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  „Höllenengel” von Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   April 2004
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Ein Team wird zur Erde geschickt, um Maßnahmen gegen die H.A.P. einzuleiten. Einer Erde voller Perversion. 27 000 Lichtjahre entfernt auf London hat man eigene Sorgen: eine unsichtbare Gefahr nähert sich.
Zeitpunkt:  das Jahr 2345
Charaktere:  an Bord Bethany, Kashmir Khan, Dr. Myinga, Fr. Gritsch mit Mizzi und Lucia; auf der Erde Carla, Lukas, Mr. und Mrs. Kavanah und Mrs. Larson; Zo'or, Ha'ron, Sy'la, Je'dir, Andrea Anderson, Augur, Norbert Becheau und Ji-Won Park: auf London Premier Humphrey Clark, Minister Neill Pescatolli, Matthew Stevens, Nevin Oman, Mary Winters, und Ho'shin; Me'win, Nor'ren, Sergej Koljow, Onzo Kyriaki und Paula Hofmann.
 
Warnung: Diese Geschichte beinhaltet Gewaltszenen.
 

 

HÖLLENENGEL

Kapitel 5

 

(Auf dem Schiff:)
Bethany saß traurig im Stretch-Lackleder-Anzug mitten im Gras des Obstbaum-Parks in den Hydroponischen Gärten der Roleta und sah auf den illusionären blauen sonnigen Himmel mit den paar weißen Wolken. Kashmir Khan, ihr junger menschlicher Freund, der neben ihr im Gras hockte, konnte sie heute überhaupt nicht mehr aufheitern.

„Vielleicht passiert diesmal der Delegation gar nichts”, versuchte er zu beruhigen. „Wenn die auf der Erde so weiter machen, haben sie keine Geiseln mehr.”

„Hör auf! Hör auf!” Bethany schlug mit der Hand auf die Erde. „Irgend jemand da unten wird sterben! Das weiß Zo'or ganz genau! Womöglich Da'an. Oder Mi'nou. Oder Palwyr oder Wanjak! Dabei gibt es keine Jaridians mehr. Ich halte das einfach nicht aus!” Das Gras, wo sie hingeschlagen hatte, wurde ganz gelb und verdorrte.

„ Ich verstehe dich ja!” Der junge schwarzhaarige Mann mit der hellbraunen Haut zog die Hybridin an sich. „Wir können aber auch nicht zusehen, wie sich die Situation auf der Erde von Jahr zu Jahr verschlimmert. Das ist eine ganz schlimme Diktatur da unten. Etwa 900 Millionen Menschen sind versklavt. Hunderte Millionen sind im Widerstand oder in den Umerziehungslagern umgekommen. Die werden die Geiseln niemals gehen lassen. Dann würde uns nichts mehr aufhalten, die Erde anzugreifen.”

„Was die Menschen mit der Erde machen, ist mir doch ganz egal!” Sie fing wieder zu weinen an. „Sollen sie doch machen was sie wollen.”

„Das meinst du nicht so”, sagte Kashmir. „Du kannst mir nicht erzählen, dass dir die Menschen da unten ganz egal sind. Auch wenn du nur mal als Kind auf der Erde warst. Deine Großmutter war schließlich ein Mensch. Was hätte dein Großvater Vorjak gemacht?”

Die Mensch-Jaridian-Taelon-Hybridin mit den blaulila gefärbten langen Haaren, in dem Schmuckperlen eingeflochten waren, hörte mit dem Weinen auf und wischte sich mit den Händen über Augen und Nase. „Der hatte weniger Skrupel. Der hätte die Erde angegriffen und in die Luft gesprengt. Egal, ob Geiseln oder nicht. Ein Jaridian stirbt lieber als in Gefangenschaft gehalten zu werden.”

„Die glauben, dass sie ein verschollenes Zeitreisegerät von Ma'el aufspüren können”, sagte Kashmir. Was hältst du davon?” Er saß inzwischen hinter ihr, die Arme um sie gelegt, und küsste ihr Haar und ihren Nacken. Sie erschauerte für einem Moment.

„Nein, nicht!” Bethany entzog sich plötzlich seiner Umarmung. „Ich habe jetzt nicht die geringste Lust auf so was! Tut mir leid.” Sie stand auf.

„Entschuldige.” Der junge Mann stand ebenfalls auf. „Aber du bist einfach zu süß.”

„Reichen dir die Brandflecken vom letzten Mal nicht?” fragte sie, ihren Freund neckend. Sie hob die rechte Hand und ließ das Shakaravah auf der Handfläche aufblitzen. „Du, ich warne dich! Wenn ich heiß bin, bist du gerade der richtige Appetithappen. Zum Braten und Verspeisen!”

„Mach keine Witze, mein kleiner Bratofen! Soviel Energie hast du auch wieder nicht. Und wenn, so muss ich dich zuvor zum Entladen kurz an ein Sexspielzeug anschließen. Dann bist du danach ganz und gar ungefährlich.”

„Du bist einfach gemein! Schäm dich!” Jetzt tat die junge Frau so, als ob sie beleidigt wäre. Sie drehte sich um und ging in Richtung Ausgang. „Geh weg!”

„Fällt mir gar nicht ein.” So leicht ließ Kashmir sich nicht abschütteln. Bethany wollte auch gar nicht, dass er so schnell aufgab. Er trotte brav hinter dem Mädchen her und überlegte, wie er sie zum Lachen bringen konnte.

„Warte, meine Schöne! Du brichst mir das Herz, siehst du! Siehst du! Hilfe!” Er griff sich auf die Brust, gurgelte und fiel theatralisch zu Boden.

„Sei doch nicht närrisch! Steh sofort auf!”

Der junge Mann lag da und rührte sich nicht. Bethany sah unschlüssig hin. Er war doch nicht wirklich...? Aber nein, bestimmt nicht. „Kashmir!” Er rührte sich nicht. „Kashmir! Lass den Blödsinn. Steh auf.”

