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  „Höllenengel” von Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Februar 2004
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Während die nun manifestierte H.A.P. die Delegation Da'ans als Geisel hält und Gefangene exekutiert, und Liam die Fehler der Vergangenheit zu beheben versucht, jagen Zo'or und Gefolge dem Vermächtnis von Ma'el und der Kimera hinterher, um die H.A.P. und die Dunkelmächte bekämpfen zu können.
Zeitpunkt:  das Jahr 2345
Charaktere:  H.A.P.- Major Svenson, Da'an und Mi'nou; Alex J. „Augur” Chevelleau, Haggis und das Zefirschiff Roleta; die Taelons Zo'or, La'lin, Ha'ron; die Crewmitglieder Andrea Anderson, Norbert Becheau, Ji-Won Park, Rudi Völla; Sy'la mit den Töchtern Alexa und Kristin, die Jaridians Je'dir, Hakar, Veljana und Bashay; Renée Palmer, Liam Kincaid, der Atavus-König Yulyn, Ma'el, Briggana, ein schwarzer Mann und die Alten Völker.
 
Warnung: Diese Geschichte beinhaltet Gewaltszenen.
 

 

HÖLLENENGEL

Kapitel 4

 

(Im Jahr 2345, in einem irdischen überdachten Gefangenenlager:)
„Und daher müsst ihr erkennen, wie unnütz eure Sentimentalität ist!” beendete Major Svenson seine Rede. „Entweder ihr gehört zur auserwählten Rasse oder ihr seid inferior. Beweist, dass ihr zur auserwählten Rasse gehört! Na los!”

Mi'nou hielt zitternd die Waffe fest. Hinter ihr standen ihre Freunde, und Da'an. Wie jede Woche, mussten sie bei diesem Zeremoniell anwesend sein. Inferiore oder solche, die zur Bestrafung, Brechung oder Exekution angemeldet waren, wurden vorgeführt. Die zur Umerziehung vorgesehenen Menschen - und in diesem Fall Taelons - mussten dabei zusehen oder bei den perfiden Handlungen mitmachen. Wer nicht mitmachte, wer zu sentimental war, landete früher oder später selbst da vorne in der Arena in der Rolle zur Brechung, Bestrafung oder Exekution.

Brechung bedeutete physische und psychische Folter, wobei auch gefangene Angehörige teilnehmen mussten. Gebrochen wurden aufmüpfige Inferiore oder solche, die man in den Wahnsinn treiben wollte, als Vorbereitung zur Gehirnwäsche. Zuvor musste man diesen Menschen erst den Willen und das positive Selbstbild brechen. War jemand selbst zu stark dafür, wurden an seiner statt andere gequält, die er selbst pro forma als Teil der psychischen Folter aussuchen musste. Kinder, Partner, Freunde, Bekannte. Damit wurde er langsam oder sicher moralisch selbst zerbrochen.

„Was soll das, Mi'nou?” fragte Major Svenson. „Schon wieder weich heute, was? Schon wieder sentimental? Wie oft habe ich dir schon gesagt, es nützt dir gar nichts, nicht selbst zu schießen. Wenn du den Kerl da nicht erschießt, wird er zu Tode gefoltert. Also erlöse ihn, los, tue es!”

‚Höre nicht auf ihn, Mi'nou, mein Kind’, hörte sie Da'an gedanklich. ‚Jeder ist in der Hand des Schicksals, und was immer er sagt, es liegt nicht an dir und schon gar nicht ist sein Schicksal deine Schuld.”

Der Neo-Taelon kamen die Tränen. Sie versuchte, sich mit letzter Kraft zu beherrschen, um nicht selbst bestraft zu werden. Der Mann dort unterhalb von ihr sah bittend herauf. Besser tot als Tortur, stand in seinen Augen. Sie kannte ihn aus dem Lager. Vor einem Jahr bei seiner Einlieferung war der Bursche noch ein lustiger Kerl gewesen, zu lustig, fanden die Machthaber. Lustig sein war Schwäche. Gefühle zu haben war Schwäche. Mitgefühl zu haben war Schwäche. Körperliche Makel waren Schwäche. Die Machthaber wollten starke Menschen ohne ethische Skrupel heranziehen. Solche, die herrschen über solche Inferiore, die zu dienen hatten. Das bedeutete Zuchtauslese. Das natürliche Gesetz des Stärkeren. Herrenmenschen hatten keine Skrupel zu haben.

„Schieß endlich, schieß!” schrie sie der Major an. „Du kommst aus einem Volk der Atavus! Sei doch keine Meme! Vergiss das degenerierte taelonische Geschwätz, werde wieder zu dem, was du immer schon warst! Atavus nehmen Leben, um zu überleben. Tu es!! TU ES!!!!”

Mi'nou zitterte und senkte kurz den Lauf der Waffe, fing zu weinen an, und dann erschoss sie den Mann. Der Energiestrahl verbrannte seinen Kopf, der Torso fiel nach hinten. Der Major nahm ihr zufrieden die Waffe ab und schloss sie belohnend in die Arme in scheinbarer geheuchelter Zuneigung. „Siehst du, so ist es brav! Ging doch ganz leicht! Liegt in deiner Natur, zu töten, nicht wahr? Du bist eben stark, zum Herrschen geboren, nicht zum inferioren Sklaven. Sagte ich doch!” Er ließ sie los und wandte sich zu den anderen, die dahinter standen. Da'an sah regungslos zur weinenden Mi'nou, sandte ihr aber unsichtbar ein paar tröstende und verstehende Impulse.

„Nun, seht ihr, wie leicht man degenerierte psychische Programme und Gebote beseitigen kann?” fragte der Major in seinem ärmel- und kragenlosen schwarzen Lederhemd triumphierend. Sein Rang war ihm in Form von schwarzen und roten Tiergestalt-Tätowierungen auf die kräftigen Schultern und der Brust eintätowiert. „Wir werden das solange üben, bis ihr das in eurem Instinkt habt! Schwächlinge haben in unserer Kultur keine Existenzberechtigung.”

Sie wurden wieder zu ihren Zellen gebracht. In den Jahren der Gefangenschaft hatte Da'an bereits oft bereut, jemals auf die Erde gekommen zu sein. Wer weiß, welchen Verlauf ihr Leben als Taelons genommen hätte, wären sie nicht den Spuren Ma'els gefolgt oder wären sie wenigstens der Erde ferngeblieben. Vielleicht hätten sie doch noch ein geeigneteres Volk gefunden...

An Bord der Roleta war man nach der Zerstörung des Tzek-Imperiums 2325 zurück zur Erde geflogen. Die Erde war durch die Tzeks und der VOKS ziemlich verwüstet worden. Ein Drittel der Menschheit hatte den Tod gefunden. Am Anfang schien das Schicksal der Erde, entsprechend geleitet durch eine Weltregierung, einen guten Verlauf zu nehmen. Regionale Parteien und Regierungen bildeten sich. Überall wurde gebaut, und die Menschen versuchten mit einer erhöhten Geburtenrate instinktiv die Verluste wettzumachen.

Die Taelons machten die Menschen neugierig, und so befassten sich viele mit der Kultur des 21. Jahrhunderts. Und während dieses Interesses stieß man auf einige Bücher eines Piet A. Camdsten aus Norwegen, geschrieben zu Anfang des 21. Jahrhunderts, kurz nachdem die Taelons, Jaridians und Atavus von der Erde verschwunden waren. Camdsten war ein Mitglied einer berüchtigten internationalen Gang gewesen. Groß, kräftig, mit wildem Bart und Outfit, mit Motorrad, in schwarzem Leder mit Nieten und Ketten. Ja, und dann kam der Unfall in den USA und vorbei war die Herrlichkeit. Zurück blieb dann ein frustrierter, zorniger, gewalttätiger und alkoholsüchtiger verkrüppelter Mann, der zwar heiratete, aber Frau und Kindern, zurück in Norwegen, ein furchtbares Leben bereitete. Nachdem diese ins Frauenhaus geflüchtet waren und die Scheidung ausgesprochen worden war, schrieb Camdsten ein paar Bücher, in denen er die Gesunden, Starken und Skrupellosen verherrlichte. Am Ende brachte er sich nach einem verpfuschten Leben selbst um.

Die Kinder aus solchen Verbindungen werden entweder wie die Eltern oder das genaue Gegenteil. Die Kinder aus dieser speziellen Verbindung hielten sich an die Ideale aus den Büchern ihres Vaters, schlossen sich ihrerseits dieser kriminellen Gang an und strukturierten sie zu einer Partei um. Woanders wäre die neoliberale, nationalistische und gewaltverherrlichende Partei verboten worden, nicht so aber in Skandinavien, wo die Meinungsfreiheit hochgehalten wurde. Okay, im Laufe der nächsten sechs Generationen schlief die Partei des öfteren ein, wurde verwässert, gespalten und umbenannt, wurde wieder von anderen Anhängern vereinigt... wie es mit anderen politischen Ideen auch geschah. Aber wie um alles in der Welt konnte es geschehen, dass die Partei bis zur VOKS einen solchen internationalen Zulauf erhalten hatte? Vielleicht, weil Piet Camdsten III. und seine Schwester Margret Cost-Camdsten geniale Propagandisten der alten, überholten, verstaubten Ideen waren? Weil sie, ganz den Prinzipien aus dem Buch folgend, ihren ganzen Reichtum benützten, um die Medien weltweit zu manipulieren? Internationale Politiker Politik zu ihren Gunsten machen ließen? Weil sie den Großteil der globalisierten kriminellen Banden, die Prostitution, den Drogen- und Medikamentenmarkt, die Energieressourcen, die großen Bankgeschäfte beaufsichtigten?

