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  „Höllenengel” von Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   April 2004
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Das Team der Roleta begibt sich unter Lebensgefahr auf die Erde unter der H.A.P. und von dort in der Vergangenheit, um die Zukunft zu korrigieren.
Zeitpunkt:  das Jahr 2345 und das Jahr 2013.
Charaktere:  Die FBI-Agenten Jack Pearson, Mickey Rolley, der Barman Tommy Douglas, Sy'la, Ha'ron; Zo'or, Alex J. „Augur” Chevelleau, Andrea Anderson, Norbert Becheau; das Kind Lukas, Rj'lev und Ji-Won Park; Ha'gel, Liam Kincaid; Renée Palmer und ein verstorbener alter Bekannter.
 
Warnung: Diese Geschichte beinhaltet Gewaltszenen.
 

 

HÖLLENENGEL

Kapitel 6

 

(Erde, im Jahre 2013:)
„Diesem Mann wurde alle Lebensenergie entzogen”, sagte Pearson, der früher am Tatort eingetroffen war. Er hockte über einem der Opfer gebeugt. „Ich schwöre dir, es ist wahr: Vampire sind unter uns, Mickey!”

„Du bist ein richtiges Schaf, Jack”, antwortete FBI-Agent Rolley. „Irgend jemand hat diese Männer mit einem Gerät bearbeitet, das ist alles. Irgend etwas Neues. Komm mir nicht mit dem Knoblauch-Kreuz-Zeug, Mann!”

„Und voriges Mal in Chikago, das Ehepaar? Hast du die Meldungen allein von letzter Woche angesehen? All diese Todesfälle? Alle waren so wie dieser Fall.”

„Eine neue Waffe vielleicht. Jemand probiert sie aus oder lässt sie ausprobieren, an Zivilisten. Denk nur, was allein die Taelons in den letzten Jahren an Sachen angeschleppt haben. Mich wundert gar nichts mehr.”

„Die Zeugen in Baltimore unlängst haben einen merkwürdigen Mann in einem dunklen futuristischen Aufzug gesehen. Die Mädels in der Bar waren alle verrückt nach ihm. Ein heißer Typ. Strähnige längere Haare, und wilde heiße Augen”, berichtete Pearson. „Aber als es zum Zeichnen eines Phantombildes kam, konnte sich plötzlich keiner der überlebenden Gäste an das genaue Aussehen erinnern. Als wäre die exakte Erinnerung hypnotisch gelöscht worden. Die paar Überlebenden entkamen rechtzeitig durch die Tür, gerade als das Massaker begann.”

Der Mann stand auf, begab sich zu einer andern Leiche und beugte sich über sie, schob das blutige Hemd beiseite. Auf der Brust hatte das rothaarige Mädchen kleine Wunden wie von kleinen spitzen brennenden Stiletten.

„Zeugen sind bisher eine seltene Sache”, überlegte Rolley. - Die Leichen am Boden sahen nicht nur aus, wie mit Dolchen bearbeitet, sondern ihre Haut war trocken und faltig wie bei alten Menschen. Als wären sie bar jeden Lebens, völlig entkräftet und gealtert, zum Sterben in die Bar gekommen. - „In den anderen berichteten Fällen hat kaum einer überlebt. Die Zeugen waren ebenfalls nicht recht fähig, die Täter zu beschreiben. Aber drei Leute sagten aus, dass die Täter einige Menschen aus ihrer Mitte gekidnappt haben. Interessanterweise scheinen die Entführten aber später wieder aufgetaucht zu sein.”

„Ich hab es im Bericht gelesen”, sagte Agent Pearson. Er erhob sich und sah seinen Kollegen an. „Es hat offiziell nie eine Entführung gegeben. Gerade so, als ob die Zeugen phantasiert hätten. Ich gebe aber zu bedenken, dass diese Personen tatsächlich einige Stunden spurlos verschwunden waren. Alles mehr oder weniger prominente Leute. Agent McCarnigan hat dazu die Partner, Freunde, Verwandte und Angestellte befragt. Keiner der angeblich Verschwundenen wollte oder konnte sagen, wo er inzwischen gewesen war.”

„Eine Verschwörung der Regierung?” Agent Rolley lachte und schüttelte ungläubig den Kopf. „Nein, nein, mein Bester!”

„Eine Verschwörung, ein militärischer Versuch, oder sonst etwas”, hakte Pearson nach. „Seltsam alle Mal.”

„Ja, aber in diesem Fall, Jack, haben wir einen Augenzeugen des Massakers. Jemand, der sich erinnern kann. Er hat sich vor einigen Minuten bei der Polizei vor der Bar eingefunden. Ich habe es gerade vorhin erfahren.”

Pearson hob ungläubig eine Augenbraue. Und das sagte der Kollege erst jetzt? Er folgte seinem Partner eilig hinaus in einen Nebenraum, wo ein bleicher muskulöser junger blonder Mann in einer Ecke auf einer Bank saß und zitterte. Als sie den Raum betraten, sah er sie mit weit aufgerissenen Augen ängstlich an. Sein Gesicht glänzte vor kaltem Schweiß.

„Der Mann hat doch einen Schock, Mickey”, meinte Pearson. „Er kann doch kaum klar denken, das siehst du doch!”

„Doch, Sir!” protestierte der Blonde und wollte aufstehen, setzte sich aber mit weichen Knien sofort wieder. „Ich weiß noch, wie er aussah. Er war vorher noch nie da. Er trug so eine merkwürdige dunkle Kombination, wie ein Artist oder so. Er warf sich an einige der Mädels in der Bar heran. Das Lokal war voll. Plötzlich hob er die Hände, und weißglühende Krallen wuchsen aus seinen Fingerspitzen, sahen aus wie glühende Dolche. Und jeder, den er damit in die Brust stach, starb. Gerade so, als ob sie innerlich verbrennen würden. Es war einfach schrecklich. Der Fremde war unheimlich schnell. Ich habe so etwas Unheimliches noch nie gesehen. Die Menschen versuchten sich zu wehren, doch er war zu stark und zu schnell. Jemand schoß, doch der Fremde wurde vermutlich nicht getroffen. Ich sah noch, wie er an die Decke sprang und die Decke entlang zum Ausgang kroch, um den Menschen die Flucht abzuschneiden. Als gäbe es für ihn keine Schwerkraft. Alle schrien. Und da war so ein unheimliches Flüstern und Hauchen in der Luft, das musste von diesem Fremden stammen. Als er dann vor dem Ausgang stand und auf die Menschen vor ihm mit seinen Klauen einstach, da warf ich mich herum und flüchtete aus dem Fenster des Spülraums hinter der Bar. - Sir, Sie müssen mir glauben, ich hätte den Menschen geholfen, wenn es möglich gewesen wäre, aber da war keine Möglichkeit. Ich konnte nur mich selbst retten. Ich hatte einfach furchtbare Angst. Ich rannte weg und rief dann die Polizei.”

