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  „Höllenengel” von Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   November 2004
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Um ihr eigenes Leben und die Erde zu retten, müssen Zo'or, Haggis und Alex noch einen Zeitsprung riskieren; die Erde kann die Nachfolge der Kimera antreten, aber erst nach dem Ende der letzten ultimativen Bedrohung.
Zeitpunkt:  das Jahr 2346
Charaktere:  Zo'or, Jack-Ronald, Alex J. „Augur II.” Chevelleau, Haggis, die FBI-Agenten Jack Pearson und Mickey Rolley; die Bordintelligenz Roleta, Da'an, Tan Liü, Sy'la, Alexa, Krosch, Bethany, Andre Markus Anderson und Ko'lan
 
Warnung: Diese Geschichte beinhaltet Gewaltszenen.
 

 

HÖLLENENGEL

Kapitel 12

 

(Erde, im Jahr 2013.)
Die schneidende Kälte Ende Januar umfing sie wie ein eiskalter Schock. Die Menschen konnten die Kälte kaum einatmen. Ihr Atemhauch schlug sich als feinste Eiskristalle auf ihre Haut. Es war finsterste Nacht, und sie mussten in einer Art uralten schäbigen Hütte sein. Ohne geeignete Kleidung, ohne Energie, ohne Wärme, ohne Werkzeuge, ohne Nahrungsmittel.

„Oh Gott, oh Gott!” zitterte die Stimme Haggis nach einigen Momenten Stille. „Sie sind alle tot! Sie sind alle tot! - Und es ist so furchtbar kalt!”

„Wo sind wir überhaupt?” fragte Augur leise und versuchte sich im dunklen Raum zurechtzufinden. „Aua!” Er musste schmerzhaft an ein Möbelstück angestoßen sein.

„Ja, sie sind alle tot”, bestätigte Zo'or mit Trauer in der Stimme. „Ich kann keinen Taelon an Bord mehr wahrnehmen. Die Dunkelmächte haben das Schiff zerstört. Sie müssen eine Falle aufgestellt haben, und die Roleta ist hineingestolpert. - Wartet, meine Augen stellen sich gerade auf die Dunkelheit ein.”

„Hier muss ein Fenster sein”, meinte Jack-Ronald. Er zog den staubigen Fetzen von Vorhang beiseite und wischte den vereisten Schmutz von der Scheibe, auf der Eisblumen wuchsen. Von draußen fiel das fahle weiße Schimmern von Schnee als schwacher Schein in den Raum. Die Hütte schien im Wald zu stehen.

„Scout, komm zu mir!” befahl Zo'or. Das Interdimensionsportal aus Nanobots fiel in sich zusammen und erhob sich wieder als schwarzer Hund. Gehorsam näherte er sich im Dunklen Zo'or. „Wie kamst du hierher? Und wo sind wir?” fragte die Taelon.

„Ich wurde von Sy'la 2013 programmiert, die Verfolger abzulenken. Ich bin immer weiter nach Norden gewandert, bis ich in Alaska angekommen war. Da niemand mir danach einen Befehl gab, suchte ich eine Versteck und schaltete mich selbst aus. Erst dein Signal hat mich reaktiviert. Mein Datumsanzeiger zeigt den 29. Januar 2346 an. Wir befinden uns 22 Kilometer von Fort Yukon entfernt am Yukon-River in Alaska.”

„Das ist - der nördliche Polarkreis! Wir müssen - sofort - hier weg, oder - wir werden erfrieren”, sagte Augur, vor Kälte stockend.

„Du hast recht! Die Bordkleidung isoliert etwas, aber das wird für euch Menschen nicht genug sein”, erwiderte Zo'or. „Ich habe dieses Portal einfach blind angewählt in der Hoffnung, dass es noch existiert. Von Bord aus war kein anderes Portal mehr anwählbar. - Scout! Kannst du von hier aus ein anderes Portal anwählen?”

„Negativ”, erwiderte der Robot teilnahmslos. „Die Portale auf der Erde sind mit meinem zu 99, 998 Prozent nicht kompatibel. Ich setze aber die interne Suche fort, um eine Gegenstation zu finden. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass meine Energie zur Neige geht. Ich muss mich dringend an der Sonne aufladen.”

„Oh Gott”, klagte Haggis am ganzen Körper zitternd und klapperte mit den Zähnen, „es ist so furchtbar kalt! - Zo'or, wir dürfen nicht woanders hin, wir - sterben sonst an der Seuche. Bis hierher ist sie - vermutlich noch nicht gelangt, - weil es zu eisig ist, aber...” Sie trat im fahlen durch das Fenster dringende Licht an Zo'or heran und reichte ihr mit zitternden Fingern das kimerische Artefakt, welches sie von Bord der Roleta bei der Flucht mitgenommen hatte. „Hier, es ist unsere - einzige Chance. Stell es ein, und - lass uns springen! Bloß weg - von hier!”

„Hier scheint eine Art Kamin zu sein”, sagte Jack-Sandoval, der auf seine Art im Dunkeln die Hütte untersucht hatte. „Wir müssen Feuer machen, sonst erfrieren wir. Hat jemand etwas zum Anzünden?”

Natürlich hatte niemand etwas zum Feuermachen dabei, und außer Jack wusste auch keiner, wie man die paar uralten Holzscheite, die da gestapelt waren, im Kamin zum Brennen brachte. Es gab kein Papier, und hätte Zo'or nicht ein uraltes rostiges Messer in der Hütte entdeckt, hätte der Mann auch keine Späne schneiden können, auf die man die Scheite mit klammen Fingern luftig drauflegen hätte können. Der Taelon blieb nichts anderes übrig, als einige Späne mit ihrer Energie mühsam in Brand zu setzen. Haggis und Augur fühlten sich bereits halb erfroren, sie hatten sich in eine modrige, total verstaubte und verdreckte Polyester-Decke gewickelt, heftig zitternd, sich gegenseitig darunter wärmend. Endlich brannte das Feuer, und Sandoval hockte sich erleichtert und fast blaugefroren zum Wärmen hin. Die plötzlich einsetzende Hitze des Feuers verursachte ihm in den Fingern Schmerzen. Haggis und Augur krochen näher und machten es ihm eilig nach. Man konnte jetzt das Hütteninnere genauer sehen - es musste eine alte aufgegebene Jagdhütte sein, bestehend aus einem einzigen größeren Raum, alte halbverfallene Möbel, einem lecken Dach und massenhaft Staub.

Die Taelon war besser dran als die Menschen. Ihre Spezies war kälteunempfindlicher. Sie kniete sich wie die anderen vor das Feuer. Das Holz darin war alt und trocken, es knisterte in den Flammen.
„Das Artefakt ist noch auf das Jahr 2013 eingestellt”, sagte Zo'or, sich das Zeitreise-Gerät besehend. „Und es würde uns wieder weiter südlich bringen, ich schätze so in die Gegend um Philadelphia.”

„Wir wollen nicht nach 2013!” widersprach Haggis ärgerlich. „Davon ist keine Rede!”

„Du besitzt tatsächlich ein Zeitreisegerät?” fragte Jack-Ronald interessiert. So blaugefroren er vor Kälte er war, taub war er noch nicht. Seine Vermutung war richtig gewesen. Diese Information war ein weiteres kleines wichtiges Detail in seinem verschütteten Lebenslauf.

„Solange die kimerische Station, die das Gerät speist, existiert, solange funktioniert dieses Artefakt ebenfalls”, gab Zo'or zu.

„Die gesamte Polizei ist 2013 hinter uns her”, warnte Augur zweideutig. „Du weißt schon! Was willst du denen sagen, wenn sie dich erwischen, Zo'or? Den ehemaligen Synodenführer? - Und außerdem weißt du ganz genau, dass jede Zeitreise riskant ist, sie destabilisiert das Raum-Zeit-Gefüge. Immer wird die Zeit verändert.”

„Was macht das schon”, ächzte Haggis bitter. „Für Zo'or ist es ganz einfach und logisch. Die jetzige Erde ist verseucht und in den Klauen der Dunkelmächte. Die Roleta, die Taelons und unsere Freunde gibt es nicht mehr. Wir haben kein Geld und keinerlei Ausrüstung und sitzen in dieser Eishölle fest. Also wird einfach die Zeit verändert. Die drohende Vernichtung der gesamten Weltraumregion ist im Vergleich dazu ein annehmbares Risiko, nicht wahr? - Weißt du was, Zo'or? Du bist einfach für jeden in deiner Nähe ein böses Omen!” Sie brauchte jetzt in ihrer Wut einfach einen Sündenbock.

