Startseite Aktuelles Update Geschichten Kategorien Bilder Forum - Der Baum Links Hilfe Kontakt
  „Sandoval” von Snooty   (Emailadresse siehe Autorenseite)
„Mission Erde” / Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Sandoval sucht nach Beckett, deren CVI zusammengebrochen ist
Zeitpunkt:  zweite Staffel
Charaktere:  Sandoval, (Zo'or, Liam, Beckett)
 

 

SANDOVAL

 

Agent Ronald Sandoval, der Asiate in seinem ihn unnahbar machenden Maßanzug, mußte seine gesamte Konzentration aufbringen, um nicht schon wieder mit unruhigen Schritten vor Zo'ors thronähnlichen Stuhl auf und nieder zu stapfen: Damit würde er nur noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen und das war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte; damit wäre alles verloren! Zo'or hatte ihn bereits seit geraumer Zeit im Fokus seiner Aufmerksamkeit und das an sich war gefährlich genug, es machte ihn nervös - es würde jeden aus der Ruhe bringen - und das konnte schnell zu Fehlern führen. Seine ganze Konzentration war gefragt, ebenso schnelles Denken und Handeln. Soweit er wußte, war S.B.'s CVI am Zusammenbrechen in Folge der Tatsache, daß es ihr gelungen war, sich ihres MI zu entledigen. Und wenn es ihm nicht schnell gelang, den argwöhnischen Taelon von seiner Loyalität, und noch wichtiger, davon zu überzeugen, daß sein MI nicht durch seine Geistesstärke überschrieben war, war alles verloren und Siobhan Becketts letzte Hoffnung auf Rettung dahin. Mit all seiner Selbstbeherrschung gelang es Ronald, die starre Maske aufrecht zu halten, die seine Gefühle - seine ganze Persönlichkeit - verbarg, und die ihn für die Blicke eines jeden Beobachters als Implantanten ausweisen mußte. Das war gar nicht so einfach von Selbstverachtung zerfressen und mit der ständigen Furcht das auch sein Geheimnis aufliegen könnte! Und was wäre so schlimm daran gewesen? Was war er doch nur für ein Feigling, Siobhans Leben so zu riskieren, nur um sich selber zu retten. Sich selber und vermutlich den ganzen Rest der Menschheit....

Soweit Ronald es aus den Akten des Mutterschiffcomputers entnehmen konnte, von ihnen gab es ausführliche und extrem genaue über jeden CVI Träger, war es am wahrscheinlichsten, daß sie sich in eine der ruhigeren Höhlen zurückgezogen hatte, um in der Einsamkeit und der körperlichen Anstrengung wieder zu sich selbst zu finden. Aber in welcher? Unter den beängstigend strahlenden Augen Zo'ors, die ihn unablässig aus den Augenwinkeln beobachteten, ging der Agent zu dem nächstgelegenen Computerterminal, gab flink mit der Routine, die sich bei häufigem Gebrauch einstellt, seine ID ein, um bekannte Bilder und Files aller möglichen Aufenthaltsorte über den Bildschirm laufen zu lassen. Das bunte Farbenspiel der sich immer schneller wechselnden Datenabfolge flackerte in einem schauerlichen Tanz über die reflektierende Decke. Verdammt! Mit jeder weiteren Minute, die er hier stand und nichts tat, bis auf die Erwartungen des Synodenführers zu erfüllen, schwand das Leben Siobhans, und jede Hoffnung auf Rettung. Was in aller Welt hatte ihn nur dazu veranlaßt, einer möglichen Exekution mit solcher Kaltblütigkeit zuzustimmen? War das noch wirklich er? Inwieweit konnte er sich überhaupt durch seine Lage und seine Verantwortung entschuldigen? War nicht ein Leben so wichtig wie jedes andere?

