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  „Der Himmel schweigt” von Sujen   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den Eigentümern von Mission Erde/Earth: Final Conflict. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Sandoval wird Opfer einer Verschwörung
Zeitpunkt:  Die Story spielt in der dritten Staffel, im Anschluß an die Episode „Blutsverwandte”
Charaktere:  Sandoval, Zo'or, Liam, [Da'an, Renee, Doors, Augur]
 
Widmung:  Für Ramona!
 
Achtung: Dieser Teil enthält eine Folterszene!
 

 

DER HIMMEL SCHWEIGT

 

„Wenn man Sie faßt, bringt man Sie zu mir. Wenn
ich geschnappt werde, bringt man mich zu Zo'or.”

(Sandoval zu Lili in „Parasiten”)

 

Durch das virtuelle Glas, welches das Mutterschiff umgab, konnte man hinab auf die schimmernde Erde sehen. Doch Agent Ronald Sandoval, der mit raschen, energischen Schritten den Hauptgang durchquerte, hatte keinen Blick für die majestätische Aussicht. Er kam täglich hier vorbei und hatte sich daran gewöhnt, seine Welt aus dieser Perspektive zu betrachten. Anfangs war er unbewußt langsamer geworden, und manchmal, wenn er unbeobachtet gewesen war, hatte er gar für einen kurzen Moment verharrt und den herrlichen Ausblick genossen. Längst war die anfängliche Faszination dem Gefühl von Selbstverständlichkeit gewichen, mit der er sich an Bord des Schiffes bewegte, als würde er sich in seinem Büro in Washington befinden. Er war der einzige Mensch, der Zutritt zu jeder Sektion hatte, ein besonderes Privileg, das für gewöhnlich selbst einem Implantanten nicht ohne weiteres zuteil wurde. Er hatte es sich verdient, und er war stolz darauf, auch wenn er es sich nur selten anmerken ließ - zumindest in Gegenwart Zo'ors.
Der Führer der Taelon-Synode hielt die menschliche Rasse für unterlegen, und Stolz gestand er ausschließlich Ebenbürtigen zu.
Sandovals Motivations-Imperativ verlangte von ihm, den Taelons zu dienen, und unter allen Taelons war Zo'or der wichtigste. Konnte es eine größere Ehre geben, als sein Beschützer zu sein? Dessen ungeachtet dachte Sandoval in letzter Zeit oft an die Jahre zurück, in denen er noch Da'ans Beschützer gewesen war. Er hatte den amerikanischen Companion aufrichtig bewundert. Als Da'an von einer Gruppe von Marines entführt worden war und die Synode sich weigerte, um sein Leben zu verhandeln, war es Sandoval so vorgekommen, als wäre ein Teil von ihm zusammen mit Da'an zum Tode verurteilt worden. Er hatte mit jeder Faser seiner Existenz gelitten.
Doch Da'ans Dankbarkeit hatte allein Boone gegolten.
Boone, immer nur Boone.
Von dem Moment an, da Da'an und Commander William Boone sich begegnet waren, hatten Da'ans Sympathie und sein Vertrauen sich auf den Polizisten konzentriert. Da'an hatte die Loyalität seines Beschützers Sandoval als selbstverständlich akzeptiert. Um diejenige Boones hatte er kämpfen müssen, vielleicht hatte er sie deshalb so viel mehr geschätzt.
Bei der Erinnerung durchzuckte Sandoval einmal mehr der Schmerz der Eifersucht, die er tief in seinem Herzen verspürt hatte, wann immer Da'an ihm durch seine Worte und seine Taten gezeigt hatte, daß er neben Boone bedeutungslos war.
Dann war Zo'or gekommen, um Da'an zu ersetzen. Ein einziges Wort seines Companions, eine Geste hätte genügt und Sandoval wäre ihm auch in dieser Situation gefolgt. Statt dessen hatte Da'an den Blick gesenkt und sich seiner Absetzung durch die Synode widerspruchslos unterworfen.
Sandovals Motivations-Imperativ hatte ihm keine andere Wahl gelassen, als die Entscheidung Da'ans zu respektieren und Zo'ors Anspruch auf seine Dienste anzuerkennen.
Boone hingegen hatte es geschafft, sich der Forderung seines Implantats zu verweigern, was Da'ans Zuneigung zu ihm verstärkt hatte, während er Sandoval nie verzieh.
Boones Tod hatte nichts geändert.
Im Gegenteil. Da'an begegnete Boones Nachfolger Major Liam Kincaid mit noch größerer Wärme und Zuneigung und behandelte ihn nicht wie einen Untergebenen, sondern wie einen Freund.
Zumindest hatte er das früher getan.
In letzter Zeit hatte die Beziehung zwischen Da'an und dem Major sich verschlechtert. Da'an rief Kincaid seltener zu sich, und von selbst suchte er seinen Companion kaum noch auf.
Eine erstaunliche Entwicklung, die Sandoval mit wachsendem Interesse verfolgte. Hier bot sich vielleicht eine Möglichkeit, Da'ans Glauben an die Loyalität des Majors ernsthaft zu erschüttern und seinerseits das Vertrauen des Taelons zurückzugewinnen.
Das Summen seines Globals unterbrach Sandovals Gedankengang. Er aktivierte das Gerät.
Zo'ors Gesicht erschien auf dem Display.
„Kommen Sie auf die Brücke, Agent Sandoval!” befahl er knapp.

