut, aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin.”

Der Taelon legte den Kopf schief , betrachtete neugierig die junge Frau und wollte so zeigen, dass sie weiter sprechen möge. Sy'la atmete tief durch und legte dann los: „Es gibt eine Art auf diesen Planeten, die nicht von hier stammt. Sie wohnen im Inneren von Rais, wo sie ungestört andere Spezies beobachten können und...”

Mur'ru unterbrach Sy'la mit einer Geste. „Ko'lan, du wirst doch nicht daran glauben, oder? Unsere Messungen haben nichts dergleichen angezeigt. Wie es aussieht, ist dieses Wesen von diesem Ort krank geworden, du solltest damit nicht deine Zeit verschwenden!”

„Es schadet doch nicht, etwas freundlich zu sein,” unterbrach Ko'lan. - „Du sprichst von einer fremden Spezies, von außerhalb?” fragte der Taelon skeptisch die Hybridin. „Ich muss Mur'ru recht geben, ich habe noch nie eine solche hier wahrgenommen, weder materiell, noch telepathisch. Du bist dir sicher? Vielleicht hast du nur geträumt.”

„Nein, ich bin mir absolut sicher,” erwiderte Sy'la heftig, „und auch ein anderer Mensch, der auf diesem Planeten verloren ging, Andre, ist immer noch am Leben. Er hat sie gefunden und
nun versuchen er und diese Spezies uns zu kontaktieren!”

„Manche Spezies besitzen die Fähigkeit, sich geistig abzuschirmen”, erinnerte Ka'sar. „Vor allem solche, die nicht gefunden werden wollen. Beobachter. Es gibt zwar bedeutend mehr Rassen, die primitiver sind als wir, aber auch logischerweise solche, die uns überlegen sind. Es wäre nicht gänzlich unmöglich.” - Er geruhte dabei tatsächlich, in der Sprache der Menschen zu sprechen.

„Wir müssen von diesem Planeten weg und das rasch. Wenn das eine Chance ist, sollten wir sie versuchen. Wir sollten uns geistig verbinden und nach der Spezies rufen,” schlug Ko'lan vor. „Die Frau sollte sich uns anschließen, denn offenbar gestatten die Fremden einen Kontakt zu ihr.”

Mur'ru zog eine skeptische Miene, sagte aber nichts. Die Gruppe zog sich unter einem Yaomi-Baum zurück und setzte sich zur Meditation zu einem Kreis. Mia, die sich auf dem Baum niederließ und sich die Zeit damit vertrieb, vom süßen Zeug am Baum zu naschen, sah zu. Nach einigen Erläuterungen gegenüber Sy'la verfiel der Kreis in tiefes Schweigen.

 
* * *
 

(In der Kristallstadt:)
Die Kommunikation mit den Zazas klappte für den Schweden mehr schlecht als recht: sie verstanden alles, er eigentlich nichts. Immerhin verglich er sie gedanklich nicht mehr mit weißen glitschigen Würmern, Ungeziefer oder Monster, und sie ließen ihn dafür in der Kristallstadt umherwandern. Sie wussten ohnehin, dass er ohne ihr Einverständnis die Stadt nicht verlassen konnte.

Einmal abgesehen davon, dass man sich erst daran gewöhnen musste, dass alles im Halbdunkel lag und in allen Farben glitzerte, und dass die Schlangen zwar auf den schmalen Laufbahnen dahinglitten, aber auch an Wänden und Decken, als hätten sie gar keine Probleme mit der Schwerkraft (aber der Physiker glaubte eher, sie hatten viel eine angeborene gute Bodenhaftung), war die Stadt sehr schön. Alle Gebäude waren länglich, leicht und zierlich, mit aparten filigranen und schlanken Details versehen. Und doch atmete alles eine absolute Fremdheit und Exotik aus. Jeder Schalter, jedes Gerät, jeder Gegenstand sah anders aus, als er sich in seinen kühnsten kreativen Träumen vorstellen konnte. Manche Geräte sahen aus wie bunte Kieselsteine, Knöpfe oder Halsketten, ihre Leistung im Inneren verbergend. Das Volk hatte eine unglaublich fortgeschrittene Technologie - nur das hatte er wirklich begriffen.

Aus einem bunten Stein auf dem Weg materialisierte sich plötzlich vor ihm eine weiße Schlange. Aus dem Köpfchen, der Augenform und den Gesten ihrer vier Händchen vorne - und dank ihrer Halskette - identifizierte Andre sie als die Anführerin. Sein Traum-Schaf. „Muss sprechen”, verstand Andre irgendwie innerlich, „sofort, wichtig! Komm mit!” Und schon verschwanden beide durch den Stein in Richtung Kabine. Dort warteten schon andere Zazas.