 
* * *
 

Der mahlende Strom von Fragen wurde unterbrochen, als ihm bewußt wurde, daß die letzte Auseinandersetzung mit Zo'or ihn nicht nur mit quälenden Selbstzweifeln, sondern auch mit einer Möglichkeit versorgt hatte, nun wirklich aktiv zu werden. Der Befehl, sie ausfindig zu machen und zu eliminieren, war jedenfalls eine gute Basis, um sie zu suchen, und vielleicht konnte er ihr ja noch helfen...

Jetzt bestand sein größtes Problem darin, sie ausfindig zu machen, zwar hatte er die Auswahl auf einige wenige Höhlen und Steilwände einschränken können, aber sie alle aufzusuchen wäre sicher Siobhans Todesurteil gewesen. Was blieb ihm also zu tun? Schnell und gekonnt, mit möglichst natürlich wirkenden Bewegungen, begann er eins von Zo'ors persönlichen Spionageprogrammen anzuzapfen. So weit er wußte, nutze der Taelon sein kleines Spielzeug oft, um sich über Präsident Thompson zu amüsieren, und mehr war besonders dieser Mensch nicht für Zo'or. Ein Spielzeug, eine Marionette, eine Möglichkeit der Kurzweil. Nun ja, zumindest in diesem Fall konnte der Agent durchaus nachvollziehen, wie Zo'or zu seiner abwertenden Meinung gekommen war.

Das Programm stand jetzt, und war nicht mehr auf das weiße Haus ausgerichtet, sondern auf Liams Shuttle und Global-Kommunikation. Der junge Major hatte schon erstaunlich oft weit früher wichtige Informationen gehabt, die Sandoval noch verzweifelt suchte, und das, ohne daß Liam überhaupt etwas von der Suche wissen sollte. Nun blieb dem Asiaten nichts weiter übrig als zu hoffen, daß diese Tatsache, normalerweise ein Ärgernis, zu seinem Vorteil gereichen würde. Und um seine Aktionen zu kaschieren, ließ er immer noch Daten und Bilder sowohl aus Siobhans Personalakten als auch aus ihren Privataufzeichnungen über die zwei Schirme flackern ließ, die er im Stereo überwachte. Verdammt noch mal! Wenn nur Zo'or endlich seine Augen von ihm nehmen würde. Er konnte ganz deutlich fühlen, wie die unglaublich blauen Augen des Aliens sich wie Pfeile des Mißtrauens in seinen Rücken bohrten.

Da, der Major hatte tatsächlich einen Kanal geöffnet, und einen gesicherten dazu! Es wäre jetzt ein leichtes gewesen, den anderen Gesprächspartner zu lokalisieren und zu identifizieren, aber daran verschwendete Sandoval keinen Gedanken. Er setze das selbstzufriedenste Lächeln auf, daß er unter den gegebenen Umständen auf sein Gesicht zwingen konnte, meldete mit überheblicher Stimme, daß er sehr wahrscheinlich die Lokation von Beckett ausfindig gemacht hatte, und dirigierte die Daten, die er auf seinem Arbeitsplatz empfing, zu seinem Global um, und ließ alle Datenpfade und Beweise aus dem Computer des Mutterschiffes verschwinden, die sein Eindringen in Zo'ors privaten Computer hätten verraten können.

Seine entschlossenen Schritte richtete er in Richtung Shuttlehangar, und verließ die Brücke. In den Gängen, in denen er keine Freiwilligen ausmachte, konnte er nicht an sich halten und verfiel in einen schnellen Lauf, sich vollkommen der Tatsache bewußt, daß jede Sekunde über Leben und Tod entscheiden konnte.

