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  „Höllenengel” von Susanne   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Januar 2004
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Seltsame unerklärliche und höchst beunruhigende Ereignisse treten auf Erde und Mond auf. Wahnsinn oder Realität? Teuflische Machenschaften? Das ist die beunruhigende Frage...
Zeitpunkt:  das Jahr 2345
Charaktere:  Karen und Melissa; Antonio Francisco Perez Miranda; Dorothea Parton, Paul Bimburry; Dr. Ben Myinga; die Taelons Da'an, Ka'sar, Mur'ru, Ko'lan, Ken'tau, Blo'or, Pri'nur und Zo'or.
 
Warnung: Diese Geschichte beinhaltet Gewaltszenen.
 

 

HÖLLENENGEL

Kapitel 1

 

(Auf der Erde:)
Sie saß da in der Dämmerung, Augen rot geweint, grübelnd, sah die Uhr nicht, hört das Ticken nicht, das Bild vor sich.

Sie hatte sonst niemand. Die Verwandten waren in den Zerstörungen und Wirren untergegangen. Der Lebensgefährte an Sucht gestorben. Und jetzt das.

Sie hatte auf dem Schoß eine rotgestreifte Wolljacke, die sie zärtlich mit zitternden Händen immer wieder streichelte. Hände, benetzt von Tränen.

Sie solle sich beruhigen, sagten sie. Sie solle wieder leben. Alles wird wieder gut, sagten sie. ‚Nichts wird wieder gut!’ Was soll daran gut sein, so weiterleben zu müssen, so allein?

Sie konnte über die anderen nicht einmal mehr zornig sein, nur maßlos traurig und erschöpft.

Sie solle Medikamente nehmen, sagten sie. Oder sich die Erinnerungen löschen lassen. Zumindest zum Psychiater, sagten sie.

Sie wollte aber nicht vergessen. Sie wollte nicht lustig sein, wo sie die Pflicht hatte, zu trauern. Die Kleine hatte das Recht, betrauert und beweint zu werden! Und nicht einfach vergessen!

Zimteis... warum nur Zimteis? Warum nicht Schokoladeeis oder Erdbeereis wie andere Kinder? Aber Melissa war immer etwas Besonderes gewesen.

Die Mutter verzog im schmerzlichen Lächeln den Mund. An welche Banalitäten man nur dachte, so in der Erinnerung. Es sind die kleinen Dinge, an die man sich erinnert. Den Kakaofleck im Teppich. Die selbstgemalte Muttertagskarte des Mädchens. 8 Jahre alt wäre sie geworden, wäre sie nicht gestorben - vor Monaten. Vor zwei Jahren.

Sie fühlte fast noch die Wärme des Mädchens in der Jacke, die sie in der Kammer gefunden hatte. Wiedergefunden. Ein Stich ins Herz.

Vorbei. Nie wieder so, wie gewesen. Wo die Seele der kleinen toten Melissa jetzt wohl war?

Die Mutter schloss die Augen und träumte. Die Bilder aus der Vergangenheit stiegen auf. Der Ausflug in den Vergnügungspark. Und wie Melissa sich weigerte, Spinat zu essen, worüber sie sich so geärgert hatte... Sie hatte nicht gewusst, wie glücklich sie damals war!

Karen öffnete die Augen. Sie hörte Schritte. Bilder werden offenbar lebendig und real.

Melissa kam zur Tür herein, in der Hand die Schulmappe. Das Mädchen warf die Mappe achtlos auf die Couch und lief in die Küche. Karen hörte, wie die Schränke auf- und zuklappten. Melissa kehrte wieder in den Wohnraum zurück.

„Mami! Ich dachte, du wolltest Grannys Sweetcreme kaufen! Mit den Plastikpüppies darin. Alle Kinder in der Schule tauschen. - Mami!” quengelte die Kleine.

