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  „Khadija” von Se'la   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Entstehungsjahr: 2005
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Khadija wird von Ma'el als Schülerin aufgenommen und sucht nach einer Lösung für das Problem seiner Rasse.
Zeitpunkt:  weit vor der ersten Staffel
Charaktere:  Khadija, Ma'el
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Adventskalenders 2005 geschrieben.
 

 

KHADIJA

 

Draußen lag Schnee und während sie den Flocken dabei zu sah, wie sie auf die Erde fielen, schweiften ihre Gedanken wieder ab. Zurück zu der Nacht, in der alles begonnen hatte, in der ihr neues Leben das Alte abgelöst und nur noch Scherben auf ihren Weg zurück gelassen hatte. Dunkel war es in ihrem Geist, denn immer öfter stieß sie an Grenzen, die keine waren, ihr aber jegliches weiter gehen verboten.
Nicht nur dort draußen war es kalt, sondern auch in ihr. Diese Kälte sorgte für steife Glieder und dass sie sich nun vom Fenster abwandte.
Das einzige in diesen Raum.
Das einzige, durch das sie den Schnee sehen konnte, der draußen sanft und leise auf den Boden fiel.
Weiß... diese Farbe hatte immer eine besondere Bedeutung in ihren Träumen. Es schien, als sollte sie davon verfolgt werden. Nur in diesen Raum nicht.
Er war wunderschön!
Blau und rosa, vielleicht auch etwas lila, wenn sie es sich recht überlegte, aber genauer wollte sie jetzt auch nicht darüber nachdenken.
Es war noch nicht lange her.
Sie war jetzt den zweiten Tag an diesem Ort, hatte bisher aber nur eine Übernachtung bewusst erlebt. Niemand war bei ihr gewesen und sie kannte dieses Material, aus dem der Raum bestand, nicht. Im ersten Moment hatte sie Angst, nein, Panik, gehabt, sie hatte gegen die Wände geschlagen und geschrieen, hatte hinausgewollt und sich fast die Haare ausgerissen in der festen Überzeugung, dass der Raum, in dem sie sich befand, vom Teufel erschaffen und bewohnt wurde. Aber als er auch nach Stunden nicht gekommen war, ihr auch in der Nacht nicht erschienen war, hatte sie sich langsam wieder beruhigt.
Sie hatte sich an Geschichten über Wesen erinnert, die wunderschön waren, Elfen, die im Eis lebten, in den Wäldern und bei denen kein Mensch überleben konnte. Dieser Raum musste mindestens so schön sein wie sie, er konnte nur von ihnen sein. Hieß das aber auch, dass sie sterben musste? Sie wusste genau von den Regeln und würde gegen keine einzige verstoßen, doch wenn sie ehrlich war, so wollte sie viel lieber wieder zurück.
Ihr war kalt.
Manchmal konnte man Jahrhunderte bei ihnen leben und wenn man zurückkehrte, zerfiel man zu Staub. Keine angenehme Vorstellung. Wenn sie bereits zwei Tage da war, wie lange war das dann in ihrer Welt?
Doch gleichzeitig stellte sich ihr die Frage, ob überhaupt jemand auf sie wartete? Hatte sie jemanden, der sie liebte, ein kleines Haus, einen Mann und Kinder? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, alles war dunkel und sie stieß an Grenzen, die keine waren, die sie aber dennoch hinderten, weiter zu suchen.
Der Boden war warm und sie legte die Handflächen darauf, versuchte die Wärme vom Körper aus in ihr Inneres zu übertragen, damit sie sich endlich wieder lebendig fühlte, das war es was fehlte. Das Gefühl von Leben in ihr, dass sie diejenige war, die dachte und nicht jemand anders, dass sie nicht bereits tot war.
Immer wieder strichen ihre Finger über den Stoff ihres Kleides, auch dieser kam ihr nun fremd vor, sie konnte sich nicht mehr vorstellen, wo sie es her hatte.
Sie wusste, es war warm, nur änderte das nichts daran, dass ihr Körper kein Gefühl mehr in sich barg.
Wo war eigentlich ihre Haarspange? Sie hatte ganz vergessen, dass sie überhaupt eine getragen hatte, wie hatte ihr das nur passieren können? Es war eine Erinnerung, gefangen in einem leblosen Gegenstand, so wie sie in diesen Raum, ihre Gefühle in ihren Geist gefangen waren. Und irgendwo dort war eine weitere Erinnerung, die sich langsam um ihren Hals schlang, dass es ihr den Atem nahm.
Eine Grenze, die keine war.
Vielleicht war es auch ihre Schuld, dass sie den Schlüssel nicht fand?
Vielleicht war es auch ihre Schuld, dass sie Schmerzen fühlte, dass sie nicht mehr wusste, wer sie war?
Vielleicht war es auch ihre Schuld, dass sie selbst auf den Weg hierher verloren ging?
Vielleicht war es auch gut, dass all dies geschah?
Denn dann, waren die Scherben auf ihren Weg nicht mehr gefährlich für sie und sie würden nur noch leblose Gegenstände in ihren Erinnerungen sein.