Sie seufzte und ging zu ihm hin. Seinem Herzen schien nichts zu fehlen. Es schlug noch, wie ihre feinen Ohren es hörten. Nur atmete er nicht. Sie stieß ihn an. Er atmete noch immer nicht.

„Kashmir!” Jetzt war sie beunruhigt. Sie beugte sich zu ihm, lauschte. Noch immer nichts. Sie beugte sich hinab, um ihn notfalls zu beatmen, da atmete er prustend aus, holte tief Luft, schnappte ihren Kopf, zog ihn herab und küsste sie.

„Du verrückter Kerl!” Sie errötete und stand auf. „Was fällt dir ein, solange die Luft anzuhalten?!”

„Das war es mir wert!”

„Du bist wirklich total, total verrückt!” Jetzt musste sie doch lachen.

Kashmir stand auf und machte ein total verzweifeltes Gesicht. „Du lässt mich immer nur warten. Wenn du mich nicht bald erhörst, passiert etwas Schreckliches! Etwas ganz Furchtbares. Ich bin schon ganz hin und weg, schon ganz irre!”

„Was Furchtbares! Bah! Was denn?”

„Ich ziehe mich aus Verzweiflung aus und renne nackt durch das Schiff. Ich schwöre es!”

„Glaube ich nicht.”

„Ich tu es, ich schwör's. Und ich sage jedem, der mir über dem Weg läuft, dass du an meiner Verwirrtheit schuld bist.”

„Bah! Du würdest nicht weit kommen!”

„Wetten, dass? Da ich niemanden etwas tue, hält mich Roleta sicher nicht auf.” Er begann, seine Kombination zu öffnen.

„Lass den Unsinn!” Sie drehte sich um und ging zum Ausgang weiter. Der würde doch nie... Sie wandte dann doch kurz den Kopf und sah zurück.

„Siehst du? Ich tue es! Erhöre mich, oder ich ende in purer Verzweiflung.”

„Pffhht!” fauchte sie kurz und schimpfte auf Jaridian in den typischen Hauchlauten. „Hör sofort mit dem Blödsinn auf und lass das!”

Kashmir entledigte sich seiner Schuhe und stieg aus seiner Kombination. Er ließ sie einfach fallen. Jetzt war er nur noch mit Slip, Socken und einer goldenen Halskette bekleidet. Hübsch gewachsen war er ja, fand Bethany.

„Es kann jederzeit jemand hierher kommen! Lass den Unsinn und zieh dich sofort wieder an.” So wie ihre Wangen brannten, musste sie bereits einen hochroten heißen Kopf haben. Ihr Puls war schon entsprechend erhöht.

Kashmir beendete sein Striptease nicht. Konnte er auch nach seiner großspurigen Ankündigung auch schwer. Ein Wort war ein Wort. Jetzt trug er nur mehr seinen Slip und die Halskette und folgte dem Mädchen auf den Gang hinaus.

„Ah, ich brenne vor Leidenschaft, mein Augenstern! Bitte erhöre mich, oder ich vergehe wie ein Komet, der zu nahe der Sonne kommt.”

„Wehe dir!” Bethany war hin und hergerissen. Da stand der junge Mann, sah hinreißend aus, mit verdächtig ausgewölbtem Slip, sah sie flehentlich an und lockte und schmeichelte sie an. Schließlich war sie auch nur eine heißblütige beinahe-Jaridian. „Du ziehst den Slip nicht aus!” befahl sie dennoch, fast außer Atem.

Das hätte sie besser nicht sagen sollen, denn schon war er herunten.

„Erhöre mich, sonst verliere ich den Verstand!”

Sie hob gerade die Hand, da bogen auch der alte Dr. Myinga mit der fülligen Frau Gritsch, die größte Klatschbase des Schiffes, vom Lift kommend um die Ecke des langen breiten Ganges, gefolgt von ihren halbwüchsigen Töchtern Mizzi und Lucia.

„Was ist denn hier los?” fragte der Arzt erstaunt.

„Whow!” sagte Mizzi und besah sich Kashmir anzüglich von oben bis unten, eigentlich vor allem um die Mitte.
„Voll auf Touren heute, was?”

„Das ist ja ein empörendes Benehmen!” rief Frau Gritsch. „Mitten auf dem Deck vor allen Leuten!”

„Na, gesund ist er ja, wie man sieht”, meinte der Arzt.

„Hi, Frau Gritsch! Hallo Doc!” sagte Kashmir kleinlaut, drehte sich um und lief, während Lucia sich vor Lachen bog, Frau Gritsch weiter schimpfte und der Arzt sich wunderte, zurück in Richtung Tür zu den hydroponischen Gärten. Wo seine Kombination lag. Nur, dass die Taelon Mur'ru aus einem Nebeneingang kam und er bei ihr nackt vorbeilaufen musste.

„Warum ist der junge Khan unbekleidet?” fragte sie etwas erstaunt beim Näherkommen. Dann sah sie das hochrote Gesicht des Mädchens mit den lila Haaren. „Ach so”, meinte sie gelassen. „Ihr wolltet euch gerade paaren.”

Bethany wäre am liebsten in den Boden versunken. „Nein, wollten wir eigentlich nicht! War nur ein Scherz!” Schnell hob sie den Slip von Boden hoch, steckte ihn in die Hosentasche und rannte dem Jungen hinterher, um von den Leuten wegzukommen.

‚Oh mein Gott!’ dachte sie. ‚Das wird die Runde durch das ganze Schiff machen.’

Sie holte Kashmir ein, der sich hinter einem Strauch versteckt hatte und sich hastig anzog.

„Du...! Du...!” fauchte sie. „Weißt du, dass in einer Stunde jeder sagen wird, wir sind ein Liebespaar? Du verrückter Gockel, du!” Sie warf ihm seinen Slip über den Strauch zu.

