Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Höllenengel” von Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Februar 2004
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Zo'or, Haggis und Augur suchen weiter die Geheimnisse der Kimera und landen unvermutet in der alptraumhaften Hölle einer brutalen neuen Welt, deren Ursachen bis in die ferne Vergangenheit zurückreichen.
Zeitpunkt:  das Jahr 2345
Charaktere:  Zo'or, Alex J. „Augur” Chevelleau, Haggis, das Zefirschiff Roleta; Henry F. Black, Nikita S. Chruschtschow, Ma'el, Harmannes und Liam Kincaid.
 
Warnung: Diese Geschichte beinhaltet Gewaltszenen.
 

 

HÖLLENENGEL

Kapitel 3

 

(Auf der Erde, Peru:)
Das Hochplateau von Nazca war windstill und ödes Land. Häßliche Kraterlöcher hatten das einst flache Land aufgerissen. Haggis, Augur und Zo'or konnten von Bord des gemieteten Flugrotors noch da und dort die weißen Linien ausmachen, die die Landschaft früher durchkreuzt hatten. Sie landeten neben einer noch erhaltenen Figur eines riesigen abstrakten Affen mit langem gekringelten Schwanz.

„Wenn unsere Theorie stimmt, müssten diese flachen Figuren verschlüsselte Sternbilder sein und die Linien Aussagen zu den eigentlichen Koordinaten der kimeranischen Wissensspeicher machen. Ein mehrdimensionales mathematisches Rätsel”, erinnerte Augur. „Wir müssten nur diese Daten zu den Daten hinzufügen, die wir aus Sandovals Aufzeichnungen haben.”

„Unglaublich, dass dieser Mann meine Sicherheitssperren ausgetricksen konnte und so ohne weiters Zugang zu den Taelon-Archiven auf dem Schiff erlangt hat”, ärgerte sich Zo'or nachträglich ein wenig. „Was hätte aus ihm werden können, wenn er seine Energien und seine Intelligenz sinnvoller genutzt hätte.”

„Ach komm, Zo'or”, spottete Haggis. „Du hättest ihn doch sofort eliminieren lassen, wenn er zu auffällig geworden wäre. „Risiken einzugehen war nicht gerade dein Stil als Synodenführer. Du wolltest nur einen willigen Sklaven, der sich nicht ungeschickt anstellt. Mehr nicht.” Sie scannte gerade Daten ein, die das mitgebrachte Messgerät von den Scharrbildern einholte.

„Ihr unterschätzt mich!” protestierte Zo'or. „Intelligenz hat mich immer beeindruckt. Ich habe sie nur nicht bei den Menschen angenommen. Die Menschen damals benahmen sich gewöhnlich wirklich - affig - , unreif, streitsüchtig und ausgesprochen unehrlich. Keine halbwegs intelligente Spezies hätte uns soviel scheinheilige Verehrung entgegengebracht! Mit gleichzeitig genügend Wut, um uns hinterrücks umzubringen. Diese unreife Menschheit war in ihrer Dummheit auf dem besten Weg, die Erde in eine Müllhalde zu verwandeln.”

„Affig?! Unehrlich??!!” empörte sich Haggis. Da sträubten sich doch die Haare! Was glaubte diese - irgendwas - eigentlich?

„Ohne uns hätten die Menschen sich entweder ausgerottet oder langsam vergiftet. Was kann man sonst von einer Spezies halten, die bei vollen Kassen und Geschäften ihre Mitbrüder verhungern lässt, die Meere leer fischt, wo Frauen beschnitten werden, wo Kinder versklavt und missbraucht werden...”

Augur schüttelte entsagungsvoll den Kopf und ließ die zwei total gegensätzlichen streitenden Frauen stehen. Er schnappte sich ein Messgerät und marschierte nach Süden zu einem anderen Bild. Er hoffte, dass sie hier Hinweise auf eines der zwei Wissensspeicher in der Milchstraße finden konnten. Insgesamt schienen die Kimera vor ihrem Untergang 12 Wissensspeicher über diverse Galaxien verteilt zu haben, die ihr Wissen an ausgewählte Nachkommen weitergeben sollten. Vorausgesetzt, sie fanden die Speicher. Eines der Speicher in Form einer kleinen Raumstation war inzwischen zufällig von den Taelons im 21. Jahrhundert gefunden worden, doch hatte der Speicher sich wegen eines Programmfehlers selbst zerstört. Jeder Wissensspeicher war zweifellos voll mit faszinierender Technologie. Eine Schatzkammer, die darauf wartete, von Berufenen geöffnet zu werden. Der Schlüssel war nur ein wenig mehrdimensionale Mathematik und ein Verhaltenstest.

Zo'or hatte keine Ahnung, woher die archivierten Daten ursprünglich gekommen waren. Offenbar hatte irgendwo ein Taelon lange vor Zo'ors Zeit als Synodenführer diese Hinweise der Kimera gefunden, und man hatte sie für wichtig genug befunden, sie in die Archive des Taelon-Mutterschiffs aufzunehmen. Die Taelons waren wohl nicht in der Lage gewesen, sie selbst zu entschlüsseln. Das Mutterschiff mit seinen Archiven war nicht mehr; doch über Sandovals Aufzeichnungen und seiner Hinterlassenschaft in den alpinen geheimen Stollen konnte die Fährte wieder aufgenommen werden.

Als Augur nach etwa drei Stunden wieder zurückkam, waren beide völlig ruhig und arbeiteten konzentriert an der originalen Rekonstruktion der Bilder und Linien, gestützt auf Zo'ors ausgezeichnetem Erinnerungsvermögen.

‚Na, bequemst du dich auch dazu, zu erscheinen und mitzuarbeiten!’ sagte Haggis vorwurfsvoller Blick, als ob ER an allem Schuld gehabt hatte. SIE arbeiteten - und was machte ER?

 
* * *
 

(Erde, Vergangenheit:)
Kuba, 17. April 1961: Die Invasion der von der CIA unterstützten Truppe aus Exilkubanern in der Schweinebucht war gescheitert. Die Soldaten waren entweder gefallen oder gingen in kubanische Gefangenschaft. Kennedy verzichtete auf eine weitere Militäraktion, obgleich das Militär danach drängte. Schließlich wollte die Waffenindustrie ihre Waffen testen und verkaufen. Dieses Zurückweichen vor den elenden Kommunisten war geradezu ein Verrat des US-Präsidenten. Ein Präsident, der erst seit 20. Januar 1961 im Amt war! John F. schien alle Versprechungen im Wahlkampf und alle Unterstützung seiner Familie durch gewisse Kreise vergessen zu haben. Um die über 1000 Gefangenen freizulassen, verlangte Fidel Castro in Verhandlungen eine Entschädigung in Form von Lebensmittel und Medikamente in der Höhe von schließlich 55 Mio. Dollar!

Überhaupt diese elenden Kommunisten: Sie bauten ab 13. August 1961 eine gottverdammte Mauer um ihr Sektor in Ostdeutschland und mitten durch Berlin! Und was tat dieser alte Papst Johannes XXIII. in Rom? Er sympathisierte glatt mit diesen Verbrechern, indem er es wagte, Kontakte mit elenden Kommunisten in den UdSSR aufzunehmen. Dabei gab es für einen Militärangehörigen nur eine Sache, die man mit den Roten machen sollte: ihnen die Bombe auf ihren verfluchten roten Kopf zu werfen!

Heute, am 22. 10. 1962, war es endgültig soweit: 25 sowjetische Schiffe waren unterwegs Richtung Kuba, zum Teil bestückt mit abzuliefernden UdSSR-Atomwaffen, um die Seeblockade der Amerikaner zu brechen, die mit 90 Schiffen und 8 Flugzeugträgern Kuba abgeriegelt hielten. Die kriminelle Florida-Connection in den USA wollte Kuba zurück, um jeden Preis. Kuba rüstete sich gegen einen neuerlichen Überfall. Die Amerikaner sagten, auf Kuba stünden neue sowjetische Raketenanlagen, die Atombomben bis in die USA abfeuern konnten, sofern sie auf Kuba als Lieferung ankämen. Nikita S. Chruschtschow dachte nicht daran, nachzugeben und die Schiffe abdrehen zu lassen. Die Militärs beider Seiten wollten einen Krieg, notfalls mit Atomwaffen - der bis zu 2 Milliarden Menschenleben fordern konnte.