2330 war der große Putsch passiert. Die Bevölkerung bekam das gar nicht richtig mit. Plötzlich waren überall neue gewählte Politiker im Amt, und ein paar Monate später herrschte das Pärchen Piet und Margret ganz offiziell als „Imperiale Gewalten” finanziell, politisch und gesellschaftlich über die ganze Welt. Und die Welt teilte sich auf in dominierende Befürworter, Reiche und Mächtige - den „Kings” - mit ihren Anhängern, den „Burgern” und „Kriegern”. Und den Inferiores - das waren 1. alle oppositionellen Kritiker und widerspenstige kleine Staaten, 2. arme Leute und ausgestossene Ex-Anhänger, und prinzipiell 3. alle Schwächlinge und Behinderte. Die ideologische Doktrin war, dass die Starken regieren und es sich gut gehen lassen sollten, während die Inferiores nur den Zweck hatten, zu arbeiten, zu dienen und zu sterben. Inferiores waren Nutzvieh, sonst nichts. Sklaven. Man gab ihnen gerade genug, dass sie weiterleben konnten, sofern sie arbeitsfähig waren. Die Starken durften hingegen alle Mittel einsetzen, um die Macht zu ergreifen und zu behalten. Ethische Bedenken gab es nicht.

Die normale Bevölkerung wurde, bis auf einige noch unerschlossene Gebiete, inzwischen nahezu lückenlos überwacht und zur Arbeit angetrieben. Große sechsbeinige krakenartige Roboter patrouillierten „aus Sicherheitsgründen” mit den Kriegern durch die Straßen und Produktionsstätten, auf der Suche nach „Terroristen”. Pausenlos prasselte Werbung und Propaganda auf die Menschen nieder - auch in Form von suggestiven, unbewusst wirkenden versteckten Botschaften, wie zum Beispiel „Tod allen Sozialschmarotzern”, „Gott liebt nur die Starken”, „Fleiß ist alles!”, „Frauen gehören den Kings” oder „Inferiores haben zu gehorchen!” Wasser und Salz wurden willensdämpfende Drogen zugesetzt. Die Kinder wurden vom Staat im Sinne der Doktrin aufgezogen. Die Religionen waren verboten beziehungsweise an die offizielle Doktrin angepasst worden. Die Geschichte wurde umgeschrieben, alte Bücher auf den Verbotsindex gesetzt. Noch in Vorbereitung waren zu implantierende Marks für alle Inferiores, wie man sie früher Haustieren eingepflanzt hatte.

2330 war die Machtergreifung. Er kam überfallsartig durch bewaffnete politische Verschwörer, was die Medien natürlich niemals berichteten. Einige Politiker verschwanden danach spurlos, die anderen spurten. Unglücklicherweise war gerade damals eine Delegation mit Da'an von der Roleta auf der Erde gewesen. Und seitdem waren diese Crewmitglieder Gefangene und Geisel der Imperialen. Bei jedem Befreiungsversuch von Seiten der Roleta war ein Mitglied der Delegation zur Warnung exekutiert worden.

 
* * *
 

(Auf der Roleta:)
„Gute Neuigkeiten für euch”, berichtete Roleta ihren drei speziellen „Gästen”. „Ihr seid keine Klone, und es war mir absolut unmöglich festzustellen, dass eure Erinnerungen in irgend einer Art manipuliert worden wären. Ko'lan, Ka'sar und Mur'ru und bestätigten ebenfalls, das du” - damit sah sie Zo'or an - „tatsächlich die merkwürdig mutierte Taelon bist, wie behauptet. Wieso ihr nun plötzlich alle drei noch am Leben seid, ist nur durch eine vage Theorie erklärlich.”

Sie befanden sich in der Zentrale des Schiffes mit den bequemen farbigen Sofas und den Tischchen, wo sich etwa ein Drittel der Crew eingefunden hatte, um sich ebenfalls zu informieren.

„Aus einem Paralleluniversum kommt ihr nicht, wie schon berichtet. Daher bleibt theoretisch nur eine noch Möglichkeit - eine Zeitmanipulation”, setzte Ko'lan fort. „Würde einem von uns die Zeitmanipulation von alleine bewusst werden, so würde das Raum-Zeitgefüge bereits kurz vor dem Zusammenbruch stehen. In der Theorie passt bei einer gelungenen Zeitmanipulation alles zusammen. Selbst wenn die Zeit hunderte Male manipuliert würde, wäre uns das nie bewusst. Unerklärliche Dinge hat es zwar immer wieder unter den Völkern gegeben, doch werden sie selten mit Zeitreisen in Verbindung gebracht. Für uns erscheint der Zeitablauf immer völlig normal und linear. Bei euch ist es etwas anderes - ihr habt eine Erinnerung an „früher”. Als ob ihr überhaupt nicht hierher gehören würdet. Vielleicht, weil ihr in dieser Zukunft tot seid.”

„Eine ziemlich verwegene Spekulation!” meinte Alex „Augur”. „Wäre die Zeit geändert worden, dann müssten wir hier mausetot sein, so wie es allen hier in Erinnerung ist. Wieso sind wir es nicht?”

„Es klingt verrückt”, spekulierte Haggis weiter. „Aber wir waren im Interdimensionstunnel, als es passierte. Außerhalb des herkömmlichen Raumes, und damit außerhalb der Zeit. Das ist die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt.”

„Und das Aberwitzige daran: Faktoren in diesem Universum passen sich euch bereits an. Historische Daten verschwinden. Möglicherweise werden wir diese Dissonanz der Raum-Zeit einfach bald „vergessen”, mahnte Roleta. „Wie bei euch gab es in unserem Zeit-Universum Fälle von Halluzinationen und Wahnvorstellungen bei hellsichtig veranlagten Personen. Jedenfalls dachten wir, diese Personen seien krank, weil sie für alle anderen plötzlich falsche Erinnerungen hatten. In Wahrheit müssen sie die Zeitmanipulationen wahrgenommen haben.”

„Das führt uns direkt zur Frage, wer hier ein Interesse daran haben sollte, die Bedingungen des Lebens auf der Erde zu verändern”, sprach Mur'ru das Problem aus. „Jemand, der die Zustände verbessern möchte? Oder verschlechtern? Kann man das auf der Erde überhaupt noch?”

„Mann, ich hätte nie gedacht, dass Mitglieder einer Motorrad- und Rocker-Gang nach ihrer Spezialisierung auf Prostitution, Drogen, Schutzgelderpressung und ultranationale Sprüche im 20. Jahrhundert jemals in Skandinavien eine eigene politische Partei gründen würden. Und dass diese „Hells Angels” je die Weltherrschaft übernehmen würden”, warf Augur ein und schüttelte sich vor innerem Grausen. „Ich dachte immer, die Zukunft gehöre den Konzernen, nicht den Kriminellen.”

„Wo ist da der Unterschied?” wunderte sich Roleta. „Die oberen Mitglieder der ‚Partei der Höllenengel’, die Kings, sind sehr reich und kontrollieren nicht nur Wirtschaft, Politik und Justiz, sondern auch die Medien. Für das Grobe hat die H.A.P. ihre Krieger-Milizen. Alle Mitglieder sind offizell wohlangesehen und rechtlich abgesichert, und doch sind die Höllenengel in meinen Augen nur Kriminelle.”

„Das ist nicht die Welt, für die ich mich eingesetzt habe, sagte Zo'or seufzend. „Eine gemeinsame Welt für alle unsere Nachkommen. Die Menschen sind offenbar nicht imstande, eine zivilisierte Kultur längerfristig zu garantieren. Bei kleinsten Ereignissen werfen sie die guten Vorsätze über Bord. Und errichten eine Gewaltherrschaft. Oder wie soll man sich das sonst erklären.”

„Ich weiß, die einzige positive Herrschaft für dich wäre die Diktatur der Taelons”, giftete Haggis.

„Es sind nicht die Menschen alleine”, sagte Sy'la, die endlich ihre Scheu vor „Gespenst” Zo'or abzulegen schien, die da mitten in der Zentrale - als Neo-Taelon-Frau! - vor dem Holo-Bildschirm stand. „Diese mehrfüssigen Kontrollrobots basieren auf einer völlig fremden Technologie.” Sie hatte sich vom Sofa erhoben und war näher zur Zentrale-Mitte gegangen, um mitreden zu können. Im Hintergrund hörte sie ein Raunen.

„Was verstehst du denn von Technologie, Sy'la”, hörte sie eine der Laborantinnen nach vorne rufen.