„Es tut mir leid! Ich dachte nicht, dass so schnell jemand kommen würde”, sagte er kläglich.

„Zu spät, zu spät! Also los, bist du bald mit dem Anziehen fertig? Wir müssen gehen.”

„Gehen? Wohin?” Kashmir kam, nun ebenfalls hochrot, hinter dem Busch hervor und schloß gerade die Kombination.

„Zu mir”, antwortete Bethany. „Wohin sonst. Wenn schon jeder sagen wird, wir sind ein Paar, dann könnten wir es genauso gleich tun, oder nicht?”

 
* * *
 

(Auf der Erde, zwei Tage zuvor:)
Carla brachte das Tablett in den Saal und offerierte es mit gesenkten Augen den Gästen. Es waren alles Kings im Saal, die zur nachträglichen Feier der City-Eröffnung in Mr. Kavanahs Haus gekommen waren. Die Damen trugen zu ihren teuren klobigen Juwelen erlesene Kunststoffgewänder mit Platin-Nieten und schillerten in den purpurnen Tönen, die gerade Mode waren. An den Füßen die obligatorischen grünen hochhakigen Lederstiefeln mit Dolch. Die Herren waren in den schwarzen Anzügen mit Eisennieten und roten Lederschleifen gehüllt, wie sie Business-Leute zu tragen pflegten. In einem anderen Saal bereiteten sich die Musiker auf die Tanzparty vor, die nach dem Buffet erfolgen sollte. Im Moment waren die Leute noch beim Small-Talk, und konsumierten die angebotenen alkoholischen Getränke in den Sektflöten und die Drogen in den kleinen Silberschälchen, die die Dienstboten servierten. Eine der Damen holte sich ein Schälchen mit weißem Pulver und zog ihre Schnupfröhre aus dem Oberteil des außen getragenden taillebetonenden seidenen Korsetts, um das Pulver unverzüglich zu inhalieren. Ihr Begleiter begnügte sich mit einer Sektflöte voll Münchner Bier und einige Tabletten Aufputschmittel.

Sie bewegte sich an der Tür vorbei, in dessen Raum das Buffet stand. Sie hatte Hunger, und der Duft all der guten Sachen wehte in den Raum. Von Fleisch und von Früchten, Dinge, die sie schon lange nicht mehr gegessen hatte.

„He, beweg deinen Hintern hierher!” befahl ihr die Hausherrin barsch. Sie tauchte wie immer unvermutet auf. Mrs. Kavanah konnte es nicht leiden, wenn die Inferiores zuwenig arbeiteten. „Dumme Person! Siehst du denn nicht, dass die Kings in der Ecke da nichts mehr zu trinken haben?!” Sie rülpste, und goß sich schnell ein Glas Bier hinunter. „Na, los, sonst gibt's die Peitsche!”

Carla beeilte sich, in die Ecke zu kommen, wo die Tante der Imperialen Margret, Mrs. Larson, gerade Hof hielt. Sie war eine ziemlich dürre Person, die sich trotz ihrer 103 Jahre immer noch mit sexy Stretch-Minis nabelfrei und mit einem knappen äußeren Korsett kleidete. In ihren weißblonden Haaren waren kleine bunte Micky-Mäuse-Spangen aus Edelsteinen gesteckt. Drei Liebhaber standen parat und lasen ihr jeden Wunsch von den Augen ab, während der eine oder andere, der sich ihre finanzielle oder politische Gunst erhoffte, zu ihr kam, um einige Wort zu wechseln. Man sagte Mrs. Larson nach, dass sie wenigstens 20 Schönheitsoperationen, drei Organtransplantationen und sieben Ehen hinter sich hatte. Dafür war ihre makellose Haut überall künstlich-faltenlos gestrafft. So wie sie dasaß, trug sie unter dem rötlichen Stretch-Mini auch keinen Slip.

„Gib mir ein Glas Rotwein!” befahl Mrs. Larson zu ihr herüber. Man hörte, dass sie schon reichlich betrunken war. Gehorsam griff sich Carla mit der Rechten ein Glas vom Tablett in ihrer linken Hand und reichte sie der Dame, dabei vermeidend, sie besonders anzusehen, wie die Vorschrift es von ihr verlangte. Mrs. Larson griff nach dem Glas und Carla ließ es los. Zu früh! Mrs. Larson wandte sich plötzlich zu einem ihrer Liebhaber um, der hinter ihr stand. Das Kristallglas fiel hinab auf das knappe Kostüm der Dame und von dort auf den Boden, wo es zerbrach. Der Rotwein bildete auf dem hellen Korsett und dem Mini von Mrs. Larson ganz gräßliche tiefrote Flecke, rann über deren Schenkel und tropfte rot auf dem Boden.

„Du blöde Gans!” schrie die Dame und stand mühsam auf, den heraufgerutschten Mini nach unten richtend.
„Du hast mein Kostüm ruiniert!” Sie griff sich ihre kurze fünfledrige Peitsche, die sie auf dem Beistelltisch abgelegt hatte, und die jeder der Oberen Klasse als Standeszeichen mit sich trug, und schlug sie Carla mitten ins Gesicht. Dabei taumelte Carla etwas nach hinten, und zwei weitere Gläser fielen vom Tablett. Zwei Bedienstete eilten sofort herbei, um die Reste umgehend zu beseitigen und das Tablett wegzutragen, während Carla, mit den Striemen im Gesicht und einer blutenden Lippe, da stand, die Augen zu Boden gerichtet, und stotterte: „Ich bitte flehentlich um Entschuldigung für mein Missgeschick. Ich habe zuwenig Acht gegeben. Es tut mir furchtbar leid.”

„Leid! Es tut dir leid!” sagte Mrs. Larson böse, während einer ihrer Liebhaber versuchte, den Fleck mit einem Spray zu entfernen. Mrs. Kavanah lief herbei.