„Du könntest dich gerne den Hell's Angels anschließen. Oder ein Sklave der Dunkelmächte werden. Du könntest auch hier bleiben bis du erfrierst, verhungerst oder aufgefressen wirst. Oder darauf vertrauen, dass du zu den Wenigen gehörst, die die Seuche überleben würden. Dein Leben interessiert mich nicht besonders. Aber nimm es mir nicht übel, wenn ich mir meine Zukunft etwas anders vorstelle!” sagte Zo'or darauf zynisch. „Ohne eure Inkompetenz von Anfang an würden wir Taelons alle noch leben!”

„Hast du nicht...”, begann Haggis empört.

„Aber Ladies, bitte!” versuchte Augur zu beschwichtigen.

„Wenn wir die Erde durch eine Zeitreise retten können, so sollten wir es schleunigst tun!” sagte Jack-Ronald. „Ich würde es vorziehen, weiterzuleben. Nur, - so wie sie jetzt ist, scheint sie nicht viele Alternativen für ein Überleben zu bieten.”

„Was weißt du schon!” giftete Haggis. „Du weißt überhaupt nicht, was sie vorhat!” Frierend zog sie trotz des wärmenden Feuers vor sich die Decke enger um die Schultern.

„Warum gehen wir nicht einfach in ein anderes Jahrhundert?” schlug Augur vor. „Wir hätten da noch das 22. und 23. Jahrhundert....”

„Macht euch fertig!” befahl Zo'or einfach autoritär. „Ich stelle das Gerät jetzt ein. In wenigen Augenblicken werden wir uns im Amerika des Jahres 2013 befinden.”

 
* * *
 

Wenn man 2013 mittellos mitten im Spätherbst auf einer Straße nach Philadelphia strandet, so hat man außer buntem Herbstlaub auf Bäumen da und dort und weiten leergeernteten Feldern wenig zu erwarten. Zo'or hatte sich eiligst die Haare in die Stirn gezupft, um auf den ersten Blick nicht als Taelon aufzufallen. Freilich war der Aufzug der exotisch gekleideten Vier mit dem schwarzen kleinen Hund an sich schon etwas auffällig. Es waren nicht viele private Fahrzeuge auf dieser Landstraße unterwegs. Die Taelons hatten die Menschen mit ihren Interdimensionsportalen verwöhnt. Nur ging denen langsam die Energie aus.
Die vier versuchten es per Autostopp, doch keiner wollte anhalten und sich womöglich Ärger mit der Polizei einhandeln. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu Fuß in die Stadt zu gehen. Das kostete ihnen einige Stunden.

Auf den Straßen der Stadt patrouillierten in Sechsergruppen schwarzgekleidete vermummte schwerbewaffnete Polizisten in der Art, wie es noch Monate zuvor die Freiwilligen-Truppen der Taelons getan hatten. Das kam wohl daher, dass, nach dem Verscheiden der Taelons, die gut ausgebildeten Freiwilligen-Einheiten sich der Polizei oder der Armee unterstellt hatten. Solange sie noch lebten. Durch die Implantate war ihre Lebenserwartung dramatisch verkürzt worden.
Die Vereinigten Staaten hatten es nicht eilig, die Ausnahmegesetze wieder rückgängig zu machen, die die Taelons eingeführt hatten. Diese Gesetze hatten massiv in die Rechte der Menschen eingegriffen, weit stärker als noch als die Änderungen in „The Patriot Act” von 2001/2.
Die kleine Gruppe hatten drei Tage Zeit, sich eine Waffe zu besorgen, um an der Abzweigung einer Highway vor Washington ein Attentat auf den Norweger Piet A. Camdsten zu verüben. Wenn Camdsten erst tot war, dann würde es nie eine H.A.P. geben und die Dunkelmächte würden sich nie auf der Erde eingenistet haben. Hoffte Zo'or. Denn dann würden die Dunkelmächte sie, Zo'or, von der Erde entführen haben und später die manipulierte die Quantenintelligenz gegen die Menschen hetzen, die man besiegen hatte können. [1]

Wie schon beim ersten Mal kam Zo'or für einen Moment das schier unwiderstehliche Verlangen, ihre Entführung und die anschließende schreckliche Gefangenschaft per Zeitreise ungeschehen zu machen, und sie musste alle ihre Logik einsetzen, um dem nicht zu unterliegen. Die Vier bezogen heimlich „Quartier” in einer alten verlassenen Fabrik. Gegen Abend nahm der Hunger zu und Haggis und Augur zogen los, um entweder etwas zu essen oder Geld aufzutreiben, und wenn sie betteln mussten. Die beiden bestanden darauf, dass Jack-Ronald und Zo'or sich versteckt hielten, da gerade die zwei auf jeder Fahndungsliste ganz oben standen. Zur allgemeinen Erleichterung verhielt sich Jack vernünftig, fragte und sagte wenig und brütete vielmehr vor sich hin.

Zo'or, auf dem schmutzigen Boden hockend, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und fiel in einen leichten Schlaf.

Sie war in einem irdischen Palast aus weißem Marmor, und Sandoval war an ihrer Seite. Der Palast war ein luxuriöser Bau, voll mit zahlreichen Bediensteten, die alle Implantate trugen. Er und sie herrschten seit zwei Generationen gemeinsam und absolut, denn die Energie Zo'ors verlängerte Sandovals Lebensdauer; und sie waren in ihrer Amtsführung wenig zimperlich. Jeder, der ihre Macht im Frage stellte, wurde beseitigt. Wieviel Hunderttausende das bislang waren, wer konnte das sagen? Einige Millionen waren als Regimegegner mit Implantaten mundtot gemacht worden. Dennoch konnte man nicht übersehen, dass die Erde gesamt unter ihrer Regentschaft eine blühende Wirtschaft, eine starke Militärmacht, ein ausgeprägtes Sozialwesen und eine reiche Kultur entwickelt hatte. Niemand musste hungern, Kriege gab es nicht. Übergriffe gegen Kinder wurden nicht geduldet, Kranke und Alte wurden optimal versorgt. Wissenschaftler lieferten jede Menge nützlicher Erfindungen, Umweltschutz und Geburtenkontrolle wurden groß geschrieben. Scheinbar war jeder Mensch frei. Nur gab es keinerlei politische Freiheit. Die Menschheit lebte in einem goldenen Käfig.

Ihr Mann kam zu ihr und strich ihr sanft über den Bauch. Er band ihr ein rotes feines seidenes Tuch um den Schoß und schlang einen Knoten hinein. Sie war schwanger und würde über kurz oder lang ein hybridisches Kind zur Welt bringen - wie, war noch nicht ganz klar, möglicherweise war eine Operation vonnöten. Sie war auf dieses Kind so stolz! Sie wusste, dass Ronald Sandoval seine Mätressen hatte, und auch andere Kinder, aber das war egal, denn sie war die Königin, seine Königin, durch sie lebte er erst, und der Rest zählte nicht.

Journalisten waren gekommen und das Herrscherpaar gewährte ein genau vorausgeplantes Interview.
Mit einem Mal standen sie im Garten des Palastes. Ein Gewitter zog auf, die Wolken türmten sich mit einem Male drohend auf, das helle Grün des Gartens verdunkelte sich zu graubraun. Der Wind rüttelte an den Bäumen, und plötzlich zog ein Mann, der unter den Journalisten stand, eine Pfeife aus seiner Hosentasche. Nein, es war eine Plastik-Waffe! Und so schnell auch ihre Garde reagierte, Sandoval wurde vor ihren Augen erschossen. Sein Blut auf den weißen Steinen war rot wie die Farben der Rosen auf der Terrasse und die Farbe des Tuches um ihrer Hüfte, und die Rosenblüten auf den Stöcken und das Tuch um ihre Hüfte wehten fort mit dem Sturmwind. Ihr Mann war tot, und sie schrie auf, seinen Namen rufend, und wollte zu ihm laufen...