„Ja, ja, ich verstehe schon, ich leg mich schon hin!” maulte der Schwede, bevor er auf dem Bett liegend in Trance fiel. Dann begannen die Verhandlungen.

 
* * *
 

(Der Kontakt:)
Die Taelons - plötzlich waren da mehrere Taelons auf Rais, wunderte sich Andre noch - legten in Bildern ihr Anliegen vor. Sie imaginierten auch noch Bilder von der VOKS-Front und den Scout-Schiffen. Die Zazas ihrerseits bildeten geistig blühende Planeten und Völker ab, eins nach dem anderen, und dann ein Bild der Verwüstung und des Todes auf diesen Planeten. Hunderte. Sie sagten damit: „Mit Gaunern und Mördern wollen wir nichts zu tun haben!”

Dann wieder folgten Bilder, mit denen die Taelons die Ursache der Konflikte aufzeigten, das Aussterben der Völker der Jaridians und der Taelons, mit eingefügten bittende Gesten. Sy'la malte im Gedanken ein Bild der Erde hinzu, wie sie sich die Erde vorstellte, und wie dort alle Menschen dem Tode geweiht waren. Die Zazas imaginierten als Antwort Bilder einer Evolutionskette von einer Zelle bis zu den Menschen, wie die Kette mit anderen Gliedern im Universum verbunden war, wie aber kranke und unfertige Glieder immer wieder absterben mussten, um neuen Spezies Platz zu machen. Sie sagten damit: „Leben und Tod sind im Universum natürliche Abfolgen, und es gilt das Gesetz der natürlichen Auslese.”

Da mischte sich Andre mit geistigen Bildern ein. Er zeigte wunderschöne Orte auf der Erde; und dann erinnerte er sich auf einmal daran, wie er und seine Großeltern in seiner Kindheit die Ostermesse gefeiert hatten. Seine Eltern waren gerade gestorben, und mit Tränen in den Augen hatte der Junge die Messe mitverfolgt: „Christ ist auferstanden!” verkündete der Priester in der Messe. „Und mit ihm wurde der Tod besiegt. Gott ist die Liebe. Diese Liebe ist die größte Macht im Universum. Wo immer die Liebe ist, hat der Tod die Gewalt verloren. Die Liebe vereint alle, hilft allen, versteht alles, verzeiht alles. Wer die Liebe in seinem Herzen hat, der lebt ewig.” Und da begriff der Junge, dass seine Eltern noch lebten, in ihm weiterlebten, und war getröstet. - Das ist Ostern: die Hoffnung, dass Gott die Menschen nicht verwirft, dass das Leben nicht endet, nicht mal mit dem Tod.

Die Schlangen und die Taelons schwiegen eine ganze Weile. Dann: „Wir danken dir für diese Geschichte über das große Rätsel”, meinte die Anführerin der Zazas, „Traum-Schaf”. „Aus Dank werden wir versuchen, euch zu helfen. Dieser Planet ist verloren. Kommt an Bord, nehmt mit, was ihr braucht, und wen ihr braucht.”

 
* * *
 

Während Sy'la benommen aus der Trance aufwachte, materialisierte sich ein leuchtender Schacht aus Licht in der Nähe, der nach unten führte, und die fremdartige Anführerin der Zazas wie auch Andre waren plötzlich mitten unter den Anwesenden. Sie waren aus der Tiefe herauf teleportiert.

Sy'la stand langsam und sehr ungelenkig auf, der Yaomi-Baum half ihr dabei, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Alles um sie herum war verschwommen und unklar, doch langsam löste sich das ungenaue Bild und sie sah sich um. Vor ihr standen Andre und ein Wesen, das eine sehr merkwürdige Gestalt hatte. Der Anblick dieser Fremden erinnerte an eine Schlange, ein kriechendes Reptil, das es auf der Erde gab. Ihre Augen schimmerten in einem seltsamen Grün und auf der Brust trug sie eine goldene Kette mit einem Anhänger. Sy'la war sich fast sicher, dass es eine „sie” war, doch erklären, woher sie das wusste, konnte sie leider nicht. Es war so ein Gefühl, das direkt aus ihrem Bauch kam.