„Ach, meine Gute!” winselte sie. „Ich bin untröstlich! Natürlich werden wir ihr Kostüm ersetzen. Wir werden sofort einen Boten losschicken und ein passendes Kostüm besorgen lassen. Ich bitte dich! Setze dich, beruhige dich, du wirst sehen, es wird alles Nötige veranlasst.”

„Das hoffe ich!” meinte Mrs. Larson und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. „Du weißt, wer ich bin. Du und dein Mann werden sich wohl niemand aus der imperialen Familie zum Feind machen wollen?”

Nun kam auch Mr. Kavanah gelaufen, um sich zu entschuldigen, während seine Frau hinauseilte, um ein neues Kostüm besorgen zu lassen. Carla stand noch immer mit ihrer blutenden Lippe da. Das Blut tropfte auf ihre grobe anthrazitfarbene Kleidung mit den gelben Knöpfen, wie sie für Inferiores vorgeschrieben war. Der Hausherr versprach, die Dienerin streng bestrafen zu lassen und stieß sie aus dem Saal.

Müde stieg sie, eine Serviette an den Lippen, die enge Treppe hinauf zum Dachgeschoß, wo die Bediensteten ihre Zimmer hatten, wusch sich das Gesicht und nahm die gelben Haarspangen ab, die ihre Haare glatt nach hinten halten mussten. Lukas, ihr kleiner Junge, war schon im Bett. Er schlief bereits, war müde von der Arbeit, die er tagsüber in der Küche hatte leisten müssen. Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante und sah den kleinen Schläfer zärtlich an. Der Junge musste das gemerkt haben. Er wachte auf.

„Mama!” sagte er schläfrig. „Ist der Ball schon vorbei?”

„Für mich heute schon, mein Schatz”, sagte sie traurig. „Mr. Kavanah wird später noch vorbeikommen. Du bleibst schön im Bett und rührst dich nicht, hörst du? Ist bald vorbei.”

Der Junge setzte sich stirnrunzelnd auf. „Mr. Kavanah? Er wird dich doch nicht wieder schlagen? Was ist denn passiert?”

„Nichts, nichts Wichtiges. Du bleibst schön im Bett, Lukas! Versprichst du mir das?”

Das war dem Jungen überhaupt nicht recht. Er wollte nicht, dass der Hausherr seiner Mutter etwas tat. Als sie nach nebenan ging, konnte er nicht einschlafen. Dann, mitten in der Nacht, hört er den Betunkenen hereinplatzen und lauschte. Er konnte nicht alles hören, aber der Mann brüllte, dass Carla ihm viel Geld gekostet habe, dann hörte er die Peitsche klatschen und zog sich entsetzt die Decke über dem Kopf, um das Schlagen nicht zu hören. Er gab nichts, was er tun konnte, um den Herrn von der Züchtigung abzuhalten. Anschließend hörte er das Bett alte Holzbett hin- und herquietschen, dann wurde es kurz ruhig,

„Nein, nicht meinen Jungen!” hörte sie plötzlich seine Mutter rufen. Lukas richtete sich auf.

„Es wird Zeit, dass er zugeritten wird, der unnütze Fresser!” hörte er Mr. Kavanah laut sagen. Jemand machte sich an seiner Kammertür zu schaffen. Es klatschte, offenbar schlug Mr. Kavanah seine Mutter schon wieder. Lukas hielt es im Bett nicht mehr aus, er sprang auf, schlüpfte in seine Schuhe und lauschte an der Tür. Gegenstände fielen, offenbar wurde gekämpft. Er öffnete die Tür einen Spalt und sah, wie seine Mutter im Unterkleid auf Mr. Kavanah mit dem Stuhlbein des zerbrochenen Möbels einschlug, der zu Boden sank. Blut spritzte. Das Unterkleid seiner Mutter war ganz rot davon. Sie sah plötzlich auf und in Lukas Gesicht.

„Es tut mir so leid, Lukas! Ich kann nicht zulassen, dass er dir weh tut!”

Da zog der Mann am Boden schon mit letzter Kraft eine kleine Strahlwaffe und schoß der Frau mit dem Stuhlbein über ihn mitten in die Brust. Seine Mutter fiel nach hinten, es roch nach verschmortem Fleisch. Mr. Kavanah selbst konnte auch nicht mehr auf. Lukas stand da, vor Entsetzen gelähmt, und sah, wie der Mann, mit dem Kopf in einer Blutlache liegend, starb. Das Kind konnte nicht einmal weinen, es zitterte vor Schock. Es sah zu seiner Mutter, beugte sich schließlich rufend zu ihr hinab. Sie war tot.

Lukas wusste nicht, ob er lange dagestanden war, jedenfalls lief er plötzlich in sein Zimmer zurück, packte sein Gewand, zog sich hastig an, steckte noch einige wenige Habseligkeiten ein und lief hinaus. Auf dem Gang lauschte er. Wenn die Bediensteten etwas gehört hatten, so wagten sie sich jedenfalls nicht vor die Tür. Niemand war zu hören. Von unten hörte man die Tanzmusik und die lauten Gäste. Die Leibwächter waren offenbar damit beschäftigt, eher auf diese aufzupassen als darauf zu achten, wo sich ihr Boss gerade abreagierte.

Vorsichtig schlich er sich die Treppe runter, durch die dunkle Küche und durch ein Kellerfenster hinaus ins Freie. Die Hunde draußen kannten ihn und ließen den Jungen laufen. So verschwand Lukas spurlos in der nebelfeuchten Nacht.

