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„Es wäre komplett und vollkommen unmöglich gewesen, für jedweden Hybriden in unserer Gesellschaft, unter dem bestehenden Zwang des Gemeinwesens und der Synode aufzuwachsen, wie jedes andere Kind es konnte. Allein das Überleben eines solchen Hybriden zu gewährleisten, wie harmlos und sanft auch immer, war keine einfache Aufgabe. Laßt uns mal annehmen, was passiert wäre, wenn Da'ma ein äußerst begabtes Geschwisterchen gehabt hätte, nennen wir es Ma'an. Da'ma selbst begab sich seinem Stande angemessen - war nicht sein Elternteil hochrangig und angesehen in der Kriegerkaste - zu allen Arten an Schulen und Orten, an denen Wissen versammelt war, die unsere Welt einem intelligenten und geliebten Kind zu bieten hatte. Schon in seinen frühesten Jahren lernte er die grundlegenden Elemente von Grammatik und Logik und war bald darauf in der Lage, die Schriften unserer größten Denker und Autoren nachzuvollziehen. Immer noch sehr jung, wandte er sich unserer Geschichte und den großen Philosophien zu und wurde gelehrt, als Diplomat zu agieren als auch einen Krieg zu führen, wenn es erforderlich sein sollte. Er aber war über die Maßen interessiert in den Künsten und fand Gefallen an der musikalischen Vielfalt unserer Welt. Nach einer Eskapade, die etwas mit dem Wildern von Tieren zu tun hatte, verließ er früher, als es hätte sein sollen, früher als es gut sein konnte, seine Familie, um sein Glück in der Hauptstadt zu suchen. In diesen Tagen hatte er wohl seinen Geist dem Theater zugewandt, und Geschmack an dieser Kunstform gefunden. Schnell fand er Einlaß in das Ensemble, wurde ein über die Maßen erfolgreicher Schauspieler und gliederte sich bald im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens ein, er traf jeden mit Rang und Namen und lernte die Oberschicht der Kasten kennen, er entfaltete seine Talente auf den Brettern, die die Welt bedeuten, versprühte seinen Charme auf den Straßen und ihm wurde sogar Zugang zu den Kreisen der Synode gewährt. Laß uns annehmen, dass währenddessen sein außerordentlich begabter Bruder, der durch das Unglück seiner Gene beschattet wurde, zuhause verblieb. Er war genauso abenteuerlustig, besaß die gleiche Kreativität und Vorstellungskraft und stand Da'ma in dem Wunsch, die Welt zu sehen und zu erforschen, in Nichts nach. Doch um das tödliche Geheimnis zu wahren,, wurde er nicht zur Schule geschickt. Dann und wann nahm Ma'an ein Buch, vielleicht eines seines Bruders - zur Hand und versuchte, sich so viel Wissen wie möglich anzueignen. Der andere, schnellere Weg zu lernen, das direkte Kommunizieren mit dem Gemeinwesen oder das Teilen der Gedanken mit jemand anderem als seinem Elternteil war ihm strengstens verboten. Und sein Elternteil war nicht gerade eifrig bemüht, seine Zeit mit diesem seiner beiden Nachkömmlinge zu verbringen. Seine Liebe gehörte zwar zweifelsohne beiden seiner Kinder, aber wann immer er in das unschuldige Gesicht Ma'ans sah, überschwemmten Bilder und Erinnerungen seinen Geist, und die Qualen, die er durchlitten hatte, als er von einem Alien vergewaltigt wurde, der dem Gewahrsam der wissenschaftlichen Kaste entkommen war, begann wieder aufzuleben. Das funktionierende, strahlende Shaqarava des Kindes, seine fremdartige Weise zu denken, hielten den Elternteil davon ab, seine Liebe zu zeigen. Aufgrund von Angst? Vielleicht war das Band der Liebe auch nicht so stark, als dass ich mich vermeine erinnern zu können? Oder aus welchem dummen und unreifen Grund auch immer, ich weiß es wirklich