„Du bist mir eine richtige Sissy”, erwiderte Rolley. „Mann, da kommt ein Zirkusartist in das Lokal und zieht eine Nummer ab, und keiner ist imstande, ihn aufzuhalten. Wofür bezahlt Carlo Tozzi euch Türsteher? Für's türmen, wenn es darauf ankommt? Du hattest sicher eine Waffe hinter der Theke. Du hast es nicht einmal versucht.”

Der Blonde starrte kurz verbittert in eine Ecke, um dann wieder zum FBI-Agenten zu sehen. „Der Fremde war zu schnell. Glauben Sie's oder lassen Sie es. Aber passt bloß auf, wenn ihr den Kerl je zu fassen bekommt. Das ist ein geborener Killer.”

„Du weißt noch, wie er aussah?” fragte Jack Pearson.

„Ja. In meinem Beruf merkt man sich Gesichter. Ich weiß nicht, wieso der Kollege ihn überhaupt hereingelassen hat. Ich wunderte mich, dass es den Leuten nicht auffiel. Die Mädels himmelten ihn an, als ob sie ihn gar nicht richtig sehen würden. Der sah - irgendwie - nicht ganz menschlich aus. Entstellt.”

„Entstellt?”

„Das Gesicht. Die Stirn. Sie war so geformt - na wie bei einem Taelon, die Augenhöhlen und die Stirn so merkwürdig eckig. Aber das war kein Taelon. Die Taelons sind doch jetzt alle weg, oder nicht? Der Typ hatte außerdem Haare. Lang, dunkel und zu struppigen Rasta-Locken gedreht.”

„Vielleicht ein menschliches Taelon-Versuchskaninchen. Oder etwas Gezüchtetes. Eine Mensch-Kreuzung?” Pearson sah seinen Kollegen Rolley fragend an. „Ein Replikant?”

„Am besten, du erzählst das einem unserer Zeichner. Der soll dir ein Bild auf dem PC mixen, das deinem Fremden ähnlich sieht. Dann sehen wir weiter.” Mickey Rolley schnappte seinen Kollegen Jack am Arm und ging mit ihm zum Eingang. Die Kriminalmedizin war noch immer dabei, die Spuren zu sichern und die Toten abzutransportieren. In jüngster Zeit kam sie mit der Arbeit nicht mehr nach.

„Mann, und ich dachte, nach der Ära der Taelons, der Freiwilligen, der Jaridians und der Mitläufer und dem Tod des FBI-Schandflecks namens Sandoval kämen wir endlich mal zum Verschnaufen. Das heißt, falls Sandoval wirklich tot ist. Der Kerl hat neun Leben, wie eine Katze. - Meine Freundin glaubt jedenfalls schon, ich hätte eine andere, weil ich mich nie blicken lasse!” beschwerte sich Rolley. „Stattdessen herrscht offenbar überall Anarchie.”

„Wir sind die letzten, die erfahren, was los ist! Die ANA [1] überwacht doch alles und jeden. Ich verstehe nicht, wieso die ANA darüber nichts weiß. Sollte es verkorkste Taelon-Kreuzungen geben, müsste die es doch wissen.”

„Außer, die ANA oder die Regierung hätte selbst die Finger im Spiel. Denk an die Prominenten, die angeblich verschwunden und wieder aufgetaucht sind. Ich sage dir: die Sache stinkt! Nicht mal unser Chef will etwas von den Toten wissen. Für ihn sind es nur simple Ermordungen oder Amok-Ausraster.”

„Die Theorie von Vampiren aus einer anderen Dimension gefällt mir eigentlich besser”, sagte Pearson grinsend. „Gegen die hätten wir immerhin eine Chance. Gegen Machenschaften von Militär und Regierung haben wir keine. Also - was ist? Wenn Blondie uns das Bild gegeben hat, lassen wir eine Fahndung laufen?”

„Klar doch”, antwortete Rolley. „Ob es dem Chef gefällt oder nicht. Wir erwischen diesen Killer.”

 
* * *
 

„Blondie”, wie die FBI-Agenten den Mitarbeiter der Tanzbar respektlos bezeichneten, hieß in Wahrheit Tommy Douglas und arbeitete für Tozzi mal als Barman, mal als Türsteher, eben was so anfiel. Eigentlich war er ein Bodybuilder, der davon träumte, einmal zum Film zu kommen wie ein Dolph Lundgren, ein Arnie Schwarzenegger oder ein Hogan und wie sie in den alten Filmen hießen. Leider bevorzugten die Filmemacher des 21. Jahrhunderts für ihre Filme immer mehr real wirkende Computeranimationen statt echte Schauspieler. Ein Ärgernis für jeden kreativen Künstler.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt, in diese Mordsache hineingezogen zu werden. Die Erinnerung daran verursachte ihm noch immer Gänsehaut. Man sah es ihm nicht an, aber unter seinen Muskeln war Tommy ein echtes Sensibelchen. Er hatte heute keine Lust, im Studio ein paar Stunden lang seine Muskeln zu trainieren. Heute morgen wollte er lieber nach Hause. Mit der alten Tram fuhr er die Straße aufwärts. San Francisco ließ sie aus touristischen Gründen immer noch fahren. Das letzte Stück hinauf ging er zu Fuß. Bevor er abbog, sah er die hügelige steile Straße mit den alten Häuserzeilen hinab. Von hier oben sah man da unten hinter der Stadt die rötliche Golden Gate Bridge durch den Morgendunst schimmern. Und das Meer.

Seine Wohnung hier befand sich in einem neuen Wohnviertel. Er hielt an einem Geschäft, kaufte sich noch etwas zu essen, Obst, Gemüse, Milch und ein Steak, und für Caesar etwas Schinken. Caesar war seine beige Langhaarkatze. Für Flora, seine Schwester, nahm er Shampoo und ihre Lieblingspizza mit. Sie war jünger als er und arbeitete tagsüber in einem Büro. So hatte er die ganze Wohnung für sich. Eltern hatten die beiden keine mehr, sie waren Taelon-kritisch gewesen, eines Tages plötzlich verschwunden und nie mehr wiedergekommen. Tommy zog die Schuhe aus, gab die Lebensmittel in den Kühlschrank und setzte sich stöhnend in den breiten Fernsehsessel. Caesar sprang zu ihm auf die Armlehne und ließ sich genüßlich kraulen.

Entspannen konnte er sich nicht. Immer wieder sah er die blutigen Bilder vor sich. Gegen Mittag ging er doch in sein Zimmer, um sich hinzulegen. Mehr zufällig sah er aus dem Fenster hinüber zum kleinen Hotel gegenüber. Und war plötzlich wie elektrisiert.

Da stand so eine Bestie.

 
* * *
 

(Irgendwo im Weltraum, im Jahr 2334:)
Seine Aufträge waren vorbei. Er war zurück. Wenn es möglich gewesen wäre, so wäre ihm nun schlecht geworden. Aber er war wieder Teil des Mensch-Taelon-Jaridian-Kimera-Kollektivs. Nur noch ein Bewusstsein. Und er verstand. Jedes Versagen seinerseits - eine Katastrophe.