 
* * *
 

Der schwarze Pudel aus Nanobots hatte sich unter einem Sofa versteckt und im Museum gewartet, bis die Öffnungszeiten vorbei waren. Als das Mikrowellen-Signal eintraf, begab er sich zur Tür der Nottreppe, erhob sich auf die Hinterpfoten, wandelte die Pfoten zu Hände um und entsicherte mit ihnen die Tür unter Umgehung der Sicherheitssperren. Dann ließ er sich wieder auf die Vorderbeine herab und eilte rasch hinauf zum Taelon-Trakt, wie es ihm befohlen worden war. In einer Ecke zerlegte sich der Mechanismus und formte sich um zu einem Interdimensionsportal. Das Portal flammte auf und entließ nacheinander 10 Gestalten: Zo'or, Ha'ron, Sy'la, Je'dir, Augur, Andrea Anderson, Norbert Becheau, Ji-Won Park, zwei Jaridian-Roboter, sowie die drei großen Ausrüstungspakete, die mitgebracht worden waren.

Sofort begannen die Alarmanlagen zu schrillen. Die Scouts bewegten sich augenblicklich zu den Eingängen und sicherten vorerst die Türen, während die Personen unverzüglich mit der Suche begannen.

„Ich kann rein gar nichts hier messen. Alle Anlagen hier sind tot!” sagte Anderson.

„Warte!” rief Ha'ron. „Das Gerät reagierte bei Kincaid auf das Shakaravah!”

Die zwei Taelons aktivierten ihr Shakaravah und ließen es aufleuchten. Damit schritten sie den Raum ab, wo die Artefakte von Ma'el ausgestellt waren. Kostbare Zeit ging verloren. Da! Etwas schien sich an einer Säule zu aktivieren. Ein Energiefeld. Ha'ron tappte auf die aktivierte Stelle an der Säule. Eine Öffnung bildete sich, dahinter lag offenbar das Gerät.

„Wir müssen entweder weg oder da durch!” rief Zo'or. „Wir haben keine Zeit für lange Untersuchungen.”

„Warte!” rief Andrea. „Die Zeit war nur auf zwei Tage eingestellt. Wir müssen das Gerät irgendwie neu einstellen und dann mitnehmen. Sonst könnten wir nicht mehr zurück!”

Ha'ron holte das Gerät aus der Öffnung, welches sich sofort wieder spurlos schloss, und sah auf das Display. Einstellungen? Das Aussehen und die Zeichen auf dem Gerät wiesen es als kimeranisches Artefakt aus. Die Zeichen und Hinweise auf dem Display waren hingegen irdisch, genauer gesagt in Englisch, offenbar rechnete das Gerät nach irdischer Zeit. Es zeigte die genaue irdische Zeit an! Wer immer das Gerät zurückgelassen hatte, hatte sich die Mühe gemacht, es entsprechend zu programmieren. Es war solcherart mühelos, das gewünschte Datum auf dem Display durch Berührung einzugeben.

„Da hat uns jemand viel Arbeit abgenommen!” sagte Sy'la erstaunt, Ha'ron über die Schulter blickend. „Wir haben unglaubliches Glück. Das ist besser als gut! Ich hoffe, es ist auch alles noch funktionstüchtig. - Dann können wir!”

Sy'la, Zo'or, Ha'ron, Augur, Andrea und Norbert Becheau schnappten sich die drei Pakete und schritten durch das Feld. Je'dir, Ji-Won Park und die zwei Scouts mussten im Museum die paar Minuten bis zur Rückkehr des Teams die Stellung halten.

 
* * *
 

Sie befanden sich anschließend noch immer im Museum, nur im Jahre 2013, das Jahr, in dem die Taelons verschwunden und die Atavus aus dem Schlaf aufgewacht waren. Das Jahr, in dem die schwarzen Schatten offenbar auf der Erde aufgetaucht waren, das Jahr, in dem Zo'or als Atavus entführt worden war. Zum Glück war es Nacht und das Museum geschlossen.

„Tarnung an!” rief Andrea warnend. „Wir wollen das Wachpersonal nicht alarmieren.” Sie schalteten das Unsichtbarkeits-Tarnfeld an.

Als nächstes zogen sie sich rasch unverdächtige weite Kleidung über ihre Kombinationen, deponierten ein Interdimensionsportal im Museum , welches sich in Nanobots auflöste, die sich als weißer Belag unsichtbar oben an die Decke schmiegten, und verließen mit der Ausrüstung das Museum, ohne Spuren zu hinterlassen. Zwei Taxis brachten sie in ein drittklassiges Hotel, wo der Rezeptionist, ein wüst aussehender alter Mann, ihnen ohne viel zu fragen ihre Schlüssel aushändigte. Die Räume waren nicht eben sonderlich komfortabel. Die Teppiche hätten eine Schamponierung vertragen, die Wände eine Ausmalung. Die Möbel waren ebenfalls schon abgewohnt. Die Bettwäsche und Handtücher sahen allerdings sauber aus - jedenfalls auf den ersten Blick.

„Ja, das gute alte 21. Jahrhundert. Ich habe fast vergessen, wie es damals ausgesehen hat”, meinte Andrea. Sie stand am Fenster und sah hinaus. Draußen blitzten da und dort die wechselnden Neonlichter von den Reklametafeln auf, die in diesem Viertel vor sich hin flackerten. Eine bewaffnete Polizeieskorte in schwarzen Uniformen mit Helmen zog die Straße entlang.

„Wir müssen extrem vorsichtig sein”, erinnerte Zo'or. „Da draußen wimmelt es von ehemaligen Freiwilligen, Militär und Polizei. Als wir Taelons keine Energie mehr hatten, verloren wir die Kontrolle über weite Bereiche der Erde. Das Machtvakuum bewirkte innerhalb der Bevölkerung kurzfristig so etwas wie Anarchie.”

„Aber doch nicht hier im Osten der USA”, meinte Augur.

„Nein”, gab Zo'or zu, „eben weil die Regierung massiv Polizei und Militär eingesetzt hat. Wir müssen davon ausgehen, dass es überall Kontrollen gibt. Wir dürfen auf gar keinen Fall auffallen und eine Festnahme von einen von uns darf einfach nicht erfolgen. Das ist klar? Und wenn wir Polizisten oder Mitwisser töten müssten.”
„Vergiss nicht, dass du und Andrea ebenfalls von keinem erwischt werden dürft, die euch von früher her kennen”, erinnerte Ha'ron. „Lasst euch auch nirgendwo filmen. Telefoniert nicht. Tragt Handschuhe. Vermeidet es, DNS zu hinterlassen. Und gebt acht, mit wem ihr sprecht.”