1.

Die Verwirrung hatte sich gelegt, aber die Wolken vor ihren Augen waren noch nicht ganz verschwunden. Noch immer, wenn sie sich selbst betrachtete, sah sie nicht sich selbst, Khadija, sondern nur... eine Frau. Eine Frau, die ihr völlig unbekannt war, eine leblose Erinnerung in einem lebendigen Gebäude.
Ein Finger strich über die Wand und sie glaubte das Leben fühlen zu können. Doch Teil war sie nicht von diesem.
Doch, sie konnte mit gutem Gewissen behaupten, so sah sie es, dass sie sich sehr bemüht hatte, wieder zu sein, auch wenn sie dies nur einer einzigen Person zu verdanken hatte.
Einer Person, die keine Elfe, aber nicht weniger faszinierend anzusehen und dessen Wesen nicht weniger einnehmend und anziehend war, als es das von Elfen gewesen wäre. Er hatte sie aus ihrem Loch geholt, erzählt, dass er sie gefunden hatte und dafür gesorgt, dass sie die Wärme um sich wieder spüren konnte.
Jetzt war sie eine derjenigen, die bei ihm, die ihm Hilfe und Beistand war, die ihn begleitete, wo immer er auch hinging.
Er hatte ihr so unglaubliche Dinge gezeigt, die sie kaum fassen konnte, die sie nicht begreifen konnte, dessen dahinterstehenden Gedanken andere Welten waren, die sich in ihrem Kopf immerzu drehten und drehten und drehten, um ihre eigenen kleinen Sonnen und immer neue Dinge erschufen, die neue Welten brauchten, um verstanden zu werden.
Einige gingen auch ein, man vergaß sie und es blieben nur Ruinen zurück, durch die man die einstige Schönheit nur erahnen konnte.
Ma'el besaß solche gestorbenen Welten in seinen Kopf, in den Systemen, die er Computer nannte und die er ihr mitteilte. Nur oft besaß er die daraus resultierenden Dinge nicht. Er meinte, es wäre Vergangenheit und sie meinte, dass diese aus Träumen und Wünschen geboren war.
Er wollte dies nicht zugeben, aber Khadija wusste es ja doch besser.
Sicher würde er es bald auch erkennen können. Manchmal war auch das Leben nur ein Traum, ein Traum mit blauen Augen, die sie interessiert und aufmerksam ansahen, die lächelten, wenn sie in ihren Rätseln sprach, die sie selbst kaum verstand.
Und jetzt, jetzt war eine Zeit angebrochen, die sie immer mehr zu schätzen lernte, sie hatte einen Lehrer gefunden, der sie behandelte, wie es noch nie jemand zuvor getan hatte, wie es noch niemals ein Mann gegenüber einer Frau getan hatte. Nein, Erinnerung war immer noch leblos in ihr, aber sie hatte nicht nur von Ma'el gelernt, alle Menschen in ihrer Umgebung waren ihr ein großes Klassenzimmer gewesen. Frauen sollten nicht lernen, sie sollten Kinder haben und zu Hause sein.
Sie hatte kein Zuhause.
Sie hatte keine Kinder.
Sie hatte keinen Mann und keine Familie.
Um wen sollte sie sich kümmern?