„Zo'or”! Jack rüttelte an ihrer Schulter. „Wach auf!”
Die Taelon schlug die Augen verwirrt auf.
„Du musst schlecht geträumt haben”, sagte der Mann.
„In der Tat. Das ist kein Wunder”, gab sie zu und verschränkte ihre Hände vor dem Bauch. „Ob Taelon, ob Atavus, diese primitive Halle ist sehr unbequem.”
„Ich werde jetzt hinausgehen und mir Geld beschaffen. Bitte bleibe hier.”
„Und wie willst du das anstellen? Dieses Jahrhundert ist dir völlig fremd. Es ist zu gefährlich! Ich kann das nicht erlauben.”
„Du kannst mich nicht daran hindern. Ich bin der einzige, der hier wirklich weiß, wie und wo er zu Geld kommt, legal und illegal, und wie er die Polizei austricksen kann. Ich hatte Vorkehrungen getroffen.”
Zo'ors Augen weiteten sich in plötzlicher Erkenntnis. „Du erinnerst dich...?”
„Ich erinnere mich, meine Königin. Ich erinnere mich an vieles, wenn auch nicht an alles.” Er kniete sich zu ihr hin und griff sanft nach ihrer Hand. Er zog die Taschenuhr aus seiner Jacke und legte sie ihr langsam in ihre Hand. „Die hier - habe ich dir geschenkt, nicht wahr? Das hat sowohl für dich als auch für mich eine gewisse Bedeutung. Also bewahre sie gut auf, mein Herz!”
Zo'or sah verlegen auf die Uhr, dann schloss sie die Finger darum. An DAS erinnerte sich dieser Mann also ebenfalls. Das konnte heiter werden! Warum konnte er nicht einfach ohne Erinnerung bleiben?

„Hast du dir nie überlegt, dass wir mit der Zeitreisemaschine gewisse Dinge ungeschehen machen könnten?” fragte Sandoval, sich hinhockend. „Wir könnten uns die Macht wieder zurückholen, die wir verloren haben. Hast du dir nie überlegt, wie es wäre, wenn wir gemeinsam über die Erde herrschen würden? Wir könnten uns eine ideale Welt aufbauen, gemeinsam. Zum Wohle unserer beiden Spezies.”
„Die Idee ist mir gekommen. Doch ich habe mich verändert. Es ist zu spät. Die Manipulationen sind zudem sehr gefährlich. Es kann jederzeit ein Paradoxon entstehen. Ein zeitliches Paradoxon könnte die Erde vernichten. Außerdem lebe ich in diesem Moment doppelt, hier und an einem anderen Ort. Der Kosmos duldet das nicht sonderlich lange.”
Sandoval stand nach kurzer Überlegung auf, um hinauszugehen, dann wandte er sich wieder zu Zo'or: „Und ich bin nicht mehr der FBI-Agent Sandoval, den du damals gekannt hast, meine geliebte Schöne. Dennoch: Das Angebot steht. Wenn es in der Vergangenheit unmöglich ist, kann es doch für die Zukunft möglich sein!” Er warf ihr mit der Hand ein Küßchen zu und eilte hinaus. Zo'or sah ihm stirnrunzelnd nach, erhob sich, ging eine Weile überlegend auf und ab. Wollte sie das überhaupt? Wollte sie denn noch mit aller Macht regieren? Koste es, was es wolle? Wollte sie sich mit diesem Menschen verbinden? Und Sandoval - der neue Sandoval - wer war das überhaupt?
Sie hatte keine Ahnung. Seufzend setze sie sich wieder. Sie konnte im Moment nur warten.

 
* * *
 

FBI-Agent Jack Pearson knallte eine Akte vor Mickeys Rolleys Gesicht, der vor dem Flachbildschirm seines PC's saß. „Da, lies!” knurrte er. Er setzte sich ihm an den Schreibtisch gegenüber und stellte den Plastikbecher mit Kaffee ab.

Agent Rolley runzelte unwillig die Stirn. Nicht gerade jetzt, er war gerade dabei, das Internet abzusuchen nach... Andererseits konnte er seinem Partner gegenüber nicht so sein. Das war doch die Sache damals mit dem Barman Tommy Douglas und dem ungeklärten Massenmord? Er öffnete die Mappe. „Mich laust der Affe!” rief er, die letzte Notiz lesend. „Wir haben vor ein paar Monaten das Signal des Portals der Verdächtigen Richtung Norden verloren. Jetzt taucht es wieder auf - irgendwo um Philadelphia. Mann! Unsere Leute von der Frequenzüberwachungszentrale haben wirklich etwas drauf!”

„Dann wird es Zeit, uns dort umzusehen!” meinte Pearson trocken. „Ich dachte schon, die Spur wäre kalt. Ich kann die vielen Toten von damals nicht vergessen.”

„Warte noch”, bat Rolley seinen Partner. „Da kommt eine Meldung rüber. - Da: sieh dir das an!” Er drehte den Schirm in Richtung Pearson. Ronald Sandovals Gesicht war darauf zu sehen, vor einem Geldausgabeautomaten.
98,3 Prozent Wahrscheinlichkeit. „Wie du weißt, überwachen die öffentlichen Kameras kritische Plätze in jeder Stadt. Der Computer hat gerade diesen Verdächtigen in Philadelphia gemeldet - der angeblich seit Monaten tot sein soll. Ausgerechnet Philadelphia! Ausgerechnet Sandoval! Passt das nicht irgendwie?”

„Zeig mir das Originalbild!” verlangte Pearson. Sogleich war darauf ein Mann mit etwas längeren schwarzen Haaren zu sehen, der sich ein Tuch vor das Gesicht hielt. Die Körpergröße und Statur entsprach denen von Sandoval. Der Computer hatte anhand von Knochenbau, Augenmerkmalen und dem neuen scannenden Ultraschall-Verfahren, entwickelt um das Jahr 2000, der den nackten Körper durch den Stoff sichtbar machte, das wahrscheinliche Gesicht hochgerechnet.

„Dieser Mann hat mit einer altertümlichen Bankomatkarte, lautend auf einen gewissen Mark DuMont, Geld abgehoben - die gesamten auf einmal erlaubten 5000 Dollar. Die Karte ist vermutlich gestohlen. Dieser DuMont sieht ganz anders aus.”

„Auf nach Philadelphia!” meinte Pearson und trank rasch seinen Becher Kaffee aus. „Jagen wir diesen Schweinehund mit seiner außerirdischen Mörderbande und befördern wir sie in die Hölle!”

 
* * *
 

Haggis, Alex J. „Augur” und Zo'or waren heilfroh darüber, etwas Geld zu bekommen. Die unverdächtige Haggis musste mit ihrem Namen ein uraltes Wohnmobil von einem zweilichtigen Kubaner mieten und zahlte, da sie keine Papiere vorweisen konnte, für eine Woche 4000 Dollar. Sie gab an, vor ihrem gewalttätigen Ehemann abhauen und zu ihren Eltern nach Miami zu wollen. Da der Mann sie suchte, konnte sie kein öffentliches Ticket kaufen. Der Kubaner glaubte ihr kein Wort, aber das machte nichts, das Wohnmobil war ebenfalls bestimmt gestohlen. Er schärfte ihr ein, die öffentlichen Plätze zu meiden und das Wohnmobil bei seinem Cousin in Florida zurückzugeben. Das Wohnmobil war zwar sehr klein und besaß nur drei Schlafplätze, hatte aber wenigstens eine Mini-Dusche und ein WC. An den wenigen noch existierenden Tankstellen besorgten sie sich etwas zu essen und durch einen Einbruch kamen sie zu neuer Kleidung und einer Waffe. Sandoval gab sich keinen Illusionen hin: bestimmt suchte man sie schon, doch wusste die Polizei nicht genau, wieviel Personen sie waren, wohin sie wollten und was sie vorhatten. DAS hatte er selbst erst herausgefunden: Zo'or , die wie die anderen aus der Zukunft kam, wollte durch ein Attentat diese Zukunft zurückverändern. Angeblich sei ihre Zeitlinie durch Fremde verändert worden, sagte sie, und zwar zum Horrorszenarium der H.A.P. Ein Norweger und Mitglied der Hell's Angels namens Piet A. Camdsten hatte durch Fremdeinfluss einen Verkehrsunfall überlebt. Seine Nachfahren gründeten, angeregt durch seine späteren Bücher, die extrem neoliberale, rassistische und gewaltbereite Hell's Angels Party, die zur Weltherrschaft kam. Ihr Programm war der absolute Herrschaftsanspruch der Gesunden, Starken und Skrupellosen über alle Minderbegabten, Minderbemittelten und Rückständigen, unter der Führung der Familie Camdsten. Wenn man nun diesen Camdsten beseitigen würde, dann müsste die Zeitlinie wieder ihren gewohnten Gang nehmen. So Zo'or. Was ist gut, was ist böse? Einer musste sterben zum Wohle von Milliarden! Es gab einfach keine gesetzliche Handhabe, ihn anders unschädlich zu machen. - Das große Risiko dabei war die erneute Erzeugung eines gefährlichen zeitlichen Paradoxons.