Was in keinem Geschichtsbuch stand, war die Rolle des Henry F. Black dabei. Der bullige dunkelhaarige Mann manipulierte mit Taten, Worten, Berichten die öffentliche Meinung und die Stimmung innerhalb des Beraterkreises des US-Präsidenten. Das war die beste Gelegenheit, die UdSSR loszuwerden und zur stärksten Macht der Welt aufzusteigen. Mr. Black wusste - woher, war unklar - dass die Sowjets keinesfalls das militärische Potential der USA hatten. Das konnte man aber nicht zugeben, sonst hätte der Kongress nie das viele Geld für die vielen neuen Waffen bewilligt. Mochte auch der kleine lächerliche alte Priester in Rom sich für einen Dialog und für einen „Weltfrieden” einsetzen - Black setzte auf die Natur des Menschen. Eine Raubtiernatur, geboren um zu kämpfen und sich zu zerfleischen für ein bißchen Beute. Eine wunderbare Natur! Niemand musste um den wahren Zusand der Sowjetunion wissen - es genügte, den Politikern zu vertrauen! John F. hatte seine Hand schon am Drücker, der Konflikt war so gut wie sicher. Und danach war die Welt eine reife Frucht für Seinesgleichen, bereit gepflückt zu werden!

 
* * *
 

Auf der anderen Seite der Welt schlief Nikita sehr schlecht. Er hatte mit Mühe das System der UdSSR korrigiert, so gut es ging. Die Aparatschiks duldeten nur eine gewisse Entmachtung. Schon zeigten sie die Zähne. Auch ein Vorsitzender konnte nicht gegen den Apparat der KPdSU regieren.

Chruschtschow wachte schweißgebadet auf. Warum musste er gerade daran denken, dass dieser Papst in Rom Rada den Rosenkranz seiner eigenen Mutter geschenkt hatte, ein Ding mit kleinen weißen Perlchen. Eine einfache Bäuerin war sie gewesen, die Mutter des Papstes. Seine Tochter Rada hatte ihm diese Kette gezeigt. Eigentlich nett von Roncalli. Für den Frieden wollte der beten.

Chruschtschow setzte sich stöhnend im Bett auf, schwang seine Beine aus dem Bett und suchte die Pantoffel. Dann trottete er hinaus in den Flur und hinüber zur Toilette. Ein junger Mann mit dunkelblondem Haar stand als Bewachung da und sah nach dem Rechten. Nikita grummelte etwas und begann, Wasser zu lassen. Dann tapste er hinüber zum viereckigen weißen Waschbecken mit den zwei Wasserhähnen und starrte sich im Spiegel darüber an. ‚Ha, du Vorsitzender!’, sagte er innerlich zu sich. ‚Deine ganze Macht kann dir nicht sagen, wie du jetzt handeln solltest!’

„Genosse Vorsitzender, fehlt dir etwas?” fragte sein junger Bewacher von der Tür herüber.

„Ich weiß nicht, ich habe schlecht geträumt. Diese Kapitalisten! Was soll ich nur machen? Wie soll ein Mensch da nur schlafen können?”

„Ah, Väterchen”, sagte der junge Mann. „Du wirst gewiss das Richtige tun. Für die Sowjetunion und die ganze Welt.”

„Das Richtige. Was ist das Richtige? Wir sind da - und die sind dort. Keine Seite gibt nach. Die Kapitalisten wollen die ganze Welt beherrschen und die Arbeiter unterdrücken. Sind wir nicht verpflichtet, Widerstand zu leisten? Um jeden Preis?”

Der junge Mann zauberte eine kleine Flasche Wodka aus dem Mantel und bot ihm mit der Rechten die Flasche an. Die linke Hand in der Manteltasche schnippte das Suggestivgerät an.

„Und welche Arbeiter sollen befreit werden, nach einem Krieg? Wenn alle tot sind, 2 Milliarden Menschen. wer soll dann befreit werden? Sie müssen den Mut haben, das Richtige zu tun.”

„Wir könnten ja auch gewinnen”, erwiderte Chruschtschow. Seltsam, warum sprach er überhaupt mit dem jungen Mann? - Er nahm einen Schluck Wodka, nachdem der Junge ebenfalls davon getrunken hatte.

„Niemand kann gewinnen, alle können nur verlieren. Krieg ist keine Lösung! Wenn wir die Sache der Arbeiter vertreten, dann können wir nicht das Leben unserer Genossen und Gesinnungsbrüder auf der ganzen Welt preisgeben. Auf der ganzen Welt - denke doch, Väterchen.”

„Du bist noch jung, Söhnchen”, meinte der 1. Vorsitzende der KPdSU. „Nicht mal ich bin frei zu tun was ich will. Ich will auch nur am Leben bleiben.

„Mal gewinnt man, mal verliert man. Es werden andere Gelegenheiten kommen, gegen das Kapital vorzugehen. Man sagt, die Amerikaner wollen Waffen verkaufen. Kein Krieg - keine Waffen. Keine Waffen - kein Präsident. Es würde ich nicht wundern, wenn die Amerikaner Kennedy selbst... Du musst nur warten, Väterchen.”

„Kluger Junge!” Chruschtschow nahm noch einen Schluck und gab dem Mann dann die kleine Flasche zurück. „Und jetzt gehe ich ins Bett zurück und schlafe. Morgen stehen Entscheidungen an, so oder so.”

Am nächsten Tag gab Chruschtschow bekannt, dass die Basen auf Kuba unter UN-Kontolle abgebaut werden würden und veranlasste die Rückkehr der sowjetischen Schiffe. Der Atomkrieg fand nicht statt. Es war der 28. Oktober 1962.

Um den Verbleib des jungen Bewachers kümmerte sich Chruschtschow nicht mehr. Der Kreml gehörte schließlich nur ihm. Die ganze Sowjetunion gehörte ihm.

 
* * *
 

(Erde, Gegenwart:)
Augur und Zo'or wollten zur Roleta zurück, um die Daten zu verarbeiten. Zweifellos war das Bordgehirn ein fähigerer Rechner als die menschlichen Konstruktionen. Aus irgendeinem Grund zögerte Haggis. Die pummelige ältere Frau mit den roten Wuschellocken hatte ein verdammt ungutes Gefühl, doch konnte sie nicht sagen, was es war. Eine Ahnung, nicht greifbar. Sie dachte an den vermeintlichen weiblichen Andre-Klon an Bord und fröstelte. Nervös zupfte sie die elastische grüne Bluse nach unten über den Bauch zurecht und nestelte anschließend am eigenen Armband. Alex konnte nach all den Jahren die Lösung des Rätsels der Wissensspeicher nicht abwarten. Nur noch ein paar Stunden sollte sie mit an Bord kommen. Schließlich war Haggis eine der wenigen Menschen, die diese Art hohe Mathematik verstehen konnten. Mit ihrem Verständnis sollten die vielen Zahlenreihen in eine Ordnung gebracht werden.

Sie ahnte, dass es ein verdammter Fehler war, hatte es aber nicht fertiggebracht, Alex zu enttäuschen und hatte nachgegeben. Zo'or hatte ohnehin keinen Moment geglaubt, dass sie nicht mitkommen würde. Es waren die ersten konkreten Hinweise, die sei seit Jahren herausgefunden hatten. Also brachten sie brav den gemieteten Flugrotor zurück und ließen sich zur Roleta abstrahlen.

Genau in diesem Moment geschah es. Rückwirkend betrachtet schien einer der kosmischen Götter bei guter Laune gewesen zu sein, hob kurz drei seiner Spielsteine vom Spielbrett hoch und nahm sie damit aus dem Spiel, betrachtete sie in seiner zeitlosen Zeit überlegend und setzte sie wieder leicht versetzt auf das Brett zurück.

Als die drei aus dem Interdimensionsportal traten und das Mini-Wurmloch in sich zusammenfiel, war das Schiff dunkel. Ihrem Gefühl nach war so gut wie keine Zeit vergangen, aber das Zefirschiff sah seltsam fremd aus. War es der unbewusste Eindruck von Staub, das düstere Sparlicht, die merkwürdige Kühle? Haggis sah sich befremdet um. Zo'or starrte etwas verwirrt gegen die Decke, als ob sie lauschen würde. Nur Augur schien nichts zu bemerken. Die Beleuchtung ging nun endlich an.