Alle standen da wie angegossen, fast reglos, abwartend, für einen ewigen kurzen Moment. Ko'lan rechts neben Sy'la und Mur'ru und Ka'sar links von ihr. Ein grelles Licht fiel nun aus der goldenen Kette, deren Besitzerin die fremde Schlange war, und goss seinen Glanz auf alles, was in ihrer Umgebung stand. Die Zaza sprach mühsam in der Sprache der Menschen, unterstützt wohl von einem unerkennbaren Dolmetsch-Gerät. Die Sprache hatte sie aus Andres Erinnerungen und Gedanken ermittelt, und die Zazas hatten auch gelernt, wie die Menschen miteinander lebten, vor allem in einer Gemeinschaft, genannt Familie. Eine Familie war so etwas wie ein fester Halt im Leben, niemand konnte es unterbinden, es war einfach da und beschützte einem, egal ob man es merkte oder nicht. Man wusste eben einfach, dass man in einer Gemeinschaft akzeptiert und geliebt wird, fast wie bei den Taelons mit den Gemeinwesen. Nur dass die Gemeinschaft bei dem Menschen nicht durch Gedanken entstand, sondern durch Zeichen, Gefühle und Worte, anders als bei Taelons, die sich telepathisch zusammenschlossen.

Das war es, was die Schlangenwesen so faszinierend fanden, eine Spezies, die sich trotz Fehler, Schwächen, Streit und Krieg sich doch irgendwie zusammengerafft hatte, um die Taelons als brüderliche Begleiter freundlich zu empfangen. Doch die Schlangenwesen wussten, dass die Taelons keine vorbildliche Art im Weltraum waren, sie hatten es aus ihren Beobachtungen gelernt. Im Gegenteil, egal wo diese im All gewesen waren - gab es meistens überall Streit und Krieg danach. Doch vielleicht waren nicht alle Taelons so... vielleicht hatte das Schicksal Mitleid gezeigt. Vielleicht waren einige anders als die meisten dieser Art geworden.

Mur'ru ging als erste zu diesem Wesen, denn offensichtlich hatte sie keine Angst davor, diesem zu begegnen. Sie war mutig, in ihr steckte noch das alte Blut der kriegerischen Taelons. Mit einer langsamen sanften Redensart versuchte sie auf das Schlangenwesen einzuwirken, doch es wollte nichts von ihr wissen, stattdessen schlich es zu Sy'la rüber, die ganz überrascht darüber war. Wie vereist stand sie vor dieser Schlange, noch immer unfähig, irgend etwas zu sagen oder zu tun, ihre Stimme blockte ab und ihr Körper auch.

Die Schlange richtete sich hoch und legte ganz sanft eines ihre ihrer insgesamt vier winzigen Hände auf Sy'las Stirn und versuchte mit ihr zu kommunizieren. Die Bilder der Schlange weiteten sich schnell in Sy'las Kopf aus. Geschichten über fremde Wesen und Planeten fügten sich wie eine Kette in ihr Gehirn ein. Viele schicksalhafte Stories über viele Leben, die aus irgendeinem Grund einfach weggelöscht wurden, entweder von den Jardians, oder von den Taelons. Und sie, die Zazas, waren scheinbar die einzigen gewesen, die das von Anfang an gewusst hatten. Sie, die Beobachter.

Doch jetzt war die Zeit vorerst vorbei, wo die Zazas nur schweigen und zusehen würden. Sie wollten den Menschen auf jedem Fall Hilfe leisten, denn die waren etwas Besonderes, wie sie es festgestellt hatten, sie waren es wert. Aber, natürlich wollten sie auch sich selbst vor der drohenden Gefahr, die sich im All den Weg zu ihnen bahnte, retten. Die Schlange nahm ihre Hand wieder weg und nun verstand Sy'la, warum sie so lange so unentdeckt bleiben wollten. Es war einfach eine Pflicht ihrer Religion gegenüber oder wie man das auch immer nennen wollte. Nur Mur'ru verstand nicht, warum ausgerechnet Sy'la dazu auserwählt wurde, die Geschichte der Fremden zu verstehen. Die Taelon war für Sy'la fühlbar enttäuscht.

Sy'la machte sich darüber keine Sorgen, viel mehr war es ihr mit einem Male wieder wichtig, Andre heil und gesund wieder zu sehen. Die Erstarrung war vorbei. Sie konnte das nicht fassen, es war doch Wochen her - oder nicht? - , seit das Unglück passiert war. Jetzt wo er hier war, war sie doch froh ihn zu sehen, obwohl der Wissenschaftler ihr am Anfang dieser wichtigen und unfreiwilligen Mission den letzten Nerv geraubt hatte.

