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  „Im Angesicht des Feindes” von Sujen   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den Eigentümern von Mission Erde/Earth: Final Conflict. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Lili muß eine schwierige Entscheidung treffen
Zeitpunkt:  Die Story spielt in der ersten Staffel, nach der Episode „Die Epidemie”
Charaktere:  Lili, Boone, Sandoval, [Doors, Zo'or, Da'an, Augur, Dr. Park]
 

 

IM ANGESICHT DES FEINDES

 

„Alles, was mich interessiert, ist unsere Bewegung.”
(Jonathan Doors zu William Boone in „Amoklauf”)

 

Prolog
 

Für gewöhnlich genoß Agent Sandoval Zo'ors uneingeschränkte Aufmerksamkeit, wenn er ihm den turnusmäßigen Bericht über die Erfolge im Kampf gegen die Befreiungsbewegung erstattete. Das war ein Thema, dem Zo'or höchste Priorität einräumte. Doch heute wirkte der Taelon abgelenkt, fast zerstreut, so als wäre er mit seinen Gedanken überall, nur nicht in seinem Büro und bei Sandoval.
Tatsächlich hörte Zo'or seinem Beschützer nur mit halbem Ohr zu. Sein Geist trieb fernab des Taelon-Gemeinwesens in eigenen Erinnerungen. Erinnerungen, die er mit den anderen Taelons nicht teilen wollte. Erinnerungen, die seinen Stolz verletzten und ihm seine Schwäche schmerzlich bewußt machten. Wie rasch war er bereit gewesen, seine Überlegenheit als Taelon und seine Verachtung für die menschliche Rasse zu vergessen, als sein Leben auf dem Spiel stand.
„Wer ist der Spender dieses Impfstoffes?”
„Das bin ich.”
Welcher der Stacheln steckte tiefer in seiner Seele? Das Wissen, Commander William Boone, einem Menschen, das Leben zu verdanken, oder die bittere Erkenntnis der eigenen Schwäche, seiner Furcht vor dem Tod?
„Zo'or?”
In Sandovals Stimme schwang ein Unterton mit, der dem Taelon verriet, daß sein Beschützer sich durchaus bewußt war, was seinen Companion bewegte. Zorn wallte in Zo'or auf, gemischt mit Scham und Selbstverachtung, weil er es Sandoval in seiner Verwirrung gestattet hatte, in ihm wie in einem offenen Buch zu lesen. Unwillkürlich schloß er die Augen, während seine helle Haut all diese Empfindungen in einem raschen Wechsel farbiger Tönungen widerspiegelte. Seine rechte Hand umklammerte die Lehne des Sessels, auf dem er saß. Es kostete ihn sämtliche Selbstbeherrschung, derer er fähig war, den Wunsch zu unterdrücken, Sandoval auf der Stelle zu töten. Um die hilflose Wut darüber, daß Sandoval ihn durchschaut hatte, die Verzweiflung über seine Schwäche, den Haß auf Boone und sich selbst in einem Akt der Gewalt abzureagieren, bevor er an diesen Gefühlen erstickte.
„Gehen Sie”, befahl er.
„Aber ...”
Zo'or öffnete die Augen, und sein Blick brachte Sandoval zum Schweigen.
„Ich sagte, Sie sollen gehen!”
In den Augen des Taelons las Sandoval seinen Tod, für den Fall, daß er diesen Befehl nicht unverzüglich befolgte. Wortlos drehte er sich um und verließ das Büro.
Zo'or schloß die Augen wieder. Er sehnte sich mit jeder Faser seiner Existenz danach, die Stimmen des Gemeinwesens in seinem Bewußtsein zu vernehmen, danach, daß ihr stets beruhigender Klang den Schmerz in seiner Seele linderte. Doch wie hätte er den anderen Taelons jene Demütigung offenbaren können, die er empfand und die weitaus schwerer wog als der Tod, den zu wählen er zu schwach gewesen war.
„Wer ist der Spender dieses Impfstoffes?”
„Das bin ich.”

 

Teil 1
 

Wie stets um diese Zeit, war das Flat Planet Café gut besucht. Der Geräuschpegel bewegte sich in Höhen, die andernorts eine Anzeige wegen Lärmbelästigung nach sich gezogen hätten. Doch die Bar lag mitten in der Innenstadt, und zu so später Stunde hielt sich außer Nachtschwärmern niemand mehr in den benachbarten Wolkenkratzern auf. Die Geschäftsetagen waren bis auf den Wachschutz leer, und in den angrenzenden Nachtclubs ging es nicht minder hoch her als im Flat Planet Café.
An einem Tisch in der Nähe der Bar saßen William Boone, Lili Marquette, Augur und einige jener knapp bekleideten Mädchen, die Augur unaufgefordert umringten, sobald er einen Fuß in die Bar setzte. Als Eigentümer des Flat Planet Cafés sowie diverser Immobilien, Aktienpakete und prall gefüllter Bankkonten stellte Augur für die Damenwelt ein äußerst erstrebenswertes Ziel dar, zumal er daneben auch noch gut aussah und über jede Menge Charme verfügte, den er ebenso großzügig zu versprühen pflegte, wie er hübschen Frauen Drinks spendierte.
Während Lili zusah, wie eine schlanke Blondine sich von Augur Komplimente ins Ohr flüstern ließ, fragte sie sich einmal mehr, ob sie wirklich die einzige Frau in Augurs Dunstkreis war, auf den sein Charme keine Wirkung zeigte.
Als hätte Augur ihren Gedanken erraten, entzog er der Blondine seine Aufmerksamkeit und schenkte Lili ein anzügliches Lächeln.
„Steter Tropfen höhlt den Stein.”
„Ach ja?” Lili erwiderte das Lächeln. „Darauf würde ich nicht hoffen, wenn ich Sie wäre.”
„Sie findet mich unwiderstehlich”, erklärte Augur der Blondine an seiner Seite. „Sie kann es nur nicht zeigen, weißt du. Machen Sie nicht so ein böses Gesicht”, kam er Lilis Erwiderung zuvor. „Es reicht, daß Boone eine Leichenbittermiene zur Schau trägt, bei der einem die Laune glatt vergeht.”
Lili sah Boone an, der schweigend in seinem Drink rührte.
„Augur hat recht. Man könnte meinen, daß Sie sich auf Ihrer eigenen Beerdigung befinden.”
„Genau”, bekräftigte Augur. „Alles amüsiert sich, außer Ihnen, Boone. Was ist das Problem? Gefällt Ihnen die Party nicht? Immerhin feiern wir hier Ihre Wiederauferstehung von den Toten, da wäre es angebracht, sich etwas mehr zu freuen.”
„Tut mir leid, wenn ich Ihnen die Stimmung verderbe, aber mir ist nicht nach feiern zumute.”
„Und warum?” fragte Augur.
Boones Blick streifte die Blondine neben Augur und die anderen beiden Mädchen am Tisch, worauf Augur sie mit einem: „Genehmigt euch auf Kosten des Hauses einen Drink an der Bar, Ladies”, wegschickte. „Also?” wandte er sich dann an Boone.
„Ich hatte heute Nachmittag ein unerfreuliches Gespräch mit Jonathan Doors. Er hat mir die Rettung von Zo'or und Da'an vorgeworfen. Er nannte meine Beteiligung an der Entwicklung eines Impfstoffes für die Taelons einen Akt der Kollaboration.”
„Sie haben unzähligen Menschen das Leben gerettet”, wandte Augur ein.
„Leider interessiert Doors das herzlich wenig”, sagte Boone. „Er hätte all diese Leute für das Wohl der Menschheit geopfert.”
„Das meint er doch nicht ernsthaft, oder?” Augur sah Lili an.
Marquette wich seinem Blick nicht aus. „Doors hat bisweilen recht eigenwillige Ansichten.”
„Eigenwillig?” Augur starrte sie an. „Wir reden hier davon, daß Doors es vorgezogen hätte, Menschen sterben zu lassen, Sie und Boone eingeschlossen.”
„Er ist ein Extremist”, bestätigte Boone. „Und das macht mir Sorgen. Nein, mehr als das. Es macht mir Angst. Vor dem Tag, an dem Doors die Möglichkeit erhält, eine Entscheidung zu treffen, ohne daß jemand von uns dabei ist, um ihm in den Arm zu fallen, sollte es nötig werden.”