„Khadija?” erklang eine sanfte Stimme und sie wandte sich wieder ihren Mentor zu. Manchmal war sie verzweifelt, wenn sie an „außen” dachte. Doch wenn sie ihn sah, dann reichte ein Blick um ihr zu sagen, dass sie nicht die einzig Fremde war, nicht die einzige, die anders dachte. Er war da und führte sie zu den Computern.
Ihr wurden Handbewegungen beigebracht und sie meinte zu spielen, meinte währenddessen Musik in der Dunkelheit ihrer Seele erklingen zu hören, ließ sie treiben und plötzlich sah sie, sah so vieles mehr als jemals zuvor, Zeichen, die sich veränderten, die Worte in ihre Gedankenwelten projizierten und die Musik war so viel einfacher damit zu kreieren als zuvor.
Bis er sie wieder herausholte, eindeutig stolz, zufrieden mit dem, was sie getan hatte, obwohl sie doch nur ihre Gedanken zu Bildern umgesetzt hatte, diese zu Musik und zu Zeichen, so wunderbaren Zeichen. Auch die Computer hatten Träume in sich, die sie teilen konnten. Khadija teilte gerne.
Und jetzt wollte Ma'el, dass sie ihm ihre Zeit gab, rief etwas auf, dass ähnlich einem Spiel war, dass sie kannte, wie mehrere kleine Welten, Ebenen, die aufeinander einwirkten, verstand sie das Spiel dennoch nicht, bewegte aber ihre Hände geübt in einem, ihrem eigenen Rhythmus, verpasste nur knapp das Ziel und wusste, dass Ma'el dies ebenso gefiel, wie er enttäuscht war. Noch wartete er, wartete wie die Sterne, von denen er ihr erzählt hatte, die Planeten waren. Von dort kam er. Als er es sagte, hatte sie gelacht. Natürlich wusste sie, dass er von den Sternen kam, kein anderes Wesen konnte verlorene Welten in sich tragen und behaupten, keine Träume zu kennen!
Er war nur verwirrt gewesen und sie erzählte ihm, dass die Sterne lebten und fiel einer, dann starb ein Mensch, denn Menschen erträumten die Sterne, waren Teil von ihnen, so dass es passender wäre zu sagen: starb ein Mensch, dann fiel ein Stern, dann ging der Zeit ein Traum verloren.
Wieder Aufmerksamkeit in seinem Blick, Neugierde, woher sie diese Gedanken nahm, die doch keiner in ihrer Umgebung hatte erklären können. Er erklärte, sie wären Vergangenheit, doch sie war der Meinung, sie wären viel mehr Ausdruck der Zukunft, dessen, was noch erfüllt werden musste. Wie konnte die Vergangenheit die Zukunft sein?
„Glaubst du, es gibt einen Ort, an dem man nur die Vergangenheit, hell leuchtend, um sich sieht?”
Er lächelte und sie drückte ihre Freude durch ein Funkeln in ihren Augen aus. Sie wusste, dass die Antwort in ihrem Sinne ausgefallen war und sie drückte den Wunsch aus, einmal an diesen Ort zu verweilen. Mit seiner Erklärung, dieser Ort sei Lichtjahre entfernt, konnte sie nichts anfangen, sie begriff nicht wie weit es sein konnte, schon die Sterne waren unerreichbar fern, sein Stern, der Ort der Vergangenheit, sollte noch viel weiter fort sein? Vielleicht hatte er sich auch nur davon entfremdet und einzig in seinen Gedanken war er weit fort, wo die Sterne doch immer in seinen Augen ruhten. Doch nichts davon sagte sie, stattdessen fragte sie leise: „Wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft verändern. Der letzte wird den Sinn wissen?”