Zwei schwerbewaffnete Scout-Roboter kamen aus einer sich plötzlich bildenden Wandöffnung der variablen Schiffswände und zielten mit den glühenden Waffenöffnungen ihrer Brust auf die drei Ankömmlinge. Und da tauchte Roleta auf. Sie schwebte als silberfarbene schlanke langhaarige Gestalt in roter Robe mit Kapuze im Raum und sagte kalt: „Eindringlinge! Wagt es nicht, euch verdächtig zu bewegen. Ihr seid illegal hier eingedrungen. Die geringste Aktion von euch, und ihr seid tot!”

 
* * *
 

(Erde, Vergangenheit:)
Ma'el musste seine Meinung über die wilden Halbtiere auf dem Planeten revidieren. Sie waren völlig unzivilisiert und folgten noch überwiegend ihren Instinkten. Allerdings besaßen sie eine bemerkenswert große Gehirnkapazität, die die Wilden nur noch nicht imstande waren, zu verwenden. Das Merkwürdigste war das Erbgut. Mit ihren biologisch nächsten Verwandten, den Menschenaffen, hatten sie 98,5% des Erbgutes gemein. Ein Prozent des Erbgutes glich dem der Urtaelons vor ihrer Vereinigung mit den Kimeranern. Ma'el konnte sich das nur so erklären, dass die Evolution von Urtaelons und Menschen - die sich bekanntlich im Erbgut widerspiegelte - zwar räumlich völlig getrennt voneinander begonnen hatte, dass aber die Evolution die zwei Spezies heute immer stärker aneinander anglich, gerade so, als ob sie beide zum selben Ergebnis führen wollte. Das erstaunliche Ergebnis der Evolution war, dass Menschen und Taelons offenbar miteinander kompatibel waren. Zwar mit großen Schwierigkeiten, aber immerhin.

Ma'el beschloss, diesen Ort auf dem Planeten zu verlassen, um an anderer Stelle weiterführende Untersuchungen anzustellen. Die Wilden waren ohnehin für objektive Beobachtungen an dieser Stelle bereits viel zu sehr verängstigt. Die Untersuchungsergebnisse nötigten ihn dazu, mehr Sorgfalt in eine gute Behandlung der Spezies zu legen, da sie in ihrem Sein offensichtlich den Anfängen der Urtaelons glich. Trotz ihres tierischen Verhaltens und ihrer grenzenlosen Barbarei verdienten sie mehr Schonung. Er ließ die Bordroboter die Gläser mit den nutzlos gewordenen Gewebeproben und Föten entsorgen und reinigen und steuerte das kleine Schiff anschließend zu einem anderen Kontinent. Dort ließ er vier junge, aber geschlechtsreife weibliche und vier ebensolche männliche Exemplare fangen und durch großflächige Kopfimplantate, die ihren eigenen Willen eliminierte und deren Denken drosselte, in gehorsame Sklaven verwandeln. Die Sprache der drei war für Taelons äußerst simpel, die Menschen verwendeten im Unterschied zu den Taelons nur rudimentär eine begleitende Gestensprache oder telepathische Begleitbilder. Primär verständigten sie sich mit einigen zig-tausend Silbenkombinationen.

Ma'el befahl den Menschen, ihre Kleidungsfetzen abzulegen, sich gründlich mit der Reinigungs- und Desinfektionsflüssigkeit zu waschen und neue saubere Kombinationen anzuziehen. Wären nicht die entstellenden großen Implantate gewesen, die die Köpfe der Sklaven überzogen, hätten sie danach fast wie Taelons im Manifestationszustand ausgesehen. In den folgenden Monaten brachte er ihnen für Sklaven nützliche Tätigkeiten bei, die ihm die effizienten Forschungen an Bord sehr erleichterten. Er achtete auch darauf, dass sie sich regelmäßig paarten, damit er genügend Beobachtungsergebnisse und Föten für Experimente erhalten konnte. Die eigentlich illegalen Versuche einer Kreuzung der menschlichen zweisträngigen DNS mit der dreisträngigen der Taelons - der dritte DNS-Strang war das Erbe der Kimera - brachte beunruhigende Ergebnisse hervor. Etwas war in dem einen Prozent der gemeinsamen DNS von Taelon und Mensch, das bei Menschen danach trachtete, den dritten kimeranischen Strang zu dominieren oder auszuschalten. Das menschliche Genmaterial versuchte entweder, wie es beim jaridianischen Fieber der Fall war, den dritten Erbgutstrang auszubrennen - und ging dabei meistens zugrunde. Oder aber das menschliche Erbgut verdrängte kontollierend die taelonischen Merkmale. Das bedeutete nichts Geringeres, als dass überlebende Hybriden immer wie Vollblutmenschen aussehen würden. Oh ja, Taelons konnten das Erbgut der Menschen benutzen - doch mit dem Ergebnis, dass das kimeranische Taelon-Erbgut immer in den Hintergrund treten würde. Das würde kein Taelon akzeptieren können. Es musste eine Methode gefunden werden, diese Dominanz des menschlichen Erbgutes zu umgehen.

Ma'el galt in seinem Volk als eine Art hellsichtiges Genie. Er WUSSTE, dass sein Volk dabei war, zu degenerieren und auszusterben. Die Taelons waren nicht mehr imstande, sich fortzupflanzen - oder genauer gesagt waren sie nicht mehr gewillt, sich fortzupflanzen. Dazu hätten sie noch Instinkte und Emotionen besitzen müssen. Seitdem sie sich an Bord des Mutterschiffes immer mehr der Core-Energie hingaben, der sie ihren mentalen Aufstieg in ungeahnte Höhen verdankten, desto weniger Interesse hatten sie, Eigenes kreativ zu produzieren. Nicht einmal Kinder. Alles war in Traditionen erstarrt. Die Jaridians waren seit Jahrhunderttausenden im Vormarsch und eroberten seit der Vernichtung der Taelon-Heimatwelt eine besiedelte Taelon-Welt nach der anderen, und die Taelons mussten weichen. Dabei schlachteten die Jaridians skrupellos die von Taelons kontaktierten fremden Spezies ab, als wären sie von der Taelon-Art „verseucht”. Die heimatlosen Taelons waren seitdem auf der Suche. Die früheren Urtaelons waren doch Raumfahrer gewesen! Es musste irgendwo Nachfahren geben, oder ein Volk im Universum existieren, das ähnlich genug war, die Fortpflanzungsprobleme der Taelons zu beheben. Oder das zumindest imstande war, sich gegen die Jaridians zu behaupten! Ob diese Wilden dafür in Frage kamen?

Die Erde war bereits zuvor von den Taelons kontaktiert worden. Hier waren aber bezüglich Genmaterial und Verhaltensweisen der Menschen Langzeitstudien über mehrere Generationen hinweg unumgänglich. Ma'el meldete dies der Synode. Es ging nicht nur um Biologie. Die Frage war, ob Menschen sich langfristig dem geistigen kollektiven Gemeinwesen der Taelons unterwerfen, es kontaktieren und sich darin integrieren konnten oder nicht. Solche Art Langzeitstudien waren unter den Taelons nicht sehr populär. Sie waren gefährlich und hielten einen Taelon - der bekanntlich mehrere tausend Jahre alt wurde - für einige hundert Jahre auf einen Planeten fest, und damit fern von seinen Brüdern und von der Core-Energie. Solche Jobs machten daher eigentlich nur für Außenseiter oder in Ungnade gefallene Taelons. Oder Wissenschaftler, die nur für ihre Wissenschaft lebten. Die Synode war gespalten darin, Ma'el als hochgeschätzte Persönlichkeit gehen zu lassen; allerdings gab das anderen Mitgliedern der Synode Gelegenheit, mehr Einfluss zu erlangen, da Ma'el seinen Rang vorübergehend zurückgestellt hatte. Und wenn es Ma'el unbedingt so haben wollte...