 
* * *
 

Die Anzeige auf dem Monitor zeigte das dreidimensionale Bild eines menschlichen Körpers, der in grafische Bestandteile zerlegt war.
Jonathan Doors maßte sich nicht an, besonders viel von Medizin zu verstehen, aber das, was er den Anzeigen entnahm, war selbst für einen Laien verständlich. Doktor Park hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet. Das Labor, das er ihr finanziert hatte, war jeden einzelnen Dollar wert. Auf ihre Art war sie nicht minder brillant als Doktor Belmann. Mit dem Unterschied, daß Doktor Park sich von ihrem hippokratischen Eid nicht daran hindern ließ, die Taelons mit jedem Mittel zu bekämpfen, das ihr zur Verfügung stand. Im Gegensatz zu Doktor Belmann beschränkte dieser Eid sich ihrer Ansicht nach auf Menschen, und sie hatte keine Skrupel, ihn zu ignorieren, sobald es um die Taelons ging.
Doors hatte seine Leute fortgeschickt. Diese Daten waren zu sensibel, das Gespräch mit Park zu vertraulich, als daß er jemand dabei haben wollte.
Die Stille in dem unterirdischen Hauptquartier des Widerstands wurde nur von dem Summen der elektronische Geräte unterbrochen, und von den Atemzügen der beiden Menschen, die gebannt auf die Anzeige starrten.
„Sind Sie sicher, daß es funktionieren wird?” fragte Doors. „Wir haben vielleicht nur diesen einen Versuch.”
„Es wird funktionieren”, versicherte Doktor Park. „Sofern die Distanz nicht mehr als einen halben Meter beträgt. Haben Sie schon eine Idee, wie Sie das arrangieren wollen?”
„Nein. Aber Sie können sich darauf verlassen, daß mir etwas einfallen wird.”
Doktor Park sah ihn an. „Daran hege ich keinen Zweifel.”

 
* * *
 

Das Taelon-Mutterschiff war ein faszinierender Ort. Genau wie die Taelons selbst schien es nahezu vollständig aus reiner Energie zu bestehen. Die Außenhülle, die Innenwände, Verstrebungen und Träger schimmerten in Blau- und Rosatönen, und wenn man ganz genau hinsah, erkannte man, daß das Material, aus dem sie gefertigt waren, vibrierte, sich in unendlichen Schwingungen bewegte, wie Wasser, das über eine reflektierende Oberfläche rann.
Agent Ronald Sandovals CVI ließ ihn den Moment, in dem er das erste Mal das Mutterschiff betreten hatte, noch einmal durchleben, während er vom Shuttle-Hangar zur Brücke ging.
Er empfand wieder jenes unbeschreibliche Gefühl von Erhabenheit, das beim Durchqueren der Gänge und Hallen von ihm Besitz ergriffen hatte. Er spürte erneut jenes leichte Kribbeln auf der Haut, wie damals, als er seine Hand an eine der schimmernden Wände gelegt hatte.
Über wieviel Wissen, wieviel Macht mußten diejenigen verfügen, die das geschaffen hatten, war der erste Gedanke gewesen, der ihm beim Anblick des Schiffes durch den Kopf geschossen war. Dieses Schiff vereinte in sich das Jahrtausende alte Wissen, nach dessen Erweiterung Da'an strebte, und die Macht der Taelons, die Zo'or verkörperte.
Wissen oder Macht.
Im Gegensatz zu diesem Schiff hatte er sich entscheiden müssen, welchem Stern er folgte, wem er dienen wollte.
Wissen oder Macht.
An jenem Tag hatte er seine Wahl getroffen.
Die Brücke hatte nicht minder beeindruckende Ausmaße als das Schiff, und ihr zentraler Kern war der Kommandosessel, in dem Zo'or saß und seinem Beschützer entgegensah.
Beschützer.
Was für eine unpassende Bezeichnung für die Natur ihrer Beziehung. Sandoval mochte einst der Beschützer Da'ans gewesen sein. Für Zo'or war er lediglich ein williges und fähiges Werkzeug, das er für seine Zwecke benutzte. Begriffe wie Bitte und Danke existierten in Zo'ors Sprache nur dann, wenn er es für angebracht hielt, diplomatisch zu sein, was für ihn gleichbedeutend damit war, Worte als Mittel der Manipulation einzusetzen.
Agent Sandoval mußte weder manipuliert werden, noch war ihm gegenüber Diplomatie nötig, um seine Kooperation zu erreichen. Agent Sandoval war ein Implantant. Seine gesamte Existenz war dem Motivations-Imperativ seines Implantats untergeordnet. Er diente den Taelons, und welcher Herr verschwendete Freundlichkeit an einen Sklaven, dessen Leben ihm gehörte?
Zo'or gab sich keine Mühe, seine Auffassung zu verbergen. Seine Augen, jede Faser an ihm strahlte Überlegenheit und Geringschätzung für den Menschen aus, der ihm diente.
An Agent Sandoval indessen perlte Zo'ors Verachtung ab wie Regen an Glas. Er mochte sich den Befehlen des Taelons unterwerfen. Doch das versetzte Zo'or nicht in die Lage, ihn zu verletzen. Es hatte nur einen Taelon gegeben, der dazu fähig gewesen war, und dieser Taelon hatte ihn immer und immer wieder verwundet. Er hatte es ohne Absicht getan, aber das hatte nichts an dem Schmerz geändert. Im Gegenteil. Bisweilen konnte Gleichgültigkeit ein so viel schärferes Schwert als bewußte Grausamkeit sein, und die Wunden, die es schlug, heilten langsam, und manchmal heilten sie nie.
Boone, immer nur Boone.
Eifersucht war eine zerstörerische Kraft. Wollte man daran nicht zugrunde gehen, mußte man einen Weg finden, sich von ihr zu befreien, und Sandovals Weg hatte ihn direkt zu Zo'or geführt.
Wie stets verbarg Sandoval seine Gefühle sorgsam hinter einer ausdruckslosen Miene. Schon vor seiner Implantierung hatte er sich durch ein hohes Maß an Beherrschung ausgezeichnet, die in keiner noch so heiklen oder gefährlichen Situation ins Wanken geriet. Das CVI hatte seine Fähigkeit zur Selbstkontrolle perfektioniert.
„Sie haben mich rufen lassen”, sagte er.
Zo'or musterte Sandoval. Er vertraute ihm nicht, denn trotz seines Implantats war Sandoval ein Mensch, und er würde gewiß nie der gleichen unseligen Schwäche wie Da'an erliegen und einem Menschen vertrauen. Doch er traute Sandoval ohne weiteres zu, sich der Aufgabe, mit welcher er ihn betrauen wollte, mit der Hingabe und Effizienz anzunehmen, die er von ihm gewohnt war. Von allen Implantanten war Agent Sandoval der einzige, der für diesen Auftrag in Frage kam. Denn er war der einzige unter ihnen, der ohne zu zögern bereit war, den Befehlen seines Companions den absoluten Vorrang vor allem einzuräumen. Sogar vor den Wünschen der Synode.
Zo'or lehnte sich in seinem Sessel zurück. Nun, da er einen Weg gefunden hatte, seinen Zorn und seinen Haß auf Boone und sich selbst zu kanalisieren und in eine Richtung zu lenken, in welcher er beidem ungehindert Lauf lassen konnte, hatte er sein inneres Gleichgewicht wiedererlangt.
„Ja. Denn ich habe einen Auftrag für Sie, Agent Sandoval.”

 
* * *
 

Die Taelon-Botschaft in Washington ragte wie ein überdimensionales modernes Kunstwerk in den blauen Himmel, an dem sich an diesem warmen Sommertag keine einzige Wolke zeigte.
Da'an betrachtete die Strahlen der Sonne, die sich im virtuellen Glas der Fenster brachen, in einem Spiel von Farben, die von der hellen Haut des Taelons reflektiert wurden. Er hob eine Hand und ließ seine Finger langsam durch die Strahlen gleiten, so behutsam, als könnten sie die Berührung fühlen, so wie er ihre Wärme spürte.
„Darf ich fragen, warum Sie das tun?” meinte Boone, der den Taelon beobachte.
„Sie dürfen.”
„Nun, warum?”
„Ihre Sonne fasziniert mich.”
„Haben Sie keine Sonne auf Ihrer Heimatwelt?”
Über Da'ans Züge husche ein flüchtiger Ausdruck, den Boone nicht zu deuten vermochte.
„Sie haben einen wunderschönen Planeten”, fuhr der Taelon fort. „Ehren Sie ihn.”
„Das tue ich, genau wie die meisten Menschen.”
„Die meisten?”
„Leider gehen viele Menschen überaus rücksichtslos mit der Natur und der Erde um.”
„So rücksichtslos, wie sie einander behandeln?”
„Sie dürfen die Menschheit nicht nach Leuten wie diesen Rassisten beurteilen. Wir sind kein Volk von Extremisten. Wir versuchen, in Frieden miteinander auszukommen, auch wenn wir es nicht immer schaffen.”
Da'an wandte sich vom Fenster ab und sah Boone an. „Sie müssen sich nicht entschuldigen, Commander. Die Dunkelheit existiert in jedem von uns. Sie ist sowohl Teil Ihres menschlichen Erbes als auch des Erbes der Taelons. Es liegt allein an uns, sie zu bezähmen.”