Die große Frage für Sandoval hingegen war, ob sie anschließend wirklich in das 24. Jahrhundert zurückkehren sollten? Würde es nicht ausreichen, einfach ins 22. Jahrhundert zu gehen, wo keine Polizei sie suchen würde, um dort sukzessive eine eigene Herrschaft zu errichten? Oder wieso nicht einfach in die Vergangenheit? Haggis und Alex schienen keine Probleme damit zu haben. Warum sollte er, Sandoval, dann Probleme deswegen haben? - Nein, Haggis war überzeugt, dass sie sich nur eine gewisse Zeit lang in einer fremden Zeit aufzuhalten vermochten, oder gleichzeitig in einer Zeitlinie existieren konnten. Die natürliche Ordnung des Universums würde sie einfach töten, auslöschen, zum Verschwinden bringen. Zo'or - existierte im 22. Jahrhundert doppelt... Sie hätte nicht mitgekonnt. Und er alleine - da konnte er gleich mit Zo'or zurück ins 24. Jahrhundert.

Ronald Sandoval fuhr das Vehikel. Während Zo'or sich einfach stundenlang zur Meditation hinsetzte, und Haggis sich durch Nahrungszubereitung etwas nützlich machte, rührte Augur keinen Finger, sondern vergnügte sich mit dem Mini-Fernseher im Wohnmobil. Er freute sich diebisch, uralte antike SF-Serien wie „Startrek”, „The Next Generation”, „Voyager”, „Andromeda” oder andere zu beobachten, die gerade in den billigen Sendern tagsüber wiederholt wurden. Er konnte sich über die gezeigte Tricktechnik in den Filmchen geradezu kaputtlachen. „Stell dir vor”, musste er Zo'or postwendend berichten, „die wollen sogar über Taelons eine Serie drehen. Mal sehen: ein gewisser Brad Pitt soll William Boone spielen, Chris O'Donnell soll Liam Kincaid spielen, Jennifer Lopez spielt Lili Marquette, Alicia Silverstone spielt Renée Palmer, Augur wird von Will Smith gespielt, Kirsten Dunst spielt Da'an, Nicole Kidman spielt Zo'or – oh Mann, die sieht vielleicht böse aus! Willst du nicht mal hersehen, Zo'or? - Rick Moranis spielt Sandoval, Rowan Atkins spielt Präsident Thompson. Filme mit denen habe ich mir bereits angeguckt! Wenn wir wieder an Bord sind, muss ich mir das im Archiv ansehen.”

Zo'or öffnete die Augen und seufzte. „Mit so einem Unsinn belästigst du mich? Die meisten dieser Schauspieler wurden mir während einer Veranstaltung vorgestellt. Ich habe mich entsetzlich gelangweilt. Die Menschen sind und bleiben verspielte Verrückte. Zuerst will man uns Taelons mit allen Mitteln loswerden, und dann macht man sentimentale Filme über uns. - Und jetzt sei still. Ich bin beschäftigt.” Sie verwandelte sich kurzentschlossen in ihren blauen Energiekörper, um nichts weiter zu hören.

So schlugen sie sich durch bis zum besagten Dienstag. Dann versteckten sie das Wohnmobil hinter Büschen in der Nähe der Autobahn und begaben sich zu Fuß in Richtung Highway-Abzweigung, wo der tödliche Unfall von Camdsten hätte passieren sollen. Oder vielmehr passieren sollte. Vorausgesetzt, die Berichte aus dem 21. Jahrhundert waren zutreffend. Über die Highway führte eine alte Brücke, von der sie hinabsehen konnten. Sie warteten gespannt auf die besagte Harley Davidson. Das Motorrad sollte mit einem alten grünen Ford Escort, der auf die Autobahn auffahren wollte, kollidieren. Der Fahrer der Harley Davidson würde schwerverletzt auf die Gegenfahrbahn geschleudert werden, es würde in der Folge dort zu einer Massenkarambolage kommen. Camdsten durfte diesen Unfall einfach nicht überleben!

Keiner der Vier ahnte, dass ein anderes Auto im Szenario fehlte: der weiße Cadillac von Renée Palmer würde nicht unter den Autos der Gegenseite sein, die „damals” in den tödlichen Unfall verwickelt wurden.
- Und die Attentäter hatten bei ihrer Planung keine Ahnung, dass sie längst vom FBI gejagt wurden.

 
* * *
 

Da waren sie, die Verdächtigen! Pearson ließ das Satellitenfoto aus Washington DC näher heranzoomen. Ein älterer Farbiger, eine pummelige Rothaarige, eine schlanke große Frau mit so verwuschelten Haaren, das man das Gesicht nicht erkennen konnte - und Sandoval mit Bartstoppeln, im Jeansanzug! Ein schwarzer Hund stand seitlich bei den Kriminellen.

Das Signal des verdächtigen Interdimensionsportals war da, aber vermutlich getarnt. Nur die Personen waren gänzlich andere als an der Westküste. Der Zusammenhang war hier nicht klar, aber das Portal und der ehemalige FBI-Agent und Massenmörder Sandoval gab dem FBI jede Berechtigung zum Eingreifen. Was zum Teufel suchten sie auf dieser Brücke über dem Highway?

„Hast du die Identität der anderen drei herausgefunden?” fragte Pearson seinen Kollegen.
„Leider nein”, sagte Rolley. „Ihre Gesichter sind nirgendwo gespeichert, vielleicht können wir bei Gelegenheit die DNS und die Fingerabdrücke sicherstellen. Außerdem ist die dünne Blonde interessant, sie bewegt sich irgendwie, na beobachte selbst...”.
„Wie eine Art Taelon oder Atavus oder so ein außerirdisches Biest. Wenn du mich fragst. Da, diese typischen Gesten! Genauso wie im Fernsehen. Es heißt zwar, die wollen gerade die Erde verlassen oder sind schon weg, aber wer weiß... Dieser Sandoval ist doch auch noch am Leben, oder?”
„Was macht sie da?” rief Rolley. „Das Luder hat eine Laserwaffe und zielt jetzt auf die Fahrbahn!”
Pearson riss sein Global hoch und verständigte das Einsatzkommando. Es sollte sofort näher fliegen! Auf dem Bildschirm war gerade ein verheerender Unfall zu sehen. Die beiden FBI-Agenten rannten raus und zum Portal, der sie zum Polizeiaufgebot bringen sollte.

 
* * *
 

Da war die Harley Davidson, pünktlich 10 Minuten nach ein Uhr nachmittags tauchte weit hinten das Motorrad auf. Ein bulliger Mann mit Bart saß darauf in einer schwarzen Lederhose und einer schwarzen Lederjacke mit Nieten, ohne Hemd. Hinter ihm befanden sich fünf andere Motorräder. Der Kerl war nicht allein! Die Taelon überlegte blitzschnell. Welcher war tatsächlich Camdsten? Ein Farbiger, ein Schwarzhaariger, einer mit Frau hinten, einer mit Helm, ein Blonder ohne Bart. Camdsten MUSSTE einfach der erste der Fahrer sein, er glich den Abbildungen, die Zo'or gesehen hatte. Wo war der Ford Escort?

„Glaubst du nicht, dass ich besser geeignet wäre, zu schießen, Zo'or?” sagte Ronald nochmals.
„Nein”, erwiderte die Taelon. „Meine Augen sind schärfer und meine Reflexe besser. Ich kann das. Glaube mir!”
Da kam bereits der Ford Escort mit überhöhter Geschwindigkeit die Auffahrt herauf und direkt auf die Harley mit Camdsten zu. Zo'or riss das Lasergewehr hoch, zielte auf Camdstens Brust und schoß fast im selben Moment, als Camdsten vom Motorrad gestoßen wurde. Er ruckte vom Schuss getroffen nach hinten, dann traf das Auto das Motorrad seitlich. Der sterbende Körper flog mit Wucht über die Leitplanke auf die Gegenbahn und wurde dort von einem abbremsenden Wagen überrollt. Die ersten zwei der folgenden Motorradfahrer fielen uns schlitterten über den Straßenbelag, die restlichen steuerten ins Gebüsch, um dem abbremsenden Ford Escort zu entgehen. Auf der Gegenfahrbahn, wo schrille Bremstöne zu hören waren, fuhren Autos unter dem häßlichen Lärm von brechenden Metall aufeinander, das erste Auto ging dabei in Flammen auf.

Zo'or stand inzwischen mit dem Gewehr wie betäubt da. „Komm schon, wir müssen weg!” drängte Sandoval alarmiert und zog sie vom Geländer weg. „Da kommen Hubschrauber!”
„Nicht nur Hubschrauber!” rief Haggis. „Da ist plötzlich überall Polizei!”
„Wo kommen die Polizeiautos und die Freiwilligenverbände so schnell her?” wunderte sich Alex J.
Sie liefen über die Brücke in Richtung Gebüsch, doch sie würden von da nicht mehr entkommen, das war klar.
„Stehenbleiben, hier spricht das FBI!” hörte man bereits die Lautsprecher. „Bleibt stehen, oder wir schießen!”