 
* * *
 

Dr. Myinga war - frustriert, wütend, enttäuscht -, dass die anderen ihn quasi aus ihren Unternehmungen ausschlossen. Sy'la und Mia waren einfach wieder verschwunden und steckten die meiste Zeit mit den Taelons, den Rai und den Schlangen zusammen. Er musste hingegen mit Haggis zusammenleben, die wirklich bissige Sprüche draufhatte, weil sie mit sich selbst nicht klar kam. Sie war bald nach der Behandlung Ko'lans aufgewacht und hatte mitgeholfen, das Grab für den Chinesen zu schaufeln, der das Koma nicht überlebt hatte. Mr. Peter J. Combe, ein kanadischer Nobelpreisträger in den besten Jahren, ehedem ein Spezialist für die Weiterentwicklung der Taelon-Technologie, hatte ebenfalls das Koma dank Ko'lan überstanden. Er war noch recht schwach und wacklig auf den Beinen. Er hatte wie die anderen keine Ahnung, wie er von der Erde verschleppt worden war, und trauerte voll Bitterkeit um seine Familie, die wohl in den vielen Jahren seitdem längst eines natürlichen Todes gestorben sein musste. Für ihn aber war es wohl wie erst gestern.

Ko'lan war es auch, der ihnen drei mitgeteilt hatte, dass sie alle mit Hilfe der Zazas von diesem zum Sterben verurteilten Planeten fliehen müssten. Es war entsetzlich: alles Leben würde von der VOKS ausgelöscht werden, auch alle Rai, bis auf den Stamm um Ko'lan, denn es war unmöglich, alles Leben vom Planeten zu evakuieren.

 
* * *
 

Die Taelons hatten den Rai die Standardausrede für alle in der Raumfahrt zu evakuierenden Völker geliefert: Die Himmel würden sich öffnen und das zum Überleben auserwählte Volk würde durch ein Schiff gerettet werden, während die Götter alles andere Leben und alle
anderen Stämme auslöschen würden, weil sie erzürnt worden waren. Warum ? - Ja, wie sollte man das einem rückständigen Volk klarmachen; dass man mit der VOKS nicht verhandeln konnte, und dass man nicht alle zu retten in der Lage war?

Ko'lan befahl dem Stamm, Pflanzen und Tiere mitzunehmen als Nahrungsgrundlage für die kommende Welt „des Friedens und Wohlstands”, und wusste ihnen kaum Trost zu spenden. Die Rai klagten und weinten und konnten es nicht fassen, aber nun waren sie dabei, Bäume, Pflanzen und Saatgut in die Container der Zazas zu überführen. Andre, Mia und Sy'la halfen dabei, so gut es ging, und versuchten auch einige Tiere des Planeten zusammenzutreiben und zu betäuben, um sie mitzunehmen. Und das mit einem scheußlichen Gefühl: denn möglicherweise blühte der Erde dasselbe Schicksal.

 
* * *
 

„Mein liebster Freund, was denkst du? Sollten wir denn nicht versuchen, das Schiff der Zazas unter unsere Gewalt zu bringen?” Mur'ru war dabei, sich einen Weg zu überlegen, wie man mit Hilfe der Energieerzeugung der Zazas das Jaridianschiff wieder flottbekommen könnte. Es war zwar langsamer als das der Zazas, aber so wie Mur'ru die Lage einschätzte, würden die sie früher oder später irgendwo absetzen, und dann standen die Taelons ohne Schiff da. Das war für sie indiskutabel.

„Das solltest du nicht mal denken”, mahnte Ka'sar. „Das sind exzellente Telepathen, nicht so ein unterentwickeltes Volk. Ich bezweifle, ob wir unsere Gedanken vor ihnen so perfekt abschirmen könnten.” Er beobachtete die Anzeigen, die plötzlich alarmierende Werte zeigten.

„Mur'ru!” rief Ka'sar. „Vier Scoutschiffe, Kurs Rais! Und sie werden von fremden Schiffen verfolgt!” Mur'ru eilte zu ihrem Gefährten, gerade als die ersten jaridianischen Scoutschiffe auf der Holo-Anzeige explodierten. Die Fremden hatten die Scouts hinweggefegt als wären sie Insekten.