 
* * *
 

Im Hauptquartier der Befreiungsbewegung herrschte rege Betriebsamkeit. Einmal mehr empfand Lili Marquette beim Anblick der vielen Menschen jeden Alters, Geschlechts und jeder Hautfarbe ein Gefühl unbändigen Stolzes auf das, was sie in diesen vergangenen drei Jahren gemeinsam erreicht hatten. Sie hatten sich organisiert, verdammt gut organisiert, sie waren bereit und fähig, die Taelons zu besiegen. Sie hätte lügen müssen, hätte sie behaupten wollen, daß sie Jonathan Doors besonders mochte. Er war autoritär, rücksichtslos, und er duldete keinen Angriff auf seinen Führungsanspruch. Vielleicht mußte man so sein, um Erfolg zu haben. Nicht umsonst hatte Doors sich ein mächtiges und äußerst profitables Wirtschaftsimperium aufgebaut. Das schaffte man nicht, wenn man sich zierte, die Ellbogen zu gebrauchen. Nein, sie mochte ihn nicht. Doch sie bewunderte ihn dafür, all die einzelnen, zersplitterten Widerstandsgruppen zu einer Bewegung zusammengeschweißt zu haben, die eine echte Chance in diesem Kampf hatte.
Doors saß mit Doktor Park an einem der Tische, die sich überall verteilt im Raum befanden. Vor ihnen standen Aluminiumbecher mit dampfendem Kaffee, doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt einigen Computerausdrucken, die mit langen Kolonnen von Buchstaben, Zahlen und Symbolen für chemische Verbindungen bedeckt waren. Als Lili an ihnen vorbeiging, hob Doors den Kopf.
„Captain Marquette. Welch seltener Besuch. Hat Commander Boone Ihnen freigegeben?”
Sie fühlte, wie Ärger in ihr hochstieg. Boones wachsende Vertrautheit mit Da'an war Doors ein Dorn im Auge, und er ließ keine Gelegenheit verstreichen, Kritik an dem Commander zu üben.
„Im Gegensatz zu Ihnen verlangt Boone von seinen Mitarbeitern nicht, rund um die Uhr für ihn tätig zu sein. Und er macht ihnen auch keine Vorwürfe, weil sie Menschenleben gerettet haben”, ergänzte sie, von dem Bedürfnis gepackt, ihn aus der Reserve zu locken.
„Wir gewinnen diesen Krieg nicht, indem wir im Flat Planet Café vermeintliche Erfolge feiern”, erklärte Doors unbeeindruckt.
„Vermeintliche Erfolge?”
„Sie sind Soldat, Captain Marquette. Sie sollten wissen, daß bisweilen Opfer erbracht werden müssen. Lassen wir das”, kam Doors ihrer Erwiderung zuvor. „Es trifft sich gut, daß Sie hier sind.”
„Ach, tatsächlich. Warum?”
„Weil ich einen Auftrag für Sie habe.”

 
* * *
 

Zo'or ignorierte Commander Boone, der neben Da'ans Sessel stand, als er Da'ans Büro in der Washingtoner Botschaft betrat. Boones Anwesenheit erinnerte ihn einmal mehr daran, daß er dem Menschen sein Leben verdankte, so wie dieses Büro ihn daran erinnerte, daß Da'an als nordamerikanischer Companion über mehr Macht und Einfluß verfügte als er selbst. Zo'or vermochte nicht klar zu sagen, welche Erkenntnis bitterer war, doch er fühlte sich durch beide gleichermaßen erniedrigt.
„Du wolltest mich sehen”, begrüßte er Da'an. „Darf ich erfahren, was so wichtig war, daß du mich gebeten hast, dich aufzusuchen, anstatt die Kommunikationseinrichtung zu benutzen?”
„Ich wollte mich persönlich von deinem Wohlergehen überzeugen”, erwiderte Da'an sanft.
„Aus welchem Grund?”
Da'an sah Boone an. „Bitte lassen Sie uns allein, Commander.” Er wartete, bis Boone dieser Anweisung gefolgt war, bevor er sich erneut an Zo'or wandte: „Das Wissen, daß es ein Mensch war, der dein Leben gerettet hat, muß schwer auf dir lasten. Da Commander Boone mein Beschützer ist, erachte ich es als meine Pflicht, dir dabei behilflich zu sein, die Unumstößlichkeit der Tatsache, ihm dein Leben zu verdanken, zu akzeptieren.”
„Wie überaus großmütig von dir. Doch ich benötige keine Hilfe, um mich damit abzufinden, daß das, was geschehen ist, nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, am allerwenigsten von dir. Wenn das alles war, weswegen du mich nach Washington hast kommen lassen, erhebst du sicherlich keine Einwände dagegen, daß ich auf das Mutterschiff zurückkehre, um mich wichtigeren Dingen zu widmen als Commander Boone.”
Ohne die Antwort des anderen Taelons abzuwarten, drehte Zo'or sich um und ging.
Da'ans Blick folgte Zo'or, bis die Tür des Büros sich hinter ihm schloß. Er hatte gehofft, daß Zo'or wenigsten dann, wenn sie unter sich waren, anerkennen würde, was Boone für ihn getan hatte, wenn er es schon nicht über sich brachte, dem Commander zu danken. Doch wie es aussah, hatte sich einmal mehr eine seiner vielen Hoffnungen in Bezug auf Zo'or nicht erfüllt. Wie oft würde Zo'or ihn noch enttäuschen müssen, bis er endlich erkannte, daß keiner der Wünsche, die er im Zusammenhang mit dem jüngeren Taelon so sehnsüchtig hegte, sich jemals erfüllen würde.

 
* * *
 

Agent Ronald Sandoval saß in seinem Büro in Washington und blickte ausdruckslos auf den Schirm des Terminals auf seinem Schreibtisch.
Zwei Gesichter.
Zwei Namen.
Zwei Männer, die durchs Leben gingen, ohne zu ahnen, daß sie im Grunde bereits tot waren.
Es hätte keines Motivations-Imperativs bedurft, um Zo'ors Befehl mit einem Maß an Hingabe auszuführen, das überdurchschnittlich war. Dies war einer jener Fälle, in denen Zo'ors Wünsche sich nahtlos mit seinen eigenen deckten.
Diese beiden Männer hätten fast den Tod von Zo'or, Da'an und mehreren anderen Taelons verursacht. Sie verdienten es zu sterben.
Die Synode mochte die menschlichen Gesetze respektieren, welche die Schuldigen vor einer Vergeltung ihrer Opfer schützten.
Zo'or tat es nicht, und Sandoval befolgte schon lange ausschließlich die Gesetze, die von dem Companion aufgestellt wurden, dem er diente.
Wie oft hatte er im Auftrag Zo'ors bereits Leben ausgelöscht. Bisweilen hatte er einen leisen Hauch von Bedauern empfunden, sich insgeheim gefragt, ob es wirklich erforderlich war, zu diesem Mittel zu greifen, ob es nicht vielleicht eine andere Lösung für das jeweilige Problem gegeben hätte.
Diesmal jedoch empfand er weiter nichts als Genugtuung und Vorfreude.
Diese beiden Männer hatten versucht, Zo'or und Da'an zu töten. Sie hatten versucht, Taelons zu ermorden. Aus Motiven, die derart niedrig und widerwärtig waren, daß sie allein dafür bereits den Tod tausendfach verdienten.
„Wie hat einer wie Sie es geschafft, einen Job bei den Companions zu bekommen, Agent Sandoval?”
Er würde es genießen, dieses Todesurteil zu vollstrecken. Um so mehr, als Zo'or ihm bei der Auswahl der Hinrichtungsmethode völlig freie Hand gelassen hatte. Zweifellos im Vertrauen darauf, daß sein Beschützer eine Exekution arrangieren würde, die der Schwere der Tat angemessen war.
Und Sandoval hatte nicht vor, Zo'ors Vertrauen zu enttäuschen.

 
* * *
 

Commander Boone, der hinter dem breiten Schreibtisch in seinem Büro saß, musterte Lili, die mit verschränkten Armen nachdenklich vor ihm stand.
„Sie sollen Sandoval beschatten? Wieso?”
„Das hat Doors mir nicht verraten.”
„Trotzdem werden Sie es tun.”
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Dennoch nickte sie.
„Ja, natürlich, was dachten Sie denn?”
„Was ich denke?” Boone lehnte sich in seinem Sessel zurück, ohne den Blick von Marquette zu nehmen. „Ich denke, daß Sie keine Befehle von Jonathan Doors befolgen sollten, ohne zu wissen, was genau er damit bezweckt.”
„Was ist mit Ihnen? Ich meine, Sie befolgen ständig Befehle von Da'an, ohne zu wissen, was er damit bezweckt.”
„Das ist etwas anderes.”
„Finden Sie? Also für mich besteht da kein großer Unterschied. Außer, daß Jonathan Doors für die Menschheit kämpft, während Da'ans Bestreben dem Wohl der Taelons gilt.”
„Und dem der Menschheit”, widersprach Boone.
„Glauben Sie das wirklich?”
„Ja, das tue ich. Und wenn ich wählen müßte, wem ich mehr traue, dann gewiß nicht Doors.”
„Heißt das, Sie verweigern mir den Urlaub, um den ich Sie gebeten habe?”
„Würde Sie das davon abhalten, durch diese Tür zu gehen und zu tun, was Doors von Ihnen verlangt?”
„Nein, das würde es nicht.”
„Dann haben Sie meine Erlaubnis, sich bis auf weiteres frei zu nehmen”, meinte Boone. „Seien Sie vorsichtig, Lili”, hielt er sie an der Tür noch einmal zurück. „Sollte Sandoval merken, daß Sie ihn beschatten, wird er nicht zögern, Sie zu töten, das ist Ihnen doch hoffentlich klar.”
Ihr Blick suchte seinen. „Nicht, wenn ich ihm zuvorkomme”, erwiderte sie.