„Sy'la hat schon recht”, nahm sie Roleta in Schutz. „Die Roboter sind für Menschen aus diesem Jahrhundert, selbst wenn wir die technischen Einflüsse der Taelons und Jaridians dazurechnen, viel zu fortschrittlich. Selbst das Volk der Zefir hätte Probleme mit ihnen gehabt. Es sind geradezu hochintelligente unzerstörbare Individuen ohne jegliche ethische Skrupel. Ich habe sie zu scannen versucht. Zu gerne hätte ich mal ein Exemplar genauer untersucht.”

„ICH habe diese Dinger in Aktion gesehen, damals auf der Erde, als wir die Delegation befreien wollten. DU warst nicht dabei, Anca!” gab Sy'la an die brünette Frau im Hintergrund zurück. „Um ein Haar wäre unsere ganze Truppe eliminiert worden.”

„In unserer Zeit gab es zwei Mächte, die die Verhältnisse auf der Erde zu gerne verschlimmern würden”, sagte Zo'or. „Einmal die Fricks - die ihr nicht kennt - und die Dunkelmächte. Auf unserer Zeitlinie haben diese zwei Mächte die Quantenintelligenz gegen die Menschen einzusetzen versucht. In dieser eurer Zeit ist das nie geschehen.”

„Quantenintelligenz?” fragte Andrea Anderson zweifelnd. Sie hatte sich zuwenig informiert.

„Ja, ihr habt davon erzählt”, erwiderte Roleta. „In unserer Zeit starben weltweit Hunderte Millionen von Menschen in den Umerziehungslagern nach der Machtergreifung. Dafür sind nie blaue Kristalle hier aufgetaucht. So etwas wie den schwarzen Schatten eines Raumschiffes, wie von euch geschildert, habe ich in den letzten Jahren zweimal im Sol-Sonnensystem geortet. Die Schiffe schienen mir überlegen zu sein, und ich war froh, dass sie mich offenbar nicht sahen oder mich ignorierten. Sie flogen einfach auf dem kürzesten Weg durch das Sonnensystem und verschwanden danach in eine fremde Dimension. Ich hielt sie nur für fremde Beobachter auf Erkundigungsflug.”

„Sehr bequeme Schlussfolgerung!” sagte Zo'or mit einem finsteren Blick auf den großen 3-D-Schirm, der die Erde anzeigte. „Sollten sich die Dunkelmächte auf der Erde selbst eingenistet haben, so ist dieser Planet zu bedauern. Sie sind ein sehr mächtiger Feind. Aber der Annexion passiv zusehen werden wir gewiss nicht mehr. Dieser Planet gehört schließlich uns!”

 
* * *
 

(Ferne Vergangenheit, in einem Sternsystem in einem Kugelhaufen nahe der Muruwa-Galaxis:)
Der innere Krieg war unvermeidlich. Yulyns Weg war nicht nach dem Geschmack der meisten Atavus (= Prä-Taelons). Vom Wesen her Energie-Vampire, waren die Atavus für einen dauernden „Frieden” einfach zu wild. Das friedliche Leben ödete sie an. Okay, sie waren ursprünglich vor den vielen Kriegen, Kämpfen und Verfolgungen geflüchtet und am Ende irgendwie in der Zukunft gelandet, wo sie auf der Erde im Koma-Schlaf verharrt waren. Durch Ra'jel und Liam waren die Atavus wieder in ihre eigene Zeit zurückgeführt worden.

Vor etwa 25 Jahren hatten die Atavus endlich in einem anderen Sonnensystem einen für sie geeigneten Planeten gefunden und begonnen, ihn zu kolonialisieren. Renée Palmer, mittlerweile eine reife ältere Frau, und Liam Kincaid lebten auf dem Taelon-Mutterschiff, da Renée beim besten Willen die Begebenheiten auf den Planeten nicht so gut vertrug wie die Atavus oder Liam. Mit Sorge hatte Renée beobachten müssen, wie die Autorität von König Yulyn dahinschwand. Ein Teil der Atavus wollte nach Hause zurückkehren und sich dem Heimatvolk wieder anschließen, und wenn das auch hieß, sich den dortigen Machthabern zu beugen. Die Machthaber führten mit vielen Spezies Krieg, sammelten Sklaven und konnten ihre Neigungen über eroberte Völker ungehindert ausleben - was bedeutete, sie raubten deren Güter und Lebenskraft. Aber immerhin - es war immer etwas los...

Dank Renée und Liam wurden etliche Putschversuche gegen Yulyn vereitelt. Yulyn selbst hatte sich ebenfalls geändert. Er war nicht mehr der junge Teenager, der in Renée den Mutterersatz sah, sondern stand in der Blüte seiner Jahre, was nichts anderes bedeutete, als dass er einen Reigen aus Konkubinen aus der gehobenen Schicht um sich versammelt hatte, die alles daransetzten, Renées Einfluss auf den König zu brechen. Jede erhoffte sich, einmal Königin zu werden. Dazu hätten sie aber eine außergewöhnliche Leistung vorweisen müssen.

Renée hatte immer wieder ihr eigenes Leben überdacht und die Summe der Entscheidungen, die sie getroffen hatte. Einige würden heute nicht mehr so ausfallen, wie damals. Sie war immer eine überzeugte Menschenfrau gewesen, die alles wollte, nur keine Aliens auf der Erde. Die eigentlich nur Karriere machen und eine Familie gründen hatte wollen. Und was war herausgekommen? Sie hatte die ganze Zeit über ständig mit Aliens zu tun. Sie hatte nie Kinder bekommen. Der einzige Mann, der wie ein Mensch wirkte, war Liam. Nur dass der als Teil eines übergeordneten Kollektivs offenbar ständig für längere Zeit verschwand. Genauso wie Ra'jel, bis der eines Tages gar nicht mehr wiedergekommen war. Renée hätte zwar die Konkubine eines leidenschaftlichen Atavus werden können, aber... die waren nicht wirklich ihr Fall. Liam hatte ihr Reisen versprochen. Nach einigen Jahren waren die Reisen mit dem Taelon-Mutterschiff zuende gewesen! Seitdem lebte sie die meiste Zeit im Schiff und bewunderte vom Fenster aus den grün-beigen Planeten da unten. Ach, wie sehr sie die weißblaue Erde vermisste! Wenn das inzwischen desolate Schiff wenigstens die Taelon-Kinder in Geburtsreife weiterwachsen hätte lassen... aber das Schiff gab die Kinder auch jetzt instinktiv einfach nicht frei. Worauf wartete es eigentlich?

Die Frau erinnerte sich zurück. Die erste Überraschung damals für Renée war, dass Liam aufgetaucht und sie mitgenommen hatte - richtig, auf seinen Weltraumtrip mit dem Taelon-Mutterschiff voller Atavus. Von der Zeitreise in die fernste Vergangenheit hatte sie erst hinterher gehört. Die zweite Neuigkeit war, dass sie nie wieder zur Erde zurück konnte. Die Erde war nicht nur Millionen von Lichtjahren entfernt, sondern auch in der Zukunft. One-way-ticket. Liam als Teil des Taelon-Jaridian-Mensch-Kimera-Kollektivs konnte immateriell jederzeit die Raum-Zeit verlassen - nicht aber Renée. Und als sie darauf bestand, dass sie zurück wollte, egal wie, musste ihr Liam beichten, dass sie auf der Erde hätte sterben sollen. Am selben Tag, an dem sie abgeflogen waren. Kincaid hatte das gewusst und geglaubt, das nicht zulassen zu können. Er hatte gedacht, ihre Rettung wäre barmherzig gewesen. Eine gute Tat - was für ein Zynismus! Nun, wie auch immer, - ein Wiederauftauchen einer lebenden Palmer auf der Erde hätte ein Zeitparadoxon zur Folge gehabt. So hatte es Liam erklärt. Der einzige Weg zurück war der als Leiche. Also war Renée dem Hybriden dankbar gewesen - anfangs. Da hatte sie nicht gewusst, wie allein und einsam sie einmal sein würde.

Als Liam das nächste Mal auftauchte, schlug er vor, mit Renée den Planeten mit dem Schiff zu verlassen und wieder die Entdeckungsreisen aufzunehmen. Die Zusammenarbeit mit den Atavus war nicht mehr erforderlich, seine geheimen Tätigkeiten für das Kollektiv waren vorerst beendet, und Renée hätte längst einen geeigneteren Planeten verdient, als es dieser hier war. Liam sah noch immer aus wie früher: wie Ende Zwanzig. Ein Wesen aus dem Kollektiv alterte nicht. Gealtert war nur sie, und sie hatte keine Lust, sich durch technische Möglichkeiten künstlich verjüngen zu lassen. Aber wenigstens würden sie den neuen Atavus-Planeten endlich verlassen.