‚Warum?’ hauchte er und erhielt vom Energiefunken Ha'gel sofort die Antwort.
‚Du hast es dir gewünscht. Trotz meiner Bedenken hast du es dir gewünscht. Du musst verstehen, dass du als Teil des Kollektivs Verantwortung trägst. Geäußerte Wünsche werden verwirklicht. Sie manifestieren sich. Das hier ist eine höhere Ebene. Du bist noch so - materiell. Du hast nicht verstanden.’

‚Du hättest es mir sagen müssen’, sagte der Energiefunken, der früher Liam war.

‚Du hättest es wissen müssen. Mit Schicksalen darf man nicht spielen. Du hast sie vor dem tödlichen Unfall gerettet, aber ihre Zeit war um. Damit hast du dem Mann namens Piet A. Camdsten, der ebenfalls durch den Unfall hätte sterben sollen, das Leben gerettet. Und die Menschen des 24. Jahrhunderts dadurch verdammt. ALLES was geschieht, hat zwei Seiten. Eine positive und eine negative.’

‚Dann wäre es gut gewesen, wenn Renée gestorben wäre? Wie kann der Tod gut sein?’

‚Wir sind nicht auf der materiellen Ebene, und doch sind wir nicht entschwunden. Dass, was Menschen den Tod nennen, ist nur eine notwendige Illusion. Genauso wie das materielle Leben.’

‚Dann wünsche ich...’

‚Nein’, flüsterte das Sein namens Ha'gel. ‚Die Frau hat auf der materiellen Ebene die spätere Geschichte der Prä-Taelons beeinflusst. So geht es nicht. Es wäre das Ende aller Illusionen. Zu früh.’

‚Dann muss ich...’

‚Es wird Zeit, die Bewusstseine zurückzurufen’, klang es aus dem Kollektiv. ‚Es wird Zeit, aus diesem Konglomerat eine Einheit zu machen. Den Mann namens Liam gibt es nicht mehr. Es gibt wichtigere Aufgaben.’

‚Doch zuvor wünsche ich...’, beendete Liam gedanklich seinen Satz. Er fühlte die Kraft der Zustimmung aus dem Teil derer der Taelons.

 
* * *
 

(Erde, im Jahre 2013:)
Tommy öffnete sein Global und rief das lokale FBI, um mit Agent Rolley verbunden zu werden. Der sah nicht gerade begeistert aus. „Blondie! Meine Schicht ist vorbei!” sagte er mißmutig. „Und ich bin beim Essen. Was willst du denn?”

„Mein Name ist Douglas. D-O-U-G-L-A-S. Nicht Blondie!” protestierte der Bodybuilder. „Und gegenüber meiner Wohnung steht so einer wie der, der das Massaker verübt hat.”

„Du hast ausgesagt, es war nur einer.”
„Der sieht genauso aus.”
„Wie denn? Beschreibe mal.”
„Kurze brünette Haare, männlich, schlank, etwa 1,75 m groß. Beige Jacke, Jeans, rotes T-Shirt unter der Jacke. Weiße Sportschuhe.”
„Entstelltes Gesicht?”
„Nein.”
„Willst du mich verarschen? Ich zitiere deine Worte: ‚Der Typ sah aus wie ein Artist im dunklen Kostüm, mit entstelltem Gesicht und dunkle lange Rasta-Locken. Inwiefern sieht der wie unser Mörder aus?”
„Weiß nicht. Hab nur so ein Gefühl.”

„Gefühl???” Der FBI-Agent war nun richtig ungehalten. Aber er wollte dem Türsteher noch eine Chance geben. „Was macht denn der Verdächtige vor deinem Haus?”
„Er spricht mit einer großen dunkelhaarigen Frau auf der Straße. Und jetzt gehen sie zusammen zum Eingang des Hotels.”
„Hat sie Angst?”
„Sieht nicht so aus. Willst du sehen?” Tommy hielt das Global kurz so, dass der Agent das Haus gegenüber sehen konnte. Das Pärchen ging soeben in das Hotel hinein.
Der Agent wusste es allerdings nicht zu schätzen. „Ich fasse es nicht, Mann! Und dafür störst du mich beim Essen!! Du hast Paranoia, Kleiner.”
„Und was soll ich jetzt tun? Soll ich sie beobachten?”
„Tu was du willst. Oder nein: lass sie in Ruhe und geh zum Psychiater!” Der FBI-Agent schaltete einfach ab.

So genau konnte Tommy nicht sagen, was ihn störte. Er hatte nur wieder so ein seltsames Gefühl. Er hatte es mit der Zeit gelernt, auf seine Intuition besser zu hören. Sein Gefühl sagte ihm, dass mit den beiden etwas nicht stimmte. Also streifte er sich eine Jacke über und ging rüber zum Hotel. In der kleinen Halle stand die blondgemäschte Rezeptionistin und notierte gerade etwas in ein Buch.

Sie wollte ihm aber auf seine Frage absolut nicht sagen, was das eben für ein Pärchen war, sondern knurrte nur: „Datenschutz” - Was tun? Er sah hinüber zum angeschlossenen Restaurant. Tatsächlich, da saßen sie. Aßen offenbar gebratenen Fisch mit Salat und tranken Eistee. Eigentlich ganz normal, beim ersten Hinsehen. Das Gesicht des Mannes wirkte unauffällig, außer dass er eine sehr hohe Stirn hatte. Aber keineswegs ungewöhnlich. Warum schien es vor seinen Augen zu verschwimmen? Warum sahen die verschwimmenden Augenhöhlen dreieckig, mit Spitze nach oben, aus? Warum erschienen auf seiner Stirn die Zeichen eines Taelon? - Und dann war das Gesicht wieder glatt.

Der Fremde schien seine Blicke zu spüren und sah kurz zu ihm herüber. Tommy überlegte sich bereits, ob es sich nicht an einen Tisch setzen sollte, um nicht aufzufallen. Das Paar zahlte jedoch nun beunruhigt und ging, offenbar auf ihr Zimmer. Tommy beschloss, dem Paar irgendwie zu folgen. Auch wenn die uneingestandene Angst seinen Magen zusammenkrampfte. Es traf sich gut, dass die Rezeptionistin für einen Moment den Empfang verließ. Das Paar nahm den Lift. Tommy lief die Treppe mit dem weichen roten Teppich hinauf. Im vierten Stock hörte er den Lift stoppen. Etwas außer Atem konnte er gerade noch sehen, wie die Zimmertür Nr. 46 zufiel. Er trat näher, um zu lauschen, als ihn jemand blitzschnell von hinten packte und mit großer Kraft gegen die Wand presste.

 
* * *
 

„Sy'la, wir werden beobachtet”, sagte Ha'ron mitten beim Essen. „Sieh nicht zurück. Hinten beim Eingang sitzt einer, der starrt uns die ganze Zeit an. Mir ist so, als sähe er durch mich hindurch! - Sitzt meine Hautmaske richtig?”