Sie stand da im Dämmerlicht, wahrhaftig und real, kein Traum. Sie trug dieselbe blaue Kleidung wie damals beim Unfall. Karen öffnete langsam den Mund, die Augen aufgerissen, und stöhnte vor innerem Schmerz auf.

 
* * *
 

Zo'or streifte sich rasch die zarten empfindungsechten Handschuhe über. Ihr Shakaravah war bereits gefährlich aktiv. Dann ergriff sie wieder leidenschaftlich die Hände ihres Bettgefährten und zog ihn mit sich zurück aufs Lager, um sich bald darauf der aufwallenden Ekstase hinzugeben. Der muskulöse Latino erschauerte keuchend im blauen Licht, das ihn umhüllte. Die freigewordenen Energien waren zum Glück durch die Handschuhe abgeschwächt genug, um sein Nervensystem nicht zu verbrennen. Sie reichten nur aus für einen besonders anregenden „Kick”. Zo'or dank der taelonischen Einfühlungsfähigkeiten ihrerseits konnte nicht nur ihre eigene Ekstase genießen, sondern auch an der des Mannes partizipieren.

Sie trennten sich schweratmend. „Whow!” sagte der Latino schweratmend. „Sex mit dir, Zo'or, ist immer anregender als eine Überdosis Merry Mist!” Zo'or warf ihm einen abschätzenden Blick zu, der einer hochzufriedenen Katze ähnelte, die vom süßen Rahm geschleckt hat, und musste wieder seinen perfekten nackten Körper bewundern. Sie entschied, dass Antonio für heute fertig und ausgelaugt war, rollte sich herum und stand auf. Das Fenster ihrer Suite im Hochhaus zeigte die rötlich untergehende Sonne über Rio.

Antonio lag noch immer erschöpft auf dem weichen Lager. Zo'or begab ich ins Bad und stellte sich in die Dusche, um sich mit blumig parfümiertem Duschgel und viel Wasser von den lästigen Gerüchen und aurischen Schwingungen ihres Spielgefährten zu befreien. In die nassen ca. 18 cm langen dunkelblonden Wuschelhaare sprühte sie ausgiebig das für Taelons notwendige anregende Haarwuchsmittel, massierte es ein, und lauschte wieder. Antonio schien endlich in der Lage zu sein, das Lager zu verlassen. Es klang so, als würde er sich anziehen.

Mit einem Microfasertuch abgetrocknet, war das leicht lockige Haar binnen einer Minute trocken. Zufrieden besah sie sich im Spiegel. Große taelonische himmelblaue Augen im Gesicht mit dem vollen Mund und der tadellosen feinflügeligen Nase. Die Haare verdeckten den fremdartigen größeren Schädelbereich; nur die dreiecksförmigen Augenhöhlen - statt den menschlichen runden - , die nach oben seitlich zur Stirn ausliefen, verrieten sie als Alien. Die Menschen hielten sie jedenfalls für ganz passabel aussehend. Schlank, groß, mit kleinen festen Brüsten.

Antonio kam ins Bad und zog die nackte exotische Frau an sich. Damit übertrug er wieder seine Gerüche, stellte Zo'or seufzend fest. War die Angelegenheit für heute nicht eindeutig genug beendet?? - Menschen merkten es offenbar nicht, aber sie waren wirkliche Geruchsbomben. Besonders für Taelons. „Sehen wir uns nächste Woche wieder?” fragte der Mann.

„Vielleicht”, wich Zo'or aus. ‚Falls ich keinen neuen Liebhaber finde’, fügte sie für sich gedanklich hinzu und blockte gleich die fernen telepathischen gehässigen Kommentare ihrer Artgenossen ab. Was ging die ihr Privatleben an?

„Ich melde mich, Antonio”, sagte sie. „Ich weiß ja, wo ich dich finde!” Sie strich mit den Händen aufreizend seine Brust entlang nach unten und sah ihn mit einem feurigen geschauspielerten Blick an. Aber der Mann war wirklich erschöpft, da half nichts mehr. Gerade für Abschiedsküsse und Streicheleinheiten reichte es noch. Antonio verließ anschließend die Suite.