An dem Abend, als Yulyn sich zum Abschied einfand, stürmten die Atavus das Schiff. Es gelang zwar Renée, einige der Angreifer zu erschießen - so auch den Anführer der Revolte, Valun. Aber auch Yulyn war tot. Und Renée wurde tödlich verletzt. Liam kam zu spät. Als die Atavus endlich von Bord geworfen worden waren, blieb ihm nichts anderes übrig, als Renée ein Weltraumbegräbnis zu geben und das Schiff so zu programmieren, dass es über der Erde auftauchen würde - etwa im Jahre 2320. Dann begab er sich traurigen Herzens zurück ins Kollektiv.

Die Atavus mussten weiter auf dem Planeten ausharren, jedenfalls solange sie sich kein neues Schiff gebaut und eine Funkverbindung mit einer Prä-Taelon-Welt hergestellt hatten. Und so sollte es auch sein: aus der von Ra'jel und Yulyn vermittelten Idee des „Friedens” würde über Umwege die Taelon-Bewegung des Ra'maz entstehen. So gesehen war Yulyn einer der Urväter der späteren Taelons in der Muruwa-Galaxis.

 
* * *
 

(Irgendwo im Universum, auf einer geistigen, der Raum-Zeit übergeordneten Ebene:)
„Dieser Fehler hätte niemals passieren dürfen!” tadelte die Vertreterin des Volkes der Beria geistig. „Der Einzelne muss geopfert werden, wenn es das Wohl des Ganzen erfordert. Der Gesandte der Kimera hätte die Frau nicht mitnehmen dürfen!”

„Zu spät bemerkt”, erwiderte der Vertreter des Kimera-Kollektivs. „Ein Paradoxon durch eine zuvor erfolgte Zeitmanipulation. Die Frau hätte einerseits sterben müssen - andererseits wäre ohne sie Yulyn in der Vergangenheit zu früh gestorben und die Taelons wären in dieser Form nie entstanden. Das hätte für das Universum noch gravierendere Folgen gehabt. So ist nur ein Planet von einem potentiellen Paradoxon betroffen.”

„Das mit den Atavus ist nicht unbedingt gesagt. Yulyn hätte auch ohne diese Menschenfrau möglicherweise lange genug überlebt, um seine Ideen weiter zu geben”, bestritt der Vertreter der Zazas. „Die romantische Anwandlung des Gesandten hat nun weitreichende Folgen. Das geschah nicht aus Überlegung heraus.”

„Die Prä-Taelons hätten in ihrem Zeitkontinuum bleiben müssen!” gab das Volk der Vier Winde telepathisch zu Bedenken. „Das ist der Ursprung des Problems. Yulyns Mutter wäre nicht erkrankt und hätte als Königin und Mitregentin die Idee des Friedens an ihre Anhänger weitergeben sollen. Das spätere Schicksal ihres Sohnes wäre dadurch zweitrangig.”

„Wären die Prä-Taelons andererseits nicht auf der Erde gestrandet, hätten sie nicht weitere genetische Manipulationen an die Hominen vornehmen können. Die Menschen hätten sich etwas anders entwickelt. Und ihr wisst, dass diese Spezies benötigt worden ist. - Das Problem der Zeitmanipulation ist sehr komplex”, hallte es geistig von einem weiteren Volk her.

„Das wahre Problem sind die Wissenspeicher der Kimera, die die Dunkelmächte mißbrauchen. Kein Volk hat sich so mit Zeitreisen befasst wie die Kimera. Entweder es findet sich ein Erbe für die Speicher, oder sie gehören vernichtet”, meinten die Zazas. „Die drei ins Auge gefassten Kandidaten unter den Spezies als Erbfolger sind noch nicht dazu geeignet.”

„Sie sind unsere Erben im Raum-Zeit-Kontinuum”, beharrte das Kimera-Kollektiv. „Es ist nicht ihre Schuld, dass die Dunkelmächte die lineare Zeit manipuliert haben. Das diesbezüglich entwendete Gerät wurden ohnehin inzwischen vernichtet. Mein Gesandter hat auf sein Herz gehört, das ist wahr - aber so wollte es offenbar das Schicksal selbst, wie es sich erwiesen hat. Ihr sucht einen Schuldigen? - Es gehören die Dunkelmächte endlich in dieser Region in ihre Schranken verwiesen!”

„Du weißt es: selbst die Dunkelmächte erfüllen einen Zweck. - Das Große Rätsel verschleiert seine Ziele - und doch geschieht das, was vorgesehen ist. Es würde mich gar nicht wundern, wenn das Schicksal selbst das Paradoxon gegen den Urheber richtet”, orakelte der Vertreter der Zazas. „Mögen die Tropfen hin und her springen, das Wasser fließt als Ganzes ja doch im vorgesehenen Flussbett.”

 
* * *
 

(Erde, Fortsetzung Vergangenheit:)
Liam materialisierte mit dem Zeitortungsgerät auf einer hügeligen Ebene, auf der da und dort große Felsbrocken lagen. Er hob dem Kopf und sah sich um. Diese Gegend war ihm irgendwie - vertraut. Und dann wusste er es: das war Irland, die Midlands. Nur bewaldeter als in seiner Erinnerung. Das Land, in dem Ma'el seine letzten Jahre verbrachte. Etwa 250 v. Chr. Also war der Vertreter der Dunkelmächte nun auf Ma'el aus. Wo war dieser Schatten?

Er beeilte sich, in Deckung hinter einem Felsen zu gehen, damit wenigstens sein Rücken abgeschirmt war, und hob das Ortungsgerät zur besseren Peilung. Der Schwarze mit dem gestohlenen Zeitsprunggerät war weiter westlich. Er wusste mittlerweile ganz genau, dass die Kimera eine Raum-Zeit-übergreifende Methode besaßen, ihr entwendetes Gerät zu orten. Solange das Gegengerät in der Gegenwart in Betrieb war - und dieses stand „jetzt” auf einem Planeten der Fricks namens Mentobia - konnte der Fremde mit dem „Springer” in die verschiedensten Erdepochen „zappen”. Der Springer war eine mobile Teleportationsvorrichtung durch die Zeit, und gleichsam auch durch den Raum, allerdings räumlich beschränkt. Die Dunkelmächte hatten den Springer als überdimensionales Verbindungsgerät zur großen Zeitreisestation auf Mentobia eigens darum zur Erde fliegen müssen, um auf der Erde damit tätig werden zu können. Das stark strahlende Zeittor selbst hatten sie „jetzt” bislang nicht auf der Erde zu installieren vermocht. Das wäre den Erdstreitkräften aufgefallen. Für den Fremden, der durch die Erdepochen zappte, verging in der „Jetztzeit” nur die von ihm erlebte Zeit auf der Erde, also bislang erst einige Stunden, alles in allem. So gesehen war noch nicht viel „echte” Zeit seit dem Beginn des Zappen vergangen. Liam konnte nur hoffen, dass er die meisten Manipulationen der Zeit rückgängig machen habe können.

Das Ziel der Dunkelmächte war klar: sie wollten die Evolution der Menschheit zunichte machen. Ob mit einem Kometen, ob mittels Transfer von Atavus, ob durch Morde, Bomben oder deren Vereitelung. Die Rechnung war einfach: keine Menschen = keine Einigung von Taelons und Jaridians, keine Kimera-Nachfolge, keine Vereitelung der VOKS, keine Vernichtung der Tzeks, keine Befriedung der Quantenintelligenz... Kurz gesagt, ein heimtückischer Anschlag auf die Agenden der Alten Völker. Die Dunkelmächte wussten dabei ganz genau, dass Zeitmanipulationen riskant waren und deren Rückgängigmachung noch eine Spur riskanter, denn ein Zeitparadoxon wurde diese betreffenden Regionen aus dem Raum-Zeit-Kontinuum fegen.

Während somit Liam beschäftigt war, das Raum-Zeit-Kontinuum zu erhalten, waren andere ( das heißt die Crew der Roleta im Jahre 2334) in der „Jetzt”-Zeit dabei, auf Mentobia das Zeittor abzuschalten - so die Information. Solange musste der Mensch-Kimera-Mischling durchhalten und dem schwarzen unmateriellem Schatten nachjagen, der in den Erdepochen in den verschiedensten Gestalten auftrat. Dessen Manipulationen zunichte machen.

Der große schlanke dunkelblonde Mann folgte der Ortungsspur nach Westen. Über seiner dunklen Kampfmontur hatte er viel Wollstoff zu einem Überwurfmantel gewickelt in der losen Art, wie die einfache Bevölkerung ihn in dieser Zeit trug, um nicht aufzufallen. Dank der Macht des Kollektivs waren solche kleinen stofflichen Manifestationen von Vorstellungen möglich. So unterwegs, kam er zu einem Hain mit alten Laubbäumen, in dessen Mitte eine alte steinerne Kultstätte stand. Offenbar fand dort im Hain gerade ein Ritual stand. Da auch andere Pilger zur Festlichkeit unterwegs waren, wunderte sich niemand, einen Fremden unterwegs zu sehen.