„Mach dir keine Sorgen, Ha'ron!” sagte die Hybridin. „Keiner sieht dir den Neo-Taelon an. Wie sieht denn dieser Mann aus?”

Der junge Mann beschrieb ihn. „Könnte wer weiß was sein. Wir haben doch nirgendwo Spuren hinterlassen. Warum starrt er nur so?”

„Vielleicht sollten wir uns einfach zu ihm setzen und ihn fragen?” Sy'la nahm es lässig. Seit fünf Wochen waren sie hier auf der Erde und niemand hatte sie behelligt. Man war bis jetzt erfolgreich den Behörden und allen Gefahren ausgewichen. Da wird man leichtsinnig. Die drei Zweier-Teams hatten viele Informationen gesammelt, aber bislang nirgendwo eine Spur der Dunkelmächte gefunden. Dafür hatte man überall an den von der Roleta vorgeschlagenen Punkten der Welt die Bomben mit den Zeitzündern plazieren können. Es waren Punkte, die auch nach dem Tzek-Krieg noch existieren würden und von strategischer Bedeutung waren. Nicht aufspürbare Zefir-Mini-Bomben, die sich wie eine Schraube einige hundert Meter tief einbohrten, um dort zu warten. Von da würden sie, zurück in der Zukunft, bei einem Signal sich wieder in die Höhe zurückschrauben und explodieren.

Man aß einfach fertig, zahlte und stand auf. Das feine nichtmenschliche Gehör und die wahrgenommenen Vibrationen verrieten den beiden, dass hinter ihnen jemand heranschlich. Vermutlich lief er gerade die Treppe herauf, die um den Lift angelegt waren.

„Geh du!” sagte Ha'ron. „Ich bleibe im Lift und erwische ihn von hinten.”

Sy'la eilte sich, ins Zimmer zu kommen, und als der Mann vor dem Zimmer anhielt, erwischte ihn Ha'ron von hinten und hielt ihn mit einem Jaridian-Griff fest. Taelons sahen nicht so aus, aber sie waren viel kräftiger als Menschen. Als der muskulöse junge Mann losschreien wollte, betäubte ihn Ha'ron mit einem Energiestoß seines Shakaravahs. Bis auf einen kleinen Brandfleck an der Schläfe würde er keinen Schaden davontragen.

Die Hybridin und der Neo-Taelon zogen den Bewusstlosen dann ins Zimmer, und Sy'la suchte und fand seine ID-Card. „Tommy Douglas, Bodybuilder”, las sie vor. „Was will denn der von uns? Ob das seine wirkliche Identität ist?”

„Grpff”, fauchte Ha'ron unwillig, zerbrach dessen Global und antwortete auf Eunoia: „Wir werden ihn fragen. Die Frage ist nur, was wir mit ihm danach tun sollen?”

Der Mann wachte nach einigen Minuten auf und fand sich mit zwei Lähmungsbändern an Armen und Beinen gefesselt am Boden, gegen eine Wand gelehnt. Er starrte sie entsetzt von unten an, um dann zu sagen: „Bitte bringt mich nicht um!”

„Warum schleichst du uns nach!” fuhr ihn Sy'la an, „Was willst du denn von uns?!”

„Ihr seid so wie ... ein Mörder, den ich gesehen habe. Eine Art Vampir. Und eine Art Taelon.”

„Er meint Atavus”, stellte Ha'ron fest. „Wir sind keine Atavus. - Wie kommst du überhaupt auf die Idee? - Und ‚Taelons’. Sehen wir aus wie Taelons?”

„Deine Stirn”, stotterte Tommy. „Man kann es nicht sehen, aber ich sehe es doch. Und die Frau da, die ist auch anders.”

„Ein Hellsichtiger. Der hat mir gerade noch gefehlt”, sagte Sy'la und setzte sich aufs Bett.

„Wir sind keine Mörder. Wir haben nur taelonische Gene mitgemischt bekommen”, erklärte und verschleierte Ha'ron gleichermaßen. „Wir können nichts dafür. Das war ein Experiment. Seitdem die Taelons weg sind, müssen wir Angst haben, erwischt zu werden. Wir haben davor Angst, dass die Menschen uns etwas antun könnten dafür, was wir sind. Sie hassen die Taelons.”

„Und wer war dieser Mörder? Dieser - Atavus?”
„Glaube mir”, sagte Sy'la, „die Behörden wissen ganz genau, wer oder was die sind. Lass die Regierung ihren Job tun. Atavus, das ist eine außerirdische andere Rasse, die auf der Erde aufgetaucht ist. Mit den Taelons verwandt, wie die Jaridians. Aber sehr böse.”

Ha'ron half dem Mann, sich auf eines der Stühle zu setzen. „Was machen wir jetzt mir dir?” fragte er sich laut.

„Ihr solltet mich freilassen”, sagte Tommy. „Ich werde nichts über euch sagen, oder das ihr mich hier gefesselt habt, aber ihr müsst das, was ihr über die Atavus wisst, endlich der Polizei sagen. Gebt mich frei. Wenn ich nicht heimkomme, werde ich vermisst und gesucht.”

„Wie lange beobachtest du uns schon?” fragte Sy'la misstraurisch. „Und hast du jemanden von uns erzählt?”

„Ich habe euch doch erst im Restaurant gesehen”, log Tommy. „Ihr wisst, dass ich gar nicht dazugekommen bin, dann jemanden etwas zu sagen. Ich musste euch folgen, um festzustellen, was mit euch ist.”

„Hmm”, sagte Sy'la. Und fragte Ha'ron auf taelonisch: „Sollten wir ihm vertrauen? Er sieht harmlos aus.”

Sie unterhielten sich weiterhin auf taelonisch. Zo'or - und das hatte einiges für sich - hatte ausdrücklich vor einer Enttarnung gewarnt und geraten, in diesem Fall den Betreffenden zu exekutieren. Sie konnten sich einfach nicht erlauben, in Schwierigkeiten zu geraten und enttarnt zu werden, wenn sie die Erde von der H.A.P. befreien wollten. Die Behörden im Jahre 2013 würden sicher kein Verständnis für die Bomben haben, die sie versteckt hatten. Sie würden sie alle für Terroristen halten oder Ärgeres.
Aber sie hatten noch nie gemordet - im Gegensatz zu Zo'or. Wie sollten sie einen harmlos wirkenden Unbewaffneten einfach töten?

„Alles, was wir wollen, ist in Frieden leben”, sagte Sy'la. „Auch wenn wir durch die Versuche der Taelons etwas anders sind, so sind wir doch auch Menschen und wollen nur unsere Ruhe. Wir wollen rauf nach Kanada und uns einen Job suchen. Versprich uns hoch und heilig, uns in Ruhe zu lassen und den Mund zu halten, und wir lassen dich laufen.”

„Wenn es weiter nichts ist”, sagte Tommy erleichtert. „Ich wollte nur wissen, ob ihr etwas mit diesen Vampiren zu tun habt. Aber das ist nicht der Fall.”