Ma'el hatte aus Studiengründen ferngesteuerte Kameras positioniert, die in Dörfern die primitiven Lebensweisen aufnahmen. Da, in einem Dorf war offenbar eine Art Hochzeit im Gange. An den barbarischen blutigen und unhygienischen Bräuchen wie die Beschneidung von jungen Männern und Weibchen an den Genitalien mit primitiven Steinklingen konnte er sich kaum gewöhnen. Offenbar sollte das Ertragen von Schmerzen die Initiation in das Erwachsenenleben bewirken. Nebenbei konnten die Männer die Weibchen damit gefühlsmäßig kastrieren und unter Kontrolle bringen. Eine weitere Unsitte der Barbaren war das Durchlöchern von Hautlappen, um Ringe, Federn, Stäbe oder Knochen durchzustecken. Ringe wurden um Hälse gelegt, um Halspartien zu strecken. Das behinderte die Barbaren zwar in ihrer Bewegung und Ernährung, doch das schien ihnen egal zu sein. Das Blut und die Schmerzen galten als Opfer an die Götter. Anderswo ritzte man die Haut und färbte die blutenden Stellen mit Ruß ein, um dekorative Hautmuster herzustellen. Erstaunlicherweise holten sich nur wenige der Wilden dabei eine Blutvergiftung.

Das junge braunhäutige Weibchen wurde von anderen älteren Weibern in den Busch geführt und mit Steinklingen bearbeitet. Während das Mädchen die Hände an einen Baum gestützt hielt und vor Schmerzen stöhnte, schnitten die Frauen tiefe Rinnen in Schenkel, Rücken und in die Brust der Braut. Anschließend wurde das Mädchen mit farbigem Lehm eingeschmiert. Später hüllte man sie in ein Federkleid und brachte sie ihrem zukünftigen Männchen und Besitzer. Bald würde sie ein Kind gebären, und mit etwa 45 Jahren oder früher würde sie an Alter, Erschöpfung oder Krankheit sterben.

An anderen Orten wurden die Jungen von klein auf zur Abhärtung regelmäßig ausgepeitscht. Unerwünschte oder kranke Kinder wurden im Busch ausgesetzt, da die Väter sich nicht mit dem Blut der eigenen Nachkommen besudeln wollten. Es gab Kulturen, dort wurden Alte und Kranke als unnütze Esser in die Wildnis gejagt und ihrer Habseligkeiten beraubt; dies vor allem dann, wenn sie keine engen Angehörigen mehr hatten. Die Lebensbedingungen waren gewöhnlich sehr hart, und Mitgefühl war unter solchen Umständen Luxus. Geachtet waren in den primitiven Kulturen die starken gesunden Jungen, oder angesehene Alte mit hoher Nachkommenschaft, die nur deshalb alt werden konnten, da sie geschickt, klug, brutal und wohlhabend genug gewesen waren, um zu überleben.

Ma'el erkannte, dass die Menschen kaum ein Bewusstsein von der Zeit hatten - sie dachten wenig an die Zukunft und wenig an die Vergangenheit, das war für sie zu abstrakt oder zu unangenehm. Wie die Tiere schienen sie vor allem planlos in der Gegenwart zu leben, zu töten, zu essen, sich zu vermehren und sonst sich wenig zu sorgen. Wenn sie Erklärungen für unbekannte Rätsel benötigten, so schrieben sie das der belebten Natur zu, deren Geister sie als Götter verehrten. Es war eben alles eine Laune irgend eines Gottes. Ihre Götter waren so launig, unberechenbar, brutal, streitlustig und eitel wie sie selbst auch. Selten einer unter ihnen, der weiter und tiefer dachte oder sich bemühte, durch Beobachtung Gegebenheiten zu erforschen. Wollten die Menschen, dass etwas geschehen sollte, dann wurde eben der Gott bestochen - durch Opfer von Dingen, Pflanzen, Tieren bis hin zu Menschen. Unrecht - das war bestenfalls der Verstoß gegen die Wünsche eines Gottes. Wo keine Gottheit etwas dagegen hatte, konnten die Barbaren ohne jede Skrupel ihre Artgenossen grauenvoll behandeln. Und was schon bei Menschen erlaubt war, war erst Recht bei Tieren und Pflanzen erlaubt.

Die Menschen hatten, zusammengefasst, nicht einmal genügend Bewusstsein, um sich selbst zu verstehen und zu akzeptieren - wie sollten sie dann erst ihre Umwelt bewusst verstehen? Es war anzunehmen, dass die Menschen - wie es bei anderen Spezies auch gewesen war - irgendeinmal ihre Welt erforschen und damit entgotten würden. Und dann würden nicht einmal die Gebote eines Gottes mehr gelten, vor deren Strafe sie sich bislang gefürchtet hatten. Sollten die Menschen bis dahin die Ethik nicht an sich als kostbares Gut entdecken, und die Welt und die Mitgeschöpfe als von sich aus des Respekts, der Wertschätzung und des Schutzes als würdig ansehen, würden die menschliche Selbstüberschätzung, Eitelkeit und mangelnde Tiefe der Gedanken zur Vernichtung der eigenen Spezies und der Erde an sich führen. Andere Kulturen, wie auch die taelonische, versuchten den allgemeinen Egoismus und Egozentrismus der Gesellschaft dadurch in Zaum zu halten, dass per Gesetz die Wünsche des Kollektivs über allem Individualismus zu stehen hatten. Ein Kollektiv, eine Volksgemeinschaft, die als Symbol einen bestellten Anführer oder König an der Spitze besaß, dem jeder sich bedingungslos zu unterwerfen hatte. Aber - das waren geradezu blasphemische Gedanken für einen Taelon - sah Ma'el das etwas anderes. Für Ma'el war ein gesetzlich erzwungenes Kollektiv nur eine künstliche Übertünchung von Egoismus, Gier und Unreife, die darum auch unverhüllt da und dort bei den führenden Mitgliedern des Kollektivs durchbrechen würden. Gewalt und Unterdrückung konnten die Entwicklung von sozialem Bewusstsein, Ethik und Einsicht innerhalb einer Gesellschaft nicht erzwingen. Sollten sich das Gemeinwesen von Taelons und Menschen jemals annähern, dann nur, wenn die unbeherrschten Menschen von sich aus imstande waren, zu größerer Logik, geistigen Einsicht, hellem spirituellem Bewusstsein und sozialer Reife zu gelangen. Andernfalls waren sie für das taelonische Gemeinwesen pures Gift.

Ma'el traf immer wieder auf Szenen des Krieges. Die Menschen waren geschickt und erfinderisch darin, sich gegenseitig abzuschlachten, um zu rauben, junge Weibchen zu erbeuten und Territorien zu erweitern. Während sich bei den Tieren nur einzelne Rudelanführer bis zum Tode bekämpften, abgesehen von den vorkommenden Hordenüberfällen der Schimpansen, gab das entwickelnde jeweilige aggressive Stammeskollektiv bei Menschen, vertreten durch Häuptlinge, Schamanen oder Könige, die Order des Angriffs für alle Stammesmitglieder heraus. Konsequenterweise wurde der angegriffene Stamm soweit ausgelöscht, als man ihn nicht integrieren wollte oder konnte. Wer - wie junge Weibchen oder Kleinkinder - nicht integriert wurde, oder sofort getötet wurde, wurde versklavt, den Göttern als Opfer dargebracht oder als Trophäe ins Heimatdorf mitgenommen und dort massakriert. Manche Pharaonen nagelten lebende Kriegsgefangene außen an die heimkehrenden Schiffswände. Andere Stämme kreuzigten oder steinigten die Gefangenen oder brachten sie als Brandopfer dar.

Ma'el untersuchte mit taelonischer Gründlichkeit in den folgenden Jahren auf allen Kontinenten die primitiven Kulturen. Er bemühte sich, rational und wissenschaftlich vorzugehen. Geflissentlich machte er seine Aufzeichnungen und Fallstudien. Die einzelnen menschlichen Exemplare und ihre Schicksale sollten für ihn als Forscher nur die Bedeutung einer Zahl haben. Skrupel oder Einmischungen waren für eine seriöse Forschung hinderlich. Aber der wilde Planet begann bereits seinen Einfluss auf den Taelon auszuüben, und kratzte mit seinem Gift an seiner Emotionslosigkeit. Oder hing das damit zusammen, dass er immer öfter in seiner manifestierten Fassade herumlief, statt in seinem blauweiß-strahlendem Energiekörper? Dass der raumfahrende Alien ausgesprochen gerne Sonne, Luft und Wasser auf seiner blass-weißen Haut spüren wollte? Immer wenn ihn die Barbaren entsetzten, ärgerten oder langweilten, flüchtete er sich zu seinem Schlafstuhl und sog sich mit Core-Energie voll. Dann war alles wunderbar und erhaben, die Brüder waren gar nicht mehr weit weg, und lästige Emotionen gab es durch die Quantenenergie auch keine. Mitunter legte er sich in Koma und verschlief mal einige Dekaden, um die langfristigen Auswirkungen seiner Experimente rascher zu verfolgen. Wenn er wieder erwachte, waren lästigerweise die gehorsamen Sklaven verstorben, schließlich lebten sie mit den unentfernbaren Kopfimplantaten höchsten noch weitere vier bis sechs Jahre.