Liam betrat den Hain, hielt sich jedoch beobachtend im Hintergrund. Und dann sah er den Taelon: er saß, mit einem weiten Leinengewand bekleidet, auf einem etwas erhöhtem Steinsockel, und sah dem Treiben zu: einer Hochzeit. Ganz offensichtlich nahm der Taelon eine Ehrenstellung im Dorf ein, ohne dass die Einheimischen sonderlich viel Angst vor dem kahlköpfigen Fremden zu haben schienen. Für Liam wirkte der Taelon auch irgendwie - anders. Er konnte nicht so recht sagen, warum. Der Taelon lebte offenbar schon lange unter den Leuten, seine Hautfarbe war frisch und er wirkte eigenartig lebendig für einen Taelon. Dann trat auch noch eine Frau hinter ihm und legte ihm ihre Hand auf die Schulter, bevor sie sich neben ihm setzte - allerdings auf einem mit Schnitzereien verzierten Holzstuhl.

Die Jugend tanzte unter einem mit Blumen geschmückten Lindenbaum. Wohl besondere Fruchtbarkeitstänze, zu der andere sangen, rythmisch klatschten, stampften und dabei ihre einfachen Holzintrumente „spielten”: mit Ziegenhaut bespannte Trommeln, Flöten, Rasseln und Klöppel. Währenddessen sprachen die Eingeladenen den gewürzten, mit Honig gesüßten Getreidegebräuen aus Trinkhornen zu. Endlich erschienen Braut und Bräutigam, jeweils von den Vorständen ihres Clans geleitet und blumenbekränzt, und wurden vor der hölzernen Statue der Dorfgottheit geführt. Hier flocht die Priesterin ihnen mit Blumen- und Efeu-Girlanden ihre Hände zusammen und besprengte sie unter einem Singsang mit Salz und dem Opferblut der getöteten Ziege, welches in einer vergoldeten Schale vor dem Altar war. Mit einem der Ziegenhörner berührte die Priesterin den Schoß, den Bauch und die Brust und des Mädchens, wohl um eine reiche Nachkommenschaft zu beschwören. Nach einem gemeinsamen Schluck blutigem Met wurden sie vor Ma'el geführt, der eine kleine Ansprache hielt und sie beide segnete, indem er ihre Häupter berührte und seine Handflächen auf die ihren legte, um ihnen etwas Energie abzugeben.

Der Schatten musste in der Menge sein, nur gab er sich nicht zu erkennen. Er hatte gewiss wieder seine Gestalt verändert. Liam blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Wenn sich die Menge auflösen würde, war der Schatten leichter auszumachen. Er blieb daher einstweilen weiter stehen und sah zu, wie ein Teil der Ziege der Dorfgottheit als Brandopfer gegeben wurde, zusammen mit zwei Broten, Äpfel, Met und einem Strauß Feldblumen. Der Rest der Ziege wurde mit einem Wildschwein und Gewürzen am Spieß gebraten. Die Brautleute saßen nun auf Holzbänken mit den anderen Gästen vor eilig aufgebauten „Tischen” - eigentlich waren es einfach Bretter, die auf bereitgestellte Holzgestelle gelegt wurden. Aus einfachen Holzbechern wurde Schnaps reihum gereicht. Die ersten Bratenstücke, vom Bräutigam geschnitten, landeten von der Schüssel auf den flachen Broten der Gäste, die als „Teller” verwendet wurden, und die Knochenstücke erhielten die bettelnden Hunde unter dem Tisch. Eine weiter Schüssel enthielt mit Honig gesüßten Haferbrei, den man mit mitgebrachten Löffeln oder nur mit bloßen Fingern gemeinsam herausschleckte. Auf dem „Tisch” kugelten kleine fleckige Äpfel und Birnen, von der mal der eine, dann der andere abbiß. Dazwischen stand ein großes Stück Hartkäse auf einem Holzteller.

Ab und zu schnappte sich auch eines der vielen umher laufenden Kinder, die am Festmahl nicht teilnehmen durften, eines der Köstlichkeiten und lief davon, verfolgt von einer johlenden Schar von Altersgenossen. Die Gäste schnitten sich die Fleischstücke selbst vom Braten nach, solange Fleisch da war. Die fettigen Finger wurden ins Gewand aus Wolle, Leder und Fellen abgewischt, was den Gewändern nichts ausmachte, sie waren es, schon weit sichtbar, gewohnt.

Ein Mütterchen mit zusammengebundenen strähnig-grauen Haaren, dem die meisten Zähne fehlten, wurde auf Liam aufmerksam und zog ihn zur Tafel: „Bei unserer Hochzeit ist jeder Gast herzlich willkommen. Iß, trink, sei fröhlich!” Jedenfalls muss es nach Liam etwa so gelautet haben. Sie drückte ihm ein angebissenes Brot mit Bratenstück in die Hand und den einen kostbaren Bronzebecher voll Getreideschnaps mit fettigen Lippenspuren und dann hieß es, auf das Wohl des Paares anzustoßen. Liam sagte sich tapfer, dass er gegen die Bakterien und Keime wahrscheinlich immun sei und machte mit.

Da endlich wurde Ma'el seiner ansichtig und ließ Liam zu sich bringen. „Liam - das ist doch dein Name?” fragte er freundlich. Ma'el saß etwas abgesondert, der Würde seiner Stellung gemäß, vor einem rein geschrubbten Holztisch, an dem seine sauber in rotem Wollstoff gekleidete Gefährtin mit dunklen hochgesteckten Haaren hübsch gesittet Brot und Fleisch aß, während Ma'el nur am Getränk aus einem goldenen Becher nippte. „Bitte setz dich zu mir und erzähle.”

„Du kennst meinen Namen?” fragte Liam verwundert.

„Aber gewiss - du hast mir vor Jahrhunderten das Leben gerettet. Und bist mir viele Antworten schuldig geblieben. Aber diesmal wirst du mir mehr erzählen müssen. Verfolgst du noch immer diesen schwarzen Fremden?”

„Ay”, sagte Liam. „Ja. Durch Zeit und Raum. Für mich ist unser Zusammentreffen noch Zukunft.”

„Ich verstehe”, erwiderte Ma'el.

Ma'el war offenbar in den Jahrhunderten „vermenschlicht” - oder von der Sicht eines Taelons aus - atavistisch retardiert. Sentimental und dadurch wieder produktiv, in jeder Hinsicht. Sein enger Kontakt mit Menschen führte über die Mimikry-Fähigkeit der Taelons zu einer körperlichen Manifestation, wie Liam es bei Taelons noch nie gesehen hatte. Ma'el lebte als angesehende Person des Dorfes selbstverständlich mit einer Gefährtin zusammen. Wie das zuging, ohne die Frau zu verbrennen? - Sie sei in allem zufrieden, antwortete Briggana mit einem geheimnisvollen Lächeln.
Im Gespräch mit Ma'el erzählte der die Geschichte seiner letzten Jahrhunderte.

Nachdem er eine Reihe von Jahren gebraucht hatte, um von Asien endlich nach (Irland) zurückzukehren, und sich inzwischen als Arzt, Heiler, Wissender, Lehrer, Prophet und Philosoph durchs Leben geschlagen hatte, hatte er innerlich mit den Taelons gebrochen. Er hatte schon lange keine Berichte mehr zur Synode gesandt, weil er wusste, dass sie die Menschen niemals so sehen würden wie er. Dazu hätten sie erst mit ihnen länger zusammenleben und sich der Gefahr einer Veränderung aussetzen müssen. Was sie ohne Zwang nie tun würden. Außerdem waren die Taelons weiterhin abhängig von Core-Energie. Sie hätten voller Überheblichkeit ihn, Ma'el, wegen der körperlich und emotional erfolgten Transformation nur verachtet.

Da er den Konsum der Core-Energie auf ein Minimum eingeschränkt hatte, war er selbst dem alles dominierenden Einfluss der Quantenintelligenz entkommen und hatte dadurch als Zeichen der „Barbarei” wieder Gefühle in sich entdeckt. Er war überwiegend in (Irland) bei den megalithischen Kelten geblieben oder widmete sich vor allem der geistigen und kulturellen Förderung der Menschen, „seinen großen Kindern”. Zu seiner Überraschung hatte ihn die Dorfbevölkerung der Gegend vor Generationen so akzeptiert wie er war, zumal er ihnen in ihren Süchten, Krankheiten und Problemen beistand und immer ganz brauchbare Tipps parat hatte. Für sie wurde er mit der Zeit zu einer geschätzten Respektsperson. Für sie war er einer „aus dem Elfenvolk”.

An anderen Orten regte er als geheimnisvoller Wanderer die Menschen an, eine für sie brauchbare Schrift zu entwickeln oder ihre Gesetze aufzuschreiben. Zu denken und Fragen zu stellen. Ordnung und Sauberkeit zu halten. Trinkwasser rein zu halten. Kräuter gegen Krankheiten einzusetzen... Als Philosoph hielt er in den großen Kulturzentren Vorträge oder bildete von überall aufgelesene Schüler aus, die als Gegenleistung ihm eine Zeit lang mehr oder weniger freiwillig zu Diensten waren. So hatte er auch in diesem Dorf 12 Schüler um sich versammelt, zum Teil für diese Gegend rechte Exoten. Wenn sie genügend gelernt haben würden, jedenfalls für ihre Zeit, würde Ma'el sie heimschicken, damit sie das Gelernte in kleinen Dosen an ihr Volk weitergeben konnten.