Zo'or aktivierte das Zeitfeld und duckte sich hinter dem Geländer. „Zu mir, rasch!” befahl sie. Sie hatten keine Zeit mehr, zum Ausgangspunkt Philadelphia zurückzukehren. Die Alternative war nur die Festnahme.
„Das ist riskant!” protestierte Haggis, warf sich nieder und kroch näher. Die Polizei eröffnete von unten das Feuer. Steine fetzten vom Treffer aus der Brücke. Wenn sie sich nicht bewegten, würde die Brücke einstürzten. Gleich würden die Hubschrauber über ihnen sein. Die wollten niemanden festnehmen, die wollten sie erschießen! Alex J. war bereits bei Zo'or. Ronald warf sich schützend im selben Moment über die Taelon, als die Hubschrauber das Feuer eröffneten und sie ins 24. Jahrhundert verschwanden.

 
* * *
 

(Erde, im Jahre 2346:)
Sie stürzten etwa 5 Meter tief und landeten ziemlich brutal auf aus dem Schnee ragende Felsen und Baumstümpfen irgendwo in der Wildnis, vermutlich in Alaska, morgens, und es war wieder bitter kalt. Da sie nicht zum Sprungort zurückgekehrt waren, hatte die Programmierung sich nicht exakt anpassen können. Sie hätten sich genauso gut mitten in einem Berg oder im Meer materialisieren können!
Haggis fühlte nur den heftigen Aufprall, fühlte das Krachen ihres Fußes und der Rippen, doch Schmerzen hatte sie durch den Schock noch keine. Das Adrenalin in ihrem Körper machte sie hellwach. Augur lag weiter hinten mitten im Schnee. Außer Prellungen war ihm nichts wohl passiert. Beide hörten den entsetzten langen Aufschrei von Zo'or weiter hinten, der ihnen durch Mark und Bein fuhr, und der dann in Weinen überging. Mühsam rollte sich Haggis herum und versuchte, etwas zu erkennen. Alex wollte aufstehen, als sich plötzlich die Welt zu drehen begann. Für einen Moment sah er die Jahreszeiten rasend wechseln, Bäume sterben und wachsen, Menschen in verschiedenster Kleidung und Wild durch den Wald laufen.

„Die Welt, sie verändert sich!” rief Haggis. „Ich kann es sehen, ich kann es fühlen!”

Dann war es vorbei, und Alex eilte in Richtung Zo'or. Die hockte blutbeschmiert im Schnee. Angeschmorte Leichenteile lagen um sie verstreut. Das frische Blut war bereits am gefrieren. Zo'or wischte sich die Tränen aus den Augen und rang mühsam um Fassung. Die beiden Menschen sollten sie nicht so sehen.
„Er wurde getroffen, bevor wir gesprungen sind”, sagte sie mit einer Mischung zwischen Trauer und Ekel. „Er hat sich über mich geworfen. Die Schüsse haben ihn zerfetzt. Das ... das... das ist alles, was von ihm geblieben ist.” Sie deutete mit einer Geste auf die Leichenteile. An einer Schulter befand sich noch der halbe Kopf. Die Teile müssen auf Zo'or beim Fall herabgeregnet sein.

„Was ist los?” hörte Alex Haggis laute Stimme.
„Es tut mir leid”, sagte der Mann und rieb sich die frierenden Schultern. Das hier war kein schöner Anblick. Dennoch war er erstaunt, dass die starke Zo'or so mitgenommen schien und half ihr hoch.
„Ich muss mich jetzt um Haggis kümmern, ja?”
„Was ist passiert?” fragte Haggis nochmals laut.
„Jack ist tot”, antwortete er, als er mühsam durch den Schnee zu ihr stampfte. „Bevor wir gesprungen sind, wurde er getroffen.”
„Oh!” sagte Haggis. „Schade. Ich hätte gerne den echten Sandoval näher kennengelernt.” Sie befühlte mühsam ihr Bein. „Wir müssen selbst sehen, dass wir hier wegkommen, bevor wir erfrieren. Gott, ist das hier kalt! Und Wölfe gibt es hier bestimmt auch. Hilf mir hoch.”

Da Zo'or wegen Schock im Moment zu nichts zu gebrauchen war, rief Augur selbst nach dem Scout. Wenn das hier die alte Zeitlinie war, dann musste die Roleta noch existieren und sie konnten mit ihren Chips direkt auf das Schiff springen. So war es auch. Der Scout verwandelte sich in ein Interdimensionsportal. Alex J. zog Zo'or mit sich ins Portal, denn die Leichenteile würde man auch später bergen können. Sie materialisierten im Gegenportal auf dem erleuchteten Zefir-Schiff, das unbeschädigt existierte, als ob es nie anders gewesen wäre. Die drei wurden, verletzt und offenbar verwirrt, in die Krankenstation verfrachtet, wo zufällig auch Andre Markus Anderson sich befand.

„Haggis, altes Haus!” rief er erfreut. „Nett dich nach so langer Zeit wieder zu sehen!”

Die Frau setzte sich ächzend auf. „André, bist du das?” Der Albtraum schien vorüber! „Du kannst nicht ermessen, wie es für mich erst ist, dich wieder SO zu sehen. - Stehst du immer noch auf Frauen?”

„Mach dir nichts daraus, die sind alle drei sonderbar verwirrt und reden nur dummes Zeug”, erklärte Dr. Clares. „Offenbar wieder ein schwerer Fall von Halluzinationen. Vor einigen Monaten meldeten sie sich Richtung Lateinamerika ab und so wie sie sind, sind sie wiedergekehrt. Bin gespannt, was die anderen an Bord dazu sagen.”

 
* * *
 

(An Bord der Roleta:)
Dass die drei Verschollenen so plötzlich wieder aufgetaucht sind mit einer merkwürdigen Geschichte, warf an Bord jede Menge Fragen auf. Waren die drei glaubwürdig, oder waren sie ebenso wahnsinnig geworden wie Monate zuvor die Neotaelon Pri'nur? Rätselhaft war, dass es da ein kimerisches Artefakt gab - wie Zo'or behauptete, ein Zeitreisegerät. Da war Sandovals Blut (!) auf Zo'ors Kleidung und Gewebereste und Kleiderfetzen im Schnee von Alaska. Leider keine größeren Leichenteile mehr - vermutlich hatten wilde Tiere inzwischen die Leichenreste im Schnee aufgefressen. Und außerdem waren Besatzungsmitglieder und ein Beiboot urplötzlich von Bord verschwunden.

„Was denkst du als Taelon darüber, dass die vorige Zeit so spurlos entschwunden ist?” fragte Haggis, die wie Alex und Zo'or mehr oder weniger unter Bordaufsicht stand und verhört worden war. „Sind wir in einer Parallelwelt? Oder haben die Menschen einfach vergessen, dass sie bis vor ein paar Tagen in komplett anderen Zuständen gelebt haben? Wo sind alle diese H.A.P.-Leute hin?”

„Ich denke, alle Menschen der anderen Zeit leben hier noch, aber als ganz normale Leute”, antwortete Zo'or. „Der kleine Lukas und seine Mutter, alle Opfer der H.A.P.- Gefängnisse, alle Wärter, alle Krieger. Eine andere Realität, ein anderes Leben.” Sie saß ein wenig mitgenommen in ihrem bequemen Sitz, zu den Menschen auf der Couch geschwenkt. „Als TAELON würde ich dir dasselbe antworten wie ein Buddhist: Wir leben in einer Realität, die nur eine Illusion unseres Bewusstseins ist. Es wurde nur eine Illusion gegen eine andere ausgetauscht, das ist alles.”

„Und das ist alles?” fragte Haggis. „Alles Leid, die diese Teufel angerichtet haben - nur eine Illusion?”

„Realitäten mit Wechselwirkungen! In der anderen Zeitlinie wurde die Roleta von den Dunkelmächten zerstört”, gab Alex zu bedenken. „Ich wünschte, die hier würden begreifen, in welcher Lebensgefahr sie sich befinden.”

„Möglicherweise war dieses Ereignis noch nicht ‚fest zementiert'”, erwiderte Haggis. „Es war soeben geschehen. Es muss sich nicht in dieses Zeitkontinuum ausbreiten. Auch wenn ich annehmen muss, dass die Zahl der überlebenden Menschen dort sich immer stärker an die Zahl unseres Kontinuums angepasst hat.”