 
* * *
 

Vor dem Hangartor mäßigte Sandoval seinen Schritt wieder, atmete tief durch, und zog seinen Anzug wieder zurecht, um dem Schein und seine Maskerade zu wahren. Als perfekter Implantant betrat er dem Landeplatz seines persönlichen Transportmittels, und verwies den erstaunten Piloten, der grade mit kleineren unwichtigen Wartungsarbeiten beschäftigt war, des ansonsten leeren Raumes. Nun ja, vielleicht würde es weitere unliebsame Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn er nun untypischerweise sein Shuttle selbst navigieren würde, aber er war sich sicher, sich aus jeder Verlegenheit diesbezüglich herauslügen zu können. Schließlich war es im Interesse der Taelons, den Kreis der Eingeweihten über die Kurzlebigkeit des CVI seines Wirtes, und das Vorhandensein des MI, so klein wie möglich zu halten. Mittlerweile war Ronald in den Pilotensitz gestiegen, hatte die Maschinen anlaufen lassen und das virtuelle Glas als Kuppel über seinen Gefährt regeneriert. Als CVI-Träger war es ihm ein leichtes gewesen, die von Captain Marquette entwickelten Grundlagen des Shuttlefluges zu erlernen.

Das Shuttle hob ab, und obwohl es ihn drängte, schnellstmöglich auf der Erde anzukommen, widerstand er der Versuchung, gleich in den Interdimensionsflug zu tauchen, sondern schob die Anschlußstelle seines Globals in die Schnittstelle des Shuttlecomputers und begann die Daten auszuwerten, die er auf der Brücke gesammelt hatte. Noch immer richtete er sein Augenmerk nicht drauf, mit wem Liam eine Verbindung aufgebaut hatte, registrierte aber sehr wohl, daß auch sein Gesprächspartner alles in seiner Macht und mit einer ungeheuren Fachkompetenz getan hatte, um sich und seinen Standort zu verbergen. Das Gespräch an sich war sehr kurz, und doch von unterschwelligen Emotionen geprägt. Der Agent schloß daraus, daß die beiden Gesprächspartner sich auch persönlich kennen müßten, tat das aber als unwichtig für den Moment ab.

„Sterben muß sie so oder so! Dann kann ich ihr auch sagen, wer ich bin! Und jetzt verdammt noch mal gib mir ihre genauen Koordinaten in der Höhle, oder ich werde jeden verdammten cm dort absuchen, wenn ich muß!!!” Liam war ungewöhnlich aggressiv, Sandoval war sich der Zusammenhänge nicht ganz bewußt, aber auf einer unterschwelligen Ebene war er sich sicher, daß das Objekt dieses Gespräches Siobhan Beckett war, schon bevor das Stichwort Höhle gefallen war. Als nächstes wurden Daten übermittelt, die Ronald ohne Umschweife, oder sie weiter zu prüfen, in seinen Zentralcomputer leitete und nun endlich den Sprung in die Interdimension veranlaßte.

Schon seit seinem Start hatte er aufgegeben, die Maske des Implantanten aufrecht zu erhalten, manchmal vergaß er selbst dann, wenn er allein war, daß er sich entspannen konnte. Seine Schauspielerei war ihm zur zweiten, wenn auch oft schmerzlichen Natur geworden. Und jetzt war sein ganzes Denken nur noch von der Sorge um seine Kollegin, seine Partnerin, seine Freundin und seine einzige Hoffnung auf Frieden und Freiheit für seine Welt gerichtet.

Er selbst hatte so lange und hart gearbeitet und alles in seiner Macht stehende, auch unter großen persönlichen Risiken, getan, um eine Verbindung zu der zweiten, von den Taelons verteufelten und gefürchteten Alienrasse aufzubauen. Zwar war es ihm gelungen, eine eigene Bewegung ins Leben zu rufen und viele wichtige und renommierte Wissenschaftler, Industrielle und sogar Politiker für seine Sache zu gewinnen, aber die Kontaktaufnahme war Siobhan geglückt, die, nachdem sie ihren MI überwunden hatte, selbständig begonnen hatte zu handeln, ohne von Sandovals Bemühungen zu wissen. Das war ein Teil seiner prekären Lage, er wußte nicht, wie Siobhan mit den Aliens kommunizierte, und er war sich sicher, daß sie niemanden außer ihr akzeptieren würden. Das einzige, dessen sich der Agent sicher war, war die Tatsache, daß Beckett sich das Vertrauen der Aliens mit einer wagemutigen Tat erworben hatte. Mit einer Manipulation an den Sicherheitssensoren und den Grundeinstellungen des Computers war es ihr gelungen, einem der Jaridians zur Flucht zu verhelfen. Drauf basierte das dünne, doch wachsende Vertrauen der beiden Seiten.