„Dieselben Schiffe wie die, die mit den Erscheinungen der VOKS auftreten.” Mur'ru betrachtete voller Sorge die schwarzen Schiffe. Menschen hätten gesagt, sie ähnelten mit den herausragenden Gebilden von der Form her irgendwie „Zecken”. Die suchenden Scouts hatten die Fremden auf den Planeten offenbar aufmerksam gemacht. Außer Rohstoffe hatte der Planet für sie nichts Interessantes vorzuweisen gehabt, aber nun...

„Wir müssen sofort unsere Energiekammer auf das Zaza-Schiff bringen und von hier verschwinden, denn sie werden binnen kurzer Zeit hier sein!” Mur'ru informierte mit einem scharfen Gedankenimpuls Ko'lan. Sie und Ka'sar machten sich gleich daran, die Kammer, die auf einer kleinen Plattform in der Ladeluke des Schiffs war, hinauszubefördern und mit ihr in Richtung des Rai-Dorfes zu laufen.

 
* * *
 

„Schnell, beeilt euch, beeilt euch doch!” Sy'la versuchte, die letzten der Rai, Tiere, Menschen und Taelons durch die Öffnung des Bodens in das Schiff hinunter zu bekommen. Die Rai wollten nicht weg und waren ganz verzweifelt. Einige vermissten Angehörige oder geliebte Haustiere, oder wollten noch Dinge aus ihren Wohnungen holen. Der Doktor, Haggis und Mr. Combe waren ebenfalls bereits eingetroffen und ins Schiffinnere entschwunden. Ko'lan und Andre hatten die Energiekammer von der Felswand geborgen und waren bereits nach unten unterwegs, genau so wie die anderen zwei Taelons mit ihrer Fracht.

Die Hybridin sah nach oben: Schwarze insektoide Schatten, Boten des Todes. Die fremden Schiffe umflogen den Planeten, auf der Suche. Das Schiff, mit dem das Taelon-Pärchen eingetroffen war - ein Schuss. Selbst die Tierherden waren mittlerweile von Panik ergriffen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Schiffbrüchigen von den Fremden entdeckt werden würden. Sie sahen die Schiffe willkürlich da und dorthin feuern. Lange Sperre aus tödlichem grünem Licht trafen die Planentenoberfläche, Vernichtung bringend.

„Es ist Zeit, wir müssen jetzt weg”, teilte ihr die Anführerin der Zazas, „Weißes Schaf”, telepathisch mit. Sy'la konnte die Worte mittlerweile direkt fühlen. Die schwarzen Schiffe flogen schon über der Lichtung. Sy'la kauerte sich hinter einigen Bäumen hin, scheuchte dann noch die letzten Rai ins Innere. Jedenfalls hoffte sie, es waren die letzten des Stammes, und eilte hinter ihnen ins Erdinnere - und plötzlich waren sie in einem für sie reservierten Bereich in der kristallenen Stadt. Außerhalb, auf der Erdoberfläche, schloss sich die Erde, als hätte es nie eine Öffnung gegeben. Das Schiff, einem kristallinen Ball gleich, teleportierte sich vorerst in die kurze Entfernung von einigen hundert Lichtjahren, um über Sonden die kommenden Ereignisse um Rais zu beobachten und Messungen anzustellen. Auf Rais selbst hockte zur selben Zeit da, wo noch vor kurzem die Öffnung ins Schiff gewesen war, ein verzweifelter Rai-Krieger, in den Armen sein geflügeltes Kind, das er noch außerhalb des Bereichs gesucht hatte. Er war zu spät gekommen.

 
* * *
 

(Auf dem Schiff der Zazas:)
Es war knapp gewesen, nein, mehr als knapp. Nur eine Sekunde später und sie wären von den Zecken entdeckt worden und würden jetzt vielleicht nicht mehr leben. Mia war sichtlich froh, sich wieder in Sicherheit zu wähnen und einmal zu entspannen, auch wenn ihr das jetzt nicht so recht gelingen wollte. Obwohl sie viele Lichtjahre von den Geschehnissen, die sich jetzt auf Rais abspielen mussten, entfernt waren, und obwohl Mia das eigentlich alles so schnell wie möglich vergessen wollte, hatte sie zu jedem Zeitpunkt das schreckliche Gefühl, etwas vergessen zu haben.

Mehrerer Male hatte sie ihr Hab und Gut gründlich durchsucht, um sicher zu gehen, dass auch alles da war, und jedes Mal konnte sie nichts feststellen, das fehlen könnte.

Inzwischen verdrängte sie das Gefühl und konzentrierte sich auf wichtigere Sachen, wie die Rai zu versorgen und zu beruhigen, immerhin hatten sie soeben ihre Heimatwelt verloren.