Ma'el war hochintelligent. Es blieb nicht aus, dass Liam ihm kurz von der Zukunft erzählte, vom Eintreffen des Taelon-Mutterschiffs über der Erde, vom Mangel an Core-Energie.

„Das habe ich befürchtet”, sagte Ma'el bekümmert. „Menschen erscheinen uns als so unglaublich primitiv, sei es biologisch, sei es geistig oder kulturell. Sie sind wie trotzige launische unwissende Kinder. Im Gegensatz zu den Taelons haben die Eingeborenen dieses Planeten keinerlei angeborenes Wissen, dafür eine unglaubliche Lernfähigkeit. Es sind keine Halbtiere. Ihr Geist benötigen nur noch viele Jahrtausende der Reifung. Bis dahin sollte der Planet für alle Taelons tabu sein.”

„Es gibt Gefahren, für die gibt es keinerlei Alternativen”, meinte Liam. „Drohende Gefahren sind für eine Evolution manchmal genauso nötig wie Phasen der Ruhe. Vertraue einfach dem Schicksal.”

„Ein Schicksal des Untergangs?” fragte Ma'el skeptisch. „Meine Brüder werden dieselben Fehler in der Einschätzung der Menschen machen wie ich es tat. Ist es nicht so? - Sie werden die Menschen nicht als Ebenbürtige behandeln, sondern sie bestenfalls als Sklaven für ihre Ziele ansehen. Sie werden den Menschen keine Zeit zu ihrer geistigen Entwicklung geben. Durch die Taelons werden zudem die Jaridians diesen Planeten aufspüren. Ist es denn nicht so? - Dabei sind die Menschen unsere große letzte Hoffnung. Weißt du, wie ähnlich die Menschen uns bereit sind? - Und ich habe meine Brüder erst auf die Spur dieses Planeten gebracht.”

„Wo ist dein Schiff jetzt?” fragte Liam plötzlich ablenkend. Er wusste, was Ma'el tun würde, weil er die Folgen selbst erlebt hatte. Der Taelon war ein Meister der Schlussfolgerung. Es war besser, er , Liam, sagte zum Thema Zukunft kein Wort mehr. Jedes Wort war schon zuviel.

„Normalerweise lasse ich meine Schüler und Leibwächter damit fliegen und betrete es so selten wie möglich, um nicht der Sucht nach Core-Energie zu unterliegen. Denn es ist vor allem eine unheilbare Sucht, und sie hat alle Taelons befallen und verändert. Ich habe bei den Menschen gesehen, welche Macht suchterzeugende Substanzen über das eigene Wesen besitzen. Sie machen gleichgültig, gefühllos und vollkommen unethisch. Die Vorfahren dieser Leute hier” - Ma'el machte eine weit ausholende Geste mit den Armen - „wären beinahe an der Sucht nach einer Droge aus einer Pflanze (Bliss) gestorben. Für diese Droge hätten sie jeden ermordet, der ihnen im Weg gestanden hätte. Ich möchte nie mehr so sein wie früher.”

„Dennoch hast du wichtige Informationen an Bord. Über die Heilkammern der Atavus. Einen Speicherkristall mit den mutmaßlichen Orten von Kimera-Wissenspeichern. Diverse wissenschaftliche Weiterentwicklungen, die die Taelons nicht besitzen. Du wirst eine Möglichkeit finden müssen, diese Dinge für die Nachwelt aufzubewahren. Die Taelons werden das Schiff suchen. Dein Grabmahl wird von den Taelons ebenfalls gefunden. Was also musst du tun?”

Ma'el schwieg lange und nippte an seinem Becher. Seine Gefährtin Briggana stand auf und goß ihm aus einem Krug nach. „Du wirst die Dinge so weitergeben müssen, dass sie die Zeit überdauern und nur der Eingeweihte mit deinen Rätseln etwas anfangen kann”, sagte sie. Sie war eine kluge Frau in den besten Jahren. Nur etwas schweigsam.

Liam lächelte. Er sagte es nicht, aber Ma'el würde das Artefakt mit dem neundimensionalen Rätsel kreieren. Die Scharbilder von Nazca in Peru, durch Indios angelegt, mit ihren geheimnisvollen Informationen, waren Ma'els Werk. Er würde das erhaltene Zeitgerät in seinem Grabmahl verstecken lassen, in der Hoffnung auf den letzten kommenden Taelon mit einem funktionierenden Shakaravah, der da kommen sollte. So wie die mythische Prophezeiung es verhieß. Er würde die letzte Botschaft an die Taelons verfassen mit der befehlenden „Bitte”, dem Planeten auf Jahrtausende fernzubleiben oder zumindest die Menschen als gleichrangig zu behandeln, weil sie das Potential in sich trugen, ebenbürtig zu werden, wenn man ihnen nur genug Zeit zur Entwicklung gab. Und Ma'els Schiff... Liam musste und durfte nichts sagen. Ma'el würde von selbst darauf kommen.

 
* * *
 

(Gegenwart, auf dem Zefir-Schiff:)
Die gute Nachricht war, dass Zo'or die Koordinaten von London besaß. Damit war für alle eine Ausweichheimat gegeben, sollte die Erde verloren gehen. Die Crew war irgendwie erleichtert darüber, obwohl niemand zugeben wollte, so egoistisch zu denken und die Menschen auf der Erde eventuell verloren zu geben. Ein Beiboot wurde ausgesandt, um vorsichtig nach den Gegebenheiten auf London zu forschen und Kontakt aufzunehmen. Auch mit Ho'shin, der noch auf London sein musste. Vermutlich bestand die Möglichkeit, von London Hilfe zu erhalten. Diese Mission würde alles in allem wohl etwa 8 Wochen dauern. An Bord waren die Menschen Onzo Kyriaki, Paula Hofmann, Sergej Koljow sowie die jungen Neo-Taelons Me'win als Ärztin, und Nor'ren als Bioenergetiker.

Der Rest der Crew wälzte nun wieder die Idee der Befreiung der gefangenen Delegation um Da'an. Die Taelons Dar'den, Zo'nan, der Jaridian Rj'lev, das Ehepaar Schwarzkopf, und vier weitere menschliche Mitglieder der Crew waren von den Mitgliedern der Hell's Angels Party (H.A.P.) im Laufe der Jahre exekutiert worden. Zwei alte Menschen, darunter Jean-Marie Marclay, waren an Schwäche gestorben. Die Krieger hielten noch die Taelons Da'an, Mi'nou und Blo'or , die Jaridianerin Palwyr und ihren Sohn Wanjak sowie 10 Menschen, einschließlich des Physikers und Nobelpreisträger s Peter J. Combe, als Geiseln gegen Maßnahmen von Seiten der Roleta fest. Eine unerträgliche Situation für die Besatzung.

Den telepathischen Kontakt zu Da'an, Mi'nou und Blo'or konnten die Machthaber trotz Abschirmungsversuche dennoch nicht gänzlich unterbinden. Daher wusste die Besatzung recht gut, wie schlecht es den Gefangenen erging. Zudem versuchten die Machthaber seit langem, durch Psychoterror und Quälereien die Gefangenen zu ihren Idealen „umzuerziehen”.

„Wenn wir nichts gegen die H.A.P, unternehmen können, so sind vielleicht die Dunkelmächte greifbar”, meinte Zo'or. „Sie sind zwar übermächtig, doch nicht unbesiegbar. Wir in unserer Zeit sind bereits mit dieser Macht konfrontiert worden. So wie es aussieht, scheinen sie erstmals damals Anfang des 21. Jahrhunderts zur Erde gekommen zu sein, als die Atavus auf Kamtschaka erwachten und man mich verschleppt hat. Das nächste Mal kamen sie zeitlich wohl zur Erde, als die VOKS im Jahre 2325 besiegt erschien, da unsere Erinnerung des Zeitablaufs mit der euren ab da auseinanderdriftet.”

„Wer weiß, wie lange sie bereits die Geschichte manipulieren,” sagte Je'dir. „Wer weiß, wie lange sie schon die Völker gegeneinander hetzen.” Der Jaridian saß mit Sy'la, Zo'or, La'lin, Andrea Anderson und Rüdi Völla im „Archiv”, wo kleinste Speicherkristalle Unmengen von Daten von der Erde enthielten, die alle darauf warteten, mit Hilfe der Roleta und dem elektronischen Lesebuch gesichtet zu werden. Man konnte den Raum als eine Art Lese- und Studierzimmer für die Besatzung auffassen. Die Kristalle waren ausgelagerte Dateien, da sie nicht für den Betrieb der Roleta erforderlich waren: Nachrichten, Lektüre, Filme, Dokumentationen, Lehrmaterial, Kurse, Kochrezepte, Gemälde, Musik, virtuelle Welten und Spielgefährten und dergleichen mehr.
Die Taelons, Sy'la und der Jaridian waren natürlich im Sichten des alten Material viel rascher als Andrea und Rudi, die sich allerdings schon früher mit der Geschichte und der Politik auf der Erde interessehalber befasst hatten. Alle suchten sie gemeinsam, um einen großen Tisch sitzend, nach Spuren und Zeitdivergenzen zwischen dem, woran sich Zo'or noch erinnern konnte und dem, was heute offiziell Geschichte war. Sie waren sich dessen bewusst, dass irgendwann die differierenden Erinnerungen wohl verblassen würden. Wer weiß, was die drei erschienenen „Toten” nicht alles inzwischen vergessen hatten! Somit eilte es.