Außer Sex verband die beiden nichts. Zo'or entschied sich daraufhin, nochmals zu duschen. Zuvor entlud sie die feinen Spezialhandschuhe, die eigens auf der Roleta für die Taelons entwickelt worden waren, und nahm die überschüssigen Energien wieder in sich auf.

 
* * *
 

Die von Taelons Anfang des 21. Jahrhunderts angelegte „Mondstadt” auf der Rückseite des Mondes hätte an die 900 Taelons großzügig und ausreichend Platz geboten. Energetisch tot, war der Komplex von den Taelons in den letzten 10 Jahren wieder renoviert worden. Statt Core-Energie dienten zum Betrieb nun menschliche Energieerzeugungsanlagen. Für die wenig verbliebenen Taelons viel zu groß, machten die Besitzer das Beste daraus und hatten die Hälfte der Anlage zu einem großen Hotel, Geschäften und Forschungsstätten umfunktioniert. Etwa ein Drittel der Anlage diente weiterhin den Taelons, Jaridians, den Hybriden und einigen besonders geschätzten Persönlichkeiten als Zweitwohnsitz. Geleitet wurde die Mondstadt gemeinsam von den jungen Neotaelons Pri'nur, Blo'or, dem jungen Jaridian Wanjak und zwei menschlichen Managern, Tim Cruise und Dorothea Parton.

Die meisten taelonischen Patente und Lizenzen waren im 21. Jahrhundert entweder zum Begleichen von Entschädigungen von den Staaten beschlagnahmt worden oder waren mittlerweile außer Kraft. Einige kleinere, vor allem solche, die außerhalb der damaligen USA eingereicht worden waren, konnten per Gerichtsurteil wiederhergestellt werden. Und es gab noch Safes und Konten, die damals in sicheren Ländern wie der Schweiz eingerichtet worden waren - und noch existierten (!)... wohl weil dortige Banken fleißig weiterhin vom verwaisten Besitz ihre Profite einstreichen hatten können. Zählte man das Vermögen gesamt zusammen und schlug es auf Taelons, Jaridians und Hybriden um, war ein jeder zwar nicht ein Multimilliardär, konnte aber von den Erträgen ganz gut leben.

Pri'nur und Mrs. Parton waren gerade dabei, gemeinsam ihre regelmäßig vereinbarten Inspektionen durch die Hotelräume durchzuführen, um sich selbst vom Zustand der Räumlichkeiten zu überzeugen, als der Chefconcierge Bimburry aufgeregt herbeigelaufen kam. Ein prominenter Gast auf Zimmer Nr. 673 sollte spurlos verschwunden sein.

„Ist das nicht ein Fall für die Hoteldetektive?” fragte Mrs. Parton gelassen, die so schnell nichts aus der Fassung brachte.

„Die Hotelüberwachung zeigte an, dass er den Raum von innen verschlossen hat. Ein Interdimensionstunnel wurde nicht aufgebaut - jedenfalls ist nichts messbar.”

„Nr. 673 ist gleich ober uns. Fahren wir rauf”, schlug Pri'nur vor und machte sich bereits auf dem Weg. Mrs. Parton und Bimburry eilten hinterher. Paul Bimburry öffnete mit seinem Generalschlüssel.

„Womöglich hat ein Hotelangestellter die Tür geöffnet?” mutmaßte Mrs. Parton. Auf dem Bett lagen eine geöffnete Reisetasche und Kleidung. Schuhe waren am Boden.

„Die automatische Raumüberwachung hat das Verschwinden gemeldet?” fragte Pri'nur.
„Ja”, antwortete Bimburry, den Zweien das Bad zeigend. „Als ich nachsehen kam, lief die Dusche, als ob einer gerade unter der Brause gestanden war. Ich habe das kostbare Wasser abgedreht. Das Handtuch lag genauso auf dem Boden, wie jetzt.”