„Wir müssen davon ausgehen, dass die aufgeweckten Atavus bereits auf der Erde ihre Mord-Touren durchführen und ihre Sklaven rekrutieren”, sagte Augur. „Und dann gibt es bereits Menschen, die die Atavus jagen. Ihr Neo-Taelons könntet mit ihnen verwechselt werden. Wie sie seht ihr eben nur FAST wie Menschen aus.”

„Satelliten überwachen jeden Meter der Erde von oben”, erinnerte Zo'or nochmals. „Wenn wir auffallen, jagt die Regierung uns mit allen Mitteln, die sie hat. Überwachungskameras, Abhörmikrophone, Nanobots, Schwingungssignatur-Sensoren. Gilt genauso für die Gegenseite. Unsere einzige Chance ist die Unsichtbarkeit, versteckt in der Masse.”

„Das wissen wir doch alles schon”, sagte Sy'la ungeduldig. „Die ganze Erde ist gerade jetzt, im Jahre 2013, ein ziemlich gefährlicher Ort für uns. Und ausgerechnet jetzt müssen wir Spuren suchen und Bomben verstecken.”

Sie hatten nur diese Erdmission und nur einen möglichen Zeitsprung, oder vielleicht zwei. Wenn die Wissenschaftler recht hatten, barg jeder weitere Zeitsprung das Risiko eines Raum-Zeit-Kollapses für diese Region des Universums in sich. So wie Sy'la es in den Diskussionen an Bord verstanden hatte, war die Zeitebene bereits in sich „brüchig” geworden, vermutlich wegen der bereits durch die Fremden erfolgten Manipulationen. Sie konnte es kaum fassen, dass dieses Universum, welches für sie so normal wirkte, durch Anomalien entstanden sein sollte, wie jedoch die reale Existenz von Zo'or, Augur und Haggis bewies. Die doch tot sein sollten. Genau so gut hätte man sagen können, dass nur die drei die gefährliche geisterhafte Anomalie seien und Sy'las Welt die echte Realität. Das einzige Faktum war die auch von der Roleta bemerkten Erscheinung der Dunkelmächte im Bereich der Erde.

Jeder vom Team hatte von der Roleta ausgezeichnete fingierte Lebensläufe, gefälschte Dokumente, Geldkarten und ausreichend Geld erhalten. Künstliche Haut milderte bei Zo'or und Ha'ron die auffallende Stirnpartie. Sie mussten, nachdem sie sich ins Jahr 2013 eingelebt hatten, die Medien nach Meldungen über ein eventuelles Wirken der Dunkelmächte durchsuchen. Es musste ausgekundschaftet werden, wo und wie die Mini-Bomben am besten placiert werden sollten, die dann im Jahre 2345 an geeignete Stellen hochgehen sollten. So an dem Ort, wo die Delegation gefangen gehalten wurde. Großzügig gerechnet, würde das Team dazu mehrere Wochen benötigen, immer in der Gefahr lebend, entdeckt zu werden. Zwischenzeitlich würden sie mehrmals ihr Quartier wechseln und sich trennen müssen.

Schließlich begab man sich vorerst zur Ruhe. Das Hotel selbst war nicht ruhig. Mal hörte man oben Möbelrücken, dann wieder am Gang Schritte und Türen klappen. Gegenüber lachte jemand laut. Von der Straße her ein hörte die Hybridin ein Auto. - Herrje, wie schön war die Ruhe auf dem Schiff! - Und dann war einige Türen weiter Zo'or... Sy'la fühlte sich in der Nähe Zo'ors mehr als unbehaglich. Sie hoffte, nicht wieder Alpträume zu bekommen, in der Zo'or sich an sie heranschlich und ihr die Lebensenergie heraussaugte. So wie sie sie früher gehabt hatte. Zo'or konnte ihre eigene Wesensänderung betonen wie sie wollte - ein Hauch von Misstrauen gegen dem ehemaligen Taelon-Synodenführer blieb aufrecht. Schon komisch - sie war hier und gleichzeitig war sie irgendwo in einer Raumstation, jetzt zu dieser Minute, von Zo'or vor Jahren als hybridisches Kind dorthin verfrachtet, und schlief im Koma-Schlaf. Sie schlief dort und war gleichzeitig als ältere Ausgabe auf der Erde unterwegs.

Für Zo'or weckte die Situation, in dieser gänzlich ungewohnten menschlichen Absteige, ebenfalls ganz seltsame Gefühle. Im Jahre 2013 war nur ein Hauch von Zeit seitdem vergangen, in dem sie der oberste Taelon gewesen war, in einer Zeit, als es noch so viele vertraute Taelons gegeben hatte. Dann die letzten schrecklichen, schrecklichen Tage in furchtbarer Angst, zu sterben und zu verlöschen. Und sie erinnerte sich an den Energiepool und das erste körperliche Gefühl, als sie als weiblicher Atavus allein aus der Energiekammer gestiegen war, als sie die wuscheligen dunkelblonden Haare am Kopf wahrnahm, ihre ungewohnt helle Stimme hörte und diese unbändige Kraft und Leidenschaft jede Faser ihres Seins durchflutet hatte. Kombiniert mit grenzenlosem HUNGER und GIER. Und dann... kamen die lange Zeit der Gefangenschaft bei den Fricks und mit Boone...

Das Team war übereingekommen, drei unauffällige Pärchen zu bilden. Sy'la teilte das Zimmer mit Ha'ron und Andrea Anderson mit Norbert Becheau. Zo'or drehte sich etwas herum und sah im Dunklen hinüber zu Alex J. Chevelleau, der im zweiten Bett - brav getrennt von ihrem - bereits friedlich und leise schnarchend schlief. Vermutlich erinnerten die Atemzüge des rundlichen alternden Mannes Zo'or unbewusst an die menschlichen Geräusche aus dem Gefangenenlager.