Das prismatische Farbenspiel in den Verzerrungen von Raum und Zeit fand ein Ende mit dem charakteristischen Knall, der den Austritt aus dem Interdimensionsflug indizierte. Gekonnt und leise setzte Sandoval sein Shuttle in der Nähe von Liams auf die Erde auf, das er schon aus der Luft erspäht und auf seinem Scanner gehabt hatte, allerdings etwas abseits und aus der Sichtweite der Spalte in der Felswand verborgen, die den nächstgelegenen Eingang in die Höhlenflut stellte. Im hinteren Teil des Shuttles waren routinemäßig Ausrüstung und Bekleidung für unterschiedliche Missionen gelagert, um die Einsatzgruppen schneller und flexibler zu machen. In der dritten Box von links fand der Agent, was er brauchte. Zwar drängte es ihn nun endlich zu handeln, aber die Vernunft gebot, sich erstmal entsprechend der Gegebenheiten zu kleiden und auszurüsten, um nachher nicht noch mehr kostbare Zeit zu verlieren. Der enganliegende schwarze Anzug und das Seil wie ein Sortiment an Karabinerhaken und anderen Kletterutensilien waren schnell ausgewählt und angelegt, und endlich konnte er die kurze Strecke zu der klaffenden Spalte zurücklegen. Sein Scanner registrierte die Signale zweier Lebensformen innerhalb der Höhle und ganz in der Nähe, eins der Signale war stark und die Signale auf seinem Schirm normal ausgeprägt, das andere kaum wahrzunehmen.

Am Rande der Verzweiflung begann Sandoval sich schneller und schneller hochzuziehen, auch wenn seine Hände und Füße noch keinen sicheren Halt gefunden hatten, mehr als einmal lösten sich kleine Steine von der Wand und fielen scheppernd in die Tiefe, während er den Griff oder den sicheren Tritt verlor. Ohne weiteres hätte er selbst in den Tod stürzen können, Schweiß perlte auf seiner Stirn. Doch trotz seiner Hast gelangte er unversehrt am oberen Vorsprung an, und verlangsamte seine Bewegungen wieder. Leise und vorsichtig näherte er sich dem Eingang, und erst nachdem er mit seinem durch das CVI sensibilisierten Gehör kein Geräusch direkt voraus ausmachen konnte, trat er in das steinerne Gewölbe ein.

Weder war ihn das Lichtspiel der untergehenden Sonne aufgefallen, das hinter ihm das Himmelszelt im roten Licht sanft erstrahlen ließ, noch die sanfte Brise, die vom Wald herrührend den süßen Duft mit sich brachte, der sich nach einem reinigenden Regen in der Luft ablagerte, noch die wunderschöne Landschaft mit ihren sanft gewellten Hügeln, Gras-bedeckten Ebenen, den Wäldern und dem Steilhang, den er grade erst bezwungen hatte. All seine Sinne waren eingenommen von dem Paar, das zu seinen Füßen, tief unter dem Vorsprung, auf dem er stand, auf dem nackten Felsboden kauerte.

Liam hatte sich hingekniet, und hielt Siobhan in seinen Armen, soweit Sandoval das beurteilen konnte, babbelte er nicht nur den üblichen Nonsens, der den Kranken beruhigen sollte, sondern ausgesprochenen Schwachsinn darüber, daß Beckett seine Mutter sei. Es bedurfte nun wirklich keines CVI, um dahinter zu kommen, daß das schlicht unmöglich war. Was Ronald Sandoval doch wesentlich mehr beunruhigte, war der stetige Strom aus Blut, der aus dem Ohr der rothaarigen Frau floß. Damit war auch seiner letzten, geheimen und schwachen Hoffnung jedwede Grundlage entzogen, daß es sich hier nur um eine geschickte Inszenierung gehandelt hatte, um den Taelons zu entkommen und sich ihrer allgegenwärtigen Kontrolle zu entziehen.