„Wir werden unser Gedächtnis an die Ereignisse in der anderen Zeit mehr und mehr verlieren”, fügte Zo'or hinzu. „Wir müssen alles tun, damit uns die Daten über die Kimerischen Wissensspeicher nicht abhanden kommen. Am besten setzen wir hier rasch Handlungen, die eine Erinnerung verunmöglichen.”

Nachdem sich die beiden Menschen verabschiedet hatten, kam die chinesische Musikerin Tan Liü mit ihrer psychedelischen Harfe. Da'an hatte sie zu seinem Kind geschickt, um Zo'or mit beruhigenden taelonschen Weisen zu erfreuen, wie er ihr ausrichten ließ. Die Chinesin spielte tatsächlich bezaubernd, mit einem scheinbar freundlichen Gesicht. Es war dieselbe nichtssagende formelle Freundlichkeit, die Asiaten offenbar noch immer anerzogen wurde. Die wahre Tan Liü zu bewerten fiel selbst Zo'or trotz aller Erfahrung mit Menschen schwer. Während der Musikdarbietung kam wie erwartet Da'an selbst hinzu, leise wie eine Katze. Da'an bedankte sich danach bei der Musikerin mit aller Liebenswürdigkeit, die er als jemand aus der Diplomatenkaste darzustellen vermochte. Der Da'an in dieser Zeit war bezüglich Liü genauso sentimental wie der aus der anderen.
Die Chinesin verstand, dass ihr Freund mit Zo'or allein sein wollte und ging.

„Deine menschliche Favoritin spielt hervorragend”, sagte Zo'or höflich.
„Woher weißt du...?” fragte Da'an irritiert. „Vermutlich die andere Zeitlinie,” beantwortete er sich die Frage selbst. „Ich komme, um dich zu fragen, wie es dir geht?” Er machte eine Geste, was glückliche Schwangerschaft bedeutete, und wies auf Zo'ors Bauch.
„Danke, dem Kind geht es gut”, erwiderte die Taelon trocken. „Du bemerkst es wie üblich zuerst, Da'an.”
„Ein hybridisches Kind, von so einem menschlichen Vater!” sagte Da'an und versuchte, nicht tadelnd zu klingen. In seinen Gedanken schwang jedoch ein Vorwurf mit. ‚Du weißt, dass solche Kinder nur geringe Chancen haben, zu überleben.’
„Mein Kind wird gesund sein!” sagte Zo'or laut mit einer energischen Geste. ‚Ich werde alles dazu tun!’
„Ich wünschte, es wäre so einfach.” Da'an fügte geistig dazu: ‚Und welche Eigenschaften wird dieses spezielle Kind dann besitzen, sofern es geboren werden kann? Die des Vaters??’
„Weswegen bist du tatsächlich gekommen, Da'an?” fragte Zo'or. Auf Kritik und Nörgeleien konnte sie zur Zeit verzichten.
„Du hast dich aus unserem telepathischen Netz ausgeklammert, sonst hättest du es gehört. Die Jaridianer Je'dir und Korn't sind vor einiger Zeit gestorben. Unsere Kinder sind erwachsen. Palwyr, Trestim, Ho'shin und ich werden ins Mensch-Taelon-Jaridian-Kimera- Kollektiv zurückgerufen. In den nächsten Tagen oder Stunden werden wir einfach verschwunden sein. Ihr werdet alleine sein. Ich bitte dich, Zo'or! Halte deinen Egoismus zurück und wache über unsere neue Heimat.” Mit einer befehlenden Geste änderte der Taelon die Wand- und Deckendekoration. Die Sterne wurden stattdessen ringsum angezeigt, als stünden die beiden auf einer kleinen Plattform mitten im Weltraum. Vor ihnen lag die blaue Erde, links seitlich sah man den kleinen Mond.

„Wenn unsere Nachkommen mit den Menschen friedlich auf diesem Planeten leben wollen, so müssen sie sich selbst zurückhalten und stattdessen die geistige Evolution der Menschen fördern. Achte darauf!”

„Wir haben die meiste Zeit gut zusammengearbeitet”, gab Zo'or zu. Sie schien nicht überrascht zu sein. „Ich werde dich vermissen, doch ich weiß, dass dein Band mit den Taelons weiterhin stark sein wird. Geh in Frieden, Da'an.”

 
* * *
 

Roleta schwebte auf dem Beibootdeck silbern als Hologramm einige Zentimeter über dem Boden und sah in ihrem langen roten Mantel und den silbernen Haaren wieder aus wie eine Fee oder ein weibliches Teufelchen, je nach Betrachtungsweise. In ihrem Inneren fühlte sie, wie die Robots ihren vielfältigen Arbeiten auf diesem Deck nachkamen. Hinten beschäftigten sich gerade ein paar Menschen mit Kontrolllisten und Instandhaltungen. Im Grunde war es Beschäftigungstherapie, denn das Bordgehirn konnte, sie es gewollt hätte, alle Tätigkeiten selbst mittels ihrer Robot-Zenturios und ihren Hilfskräften erledigen lassen. Es war jedoch der Wunsch der Zazas gewesen, ein klein wenig Entwicklungsarbeit zu leisten, und so ließ sie die Mannschaft ein wenig Einblick in die Wissensgebiete ihres Erbauervolkes, der ausgestorbenen Zefir, nehmen.

Plötzlich fühlte sie einen Impuls und materialisierte sich in die Zentrale. Nicht zu glauben – dieses vermisste Beiboot war mit einem Male da draußen. Bordgehirn Nr. Acht meldete sich, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, und fragte an, ob es sicher wäre, näher zu kommen.
Die Schiffsintelligenz des Zefirschiffes hakte sich sofort in dessen Systeme ein und erfuhr, dass Beiboot Nr. Acht, bis vor wenigen Tagen noch in ihrem Hangar befindlich, angeblich wochenlang von dem uralten Volk der Vier Winde lahmgelegt worden sein sollte. Mit Personen, die kürzlich von Bord verschwunden waren. Auf dem ersten Check schien Nr. Acht völlig funktionstüchtig zu sein, aber Roleta beschloss, die unbotmäßige Maschine genauer untersuchen zu lassen. Sollte der Wahnsinn der Individuen auch schon auf ihr makelloses System übergegriffen haben? Sie rief nach einem von der Besatzung. Die Neotaelon Me'win meldete sich. Sie lieferte einen Bericht ab, nichtsahnend, dass Roleta längst Nr. Acht gecheckt hatte. Das alles war so haarsträubend, dass bei Roleta einige Chips durchschmorten. Schon wieder diese „andere Zeitlinie”, was sollte denn das darstellen? Eine Zeitreise?
Völlig erbost wurde Roleta, als sie indirekt von der mutmaßlichen Vergewaltigung erfahren musste. Reichte ein bisschen Haft bereits aus, Menschen sich so vergessen zu lassen?

Als das Beiboot in ihrem Schiffsbauch gelandet war, wurden Onzo Kyriaki und Sergej Koljow bereits von ihren Robotern erwartet und in ihren Wohnungen festgesetzt. Ein menschliches Gericht würde über diese Vorgänge an Bord des Beibootes ein Urteil fällen müssen. Zeitverschiebung oder nicht. Die Neotaelons Me'win und No'ren würden an Bord dafür gemaßregelt werden, dass sie sich so lange nicht um die drei anderen gekümmert hatten. Paula Hoffmann, die sich nach den Übergriffen in den Alkoholismus geflüchtet hatte, wurde umgehend in die Bordklinik eingeliefert, zur Untersuchung und zum Entzug. Das hinderte Roleta aber nicht, die halbbetrunkene ungepflegte Frau vor der psychiatrischen Untersuchung über die letzten Wochen ihrer Zeit zu befragen.

Das Beiboot brachte tatsächlich Bilder und Daten aus der anderen Zeitlinie mit! Das zerstörte Schiff der Londoner sah aus wie mit schwarzen selbstwachsenden Stäben gespickt.
Bei den alten Zefir! Was war das nur für eine Waffe, was sie hier mit den Daten der Vogelwesen zu sehen bekam? Unheimlich! Sie musste aus Dunkelmaterie bestehen, denn sie ging sowohl durch Schutzschirme als auch durch die normale geladene Materie durch als wären sie nicht vorhanden. Freilich, man würde ein Gegenmittel zu entwickeln versuchen. Aber das konnte dauern.