nicht! Jedesmal, wenn Ma'an versuchte, dem Käfig, zu dem sein Zuhause für ihn geworden war, zu entkommen, um Zeit mit seinem geliebten älteren Bruder zu verbringen, bei dem er sich wirklich sicher, geborgen und geliebt fühlte, oder einfach nur um rauszugehen und die verbliebene Natur zu genießen wie jeder andere es konnte, begann sein Elternteil freundlich, aber sehr bestimmt auf ihn einzureden. War er doch eine sehr realistische Person, die sehr wohl einzuschätzen wußte, wie die Lebensbedingungen seines Kindes aussahen und aussehen würden. Ein Kind, das er beschützen wollte und wirklich liebte - was trotz seines Strenge wahrscheinlicher war, als dass es ihn nicht wie seinen Augapfel hütete. Verborgen in einer kleinen Dachkammer, kritzelte Ma'an vielleicht ein paar Seiten, sorgsam darauf bedacht, sie zu verbergen oder Feuer an die Ränder seiner Schriften zu setzen. Nur Da'ma hatte Gelegenheit, diese frühen Werke Ma'ans zu lesen und war über die Maßen überrascht, wie geschickt sein jüngerer Bruder sich auf dem rutschigen Parkett der Wörter und der Rhetorik zu bewegen vermochte. Gefühlen wie der Liebe wurde der höchste Wert zugeschrieben und über alles andere gesetzt in seinen Theaterstücken, die Figuren begannen vor den Augen des erstaunten Lesers Leben und Persönlichkeit zu gewinnen, auch wenn die Stücke gar nicht auf einer Bühne umgesetzt wurden. Und das wichtigste, jedes Stück wäre in der Lage gewesen, die Augen der gebannten Zuschauer für alle Arten von Ungerechtigkeit zu öffnen, ohne selbst dabei irgend jemanden zu verurteilen. Denn Ma'an hatte die Gabe zu sehen, dass nichts Böses aus sich selber existierte, und alle Aktionen einer Person nur Reaktionen auf ihre Umwelt waren. Das gleiche tiefe Verstehen prägte und zeigte sich in seinen politischen Ansprachen, alle im verborgenen geschrieben und für immer versteckt.... Vielleicht hätten sie die Macht besessen, unsere Geschichte zu ändern, aber vielleicht wäre auch nichts anders geworden. Bald jedoch, noch bevor er seine Kindheit wirklich hinter sich gelassen hatte, war Ma'an einem Freund der Familie versprochen worden, dem einzigen anderen Taelon ,der um sein dunkles Geheimnis wußte. Sein Schreien, Jammern und Weinen, dass er eine Bindung für schrecklich hielt, endete damit, dass er ein paar mal mental von seinem Elternteil geschlagen wurde. Dann änderte sein Elternteil seine Taktik und versuchte das Kind zu überzeugen und zum Einlenken zu bewegen. Er bat ihm, alles noch mal zu überdenke, und sich einverstanden zu erklären, um seine Sicherheit zu gewährleisten, und Tränen schimmerten in den Augen des Elternteils. Wie konnte Ma'an ihm keinen Gehorsam entgegen bringen? Wie konnte Ma'an seinem Elternteil nur das Herz brechen? Allein die Gewalt seiner eigenen Begabungen brachte ihn dazu. Mit einem kleinen Rucksack, der einige seiner Habseligkeiten beinhaltete, ließ er sich an einem Seil in eine laue Sommernacht gleiten und fand sich auf einer Straße, die ihn geradewegs zu unserer Hauptstadt leiten würde. Und noch immer war er nicht mehr als ein Kind. Und die Vögel in den Hecken, die seinen Weg mit Liedern begleiteten, waren nicht musikalischer als er selbst es war. Und seine Gedanken waren schnell und offen, gleich die seines Bruders, und auch er war in der Lage, die richtigen Worte zu finden und mit einer Sprache umzugehen, sie sich zu Nutze zu machen gleichsam eines Meister, der seine Werkzeuge nutze.. Und wie sein Bruder hatte er gefallen am Theater gefunden. Und dann stand er an einer Tür, die die wundersame Welt der Bühne hinter