Regungslos, wie versteinert, stand Sandoval an dem steinernen Abgrund, und sah einen viel tieferen in seiner Zukunft vor sich aufklaffen. Die verdammten Taelons waren ihm mit einem Mal egal, die Gefahr, die sie stellten, war vergessen und er verschwendete keinen Gedanken an die Jaridians, um die er vor wenigen Stunden noch so bemüht gewesen war.

Wieder hatte das Schicksal ihn grausam behandelt. Das letzte Mal, als er Herr seiner Selbst gewesen war, bar des MI, hatte er erkennen müssen, was er Deedee angetan hatte, ohne seinen freien Willen oder nicht, er war verantwortlich gewesen. Er hatte dann alles in seiner Macht stehende getan und sich bemüht, es wieder gut zu machen. Nein, das stimmte nicht! Er hatte von Anfang an gewußt, daß er es nicht wieder gut machen konnte, der Wille zählte nicht für die Tat, eine weitere Schuld war für immer auf seine Schultern geladen. Und er hatte erkannt, daß er Deedee noch immer mochte, sehr mochte, aber er liebte sie nicht mehr. Nicht mehr so, wie es einmal gewesen war, zuviel war geschehen, unwiederbringlich verloren...

Durch sein CVI-unterstütztes Gehör konnte Ronald jedes Wort verstehen, als ob er sich selbst auf dem Grund der Höhle befinden würde, auf deren grauen steinernen Grund Liam Siobhan immer noch in den Armen hielt, und sie so vor dem Kontakt mit dem kalten Felsen bewahrte, und der Sterbenden Trost zu spenden versuchte. Dabei stand der Agent immer noch regungslos, wie betäubt, auf dem kleinen Vorsprung, der sich direkt nach der Öffnung der Felswand erstreckte, durch die er in das Innere des Berges, und diese bizarre Welt des Leidens, gelangt war. Er sah nach unten und wußte, daß er nichts mehr tun konnte, es ging zu Ende. Alles war verloren! Das war das Schlimmste, diese Machtlosigkeit. Die Stimme Siobhans erfüllte die Höhle, kaum mehr als das schwache Wispern einer Sterbenden, doch tausendfach zurückgeworfen von den Felswänden, und überlaut in dieser Welt, die sonst der Stille gehörte und nur hin und wieder von dem leise tröpfelten Wasser unterbrochen wurde, das irgendwie seinen Weg in das Gewölbe gefunden hatte. Wie Tränen der Trauer rann es die Felswände herab. Mit leise schallendem Echo kam die Stimme Siobhans bei ihm an, sie war zu einem Wispern herabgesunken, ” Jetzt verstehe ich!”

Sie stockte, um nach Atem zu ringen und ihre Hand vorsichtig in die von Liam zu schieben.

„Wir hatten keine gemeinsame Zeit hier auf Erden, aber DU bist mir geschickt worden, als ich Dich am nötigsten brauchte. Wenn Du jemals Deinen Weg verlierst, mein Sohn, dann schau zum Himmel und mein Sternenlicht weist Dir den Weg....”

Sie hatte stockend gesprochen, immer langsamer, immer leiser, bis ihre Stimme gebrochen und das Licht ihrer Augen für immer erloschen war.