Die Besatzung und die Menschen auf der Erde mussten eines zur Kenntnis nehmen: Mit den Dunkelmächten war eine feindliche Macht existent, die jederzeit angreifen konnte und für Ereignisse verantwortlich war, die weit in die Vergangenheit aller drei Spezies zurückreichten. Das Universum dehnte sich aus wie aufgehender Hefeteig und dividierte sich auf in Energie und Materie einerseits und dem Dunklen, Leeren der „Blasen” andererseits. Die Dunkelmächte mussten aus diesem „leeren expandierenden Raum” stammen, der blasenartig das Universum durchzog, und an deren Blasenwände die reguläre Materie als „Materiebrücken der Sterne” materialisiert war. Genauer gesagt war sie vermutlich in den Randzonen zwischen den Blasenzentren und den Blasenwänden entstanden. Diese Wesen mit ihrer Kultur waren extrem fremdartig, sowohl was den Stoff betraf, aus dem sie bestanden, als auch in ihrer Technik. Sie waren so fremdartig und unbekannt, dass die Augen und die Technik nicht imstande waren, sie exakt wahrzunehmen, wenn überhaupt. Daher erschienen sie denen, die aus regulärer Materie bestanden, als wabernde schwarze Schatten mit der Tendenz zur Unsichtbarkeit. Die Dunkelmächte bewegten sich jenseits der materiebezogenen Gesetze von Raum und Zeit, obgleich für sie doch wieder Gesetzmäßigkeiten gelten mussten, nur war absolut unklar, welche. Die Materie, nicht anderes als eine Form von Energie, war „der Punkt und der Kreis zur gleichen Zeit”, wie Da'an es bezeichnete, bevor er verschwand. Die Dunkelmächte waren hingegen „das lebendige gegenpolige Unsichtbare” dazwischen, offenbar unberechenbar, heimtückisch, aggressiv. - Oder doch nicht? Die Dunkelmächte erschienen aggressiv, doch vernichteten sie die Summe des materiellen Lebens einer Region niemals absolut.
Vielleicht waren diese Fremden auch nur pervers und wollten die Vernichtung von ganzen Völkern länger auskosten?

Die Aktionen der Dunkelmächte waren von ihren Taten gegenüber dem materiellen Leben her als absolut feindselig einzustufen. Jedenfalls musste man das so empfinden! Welche Art Ethik, welches Motivationsimperativ besaßen die Fremden? Niemand konnte es sagen. Die Fremden hatten keine Probleme damit, im materiellen Raum zu agieren, doch man selbst wusste nichts über sie. Die mitgegebene Botschaft des Volkes der Vier Winde war eindeutig; man konnte sie niemals besiegen. Die uralten Völker hatten alles versucht. Man konnte sie bestenfalls zurückdrängen, eindämmen, aufhalten.

Es wurde höchste Zeit, eine andere Art von Technik zur eigenen Verteidigung der Erde und Londons zu besorgen: kimerische Technik! Welche Macht auch immer Zo'or, Haggis und Alex die Koordinaten eines Wissensspeichers zugespielt hatte, es war ein absolutes Muss, im Angesicht dieser potentiellen Bedrohung, nach den Forschungsergebnissen der von der materiellen Ebene entschwundenen Kimera zu suchen und dieses Wissen zu erwerben. Nach einigen heftigen Diskussionen kristallisierte sich ein Team heraus, welches eine Reise zu den Koordinaten des Wissensspeichers unternehmen sollte.

 
* * *
 

(Im Weltraum, weit entfernt von der Erde:)
„Sieh doch, das kugelige Gebilde da vorne, es ist tatsächlich vorhanden!” sagte Andre Markus Anderson zu Sy'la, die mit auf die Reise gekommen war. Die dunkelhaarige Frau war dankbar für jede Art Beschäftigung gewesen, die sie von dem Schmerz, Je'dir verloren zu haben, ablenken konnte. Sie hatte ihre Tochter Alexa und deren jüngeren jaridianischen Halbbruder Krosch, einer der Söhne der Palwyr, mitgenommen, und sicherheitshalber Dr. Clares. Alex J. „Augur II.” Chevelleau und Haggis waren mit Bethany, Ariel und Ko'lan in einem zweiten Beiboot mitgeflogen. Zo'or hatte in Anbetracht ihres Zustands die Reise nicht mitmachen können.

Das aus vielen Vielkanter zusammengesetzte kugelförmige Gebilde war etwa (350 Meter) groß. Ein Schiff. Eine Einflugschneise öffnete sich plötzlich in dessen Hülle. „Fremde, wenn ihr das Wissen der Kimera sucht, tretet ein. Ihr werdet geprüft werden!” ließ sich Ko'lan die seltsamen leuchtenden Schriftzeichen auf der Hülle über dem Einflugsloch übersetzen, die da auftauchten.

„Wir müssen mit den Transportkapseln übersetzen”, sagte Bethany und machte sich fertig. „Leider sind die Beiboote für den Wissensspeicher viel zu groß.”

„Gib bloß acht, mein Kind”, meint Ko'lan besorgt. „Halte mit mir Kontakt, wie du es gelernt hast. Vernachlässige niemals deine Deckung!”

„Ich weiß, Ko'lan!” meinte Bethany geduldig. „Mach dir keine Sorgen, kämpfen liegt mir im Blut. Das weißt du doch.”

„Ich halte ebenfalls Wache”, sagte Ariel. „Wenn du in Gefahr kommst, werde ich dir folgen!”

Alex sah es für sich als gegeben an, dass auch er ging, da konnte Haggis wettern und vor Neugier platzen wie sie wollte. Auf dem anderen Beiboot machten sich Sy'la und Andre fertig. Sie schlossen ihre dünnen hellblauen semi-energetischen Raumanzüge mit den seitlichen silbernen Leisten aus Mell-Metall. So dünn und hautfreundlich die Anzüge waren, so sicher und bequem waren sie. Nachdem die zwei einfachen Transportkapseln in das Kimeraschiff eingeflogen waren, aktivierten die Ankömmlinge den Mechanismus ihres Anzugs. Das Mell-Material dehnte sich aus und stülpte sich über ihren Körper. Aus Seitentaschen strömte extrem hochverdichteter Sauerstoff unter den Helm. Aber das war gar nicht nötig, denn an Bord des Kimeraschiffes herrschte plötzlich eine Sauerstoffatmosphäre. Das Metall strömte wieder in seinen leistenförmigen Urzustand zurück.

„Wir sollen weitergehen, seht ihr!” deutete Bethany auf einige exotische Zeichen aus Metall, die da auf der Wand angebracht waren. „Beeilt euch. Folgen wir einfach diesem Gang. Wir müssen das Zentrum des Schiffes aufsuchen und nach dem Wissen fragen. Dann sehen wir schon.”

„Ich hasse Sümpfe!” schimpfte Alex. Der Boden des Ganges mündete vor ihm in ein brodelndes feuchtes Etwas. „Das erinnert mich immer an Moskitos. Offenbar sollen wir durch diese kalte dampfende Brühe durch, oder wie?”

Sy'la war bereits drin und watete voraus. Und das sollten Prüfungen sein?
Die anderen beeilten sich und hasteten ihr nach. Und da waren diese Viecher auch schon da.

 
* * *
 

(Irgendwo im Weltraum:)
„Nimm deine Schiffe und begib dich zu diesen Koordinaten” befahl der Anführer der Dunkelmächte in diesem Abschnitt des Universums seinem Stellvertreter, der vor ihm in geheuchelter Demut als schwarzes wogendes Etwas auf dem dunklen Boden lag. „Sie haben es gewagt, sich uns zu widersetzen. Zerstöre mit den Schiffen den Planeten Erde und setze die Dolche gegen ihr schnelles Schiff ein. Ich mag nicht mehr. Diese Wesen haben eine Zeitkorrektur durchgeführt und uns unseren Besitz weggenommen. Das kann ich nicht dulden.”

„Ist das nicht eben bewunderungswürdig, du allmächtiger Herrscher?” fragte der Stellvertreter fast winselnd von unten. Er fing sich dafür einen schmerzhaften Hieb mit Energie ein und stöhnte vor Entzücken.
„So wertlos wie sie sind, so wehren sie sich wie einer von uns.”

„Wie einer von uns?!” – Das brachte den Herrscher dazu, seinen Zorn vollends auf seinen Stellvertreter abzuladen. Die Hiebe töteten das Wesen fast. Es stöhnte heulend auf und kroch weg.

Jetzt war der Herrscher alleine und hatte niemanden mehr um sich, auf den er seinen Frust abladen konnte. Wohl wahr, die Aufgabe der Dunkelmächte war es, die Zivilisationen mit allen Mitteln zu prüfen, ob sie stark genug waren, und die Schwachen zu beseitigen. Das Universum bot nur Platz für starke Egoisten! Das Leben musste die Schwachen fressen. Was geschah jedoch hier? Ganz wider erwarten lieferten diese Kimera-Verschnitte gemeinsam mehr Widerstand als erwartet, und das konnte nur sein, weil die Alten Völker sie heimlich unterstützten.

Der Herrscher brüllte mit fremdartigen Lauten einen weiteren Bediensteten herbei. „Die dazugehörenden kimerischen Aufladestationen sind für uns verloren. Doch das letzte Zeitreisegerät in unserem Besitz kann noch ein letztes Mal einen Sprung einleiten. Ich wünsche, dass du und zwei weitere zurückgehen in der Zeit (ins Jahr 2091) und Folgendes tust....”

 
* * *
 

(Im kimerischen Wissensspeicher:)
Die Insekten, die Meeresschlangen und die Drachen waren von Sy'la, Andre, Bethany und Alex gemeinsam zurückgeschlagen worden. Gemeinerweise war die Energieversorgung ihrer Anzüge und Waffen auf mysteriöse Weise lahmgelegt worden. Sie hatten sich mit Händen, Füßen und Energiestößen verteidigen müssen.
„Meine Güte!” sagte Sy'la außer Atem und rieb sich ihr Shakaravah an den Händen. „Der Weg nimmt kein Ende! Und mir scheint so, als ob alles, was wir uns unbewusst vorstellen, sich hier prompt als Lebensgefahr einstellt.”

Urplötzlich verloren sie den Boden unter den Füßen und stürzten etwa (5 Meter) tief ab. Sy'la landete schmerzhaft auf dem Gesäß, Alex brach sich das Bein, nur Bethany rollte sich elegant ab und stand gleich wieder auf. „Wer war das?” empörte sich Sy'la. „Könntet ihr gefälligst eure Gedanken im Zaum halten?”

„Wir sollten aufstehen, sonst...” und schon knatterte das Gewehr los. Etwas schoss auf sie, als wären sie Hasen während einer Jagd. „Haltet doch endlich Ruhe!” sagte Bethany und warf sich wie die anderen zu Boden, um in Deckung zu robben. „Sy'la hat ganz recht. Was ihr euch vorstellt, verwirklich sich auch.”

„Setzen wir uns einfach und stellen uns intensiv vor, was uns hierherführt: das Wissen der Kimera!” schlug Andre vor.

„Du meinst wohl: die Waffen der Kimera. Oder du, Alex, du willst doch nur viel Geld verdienen”, spottete Bethany.

„Und was willst du?” fragte Andre Anderson zurück. „Deren Macht? Deren Imperium?”

„Deren Erbe!” erwiderte das Mädchen.

„Zur Hölle mit dir!” fluchte Alex. „Mir tut das Bein weh. Wofür, denkst du, lohnt sich all die Mühe hier?”

Der Boden wurde plötzlich brandheiß und begann zu brennen. Trotz der schützenden Anzüge zogen sich die Menschen Verbrennungen an den Händen zu. Rasch eilten sie weiter, Augur dabei stützend..

„Nein, du hast ganz recht, Andre”, meinte Sy'la außer Atem. „Setzen wir uns und denken wir an nichts als: wir begehren nach dem Wissen der Kimera! Wir begehren nichts anderes als das Wissen der Kimera!”

Sie machten es. Es funktionierte. Plötzlich wurde es hell, und ein gleißendhelles Tor erschien, aus dem eine silberweiße leuchtende Gestalt trat.

„Ihr begehrt nach dem Wissen und dem Erbe der Kimera?” fragte sie. „Ich bin die Bordintelligenz, die über den Wissensspeicher wacht. „Zwei von euch sind würdig, zwei von euch noch nicht. Auch körperlich scheint ihr interessant zu sein. Zwei von euch besitzen kimerische Gene. Zwei nicht. Die Voraussetzungen sind erfüllt und auch wieder nicht. Es scheint, als ob ihr auf dem Weg seid, aber noch nicht angekommen.” Sie überlegte kurz. „Darum wird wie folgt entschieden: Ihr werdet als Erben anerkannt. Doch das Wissen wird euch in Schritten zuteil werden. Ihr werdet einen Teil von allen Wissensbereichen mit euch nehmen dürfen, und alle (240 Jahre) dürft ihr wiederkehren und werdet einen weiteren Teil eures Preises erhalten, sofern ihr euch als charakterlich würdig erweist.”

„Aber das geht doch nicht!” protestierte Alex. „Unsere Spezies ist in Gefahr, wir benötigen das Wissen der Kimera jetzt! Sofort!”

„Waffen nützen euch gar nichts, wenn ihr nicht vermögt, euren Geist zu lenken und zu beherrschen”, meinte die Bordintelligenz. „Nehmt an – oder geht und kommt niemals wieder.”

„Und wenn ein anderer kommt?” fragte Andre. „Wenn er kommt und deine Speicher einfach ausraubt, was dann?”

„Seit (unzähligen Millionen Jahren) warte ich hier schon, und das ist nie passiert. Warum sollte es gerade in den nächsten paar tausend Jahren geschehen? – Man kann keinen Speicher ausrauben. Meine Programme erlauben es nicht.”

„Bah!” schnaufte Andre. „Es gibt immer einen Klügeren.”

„Lass es gut sein, Andre”, meinte Sy'la beschwichtigend. „Bringen wir Alex zurück und überlegen wir dann, was wir uns hier an nützlichen Sachen aussuchen dürfen.”

 
* * *
 


Während Sy'la, Andre und Bethany im Speicher nach möglichst verwertbaren Daten Ausschau hielten, braute sich um die Erde eine furchtbare Gefahr zusammen. Die Dunkelmächte lauerten im Verborgenen und hielten sich unsichtbar. Als die Roleta den Aufmarsch bemerkte und die Regierung der Erde warnte, war es viel zu spät für eine Gegenwehr, falls so etwas jemals möglich gewesen wäre. Die Roleta schien umzingelt und die ersten Tools der Dolchwaffe aus Dunkelmaterie setzten sich in Richtung Schiffsoberfläche in Bewegung. Die Roleta versuchte zu flüchten, doch es war unmöglich. Über der Erde gruppierten sich die wabernden Schatten und ließen sich Zeit, provozierend viel Zeit, als ob sie die Panik der Menschen genießen würden.

Und da erfolgte der Gegenschlag. Das Universum wehrte sich gegen das neuerlich eingeleitete Zeitparadoxon mit seiner Verzerrung von Raum und Zeit auf seine Weise. Nein, es vernichtete nicht die gesamte Region, wie das Volk der Vier Winde es befürchtet hatte. Es verwandelte nicht die Materie in Staubpartikel oder in Plasma. Es ließ auch nicht das Universum kollabieren. Es erfolgte einfach eine Gegenbewegung wie bei einem Pendelschlag, und die fegte den Anführer der Dunkelmächte mitsamt der Zentrale, von der aus die Zeit wieder korrigiert hätte werden sollen, einfach aus dem Universum. Blies sie hinfort ins nirgendwohin. Mit einem Hieb. Es stellte damit die natürliche Ordnung der Energien wieder her.

Die Zentrale war energetisch wie eine vielfüssige Krake aufgebaut, eine Krake mit Abermillionen Beinen, bestehend aus all den anderen Schiffen in der Region. So war ihre Existenz: keine äußeren Bindekräfte hielten die Formen zusammen, sondern ein verbindendes Fluidum, eine Kraft, etwas, was so fremdartig war, dass Menschen es so nie hätten begreifen können. Nicht die Materie kollabierte, sondern die Dunkelmächte kollabierten, fielen in sich zusammen und verwehten wie kalter schwarzer Rauch. Sie bestanden aus Nichts und verwehten als Asche; während die Menschen, gebildet aus Asche, ihren Tod normalerweise im Nichts fanden.

Die Roleta war frei, und die Erde war frei, und die schwarzen Schiffe zerbröselten irgendwie und nichts blieb von ihrer Schrecklichkeit bestehen. Es würde lange, sehr lange dauern, bis sie sich wieder in diese Region des Universums ausgebreitet haben würden. Warum das so gekommen war, war ein Mirakel, einfach unerklärlich, ein Wunder, oder einfach nur Glück? War alles einem geheimnisvollen Plan gefolgt? Oder hatten die Alten Völker ...?
Wie auch immer, der Weg war nun frei für eine neue dominierende Spezies in diesem Teil des Kosmos.

 

[1] vgl. 2. Roman „Die Puppenspieler”.

 

ENDE

 

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