Zu gerne hätte Ma'el die Meinung von Menschen zu einigen Begebenheiten gehört. Da die äußerlichen großflächigen Implantate für die zu beobachteten Wilden zu auffällig waren, war Ma'el dabei, effizientere Implantate zu entwickeln, die man direkt ins Gehirn einpflanzen konnte. Taelon-Zellen waren durch die Evolution so weit entwickelt und mit Bewusstsein durchtränkt, dass sie autonom einen niederen Organismus übernehmen und umformen konnten. Fügte man dem Implantat eine modifizierte eigenständige Taelon-Zelle hinzu, würde dieser innerlich an geeigneter Stelle eingeführte „Cybervirus” die menschlichen Gehirnregionen im Sinne des Taelons umfunktionieren und Gehorsam als Motivationsimperativ direkt einprogrammieren. Im Gegenzug würde die taelonische Zelle auch etwas von sich selbst übertragen. Die neuen Sklaven würden damit ihr Gehirn besser und logisch benutzen können, und Ma'el würde sogar mit den Sklaven vernünftig kommunizieren können! - Leider, stellte Ma'el fest, überlebten die Träger des neuen CVI keine zwei Jahre. Wenn der Cybervirus abstarb, starb auch der CVI-Träger. Eine erneute Inplantation war medizinisch noch nicht möglich, ebenfalls noch nicht eine Beseitigung des einmal eingesetzten CVI. Nur zwei Jahre! Das bedeutete für den Taelon relativ viel Aufwand für so wenig Erfolg. Seufzend musste er dies seinem Bericht hinzufügen, welches er noch immer regelmäßig an das Taelon-Mutterschiff abstrahlte.

Einige Generationen später: Ma'el hatte sich inzwischen weiter eingelebt und bemühte sich aus Respekt vor seinen eigenen Forschungsergebnissen, die Eingeborenen rücksichtsvoller zu behandeln. Das Problem war weiterhin: Wie sollten Taelons die Wilden dazu bringen, sich freiwillig dem Taelon-Kollektiv zu unterwerfen? Die Implantate waren auf Dauer keine Lösung. Ma'el musste einfach mehr über ihre Art und Weise zu denken herausfinden. Da sie ihm selbst mit ihren materiellen Waffen körperlich nichts antun konnten - allenfalls konnten sie ihn vorübergehend gefangennehmen - hatte er damit begonnen, zuerst tagelange Ausflüge zu machen, die er dann über Wochen auszudehnen begann. Er kostümierte sich, so gut es ging, mit Gewändern von Eingeborenen, hautfarbener Schminke und Schmuck und nahm dabei seine gehorsame CVI-Leibwache auf seinen Ausflügen in die Barbarei mit, um die fremden Kulturen direkt zu studieren. Die Eingeborenen waren aus Angst kaum zu einer Zusammenarbeit bereit, es sei denn, um ihn als „göttliches Wesen” zu besänftigen - da man es nicht los wurde. Ab und zu wurde einer der Leibwachen getötet oder gefoltert, aber am Ende konnte keiner der besuchten Stämme etwas gegen das gefürchtete übernatürliche Wesen unternehmen: Er war für sie ein Dämon oder ein Gott, je nach Interpretation. Ungewöhnliches war für sie eben über alle Maßen beängstigend. Ma'el wurde daher immer geschickter darin, nicht mehr so aufzufallen, und passte sich den Barbaren an. Fast zu sehr. Nicht nur was das Äußere betraf, sondern schleichend auch in seinem Verhalten und Wesen. Seine Artgenossen wären wohl ganz entsetzt gewesen. Im gleichen Maße verlor er immer mehr die Lust darin, regelmäßige Berichte an die Synode zu übermitteln. Die Synode würde die Dinge wohl kaum so sehen wie er an Ort und Stelle.

Anstatt weiterhin den unbeteiligten Forscher einer fremden Population zu spielen, was bereits langweilig wurde, unterhielt Ma'el sich mit den CVI-Trägern und den Barbaren über ihre Ansichten. In einigen Dingen waren sie schrecklich naiv und abergläubisch, fast wie Kinder. In anderen Belangen waren sie unerhört leichtfertig oder undiszipliniert. Ein wenig vermittelte Sauberkeit, Erziehung, Bildung, Ordnung und Disziplin, und schon hatte man ganz andere Wesen vor sich. Die den Taelon herausforderten. So kamen Ma'el und seine Leibwächter während der Wanderung an einem Schlachtfeld vorbei. Viele zerhackte Tote und ein paar unversorgte, noch lebende Schwerverletzte lagen da im Feld, über dem der Geruch von Blut und Fäulnis lag.
„Herr, deine Ansichten über die Menschen”, fragte ihn einer seiner CVI-Leibwächter namens Hernan, „sind wohl sehr schlecht?”
„Menschen sind wie einfältige Kinder”, erwiderte Ma'el mit etwas Verachtung in der Stimme. „Sieh doch, all die Toten. Niemand versorgt diese verletzten Krieger hier. Menschen haben kein Gewissen und keine Ethik!”
„Aber du, Herr, hast Gewissen und Ethik, und gehst ebenfalls vorbei?”
War da etwa ein Anflug von Kritik in Hernans Stimme??
„Ich bin kein Mensch. Es sind keine Artgenossen, sie gehen mich daher nichts an.”
„Die auf dem Feld hier sind auch aus einem fremden Volk und daher hilft keiner der Leute hier den Verletzten.”
„Das ist nicht dasselbe. Man tötet nicht Wesen der eigenen Art.”
„Aber Herr, du tötest doch auch. Du lässt gefangene Sklaven sterben. Deine Ethik verstehe ich nicht.”
Ma'el runzelte verärgert die Stirn. Was fiel dem Sklaven ein, einen Taelon zu kritisieren?
„Ich bin Forscher und ich töte niemals aus Gier, Wut oder Vergnügen. So primitiv sind nur Menschen. Ich hingegen verfolge nur eine gestellte Aufgabe. Ich verwende nur einzelne Sklaven, und nur wenn ich muss. Ihr aber löscht ganze Stämme grundlos aus.”
„Wir sind gewiss nur mit Fehler belastete Menschen, die, wie du sagst, kein Gewissen kennen. Aber du bist ein göttliches Wesen, das alles besser weiß. Wenn uns Ethik fehlt - kannst du uns das nicht lehren?”
„Schluss jetzt!” sagte Ma'el. „Du bist nur ein Sklave und hast nicht unaufgefordert Fragen zu stellen! Dein einziges Interesse ist, mir zu dienen. Sei jetzt still und lass uns weitergehen, bevor die wilden Tiere kommen.”
Sie waren etwa (ein Kilometer) weitergegangen, als Ma'el stehenblieb.
„Wir werden zurückgehen und die paar Überlebenden versorgen”, befahl der Taelon. „Damit du deine gewünschte Lektion in Ethik bekommst, Hernan. Ich hoffe, du bist damit zufrieden?”

 
* * *
 

Die Eingeborenen forderten den Taelon in ihrem Denken weiter heraus, je mehr er sie persönlich kennenlernte. Menschen hatten nicht nur negative Eigenschaften, sondern waren ebenso erfinderisch, lernfähig, humorvoll und herzlich. Gerade Emotionen waren das Fremdeste für den Taelon, die er nur mühsam wirklich verstand. Wer Zugang zu den Menschen finden wollte, musste ihre Emotionen verstehen. Emotionen aller Art hielten ihre Gemeinschaften zusammen. Emotionen waren doch ein Merkmal von Tieren? Wie konnte daran etwas Positives sein? Und doch...