Ha'ron nahm ihm die Fesselbänder ab, und Tommy verabschiedete sich leutselig in aller Freundschaft, nach einer Dose Bier. Er erkundigte sich nach ihren Plänen in Kanada, ging dann scheinbar friedlich aus dem Zimmer und verließ das Hotel.

„Wir sollten unverzüglich packen und verschwinden!” sagte Ha'ron, kaum dass er gegangen war. In aller Eile warfen sie ihr Habe in die zwei gekauften großen Reisetaschen und sprühten biochemische DNS-Spurenvernichtungsmittel an alle Stellen, von denen sie glaubten, dass sie ihnen gefährlich werden könnten. Dann machten sie, dass sie aus dem Hotel kamen.

Ihre Eile war berechtigt. Kaum wieder in seiner Wohnung angekommen, rief Douglas mit einem zweiten Global erneut Agent Rolley an und berichtete ausführlich, was vorgefallen war. „Von Taelons gezüchtete Kreaturen. Sie sprachen in denselben Fauchlauten wie der Killer im Lokal; und sie haben etwas vor. Sie sind schwer bewaffnet”, erklärte er. Eigentlich hatte er das nicht ganz so festgestellt, sondern fühlte das eher. Aber diese Behauptung machte die Entscheidung für den Agenten leichter.

Und so kam die Sache ins Rollen.

 
* * *
 

Andrea Anderson und Norbert Becheau sahen sich im Center Pompidou die alten Meldungen der Agence France Presse an. Ihr Weg hatte sie nach Europa geführt. Die Interdimensionsportale waren nur noch zum Teil in Funktion. Da die Taelons nicht mehr zur Energieerhaltung und Wartung beitrugen, wurden die Energien für diese Art zu reisen langsam knapp. Wenn die Menschen die Energiefrage nicht endlich lösen würden können, würden sie wieder nach alter Methode reisen müssen: mit den langsamen Flugzeugen, Bahnen und Autos. Zum Glück waren die Bomben der Roleta für das 21. Jahrhundert ausreichend getarnt.

„Wenn wir wüssten, wonach wir eigentlich suchen!” schimpfte Andrea. „Heh, lass das!” sie streifte Norberts Hand von ihrer Schulter und warf das blonde Haar zurück. „Du weißt genau, ich steh nur auf Frauen.”

„Immer diese Verschwendung der Natur!” bedauerte Becheau. „Langsam werde ich mich nach einigen Bräuten umsehen müssen. Fünf Wochen Abstinenz, wer hält das schon aus.”

„Wie tust du mir doch leid”, spottete Andrea. „Du bist nicht der einzige, der Kontakte vermisst. Wir sind nicht auf Urlaub. Setz dich wieder hin und sieh dir die Meldungen von Oktober 2012 auf diesen antiquierten Personal-Computern fertig an. Immer soll ich deine Arbeit mitmachen!”

„Bla, bla, bla!” Missmutig setzte sich Norbert wieder auf den Stuhl. Er klickte einige Texte durch. „Einige Berichte über plötzliche Schizophrenie von Prominenten. Oder Besessenheit, wenn du willst. Vermutlich alles Atavus-Sklaven.”

Andrea stand auf und ging zu Norbert. „Mit diesem Datum? Da waren noch keine Atavus da. Merkwürdig.”

„Dann haben die Taelons das verbockt. Oder die Leute sind ganz normal verrückt geworden. Prominent hin oder her.”

„Tscht! Nicht so laut!” warnte Andrea, sich kurz im Leseraum umsehend. „Wir dürfen nicht auffallen! - Wir müssen allen Spuren nachgehen, auch wenn sie so vage sind. Wir sollten daher diesen schizo-Ex-Minister in Marseille mal aufsuchen,” schlug sie vor. „So alt wie der ist, fragt keiner mehr nach dem. Wir geben uns wieder als Reporter aus.”

Sie reisten somit nach Marseille und kundschafteten die Lage aus. Da Andrea im Widerstand gegen die Taelons gearbeitet hatte, hatte sie bereits Erfahrung darin, wie man vorzugehen hatte. Der französische Ex-Minister residierte in einer Villa etwas außerhalb der Hafenstadt. Der Plan der beiden sah vor, in die Villa einzusteigen, den erkrankten Mann zu beobachten und gegebenenfalls mittels einer Droge zu verhören.

Die beiden hockten in ihrer dunklen Kleidung schließlich, mit Anti-Gravitationsfeldern gesichert, auf einem breiteren Balkonsims im dritten Stock und beobachteten die Vorgänge im Raum hinter den Vorhängen mit einer Minikamera. Da - da war der verwirrte Patient. Im Schlafzimmer. Sah eigentlich relativ normal aus, für sein Alter, fand Norbert. Die Pflegerin brachte den Mann dazu, sich hinzulegen, und verließ schließlich den Raum.

„Verhören wir ihn und dann verschwinden wir. Ich glaube nicht, dass wir ausgerechnet hier eine Spur der Dunkelmächte finden werden. Das ist doch nur ein Kranker. Wir vergeuden doch wieder einmal nur Zeit”, hauchte Becheau in Richtung Anderson.

Aber halt - der Mann stand soeben wieder auf, drehte das Licht wieder an, nachdem er kurz gelauscht hatte, ob im Haus alles ruhig war, und stellte sich vor dem Spiegel. Hineinsehend, öffnete er plötzlich den Mund ganz weit. Andrea zoomte das Bild näher heran und wäre anschließend vor Überraschung vom Sims gefallen. „Verdammt”, fluchte sie. „Siehst du das?”

 
* * *
 

Der alte Mann hatte seinen Mund ganz weit geöffnet und etwas Schwarzes züngelte heraus, wie kleine Schlangen oder Tentakel. Die beiden sahen nur das Spiegelbild des Alten, aber das genügte. Es sah einfach schrecklich aus.

Der Alte drehte sich um und ging mit den züngelnden schwarzen Tentakeln in Mund in den Nebenraum zu seinem Schreibtisch und setzte sich. Und plötzlich, während der Besessene sich setzte, löste sich der Geist und trat als schwarzes verwischtes Schemen aus dem Mann heraus. Der Körper des Alten sackte bewusstlos zusammen.

Andrea hätte nicht zu sagen gewusst, wie dieser schwarze Schatten eigentlich aussah. Es war offensichtlich etwas fern ihrer Vorstellungskraft, etwas, dass weder ihre Sinne noch ihr Verstand fähig waren zu klassifizieren und zu erkennen. Sie hatte nur intuitiv das Gefühl, dass dieses Etwas von einem Wesen sehr gefährlich war. Das Wesen zögerte, und löste sich plötzlich auf.

„Andrea!” wagte Norbert schließlich zu sagen. „Das ist es! - Was immer dieses Ding ist, kannst du dir vorstellen, was das bedeutet? Solche wie diese schlüpfen in die Körper von Menschen und beherrschen sie. Die Prominenten müssen tun, was sie wollen.”