Liam hatte sie bis zum Ende sachte in ihrem Armen gewiegt, ihr die Wärme und Nähe gegeben, nach der Siobhan ihr Leben lang so verzweifelt gesucht hatte. Und die ihr mit der Implantation ihres CVI auf immer verwehrt gewesen war. Solche Sanftmut hatte der Agent dem unkooperativen und oft schwierigen jungen Mann gar nicht zugetraut. Vielleicht hatte seine Lüge den ewigen Abschied für Beckett wirklich einfacher werden lassen. Auch er hatte die Tränen gesehen, die sie um ihre ungeborenen Kinder vergossen hatte. Etwas, das für Sandoval nun auch in unerreichbare Ferne gerückt war. Kinder, eine Familie, selbst auf Freunde durfte er nicht hoffen, bestenfalls Verbündete, mehr konnte er sich nicht leisten.

Auch das Echo ihrer Stimme erstarb, und es blieb nur noch das Geräusch des Regenfalls, und das Tröpfeln des Wassers innerhalb der Höhle war zu hören.

„...und geleitet meine Seele bis zum Morgen.” Mit heiserer Stimme beendete Liam den Satz. Mit einer ruhigen Bewegung schloß Liam beide Augen der rothaarigen Frau, und es sah aus, als ob sie nur schliefe.

Dann hob der Major seinen Blick und sah Sandoval direkt an. Wann er ihn zum ersten Mal wirklich wahrgenommen hatte, konnte Sandoval nicht sagen. Grün-blaue Augen schauten voll Trauer zu ihm hoch, anklagend, diese letzten Momente gestört zu haben, und doch wirkten sie so verloren... Sandoval reagierte nicht. Wie konnte er etwas tun oder sagen? Hatte er denn wirklich selbst verstanden, bis in die letzte Konsequenz, was geschehen war? Noch nicht einmal Trauer erfüllte seine Seele, dazu war es zu früh. Das einzige, was er tun konnte, war stehen, auf das Unvorstellbare schauen.

Sein CVI mochte seine mentalen Fähigkeiten um ein tausendfaches vergrößern, aber es war keine Hilfe, wenn es darum ging, Gefühle zu verarbeiten, mit Emotionen umzugehen, es konnte weder trösten noch raten, nein, im Gegenteil, es würde diese schrecklichen Minuten für immer in seinem Gedächtnis aufleben lassen.

Er konnte es immer noch nicht fassen.
Sie war tot.
Sie war tot!
Das konnte, das durfte nicht sein!!!

 
* * *
 

Er fand sich allein wieder, allein mit seinen Gedanken hoch oben in der Luft und in dem prächtigen Farbspiel der schillernden Verzerrungen, die den Interdimensionsraum ausmachten. Doch er würdigte diesem Naturschauspiel nicht die geringste Aufmerksamkeit, in dieser Höhle war vor einigen Minuten alles Schöne, alles, was schön sein konnte, aus seinem Leben gewichen. Machte es überhaupt noch Sinn, gegen die Taelons zu arbeiten? Für die Freiheit zu kämpfen? Für das Leben? Er kam sich so schrecklich leer und allein vor. Sein Ich war zersplittert und er war zu einer leeren Hülle geworden. Dann lief eine einzelne Träne seine Wange hinab. Dann noch eine und noch eine. Bis er sie nicht mehr zurückhalten konnte und in seiner unendlichen Trauer unzählige kleine Tropfen über sein Gesicht rannen, in denen sich das blaue Licht der Anzeigen spiegelte, und die in der Sonne, deren Strahlen durch die Glaskuppel fielen, funkelten wie kleine Sterne, die der schwarzen Nacht entrissen worden waren.

Der Flug dauerte viel zu kurz, schon erschallte der Knall und der Interdimensionsflug war beendet, hoch in der Schwärze des Alls. Das Leuchten und Scheinen des taelonischen Mutterschiffs in seinen beruhigenden Farben begann den Bildschirm zu dominieren, und der Agent wußte, daß er sich nun sammeln mußte.

Mit einem weißen Taschentuch, in das seine Mutter vor Jahren mit schwarzem Garn seine Initialen eingestickt hatte, begann er sich das Gesicht zu trocknen, und unterdrückte mit übermenschlicher Willenskraft jede weitere Träne, auch wenn die Trauer in ihm immer noch schmerzend brodelte.

Das Hangartor vor ihm öffnete sich, mit routiniertem Geschick ließ Sandoval sein Gefährt neben Liams hernieder gleiten, und fuhr den Antrieb herunter. Das leise Surren erstarb in der Luft, und alles war erfüllt von drückender Stille. Er machte sich auf den Weg, um Zo'or seinen ” Erfolg” zu melden. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, hatte er die starre Maske eines Implantanten wieder auf sein Gesicht gezwungen, gegen seine Schuldgefühle, die Trauer und die Vorwürfe, die am Rande seines Bewußtsein brandeten, war er machtlos.

Er fand Zo'or entspannt in dem Stuhl sitzend vor, der im Center der Brücke stand, und dem Taelon schnellen Zugriff auf alle Schiffssysteme gewährte, mit einer Anordnung kleiner Knöpfe, Schalter und Hebel, die in die Armaturen an beiden Armlehnen des Sessels eingelassen worden waren. Ein selbstzufriedenes Lächeln spielte um Zo'ors Mund.

Woher auch immer, Sandoval war sicher, daß Zo'or schon Bescheid wußte, vielleicht hatte er sogar einen Bericht von Liam angefordert, der die Berge schon eher verlassen hatte, nachdem er an Sandoval vorbei gegangen war, ihm tief in die Augen geblickt und sich im Gehen gewendet hatte, um den Blickkontakt länger aufrecht erhalten zu können. Dieser Ausdruck in seinen Augen. Sandoval hatte keine Worte dafür, zu viele Emotionen wallten gleichzeitig in ihm, und er hatte nichts anderes tun können, als ihn zu erwidern. Vielleicht weidete sich Zo'or auch nur daran, seine Macht zu demonstrieren, in dem er den Agent einfach ignorierte und neben sich warten ließ. Er tat das oft, eine aufreizende Eigenschaft, und die Minuten verstrichen auch diesmal - besonders diesmal - quälend langsam, bis der Synodenführer sich dazu herabließ seinen Beschützer endlich wahrzunehmen, und mit einer leichten Bewegung seiner Füße vom Boden abstieß, und seinen Sitz leicht in Richtung des wartenden Asiaten drehte.

„Berichten Sie!” er befleißigte sich noch nicht mal einer Höflichkeitsfloskel, er forderte seinen Bericht, wie man ihn von einem Computer anfordern würde. Seine Stimme schwang in ihren ganz eigenen Kadenzen, und klang hochmütig, selbstzufrieden und aufreizend, alles auf einmal.

Sandoval entschloß sich, seinen Bericht ebenso bündig zu fassen, erfahrungsgemäß wußte er, daß Zo'or nur an den Ergebnissen und nicht an der Art der Ausführung interessiert war. ” Sie hatten recht. Becketts CVI brach infolge der Aufhebung ihres MI zusammen. Sie verstarb noch an dem Platz, an dem ich sie auffand.”

„Gut gemacht Agent. Gut gemacht, in der Tat.”

Sandoval hielt es keine Sekunde länger auf der Brücke aus, er wandte sich zum Gehen. Doch grade, als er im Begriff war, sich an einigen Freiwilligen vorbei zu begeben, die sich nach einem Blick in sein finsteres Gesicht zur Seite drängten, hörte er noch mal die Stimme des Synodenführers hinter sich erschallen. Zo'or hatte sich offensichtlich entschlossen, den Pfeil noch tiefer in seine Brust zu stoßen.

„Es ist eine unabdingbare Notwendigkeit, jeden CVI-Träger sofort zu eliminieren, wenn der Verdacht besteht, daß sein MI nicht mehr den von uns gegebenen Ausgangskonfigurationen entspricht. Sie wissen, was zu tun ist.”

Mit diesen Worten wandte Zo'or seinen Kopf zurück zu dem großen Hauptbildschirm, den er kaum merklich in Sandovals Richtung gedreht hatte.

„Selbstverständlich, Zo'or.” Damit verließ Sandoval die geschäftige Brücke, um sich in die Ruhe seines Quartiers zu flüchten, aber Frieden würde er auch da nicht finden können.

Sandoval ließ sich zur Erde fliegen und vor seinem Apartment absetzen. Seine Nachbarn waren mittlerweile an den Anblick des Shuttles und den lauten Knall gewöhnt, der den Austritt aus dem Interdimensionsflug begleitete. Nur ein paar neugierige Passanten wandten ihren Kopf in die Höhe, um das Taelonflugzeug zu beobachten, wie es sich wie ein riesiger Käfer auf dem Flachdach des Hauses niederließ.

In seiner Wohnung war Sandoval erst mal dankbar für die Stille, die ihn umfing. Er machte sich lediglich die Mühe, seine Schuhe von den Füßen zu streifen, bevor er sich noch immer mit seinem Anzug und Jackett bekleidet in das weiche Doppelbett, mit seiner Daunendecke und Kissen, fallen ließ, einen Arm über seine Augen gelegt.

Sein CVI begann zu arbeiten, und zerrte die Bilder, die er zu vergessen nicht hoffen durfte, aus seinem Bewußtsein und ließen sie an der Oberfläche treiben. Das tote Gesicht Siobhans. Das Blut, das aus ihrem Ohr quoll, auf den steinernen Boden tröpfelte. Liams Augen, in denen er so viel erkannte, das sich aber alles seinem Verständnis entzog.

Liam und Beckett. Auf diese Erinnerung fixierten sich seine Gedanken, ob aus ihm selber heraus oder ob des CVIs, vermochte der Agent nicht zu sagen.

All’ die kleinen Erinnerungen an das seltsame Kollegenpaar brachen nun in ihn hervor. Von dem Moment an, als die noch immer leicht verwirrte Beckett in seinem Büro gesessen hatte, und Liam sofort wußte, wer sie war, über ihre Zusammenarbeit bei dem Atavus-Vorfall, die Geschehnisse in Irland, bis hin zu den schrecklichen Minuten in der Höhle.

Ein weiterer Punkt, von dem Sandoval sich nicht sicher war, ob er dessen Tragweite richtig abzuschätzen vermochte. Die sterbende Beckett hatte Liam aufgefordert, sich gegen die Taelons zu wenden, sie zu bekämpfen. Der junge Mann hatte es versprochen, als Mitleid einer Sterbenden gegenüber, ein Implantant hätte das nicht tun können. Hieß das, daß er - Sandoval - es wagen durfte, dem störrischen Major von seiner Widerstandsbewegung zu berichten? Durfte er auf Unterstützung hoffen? Allein wieder jemanden zum Reden zu haben, würde es soviel einfacher werden lassen. Sandoval verwarf diesen Gedanken gleich wieder, dieses Versprechen war wohl nichts weiter gewesen als das, für was er es gleich erkannt hatte. Siobhan hätte Liam auch nie etwas erzählt, weder über ihn, noch über ihren Kontakt zu den Jaridians, ihr zerfallendes CVI mußte sie verwirrt haben...

Obwohl Liam kein CVI zu erdulden hatte, war er doch ganz offensichtlich ein hingebungsvoller Beschützer Da'ans, vielleicht sogar sein Freund. Nein, ihm konnte nicht vertraut werden, unter keinen Umständen!

Und so würde er allein weiterkämpfen.

An einem anderen Ort, tief unter den Grundfesten einer leeren Kirche, saß Liam. Seinen Kopf in Lilis Schoß gebettet, und weinte. Er hatte alle Familie verloren, die zu haben er mal gehofft hatte. Ha'gel war vor seiner Geburt gestorben, seine Mutter war ihm von der Widerstandsbewegung entrissen worden, kaum das er ein paar Stunden alt gewesen war, und nun war sie tot. Und seinem menschlichen Vater würde er nie vertrauen dürfen...

 

ENDE

 

Zurück / Back

 

Zum Seitenanfang