Die Kernfrage blieb: Wie kompatibel waren Mensch und Taelon tatsächlich? Ohne es recht geplant zu haben, ging die Forschung Ma'els nun in eine spezielle Richtung. Er wollte wissen, inwieweit die menschliche Spezies tatsächlich in ihrer natürlichen Entwicklung zu mehr Bewusstsein und Verständnis gefördert werden konnte. Es blieb ja nicht aus, dass Ma'el bei den besuchten Stämmen passende Denkanstöße in Sachen Staatswesen, Ordnung, Religion oder Erziehung hinterließ. Die Reinheit der logischen abstrakten Ethik war noch nichts für die Eingeborenen, statt dessen existierte auf der Erde vereinzelt die emotionale Variante „Mitgefühl” - manchmal. Bei den meisten galt Mitgefühl, sofern sie es überhaupt kannten, als Schwäche. Mitgefühl war ebenfalls eine Emotion, die Zugehörigkeit signalisierte. Mitunter ließ Ma'el sich dazu herab, Medikamente herzustellen, zumal er ohnehin die Pflanzenwelt der Region untersuchte. Wenn Krankheiten die Bevölkerung nicht heimsuchten, so Mangelzustände und alle Arten von Parasiten. Seine Hilfe machte die Eingeborenen prompt zugänglicher für seine Ratschläge. Es war offenbar so, dass sie unter Härte und Angst zwar gehorchten, aber bei bewiesener Sympathie und guter Behandlung weit besser kooperierten und lernten, da es ihnen das Gefühl gab, zu einem Taelon und seiner „familia” zu gehören.

Inwieweit konnte das menschliche geistige Kollektiv sich an das geistige Kollektiv der Taelons anpassen? Es gab keinen anderen Weg, es musste ein unerhörter Schritt gesetzt werden. Ma'el wollte überlebende Hybriden zeugen und diese beobachten, wie sie sich in den einzelnen sich abzeichnenden Hochkulturen einfügen würden. Nur dies konnte eindeutig etwas darüber aussagen, ob Taelons auf der Erde, inmitten der Menschen, überleben konnten. Versuche mit taelonischem Erbgut waren in der Synode verboten, doch Ma'el hielt sie im Interesse des Überlebens der Taelons für absolut erforderlich. Der Synode teilte er nur das Allernötigste mit; sie musste schließlich nicht alles wissen.

Das Problem war nur, dass die Menschen abnormale Kinder gewöhnlich ermordeten. Ma'el sah sich außerstande, alle Kinder zu beschützen. Er beschloss nach einigen Versuchen, den Hybriden bessere Start- und Entwicklungschancen zu verschaffen, in dem er angesehene Frauen, Tempelpriesterinnen, Königinnen und Prinzessinnen zur künstlichen Schwängerung entführte oder sie stillschweigend als sonstige Gottheit oder Geist im blauen Energiekörper heimsuchte. Effektvoll war die vorübergehende Auflösung des Energiekörpers in Myriaden von glitzernden Energiepünktchen, die dann auf die Betreffende als Gold- und Lichtregen niedergingen. Der geheimnisvolle theatrale Auftritt war für Ma'el selbst immer wieder ein heimliches und einfallsreich inszeniertes Vergnügen. Fast als ob... Ein kleiner Ersatz für die Unmöglichkeit, sich direkt selbst fortzupflanzen. Ein realer Kontakt hätte die Frauen verbrannt! Abergläubisch, wie die eingeschüchterten Eingeborenen waren, waren sie wie einkalkuliert zu gerne bereit, die unerklärliche Technik des Taelon als göttlich zu betrachten. Dann musste man nur ein wenig das Gedächtnis der schönen jungen Testkandidatinnen manipulieren. Um so unvergesslicher das Erlebnis, desto geneigter waren die Frauen, das Kind zu beschützen. Das war zwar eine reizende, jedoch auch sehr umständliche und gefährliche Prozedur, zu Ergebnissen zu gelangen, zumal die meisten Hybrid-Versuche scheiterten: bei den Frauen gab es fast immer Fehlgeburten, und wo die Hybriden tatsächlich überlebten, machten ihre ererbte Intelligenz, ihre parapsychischen Gaben oder einfach ihre fremdartige Mentalität sie in der Bevölkerung so verhasst, dass sie meistens die Versuchsexemplare töteten.

So schafften es in den nächsten Jahrhunderten, das heißt zu Lebzeiten Ma'els, insgesamt nur 23 der Hybriden, längerfristig zu überleben. Nüchtern betrachtet, leisteten die paar überlebenden hochintelligenten Versuchsexemplare des Taelons den Wilden wirksame Entwicklungshilfe. Sie brachten es immerhin zu anerkannten Königen, Religionsstiftern, Philosophen, Entdeckungsreisenden oder zu wissenschaftlichen Forschern in (Ägypten, Palästina, im Zweistromland; im Nordwesten des indischen Subkontinents, am Ursprung des Indus, in China; in Mittelamerika; und im südlichen und nordöstlichen Mittelmeerraum). Und die Hybriden ihrerseits setzten weitere Nachkommen in die Welt. Sie integrierten sich damit in das menschliche Kollektiv, und machten es damit dem der Taelons verwandt. Das bewies Ma'el eines: Taelons und Hybriden konnten von Menschen akzeptiert werden - aber NUR wenn sie zu der dominierenden Kaste innerhalb der menschlichen Gesellschaft gehörten und sich anzupassen vermochten.

Aber fast wäre es niemals zu dieser Art „Entwicklungshilfe” gekommen.

Es war zu Beginn dieser seiner Schwängerungs-Missionen. Ma'el hatte erfahren, dass ein geeigneter Clanfürst sich demnächst vermählen würde. Der Alien saß, in seinem langen einfachen Leinenhemd über dem blauen Bio-Anzug gekleidet, auf einem Hügel und sah gerade per kleinem Holo-Bildschirm auf das primitive Nest von einer Stadt hinunter, mit seinen Lehmziegelbauten und Holzhütten, zwischen denen die engen Wege mit stinkenden Abfällen und Tonscherben sich schlängelten, voll mit grunzenden Schweinen, brüllenden Eseln, herumstehenden Arbeitskarren, feilschenden Erwachsenen und schreienden und spielenden Kindern, als er in den Augenwinkeln einen schwarzen Schatten heranhuschen sah. Nichts, was auf diesem Planeten hingehörte.‚Ein Jaridian!’ fuhr es ihm instinktiv panikartig durch das Bewusstsein. „Gefahr!” rief er seinen Leibwächtern alarmiert zu und erhob sich, um zu fliehen. Der dunkle Schatten war unsichtbar und blitzschnell, er ergriff die Köpfe der hilflosen CVI-Sklaven und brach ihnen einfach nacheinander das Genick. Ma'el versuchte zum getarnten kleinen Portal zu entkommen, aber vergeblich! Das unsichtbare Wesen - es musste ein Jaridian-Replikant sein, ein Kunstgeschöpf, was sonst - enttarnte sich. Es sah nicht wie ein Robot aus, sondern hatte offenbar die Gestalt eines bulligen schwarzhaarigen Mannes angenommen. In schwarzer Hi-Tech-Rüstung. In den Händen hatte er etwas, was nicht in diese Zeit gehörte - eine wuchtige Energiewaffe, die selbst einem Taelon den Garaus machen konnte. Ma'el konnte außer dem schwarzen Dunst keine Aura wahrnehmen - da war nichts um und in dem Mann, nur schwarze düstere Leere.

„Ich töte dich jetzt!” hauchte das Kunstgeschöpf mit einem zynisch verzogenen Mund - auf taelonisch.

Da tauchte urplötzlich seitlich ein weiteres Wesen auf, verdichtete sich aus einem gleißenden Nebel heraus. Ein schlanker großer Menschenmann mit dunkelblonden kurzen Haaren. Seine Kleidung war fremdartig. Er begann sofort auf den Replikanten zu schießen. Die Erde spritzte glühend auf, die umstehenden Sträucher fingen Feuer. Der Replikant verschwand plötzlich in einer dunklen, verschwimmenden Wolke - wohin auch immer.

Ma'el sah den dunkelblonden Mann mit der Energiewaffe in der Hand nur stumm an, auf eine Erklärung wartend. Er sah zwar wie ein Menschenmann aus, aber das konnte wohl nicht der Fall sein. Die Aura des Mannes leuchtete in vertrauten Farben, als wäre da etwas von Taelon dabei. Ohne Zweifel besaß der Mann mehr Bewusstsein als Ma'el gewöhnlich sonst auf der Erde vorfand.