„Fast wie die Taelons es gekonnt haben, wenn sie es gewollt hätten, nur viel perfekter. Und weitaus perfekter als die Atavus mit ihrer Methode, die Menschen psychisch zu Sklaven zu machen.”

„Es könnten Tausende sein, oder wer weiß wie viele. Die Atavus verschwinden schließlich. Aber was passiert mit diesen Kreaturen? Wer weiß, wie lange die bereits auf der Erde sind?”

„Warum fallen diese Prominenten als schizophren auf?” spekulierte Andrea. „Ob bei diesen Menschen, wo die Besessenheit auffällt, die Übernahme nicht so geklappt hat?”

„Schnell, lass uns eine Blut- und Gewebeprobe von diesem Mann nehmen!” sagte Norbert. „Wir scannen ihn. Und dann verschwinden wir. Dieses Wesen kann jederzeit wieder zurückkommen.”

 
* * *
 

Zo'or hatte sich bereits vor Jahren die überlieferten Berichte zu ihrem scheinbaren Ableben im Shuttle über der Erde angesehen. Geradezu mit Entzücken hatte sie dann per TV die Originalausstrahlung derselben Berichte über die Ereignisse vor Wochen life miterlebt. Alex J. Chevelleau musste feststellen, dass die Taelon einen recht sarkastischen Humor hatte und fähig war, über sich selbst Späße zu machen. Ihre Kommentare zum Zeitgeschehen, zu den diversen Politikern und Medien und bekannten historische Persönlichkeiten waren geradezu hörenswert. Im Unterschied zu den Menschen im 21. Jahrhundert, fand „Augur”, konnte er über ihre bissigen Bemerkungen mitunter herzhaft lachen; das kam vermutlich daher, dass die heutige Zo'or niemanden mehr ohne viel Federlesens exekutieren lassen konnte. Ohne Angst, konnte man die Taelon so nehmen, wie sie war.

„Diese Renée Palmer dachte im Ernst, sie als fliegerischer Laie, mit nur ein paar Shuttle-Flugstunden, hätte mich im Shuttle-Duell besiegt”, spottete sie. „Man stelle sich vor! Ich fliege bereits seit 1000 Jahren. Diese Schauspielerin war gerade gut genug, um meine Flucht vor Howlyn zu tarnen.” Sie schimpfte noch langsam gestikulierend und hauchend auf Eunoia, jedenfalls nahm Augur das an, um dann in der Menschensprache fortzufahren: „Sie verdankt ihr Leben nur mir. Die Aussagen von Gefangenen aus dem Widerstand wiesen schon lange auf Palmer und Kincaid hin. Wenn ich gewollt hätte, wäre sie damals längst tot gewesen. Aber ein erkannter Feind ist keine Gefahr. Man kann ihn kalkulieren und benützen. Das war auch Da'ans Devise.”

„Wenn diese Dokumentation über die Palmer dich so aufregt, dann schalte um auf einen anderen Kanal”, erwiderte Augur. „Langsam wird das langweilig. Ich würde auch mal gerne einen Film sehen. Wenn ich schon nicht groß ausgehen darf.”

Als Antwort erhielt er einen verächtlichen Blick von Zo'or, die auf der Couch in ihrem gemeinsamen Hotelzimmer saß. Sie hatte die Lippen spöttisch verzogen. „Ich habe einen ÜBERLEGENEN Verstand”, betonte sie wieder einmal. „Es ist eine Zumutung, mein Zimmer teilen zu müssen. Mute mir nicht zusätzlich
zu, meine Zeit mit seichter menschlicher Unterhaltung zu verschwenden.”

„ICH falle ja nicht auf, eure Hoheit. Du benötigst zur Tarnung mich, aber ich nicht unbedingt dich. Mach so weiter, und ich nehme mir ein eigenes Zimmer.”

Das TV-Programm brachte die neuesten Nachrichten. Die Nachrichten zeigten wieder einmal das Taelon-Mutterschiff und berichteten, wie gefährlich und erpresserisch es war, dass Ronald Sandoval, wider erwarten doch nicht tot, es im Erdorbit kreisen ließ. Die Regierung unterdrückte jedoch Berichte über die fremde Atavus-Spezies, wo es ging. Sie gab ihr damit die Gelegenheit, die Erde zu unterwandern, die Bevölkerung zu versklaven und vampiristisch und sexuell zu missbrauchen.

„Ein paar Tage, und Sandoval ist tot”, sagte Zo'or. „Und alle seine Geheimnisse verschwinden mit ihm.”

Augur warf ihr einen Blick zu. „Denk gar nicht dran!” warnte er. „Wir werden keineswegs die Zeit deswegen manipulieren. Er stirbt, und du wirst verschleppt. Damit hat es sich.”

„Wir haben alle Bomben über die Welt verteilt, wie ausgemacht”, sagte sie. „Nun haben wir Zeit. Auf das Mutterschiff können wir nicht. Die Archive auf dem Schiff sind in unserer Zukunft verloren. Aber Sandoval - der ist dann auf der Erde offiziell tot. Wir würden die aktuelle Geschichte in keiner Weise beeinflussen. Er stirbt, wir reanimieren ihn, sprengen die Halle in die Luft und lassen so die Leiche spurlos verschwinden. In den überlieferten Berichten hieß es, dass die Halle nach Sandovals Tod niederbrannte. Entweder wurde der Brand von Palmer gelegt, oder von der Regierung. Um Spuren zu verwischen. Und jegliche klonfähige DNS von Sandoval zu vernichten.”

„Wir hätten mit diesem Kerl nur Scherereien”, sagte Augur wenig begeistert. „Warum sollten wir ihn reanimieren? Um ihn dann für immer in ein Gefängnis der Zukunft zu verfrachten?”

„Wir jagten damals einen entflohenen Jaridian, und stießen dabei auf einen Kimera-Speicher, der später gesprengt wurde. Ich habe mir die Koordinaten damals nicht angesehen und daher nicht gemerkt. Aber Sandoval war mit dem Shuttle unterwegs, auf der Suche nach Major Liam Kincaid und Captain Lili Marquette. Dank des CVI's, welches er noch immer trägt. Gegen meinen Willen. Er hat die Koordinaten sicher noch in seiner Erinnerung. Diese Koordinaten will ich haben.”

„Ich verstehe”, meinte Augur. „Kombinieren wir die Koordinaten mit den Skizzen der Scharbilder vom Nazca-Plateau, könnten wir eventuell die Koordinaten eines weiteren kimeranischen Wissenspeichers ermitteln.”
Der Mann war unschlüssig. „Unser Auftrag lautete, die Vorgänge der Dunkelmächte auf der Erde aufzudecken und die Bomben zu verstecken. Und nicht, einen Verbrecher wie Sandoval zu retten.”