„Welchen Sinn meinst du?” fragte er, während er sie zu eine der Konsolen führte, sie wieder Leben mit ihren Fingerspitzen berührte und daran dachte, dass auch diese tote Erinnerungen in sich trug.
„Den Sinn unseres Seins,” antwortete sie kurz und sah ihn ernst an, erinnerte sich an ihre Haarspange, wo hatte sie diese doch gleich hingelegt?
Sie suchte ein Fenster um den Schnee fallen zu sehen, oder hatten sie nicht eher Frühling?
„Khadija!” erklang es mahnend von seiner Seite her und sie sah ihn aus weiter Ferne an, weiß hatte eine Bedeutung in ihren Träumen.
„Als die Welt entstand, wussten die Ersten noch nicht, wie die Folgenden sein würden und dass sie der Ursprung waren. Ihre Träume führten zu uns. Der Letzte wird wissen, warum es so weit kam, er wird die Zeit verstehen. Den Sinn weiß man erst nachdem es geschehen ist.”
Für einen Moment herrschte Stille, dann fing er leise an, Worte zu sagen, die sie nicht kannte, aber zu der Melodie der Zeichen passte, die wieder vor ihren Augen tanzten, die sich zu ihnen zu bewegen schienen, von denen sie wusste, was sie sagen wollten.
„omr¨uvala
las¨a qiloüi mali
viloüi z¨ava
las¨a viloüi
s¨oloüa
mali viloüi
s¨oloüa”
Und dann verband sich alles vor ihren Augen, die Zeichen, die Melodie, ihr eigener Gesang, Leben erfüllte die Bilder, erzählten eine Geschichte, die sie immer weiter erzählte, bis sie schließlich mit den Worten „üe-üevama
teüe tolova” schloss. Alles erlosch vor ihren Augen und sie fühlte sich beraubt, als hätte sie etwas am Ort der Geschichte zurückgelassen, ihr Kind.
Sie war müde. Die Zeit schien auf ihr zu lasten, während sie Ma'el unberührt ließ, ein weiteres Geheimnis von dem Wesen der Sterne, aber vielleicht fiel auch er erst, wenn sein Stern ging.
Welcher es war, das wollte er ihr nicht sagen. Er meinte, dieser wäre zu weit entfernt, als dass sie ihn sehen könne. Das konnte sie sich nicht vorstellen, schon die Entfernung von einem Ufer des Meeres zum anderen erschien ihr unendlich und vielleicht hatte er sich nur entfremdet, wenn er wieder zurückkehren würde, wäre er nicht länger alleine. Ihre Gedanken wiederholten sich.
Sie glaubte sein Stern lag in der Vergangenheit. Er selbst hatte gesagt, je weiter man dem Licht der Sterne folgte, auf ihrer Spur blieb, desto weiter ging man zurück in der Zeit. Und je weiter man diesen Weg folgen würde, desto mehr Vergangenheit würde sie sehen können und sein Stern war unvorstellbar weit weg, musste sehr weit zurück liegen.
Doch auch dies sagte sie ihm nicht, da sie Angst hatte, er würde ihr dann von den zerstörten Welten in seinen Gedanken berichten, dessen Dinge er nicht kannte, er aber suchte.
Müde schloss sie die Augen, er verlangte zu viel, das war ihr klar, ihre Träume konnten nicht für zwei reichen, wenn sie so unterschiedlich waren.

Doch er sorgte sich um sie, führte sie immer zurück in ihr Zimmer, welches die Verwirrung ausstrahlte, die sie nicht mehr fühlte. Das Zimmer war nicht länger Teil ihrer Wirklichkeit, vielleicht würde sie bald ein anderes bekommen, welches zu ihrem neuen Leben besser passte als jenes, in dem sie sich aufhielt.
So müde.
Wohin verschwanden ihre Gedanken, wenn sie gedacht waren, ob sie wohl zu den Sternen gingen, oder zu den Zeichen im Lebendigen wurden?
Sie wusste nur von ihren Träumen, in weiß, eine weiße Landschaft, weiße Wände, so wunderschön. Aber den weißen Schnee, der vor ihrem Fenster gefallen war, hatte sie zuvor niemals erkennen können, es war unbekannt gewesen.

Der Tag kam, an dem sie eine neue Seite dessen kennen lernte, was sie jeden Tag umgab, er überraschte sie und zum ersten Mal war ihr nicht klar, was denken, was sagen.
„Ich hatte von Weihnachten gehört, ich weiß, dass du es wohl nicht kennst...”
Trotz dieses Wissens wartete er auf eine Erwiderung, die Khadija ihm nicht in der Lage war zu geben, er hatte Recht, Weihnachten war ihr unbekannt, obwohl es sie an etwas erinnerte.
Sie vermisste ihre Haarspange, jene mit den toten Erinnerungen, die sie in sich trug, wenn sie diese wiederfand, dann würde sie wieder wissen, was sie verloren hatte.
Ratlos sah sie ihn an.
„Es geht im Wesentlichen darum, dass ein Kind geboren wurde, das eine Bedeutung für euch hat. Ihr habt es so für euch gelegt, dass ihr euch an diesem Abend etwas schenkt und mein Vorhaben für heute ist, dass du etwas von mir bekommst, dass du dir wünschst. Es ist eine Überraschung...”
Er lächelte geheimnisvoll, seine Augen funkelten mindestens so sehr wie die ihren und doch war sie verwirrt.
„Wann ist Weihnachten?”
„Heute. Du solltest dich also ausruhen bis heute Abend, damit du wach bist. Es gibt nichts mehr für dich zu tun.”
„Aber du weißt doch, dass ich nichts für dich hab? Welche Gegenleistung wäre ich in der Lage dir zu geben? Und du sagtest doch wir wollten über die Perlen reden, die im Fluss...”
Sie hatten ihre eigene Sprache gefunden und Ma'el verstand schnell was die Träume der Zeit waren, ebenso wie die Perlen im Fluss, wie sie sich fühlte konnte er wie kein anderer wahrnehmen. Vielleicht hatte er auch keine andere Wahl.
„Dein bisheriges Leben war Gegenleistung genug und wird es noch sein. Du weißt, Gespräche ermüden dich zu schnell. Begib dich nun bitte in deinen Raum!”
Sie sah ihn an, versuchte zu erkennen, was seine Gedanken sagen könnten, was dahinter steckte und gab es auf.
Müde war sie nicht. Sie verweilte wie immer woanders, wo es keine Müdigkeit gab, wo nichts war, nichts, außer die Farbe weiß, Dunkelheit und Schmerz.

Zum ersten Mal saß sie in eines jener kleinen Wesen, die sie schon oft gesehen hatte, dessen Wärme sie nun wieder um sich spüren konnte, aber mit denen sie keine Träume teilen konnte.
Ihr Geist war wach und vor ihren inneren Augen klickten Perlen gegeneinander, die in Wirbelstürmen schwebten und doch nicht die Kontrolle verloren über ihren Weg.
Und vor ihr diese Regenbögen, diese schillernden Farben, die sich vor ihren Augen zu verändern schienen, welche das gesamte Spektrum einer fremden Welt zu zeigen schienen und sie streckte danach die Hand aus. Dieses Gefühl, einmal in Farben eintauchen zu können, die Gegenwart zu vergessen und das Leben anderer einzuatmen. Mit jedem Atemzug würde sie geboren werden und sterben, würde Länder und Welten bereisen, bis sie am Ende vergaß, wer sie war, vergaß, was das Leben war, und ein Bruchstück der Ewigkeit in ihren Händen halten würde, das ihr Spiegelbild nicht mehr würde zeigen können.
„Wir sind da!” ließ Ma'el verlauten und ihr fiel auf, dass keine Farben mehr da waren, dass sie wieder abgedriftet war und von dem, was sie nun sah, traten ihr Tränen in die Augen.
Vorsichtig stand sie auf, ging zögernd auf Zehenspitzen weiter nach vorne und legte die Hand gegen das, was sie von dem „Draußen” trennte, spürte ein leichtes Kribbeln und konnte kaum etwas sagen.
Sterne waren um sie herum, nur noch Sterne! Die Begrenzung, welches dieses Wesen noch dargestellt hatte, war verschwunden und sie stand inmitten eines Meeres aus Lichtern, aus zukünftiger Vergangenheit.
Dieser Ort war wirklich, so wirklich wie der Wissenschaftler neben ihr, der wie sie hinaus sah und ihr leicht eine Hand auf die Schulter legte.
Minutenlang stand sie dort einfach nur und hatte sich niemals zuvor so weit und aufgefüllt, so leer und glücklich gefühlt, sie bemerkte nicht einmal, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Dies war schöner, als sie es sich jemals hätte vorstellen können, auch wenn für Gedanken kein Platz mehr war, eher hätte sie gedacht, sie würde neues in der Vergangenheit sehen, doch nun sah sie nur Sterne. Kleine Lichter, auf denen Wesen wie Ma'el lebten und forschten, zu denen man fliegen konnte und die nicht fielen, wenn ein Mensch starb, denn dann würden ja auch die Wesen fort gehen, ohne dass sie wussten warum.

2.

Sie wusste, dass sie schlief, sehr lange mitunter, und verstand es dennoch nicht. Vielleicht war es ein Zauber der sie so lange leben ließ, wie Ma'el es wollte, immer wenn sie aufwachte, dann waren Jahrzehnte vergangen. Einmal hatte sie gefragt, ob er sich denn niemals alleine fühlen würde, dies hatte er verneint. Doch im Blau seiner Augen hatte sie die Wahrheit gesehen, er war das einsamste Leben auf der Erde und nicht stark genug, dies ihr gegenüber zuzugeben. Ihr, Khadija, die ihren wahren Namen nicht wusste und mit jenem, der ihr gegeben wurde, einverstanden war.
Immer wenn sie aufwachte, dann sang sie die Zeichen vor ihren Augen, dann veränderte sie jene und schuf neue Melodien, welche die Computer beantworteten. Irgendeine Bedeutung hatte dies für Ma'el, eine sehr wichtige, die er ihr nicht sagen konnte, auch sie war etwas Besonderes in seinen Augen, auch wenn sie wusste, dass ihr dies nicht zukam.
Heute nahm er sie mit auf eine seiner Reisen, sie hatte schon viele Menschen kennen gelernt, die sie sich selbst in ihren Träumen nicht hätte vorstellen können, solche, die weit ihrer Zeit voraus gegangen waren, ebenso wie die Mehrheit derer, die blieben wo sie waren und versuchten die Welt am weiter ziehen zu hindern. Doch heute erreichten sie einen Ort, der völlig leer war.
Weiß, die Farbe, die in ihren Träumen eine Bedeutung hatte. Eine weite Fläche, riesige Berge, die auf Wasser schwammen, als hätten sie kein Gewicht, doch keine Menschen.
Er erklärte. Eis war leichter als Wasser, die Berge bestanden aus Eis, so konnten sie nicht untergehen und für Menschen war es hier zu kalt, das hatte sie aber auch schon herausgefunden.
Sie zitterte, als die Kälte ihr entgegen schlug, nachdem sie aus Ma'els großer Behausung gestiegen waren, welches er als Schiff sah, nur sie nicht, auch wenn er versucht hatte es ihr zu erklären. Es hatte weder Rumpf, noch Segel, sie sah keine Ruder und kein Steuer, wie konnte er es dann ein Schiff nennen? Aber Khadija hatte verstanden, was es war, die Zeichen waren Erklärung genug gewesen, doch war ihr ebenso klar, dass es eben kein Schiff war. Es war etwas viel wundervolleres, welchem sie Respekt zollte, noch mehr als Ma'el, der nun versuchte zu erklären, dass es an anderen Orten wie diesen dennoch Leben geben konnte. Khadija hörte ihm nicht mehr zu, diese Farbe verwirrte sie. Ihre Schritte waren überdeutlich zu hören, es erinnerte sie an Musik, aber nicht an die der Zeichen, dies war eine ganz andere Melodie. Viel lebendiger und kälter, dennoch abweisender. Funkelnde kleine Lichter blitzten vor ihren Augen auf, die sie nicht verfolgen konnte, ein Staubtuch, gelegt über das Abweisende, machte es annehmbarer.
Alleine ging sie weiter, legte eine Hand auf das Eis und spürte, wie es die Kälte von außen in ihr inneres einzog und sie doch zu brennen schien.
Eine Hand auf ihrer Schulter, die sie dazu bewegte, den Kopf zu drehen und in Ma'els blaue Augen zu schauen, erinnerten an das Wasser, was um sie herum, die auf den Eis standen, war. Und während sie in seine Leere sah, die versuchte zu verbergen, was sie längst wusste, spürte sie in sich, dass sie in diesen Blick versinken wollte, obwohl sie es niemals würde tun dürfen und stand langsam auf.
Ihr war warm.
Endlich. Er schien recht gehabt zu haben, dass diese Kleidung dafür sorgen würde, dass ihr Körper nicht erkaltete und sie war froh darüber, doch spürte sie immer noch ein leises Frösteln.
Sie gingen gemeinsam über das Eis, dem Blau entgegen, welches Himmel und Meer zugleich war, welches ein Gefühl der Gefahr in ihr weckte, ebenso wie der Sehnsucht.
Die Sehnsucht schien überhand genommen zu haben, denn sie wurde erfüllt, handelte eigenmächtig und ließ das Eis unter ihr brechen.

Nur noch einen Moment, dann verschwand die Wärme und die Kälte hielt wieder Einzug in ihren Körper, umhüllte und schwappte über Khadija, als sie halb gelähmt und unter Schock stehend im Blau unterging.
Ihre Augen sahen nur helles Blau und Licht, danach war etwas so wunderbares da, dass selbst sie es nicht beschreiben, fassen konnte und bald wieder vergaß.
Aus der Schwärze wurde blau und rosa und vielleicht auch lila, so genau wusste sie dies nicht, wollte auch nicht weiter drüber nachdenken. Es war nur schön.
Und neben ihr stand Ma'el, sie hörte die Melodie des Computers und zum ersten Mal sah sie im Blau Sorge; um sie, um ihren Zustand, um ihr Leben.
Sie lebte.
„Ich war fort,” murmelte sie leise und sah ihn verständnislos an, da sie nicht wusste wo, da sie die Erinnerung wie ihre Haarspange verloren hatte und nicht wiederfand, selbst nicht in seinen Augen.
„Es wäre besser, wenn du die nächsten Tage hier liegen bleiben würdest, bis du dich wieder völlig erholt hast,” antwortete er ihr sanft und legte ihr eine Hand auf die Stirn, dann überprüfte er ihre Werte, während sie ihren Kopf verrenkte, um wieder die Zeichen sehen zu können.
„Ich möchte wieder neue Lieder schaffen!” flüsterte sie, doch er schüttelte andeutungsweise den Kopf.
„Später. Es würde dir in deinen jetzigen Zustand Schaden zufügen.”
Schaden, immer ein Ereignis, dass jeder anders sehen konnte, sie war der Meinung, das fernbleiben des Systems würde ihr mehr schaden, als das darin verweilen, wie sollte sie sonst die Perlen finden? Sie konnte sich erinnern, einmal eine gesehen zu haben, perfekt, glatt und schimmernd, von einer Schönheit, die sie niemals gekannt und auch nicht mehr gesehen hatte. Irgendwo in ihrem Geist, in jenem der Behausung, in Ma'els zerstörten Welten, irgendwo dort waren sie, Khadija musste nur die Hinweise sammeln, zusammensetzen, dann könnte sie es sehen, dann könnte sie es Ma'el überreichen.

Sie wusste, dass er sich regenerierte, einmal war immer die Zeit dazu, doch vielmehr wusste sie, dass sie voran gehen musste, auf einem Weg, den sie nicht kannte. Sein Zuhause würde sie nicht verraten, Khadija hatte es diesem erklärt, mit dessen eigenen Zeichen, nachdem sie verstanden hatte, dass es nicht wirklich eine Schöpfung ihrerseits war, diese Lieder, diese Melodie, sondern nur eine Sprache, wie auch die ihre eine war, die sie aus unerklärlichen Gründen verstand. Eine Sprache die lebte, wie sie selber, die Teil einer zerstörten Welt ohne Gegenstück war und Ma'el Geschichten erzählte und neue erzählen ließ.
Vielleicht hatte er geglaubt, dass sie es nicht verstehen würde. Er hätte es doch wissen müssen!
Ihr war kalt. So kalt wie in der Nacht, die der Anfang ihres neuen Lebens hatte werden sollen, in der sie nicht hatte wissen können, wer sie war und was sie erwarten könnte. Sie brauchte Schuhe, aber es waren keine da gewesen, sie musste doch... sie hatte sich erinnert, wo sie die Perlen gefunden hatte, wie sie durch das Meer kam, aber dafür brauchte sie Ma'el, denjenigen, den sie nun nicht holen konnte. Er musste sie alleine finden, aber sie konnte ihm zeigen, was sie gesehen hatte, was wichtig für ihn war, was die Zeichen am Ende ausdrücken sollten.
Denn sie hatte gesehen, was er seinen Angehörigen hinterlassen hatte, dass er eine Warnung geschickt hatte, doch vielleicht gab es da etwas...
Ihre Gedanken verwirrten sich zunehmend und sie rief einen Datenstrom auf, spielte wieder mit den Zeichen, bis sie ihn so weit geführt hatte, dass er den Rest des Weges alleine gehen konnte, für den Fall, dass sie nicht mehr zurückkehrte.
Totes war in ihr zum Leben erwacht, sie selbst fühlte sich wieder vollständig, verstand aber kaum etwas von den Bildern, die sie in ihren Gedanken sehen konnte.
Sie brauchte Luft, musste etwas anderes sehen und verließ zum ersten Mal seit langer Zeit ihr Zuhause ohne Ma'el.
Ungewohnt, alles schien fremd und neu zu sein, alles hatte sich gewandelt, ihre Heimat konnte sie nicht mehr wieder erkennen. Der Wald war kleiner geworden, selbst in der Dunkelheit der Nacht konnte sie es erkennen, selbst ohne die Grenzen abgegangen zu sein, war es offensichtlich.
Ihre nackten Füße berührten die Erde, die herabgefallenen Blätter, und sie fröstelte. Es war Herbst.
Das Leben ging langsam zu Ende, um schließlich im Weiß zu sterben. Diese Farbe hatte immer eine Bedeutung in ihren Träumen, sie war der Tod. Sie war Trauer und Verlust.
Ein Moment der Unachtsamkeit hatte zur Folge, dass sie fiel, vor ihren Augen nur noch matschige Blätter, Bräune sehend. Sie glaubte, ihre Haarspange wieder gefunden zu haben.
Altes schien aus verborgenen Ecken ihres Bewusstseins hervorzukriechen, zäh und langsam sickerte es aus Spalten hervor und überwand alte Grenzen, die niemals welche gewesen waren. Es verwirrte sich zu einem Strudel, der sie hinunterzog, immer weiter, ohne ein Ende, so dass sie aufsprang und lief, um dem Sog zu entkommen.
Alles verwischte zu Dunkelheit und hellen Schatten, Bilder blitzten auf, Männer, Frauen, Kinder, so viele Menschen, dessen Namen sie nicht kannte, verschwanden im Fluss der Zeit.
Immer noch lief sie, hörte Stimmen und spürte von neuem Schmerzen, wie ein Schlag in die Magengegend, dass sie taumelte und fast fiel. Aber noch war es nicht so weit, sie musste wissen warum, musste endlich verstehen, was geschehen war. Ihre Umgebung war fort, es zählten nur noch ihre Gedanken, die zähflüssig durch ihren Geist flossen und mehr zeigten, eine andere, alte Welt, die nicht mehr existierte. Eine Welt der Angst und Unsicherheit.
Dunkel.
Warum fühlte sie die Erde nicht mehr unter sich? Kälte die ihr die Glieder hinauf kroch, bald ihr Herz erreichte und sie im Laufen stocken ließ, nicht aber ihre Erinnerungen einfror. Der Fluss war nicht mehr aufzuhalten, ebenso wenig wie die Schmerzen, die auf ihren ganzen Körper übergriffen und sie immer weiter antrieben zu laufen.
Vergangenheit hatte keine Bedeutung mehr, sie lag bei den Sternen und würde sich nicht mehr wiederholen, sie war nicht mehr Teil ihres Lebens, eine tote Erinnerung, schwammig und unansehnlich.
Eigentlich wollte sie es nicht sehen.
Eigentlich lief sie gerade aus diesem Grund weiter.

Die Welt löste sich auf. Aus Dunkelheit wurde Licht und die Bruchstücke flossen ineinander und zersetzten sich wieder, wurden zu Farben und unbekannten Formen. Alles schien klar zu sein, der Weg den sie gezeichnet hatte, wäre begehbar, auch wenn sie fiel. Unter ihr war nichts mehr, nichts mehr zu laufen, keine Erde, nur noch Tiefe, die sie hinunterzog.
Verwirrung beherrschte sie, das Fallen schien kein Ende zu nehmen bis sie schwebte, irgendwo im Licht, während sie sich sorgte, dass Ma'el gar nicht wissen würde, wo sie war und dass sie gar nicht hatte gehen wollen, er würde nicht erfahren wer sie war, obwohl er es in einer Art besser gewusst hatte, als sie selber, Khadija war nur ein allzu passender Name gewesen.

Der Aufschlag auf dem Boden war schmerzhaft hart und auch wenn es sie wie ein Blitz durchfuhr, glaubte sie dennoch nichts zu spüren, ihr Rücken schien taub wie alles andere in ihr. Helle blaue Augen sahen in den Himmel, ohne etwas zu sehen, erblickten nur das, was sie wollten, ein helles Licht und Farben, die an die Interdimension erinnerten und Wege in eine andere Welt zeigten.
Dort war nur Wärme.

 

ENDE

 

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