 

Teil 2
 

Die Fabrikanlage stand bereits seit vielen Jahren leer. Früher einmal waren hier Baumaschinen produziert worden, und überall auf dem weitläufigen Gelände standen verrostete Gerätschaften, stumme Zeugen einstiger Betriebsamkeit. Der perfekte Ort, um sich vor der Polizei zu verbergen. Doch kein Versteck, wie perfekt es auch sein mochte, war sicher, wenn jemand wie Agent Sandoval entschlossen war, es aufzuspüren.
Die Männer, die er suchte, hatten es geschafft, den staatlichen Behörden zu entkommen. Sie hatten sich wie Ratten in ihrem Loch verkrochen, um darauf zu warten, daß der Sturm sich legte und sie sich wieder ins helle Licht des Tages zurück wagen konnten, ohne Gefahr zu laufen, verhaftet und wegen ihrer Verbrechen vor Gericht gestellt zu werden.
Sandoval bewegte sich nahezu lautlos. Das Gelände bot schier unendliche Möglichkeiten der Deckung, sogar für jemanden, der sich nicht so ausgezeichnet wie Sandoval darauf verstand, mit der Umgebung zu verschmelzen, eins zu werden mit den Schatten der Nacht, die nur vom fahlen Schein des Mondes und vereinzelter Sterne durchbrochen wurden. Mit dem Instinkt eines Raubtieres, das seine arglose Beute einkreiste, näherte Sandoval sich einer Halle, hinter deren zerbrochenen Fenstern Licht schimmerte. Das Tor war unverschlossen. Es knarrte leise, als er es vorsichtig aufdrückte, aber die Nacht war erfüllt vom Rauschen des Windes, der mit den morschen Fensterläden spielte, und den entfernten Schreien von Vögeln, so daß das Geräusch nicht weiter auffiel.
Die Männer, die er suchte, hatten ein Feuer entzündet, um sich daran zu wärmen. Der Schein der züngelnden Flammen malte bizarre Muster auf ihre Gesichter. Die weißen Gesichter, auf welche sie so stolz waren, auf die sie sich soviel einbildeten, ohne daß es dafür einen Grund gab.
Haß brandete in Sandoval auf, wie eine riesige Welle, die durch sein Bewußtsein schwappte.
Mit Gewalt kämpfte er das unbändige Verlangen nieder, den Arm hochzureißen und seinen Skrill zu benutzen. Das letzte, was diese Männer verdienten, war ein schneller Tod. Sie sollten leiden. Er würde sie lehren, den Begriff des Leidens neu zu definieren. Wenn er mit ihnen fertig war, würden sie ihn auf Knien um Vergebung für ihre Taten anflehen und um die Gnade betteln, sterben zu dürfen.
Sandoval trat aus dem Schatten in den Schein des Feuers und richtete seinen Skrill auf die Männer, die erschrocken aufsprangen und Anstalten machten, zu ihren Waffen zu greifen.
„Das sollten Sie besser nicht tun.” Sandoval begleitete seine Warnung mit einem Schuß, der gezielt zwischen den beiden hindurch gleißte, so dicht an ihren Körpern, daß sie aufschrien und ihre Arme hoben.
„Schon besser.” Sandoval trat einige Schritte näher.
„Wer sind Sie?” fragte der jüngere der beiden Männer. Albert Cooper, der den Virus aus dem Labor der Taelons geschmuggelt hatte. Der ihn im Obdachlosenheim so verächtlich angeredet hatte.
„Wie hat einer wie Sie es geschafft, einen Job bei den Companions zu bekommen, Agent Sandoval?”
Mit einem Satz war Sandoval bei ihm. Ein Hieb mit seiner Handkante streckte den Mann zu Boden. „Ihr Gedächtnis ist genauso schlecht wie Ihr Charakter.” Sandovals Skrill zeigte auf die Brust des Mannes, der nun zu seinen Füßen lag.
In den blauen Augen, die zu ihm aufstarrten, flackerten Erkennen und Furcht.
„Agent Sandoval.”
„Freuen Sie sich nicht zu früh, Agent Sandoval”, ließ der andere Mann sich vernehmen. Barry Calvert, der die Gruppe angeführt hatte, die das Obdachlosenheim überfallen und später den Virus freigesetzt hatte. „Genießen Sie diesen Moment ruhig, aber bilden Sie sich bloß nicht ein, daß unsere Festnahme irgend etwas an der Überlegenheit der weißen Rasse ändert.”
Sandoval trat wieder einige Schritte zurück, um beide Männer im Schußfeld zu haben.
„Wie kommen Sie darauf, daß ich hier bin, um Sie festzunehmen?”
„Weswegen sonst?” Calvert lachte. Doch als er Sandovals Blick begegnete, wichen Hohn und Arroganz in seiner Miene Verunsicherung, die sich unter Sandovals Lächeln allmählich in Unruhe und schließlich in Panik verwandelte.
„Sie sind vom FBI!” entfuhr es Cooper, dem inzwischen ebenfalls dämmerte, daß sie sich in größeren Schwierigkeiten befanden, als sie angenommen hatten. In weitaus größeren. „Sie können uns nicht einfach so töten!”
„Wer sagt, daß ich beabsichtige, Sie einfach so zu töten?” Mit Genugtuung bemerkte Sandoval, wie ihre Gesichter noch blasser wurden, bis sie so bleich wie die gekalkten Wände der Halle waren.
„Das können Sie nicht machen”, stammelte Cooper.
Sandovals Lächeln vertiefte sich. Er vollführte eine auffordernde Bewegung mit dem Skrill.
„Stehen Sie auf!”
Cooper zitterte vor Angst so stark, daß er mehrere Anläufe benötigte, um sich schwankend zu erheben. „Das können Sie nicht machen”, wiederholte er flehend, beschwörend, so als würde er ein Gebet aufsagen.
„Sie irren ...”
Der Rest von Sandovals Satz ging in dem Geräusch unter, mit dem das Stück Hartholz, das unvermittelt durch die Luft flog, seinen Hinterkopf traf und sein Bewußtsein auslöschte.
„Das war ein exzellenter Wurf”, bemerkte Jonathan Doors. „Sollte ich jemals beschließen, ein Baseball-Team zu sponsorn, erinnern Sie mich daran, darauf zu bestehen, daß Sie in die Mannschaft aufgenommen werden.”
„Das werde ich”, gab Lili Marquette, die sich neben ihm aus dem Schatten eines Stahlträgers löste, zurück. Sie war Sandoval den ganzen Tag quer durch die Stadt und schließlich bis in diese alte Anlage gefolgt. Doors hatte ihr befohlen, sich bei ihm zu melden, sobald Sandoval sich allein und in einer angreifbaren Position befand. Sie war erstaunt, wie rasch Doors in Begleitung weiterer Widerstandskämpfer aufgetaucht war, kaum daß sie ihn über das Global informiert hatte. Er mußte eines der Interdimensionsportale benutzt haben, doch selbst dafür war er schnell gewesen. Es schien fast so, als hätte er neben jedem Portal einen seiner Leute mit einem Rennwagen oder einem Helikopter plaziert, nur um innerhalb kürzester Zeit bei ihr zu sein. Warum dieser Aufwand, um einen einzelnen Mann in seine Gewalt zu bekommen? Denn Doors hatte deutlich klargestellt, daß er nicht die Absicht hatte, Sandoval zu töten. Was erhoffte er sich? Glaubte er wirklich, Sandoval würde ihm Dinge über die Taelons verraten? In jedem Fall wäre sie in der Lage gewesen, Sandoval trotz seines Skrills ohne fremde Hilfe zu überwältigen. Er war ein gefährlicher Gegner, aber das war sie auch. Sandoval ahnte zudem nicht, daß sie in seiner Nähe war, und sie wäre durchaus fähig gewesen, seine Überraschung zu ihren Gunsten auszunutzen.
Aus den Augenwinkeln registrierte Lili eine Bewegung.
Calvert hatte seine Pistole aufgehoben und richtete sie auf den besinnungslosen Sandoval.
Mit einem Satz hechtete Lili vor und fiel Calvert in den Arm, gerade als er abdrückte.
Der Schuß peitschte durch die Halle und löste einen Funkenwirbel aus, als er ein Förderband traf, abgelenkt wurde und mit einem lauten Plop in ein hölzernes Regal eindrang und steckenblieb.
„Lassen Sie das!” Lili rang mit Calvert um die Pistole. „Wenn ich Sandoval hätte erschießen wollen, hätte ich es selbst getan, alles klar?!” Sie entwand ihm die Waffe, sicherte sie und warf sie in eine Ecke.
„Der elende Bastard wollte uns umbringen!” keuchte Calvert.
„Ein Jammer, daß er es nicht eilig damit hatte”, entgegnete Lili. „Sonst hätte ich gewartet, bis er mit Ihnen fertig ist.”
„Hey, was ....”, begann Cooper.
„Sie sind Abschaum”, erklärte Lili kalt. „Menschen wie Sie sind es, welche die Taelons in der Ansicht bestärken, daß wir im Gegensatz zu ihnen unzivilisierte Wilde sind!”
„Wer zum Teufel sind Sie?” Calvert starrte Lili an. „Momentmal, ich kenne Sie! Sie arbeiten für die Taelons.”
„Ganz recht. Und wenn ich mich nicht irre, haben Sie gerade versucht, einen Kollegen von mir zu töten.” Lili lächelte ironisch. „Ich an Ihrer Stelle würde so schnell wie möglich verschwinden. Bevor ich vielleicht auf die Idee komme, dort weiterzumachen, wo Agent Sandoval aufgehört hat.”
„Sie haben sie vernommen.” Doors trat neben Lili. „Gehen Sie! Solange Sie es noch können.”
„Was bilden Sie sich ein, mit wem ...”
„Ich wiederhole mich nur äußerst ungern.” Auf ein Nicken von Doors traten mehrere Männer und Frauen aus dem Schatten. Sie alle hielten Waffen in den Händen, die unmißverständlich auf die beiden Männer am Feuer zeigten. „Wie ich bereits sagte”, fuhr Doors fort. „Ich erwarte, daß Sie nun gehen und vergessen, daß diese Begegnung jemals stattgefunden hat. Haben wir uns verstanden?”
Calvert und Cooper tauschten einen Blick.
„Das wird Ihnen noch leid tun”, zischte Calvert.
„Wenn ich es recht bedenke, tut es das bereits.”
Bevor Lili reagieren konnte, hatte Doors seine Waffe gehoben und zweimal abgedrückt. Wie Marionetten, denen die Fäden abgeschnitten worden waren, sanken Calvert und Cooper langsam auf den schmutzigen Boden der Halle.
„Sind Sie verrückt?!” Lilis fassungsloser Blick wanderte von Doors Gesicht zu den Toten und wieder zurück.
„Wie Sie selbst sagten, Captain, die beiden waren Abschaum”, meinte Doors ungerührt. „Und dieser Calvert hat mich erkannt. Das konnte ich in seinen Augen sehen. Und vergessen Sie nicht, daß sie wußten, wer Sie sind. Welche Erklärung hätten Sie den Taelons dafür liefern wollen, daß Sie sich in meiner Gesellschaft befunden haben? Denken Sie, diese Kerle hätten gezögert, Sie ans Messer zu liefern?”
„Nein, vermutlich nicht”, räumte Lili widerstrebend ein. Doors Argumente waren stichhaltig. Doch die Kaltblütigkeit, mit welcher er zwei unbewaffnete Männer erschossen hatte, erschütterte sie trotzdem. Sie war Soldat. Im Krieg hatte sie viele Dinge getan, auf die sie alles andere als stolz war. Aber Unbewaffnete zu töten? Wahrscheinlich mußte sie froh sein, daß Doors ihr die Entscheidung abgenommen hatte. Denn leider hatte er recht. Sie durfte nicht riskieren, daß ihre Tarnung aufflog. Ihr Blick fiel auf den bewußtlosen Sandoval, und gegen ihren Willen ertappte sie sich dabei, sich zu wünschen, Doors nicht dabei geholfen zu haben, Sandoval in die Finger zu kriegen. Sie hatte gewiß keinen Grund, ausgerechnet mit Agent Sandoval Mitleid zu haben. Doch die Vorstellung, was Doors mit ihm machen würde, um die Informationen zu erhalten, die er wollte, verursachte ihr Übelkeit. Im Krieg war sie mehr als einmal Zeuge gewesen, wie erfindungsreich Menschen sein konnten, wenn es darum ging, einem Feind die Zunge zu lösen. Sie war sicher, daß Doors nicht davor zurückschreckte, Sandoval zu foltern, und Sandovals Motivations-Imperativ würde es erforderlich machen, ihn mittels weitaus brutalerer Methoden zum Sprechen zu bringen, als es bei einem Nicht-Implantanten der Fall gewesen wäre. Sofern es ihnen überhaupt gelang, Sandovals Widerstand zu brechen.
„Schafft die Leichen fort”, befahl Doors, bevor er neben dem besinnungslosen Sandoval in die Hocke ging. Er zog eine schmale Ampulle und eine Spritze aus der Tasche.
„Was ist das?” fragte Lili. „Ein Sedativ?”
Doors stach die lange, dünne Nadel durch den Verschluß der Ampulle und füllte die Spritze zur Hälfte mit der klaren Flüssigkeit.
„Weshalb wollen Sie ihn betäuben?” hakte Lili nach. Es war ein hartes Stück Holz gewesen. Es würde noch eine geraume Weile dauern, bis Sandoval das Bewußtsein wieder erlangte. Was also bezweckte Doors? Einem spontanen Impuls folgend fing sie Doors' Handgelenk ab. „Ich habe Ihnen eine Frage gestellt!”
„Und ich habe beschlossen, sie nicht zu beantworten”, gab Doors zurück.
„Ich denke, daß Sie keine Befehle von Jonathan Doors befolgen sollten, ohne zu wissen, was genau er damit bezweckt.”
Hatte Doktor Park im Auftrag von Doors vielleicht ein Wahrheitsserum entwickelt? In letzter Zeit hatten sie und Doors viele Gespräche geführt, und die meistens waren sie verstummt, sobald sich ihnen jemand genähert hatte. Verdammt, die Befreiungsbewegung mochte zwar alles andere als demokratisch organisiert sein, aber deshalb war sie noch lange keine Diktatur, nur weil Doors sich wie ein despotischer Monarch in seinem Königreich aufführte.
„Was ist in der Spritze?”
„Lassen Sie mich los, Captain!”
„Ich habe ein Recht auf eine Antwort!” beharrte Lili. „Wir alle hier haben ein Recht auf eine Antwort!” Ihr Blick suchte nach Verbündeten bei dieser Konfrontation, und hier und da regte sich in der Tat zustimmendes Gemurmel.
„Also gut”, lenkte Doors ein. „Die Lösung enthält eine modifizierte Variante des Virus', der von Calvert und seiner Gruppe in dem Obdachlosenheim freigesetzt wurde.”
Lili gab Doors' Handgelenk frei und wich instinktiv einen Schritt zurück. Sie war nicht die einzige, die so reagierte, wie ein rascher Blick zeigte.
Die Augen sämtlicher Widerstandskämpfer hingen an der Spritze.
„Sind Sie wahnsinnig!” entfuhr es Lili. „Wissen Sie, was Sie da tun?!”
„Natürlich.” Doors lächelte. „Sie müssen sich keine Sorgen machen, Captain Marquette. Wie ich schon sagte, es handelt sich um eine modifizierte Form des Virus, die Doktor Park so entwickelt hat, daß sie für Menschen absolut harmlos ist. Obwohl”, Doors' Blick streifte Sandoval, „ich das in diesem speziellen Fall aufrichtig bedaure. Er wird sich lediglich etwas unwohl fühlen, mehr nicht.”
Wäre Doors wirklich fähig, Sandoval absichtlich mit einem Virus zu infizieren und zu einem entsetzlichen Tod zu verurteilen?
Ja, dachte Lili. Das wäre er. Doch er hatte gesagt, daß der Virus für Menschen harmlos war.
„Was ist mit den Taelons?” sprach sie die Gedanken aller in der Halle laut aus.
„Tja, was ist mit den Taelons.” Doors Lächeln vertiefte sich. „Ist es nicht eine Ironie, daß es ausgerechnet Agent Sandoval, ein Implantant und ergebener Diener der Companions, sein wird, der uns von den Taelons befreien und zum Retter der Menschheit werden wird? Mit jedem Wort, das er in Gegenwart seiner neuen Taelon-Herren spricht, mit jedem Atemzug wird er zu ihrer Vernichtung beitragen. Zu schade, daß er nie erfahren wird, daß er es war, der Zo'or, Da'an und all die anderen infiziert hat. Indessen, mit etwas Glück findet Zo'or es rechtzeitig genug heraus, um unseren Freund Sandoval an die Wand zu stellen, bevor die Seuche ihn dahinrafft, als letzte und einzige gute Tat in seinem Leben.”
Lili starrte ihn an. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?! Wenn Sie gesehen hätten, was dieses Virus anrichtet ... Doors, wir reden hier vom Einsatz einer biologischen Waffe! Wären Sie jemals im Krieg gewesen, wüßten Sie ...”
„Ich bin im Krieg, Captain Marquette! Genau wie Sie. Wir kämpfen für unsere Freiheit gegen einen übermächtigen Feind, und ich will verdammt sein, wenn ich nicht jedes, absolut jedes mögliche Mittel einsetze, um diesen Feind zu besiegen. Falls Sie damit ein Problem haben, dann gehen Sie! In dieser Bewegung ist kein Platz für Sentimentalitäten - und noch weniger für geteilte Loyalitäten. Die Taelons oder wir. Sie müssen sich entscheiden, auf welcher Seite Sie stehen!”
Diesmal fand Lili keine Unterstützung bei ihren anwesenden Mitstreitern. Nur zustimmendes Nicken und beifällige Äußerungen.
„Falls Sie damit ein Problem haben, dann gehen Sie!”
Sie konnte und wollte nicht gehen. Auch wenn sie Doors' Methoden nicht billigte, war dieser Kampf trotzdem noch ihr Kampf. Die Taelons waren auf die Erde gekommen, ohne dazu eingeladen worden zu sein. Sie strebten danach, die Menschheit zu versklaven. Sie mußten sich wehren, wollten sie nicht untergehen. Die Taelons hatten die Wahl, die Erde zu verlassen. Die Menschheit hatte keine Wahl. Sie hatte keine Wahl.
„Ich stehe hinter der Bewegung”, erklärte sie.
„Dann beweisen Sie es!”
„Wie bitte?”
Wortlos hielt Doors Lili die Spritze hin.
„Ich muß Ihnen gar nichts beweisen”, wehrte sie ab.
„Doch, das müssen Sie”, widersprach Doors. „Denn wenn Sie sich weigern, betrachte ich das als einen Mangel an Loyalität gegenüber unserer Sache und werde Sie aus der Bewegung entfernen!”
„Ist das eine Drohung?”
„Nein. Es ist eine Tatsache, mit der Sie sich abfinden müssen, Captain Marquette. Wir oder die Taelons. Entscheiden Sie sich!”
„Hören Sie ...”
„Tun Sie es!” verlangte Doors hart.
Zögernd kniete Lili neben Sandoval nieder. Sie schob den linken Ärmel seines Hemdes hoch, nahm die Spritze und klopfte leicht dagegen. Das Schicksal der Taelons war besiegelt. Welche Rolle spielte es schon, ob Doors oder sie Sandoval den Virus injizierten, der sie umbringen würde? Lili stach die Nadel in Sandovals Vene. Doch als sie den Kolben niederdrückte, zitterten ihre Finger, und unwillkürlich schloß sie die Augen.

 
* * *
 

Commander Boone warf Sandoval einen verstohlenen Blick zu. An diesem Morgen war Sandoval noch einsilbiger, als er es von ihm gewohnt war. Seit Sandoval unerwartet in sein Büro geplatzt war, fragte Boone sich, was der andere Companion-Beschützer eigentlich wollte. Er hatte sich nach einigen Routineberichten erkundigt, nichts, was ihn normalerweise bewogen hätte, Boone persönlich aufzusuchen. Jetzt saß er in einem der Besuchersessel und rieb sich mit geschlossenen Augen leicht die Schläfen.
„Fühlen Sie sich nicht wohl?”
„Was?” Sandoval sah Boone irritiert an.
„Sie reiben sich Ihre Schläfen. Haben Sie Kopfschmerzen?”
„Nein.” Sandoval zögerte. Der gestrige Abend hatte einen unerwarteten Verlauf genommen. Calvert und Cooper hatten offenbar einen Komplizen gehabt, der ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Als er in der Halle wieder zu sich gekommen war, waren sie verschwunden gewesen. Seine Verstimmung über diesen Mißerfolg wurde dadurch verstärkt, daß er sich seitdem nicht wohl fühlte. Wahrscheinlich hing es mit dem ziemlich heftigen Schlag auf den Kopf zusammen, den er erhalten hatte. Zumindest hoffte er das. Boone hatte aufrichtig geklungen. Er schien sich tatsächlich Sorgen zu machen. „Doch. Es tut mir leid, Commander, aber ich bin heute ein wenig ... unkonzentriert.”
Gott allein wußte, was dieses Eingeständnis Sandoval gekostet haben mußte. Und plötzlich wußte Boone, was den anderen Companion-Agent hergetrieben hatte. Er befürchtete, sein Implantat könnte erneut versagen, und ausgerechnet heute sollte er Zo'or zu einem Treffen der UNO begleiten. In Zo'ors Gegenwart war es gefährlich, Schwäche zu zeigen. Sollte Zo'or Kenntnis davon erlangen, daß Sandovals Implantat möglicherweise erneut zu versagen drohte, würde er nicht zögern, seinen Beschützer zu einem Sicherheitsrisiko zu erklären, ihn durch einen anderen Implantanten ersetzen und vermutlich sogar eliminieren lassen. Im Gegensatz zu Da'an waren für Zo'or alle Implantanten ohne weiteres auswechselbar. Eine Reimplantierung hielt er für eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen. Wessen CVI nicht mehr richtig funktionierte, wurde einfach ausgetauscht. Kein Wunder, daß Sandoval keinen gesteigerten Wert darauf legte, sich in seiner erkennbar geschwächten Verfassung in Zo'ors Nähe zu begeben.
Nach kurzer Überlegung aktivierte Boone seine Kommunikationseinrichtung und stellte eine Verbindung zur Taelon-Botschaft her.
Da'ans Gesicht erschien auf dem Schirm.
„Commander Boone?”
„Ich grüße Sie, Da'an. Bitte verzeihen Sie die Störung, aber ich habe Gerüchte gehört, daß die Befreiungsbewegung beabsichtigt, die Eröffnung der Kunstausstellung mit einer Kundgebung zu stören. Daher halte ich eine Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen für angemessen.”
„Ist das wirklich nötig? Nach meinen bisherigen Erfahrungen pflegt ein erhöhtes Aufgebot an Sicherheitskräften die Menschen zu beunruhigen.”
„Da haben Sie recht. Daher dachte ich auch an eine diskrete, weniger auffällige Verstärkung durch Agent Sandoval.”
„Soweit ich weiß, begleitet Agent Sandoval Zo'or zu einem Treffen der UNO.”
„Sie sind der nordamerikanische Companion, Da'an. Ihre Interessen haben Vorrang.”
„Würden Sie sich besser fühlen, wenn Agent Sandoval Sie unterstützt?”
„Ja, das würde ich.”
Der Blick des Taelons hielt denjenigen seines menschlichen Beschützers fest. Sie verstanden einander auch ohne Worte. Boone wollte, daß Sandoval in seiner Nähe blieb, und sein Companion war bereit, diesem Wunsch zu entsprechen, wohl wissend, daß die Begründung vorgeschoben war. Er vertraute seinem Beschützer. Wenn er dies je zum Ausdruck gebracht hatte, dann jetzt, da er Boones Bitte erfüllte, ohne die wahren Beweggründe des Commanders zu kennen.
„In diesem Fall soll es so sein.” Da'an beendete die Verbindung.
„Sie haben es gehört”, wandte Boone sich an Sandoval. „Ich schlage vor, Sie fahren voraus und sehen sich schon einmal in den Räumen der Ausstellung um. Und wenn Sie es schaffen, auf dem Weg kurz bei Doktor Belmann vorbeizuschauen und ihr diese Daten”, Boone griff in die Schublade seines Schreibtisches und zog eine Diskette hervor, „zu geben, schulde ich Ihnen einen Gefallen.”
Sandoval ignorierte die Diskette. Er würde Doktor Belmann später aufsuchen. Für einen Tag hatte er sich Boone genug verpflichtet. Weitere Anzeichen von Schwäche konnte und wollte er sich zudem in Gegenwart des Commanders nicht leisten. Derartiges untergrub auf Dauer die Autorität.
„Es zählt nicht zu meinen Aufgaben, Botengänge für Sie zu erledigen, Boone”, erklärte er.
„Natürlich nicht.” Boone ließ sich seine Überraschung über diese kühle Zurechtweisung nicht anmerken. Würde er Sandoval jemals begreifen? Vielleicht würde ihm jenes Buch dabei helfen, das Sandoval ihm geliehen hatte. Identifizierte Sandoval sich gar mit Machiavelli, obwohl sein CVI ihm das eigentlich nicht ermöglichen dürfte? „Soll ich Zo'or informieren, daß Da'an Sie angefordert hat?”
„Ich informiere Zo'or selbst.” Sandoval erhob sich. An der Tür blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. Sein Blick suchte denjenigen des Commanders. „Danke, Boone.”
Als er sich erneut zum Gehen wandte, stieß Sandoval beinahe mit Lili Marquette zusammen, die just in diesem Moment das Büro betrat.
„Agent Sandoval? Sollten Sie nicht in New York sein?”
„Ich bin mir nicht bewußt, inwieweit mein Terminkalender für Sie von Interesse zu sein hat, Captain Marquette.”
„Schlechte Laune? Hat Ihnen etwas die Stimmung verdorben?”
„Das geht Sie nichts, rein gar nichts an, Captain!” sagte Sandoval scharf.
„Ich unterbreche Sie ja nur ungern”, mischte Boone sich ein. „Aber die Kunstausstellung wird in einer knappen halben Stunde eröffnet. Wenn Sie vor Da'ans Eintreffen alles noch einmal gründlich überprüfen wollen, sollten Sie jetzt besser aufbrechen.”
„Da'an?!” rutsche es Lili heraus. „Ich dachte, Sie würden Zo'or heute zu einem Treffen der UNO begleiten?!”
Sandoval sah an ihr vorbei Boone an. „Commander, wir sollten uns bei Gelegenheit einmal über Ihren Führungsstil unterhalten.” Ohne eine Erwiderung Boones abzuwarten, drehte er sich um und verließ das Büro.
„Können Sie mir vielleicht verraten, was das eben sollte?” fragte Boone, kaum daß die Tür sich hinter Sandoval geschlossen hatte.
„Tut mir leid. Ich hatte gestern einen harten Tag.” Und eine schlaflose Nacht, ergänzte Lili in Gedanken. Sie dachte an die vielen, endlosen Stunden, in denen sie sich von einer Seite des Bettes auf die andere gewälzt hatte. Daran, wie sie Doors im Stillen bitter verflucht hatte. Schließlich hatte sie damit begonnen, sich Zo'ors Gesicht auszumalen, seinen hilflosen Zorn, wenn er begreifen mußte, daß sein Plan kläglich gescheitert war. Das hatte geholfen. Sie war überzeugt gewesen, daß es Zo'or als ersten treffen würde. Schließlich war Sandoval Zo'ors Beschützer. Statt dessen würde Da'an der erste Taelon sein, mit dem Sandoval nach gestern Nacht in Berührung kam.
Ausgerechnet Da'an!
Natürlich spielte es keine Rolle, ob Da'an als erster oder als letzter infiziert wurde, ob er als erster oder letzter starb, da ohnehin alle Taelons zum Tode verurteilt waren. Trotzdem hätte sie sich gewünscht, es wäre Zo'or gewesen, nicht Da'an.
„Möchten Sie darüber reden?” drang Boones Stimme an ihr Ohr.
„Nein.” Verdammt, sie wollte nicht darüber reden, daß sie im Begriff war, sich an dem Mord an einem gesamten Volk zu beteiligen, mochte dieses Volk sein Schicksal auch noch so verdienen.
Da'an verdient dieses Schicksal?
Sie haßte die kleine Stimme in ihrem Innern, die ihr dies zuwisperte. Sie wollte ihr Flüstern in ihrem Kopf nicht hören. Verflucht, wieso hatte es nicht Zo'or sein können. Warum gerade Da'an?
Ausgerechnet Da'an!
„Lili, Sie haben doch etwas. Fühlen Sie sich nicht wohl? Wenn Sie weiter frei nehmen wollen, dann sagen Sie es, und ich fordere einen anderen Piloten an.”
Reiß dich zusammen, schalt sie sich. Du hast gewußt, daß Da'an sterben würde. Die Taelons oder wir. Du hast deine Wahl getroffen, nun mußt du es durchziehen, bis zum bitteren Ende.
„Es geht mir gut, okay!”
Boone musterte sie eindringlich. Erst Sandoval und jetzt Lili. Ihre abweisende Miene verriet, daß es keinen Sinn hatte, auf einer Antwort zu beharren. Auf ihre Art war Lili genauso verschlossen wie Sandoval, auch wenn er sich wohlweislich hüten würde, diesen Vergleich jemals laut anzustellen.
„Wie Sie meinen”, lenkte er daher ein. „Falls Sie es sich anders überlegen, ich bin immer für Sie da, Lili.”

 
* * *
 

Da'an erwartete sie in seinem Büro in der Botschaft. Er hob seine linke Hand und hielt sie Boone mit der geöffneten Handfläche nach oben entgegen.
„Ich bin erfreut, Sie zu sehen, Commander.”
„Ich freue mich auch, Da'an.” Boone legte seine Hand in die des Taelons.
Für einen kurzen Moment schienen sie eine geistige Verbundenheit zu teilen, während Da'ans Haut mehrfach die Farbe wechselte. Dann zog der Taelon seine Hand zurück und sah Lili an.
„Captain Marquette”, hieß er sie freundlich willkommen.
Sie zwang sich, seinem Blick nicht auszuweichen, als sie den Gruß erwiderte.
Verdammt, wieso konnte es nicht Zo'or sein?
Warum ausgerechnet Da'an!
Boone und Da'an nahmen in den beiden hinteren Sitzen des Shuttles Platz und schnallten sich an, während Lili auf den Pilotensitz kletterte und die Navigationskontrollen aktivierte. Da der Zielort sich in Washington befand, war es nicht erforderlich, in die Interdimension zu gehen. Im Normalflug würden sie die Galerie innerhalb weniger Minuten erreichen. Wäre es nach Lili gegangen, hätte diese Galerie sich irgendwo am anderen Ende der Welt befinden können. Wegen ihr auch in einer anderen Galaxis. Jede Minute, die sie vom Unvermeidlichen trennte, war in diesem Moment ihr Freund. Doch es waren nur wenige, viel zu wenige.
Die Taelons oder wir. Sie müssen sich entscheiden, Captain!
In ihrem Rücken begann Da'an ein Gespräch mit Boone. Sie versuchte, nicht hinzuhören, erst als Sandovals Name fiel, horchte sie auf. Offenbar machte Boone sich große Sorgen, daß Sandovals CVI erneut versagen könnte.
„Er zeigt die typischen Symptome”, meinte er. „Kopfschmerzen und Gereiztheit. Außerdem hat er über einen Mangel an Konzentration geklagt.”
„Weiß Zo'or davon?” erkundigte Da'an sich.
„Ich bezweifle, daß Sandoval es ihm gesagt hat”, erwiderte Boone.
„Aber Ihnen hat er sich anvertraut?”
„Mehr oder weniger.” Boone schilderte in knappen Worten den Verlauf seiner Unterhaltung mit Sandoval. „Ich denke, Sandoval befürchtet, Zo'or könnte ihn einfach auswechseln”, schloß er. „Oder noch ... schlimmeres.”
„Teilen Sie diese Befürchtung?”
„Um ehrlich zu sein, ja.”
„Ich verstehe. Haben Sie mich deshalb gebeten, Agent Sandoval anzufordern?”
„Sie haben ihm schon einmal geholfen, Da'an. Sie könnten es wieder tun.”
„Ich bin erstaunt, daß Sie sich so für Agent Sandoval einsetzen. War er es nicht, der Ihre Frau getötet hat? Trotzdem lassen Sie keine Gelegenheit verstreichen, ihm das Leben zu retten. Warum?”
„Ich weiß es nicht”, antwortete Boone. Das entsprach der Wahrheit. Obwohl er mehr als genug Gründe hatte, um Sandoval aus tiefster Seele zu hassen, brachte er ihm eine sonderbare Sympathie entgegen, deren Ursache er sich selbst nicht erklären konnte. Vielleicht lag es daran, daß Sandoval so entschlossen war, eine Art Beziehung zwischen ihnen aufzubauen. Boone war sicher, daß Sandoval nicht im eigentlichen Sinne seine Freundschaft suchte. In Sandovals Leben war für Freundschaft kein Platz. Doch Sandoval suchte seine Gesellschaft. Er sprach mit ihm über Dinge wie die Träume, die er mit seinem Skrill teilte, und er hatte ihm aus eigenem Antrieb sein Lieblingsbuch zum Lesen gegeben. All das deutete darauf hin, daß Sandoval wollte, daß er ihn verstand. Möglicherweise ging es ihm gar um Absolution, obwohl Boone sich das nur schwer vorstellen konnte.
„Werden Sie ihm helfen, Da'an?” fragte er.
„Sofern es nötig werden sollte, ja”, entgegnete der Taelon. „Obwohl ich hoffe, daß es nicht dazu kommen wird.”

 
* * *
 

Die Galerie, in der die Kunstausstellung stattfand, die heute eröffnet werden sollte, gehörte zu den größten und modernsten Washingtons, vielleicht sogar der gesamten Vereinigten Staaten. Da'an zeigte reges Interesse an dem menschlichen Verständnis von Kunst. Unter seiner Schirmherrschaft förderten die Taelons verschiedene künstlerische Projekte, so unter anderem auch diese Ausstellung junger Kunststudenten, deren Werke sich mit dem Thema Frieden auseinandersetzten.
Das Shuttle mit Da'an und Boone an Bord landete auf dem Platz vor der Galerie.
Während des Fluges hatte Lili versucht, sich allein auf die Navigation zu konzentrieren, ohne auf das Gespräch zwischen Da'an und William Boone zu achten. Die sanfte Stimme des Taelons, die unverhohlene Zuneigung für die Menschheit im allgemeinen und seinen Beschützer im besonderen, die aus jedem Wort, jeder Geste des nordamerikanischen Companions sprach, hatte an ihren Nerven gezerrt, bis sie das Gefühl hatte, jeden Moment anfangen zu müssen, laut zu schreien, um all diesen Emotionen Luft zu machen, die in ihrem Inneren tobten.
Warum ausgerechnet Da'an?
Lili folgte Da'an und Boone, die aus dem Shuttle stiegen und die geräumige Eingangshalle der Galerie betraten. In einiger Entfernung entdeckte sie Sandoval, der den Leuten vom Sicherheitspersonal gerade letzte Anweisungen erteilte. Als er Da'an und seine Begleiter bemerkte, schickte er die Sicherheitsleute mit einem Wink fort und begann, ihnen entgegenzugehen.
Mit jedem Schritt, mit dem Sandoval sich näherte, schien die Temperatur im Raum weiter zu sinken, bis Lili glaubte, langsam aber sicher zu Eis zu erstarren.
Warum ausgerechnet Da'an?
Die Taelons oder wir.
Nicht Da'an, oh, bitte, Gott!
Sie müssen sich entscheiden!
Nein, nicht Da'an!
„Nein!” Ohne sich dessen bewußt zu sein, hatte Lili laut gesprochen.
„Captain Marquette?” erkundigte Da'an sich erstaunt.
Lili starrte William Boone aus geweiteten Augen stumm an, während ihr blasses Gesicht den erbitterten Kampf widerspiegelte, den sie gegen sich selbst focht.
Die Taelons oder wir!
Sie konnte es nicht. Nicht für die Befreiungsbewegung, und am allerwenigsten für Doors.
„Halten Sie ihn auf, Boone!” entrang es sich ihrer Kehle.
„Wen? Lili, zum Teufel, wen?!”
Ihr Blick flog von Boones Gesicht zu Sandoval. „Ihn!” stieß sie aus. „Er darf keinen Schritt näher kommen! Sie müssen ihn aufhalten!”
Boone hielt sich nicht mit Fragen auf. Für Erklärungen war später noch Zeit. In Lilis dunklen Augen flackerten Furcht und Entsetzen, und beides konzentrierte sich auf Sandoval.
„Bleiben Sie stehen, Sandoval!” rief der Commander.
„Wieso? Was soll ...”
Als Boone sah, daß Sandoval beim Sprechen weiterging, riß er seinen rechten Arm hoch.
Für Erklärungen war später noch Zeit.
Boone richtete seinen Skrill auf Sandoval und feuerte.

 
* * *
 

Kein Mitglied der Befreiungsbewegung, das Zeuge der Auseinandersetzung zwischen Doors und Boone war, konnte sich daran erinnern, den Commander jemals derart außer sich erlebt zu haben. Boone war ein ruhiger Mann, der selten laut wurde und sich fast immer unter Kontrolle hatte. Doch an diesem Abend sah es für die erstaunten Beobachter der Szene so aus, als wäre Boone kurz davor, mit Fäusten auf Doors loszugehen.
„Wissen Sie überhaupt, was Sie da tun wollten?!” schrie er.
„Natürlich weiß ich das”, gab Doors nicht minder heftig zurück. „Wir hätten die Menschheit auf einen Schlag von allen Taelons befreit!”
„Sie hatten vor, eine biologische Waffe einzusetzen. Sie wollten Massenmord verüben!”
„Was für den einen Mord ist, ist für den anderen ein legitimes Mittel im Kampf gegen einen gefährlichen Feind. Sie verbringen zu viel Zeit mit den Taelons, Commander. Darüber fangen Sie an, zu vergessen, daß Sie ein Mensch sind.”
„Ich bin hier nicht derjenige, der anscheinend vergessen hat, was Menschlichkeit ist, Doors!”
„Lassen Sie doch diese Haarspaltereien! Geben Sie es doch einfach zu, daß dieser Da'an für Sie wichtiger ist als wir und diese Bewegung.”
„Sofern Sie von sich sprechen, Doors, stimme ich Ihnen zu. Sie berufen sich auf Ihren Kampf für die Menschheit. Doch Da'an begreift den tiefen Sinn dieses Wortes besser als Sie, der Sie ein Mensch sind. Sie widern mich an, Doors!”
„Ihre Meinung interessiert mich nicht. Und soweit es Captain Marquette anbelangt ...”
„ ... werden Sie nichts tun! Ich warne Sie, Doors. Krümmen Sie Lili auch nur ein einziges Haar, wird Ihr gesamtes Geld nicht ausreichen, um sich Schutz vor mir zu erkaufen. Im übrigen können Sie Gott danken, daß Da'an, Zo'or und Sandoval die Erklärung geschluckt haben, daß Lili Sekunden zuvor über ihr Global von einem Informanten gewarnt wurde. In dem ganzen Durcheinander hat niemand außer mir bemerkt, daß sie angerufen wurde. Daher konnte nur ich die Geschichte bestätigen.”
„Das haben sie Ihnen abgekauft?!”
„Zo'or war nicht dabei, Sandoval hat zum Glück nicht auf Lili und mich geachtet, und Da'an vertraut mir.”
„Wie schön für Sie.”
„Für uns alle. Sonst wäre die Tarnung von Lili und mir aufgeflogen. Ich will Ihr Wort, Doors, daß Sie diesen Virus vollständig vernichten werden, sonst ...”
„Was sonst? Werden Sie mich töten?”
Boone brachte sein Gesicht so dicht an dasjenige von Doors, daß sie einander fast berührten.
„Wenn ich Sie wäre, würde ich es besser nicht darauf ankommen lassen.”

 

Epilog
 

Doktor Belman trug einen grünen Kittel, der in den Wellen des Schirms auf bizarre Weise beinahe lebendig wirkte. Ihr Gesicht sah müde und abgespannt aus, doch ihre Augen blickten zufrieden und voller verhaltenem Stolz auf das, was sie geleistet hatte.
„Und Sie sind wirklich sicher, daß von Agent Sandoval keine Gefahr für die Taelons mehr ausgeht, Doktor?” vergewisserte Zo'or sich. „Es ist äußerst wichtig, daß wir uns in diesem Punkt nicht mißverstehen.”
„Ich bin mir durchaus bewußt, welche Konsequenzen es hätte, sollte ich mich irren”, sagte die Ärztin. „Doch Sie können mir glauben, Zo'or, ich habe jede noch so geringe Spur des Virus' aus der DNA von Agent Sandoval entfernt.”
„Trotzdem halte ich es für angebracht, in diesem Fall ein Isolationsprotokoll in Erwägung zu ziehen, Doktor.”
„Erwarten Sie von mir etwa ...”
Zo'or hob eine Hand. „Keineswegs, Doktor. Ich respektiere den Eid, den Sie abgelegt haben. Sie müssen sich um nichts kümmern. Das FBI wird Ihnen einige seiner Spezialisten schicken.”
„Ich denke nicht, daß das nötig sein wird.”
„Da'an!” Zo'or starrte auf das Gesicht des anderen Taelons, das unerwartet neben dem von Belmann auf dem Schirm aufgetaucht war.
„Da du zu beschäftigt damit bist, dich deines Beschützers zu entledigen, um dich um ihn zu sorgen, Zo'or, habe ich es für dich übernommen, mich davon zu überzeugen, daß Agent Sandoval wieder wohlauf ist. Und wie du siehst, habe ich keine Schäden davongetragen.”
„Ja, offensichtlich.” Mit einer herrischen Handbewegung unterbrach Zo'or die Verbindung.
Im Grunde zürnte er Da'an dieses eine Mal nicht wirklich. Sandoval war ein nützliches Werkzeug, und es wäre bedauerlich gewesen, darauf verzichten zu müssen. Das, was ihn aufbrachte, hatte weder etwas mit Da'an noch mit Sandoval zu tun. Einmal mehr hatte Commander Boone die Taelons vor ihrer Ausrottung bewahrt. Einmal mehr verdankte er ihm sein Leben. Ihm und Lili Marquette. Es war erniedrigend, und die Demütigung verletzte seinen Stolz und nährte seinen Zorn und seinen Haß auf William Boone bis zur Grenze dessen, was er ertragen konnte.

 

ENDE

 

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