„Wir führen den Auftrag aus, und nehmen einfach Sandoval zusätzlich mit”, bohrte Zo'or weiter. „Ein Wissenspeicher! Voll mit Schätzen. Und Waffen. Gegen unsere Feinde. Was gibt es da nachzudenken?”

 
* * *
 

(Erde, im Jahre 2345:)
Etwas fiel zu Boden. Ji-Won Park wirbelte herum und wollte schon auf die Wand schießen.

„Halt!” rief Je'dir. „Das ist kein Robot!” Er stürmte vor und riss den getarnten Wandschrank auf. Dann zog er einen kleinen Jungen am Arm heraus.

„Was zum Teufel macht ein Kind hier!” rief der Koreaner überrascht und verärgert. Ein Kind! Ohne Schutzanzug, und jeden Moment würden die Kraken kommen!

„B..b...itte!” stammelte der Kleine. „Tut mir nichts!”

„Wer bist du und was machst du hier!” fragte Je'dir mit seiner tiefen dunklen Stimme. „Du gehörst zu deinen Eltern und nicht nachts in so ein Gebäude!”

„Ich heiße Lukas, und ich habe keine Eltern mehr”, stammelte der Junge heraus. „Ich schlafe schon seit zwei Nächten hier. - Bitte! Ich werde nichts sagen. Lasst mich laufen. Bevor die Robots kommen. Ich will nicht, dass sie mich finden!”

„Der hat alles gesehen!” sagte Ji-Won Park. „Wir können ihn nicht laufen lassen.”

„Nein”, erwiderte Je'dir überlegend, den Kleinen noch immer am Arm gepackt. „Die Robots würden ihn aufgreifen und verhören. - Du bleibst bei uns!” befahl der Jaridian Lukas. Er zog den Kleinen zur Ausrüstung, deaktivierte kurz das Schutzfeld und befahl dem Kind, sich dazwischen zu ducken. „Hier bist du sicher - für eine Weile!” sagte Je'dir. „Solange du dich nicht bewegst. Die Robots werden zuerst auf uns schießen, und dann werden wir mit einem Portal fliehen und dich mitnehmen. Du darfst dich also nicht bewegen, hast du verstanden?”

Lukas nickte gehorsam und sah den Alien etwas furchtsam an. Dann kroch er zwischen die Geräte, und das Schutzfeld flammte wieder auf.

„Der hat nicht mal einen Schutzanzug!” sagte Ji-Won. „Und da kommen sie schon!! Man sah drüben am Fenster die ersten tastenden Tentakel auftauchen. Das Mauerwerk schmolz dort dahin, das virtuelle Glas verdampfte. Der Koreaner und der Jaridian begannen zu schießen, und es war hörbar, dass auch die Scouts an den Eingängen bereits mitten im Gefecht waren. Noch konnten die menschlichen Krieger und die krakenartigen Roboter , die so groß wie Menschen waren, noch nicht in die Räume eindringen. Nein, das war falsch. Einer hatte sich still und leise hinter den beiden durch die Wand gebrannt. Je'dir fuhr herum und nahm ihn gerade noch rechtzeitig unter Beschuß. Der Schutzschirm des Kraken leuchtete rötlich auf, und die Wucht der Energien bremsten ihn in seiner Bewegungsfähigkeit; sonst hatte der Beschuss nicht viel Wirkung, dafür wurde dieser Teil des Museums nach und nach in Schutt und Asche gelegt.

‚Diese Kraken haben Sensoren an den Tentakeln!’ fiel es dem Jaridian plötzlich ein. An den Tentakelspitzen musste deren Schutzschirm einfach schwächer sein. Es MUSSTE einfach so sein! - „Die Kraken sind an den Tentakelspitzen verwundbar!” rief er Ji-Won zu. „Aber nur dort, wo sie mit diesen Armen den Boden berühren!” Das waren bei den Kraken mit ihren fünf bis acht Tentakeln in etwa zwei bis vier, die sich rasch abwechselten. Die beiden Männer begannen, systematisch auf diese Ziele zu schießen. Da, tatsächlich zischte es an einem Tentakel eines der Angreifer direkt vor Je'dir auf und das Schutzfeld des Robots brach zusammen. Ein Schuss setzte den Robot blitzschnell außer Gefecht, ohne ihn völlig zu zerstören. Je'dir nahm sich vor, die Reste unter allen Umständen mitzunehmen.

„Wo bleibt nur das Team!” rief der Koreaner etwas verzweifelt. Bestimmt waren bereits fünf Minuten seit ihrem Durchgang vergangen. - Die Robots hatten in ihrem Angriff nach dem Ausfall eines ihrer Kollegen kurz gezögert, dafür waren die Krieger in ihren schwarzen Kampfanzügen - die denen der ehemaligen Freiwilligen ähnelten, wenn man die vielen Nieten, Spitzen, Lederbänder und Kettchen daran außer Betracht ließ - aufgetaucht und mischten im Beschuss nun mit. Die zwei Scouts schlugen sich tapfer und schossen in allerschnellster Abfolge nach allen Seiten, aber es war nur eine Frage von Minuten, bis sie zerstört sein würden. Offenbar wollten die Krieger das Team lebend, ihre zögernde Angriffstaktik zeigte dies.

„Sie müssen gleich hier sein! Versuchen wir, die Ecke abzusichern, wo die Leute wieder auftauchen sollten”, rief Je'dir zwischen dem Getöse hinüber zu Ji-Won.

 
* * *
 

Andrea Anderson und Norbert Becheau waren inzwischen zu Zo'or und Alex J. „Augur” zurückgekehrt, die in Mexico City Quartier bezogen hatten. Sie brachten die Nachricht mit, dass nach ihren Beobachtungen in Frankreich die Dunkelmächte als Energieform auf der Erde versteckt tätig waren und von bestimmten Persönlichkeiten geistig Besitz ergriffen hatten, um sie zu manipulieren. Niemand konnte sagen, wie lange schon. Offenbar waren es nur wenige Persönlichkeiten unter den Menschen, doch diese strebten nach Macht. Keiner der Menschen ahnte davon etwas - die Anhänger Renée Palmers nicht, die Regierung nicht, die Kriminellen oder die Medien nicht... Die Gefahr der Atavus mit ihren geistigen menschlichen Sklaven überlagerte alle Aktivitäten der Dunkelmächte. Selbst die Atavus ahnten nichts. Die Schiffe der Dunkelmächte - aus Dunkelmaterie - konnten von Taelons oder Jaridians nicht geortet werden. Das war kein Wunder, denn die Dunkelmaterie pflegte die Taelons in ihren Energiekörpern zu lähmen. Seit Jahrtausenden gingen sie dieser sehr seltenen speziellen kosmischen Materieform daher tunlichst aus dem Weg und hatten diese Materieform auch nicht recht zu untersuchen vermocht. Man konnte nur spekulieren, ob solche Besessenheiten durch Aliens auch bei anderen Völkern, oder gar den Taelons und Jaridians, aufgetreten sind. Zo'or schloss das für Taelons vehement aus, schon allein wegen dem telepathischen Netzwerk des Gemeinwesens, und der Energiekörperform. Aber Augur meinte dazu, an Stelle dessen hätten die Dunkelmächte die Quantenintelligenz in Form von Core-Energie gegen die Taelons eingesetzt... .