Nein, mit diesem Augur-Nachkommen würde sie sich die Zeit nicht vertreiben können. Der Mann war einfach reizlos. - Es dauerte eine Weile, bis sie sich durch Meditation soweit von den Erinnerungen gelöst hatte, um ebenfalls einzuschlafen.

 
* * *
 

(London, im Jahr 2345:)
„Alle Portale zur Erde sind zusammengebrochen”, erläuterte Stevens. „Die Reisenden sind bis Punkt Station Berengar gekommen, und von dort mittlerweile nach London zurückgekehrt. Sie sind, nebenbei erwähnt, ziemlich aufgebracht und beunruhigt.”

„Es gab doch nicht das geringste Anzeichen einer Gefahr”, sagte Premier Humphrey Clark. „Möglicherweise ist nur ein größerer technischer Defekt entstanden. Es gibt doch keinen Grund, das Schlimmste anzunehmen.”

„Dann hätte die Roleta, die Erde oder zumindest die nach Berengar folgende Station Tigris, oder die nächste Station Ghandi sich gemeldet. Wir haben sie alle vergeblich angefunkt, aber niemand meldet sich.”

„Das beunruhigende ist, dass wir mittlerweile auch die Verbindung zu Station Berengar verloren haben”, sagte Winters. „Das war vor zwei Tagen. Entweder pflanzt sich die technische Schwierigkeit fort, oder die Gefahr.”

Clark hatte den Taelon Ho'shin zu sich zur Besprechung gebeten, um dessen Meinung zu hören. Vielleicht konnte der Taelon ihm sagen, ob er seine Artgenossen auf der Erde noch wahrnahm oder nicht. Bislang hatte der aber nur zugehört.

„Technische Probleme fallen leider nicht in meine Kompetenz”, sagte der Taelon, als ihn Clark erwartungsvoll ansah. „Du hast hier mit deinen Fachleuten Matthew Stevens, Nevin Oman und Mary Winters Menschen, die dir sicher diesbezüglich mehr Auskunft geben können. Ich kann nur sagen, dass ich die Taelons auf der Erde zwar prinzipiell noch wahrnehmen kann, allerdings ist die Distanz sehr groß, und da ist neuerdings etwas Seltsames darin, eine Art Verzerrung, was ich zwar vage wahrnehme, was ich jedoch nicht erklären kann.”

„Ich muss davon ausgehen, dass technische Schwierigkeiten binnen einer Woche behoben sein müssten”, sagte Raumfahrt- und Verteidigungsminister Neill Pescatolli. „Wir werden sicherheitshalber wohl oder übel auf Alarmstufe gelb gehen müssen. Leider haben wir noch immer keine Raumschiffe, die die 27 000 Lichtjahre zurücklegen könnten, um nachzusehen. 1600 Lichtjahre ist bislang noch immer das absolute Maximum. Was immer da unsere Portalstationen befällt, ist wesentlich schneller.”

„Ich bedaure, dass kein Taelon mit besseren Kenntnissen über Energiegewinnung und Antriebstechnik überlebt hat”, sagte Ho'shin mit entsprechender taelon-typischer Gestik. „So können wir leider den Menschen keine Hilfe anbieten.”

„Berengar, das ist von uns etwa 24 000 Lichtjahre entfernt und von der Erde etwa 3000 Lichtjahre. Die abgestrahlten Reisenden vor drei oder vier Wochen kamen aber auf der Erde an?” fragte der Premier.

„Das wissen wir nicht”, sagte Pescatolli. „Alles was wir sagen können ist, dass die letzte Gruppe die 36 Stunden auf Berengar abgewartet haben, bis die Energiedepots der Station genügend aufgeladen waren für ein Portal zurück. Die Portal-Reisen wurden selbstverständlich von London aus mittlerweile eingestellt.”

„Die Entfernung von der ausgefallenen Station Tigris nach Berengar beträgt etwa 750 Lichtjahre”, sagte Oman. „Sollte sich uns von da etwas nähern, so tut es das mit mehr als 100 Lichtjahre pro Tag. Dann müsste demnächst die Station Platon in vier bis fünf Tagen ausfallen. Dann wissen wir genau, ob Schwierigkeiten auf uns zukommen.”

„Ich werde die Portalstation Platon warnen”, erwiderte Pescatolli. „Mehr können wir nicht tun. Notfalls müssen die Leute die gefährdete Station raschest verlassen.”

 
* * *
 

Seit ein paar Tagen war das Beiboot „Nr. Acht” der Roleta unterwegs zum Planeten mit der verschollenen Stadt London im Hely-System, welches sich wie die Erde im äußeren Arm der Milchstraße befand, allerdings 27 000 Lichtjahre vom Sol-System entfernt. Paula Hofmann, Sergej Koljow und der Taelon Nor'ren befanden sich in den kleinen Kabinen und schliefen, während Onzo Kyriaki und die Ärztin Me'win die Stellung hielten. Das Bordgehirn als Ableger Roletas mit Namen „Nr. Acht” erledigte vollautomatisch den Flug, so dass Onzo sich die Zeit im kleinen Steuerraum mit einem Film vertrieb und Me'win mit einem Geschicklichkeitsspiel. Der Weltraum sah zwar faszinierend aus, aber durchaus nicht wenn man ihn tagelang vorbeifliegend ansehen musste.

Ab und zu wurde zwar ein vagabundierender Jaridianscout geortet, doch waren die kleinen robotgesteuerten Vernichtungsschiffe auf der Suche nach zu eliminierende Taelons für das Beiboot viel zu langsam. ‚Irgendwann sollte sie mal jemand entweder aufsammeln oder beseitigen’, dachte sich Me'win, als das Beiboot schon wieder so einen Vagabunden ortete.