 
* * *
 

Die Brücke war im Verhältnis zu den gigantischen Ausmaßen des Mutterschiffes klein, gemessen an irdischen Maßstäben jedoch war sie groß. Das Zentrum bildete der Kommandostuhl, auf dem Zo'or saß und Sandoval entgegensah.
Der Agent blieb vor ihm stehen und neigte den Kopf.
Wie erwartet erwiderte der Führer der Synode den Gruß nicht. Im Gegensatz zu Da'an hob Zo'or sich seine Höflichkeit für Menschen wie Präsident Thompson auf. Diejenigen, die ihm dienten, behandelte er ausnahmslos als das, was sie in seinen Augen waren: Sklaven der Taelons, und dabei machte er keinen Unterschied zwischen einfachen Freiwilligen und dem ersten seiner Implantanten.
„Womit kann ich Ihnen behilflich sein?” erkundigte Sandoval sich, als Zo'or keine Anstalten machte, das Wort an ihn zu richten.
„Indem Sie mir Ihre Meinung zur Befreiungsbewegung erläutern”, erwiderte der Taelon.
„Sie kennen meine Meinung. Diese Bewegung stellt eine Bedrohung für die Taelons dar, und deshalb betrachte ich es als meine vorrangige Aufgabe, sie zu eliminieren.”
„Wohlklingende Worte, Agent Sandoval. Doch Sie erklären leider nicht Ihre Beziehung zur Befreiungsbewegung.”
„Meine Beziehung?” Sandoval hob eine Braue. „Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht, Zo'or.”
Der Taelon vollführte eine bogenförmige Bewegung mit seiner rechten Hand, worauf sich ein Display auf der Brücke öffnete.
Sandoval starrte auf die schnelle Abfolge von Bildern und Daten. Geheime Botschaften von bekannten Widerständlern, Nachrichten, die verborgene Treffen und Aktionen gegen die Taelons zum Inhalt hatten, und allesamt waren sie an ein und dieselbe Person gerichtet: an ihn!
„Was hat das zu bedeuten?”
„Das frage ich Sie, Agent Sandoval. Diese Daten wurden in Ihrem Büro gefunden.”
„Sie haben mein Büro durchsuchen lassen? Warum?”
Zo'ors Blick wanderte von Sandovals Gesicht zum Display und wieder zurück. „Ich denke, das liegt auf der Hand. Die Synode erhielt einen diskreten Hinweis hinsichtlich Ihrer Aktivität für die Befreiungsbewegung, dem ich nachgegangen bin. Mit Erfolg, wie Sie sehen. Es war leichtsinnig von Ihnen, die Daten zu archivieren.”
„Ich habe sie nicht archiviert”, widersprach Sandoval. „Ich kenne Sie nicht einmal. Ich sehe diese Daten heute zum ersten Mal, und ich gehöre nicht zur Befreiungsbewegung. Mein Motivations-Imperativ verbietet mir, den Interessen der Taelons zuwider zu handeln.”
„Zumindest sollte er das. Doch anscheinend haben Sie einen Weg gefunden, Ihren Imperativ auszuschalten. Bemerkenswert.”
„Zo'or, ich versichere Ihnen, daß ich keine Ahnung habe, auf welche Weise die Daten in mein Büro gelangt sind.”
„Genausowenig wie Sie Kenntnis davon haben, wer Ihr Leben gerettet hat?”
„Mein Leben?”
„Zwei Liter Blut, die an der Tür abgegeben wurden. Eine jener hochherzigen Gesten, wie Sie für gewöhnlich unter Freunden üblich sind.”
Sandoval fragte nicht, wie Zo'or von diesem Vorfall erfahren hatte. Darüber würde er sich später Gedanken machen. Für den Moment stand zuviel für ihn auf dem Spiel, um sich von anderen Überlegungen ablenken zu lassen.
„Ich weiß nicht, wer mir das Blut geschickt hat”, sagte er fest. „Es kam anonym.”
„Ein anonymer Spender, der unerkannt Gutes tut. Eine wirklich rührende Geschichte, Agent Sandoval, nur daß sie bedauerlicherweise gelogen ist. Die Krankenschwester, die den Kanister an der Tür in Empfang genommen hat, war so freundlich, den Spender anhand unserer Sicherheitsdateien zu identifizieren.”