Solcherart Spekulationen anstellend, verging die Zeit rasch. Norbert hätte zu gerne andere Stellen auf der Erde besucht, denn er war auf der Roleta aufgewachsen und kannte die Erde hauptsächlich aus Filmen und Projektionen. Es war eben ein Unterschied, wenn man Geschichte nur aus dem Unterricht lernte oder konkret in Form einer Zeitreise. Das war jedoch zu gefährlich. Alles, was das Team in Mexico City tun konnte, war, auf Sy'la und Ha'ron zu warten. Sie wurden aufgehalten, denn das FBI, die Polizei, die Regierung und das Militär der ANA waren hinter ihnen her. Und alles nur, weil sie es nicht fertig gebracht hatten, einen Mann namens Tommy Douglas als einen gefährlichen Mitwisser rechtzeitig zu eliminieren. Die zwei schienen höllisch in Schwierigkeiten zu stecken. Zo'or fand es nicht für ratsam, auch den Rest des Teams und die Mission gesamt durch ein Rettungsversuch zu gefährden. Und sie hatte genügend Charisma, diese Ansicht bei den anderen durchzusetzen. Wenn Sy'la und Ha'ron es nicht nach Mexico City schafften, wussten sie selbst, was zu tun war. Es durften keine Spuren zum Untersuchen übrigbleiben, von nichts und niemanden.

‚In Denver haben wir falsche Spuren für die Verfolger gelegt. Wir passierten dann heute morgen ein Nest namens Pueblo im US-Staat Colorado’, berichtete Ha'ron telepathisch Zo'or. ‚Wir haben inzwischen das Auto zerstrahlt und sind nun als Abenteurer mit von Cowboys gekauften Pferden unterwegs nach Trinidad. *seufz reiten ist so anstrengend!* Einer der Cowboys der Ranch begleitet uns, damit wir den Weg finden. Wir haben ihm erzählt, wir wären ehemalige Widerständler auf der Flucht. Von Trinidad aus wollen wir uns dem Canadian River entlang und beim Conchas Damm vorbei bewegen, den Pecos River entlang, bis wir in Roswell in New Mexico ankommen. Die Geräte haben wir alle ausgeschaltet oder vernichtet, um nicht geortet zu werden. Wenn wir Glück haben, können wir in Roswell ein altes verstecktes Interdimensionsportal des Widerstandes benützen.’

„Was sagen sie?” fragte Augur, der Zo'ors lauschende Miene bemerkte.

„Sie lernen soeben reiten und fallen ständig von den Pferden”, antwortete Zo'or. „Und sie vertun ihre Zeit momentan mit Cowboy-Romantik.”

„Echt?” fragte Augur nach. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Die sind doch auf der Flucht.”

„Wer Schnelligkeit sucht, sieht die nicht, die stille stehen”, erwiderte Zo'or. „So stellt sich eben die Hybridin eine Flucht vor. Die Straßen werden alle vom Satelliten aus überwacht, Portale, Luftraum und Züge vom FBI und der ANA. Aber staubige Cowboys, die mit fünf Pferden unterwegs sind, die fallen dort nicht auf.”

„Dann werden sie sicher noch ein bis zwei Tage benötigen”, sagte Andrea. „Wir sollten uns wie normale Touristen verhalten und einige Sightseeing-Tours buchen.”

„Ich habe etwas anderes vor”, sagte Zo'or. „Ich habe eine Verabredung an einem gewissen Ort zu einer gewissen Zeit. Becheau, ob du mich wohl begleiten könntest?”

 
* * *
 

Sie warteten geduldig und getarnt hinten in der unfertigen Halle. Und da waren sie schon. Zo'or musste sich sehr beherrschen, um Renée Palmer nicht den Garaus zu machen. Aber das war nicht der Zeitpunkt für Rachegefühle, und sie hatte ja ihren Brüdern vor Jahren versprochen, nie mehr solche verbotenen Taten zu begehen. Auch Norbert Becheau tat sich schwer damit, einfach passiv alles geschehen zu lassen. Renée und Ronald Sandoval lieferten sich gerade ein Feuerduell und riefen sich dabei Gehässigkeiten zu. Im Kampf fiel Sandoval nach hinten über eine Brüstung eines Gerüsts, stürzte einige Meter hinab auf herausragende Metallstreben, die vom unfertigen Betonbauboden herausragten. Er wurde im Brustbereich von den spitzen langen Streben mehrfach durchbohrt, wo er langsam und aufgespießt verblutete.

Palmer in ihrer dunklen Kluft kletterte hinab zum Sterbenden und hörte gerade noch, wie er verbittert sagte: „Ich bereue nichts!”, bevor er verschied. Sie wartete noch etwas, überzeugte sich, dass Sandoval bestimmt nicht mehr atmete, rief über ihr Global nach Hilfe und kletterte wieder hinauf, um in Richtung Ausgang zu gehen.

„Schnell!” rief Zo'or. „Ich sehe, wie die letzte Energie dabei ist, zu verlöschen!”

Sie stürzten beide zum Toten und schalteten das Tarnfeld ab. Dann bemühten sie sich, so schnell sie konnten, den Toten von den Streben zu schneiden. Der Körper war noch warm, doch kühlte er bereits ab. Das Energiemesser des Kampfanzugs unter ihrer Kleidung durchtrennte die Streben wie Butter. Die beiden hoben den Toten hoch, legten ihn auf einem freien Platz auf dem Boden, und Zo'or zog hastig die restlichen Metallstücke aus seiner Brust. Aus diesen Wunden floß noch frisches Blut.

„Gib acht, dass von oben keiner kommt!” befahl Zo'or. „Aktiviere das Portal und die Bomben!”

Sie beugte sich über den Toten, legte ihm die Hände auf die blutige Brust, atmete tief ein und schickte Lebensenergie in den Körper. Der Körper leuchtete bläulich auf. Sie benötigte drei Atemzüge, um ihn zurückzuholen, und war danach vollkommen erschöpft. Aber die Wunden begannen, sich zu schließen, und Sandoval atmete wieder. Aber er musste so rasch wie möglich zu einem Chirurgen, sonst würde er erneut sterben. Der Mann öffnete kurz die Augen, sah sie verwirrt an und wurde wieder bewusstlos.

Von oben, von draußen irgendwo, hörte man bereits Menschen ankommen, und weit entfernt war Palmers Stimme auszumachen. Zo'or, Becheau und Sandoval wurden kurz bevor die Bomben hochgingen, weggestrahlt. Alle potentiellen Spuren in der Halle wurden vernichtet.

 

[1] Atlantic National Alliance, im Jahre 2013 eine Art ausgebautes militärisches Staatenbündnis in der Nachfolge der NATO.

 

Ende von Kapitel 6

 

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