Die jungen Jaridianmädchen Veljana und Bashay, der junge Hakar und Sy'las Kinder Alexa und Kristin kamen zu den Lesenden hinzu. Sie brachten einen Hauch Kälte und Frost mit; offenbar kamen sie gerade aus dem Jaridian-Habitat. Auf den Haaren und dem Hornhautmuster glänzten zarte Eiskristalle. Die Jugendlichen begrüßten die Erwachsenen artig mit der typischen Begrüßungsgeste der Jaridians, küssten Sy'la auf die Wange und kraulten Je'dir kurz den Rücken, wie es für Familienmitglieder üblich war. „Wir kommen, um zu helfen”, sagte Alexa. Die Hinzugekommenen setzten sich zum Tisch.

„Wie geht es Korn't?” fragte Sy'la die Jaridians. Der Jaridian war, wie ihr Mann ebenfalls, in den letzten Jahren stark gealtert. Das Energiezapfen bei den Taelons hatte eben auch seine Grenzen, und die Männer hatten länger gelebt als jeder Jaridian bisher zuvor. Aber nun ging ihr geborgtes langes Leben langsam zu Ende.

„Unserem Vater geht es nicht sehr gut”, erwiderte Hakar ehrlich. „Die Ärzte wollen zwar sein Herz nochmals überarbeiten, aber ... er will nicht als Cyborg enden. Nun liegt er im Bett mit verordneter äußerster Schonbehandlung und wird von unserer Mutter Trestim gehätschelt.”

„Es ist zu schade, dass wir selbst nicht in die Zeit zurückfliegen können, um die Zeitterroristen dingfest zu machen!” sagte Alexa. Ein Robothelfer eilte herbei und reichte dem dunkelhaarigen Teenager dienstfertig ein Lesebuch und eine Schatulle mit Speicherkristallen. „Ich habe solche Angst um unsere Leute da unten!” Sie lächelte schmerzlich, schob einen Kristall in die Leseeinheit und konzentrierte sich.

Für Kristin als die Jüngere war die Sache einfacher. Sie vergaß nach drei Stunden das Suchen und vertiefte sich in einem spannenden halbhistorischen Roman aus der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Da half es auch nichts, dass ihre ältere Schwester sie immer mal anstupste. „Das ist aber interessant!” entfuhr es dem Mädchen plötzlich. „Hört doch, was Madeline Stove hier über einen gewissen Liam Kincaid schreibt!”

„Pssscht!” zischte Alexa.

„Liam Kincaid...,” dehnte Zo'or. „Der Schauspieler Kincaid, der mir das Blaue vom Himmel herunterlog... Lass hören, Kleine. Wenn es Sinn macht.”

„Der bösartige Synodenführer Zo'or”, begann das Mädchen. „Tut mir leid, aber so steht es da!”

„Lies nur weiter”, ermutigte Zo'or ungerührt, die nebenbei Daten weiterlas, da sie nicht die volle Geisteskapazität zum Zuhören benötigte.

„Der bösartige Synodenführer Zo'or plante jedoch, Major Liam Kincaid als Beschützer Da'ans in den Wahnsinn zu treiben und ließ seine energetische Signatur mit Strahlung vom Weltraum aus zerrütten. Ein Dr. Barrow hatte kurz zuvor eine Möglichkeit entdeckt, menschliche Gehirnaktivitäten durch genau abgestimmte Energiestrahlung zu beeinflussen. Das war für den gefährlichen Taelon die ideale Waffe. Zo'or rechnete damit, dass der wahnsinnig gewordene Major das Leben seines Schützlings Da'an gefährden würde. Aber Major Kincaid kam nicht zu schaden. Sein überaus geschätzter Freund Augur hatte für die gefälschten Dokumente wegen der Kimera-Gene nicht Liams eigene Signatur, sondern die des Jonathan Doors für die offiziellen Akten verwendet. Als die Taelons die aufgezeichnete Aurensignatur missbrauchten, wurde daher nicht Liam, sondern Jonathan Doors von der heimtückischen Strahlung getroffen. Er verfiel in eine schwere Paranoia. Doch um ein Haar hätte Liam Selbstmord begangen, da er fest daran glaubte, er würde den Widerstand am nächsten Tag im Versteck, vom Wahnsinn getrieben, ermorden. Er wusste noch nicht, dass Augur die Signaturen vertauscht hatte.”

„Da war ich noch nicht Synodenführer, sondern es stand gerade die Wahl an”, ergänzte Zo'or. „Außerdem war mir Kincaid immer suspekt. Schon damals. Er war für einen einfachen Beschützer ... zu merkwürdig. Obwohl er absolut loyal erschien.”

„Hast du denn nie gemerkt, dass er hybridisch war?” fragte Kristin. „Alleine von der Aura her betrachtet?”

„Komm zur Sache, Kristin!” mahnte Rudi Völla. „Wenn es nicht wichtig ist, müssen wir weiterarbeiten!”

„Ich überspringe mal... und weiter geht's: Liam, zu dieser Zeit noch im Vollbesitz seines kimeranischen Shakaravahs, hatte zuvor das Museum mit Ma'jels Grabmahl aus Nordirland im Auftrag der Taelons besucht. Und dort, an einer Säule, hatte sein Shakaravah plötzlich reagiert und ein Tor geöffnet für die Zukunft. Der Major befand sich plötzlich alleine im Museum, zwei Tage in der Zukunft. Als er die Zentrale der Widerstandsbewegung betrat, fand er überall Tote liegen. Diese Tragödie müsste erst kurz zuvor stattgefunden haben - und Anzeichen wiesen darauf hin, dass er selbst in einer Schießerei alle im Widerstand getötet hatte - auch Jonathan Doors und selbst Lili Marquette. Er kehrte dann durch das Zeittor zurück. Aber er wusste nicht, was er tun sollte. Selbst im Traum wurde er von den blutigen Bildern verfolgt. Er dachte, er wäre ein geborener Killer, denn er könne die leidenschaftliche negative Seite des kimeranischen Erbes auf Dauer nicht kontrollieren. So wie es den Taelons auch einst ergangen ist.”

„Die Sache mit der Zeitreise scheint mir frei erfunden zu sein. Ihr wisst doch, wieviele Geschichten kurz später nach Liams Verschwinden über ihn auf der Erde kursierten”, warf die blonde Physikerin Andrea Anderson abwertend ein. „Ich habe eine ganze Menge davon später gelesen und als ehemalige Widerstandskämpferin kann ich nur sagen: Ganz schön viel pure Dichtung dabei!”

„Dichtung....” sinnierte Zo'or. „Nicht alles. Nicht hier. Einige Fakten stimmen schon. Lies weiter, Kristin. Ich liebe phantasievolle Geschichten. Besonders solche um meine angeblichen Schandtaten. Menschen fabulieren ja so besonders gerne.”

„Major Liam Kincaid sah als edler Mensch keine andere Möglichkeit, die Freunde zu retten, als den selbstlosen Tod, damit diese Zukunft nicht eintreten könne. Doch der getreue Augur rettete ihn und wies ihm nach, dass Liams Rekontruktion des Geschehens nicht korrekt war. In der Zentrale angekommen, wo der paranoid-wütende Jonathan Doors den Schießbefehl auf alle, die herunterfahren würden, ausgegeben hatte, gelang es Kincaid den Widerstand davon zu überzeugen, dass er - und Augur, der nun mitgekommen war - keinen Angriff auf die Kämpfer planten. So wurde die Zukunft verändert und eine Schießerei verhindert, in dem Kincaid sich hätte wehren müssen.”

„Und was geschah laut Stove mit dem Zeitreisegerät in der Säule?” fragte Sy'la.

„Das blieb offenbar deaktiviert im Museum zurück. Liam war eine weitere Zeitreise mit dem Wissen um die Zukunft zu riskant. Und später konnte er das Shakaravah nicht mehr benützen. Damit konnte niemand mehr das Gerät aktivieren.”

„Wie mein Eindruck schon damals war: Kincaid war äußerst inkonsequent in seinem Widerstand gegen die Taelons” , erwiderte Zo'or. „Er war viel zu irrational und zu weich, um wirklich erfolgreich zu sein. Wie kann man über dieses Gerät Bescheid wissen aber es nicht einsetzen. Und dadurch Vorteile verspielen.”

„Woher sollte Ma'jel das Gerät gehabt haben?” zweifelte Sy'la. „Major Liam Kincaid hat es nie eingesetzt, weil es reine Erfindung ist.”