sich barg, beseelt von dem Wunsch zu spielen, und ohne zu denken oder sich über die Folgen im klaren zu seinen, öffnete er einem komplett Fremden vertrauensvoll seinen Geist, um sich selber vorzustellen, ein paar Fragen zu stellen und seine zweifelsfrei großen Begabungen zu zeigen und unter Beweis zu stellen. Das Gemeinwesen, neugierig auf das so lange, so gut verborgene Mitglied ihrer Selbst, begann jeden Gedanken und jede Erinnerung aus dem überwältigtem Kind zu lesen, ihn geradezu auszusaugen. Es dauerte nur Sekunden, um all seine Schutzbarrieren zunichte zu machen und Ma'ans junges Leben lag ebenso offen vor jedem wie, noch verheerender, seine Herkunft offen gelegt war. Er verstand die Gefahr nicht, in die er sich gebracht hatte, er war sich seiner Andersartigkeit wohl bewußt, und ihm war gesagt worden, dass diese Unterschiede ihn in Gefahr brachten, aber er war zu jung, zuoffenherzig, um das Ausmaß der Schwierigkeiten zu verstehen, die ihm sich entgegen stellen würden. Da'ma, der den Aufruhr, der durch das Gemeinwesen lief, spürte, verstand nur all zu gut! Glücklicherweise besuchte er das kleine Theater, das sein jüngerer Bruder gewählt hatte, um um seine Chance zu bitten. Er sprang geradezu aus einer Energiedusche, hastete die Treppe schnellstmöglich hinunter, um die Hand seines Bruders zu ergreifen und ihn mit sich zu reißen. Beinahe hatten sie den nächstgelegenen Shuttlehafen erreicht, wurden aber gestellt, bevor es ihnen gelungen war, eins der käferartigen Flugzeuge zu betreten. Sich voll bewußt, was mit seinem Geschwisterchen geschehen würde, griff Da'ma seines Bruders Hand, um ihn zu trösten und seine aufgewühlten Gedanken zu beruhigen, als auch um ein tiefes Teilen über ihn zu zwingen. Er sagte ihm, wie viel er ihm bedeutete, dass er seinen Weg nicht verlassen sollte, wie sehr er seine Werke bewunderte und wie sehr er ihn von Herzen liebte... und er gab ihn Anweisungen, wie er sich verhalten sollte und wie er sich schützen konnte, nachdem er selbst die nächsten Schritte unternommen hatte. Ma'an verstand nicht, was sein Bruder geplant hatte, und er fragte auch nicht, er vertraute seinem Bruder mit seinem Leben. Aber nichts hätte ihn auf das vorbereiten können, was nun folgte. Da'ma konzentrierte all seine Gedanken, seine Stärke und zusätzlich zog er alle erreichbare Energie aus seiner Umgebung und dem Gemeinwesen. Mit einem Mal begann er gleißend zu glühen und, noch immer in gedanklichen Kontakt mit seinem Bruder, zu beschäftigt mit seinem Vorhaben, um diesen zu brechen, begann er eine Verbindung zu seinem Elternteil aufzubauen. Er gab ihm all sein Wissen über Ma'an und teilte seine eigene Essenz mit seinen Mittaelon. Dann entließ er all die angestaute Energie in einer Explosion seiner Gedanken, seines Geistes und begann dahin zu schwinden. Und mit ihm das Wissen, das das Gemeinwesen über seinen Bruder gewonnen hatte, alles Wissen bis auf das, das sein Elternteil besaß. In den selben Sekunden übertrug er seine eigene Vergangenheit auf seinen Bruder, so dass jeder annehmen würde, dass alles, was Da'ma in seinem Leben erreicht hatte, Ma'an geschafft hätte. Innerlich über den Verlust aufschreiend, mit tränenüberströmten Wangen hielt Ma'an sich genau an die Anweisungen, die sein Bruder ihm gegeben hatte, er hätte nicht gewußt, was er sich sonst hätte verhalten können. Er begab sich nach Hause und verließ seine Räume für Monate nicht. Zuerst einfach nur in seinem Stuhl sitzend und überdenkend, was geschehen war, willens, das Vergessen des Todes zu umarmen, wann immer es nach ihm greifen würde. Aber mit der vergehenden Zeit begannen seine Gedanken seines ganzes Selbst sich zu verhärten und sein Herz abzuschirmen und komplett zu verschließen. Er übte sich in der neu erlernten Fähigkeit, die Teile seines Selbst vor dem Gemeinwesen zu verbergen, die ” anders” waren, nicht willens, sie noch einmal herausfinden zu lassen ,was sie schon einmal über ihn wußten, und um nicht wieder gnadenlos gejagt zu werden. Und ebenso verhärtete er sein Herz gegen sein Elternteil, nicht ohne Grund, denn wenn er ein wenig mehr Raum erhalten hätte für seine eigenen Gedanken, seine Ansichten, um sich selbst zu entfalten, wenn er sich nicht mit einer drohenden und verhaßten Bindung konfrontiert gesehen hätte;, wäre er niemals weggelaufen und sein Bruder würde noch leben. Ma'an begann eine Karriere in der diplomatischen Kaste und erreichte schnell Ränge und Ehren, die niemand sonst in solch jungen Jahren erreicht hatte. Aber alles, was sein Wesen ausgemacht hatte, all seine Liebe, sein Verstehen, und seine Sanftheit waren in ihm in der Sekunde gestorben, in der Da'ma sein Leben gegeben hatte...” An dieser Stelle brach Da'ans Stimme und er ließ seinen Kopf hängen. Liam hatte durchaus wahrgenommen, dass Da'an unfreiwillig von der „laß-uns-annehmen” Form, in der seine Erklärungen begonnen hatte, zu einer wahren Geschichte gewechselt hatte, die sich sicher in seinem eigenen Leben abgespielt hatte. Um so weiter die Erzählung fortgeschritten war,um so aufgewühlter und.... trauriger war sein Freund geworden. Geduldig wartete der junge Beschützer, der tatsächlich noch jünger war, als sein Aussehen vermuten ließ, dass Da'an von alleine fortfahren würde. Aber der Alien blieb still. Eine fast undenkbare Idee begann sich in seinen Gedanken zu formen, könnte es sein dass...................... NEIN, nein, das war vollkommen unmöglich. Oder doch nicht? Er selbst hörte sich selbst die bedrückende Stille brechen und in einer leise gehaltenen Stimme fragen: ” Das Kind ist Zo'or, oder?” Ein kurzes, kaum wahrnehmbares Nicken des sitzenden Außerirdischen. „Und...... und... Du bist sein Vater?” wollte er wissen, seine Stimme vibrierend mit Gefühlen. Wieder ein kurzes Nicken. „Warum hast Du seinen Namen in der Erzählung geändert?” Eine Frage, gestellt nicht aus wirklichen Interesse, aber um zu verhindern, dass das bedrückende Schweigen sich wieder in dem Raum ausbreiten konnte. Liam war noch zu geschockt von dieser unerwarteten Enthüllung, um neugierig auf irgend etwas sein zu können. Erst sah es so aus, als ob der Nordamerikanische Companion nicht antworten würde. ” Ich habe seinen Namen nicht geändert, nicht wirklich. Das wäre sein Name gewesen - sein wahrer Name - gebildet aus meinem eigenen und dem eines meiner Geschwister, wenn seine Herkunft die eines reinen Taelon gewesen wäre, wie sein Bruder sie hatte. Ich dachte, ich könnte es nicht ertragen, ihn so zu nennen, so gab ich ihm einem Namen, der nichts mit meiner eigenen Familie zu tun hat.” Dann verlor der Alien die Kontrolle über die Fassade, die er normalerweise in Anwesenheit von Menschen aufrecht erhielt, und versuchte erst gar nicht, sie wieder zu erlangen. Eine kaum hörbare Stimme fragte: ” Verstehst Du nun, Liam, warum ich *keine* Aktionen gegen ihn durchführen kann? Egal, ob er mein Leben bedroht, oder nicht? Egal, welche Fehler ihm als Führer unterlaufen? Egal wie grausam seine Handlungsweisen auch sein mögen? Alles das ist meine Schuld, meine Schuld allein....” „Verstehst Du jetzt?” |
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