Erneut beschrieb Zo'ors Rechte einen eleganten Bogen.
Das Bild im Display wechselte und zeigte nun das Profil eines Mannes.
„Sein Name ist Augur”, erläuterte der Taelon. „Er ist Mitglied der Befreiungsbewegung.”
„Ich kenne Mister Augur.”
„Dann geben Sie zu, Kontakt zum Widerstand zu haben?”
„Natürlich nicht”, erklärte Sandoval, während er die Furcht abwehrte, die nach ihm griff. Er durfte nicht in Panik zu geraten, sondern mußte einen kühlen Kopf bewahren. Der Vorwurf, daß ausgerechnet er der Befreiungsbewegung angehören sollte, war so abwegig, daß er ihn unvorbereitet traf. Sein Verstand arbeitete gewohnt schnell und präzise und kam zur einzig logischen Erklärung. „Offenbar versucht die Befreiungsbewegung, mich in Mißkredit zu bringen.”
„Wozu diese Mühe? Es wäre nicht minder effizient und erheblich einfacher gewesen, Sie im Krankenhaus sterben zu lassen.”
Sandovals Gedanken wirbelten. Er hatte dafür keine Erklärung, aber Zo'or würde Schweigen als Schuldeingeständnis interpretieren. Soweit durfte er es nicht kommen lassen. Zo'or hatte ihn auf der Brücke mit dem Datenmaterial konfrontiert, anstatt seine sofortige Festnahme zu befehlen. Sein Verhalten zeigte, daß er selbst Zweifel hegte.
„Ich weiß weder, was diesen Augur bewogen hat, mich zu retten, noch wie diese Dateien in mein Büro gelangt sind”, sagte Sandoval mit einer Gelassenheit, die er keineswegs empfand. „Doch ich werde es herausfinden.”
Sein Blick wich demjenigen des Taelons nicht aus, bemüht, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen. Vergeblich, wie das überlegene Lächeln verriet, das Zo'ors Lippen umspielte.
Der Führer der Synode registrierte die unterschwellige Panik in Sandovals Stimme und das Aufflackern von Angst in den dunklen Augen, die ihn unverwandt ansahen, mit Genugtuung.
Agent Sandoval hatte sich in der Vergangenheit als fähiges Werkzeug erwiesen.
Aber in letzter Zeit hatte er angefangen, seinen Kopf zu hoch zu tragen. Mehrfach hatte er ihm in Gegenwart von Freiwilligen widersprochen. Derartige Angriffe auf seine Autorität konnte er nicht dulden. Der Moment war gekommen, Agent Sandoval nachhaltig in Erinnerung zu rufen, wer sein Herr war. Er war sicher, daß Sandoval das Opfer einer Intrige war. Sandovals Motivations-Imperativ erlaubte ihm keinen Verrat, und selbst wenn, wäre er wohl kaum so nachlässig gewesen, belastendes Beweismaterial in seinem Büro aufzubewahren.
Aber darauf kam es hier nicht an. Der Zufall hatte ihm den Anlaß geliefert, den er benötigte, um Sandoval ein für alle mal auf den Platz zu verweisen, der ihm zustand, und Zo'or beabsichtigte nicht, diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen.
Sie werden gar nichts herausfinden”, sagte er bedeutungsvoll.
Sandoval erbleichte und in seiner für gewöhnlich beherrschten Miene zeigte sich ein Anflug unkontrollierter Panik.
„Zo'or!”
„Genug! Ich habe bereits mehr Aufmerksamkeit an Sie und Ihre Ausflüchte verschwendet, als Ihnen gebührt. Sie haben mich getäuscht, und das schätze ich nicht.”
Auf ein Zeichen Zo'ors traten zwei Freiwillige vor.
Sie nahmen Sandoval, der bei Zo'ors Worten zusammengezuckt war, in ihre Mitte.
„Begleiten Sie Agent Sandoval in eine Zelle!” befahl der Taelon. „Ich werde mich später mit ihm befassen.”