„Ma'jel hatte aber auch das Relikt mit dem neundimensionalen Rätsel”, warf La'lin ein. „Die Taelons hatten früher eine weit ausgereiftere Technik besessen und auch mit Zeitreisen experimentiert. Und außerdem war Ma'jel weit gereist, bevor er die Erde fand. Vielleicht fand er einen der kimeranischen Wissenspeicher dabei, wer weiß?”

„Roleta - das Museum Ma'jels, ist das noch existent?” erkundigte sich Je'dir.

„Es hat äußerlich überdauert”, antwortete das Bordgehirn über die Anlage. „Das Innere habe ich nicht gescannt.”

„Die Geschichte erklärt einige Punkte, die mir damals rätselhaft waren. Ich muss sie für wahr halten. Ein Zeitreisegerät für uns - das wäre in der Tat das Risiko eines Trips zur Erde wert”, überlegte Zo'or. „Auch auf die Gefahr einer Vergeltung hin.”

„Willst du tatsächlich die Geiseln gefährden?” fragte Alexa entsetzt, die merkte, dass es der Taelon ernst war. „Nur wegen einer Erzählung in einem Roman?!”

„Wenn wir nichts tun, verlieren wir früher oder später ALLE. Das Risiko ist es wert!” antwortete Zo'or. „Gefangenschaft ist schrecklich. Es ist besser, ein Opfer in Kauf zu nehmen als die Delegation gesamt aufzugeben.”

 
* * *
 

(Erde, Vergangenheit:)
„Ich habe etwas, was ich dir geben möchte, damit die Menschen es erhalten, wenn es erforderlich ist”, sagte Liam und zog einen zweiten „Springer” heraus. Auch dieses Gerät war überdimensional zur Teleportation durch die Zeit und im geringeren Ausmaß durch den Raum geeignet. Nur mit dem Unterschied, dass dieses Gerät auf eine Zeitreisemaschine an Bord eines kimeranischen Wissenspeichers geeicht war. So hatte es das Kollektiv haben wollen. „Ich ersuche dich, das so zu verwahren, dass es im 21. Jahrhundert, zusammen mit deinem Grabmal gefunden wird - und zwar von mir selbst. Vom meinem jüngeren Ich.” Er hob seine Hände und ließ kurz das Shakaravah so aufleuchten, dass die Hochzeitsgäste hinten nichts davon mitbekamen. „So kann kein Mensch das Gerät mißbrauchen.”

„Ich verstehe nicht, wieso du das nicht selbst so verwahrst, wie du es möchtest”, sagte Ma'el.

„Ich habe bereits mehrere Manipulationen mit der Zeit durchgeführt, ich möchte keinen Fehler begehen und mutwillig ein Paradoxon auslösen. Das Raum-Zeit-Kontinuum der Region ist bereits stark in Mitleidenschaft gezogen worden. In MEINER Zeit hatte Ma'el jedenfalls so ein Gerät besessen und hat es im Grabmal versteckt. Ich ersuche dich daher darum. Es ist wichtig, dass es gefunden wird - glaube mir.”

Das klang zwar wie eine Ausrede, aber Ma'el versprach, es so handzuhaben.

Liam blieb noch einige Stunden bei Ma'el, um dann später festzustellen, dass der Vertreter der Dunkelmächte je eine Kernfusions-Bombe unter dem Schiff und eine in Ma'els Laboratorium und plaziert hatte, welche man gerade noch rechtzeitig entschärfen konnte. Wäre sie hochgegangen, wären die Aufzeichnungen über die Kimera-Speicher und das Artefakt verloren gewesen. Wenn es nicht schlimmere Folgen für den Zeitablauf ergeben hätte, die Toten und Verwüstungen nicht mitgerechnet. Der schwarze Schatten war nicht nur heimtückisch, sondern auch feige. Er zeigte sich dem Kimera-Mischling erst gar nicht. Es war höchst ärgerlich.

„Warst du bereits einmal in Roma?” erkundigte sich Liam bei Ma'el beiläufig, sein Laboratorium in der Felsenkammer sicherheitshalber nochmals durchsuchend.

„Roma?” fragte Ma'el irritiert. „Doch nicht diese barbarische unbedeutende Ortschaft (am Mittelmeer) ? Wieso sollte ich?”

„Weil es ein interessanter Ort ist”, antwortete Liam ausweichend.

Und schon meldete das Peilgerät einen neuerlichen Zeitsprung des Schattens an. Liam musste Ma'el verlassen und dem Schwarzen unverzüglich folgen.

 
* * *
 

(Auf dem Zefirschiff:)
„Unsere Beiboote werden von der Erdoberfläche aus sofort geortet und beschossen. Wir können nicht landen. Es ist uns zwar vor einiger Zeit gelungen, heimlich inaktive Interdimensionsportale auf der Erdoberfläche zu deponieren, doch diese neue Technologie auf der Erde spürt sie im aktivierten Zustand sofort auf. Man kann sie daher nur einmalig benutzen. Und dann: Die Machthaber der H.A.P. beantworten jede Aktion von unserer Seite sofort mit der Hinrichtung einer Geisel”, erläuterte Roleta dem Einsatzteam nochmals. Sie schwebte im Raum vor dem Portal und ihr silberweißes Gesicht sah ausgesprochen besorgt aus.

„Es ist von euch dennoch entschieden worden, eine Geisel zu opfern und zur Erdoberfläche zu gelangen, um das Zeitreisegerät aus dem Ma'el-Museum in Washington zu bergen. Sofern es überhaupt da ist! Mit diesem Gerät werdet ihr entweder unverzüglich zurückkehren oder, wenn möglich, sofort in die Vergangenheit gehen, um Informationen vom ersten Erscheinen der Fremden zu suchen und einige ferngesteuerte Waffen zu verstecken. Das Zeitreisegerät wird euch, wenn diese Mission gelingt, wieder zum selben Zeitpunkt zurückbringen, von der aus ihr gestartet seid. Ob mit oder ohne Vergangenheitstrip, ihr müsst auf alle Fälle binnen acht Minuten per Interdimensionsportal hierher zurückkehren. Das ist der Durchschnittswert für das Auftauchen der krakenarmigen Roboter. Sobald sie in großer Zahl da sind, habt ihr keine Chance mehr zur Rückkehr.”

Sy'la überprüfte nochmals die semi-energetische Rüstung, die sich von den silbernen Leisten aus Mell-Material (ein von den Zefir einst entwickeltes extrem überhartes Material) bei Gefahr über den Körper stülpen würden. Die silbernen Leisten waren als glänzende Streifen an den seitlichen Körperkanten des dünnen hellblauen Kampfanzugs angebracht. Die fremden Roboter würden eine Weile benötigen, um die fast unzerstörbare Rüstung zu knacken, was aber nicht hieß, dass sie die gepanzerten Humanoiden nicht einfach durch diverse Maßnahmen zuerst bewegungsunfähig machen konnten. Um dann die Rüstungen in aller Ruhe gewaltsam aufzubrechen.

Je'dir war es überhaupt nicht recht, dass Sy'la schon wieder am Einsatz zur Erde teilnahm. Schon das letzte Mal hätte der Einsatz auf der Erde ihr fast das Leben gekostet. Aber störrisch, wie die Hybridin nun einmal war, bestand sie darauf. Also machte der alt gewordene Jaridian das Beste daraus und hatte selbst auf eine Teilnahme bestanden.

„Augur” nahm ebenfalls am Einsatz teil, weil der eine Menge aus der Zeit wusste und an die Existenz des Zeitreisegerätes glaubte; Zo'or und der junge Taelon Ha'ron - der sich auf Kriegswesen spezialisiert hatte, obwohl er ein männlicher Taelon war - kamen mit, da offenbar das Gerät im Museum mit einem Shakaravah aktiviert werden konnte. Unbedingt mit musste als Physikerin mit Kampferfahrung Andrea Anderson, die ziemlich nervös wirkte, zwei weitere Menschen, Norbert Becheau und Ji-Won Park als Bewaffnete, sowie zwei Jaridian-Scouts. Und drei Pakete mit Ausrüstung.

„Befindet sich das Portal auf der Erde in Position?” fragte Zo'or. Auch die zwei Taelons trugen sicherheitshalber die dünnen Kampfanzüge.

„Ich habe rechtzeitig per Mikrostrahlung eines der abgesetzten mobilen Portale angewiesen, sich in Richtung Museum zu begeben. Das als Pudel getarnte Gerät scheint bis jetzt nicht enttarnt worden zu sein und befindet sich bereits im Gebäude. Sobald ihr bereit seid, kann es losgehen.”

„Ich finde es schrecklich, dass ein Mitglied der Delegation unseretwegen getötet werden wird”, sagte Andrea. „Ich fühle mich wie eine Mörderin.”

„Wir benötigen das Gerät. Unbedingt. Wir müssen die Fremden und die H.A.P. von einer für sie unerwarteten Seite attackieren: nämlich über die Zeit”, erklärte Zo'or bestimmt und scheinbar ohne Emotionen. „Es gibt keine Alternative zum Handeln. Abwarten hat die Fremden nur mit jedem Tag stärker gemacht. Konzentriere dich auf den Einsatz! Trauern kannst du später.”

 

Ende von Kapitel 4

 

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