‚Wieder so ein langweiliger Tag!’ dachte sich Onzo noch und gähnte. Auf der Roleta gab es weitaus mehr Möglichkeiten zur Ablenkung als in diesem kleinen platzbeschränkten Beiboot. Statt in den Gängen zu laufen musste sich jeder im Beiboot verpflichtend mit einem Laufband abmühen. Wer nicht Wache schieben oder sich körperlich betätigen musste, verschlief gerne den Flug.

Und da stand das Ding plötzlich, direkt vor der Nase der heranfliegenden Nr. Acht. Es sah aus wie ein größer werdender Ball aus sechseckigen Waben zusammengesetzt und schillerte in Regenbogenfarben, wie eben das Sternenlicht auf die Kanten auftraf. Die Automatik berechnete blitzartig einen neuen Passagekurs, um vorbei zu fliegen und verständigte gleichzeitig Onzo und Me'win. „Ich habe dieses künstliche Ding vorher nicht orten können”, entschuldigte sich das Bordgehirn.

„Was das wohl ist?” fragte sich Onzo.

„Ist sehr klein, nur (etwa 15 Meter) groß. Damit etwas kleiner als wir. Ein Beiboot, ein fremder treibender Satellit oder eine Sonde” vermutete Me'win. „Nr. Acht, kannst du es scannen?”

„Leider nein”, sagte die Stimme in Tenor bedauernd. „Es lässt sich kaum orten und messen.”

Sie ließen das Ding hinter sich und flogen weiter. Sie flogen zwar nicht Höchstgeschwindigkeit, hatten aber beide keine Lust, viel Zeit zur Untersuchung zu investieren. Etwa 25 000 Lichtjahre Flug waren immerhin noch vor ihnen. Onzo vertiefte sich wieder in den Film, Me'win in das Spiel.

Und da war das Ding schon wieder da. Wie zuvor in Flugrichtung. Das Schiff bremste mit Vollwerten ab.
„Achtung!” rief das Bordgehirn. „Etwas hält mich fest!”

Nun eilte Me'win nach vorne und setzte sich eilig neben Onzo. „Kannst du nicht vorbeifliegen?” rief dieser.
„Nein!” antwortete das Beiboot.
„Dann gib ein paar Warnschüsse ab. Reagiert das Ding nicht, so zerstöre es!” befahl Me'win.
„Ich kann nicht schießen. Es sendet jetzt einen alten Code, das es als Schiff eines mit den Zefir befreundeten Volkes ausweist. Ein Code des Volkes der „Vier Winde”.
„Es wird Zeit, die anderen aufzuwecken”, befand Onzo und aktivierte einen Alarmknopf.
„Wenn das Ding ein Freund der Zefir ist, warum hält es uns fest? Um mit uns zu kommunizieren?” fragte Me'win.
„Ein Freund der Zefir bedeutet nicht automatisch ein Freund der Menschen”, gab Onzo zu bedenken. „Wer oder was das immer ist, es scheint sich zu wundern, dass wir als Fremde an Bord sind.”
„Es hat alle Lenkvorrichtungen des Beibootes übernommen!” sagte Me'win. „Sieh doch!”

Mittlerweile erschienen etwas verschlafen Paula und Sergej, gefolgt von Nor'ren. Sie nahmen in den Sitzen der Lenkzentrale Platz und ließen sich kurz informieren.

„Wieder Aliens!” schimpfte Sergej knurrig. „Aliens wollen uns entweder zum Ausnützen, zum Auffressen oder zur Fortpflanzung. Wie im Dschungel scheint es im Universum nichts anderes zu geben. Und zu welcher Sorte gehören die da?” Er hasste es, mitten im besten Schlaf aufgejagt zu werden.

„Sei doch nicht so pessimistisch!” sagte Paula. „Wir werden nicht beschossen, oder doch?”

„Zu welcher Sorte gehören wir Taelons deiner Meinung nach?” erkundigte sich Nor'ren leicht beleidigt.

„Rate mal.” Sergej aktivierte einige Anzeigen. „Das Ding hat uns im Schlepptau und fliegt mit uns jetzt wer weiß wohin. Außer Ortung funktioniert von unserer Seite nichts mehr. Wir können nichts machen.”
„Nr. Acht, kannst du nicht dem Volk der Vier Winde alles erklären und darum ersuchen, uns frei zu lassen?” bat Me'win. „Wir müssen eine Mission erfüllen und haben keine Zeit.”

„Was habt ihr die ganze Zeit über hier gemacht?” beschwerte sich Paula. „Da ist eine eigenartige Hintergrundstrahlung messbar, einige hundert Lichtjahre voraus. Kaum feststellbar. Dennoch - Onzo, Me'win, habt ihr nicht auf die Instrumente gesehen?”

„Nun, wir haben nicht die ganze Zeit die Instrumente angestarrt, wenn du das meinst, Paula” erwiderte Onzo Kyriaki. „Aber wäre das Phänomen schon früher messbar gewesen, hätte es uns Nr. Acht schon gesagt.”

„Das Volk der Vier Winde kann euch leider die Weiterreise nicht gestatten”, berichtete das Bordgehirn das, was ihm das fremde Raumschiff übermittelte. „Ihr habt selbst die soeben messbar gewordene Hintergrundstrahlung entdeckt. Die Weiterreise darüber hinaus hätte schlimme Folgen. Stattdessen ladet euch das Volk der Vier Winde ein, ihm zu einer Basis zu folgen, die das Volk hier in der Nähe angelegt hat. Dort werdet ihr weitere Erklärungen bekommen.”

„Ich denke, wir haben ohnehin keine andere Wahl, als dieser Einladung Folge zu leisten?” fragte Me'win.

„Das ist richtig”, sagte das Bordgehirn. „Ich muss die Koordinaten anfliegen. Da ist nichts zu machen.”

 

Ende von Kapitel 5

 

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