„Hey!” Mia entdeckte Sy'la am Ende eines Ganges, sie war gerade damit beschäftigt, irgendwas mit einem Gerät zu machen... Mia kannte sich ja in solchen Sachen nicht so aus. „Du siehst ja grauenhaft aus Sy'la!”

„Danke für das Kompliment Mia, ebenfalls.” Mit gespielter schlechter Laune ließ sich Sy'la schließlich auf den Boden nieder, um eine Pause einzulegen.

Ein Seufzer. Ein Zweiter. Stille.

„Was machst du da?”

„Ach nichts, ich kontrolliere nur ein paar Angaben, die das Schiff - oder die Stadt - wie auch immer, uns übermittelt hat. Eine der Zazas, hat mich darum gebeten.”

Stille.

„Wieso bist du dir so sicher dass es eine weibliche Zaza war? Ich sehe bei denen keine Unterschiede zwischen maskulin und feminin.” Mia hasste es, wenn sich zwei Lebewesen gegenüber saßen und nichts sagten. Dagegen sträubte sich alles in ihr, was man ihr an diplomatischer Höflichkeit beigebracht hatte.

„Keine Ahnung, es ist einfach so ein Gefühl.”

„Ein Gefühl? Beim Anblick von Schlangen? Etwa ein fehlendes romantisches Gefühl? Ein irritierendes erotisches Gefühl? Ich denke, - ich verstehe. Also - ich fühle nichts! Ich könnte sie stundenlang ansehen.”

Beide brachen in lautes Gelächter aus und kamen erst einige Minuten später wieder zur Ruhe. Lange Zeit hatten die beiden nicht mehr gelacht, sowieso gab es in letzter Zeit viel zu wenig zum Lachen. Natürlich lag das hauptsächlich daran, dass die Situation, in der sie sich befunden hatten, ganz sicher nicht komisch gewesen war, aber es tat trotzdem gut, wieder einmal dem „Bauch” etwas Arbeit zu überlassen, statt sich ständig vor der Zukunft zu fürchten.

„Naja, Mia, ich werd dann mal weiterarbeiten.”

„Und ich will dich nicht dabei stören.” Mit einem Kichern verschwand Mia um die Ecke. Es dauerte nicht lange, und bei ihr kehrte das Gefühl, etwas vergessen zu haben, zurück. Ein weiteres Mal durchsuchte sie ihre Sachen, doch wieder fand sich nichts, dass sie hätte vermissen sollen. Mia beschloss, es ab nun einfach zu missachten.

Doch irgendwo in dem Raumschiff suchte eine kleine Mutter verzweifelt nach ihrem Kind...

 
* * *
 

Kein Wunder, das Mia meinte, Sy'la sähe grauenhaft aus. Die Hybridin hatte letzte Nacht nicht viel geschlafen. Sie hatte einen schrecklichen Alptraum, der sie innerlich erschüttert hatte:

Sie war in einer halbdunklen Höhle der Rai, es war still. Fast zu still. Sie kniete sich auf und ging mit leisen Schritten nach draußen. Sie sah in die Ferne; riesige lautlose Schatten kamen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf den Planeten zu. Es wurden immer mehr. Plötzlich verbanden sich die kleinen Zeckenschiffe zu einem riesigen und furchtaussehenden schwarzen Schiffsgiganten. Dann wurde die tödliche Ruhe mit einem Male gebrochen.

An einer Öffnung des Giganten trat ein grünlicher Energiestrahl aus. Es drang bis tief in den Planeten ein und zerstörte alles, was lebte. Hunderttausende winzige Stimmen schrieen auf, um sich dann für immer in die Ewigkeit zu verlieren. Die Rai und Ihre Heimatwelt waren Geschichte.

Sie wusste noch alles über diesen Traum, als sie heute Morgen vor Schreck aufgewacht war. Hätte sie doch Mia davon gleich berichtet! Manchmal wünschte sie sich ihre taelonischen Gene loszuwerden, dann würden wenigstens diese seltsamen Gefühle und Träume einfach aus ihrem Inneren verschwinden. Aber vielleicht verschwand damit auch ihr Bewusstsein. Kopfschüttelnd legte sie das Messgerät aus der Hand auf den Boden.

„Was soll's, das mache ich später,” dachte sich die Hybridin laut. Jetzt wollte sie einfach nur Ruhe.

 

Ende von Kapitel 4

 

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