„Hier bin ich wieder, Ma'el”, hauchte der Mann auf taelonisch. „Gerade rechtzeitig.”

„Woher kennst du meinen Namen?” fragte der Alien etwas überrascht. „Wir sind uns nie gegegnet, ich hätte das nicht vergessen.”

Der Mann überlegte kurz und steckte die Waffe weg. „Natürlich kennen wir uns nicht. Ich bin Liam.”

„Ich danke dir, dass du mein Leben vor dem Jaridian-Replikanten gerettet hast! Mein Leben ist offensichtlich auf diesem Planeten nicht mehr sicher. Ich werde daher unverzüglich abfliegen. Aber du - Liam -? - Du sprichst in Eunoia. Was bist du? Ein Mensch? Wohl nicht. Ein unbekannter Mensch-Hybrid? - Woher kommst du?”

„Ich komme - von weit her. Ich verfolge dieses Wesen, dass dich angegriffen hat, schon eine ganze Weile. Man hat mich mit diesem Auftrag hierhergeschickt, auf diese Welt. Dieses Wesen - es ist kein Produkt der Jaridians, sondern entstammt einer weitaus größeren Gefahr. Auch ich bin nicht unbedingt das, was du zu erkennen glaubst. Mir ist nicht erlaubt, dazu mehr zu sagen.”

„Eine größere Gefahr als die Jaridians?” Ma'el konnte das kaum glauben. „Wird dieses Wesen mich nochmals angreifen?”

„Nein, nicht hier”, beruhigte Liam Kincaid. Er sah mit einem bedauerndem Blick auf die Toten am Boden, um dann eindringlich fortzufahren: „Bitte setze deine Forschungen für die Taelon-Synode fort. Verlasse die Erde nicht. Deine Arbeit hier ist für die Zukunft von Taelon und Menschheit sehr wichtig!” Er zog mit seiner Linken eine Art kleines silberfarbenes Peilgerät aus seiner Tasche und aktivierte es.

„Es ist positiv, dass du nicht mehr so abhängig von der blauen Quantenenergie bist, wie ich feststelle”, sagte der Fremde so nebenbei mit einem kurzen Blick auf den Taelon. „Du weißt es nicht - aber sie ist Gift für eure Spezies! Sie tötet eure Kreativität und eure Gefühle.”

„Woher...” begann Ma'el etwas verwundert und verzog ärgerlich sein Gesicht. „Wie könnte ich mich davon fernhalten? Wir ernähren uns davon, und sie tut uns gut. Wieso sagst du das?”

„Wir werden uns einmal wiedersehen, Ma'el. Aber jetzt ... - Dieses Wesen ist nun fort, und ich muss ihm unverzüglich folgen. Keine Zeit für Erklärungen.” Er sah kurz auf die Anzeige des Peilgeräts in seiner linken Hand, drückte eine Taste und löste sich in einer Lichtwolke auf.

 
* * *
 

(Gegenwart, auf der Roleta:)
„Was bitte, soll das?” ärgerte sich Haggis und trat auf das real wirkende Roleta-Hologramm zu. „Sind deine Blechschrauben nun gänzlich durchgeschmorrt?”

„Leute...” begann Augur und wollte auch nach vorn. Ein Rucken des Kampfrobots vorne ließ ihn das Vorhaben schnell aufgeben.

„Wo sind wir überhaupt?” fragte hingegen Zo'or das Hologramm. „Das ist nicht das Universum, das ich in Erinnerung habe.”

„Viel wichtiger für mich ist”, fing Roleta eiskalt an, „wer oder was du bist! Meine Scanner sagen mir, du bist eine Art Taelon mit irgendwelchen Mischspuren, der aussieht wie eine Neo-Taelon. Also - wer und was bist du?”

„Ich bin Zo'or. Lies deine Dateien! Ich wurde als Atavus von der Erde verschleppt, bei den Fricks in einer fernen Galaxie sehr lange gefangen gehalten, wurde dann im Jahr 2334 während der Mission von Taelons, Jaridians und Menschen aus dem Frick-Territorium befreit und lebe seitdem auf der Erde. Frage doch Da'an.”

„Das weiß sie doch!” sagte Haggis aufgebracht.

„Ich denke, sie weiß das nicht”, erwiderte Zo'or und sah Roleta an.

„Da'an ist - nicht verfügbar”, sagte Roleta. „Für den Moment führe ich das Verhör! - Was dich betrifft, trägst du einen eingepflanzten bordüblichen Identifikations-Chip, der bis vor wenigen Augenblicken unbenutzt in einem meiner Depots lag. Und jetzt trägst DU ihn, und er zeigt 11 Jahre Aktivierung an. Mit deinen Erläuterungen kann ich nichts anfangen. Sie klingen ziemlich phantastisch. Eigentlich solltest du im 21. Jahrhundert gestorben sein. Fricks sind mir gänzlich unbekannt. - Und nun zu euch zwei”, wandte sie sich an Augur und Haggis. „Alex J. Chevelleau kam vor zwölf Jahren in einem Lager ums Leben, und Haggis wurde laut meinen Informationen vor 17 Jahren ermordet. Vor allem du, Haggis, trägst ebenfalls einen aktivierten gültigen Chip, den ich längst inaktiv gestellt habe. Und deine biologischen Daten sind mit dem meines Speichers identisch, nur dass du jetzt älter und fettleibiger bist als damals. Das ist ein momentan nicht lösbares Mysterium. Wärt ihr nicht eindeutig hier, würde ich euch als nicht existent betrachten. So muss ich von falschen Informationen oder Erinnerungslücken ausgehen. Alle drei kommt ihr zudem ausgerechnet von der Erde. Sollte es den irdischen Truppen jetzt möglich sein, einfach die Chips zu fälschen und unbefugt mein Schiff zu stürmen, ist die Lage mehr als ernst.”

„Du sprichst von der Erde - als feindlich?” erkundigte sich Augur.

„Was denn sonst”, erwiderte das Bordgehirn. „Das müsstet ihr doch wissen.”

„Nein, wir wissen nicht, was geschehen ist”, sagte Zo'or. „Bevor wir durch das Portal gingen, war die Erde in Ordnung. Menschen, Jaridians, Taelons und Hybriden lebten miteinander in Frieden, hier auf der Roleta, auf der Erde, auf dem Mond und auf London. Und jetzt sind wir hier, in einem Paralleluniversum. Welche Zeit schreibt man hier?”

„London?” fragte Roleta. „London ist seit 20 Jahren verschollen. Auf der Erde schreibt man das Jahr 2345. Das ist 15 Jahre nach der Machtergreifung, von der ihr wohl auch nichts wissen wollt. Wenn ihr von einem Paralleluniversum kommen würdet, wäre eure Quantensignatur leicht verschoben. Das ist nicht der Fall, soweit ich das jetzt feststellen kann. Nein, ihr kommt von diesem Universum. Aber wir können ja in der medizinischen Abteilung die Angelegenheit näher untersuchen. Einschließlich eure Erinnerungen. Es würde mich interessieren, ob man neuerdings auf der Erde perfekte Klons herstellen kann.”

„Wir sind gerne bereit, zu kooperieren”, erklärte Haggis, gänzlich bleich geworden. „Gewalt anzuwenden ist unnötig. Am besten ist, wir vergleichen alle unsere Erinnerungen und Aufzeichnungen. Vielleicht findet sich da die Lösung.” Es war ihr soeben klargeworden, wie ernst die Situation für sie drei wahr. Sie drei waren irgendwie in einer fremden Welt, wussten nicht, was geschehen war und Roleta hielt sie für Feinde. Mit Feinden sprang das Zefir-Schiff nicht gerade zimperlich um.

„Freiwillige Kooperation macht Gewaltanwendung unnötig und ist für alle Beteiligten erfreulicher”, bestätigte Roleta. „Ihr werdet zur Untersuchung in die Medizinabteilung eskortiert und dann in eine geschlossene - Wohnsuite. Kooperiert - und ihr werdet entsprechend freundlich behandelt.”

Während die Roboter die drei wegeskortierten, schien Zo'or sich geistig mit ihren Artgenossen zu unterhalten, denn sie wirkte etwas geistesabwesend. Dann wandte sie sich leicht zu den beiden Menschen und meinte rasch: „Ken'tau, Ka'sar und Mur'ru sind an Bord, auch einige Neo-Taelons. Da'an und andere Freunde werden auf der Erde gefangengehalten. Diese fremde Erde hier ist ein furchtbarer Ort!”