Pri'nur trat zum virtuellen Glas des Fensters. Draußen war die Weltraumschwärze mit den leuchtenden Sternen etwas durch die Scheinwerfer gemildert, die für die Gäste da und dort die Konturen der Mondoberfläche weiß sichtbar machten.

„Durch das Glas in den Weltraum hinaus kann er ja wohl nicht verschwunden sein”, überlegte Pri'nur. Schließlich war das ja ein Mensch - oder nicht?”

„Eine Öffnung in Fenster oder Hülle wäre von der Raumüberwachung sofort als Lebensgefahr gemeldet worden!” erwiderte Bimburry.

„Eine - Teleportation?” überlegte Pri'nur, die gerade telepathischen Kontakt zu anderen Taelons aufgenommen und um Rat gefragt hatte. „Das können doch Menschen überhaupt nicht!”

„Teleportation!” sagte Mrs. Parton entrüstet. „Das ist doch etwas für Science Fiction. Macht euch nicht lächerlich. Und seit wann verschwindet jemand nackt und lässt seine ID-Papiere und seine Geldkarten zurück?”

Sie zeigte Pri'nur die Karten. Sie gehörten einem Herbert Gerber.

„Am besten die Hausdetektive untersuchen das weiter. Ich möchte außerdem mehr über den Gast erfahren”, ordnete Pri'nur an. „Zu dumm! Wir können jetzt keinerlei negative Publicity für das Hotel gebrauchen. Aber die Behörden auf der Erde werden wir wohl verständigen müssen. Dolly - wir setzen unsere Inspektion in einigen Minuten fort. Die Reinigungskräfte sollen alles so lassen, wie es ist. - Entschuldige mich.”

Bimburry und Pri'nur fuhren in die Hotellobby runter. Vor allem die Gänge sahen mit den Wänden in Blau- und Weißtönen mit dem Licht, das von den Wänden diffundierte, noch typisch taelonisch aus. Die hallenartige helle Lobby war aber mit Pflanzen, Möbel und anderen menschlichen Verschönerungsversuchen ausgestattet. Bimburry schritt hinter den Tresen und war dabei, sich die Daten vom Hauscomputer zu beschaffen, damit Pri'nur die Anzeige aufgeben konnte. Er stand plötzlich da, sah Pri'nur mit einem breiten Lächeln an und sagt: „Oh, schön dich zu sehen, Pri'nur. Mrs. Parton wartet schon oben in der 9. Etage auf dich!”

 
* * *
 

Zo'or hielt da und dort Vorträge über außerirdische Lebensformen oder unterrichtete in den Universitäten von Moskau, Johannesburg und Rio taelonische Sprache. Dort hatte sie ein dankbares Publikum für ihre Erzählungen, Anerkennung und Aufmerksamkeit. - Nicht, dass sonderlich viele Menschen die für sie exotische Sprache wirklich gebraucht hätten. Nur die, die sich mit den taelonischen Aufzeichungen über Kunst, Geschichte und Kultur befassen wollten. Viel war ja nicht erhalten, fand Zo'or, aber immerhin etwas. Die „älteren” Taelons sprachen immer wieder ihre Erinnerungen und Schilderungen auf Band, und da sie ein sehr ausgeprägtes Gedächtnis besaßen, wuchsen die Bestände.

Die taelonische Sprache Eunoia war normalerweise den Menschen viel zu kompliziert und ungewohnt. Es klang so wie ein permanentes Flüstern und Hauchen mit langezogenen Vokalen, Pausen und Unmengen von Kehllauten. Die Taelons kannten alleine 13 verschiedene ch, h und hh - Laute, die Einatmungs- und Aushauchlaute nicht mitgezählt. Es gab zwar Computerprogramme, doch den letzten Schliff in einer Übersetzung gab erst die individuelle Ausdeutung von Texten.

Zu Zo'or kamen die, die die einführenden Lehrprogramme in Eunoia positiv absolviert hatten. Für Anfänger - nein, dazu hätte sie keine Geduld gehabt, sie war schließlich nicht Da'an. Immerhin ermöglichte der Unterricht Zo'or die perfekte Ausrede, Da'an und den anderen alten Taelons auf dem Schiff aus dem Wege zu gehen, die - mit Ausnahme Mur'rus - ohnehin nur ständig ihre Lebensweise kritisierten. Etwa, dass sie die fruchtbaren Ka'atham-Phasen mit Medikamente verlängerte und beziehungsweise sofort wieder einleitete. Und weil sie ständig ihre Liebhaber wechselte, vor Jahren vom „armen verführten” Lonegan Schelling angefangen bis zum „armen verführten” momentanen Antonio Francisco Miranda Perez. Blanker Neid!

Die sollten doch froh sein, dass sie bislang sich nur sexuell austobte, statt sich wieder in die Machtpolitik einzumischen!

Zeit, wieder mal an Bord zu erscheinen und zu Dr. Myinga zu gehen. Sie identifizierte sich beim nächsten Interdimensions-Portal als Zo'or und schon war sie durch und auf der Roleta. Dr. Ben Myinga, inzwischen schon sehr alt und pensionsreif, wartete bereits.

„Leider noch immer nichts”, teilte er ihr die Untersuchungsergebnisse bedauernd mit. „Theoretisch funktionieren alle deine Organe so wie sie sollen, die Zellen sind stimuliert auch menschliches Erbgut anzunehmen, und ich kann es mir nur als psychische Blockade erklären, dass du nicht schwanger wirst. Vielleicht solltest du tatsächlich eine Vereinigung mit einem Taelon in Erwägung ziehen.”

„Ja, mit welchem denn?” ärgerte sie sich. Immer dieselbe Enttäuschung! Sie hatte so sehr auf die neuen Medikamente gesetzt. „Ho'shin? Ken'tau? Ko'lan? Ka'sar? - Die sind samt und sonders totlangweilig. Fast immer asexuell. Und selbst wenn ICH mich dazu je überwinden würde, die können MICH nicht ausstehen! Ich bin für meine Artgenossen eine Paria.”

„Und die Neo-Taelons?”

„Viel zu jung und unreif.”

„Dann wirst du weiter warten müssen”, meinte der Arzt bedauernd. „Künstliche Befruchtung oder Klonen funktioniert bei Taelons leider nicht, da die benötigten Bioenergien von uns nicht simuliert werden können.”

„Ein Taelon-Arzt hätte bestimmt einen Weg gefunden! Die menschliche Medizin ist eben unfähig.”

Der schwarze Arzt lächelte nur freundlich. Immer wenn Zo'or frustriert war, wurde sie verletzend. Er kannte das schon. Ihr Ärger prallte von ihm ab wie ein Gummiball.

„Wir könnten ja Trestim fragen. Die wird zwar nicht mehr wissen als ich, aber...”

„Ich werde mich bestimmt nicht von einer Jaridianerin behandeln lassen!” sagte Zo'or empört mit einer unwirschen Geste.

Miesmutig machte sie sich auf den Weg in ihre Schiffskabine, um sich die nächste Stunde einzusperren und auszugrollen. Dann wollte sie noch mit ihrem Elter sprechen und etwas ausruhen, bevor sie nach Rio zurück-portalte.

 
* * *
 

„Bitte?” fragte Pri'nur nach. Was sollte das? - „Hast du nun die Daten vom Gast aus Zimmer 673?”

„Von welchem Gast?” fragte der Chefconcierge zurück. Er verstand offenbar nicht. Ein Witzbold.

„Na, der Gast vom Zimmer Nr. 673, der heute morgen verschwunden ist! Herbert Gerber! Du solltest die Daten heraussuchen.”

„Auf 673 ist kein Gast. Das Zimmer ist seit vorgestern leer.”

„Was soll das, Paul!” schalt Pri'nur und begann sich zu ärgern. „Das ist eine ernste Angelegenheit und kein Spass. Die Daten bitte! Sofort!”

„Ich meine es ernst! Es gibt keinen Eintrag für 673, sieh doch selbst”, sagte der Angestellte beleidigt.
‚Pri'nur!’ hörte sie die telepathische Stimme von Blo'or. ‚Was ist denn? Gibt es ein Problem?’

Der Eintrag existierte nicht. Auch kein Eintrag von der Hotel-Raumüberwachung. ‚Fehlt dir etwas?’ erkundigte sich der Neo-Taelon gedanklich besorgt.

‚Der verschwundene Gast, von dem ich dir erzählt habe - der Eintrag ist spurlos verschwunden.’
‚Du hast mir von keinem verschwundenen Gast berichtet’, erwiderte Blo'or gedanklich. ‚Solltest du jetzt nicht mit Mrs. Parton die Räume kontrollieren?’

„Pri'nur”, wagte sie Bimburry anzusprechen, „du weißt doch, Mrs. Parton! Sie wartet auf dich im 9. Stock. Du bist heute schon spät dran!”

‚Pri'nur!’ hörte sie nun auch die besorgten telepathischen Kontaktversuche von anderen Taelons.

Pri'nur sah auf die Uhr in der Hotelhalle. Die Zeit war in Ordnung. „Heißt das, dass ich heute mit Mrs. Parton meine Inspektionsrunde noch nicht aufgenommen habe?” fragte sie etwas fassungslos.

„Leider noch nicht”, sagte der Mann besorgt. Pri'nur verhielt sich heute sehr merkwürdig. Geradezu irre.

Pri'nur machte kehrt und eilte hinauf Richtung Zimmer Nr. 673 und öffnete mit ihrem eigenen Generalschlüssel die Tür. Das Zimmer war sauber und leer, das Bett unbenützt, das Bad ebenfalls. Sie legte hilflos ihre Hände vor dem Mund. Hatte sie Halluzinationen? Oder war das ein raffiniertes Komplott?

Die Reinigungskraft am Gang behauptete, das Zimmer zuletzt vorgestern aufgeräumt zu haben. Es sei unbewohnt.

Pri'nur fuhr in den 9. Stock hinauf zu Mrs. Parton. Dolly trat bereits von einem Fuß auf den anderen. „Bitte, Pri'nur!” meinte sie ungeduldig ohne sie erst anzuhören. „Du weißt, unsere Zeit ist genau eingeteilt. Du bist heute schon sehr spät dran, und die Räume müssen bis 11 Uhr fertig sein!”

„Ich weiß nicht, was heute los ist, aber das mit Zimmer Nr. 673 ist sehr merkwürdig.”

Dolly runzelte die Stirn. „Die Handwerker sind schon bestellt, um den Schaden zu beheben. Das virtuelle Glas, welches der kleine Meteorit gestern beschädigt hatte, wurde schon erneuert.”

Pri'nur dachte sie müsste den Verstand verlieren. „Welcher Meteorit? Ich spreche von 673!”

„Ja genau, ich auch. 673 ist noch Baustelle! Das Zimmer wird repariert.”

„Komm mit!” befahl die Neo-Taelon und stackste mit ihren hohen Hackenschuhen und ihrem lindgrünen Hosenanzug wieder zurück in Richtung 673.

Jedenfalls wo der Raum liegen sollte. Da war aber keine Tür.
Mrs. Parton war nachgekommen und sah Pri'nur merkwürdig an. Was genau ging nur in dem Taelon-Mädchen vor? Sie benahm sich wirklich heute merkwürdig.

„Da!” sagte Pri'nur aufgeregt. „Da war eine Tür!” Sie begann aufgeregt, die Wand abzutasten, aber sie konnte mit ihren Taelon-Gaben keine Anomalitäten espern.
„Sie ist nicht mehr da!” sagte sie geradezu unter Schmerzen.

„Die Tür zu Zimmer 673 ist ja auch da vorne, nicht hier!” erwiderte Dolly.

„Dort ist Zimmer Nr. 674. Ich muss es ja wissen. Ich kenne alle 821 Hotelzimmer!”

„Ich auch, aber es sind nur 820 Zimmer. Pri'nur” - Mrs. Parton zog die Taelon, die den Boden abtastete, hoch. „Ich fürchte, etwas ist mit dir heute nicht in Ordnung. Du bist total verwirrt! Ich werde Wanjak und Blo'or davon verständigen, dass du krank bist. Komm, ich glaube, du musst heute dringend zum Arzt.”

„Aber hier war wirklich Zimmer Nr. 673. Der Meteoriteneinschlag. Der verschwundene Mann...” stotterte Pri'nur und ließ sich fortziehen.

„Hier im Hotel ist keiner verschwunden, und einen Meteoriteneinschlag hatten wir seit zwei Jahren nicht mehr. Gottlob.”

„Ich verstehe das nicht, das ist doch unmöglich... eine Verschwörung... .” Die Taelon fröstelte.

„Ja, ja, meine Kleine, ist ja schon gut! Weiß auch nicht, was heute los ist. Vielleicht hat dir irgend jemand eine Droge verabreicht. Oder eine fiese Strahlung. Die Welt ist einfach schlecht. - Komm, es klärt sich sicher bald auf.”

 
* * *
 

Zo'or betrat die Räume von Da'an und beide begrüßten sich höflich nach Taelon-Art. Sie setzten sich gegenüber und verharrten einige Minute schweigend, nicht ohne sich gegenseitig nach der Befindlichkeit des anderen zu espern.

„Was treibt dich nur zu so einem exzessiven Lebenswandel, Zo'or?” fragte Da'an schließlich sein ältestes Kind. „Ich dachte, du würdest nach unserer Rückkehr einige Jahre in Frieden und Ruhe verbringen wollen. Stattdessen sind die menschlichen Klatschnachrichten voll von Bildern von dir mit Geschichten über deine Liebhaber. Das ist Atavus, das ist nicht Taelon!”

„Dem Schicksal sei Dank, dass es die Art der neuen Taelons ist! Wir müssen als Volk unsere Fortpflanzung wiedergewinnen.”

„Geht es dir darum? Um ein Kind? Ein hybridisches Kind?”

„Es ging immer um Kinder”, bestätigte Zo'or. „Du wirst sowohl im Taelon-Jaridian-Mensch-Kimera-Kollektiv weiterleben, als auch in den drei Neo-Taelons. Und was ist mit mir? Zo'or?”

„Du bist Teil unseres Volkes; nicht ausgestoßen. Das musst du doch wissen.”

„Ich habe ebenfalls das Recht, mich fortzupflanzen. Warum soll ich die einzige sein, die das nicht darf?”

„Das Recht hast wohl, Zo'or, aber die Möglichkeit? Offenbar ist es nicht der Wille des Schicksals.”

„Der Wille des Schicksals!” ereiferte sich Zo'or. „Das Schicksal gab mir diesen weiblichen Körper, der angeblich jetzt dazu geeignet sein soll, sich fortzupflanzen. Doch es klappt nicht. Myinga sagte, Schuld sei eine psychologische Blockade. Aber was weiß dieser Mensch schon.”

„Das ist schon möglich”, stimmte Da'an zu. „Wir Taelons kontrollieren doch alle Zellen unseres Körpers. Im Prinzip auch Organfunktionen. Sofern alle Energieflüsse in Ordnung sind. Das wäre ein Grund für dich, wieder mehr Zeit in Meditation zu verbringen statt deine Zeit mit irdischen Vergnügungen zu verschwenden, glaubst du nicht? Manchmal ist weniger mehr. Ich halte all die Mittel, die du dir zuführst, für zwecklos.”

„Immerhin ermöglichen mir all die Mittel - ja, etwas was du kaum kennst: großes Vergnügen!” Zo'or wurde wieder patzig. Da'an ersparte sich eine Antwort darauf. So unwissend, wie Zo'or glaubte, war er auch wieder nicht.

 
* * *
 

‚Pri'nur hat völlig den Verstand verloren!’ berichtete Ka'sar geistig. ‚Die Ärzte auf der Erde sind völlig ratlos. Sie glaubt felsenfest, dass sie erlebt hat, was sie halluziniert. Ihre Erinnerungsaufzeichnungen belegen das, ich habe noch nie von so einer intensiven Halluzination gehört. Blickt selbst in ihren Geist! Ich bringe sie mit an Bord, damit wir uns intensiver in ihre Erinnerungen einhacken können. Wenn wir keine Erklärung finden, werden wir sie wohl zu Ho'shin nach London zurück schicken müssen, als Pflegefall.’

‚Steckt keine fremde, von außen zugeführte Einflussnahme dahinter? Eine Droge, Strahlung, Telepathie?’ fragte Mur'ru ihren Gefährten.

‚Es wurden keinerlei Spuren gefunden, und ich selbst konnte auch nichts feststellen. Nur heftige Emotionen und Verwirrung.’

‚Was ist mit den Fakten, an die sie sich zu erinnern glaubt?’ fragte Ko'lan beunruhigt an.

‚Es gibt keinen Menschen, der so heißt und vermisst wird. Keinen solchen, der den Mond besucht hätte. Es gab tatsächlich keinen Meteoriteneinschlag oder Renovierungen in jüngster Zeit in diesem Hoteltrakt. Und das Hotel hatte immer 820 Zimmer, ihr erinnert euch gewiss? Alle Angestellten bestätigen, dass da nie eine Tür in der Wand war. Die Erinnerungen der Menschen im Hotel sind diesbezüglich ebenfalls authentisch und übereinstimmend.’

‚Ich muss das bestätigen’, versicherte Blo'or den anderen gedanklich . ‚Ich habe keine Ahnung, wo Pri'nur das alles nur her hat.’

‚Aber es ist sicher UNSERE Pri'nur, nicht wahr? Niemand aus einer fremden Dimension oder Paralleluniversum?’ Ko'lan schien sich neuerdings auf Spekulationen statt auf Wissenschaften verlegt zu haben.

‚Das wäre wohl sehr weit hergeholt, Ko'lan!’ sagte Ka'sar. ‚Ihre Energiesignatur stimmt genau mit der überein, die wir von ihr haben. Die Menschen im Hotel waren fast immer mit ihr in Kontakt und hätten ein Verschwinden oder Auftauchen bemerkt. Und dann hat bereits Blo'or berichtet, dass er die ganze Zeit über in telepathischem Kontakt mit Pri'nur gestanden ist, und erleben musste, wie sie immer verwirrtere Gedanken produzierte.’

‚Die Möglichkeit einer Einflussnahme durch einen starken Telepathen ist noch immer gegeben’, erinnerte Mur'ru.

‚Hätte Blo'or, hätten nicht wir einen solchen Einfluss bemerken müssen? Wir sind doch ständig miteinander mehr oder weniger verbunden. Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine telepathische Lebensform einen solchen Einfluss nehmen könnte, ohne dass wir es bemerken!’ teilte Ken'tau seine Skepsis mit.

‚Das einzig Positive daran ist, dass die Halluzinationen Pri'nurs sich auf diesen einen Tag zu beschränken scheinen. Sonst wirkt sie aufgeregt, aber normal. Wir wissen jedoch nicht, ob die Wahnvorstellungen nicht wieder auftreten,’ gab Ka'sar zu bedenken.

‚Pri'nur soll von ihren Aufgaben einstweilen entbunden werden’ entschied Da'an. ‚Die ganze Sache ist mysteriös und muss von uns weiter untersucht werden. Bau'si ist derzeit ohne Beschäftigung und soll einstweilen Pri'nurs Pflichten übernehmen.’

 

Ende von Kapitel 1

 

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