 
* * *
 

Zarte, sehnsuchtsvolle Klänge erfüllten den Raum. Mit geschlossenen Augen lauschte Da'an den leisen, sanften Tönen der Panflöte. Von allen irdischen Instrumenten liebte er dieses am meisten. Die bleiche Haut des Taelons schimmerte in farbigen Reflexen, die Ausdruck von Entspannung und tief empfundenem Genuß waren.
Das Geräusch von Schritten veranlaßte Da'an, die Musik mit einem anmutigen Heben seiner Hand zum Verstummen zu bringen und die Augen zu öffnen.
Vor ihm stand Major Kincaid.
Da'ans Beschützer gehörte zu denen, die ihn jederzeit stören durften, und für einen kurzen Moment durchzuckte den Taelon jähe Freude darüber, daß Liam ihn aus eigenem Antrieb aufsuchte.
Doch dieses Gefühl erlosch unter Liams Blick, dem die warme Zuneigung fehlte, mit welcher er seinen Companion früher angesehen hatte.
In Liams Augen lag kühle Zurückhaltung, und einmal mehr verspürte Da'an den Schmerz und die Bitterkeit des Verlustes, den er erlitten hatte.
„Was führt Sie zu mir, Major?” fragte er.
Major ...
Früher hatte er Liam beim Vornamen genannt.
Diese vertrauliche Anrede indessen wollte Da'an nicht über die Lippen kommen. Zu groß war die Distanz zwischen ihnen geworden, zu hoch die Mauer, die Liam zwischen ihnen errichtet hatte.
Mit seiner Hilfe.
Da'an schob die traurige Erinnerung beiseite. Er hatte keine Wahl gehabt. Er konnte es sich nicht leisten, Zo'ors Vertrauen endgültig zu verlieren. Warum begriff Liam nicht, daß er mit seiner Tat auf lange Sicht gesehen zugleich den Interessen der Menschheit gedient hatte? Die Führer der Widerstandsgruppen waren einem höheren Ziel geopfert worden. Er hatte es nicht gern getan, aber wenn er gezögert hätte, wären seine sämtlichen Bemühungen in den letzten Jahren umsonst gewesen.
„Zo'or hat hat Agent Sandoval festnehmen lassen”, begann Liam.
„Das ist mir bekannt.”
„Er glaubt, daß Sandoval heimlich für die Befreiungsbewegung arbeitet.”
„Auch das ist mir bekannt.”
„Was glauben Sie, Da'an?”
„Welche Rolle sollte es spielen, was ich glaube?”
„Für Sandoval dürfte Ihre Meinung eine große Rolle spielen.”
„Was veranlaßt Sie zu der Annahme, daß ich Zo'ors Auffassung in dieser Sache nicht teile? Immerhin befanden sich in Agent Sandovals Büro eindeutige Beweise.”
„Jemand muß sie dort versteckt haben, um Sandoval in Schwierigkeiten zu bringen. Kommen Sie schon, Da'an, Sie und ich wissen, daß Sandoval unschuldig ist. Er hat zahllose Verbrechen an der Menschheit begangen, allein das sollte eigentlich genügen, um jeden zu überzeugen, daß er nicht zum Widerstand gehört. Wenn Sie ihm nicht glauben wollen, dann glauben Sie mir. Sandoval macht keine gemeinsame Sache mit der Befreiungsbewegung. Falls es so wäre, wüßte ich davon.”
„Falls es so wäre, würden Sie es mir offenbaren?”
„Nein, vermutlich nicht.”
„Dann ist Ihre Versicherung ohne Wert.”
„Sandoval bekämpft die Befreiungsbewegung. Er ist ihr erklärter Feind.”
„Wenn er Ihr Feind ist, weshalb setzen Sie sich dann für ihn ein?”
„Ich habe nicht gesagt, daß er mein Feind ist.”
„Ich nehme an, Sie beabsichtigen nicht, mir Ihr Interesse an Agent Sandoval zu erläutern?”
„Nein, das beabsichtige ich nicht.”
„Sie verweigern mir Ihr Vertrauen und erwarten dennoch, daß ich Ihnen helfe?”
„Nicht mir, sondern Sandoval.”
„Agent Sandovals Schicksal liegt in Zo'ors Händen. Er allein wird das Urteil sprechen.”
„Intervenieren Sie!”
„Sie überschätzen meinen Einfluß auf Zo'or.”
„Dann wenden Sie sich an die Synode.”
„Zo'or ist der Führer der Synode, und er liebt es nicht, wenn seine Entscheidungen in Frage gestellt werden, am allerwenigsten von mir.”
„Das hat Sie früher nicht gestört.”
„Die Zeiten ändern sich bisweilen. Ich vermag Ihnen nicht behilflich zu sein. Es tut mir leid.”
„Daß Sie nichts tun können? Oder daß Sie nichts tun wollen?”
„Sie gehen zu weit, Major. Ich rechtfertige meine Handlungen nur gegenüber der Synode, nicht Ihnen gegenüber.”
„Ich bitte Sie nicht darum, sich zu rechtfertigen, sondern darum, etwas zu unternehmen!”
„Welche Veranlassung sollte ich haben, mich einzumischen? Agent Sandoval hat Zo'or stets in seinem Bestreben unterstützt, meinen Wünschen und Hoffnungen für unsere beiden Rassen entgegen zu handeln.”
„Deshalb sehen Sie tatenlos zu, wie Zo'or ihn vernichtet? War er nicht einmal Ihr Beschützer, Da'an? Berührt es Sie so wenig, daß Sandoval, während wir diese Unterhaltung führen, bereits auf Zo'ors Befehl verhört wird? Ist Ihnen das Schicksal eines Mannes, der Ihnen jahrelang loyal gedient hat, denn wirklich völlig gleichgültig?”
Da'an schloß die Augen. Die Tönung seiner Haut wechselte mehrfach die Farbe, bevor er sie langsam wieder öffnete.
„Diese Unterredung ist beendet, Major.”
Ihre Blicke versanken ineinander.
Dann wandte Liam sich abrupt ab. An der Tür blieb er noch einmal stehen.
„Ob Taelons oder Menschen, es ist stets dasselbe alte Lied”, bemerkte er, ohne sich zu Da'an umzudrehen, der ihm stumm nachsah. „Der Himmel schweigt.”
„Wie bitte?”
„Eine irdische Erkenntnis. Der Himmel schweigt, wenn ein Stern verlischt und untergeht.”
„Eine durchaus interessante Metapher. Indessen erscheint es mir in Anbetracht des bisherigen Verhaltens von Agent Sandoval unangemessen, ihn mit einem Stern zu vergleichen.”
„So unangemessen, wie Sie mit dem Himmel gleichzusetzen, Da'an?” Liam lächelte. Doch es war ein bitteres Lächeln. „Nun, wie Sie es selbst schon erwähnten, es ist lediglich eine Metapher.”

 
* * *
 

Jonathan Doors tauschte einen Blick mit Renée Palmer, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Liam richtete, der um dieses Treffen bei Doors International gebeten hatte.
„Wie kommen Sie darauf, unsere Bewegung könnte falsche Beweise für eine Zusammenarbeit mit Sandoval in seinem Büro versteckt haben?” fragte er langsam.
„Weil es logisch wäre, das Problem Sandoval auf diese Weise durch Zo'or lösen zu lassen”, antwortete Liam. Nach dem ebenso unerfreulichen wie unergiebigen Gespräch mit Da'an hatte er im ersten Impuls direkt von Da'an selbst zu Zo'or gehen wollen. Doch so schnell wie ihm der Gedanke gekommen war, hatte er ihn verworfen. Zumindest soweit es das sofort betraf. Sein Verhältnis zu Zo'or war alles andere als freundschaftlich, und wenn der Führer der Taelon-Synode Agent Sandoval schon keinen Glauben geschenkt hatte, war kaum zu erwarten, daß er auf einen Mann hörte, dem er noch weniger vertraute. Jedenfalls nicht ohne stichhaltige Beweise. Und diese Beweise hoffte er von Doors und Renée zu erhalten.
„Sie überschätzen Sandovals Bedeutung”, meinte Doors. „Allerdings muß ich zugeben, daß die Ironie, die in dieser Sache steckt, mir gefällt. Zo'or, der sein eigenes Werkzeug zerstört. Die Idee hätte tatsächlich von mir stammen können. Doch ich muß Sie enttäuschen. Das ist das Werk eines anderen. Falls Sie ihn finden, bieten Sie ihm an, bei mir anzuheuern. Fähige Leute kann ich immer gut gebrauchen.”
„Das werde ich”, versprach Liam, während seine Gedanken um die Frage kreisten, wer hinter der Sache stecken konnte, wenn Doors damit nichts zu tun hatte. Bis er darauf eine Antwort gefunden hatte, würde es für Sandoval wahrscheinlich zu spät sein. „Wenn Sie mir dabei helfen, Sandoval zu befreien”, ergänzte er daher.
„Warum sollte ich das tun?” erkundigte Doors sich in einem Tonfall, der verdeutlichte, daß er nicht einmal im Traum bereit wäre, eine solche Aktion auch nur in Erwägung zu ziehen.
„Weil ich Sie darum bitte”, versuchte Liam es trotzdem. „Überlegen Sie, wenn Sie Sandoval retten, steht er in Ihrer Schuld, und das könnte sich als nützlich erweisen.”
Ein Hauch Interesse glomm in Doors Augen auf.
„Inwiefern?”
„Er könnte Ihnen wertvolle Informationen über die Taelons liefern.”
Erneut tauschte Doors einen Blick mit Palmer.
„Was denken Sie, Renée?”
„Eine interessante Überlegung. In der Theorie. Sandovals Motivations-Imperativ verbietet es ihm, mit uns zu kooperieren. Sein Implantat zwingt ihn, eher zu sterben, als die Taelons zu verraten.”
„Zo'or scheint Ihre Ansicht nicht zu teilen”, bemerkte Liam.
„Nun, das nenne ich Pech.” Doors zuckte die Achseln. „Für Sandoval.”

 
* * *
 

Die Freiwillige verstand ihr Handwerk. Sandoval selbst hatte sie in der hohen Kunst unterwiesen, einem Delinquenten die Zunge zu lösen. Ironie des Schicksals, daß sie ihr Können ausgerechnet an ihm so trefflich unter Beweis stellte, daß es ihm sicher Bewunderung abgenötigt hätte, wäre die Situation eine andere gewesen.
Im Dienst der Taelons und auch früher schon für das FBI hatte Sandoval unzählige Verhöre geführt. Das FBI pflegte nicht sehr zimperlich zu sein, wenn es darum ging, jemanden zum Reden zu bringen. Trotzdem hatte Sandoval sich meistens zurückgehalten, doch sämtliche Skrupel im Hinblick auf die Anwendung von Gewalt hatten sich mit seiner Implantierung aufgelöst. Plötzlich war Folter nicht mehr ein Mittel, das man erst in letzter Konsequenz in Erwägung zog und maßvoll dosierte. Sie wurde zum festen Bestandteil einer Vernehmung, und er bediente sich ihrer so selbstverständlich wie er seine eigene Frau als Bedrohung seines Imperativs aus seinem Leben entfernt hatte.
Die Fertigkeit, einem anderen Schmerzen zuzufügen, ohne daß er das Bewußtsein verlor oder gar starb, bevor er seine Geheimnisse preisgegeben hatte, war eine Fähigkeit, die Sandoval im Dienst der Taelons immer weiter verfeinert hatte.
Nun war er es, der unter ausgeklügelten Methoden litt, die er selbst ersonnen hatte. Es waren seine Schreie, die er hörte, während er sich unter entsetzlichen Qualen in dem Fesselnetz aufbäumte, das seinen Körper wie eine zweite Haut umschloß.
Nun erfuhr er am eigenen Leib, wie leicht der menschliche Wille gebrochen werden konnte, wie Würde und Stolz sich unter der Folter in ihr Gegenteil verkehrten. Sein Motivations-Imperativ schützte ihn weder vor Schmerzen, noch verlieh er ihm innere Stärke, wie es der Fall gewesen wäre, hätte ein anderer als Zo'or das Verhör angeordnet. Wäre Doors an Zo'ors Stelle, hätte Sandoval alles ertragen, ohne seelisch ins Wanken zu geraten. Sein Motivations-Imperativ hätte verhindert, daß der Schmerz seinen Willen brach.
Aber es war Zo'or, der ihm Fragen stellte.
Fragen, auf die er keine Antworten hatte.
Hätte Sandoval die Antworten gewußt, hätte er sie herausgeschrien.
Es gab nichts, das er nicht gesagt oder getan hätte, um Zo'or zufriedenzustellen.
Der Motivations-Imperativ, der Sandovals Willen im Fall einer Folter durch den Widerstand gestärkt hätte, verlangte mit aller Kraft, daß er sich Zo'or unterwarf. Eine Forderung, die er erfüllen wollte, ohne dazu in der Lage zu sein, und dieser Widersinn gepaart mit dem körperlichen Schmerz, der jede Faser seines Körpers peinigte, nagte an den Rändern von Sandovals Verstand und ließ alles, das seine Persönlichkeit ausmachte, allmählich zu Asche werden.
Zo'or stand reglos neben dem metallenen Gestell, auf dem Sandoval sich wand und starrte in seine vor Schmerz verzerrten Züge.
Er durfte es nicht übertreiben.
Es ging lediglich darum, Agent Sandoval eine Lektion zu erteilen.
Er mußte diese Sache beenden, bevor Sandovals Bewußtsein in Wahnsinn zerfaserte.
Nur ein Narr zerstörte sein eigenes Werkzeug.
Doch wie unvergleichlich berauschend war dieses Gefühl der absoluten Macht.
Ursprünglich hatte Zo'or nicht vorgehabt, es soweit kommen zu lassen. Agent Sandoval war nicht nur unschuldig, sondern hatte ihm in der Vergangenheit stets überaus fähig und loyal gedient. Ein wenig Schmerz, gerade genug, um Agent Sandoval vor Augen zu führen, in wessen Händen sein Schicksal lag, mehr hatte er niemals beabsichtigt.
Wie hätte er ahnen können, welche unbekannten Abgründe in ihm ruhten, von deren Existenz er bisher nichts gewußt hatte? Vor vielen tausend Jahren, am Anbeginn ihrer Evolution, waren die Taelons eine primitive und gewalttätige Rasse gewesen. Konnte es möglich sein, daß ein Teil jenes dunklen Erbes aus grauer Vorzeit bis heute im genetischen Code seines Volkes überlebt hatte, tief in der Seele verborgen, wartend, lauernd in seinem Versteck, um im geeigneten Moment mit Urgewalt hervorzubrechen?
Zo'ors Blick hing wie gebannt an Sandoval.
Er mußte diese Sache beenden, bevor es zu spät war.
Er wollte seine Hand heben, um der Freiwilligen Einhalt zu gebieten. Doch die Versuchung, diesen Moment der Macht noch ein wenig auszukosten, war zu verlockend, um ihr zu widerstehen. Er würde Sandoval erlösen, und dieser Akt der Gnade würde die Ergebenheit seines Werkzeuges für ihn, seinen Companion, weiter verstärken.
Er würde diese Sache beenden.
Aber noch nicht jetzt ...

 
* * *
 

Augur wanderte hektisch durch Renée Palmers Büro. Er hatte Liam knapp verpaßt, und er verspürte den Drang, Renée und Jonathan Doors, die ihn gelassen beobachteten, abwechselnd zu schütteln.
„Sie hätten Liam nicht einfach gehen lassen dürfen! Verflucht, er ist imstande, eine verdammt große Dummheit zu begehen.”
„Hätten wir ihn etwa gegen seinen Willen festhalten sollen?” erkundigte Renée sich sanft. „Es hätte nichts geändert, das wissen Sie ganz genau.”
„Wie kaltblütig Sie sind. Gegen Sie ist selbst mein Kühlschrank die reinste Heizquelle!”
„Es gib keinen Grund, beleidigend zu werden”, wies Renée ihn zurecht.
„Er könnte sterben, ist Ihnen das nicht klar?! Und ich bin schuld! Warum habe ich mich von Ihnen nur zu dieser Sache überreden lassen?!”
„Weil Sie keine andere Wahl hatten”, erwiderte Doors ungerührt. „Reißen Sie sich zusammen und hören Sie auf zu jammern! Niemand konnte ahnen, daß Kincaid auf die Idee kommt, Sandovals Retter spielen zu wollen.”
„Sandoval ist sein Vater, haben Sie das etwa vergessen?”
„Unsinn! Liam wurde von Ha'gel gezeugt. Das einzige, das ihn mit Sandoval verbindet, ist ein DNA-Strang, und das auch nur, weil Ha'gel sich Sandovals Körper bedient hat. Damit hat es sich. Sandoval wäre der Letzte, der väterliche Gefühle für Liam hegen würde, wenn er davon wüßte, und es gibt keinen Grund, umgekehrt anzunehmen, daß Liam für Sandoval wie ein Sohn empfindet. Das ist einfach lächerlich, absurd!”
Augur schwieg. Er selbst hatte Renée damals überredet, Doors zu verschweigen, daß Liam für Sandoval durchaus genug empfand, um ihn durch eine Spende seines Blutes zu retten.
„Wenn es absurd ist, weshalb war Liam dann bei uns?” kam Renée Augur unerwartet zu Hilfe.
„Weil er weich ist”, antwortete Doors. „Er begreift nicht, daß im Krieg andere Regeln gelten.”
„Sie meinen wohl Ihre Regeln”, bemerkte Augur.
„Ja. Denn ich bin es, der diesen Krieg anführt. Das sollten Sie niemals in Frage stellen. Es sei denn Sie möchten, daß ich unsere Abmachung vergesse und Ihr Freund Liam erfährt, wer Sandovals Dateien so aufschlußreich manipuliert hat.”
„Weil Sie mich dazu gezwungen haben.”
„Sie verdrehen die Tatsachen, Augur.” Doors lächelte kalt. „Sie sind zu mir gekommen, oder sollte ich besser sagen gekrochen, und haben um Absolution gebettelt, darum, daß ich Ihnen Schutz vor der Rache der Freunde und Kampfgefährten der Widerstandsführer gewähre, die Sie den Taelons ans Messer geliefert haben. Sie sollten mir dankbar sein, daß ich Ihnen die Gelegenheit gegeben habe, sich Ihr elendes Leben zu erkaufen, anstatt Sie den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.”

 
* * *
 

Niemand hielt Liam auf seinem Weg durch das Mutterschiff auf. Er genoß sämtliche Privilegien eines Companion-Beschützers. Kein Freiwilliger wäre auf den Gedanken verfallen, ihn ohne den Befehl eines Taelons daran zu hindern, sich frei im Schiff zu bewegen.
Aus eigener Erfahrung wußte Liam, wo der Arrestbereich sich befand. Einmal dort angelangt, mußte er nur noch den gedämpften Schreien folgen, die mit jedem seiner Schritte lauter wurden.
An der letzten Biegung blieb Liam stehen und atmete tief ein. Sein Plan, sofern man bei dieser Selbstmordaktion überhaupt ernsthaft von einem Plan reden konnte, war denkbar einfach. Er würde in den Raum stürmen, und der Rest würde sich ergeben ...
Allein auf sich gestellt, ohne die Unterstützung von Da'an oder Doors standen seine Chancen, mit Sandoval lebend von Bord des Schiffes zu entkommen, gering. Dennoch hatte er keine andere Wahl, als es zu wagen.
Er konnte Sandoval nicht einfach seinem Schicksal überlassen.
Er hätte es selbst dann nicht vermocht, wenn Sandoval nicht sein Vater gewesen wäre.
Im Gegensatz zu Jonathan Doors maßte er sich nicht an, über andere zu richten.
In seinen Augen verdiente niemand es, derart zu leiden, ganz gleich was er getan hatte.
Liams Finger schlossen sich um den Griff der Waffe an seinem Gürtel, als sich plötzlich eine fremde Hand sanft auf seine legte. Erschrocken sah er auf ...
... und blickte in Da'ans ruhige Miene.

 
* * *
 

Kaum verhohlener Unwillen huschte über Zo'ors Gesicht, als Da'an, gefolgt von Major Kincaid, den Verhörraum betrat. Der andere Taelon und sein menschlicher Beschützer waren ihm beide gleichermaßen unwillkommen.
„Was führt dich her?” wandte er sich an Da'an, Kincaid ignorierend.
Wortlos ging Da'an an ihm vorbei zu dem Gestell, auf dem Sandoval festgeschnallt war. Sein Blick glitt von dem Gefolterten zu der Freiwilligen. Auffordernd streckte er seine Hand aus.
„Geben Sie mir das!”
Unsicher drehte die junge Frau das kleine Gerät, mit dem sich in jedem Körperteil Schmerzen erzeugen ließen, in den Fingern. Sie sah Zo'or fragend an.
Der Führer der Synode beabsichtigte nicht, sich in Gegenwart einer Freiwilligen mit Da'an zu streiten. Differenzen zwischen Taelons gingen die Menschen nichts an. Er würde diesen Punkt später mit Da'an klären. Für den Moment beschränkte er sich darauf, sein Einverständnis zu nicken.
Da'an nahm das Gerät entgegen und deaktivierte es, worauf Sandovals Schreie verstummten.
„Danke.” Da'an legte das Gerät beiseite. „Und jetzt bitte ich Sie, uns zu verlassen.”
Nach einem kurzen Zögern gehorchte die Frau.
Da'an wartete, bis die Tür sich lautlos hinter ihr geschlossen hatte. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Sandoval, der ihn mit geweiteten Augen anstarrte.
„Da'an!” stöhnte er, und die bloße Nennung dieses Namens vereinte in sich ein solches Maß an Qual und Verzweiflung, daß der Taelon von der Flut dieser Emotionen überwältigt unwillkürlich den Blick senkte.
„Dürfte ich erfahren, was du mit dieser Mißachtung meiner Autorität bezweckst?” brachte Zo'or sich in Erinnerung.
„Im Gegensatz zu dir, war ich nicht von Agent Sandovals Schuld überzeugt. Daher habe ich Major Kincaid mit weiteren Ermittlungen betraut.”
„Dazu hattest du kein Recht.”
„Major Kincaid ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Dateien in Agent Sandovals Büro manipuliert wurden”, fuhr Da'an fort, ohne Zo'ors scharfen Einwand zu beachten. Er zog einen matt schimmernden Datenkristall hervor. „Dies ist eine Kopie seines Berichtes.”
Zo'ors Blick hing an dem Kristall, weswegen ihm die Überraschung in Liams Gesicht entging.
„Dazu hattest du kein Recht”, wiederholte er mühsam beherrscht.
„Darüber soll die Synode entscheiden.” Da'an lächelte leicht. „Obwohl ich es an deiner Stelle vorziehen würde, diese Sache auf sich beruhen zu lassen. Ich mag meine Kompetenzen überschritten haben, als ich dich überging und aus eigenem Antrieb Nachforschungen anstellen ließ. Aber du bist derjenige, der sich geirrt hat ...”

 

Epilog
 

Es war lange her, daß Agent Sandoval Da'ans Räume ohne einen Befehl Zo'ors aufgesucht hatte. Sein Schritt war zögernd, unsicher. Körperlich war er zwar wieder vollkommen hergestellt, doch in seinem Bewußtsein hallte immer noch ein Abglanz jenes Schmerzes nach, den Zo'or ihm zugefügt hatte. Die Erinnerung daran würde ihn von nun an begleiten. Sein Implantat würde dafür sorgen, daß sie stets gegenwärtig blieb, ohne jemals zu verblassen. Sein Motivations-Imperativ verbot ihm, Zo'or dafür zu hassen. Dennoch würde es nie mehr so wie früher sein.
Boone hatte einmal gesagt, jeder Implantant wäre frei darin, seinen Motivations-Imperativ für sich zu interpretieren, und hier und jetzt begriff Sandoval, wie recht er damit gehabt hatte.
Ein Tor war aufgestoßen worden, und niemand würde das rückgängig machen können.
Nun lag es an ihm, es zu durchschreiten.
Der Klang zweier Stimmen ließ Sandoval innehalten. Da'an war nicht allein. Major Kincaid war bei ihm. Sandoval konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen, aber es schien, als hätten sie die Differenzen zwischen sich beigelegt. Zumindest für den Moment.
Indessen, Sandoval war sicher, daß es ein zerbrechlicher Frieden war. Major Kincaid würde auf Dauer niemals fähig sein, seine Wünsche denjenigen Da'ans völlig unterzuordnen und ihm so zu dienen, wie der Taelon es erwartete. Er war kein Implantant. Er konnte sich nicht selbst verleugnen. Seine Loyalität würde immer eingeschränkt sein, seine Effektivität stets begrenzt. Irgendwann würde Da'an erkennen, daß seine Schwäche für Kincaid ein Fehler war, und er würde ihn revidieren.
Die Stimmen verklangen.
Sandoval wich zur Seite und ließ Major Kincaid vorbei. Dann trat er seinerseits ein, näherte sich Da'an und verneigte sich respektvoll.
„Was führt Sie zu mir, Agent Sandoval?” fragte der Taelon.
„Ich bin gekommen, um Ihnen zu danken, Da'an.”
„Ein Dank ist unnötig”, wehrte Da'an sanft ab. „Sie haben den Verrat, der Ihnen von Zo'or vorgeworfen wurde, nicht verübt.”
„Verrat liegt im Auge des Betrachters”, bemerkte Sandoval. „Genau wie Loyalität.”
„Eine interessante Betrachtungsweise.” Da'an lächelte. „Darf ich darauf hoffen, daß Sie mir diese Erkenntnis gelegentlich ausführlicher darlegen?”
Sandoval begegnete dem Blick des Taelons, der bis auf den tiefsten Grund seiner Seele zu reichen schien.
„Das dürfen Sie, Da'an”, erwiderte er.

 

ENDE

 

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