 
* * *
 

(Erde, etwa 950 v. Chr.:)
Die merkwürdigen Signale des Vulkans (der Halbinsel Kamtschaka) würde er sich später für eine Untersuchung vorbehalten. Im Moment waren Ma'el und seine Beschützer unterwegs (nach Mittelasien), um einige für Ma'el interessante Untersuchungen anzustellen. Das kleine Fluggerät (Shuttle) landete auf einer leicht hügeligen Ebene. Im Süden sah man bereits bläulich schimmernd die mächtigen Gebirgszüge aufragen, die das Gebiet vom südlichen Subkontinent trennten.

Es war bereits einige Generationen her, dass der gefährliche Unbekannte aufgetaucht war, und ganz offenbar war es wirklich so, dass dieser schwarze Fremde nicht mehr auftauchen würde. Dennoch hatte Ma'el seitdem seine fünf ihn begleitenden Leibwächter sicherheitshalber mit Strahlwaffen ausgestattet.

Ma'el war gerade dabei, einige Wurzeln auszugraben, als sie von Kriegern aus der Steppe völlig überraschend angegriffen wurden. Sie mussten sich geschickt herangeschlichen haben, ihre Reitpferde zurücklassend, aber anstatt wie früher Angst zu haben und ihn als Gott zu betrachten, wurden die Eingeborenen des Planeten neuerdings immer dreister. Ihre Pfeilbögen wurden auch weitreichender, wie Ma'el stirnrunzelnd feststellen musste. Zwei Pfeilen flogen ohne weiteren Schaden zu verursachen durch seinen Energiekörper und hinterließen außer Löchern im Stoff seiner Toga nur ein merkwürdig kitzelndes Gefühl. Drei der Leibwächter wurden dagegen von Pfeilen niedergestreckt, einer von Steinen aus primitiven Steinschleudern am Kopf getroffen. Dem letzten Beschützer gelang es, einen Teil der Krieger zu erschießen, bevor die anderen flohen.

Ma'el stand auf und sah auf die halbverbrannten toten Angreifer. Sie waren offenbar ethnisch gemischt und aus allen der Steppe angrenzenden Gebieten stammend. Dann drehte er sich zu den Leichen seiner Beschützer um. Der, den Steine am Kopf getroffen hatten, blutete heftig aus dem Ohr. Er hob, am Bauch liegend, stöhnend den Kopf, sah Ma'el näherkommen, hob die Strahlwaffe - und erschoss den unverletzten anderen Beschützer seitlich hinter Ma'el. Dann richtete er die Waffe auf den Taelon.

Der zuckte zurück, sah den Beschützer hinter sich fallen und wandte sich dem Liegenden mit entsetztem Blick zu. „Harmannes, was tust du?” fragte er entsetzt. „Bist du von Sinnen?”

„Im Gegenteil, Ma'el”, erwiderte er schwerfällig. „Seit langem kann ich endlich wieder klar denken.”

„Dein CVI ist defekt”, mutmaßte der Alien. „Deine Kopfverletzung sieht schlimm aus. Wenn du mich dir nicht helfen lässt, wirst du sterben.”

„Was bist du doch für ein Heuchler, Ma'el”, spottete der Mann zynisch. Er setzte sich, ächzend vor Schmerzen, auf. „Ich wäre ohnehin gestorben, in ein paar Monaten, wie alle anderen Beschützer zuvor. Tue bloß nicht so, als täte ich dir im Geringsten leid. Mitgefühl kennst du überhaupt nicht.”

„Du tust mir unrecht!” protestierte der Taelon. „Meine Ethik ist weitaus stärker ausgeprägt als du glaubst. Selbstverständlich bin ich besorgt. Ich sehe doch, dass du Schmerzen hast. Wenn ich Dinge tue, die ich tun muss, auch wenn ich sie nicht gerne tue, so hat das seinen Grund. Trotz Opfer, zugegeben, fördere ich die Menschen sogar. Aber deine Art ist leider zu rückständig, um solche Dinge zu verstehen.”

„Du hast mich in Hellas gesehen und musstest mich mitnehmen - obwohl du wusstest, dass ich eine Familie hatte, die jetzt unversorgt ist. Und jetzt werde ich hier elendig sterben, in der Fremde, und niemand wird mir ein Stück Gold in den Mund legen für den Fährmann und meinen Leichnam ehrenvoll verbrennen.” Der Mann atmete schwer, senkte den Kopf und wischte sich mit der freien Hand über das blutenden Ohr. Dann lachte er bitter. „Was willst du sein? Ein Gott? Nein, das bist du nicht, du bist nicht mal ein Dämon, sondern nur ein verfluchter Zauberer, der hier spioniert, damit sein Volk als Eroberer kommen kann. - Bleib bloß stehen!”

Harmannes zielte wieder mit der Strahlwaffe auf den Taelon, der versucht hatte, sich zu nähern. „Ja, Pfeile, Steine und Schwerter können dir nichts anhaben, aber diese magische Waffe hier, die Blitze schleudert, die macht selbst dir Angst, nicht wahr?”

„Sie kann mir nicht wirklich viel anhaben, Harmannes!”

Der Ionier sah ihn nur stumm an. Dann schoß der Mann viermal. Ma'el sah das Licht und schloß, unfähig etwas zu tun, die Augen. Aber der Mensch hatte nicht auf ihn gezielt. Er hatte die Box mit den Utensilien vernichtet, die dort noch gelegen hatte, wo Ma'el gegraben hatte. Die Box mit dem Signalgeber für sein Schiff! Und schlimmer noch: Es pfiff und knisterte jetzt ansteigend weiter hinten auf der Lichtung, dann erfolgte eine Druckwelle, die den Taelon niederschleuderte. Trümmerteile des Fluggeräts flogen umher und prasselten zur Erde.

„Du Wahnsinniger! Du hast auf das Triebwerk des Fluggeräts geschossen!”

Ma'el stand auf, klopfte sich die Erde von der Toga und eilte mit taelonischem Fauchen hinüber zum Erdloch, wo das (Shuttle) gestanden hatte. Da war nichts mehr zu retten! Er verwünschte sich, dass er so leichtsinnig gewesen war, seinen Leibwächtern Strahlwaffen zu geben. Natürlich waren sie durch das CVI intelligent genug, um die einzige Schwachstelle des Fluggeräts herauszufinden! Der Verlust war tragisch - sein kleines Schiff hatte nur ein (Shuttle) an Bord gehabt.

Als er sich wieder gefasst hatte, kehrte er wieder zu Harmannes zurück, der immer noch lebte und vornüber am Boden lag. Aber es ging zu Ende. Vor ihm in Höhe seines Kopfes hatte sich eine kleine Blutlache gebildet.

„Ja, Zauberer!” flüsterte der sterbende Mann. „Du wolltest alles von den Menschen wissen. Dann lebe auch wie ein Mensch!” Er röchelte leise. „Du bist ... weit weg ... keine Lichtnahrung, kein Schiff, nichts... Bis zum Schiff ... bist du verhungert ... ich sehe dich im Hades wieder ...!” Dann fiel sein Kopf zur Seite, er war tot.

Ma'el stand ratlos vor dem Toten, dessen Lebensessenz soeben sich verflüchtigte, wie an der Aura zu sehen war. Dann sah er sich um. Plötzlich sah der Planet gänzlich fremd und anderes aus: voller Gefahren! Harmannes hatte ganz recht gehabt: Auf einem Globus hätte Ma'el sein Schiff leicht gefunden - es war auf der Insel (Irland). Für jemanden ohne Fluggerät und Signalgeber schier unerreichbar. Seine anderen vier zurückgelassenen Beschützer würden das Schiff nicht steuern und ihn nie finden können. Es würde für den Taelon viele Jahre dauern, den Kontinent (Eurasien) zu durchreisen, mitten unter feindseligen Eingeborenen, ohne Tauschobjekte, Gold, Beschützer, Waffen und Werkzeuge. Und mit großer Angst, dass die Energie für seinen Energiekörper nicht reichen könnte. Viel schlimmer konnte seine Lage gar nicht mehr werden.

 

Ende von Kapitel 3

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang