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  „Eine fast unmögliche Handlung” von Se'la   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Dezember 2003
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Li'ens und Liams erster Weihnachtsbummel und Tannenbaum.
Zeitpunkt:  Zwischen „Li'en” und „Insel der Vergessenen”
Charaktere:  Li'en, Liam, Da'an
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Adventskalenders 2003 geschrieben.
 

 

EINE FAST UNMÖGLICHE HANDLUNG

Kapitel 1

 

Als Liam die kleine Wohnung von Li'en betrat, empfing ihn Stille. Kein Laut war zu hören außer des gleichmäßigen Tickens der Uhr in ihrem Wohnzimmer, des Summens des Kühlschrankes und den Geräuschen der Vögel draußen im Baum.
Einen Moment dachte er, sie wäre nicht da. Dass sie nicht auf ihn reagierte, war etwas Neues. Sonst war sie sofort bei ihm, wenn sie die Tür hörte, und bestürmte ihn mit Fragen oder ihren Erlebnissen. Er vermisste dies nun sehr.
Leise schloss er die Tür hinter sich und ging weiter in die Wohnung hinein. Vielleicht war die Hybridin ja krank und schlief deshalb - ohne Grund würde sie das um diese Uhrzeit kaum tun. Wenn sie es denn tat.
Mit leisen Schritten durchquerte er den Flur, der in vielen verschiedenen Farben gestaltet war. Er war froh, dass das Wohnzimmer, in das er kurz hinein schaute, recht einheitlich in Braun und Schwarz gestaltet war. Schon wollte er weiter gehen, als er Li'en dort in einem der Sessel sitzen sah. Er ging den halben Schritt wieder zurück und klopfte an den Türrahmen, bevor er in ihr Wohnzimmer trat. Etwas erschreckt sah sie auf.
Sie saß im Schneidersitz, ein Buch auf ihren Beinen. Als sie Liam sah, breitete sich ein Lächeln auf ihren Gesicht aus. „Oh, du bist schon da?, fragte sie langsam. „Guck mal, was ich hier habe - das hab ich unter Renées Büchern gefunden! Stolz hielt sie ein Buch empor, auf dem ganz deutlich ein großer Tannenbaum abgebildet war. „Aber weißt du was? Ich mag es nicht! Sie haben den Tannenbaum umgebracht und haben ihn auch beleidigt! Und er konnte sich noch nicht mal wehren! Sie haben ihm den Stern weggenommen und nun freuen sie sich auch noch, dass er beim Verbrennen so knackt! Wie kann man dann behaupten, dass Taelons so schlimm sind? Menschen sind ja viel schlimmer! Traurig blickte sie ihn an und reichte ihm dann das Buch. Sie wollte es auf keinen Fall behalten!
Mit einem Seufzen nahm Liam es entgegen. „Es ist nur eine Geschichte...”
„Ja, eine ziemlich behämmerte! Was hat das denn mit Weihnachten zu tun... Krieg ich von dir auch ein Geschenk?”
Etwas irritiert schaute Liam sie an. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, Weihnachten zu feiern, aber für sie wäre es das erste Mal. Da konnte er ja kaum nein sagen!
„Natürlich! Ich hoffe, du weißt schon was für mich! sagte er mit einem Grinsen.
„Wieso ich für dich? Man bekommt zu dem Fest Geschenke! Und Schokolade! Nirgendwo steht, dass man das den anderen wieder geben muss! Ich will das nicht machen! Wofür bekomme ich denn dann Geschenke? Dann könnte ich mir ja auch alles selber kaufen! erwiderte Li'en wütend und verschränkte die Arme.
„So weit ich das verstanden habe, ist es das Fest der Liebe! Deswegen verschenkt man das Ganze! Und natürlich der Familie...”
Li'en starrte ihn an, dann blickte sie zu Boden. „Dann mag ich das Fest nicht... Ich hab keine Familie! sagte sie scheinbar beleidigt. Innerlich allerdings war sie plötzlich wirklich unglücklich. Er hatte sie wieder an ihre Familie auf der Basis erinnert. Mühsam unterdrückte sie ihre aufsteigenden Tränen und versuchte, den Schmerz nicht offen zu zeigen. Die Leere in sich spürte sie noch immer, und das wo es nun schon ein paar Tage her war.
„Ich bin sicher, Augur und Renée werden gerne mit uns feiern! Liam lächelte und sprach mit sanfter Stimme zu ihr.
Li'en hatte vergessen, dass auch er keine Familie hatte und sie nicht wirklich allein war.

Aber nach Renée war sie misstrauisch geworden. Hatte er diesen Vorschlag nur gemacht, damit alle mehr auf sie Acht geben könnten?
„Mh... vielleicht... sagte sie nur mit leiser Stimme. Als wenn diese Leute ihre Familie ersetzen konnten! Vielleicht konnte ja Liam ohne eine leben und ihm reichten dann auch Renée und Augur und vielleicht auch die Arbeit im Widerstand und Da'an. Ihr würde nichts von all dem jemals reichen.
„Willst du immer noch Schokolade? unterbrach seine Stimme ihre Gedanken.
Liam hatte vor, sie irgendwie aufzuheitern. Ihr zu sagen, dass es eine Feier mit Familie war, war wohl ein Fehler gewesen.
Li'en war froh über diese Ablenkung und nickte. „Weißt du, was ich nicht verstehe? Wie kann man nur auf die Idee kommen, dass es da Engel im Himmel gibt und die bringen den Kindern dann Geschenke? Ich hab beim Fliegen noch nie welche gesehen! Und auch in der Interdimension sind sie nicht! Ebenso wenig wie diese merkwürdigen Weihnachtsmänner! Davon gibt es viel zu viele... Du, Liam, ich hab eigentlich noch nicht mal verstanden, wie Maria überhaupt einfach so ein Kind bekommen konnte... aber ich glaube so wichtig ist das nicht... Während sie sprach, stand sie bereits auf, nahm einen Mantel vom Garderobenhaken und zog Liam aus der Wohnung, wobei sie es beim Weggehen noch schaffte, die Tür abzuschließen. „Ich hab in einem Laden Lebkuchen gesehen und Spekulatius und viele Weihnachtsmänner. Und ich brauche noch einen Adventskalender... gehen wir da hin?”
Immer noch leicht grinsend antwortete Liam: „Ich denke das gibt es zu dieser Zeit in nahezu jeden Geschäft. Was viel wichtiger ist, ist dass du dir einen Weihnachtsbaum kaufst und dazu Schmuck...”
Li'en ließ ihn kaum ausreden und schrie statt dessen voller Entsetzen auf. „Nein! Ich will keinen Tannenbaum! Ich bin mir sicher, er will nicht von mir verbrannt werden...!”
Liam konnte sie kaum beruhigen, derart erregt war sie nun wegen seines Vorschlags. „Li'en! Es war nur eine Geschichte! Natürlich wird er nicht verbrannt und er wird bestimmt nicht darüber nachdenken können! Er hat kein Gehirn! So sehr er Li'en auch trösten wollte, konnte er ein Lachen einfach kaum unterdrücken. Immer noch etwas weinerlich, aber jetzt nicht mehr schreiend, fragte sie: „Du meinst, es macht ihn nichts aus, in meine Wohnung zu kommen?”
„Ich hab noch nie gehört, dass sich einer beschwert hat!”
Nachdenklich sah sie Liam an und beide verließen das Haus, gingen zu einem Taxistand. Mit der Bahn zu fahren, fand Li'en zwar viel witziger, aber Liam meinte ein Taxi würde nicht so oft anhalten und demnach auch nicht so viel Zeit brauchen.
„Vielleicht möchte er ja auch kommen, weil ihm kalt ist...”
„Natürlich...”
„Schön! freute sie sich sofort und, kaum dass das Taxi die Strecke zu der Stelle, die sie angegeben hatten, erreicht hatte, war Li'en die erste, die heraus sprang.

Die Stadt war voll von Menschen und erfüllt von den unterschiedlichsten Gerüchen. Anders als beim ersten Mal, als sie in eine Stadt abgekommen war, kam sie ihr nicht beängstigend vor. Sie konnte nun selbst dort das Leben sehen, wie es pulsierte und um sie herum war. Es entlockte ihr ein Lachen und sie drehte sich einmal im Kreis herum. Die Glocken der weiß-rot verkleideten Männer und ihr Geschrei, die vielen Menschen die mit ihren schweren Taschen bepackt durch die Straßen rannten, alles erzeugte in ihr für eine begeisterte Stimmung. So hatte Li'en diese Stadt noch nie gesehen, zugegeben sie war auch noch nicht oft da gewesen. Überall konnte sie Lichter sehen, die nur noch nicht angeschaltet waren. Und dann all der Schmuck und die Girlanden in den Schaufenstern! Alles war so bunt und glitzernd!
„Warte, Rebekka!”
Verwirrt drehte sie sich um. An ihren neuen Namen hatte sie sich immer noch nicht gewöhnt und mitbekommen, dass sie weiter gelaufen war und zwar ohne Liam, hatte sie auch nicht.
Nun drehte sie sich lachend mitten in der Menge um, ging weiterhin rückwärts und rief: „Komm!”
Liam hatte einige Schwierigkeiten zu ihr zu kommen, aber dann hatte er es doch geschafft und hielt sie am Arm fest.
„Vielleicht solltest du daran denken, dass ich das Geld habe.”
Li'en grinste ihn nur an und zerrte ihn schon in das erste Geschäft, in dessen Schaufenster sie einfach wunderbare Dinge entdeckt hatte.

Als sie wieder hinaus kamen, hatte Liam schon diverse Taschen in der Hand, angefüllt mit Süßigkeiten, Schmuck, von dem er meinte, dass man damit den Tannenbaum schmücken müsste und natürlich eine Menge von den leuchtenden und nichtleuchtenden Figuren, Lichterketten, jede Menge Geschenkpapier und alles was sie finden konnte, was nur annähernd etwas mit Weihnachten etwas zu tun hatte. Li'en gefiel vor allem dieser singende und sich bewegende Weihnachtsmann, seine Stimme klang zwar etwas schräg, aber sie wollte Augur bitten, ihm eine andere zu geben. Das bekam er doch bestimmt hin!
Liam hatte Li'en dann gerade noch daran hindern können, einen im Bett schnarchenden Weihnachtsmann zu holen, von dem sie überzeugt war, dass er gut in Liams Wohnung passte.
Aber auch er verließ das Kaufhaus, nach den Stunden die sie darin verbracht hatten, lachend. Ihm hatte das Einkaufen auch Spaß gemacht, wenn er nun auch alles tragen musste. Allein schon Li'en lachend zu sehen, war schon etwas besonderes und Liam war froh, dass Da'an ihn an diesen Tag nicht gebraucht und sich bisher auch noch nicht gemeldet hatte.
Es waren immer noch viele Menschen unterwegs, mindestens so vollbepackt wie Liam und es war dunkel geworden. Die Lichter über den Straßen und in den Schaufenstern, um die Gebäude herum und auch in den Fenstern der verschiedenen Büros, waren eingeschaltet Überall blinkte es und Li'en fühlte sich so zusammen mit Liam in den Straßen wohl. Auch wenn dieses helle Licht die Sicht auf die Sterne störte, von denen sie doch so fasziniert war.
„Also, du weißt jetzt, was ich mir alles wünsche, ja?” fragte sie Liam bereits zum wiederholten Male. Diese Kaufhäuser waren doch wirklich etwas wunderbares! Es waren so viele Sachen darin, die man kaufen konnte und dann auch noch alle billiger, so weit Li'en das verstanden hatte, alles wegen Weihnachten. War das nicht nett von den Geschäftsleuten? Sie wussten, dass man viele Geschenke kaufen musste und somit machten sie einiges billiger, damit man auch wirklich allen etwas schenken konnte. Also konnte ihr Liam auch ruhig etwas mehr schenken.
„Ja, und zwar nahezu alles, was in diesen Kaufhaus zu haben war!”
Sie lachte wieder.
„Müssen wir schon wieder nach Hause?”
Er grinste. „Du schon...”
„Wohin willst du denn gehen?”
„Einen Baum für dich kaufen...”
Strahlend sprang sie ihm um den Hals, konnte kaum ihre Energielinien verbergen.
„Ich will mit! Lass mich auch einen Baum aussuchen!”
Er schüttelte den Kopf. „Lass mich das machen... du kannst ja dann schon mal Kaffee kochen, wenn ich wieder zurück komme...”
„Ich mag aber kein Kaffee!” grummelte sie beleidigt.
„Du darfst dir auch gerne etwas anderes machen... sagte er und drückte ihr die Taschen in die Hand, bevor er in der Menge verschwand.
Mit einem Seufzen schleppte Li'en sie bis zu einem Taxistand und war froh, dass dieser nicht so weit weg gewesen war. Sie konnte sich nicht vorstellen, damit nun nach Hause zu laufen. Vielleicht hatten sie doch etwas zu viel eingekauft?
Etwas mühsam stieg sie in eines der Autos ein, sobald es neben ihr hielt. In Gedanken beschäftigte sie sich damit, zu fluchen, dass sie nicht einfach ein Portal nehmen konnte!

Nachdem sie wieder nach Hause gekommen war, beeilte sie sich in die Wohnung zu kommen. Es war kälter geworden und auch der Wind war etwas schärfer als sonst, dass sie schon ihren Mantelkragen hoch geklappt hatte und ihre Finger vor Kälte rot und steif geworden waren. Zum Aufschließen musste sie die Taschen abstellen und kramte mit fast unbeweglichen Fingern in ihren Manteltaschen. Bis sie dann in ihrer Wohnung war, dauerte es so eine Weile, aber sobald sie alle Tüten abgestellt hatte und die Tür hinter sich geschlossen hatte, fühlte sie sich gleich besser.
Dort war es warm und ihrer Meinung nach auch recht gemütlich. Die Taschen ließ sie dort einfach stehen und ging in ihre Küche. Sie war klein und sitzen konnte man darin nicht. Die Schränke waren weiß, ebenso wie der Kühlschrank, was ihr ganz und gar nicht gefiel. Immerhin so wenig, dass sie alles mit Aufklebern, Zeitungsausschnitten und Bildern aus Magazinen, die ihr gefielen, beklebt hatte. So sah es doch schon viel besser aus. Was sie dabei nahezu zwanghaft vermied, war jedes Bild, auf dem ein Taelon zu sehen war. Es reichte, dass sie diese sehen musste, wenn sie Shuttle flog. Sie hatte auch nur ein einziges Bild von einem bestimmten Taelon in ihren Schrank gelegt, Da'ans. Er war eine Ausnahme, auf jeden Fall für eine kurze Zeit.
Auf einer Arbeitsplatte, neben dem Kochfeld, stand dann auch eine Kaffeemaschine, die eigentlich nur wegen Liam die Chance hatte, in ihren Haushalt zu existieren... wer trank denn schon Kaffee?
Nachdem sie diesen vorbereitet hatte, widmete sie sich gleich einer angenehmeren Tätigkeit, dem Kakao machen, wobei sie natürlich einen warmen haben wollte... dieser war dann auch schneller fertig, als Liams Gebräu, so dass sie mit der Tasse ins Wohnzimmer verschwinden konnte. Als der Mann, auf den sie wartete, nach ein paar Minuten immer noch nicht gekommen war, was ihr sehr lange erschien, schnappte sie sich wahllos eine Tasche und holte alles an Süßigkeiten heraus, die sie finden konnte. Einiges davon hatte sie noch nie gesehen. Sie kannte vielleicht Schokoladentafeln, aber den Rest doch nun wieder auch nicht. Das beste an dem Ganzen war natürlich, dass sie in ihrer Wohnung ihre Energielinien nicht verbergen musste und so die Köstlichkeiten ohne Beeinträchtigung genießen konnte.

Als dann Liam nach einer Weile an der Tür klopfte, was eigentlich bei dem Lärm, den er dabei veranstaltete untertrieben war, war der Kaffee schon fertig und Li'en lag mit einem vollen Magen auf der Couch, halb schlafend.
Bei dem lauten Gepolter war sie allerdings schnell wieder auf den Beinen und rannte zur Tür. Sie ließ Liam gerade Zeit, stöhnend und außer Atem in die Wohnung mit dem Tannenbaum zu kommen, dann schloss sie die Tür und konnte sich nur schwer bremsen, die ganze Zeit zu reden.
„Oh, ich hab die Tüten schon ohne dich ausgepackt, aber das schmeckt wirklich alles gut! Selbst die Weihnachtsmänner. Aber am besten sind die Lebkuchenherzen, die mit der Füllung! Und diese kleinen Schokokugeln mit der Nougatfüllung... herrlich! Die musst du unbedingt auch mal probieren...”
Während Liam den schweren Baum in das Zimmer schleifte, sprang sie, so gut es ging um ihn herum und kam kaum mehr zur Ruhe. „Ich glaube, dein Kaffee ist jetzt schon kalt, ich weiß nicht, wie gut meine Thermoskanne ist, aber das macht dir bestimmt nichts aus, oder? Ich meine... es schmeckt so oder so nicht!”
Sie ging zurück zum Tisch und nahm sich ein paar Lebkuchen aus der Schachtel, um gleich darauf wieder zu Liam zurück zu kehren.
„Hast du aber einen schönen Baum ausgesucht, aber eigentlich musst du ihn doch aufstellen und nicht in der Gegend herumschleifen, das gefällt ihn bestimmt nicht. Warte, mein lieber Baum, ich hol dir schnell einen Eimer, oder so... sprach sie zu dem Baum gewandt und tätschelte ihm seine Spitze, um gleich darauf aus dem Raum zu verschwinden.
„Li'en! Warte! Er braucht einen speziellen Behälter, ein Eimer wird da nicht reichen! rief er ihr hinterher.
Sofort blieb sie stehen und sah ihn fragend an. Er hatte mittlerweile den Baum auf den Boden gelegt und wandte sich etwas geschafft Li'en zu.
„Du hättest dir wen zum helfen holen sollen...”
Liam ging an sie vorbei, in den Flur und öffnete wieder dir Tür, woraufhin er mit einem Tannenbaumständer zurück kam.
„Da kommt er rein!” sagte er bestimmt und beschäftigte sich daraufhin über eine Stunde damit, den Baum auch wirklich dort hinein zu bekommen, immer von Li'ens Kommentaren unterbrochen, ob er sich denn auch sicher war, dass er dort hineingehörte und ihr lautes Lachen, als es wieder nicht funktionierte und er den Baum ins Gesicht bekam. Dann hatte er es aber auch geschafft.
In der Zwischenzeit hatte Li'en es allerdings auch geschafft, sämtlichen Schmuck heraus zu kramen und im Zimmer zu verteilen, wobei sie ganz entzückt vom weißen Lametta war, dass nun auch auf ihr lag, ebenso von den schönen Christbaumkugeln, die sie extra in rot, weiß und grün gekauft hatte, und die natürlich alle an den Baum mussten.
„Ich schmück den Baum, ganz alleine!” rief sie, kaum dass er auch nur halbwegs gerade stand, stieß Liam aus dem Weg und bewarf den Baum mit Lametta. Nur mit den Kugeln hatte sie einige Probleme, diese mussten man anders an diesem befestigen als das Lametta. Das hing einfach so herunter und sah wirklich wie Engelshaar aus. Sie hatte zwar noch keine Engel gesehen und erst recht nicht ihre Haare, aber das war ganz bestimmt so.
Das einzige, das sie nicht alleine hinbekam, war die Spitze.
„Liam...?” fragte sie mit flehender Stimme, während sie den weißen Stern in der Hand hielt.
Dieser hielt die Hand auf und Li'en gab ihm den Stern etwas widerwillig. Warum sollte er das Vorrecht haben, dem Baum die Spitze aufzusetzen? Das hatte sie machen wollen! Alle waren gemein zu ihr!
Als sie dann allerdings einen Schritt zurück trat und den Weihnachtsbaum so schön geschmückt sah, wobei sie die kaputten Kugeln, die um den Baum herum waren, so gut es ging ignorierte, war sie mit ihrem Tagewerk doch recht zufrieden. Und Liam hatte Recht gehabt, der Baum hatte sich noch nicht beschwert.

Beide setzten sich wieder auf die Couch, Li'en leicht an Liam angelehnt und begutachteten weiter ihre Einkäufe, die natürlich auch ausprobiert werden mussten.
Sie waren gerade dabei ein Geschenk für Renée einzupacken, was Li'en besonders witzig fand, als Liams Global klingelte. Er brauchte eine Weile, um es herauszuholen, denn Li'en hatte ihm just in diesen Moment die Finger an das Paket geschnürt, was natürlich nur ganz zufällig in dem Moment gewesen war, als das Global geklingelt hatte. Nur hatte sie dabei die andere vergessen, die nun auch den störenden Gegenstand öffnete. Li'en wusste schon, dass er nun höchstwahrscheinlich gehen musste. In Gedanken verfluchte sie mit Genuss wer immer da gerade Liam angerufen hatte.
Dass es dann Da'an gewesen war, machte auch keinen Unterschied.
„Ja, Da'an?” fragte er etwas abwesend, während er versuchte seine Hand von dem Paket zu befreien, Li'en versteckte ihre Hände hinterm Rücken und sah viel lieber sehr interessiert dabei zu.
„Es tut mir leid, Liam, Sie um diese Stunde noch anzurufen. Aber ich habe ein wichtiges Gespräch mit ihnen zu führen, über jemand gewissen...”
Liam nickte nur, während Li'en ihn sowohl misstrauisch, als auch unwohl ansah. Er meinte doch wohl nicht sie?
Liam bestätigte nur, dass er verstanden hatte und schloss dann das Global.
„Tut mir leid, aber ich muss wohl noch weg... Ich seh dich dann erst morgen wieder.”
„Morgen muss ich oben bei... Se'la sein. Sie meinte, sie hätte noch etwas mit mir zu besprechen.”
Liam hörte einen Moment auf, seine Hand aus der Schleife befreien zu wollen, ohne gleich das Geschenkpapier zu beschädigen und sah sie an.
„Vielleicht könnte ich dafür sorgen, dass es verschoben wird und dann mit dir zusammen nach ihr hingehen?”
„Nein.” Sie schüttelte den Kopf. Natürlich fühlte sie sich unbehaglich und die Stimmung, die gerade eben erst aufgebaut worden war, wurde dadurch wieder zerstört, aber Se'la würde ihr nichts tun. Sie wusste, dass Liam sie höchstwahrscheinlich wieder zurück holen würde, auf jeden Fall hoffte Li'en darauf. Zudem hatte sie schon eine Ahnung, was Se'la sie fragen würde. Wohl etwas wie sie lebte und was mit ihrer Energie sei... Eigentlich hatte sie gedacht, Se'la würde sich mehr mit ihr beschäftigen, immerhin war sie die einzige, die übrig geblieben war. Wieder war Trauer in ihr, die sie verdrängte. Wer wusste schon, was in Se'la vorging? Selbst Taelons, die ihr nahe standen wussten dies nicht, sonst hätte Da'an schon längst von ihr erfahren.
„Ich denke mal, du wirst dann morgen viel zu tun haben. Hoffen wir, dass du dann an Weihnachten wenigstens nicht weg musst...” Etwas anklagend sah sie ihn an.
„Dafür kann ich dir nicht garantieren...” sagte er langsam. Und in diesen Moment traf er eine Entscheidung. Er wollte, dass für Li'en ihr erstes Weihnachten, wenn sie schon ihr ganzes Leben keine Freude gehabt hatte, schön wurde. Und dafür hatte er sich schon ein besonderes Geschenk für sie ausgesucht. Er brauchte nur die Hilfe von Augur.
Mit einem hintergründigen Lächeln sah er sie an, hatte endlich seine Hand befreit und verabschiedete sich von ihr.

Li'en blieb alleine im Wohnzimmer sitzen, hörte, wie die Tür ins Schloss fiel. Sie sah sich um. Es kam ihr nun, ohne Liam, alles so leer vor. Das Ticken der Uhr erschien ihr übernatürlich laut, der Baum mit seinen angeschalteten bunten Lichtern hatte seinen Glanz verloren. Nun sah er eher düster aus, sein Schatten wie ein Lebewesen aus einer anderen Welt, dass nur darauf wartete, dass sie allein war. Allein mit sich und ihren Gedanken, um ihr dann ihre Vergangenheit zu zeigen. Zu zeigen, wie einsam sie war und dass niemand um sie herum wirklich für sie da sein konnte, da sie anders waren und nicht verstehen konnten. Das Licht, das vorher noch so warm gewesen war, rief nun verstärkt Trauer in ihr hervor. Sie fröstelte und schlang die Arme um ihre angewinkelten Beine, während sie auf der Couch saß und auf das Geschenk starrte. Dieses bunte, betont fröhliche Geschenkpapier, mit diesem kitschigen Motiv, das so etwas wie Freude hervorrufen sollte und Wärme und doch nur eine geschmacklose Zeichnung war, von einem dummen Menschen, der die Realität nicht sehen konnte.
Sie brauchte Liam doch noch! Mindestens so lange, bis sie etwas anderes gefunden hatte. Er war ihr gegenüber immer so gutmütig, einen wie ihn zu finden wäre schwer. Auch wenn sie ihm wohl nicht vertrauen konnte, nahm er doch einen Platz in ihren Leben ein, der nicht leer sein durfte.
Mit einer Handbewegung fiel das Geschenk auf den Boden. Dieser alberne Weihnachtsmann, den sie gerade noch mit Liam hatte singen lassen, stand unterm Weihnachtsbaum und glotzte sie aus seinen Augen so grausam freundlich an. Sie mochte das alles nicht mehr sehen!
Mit einem Ruck stand sie auf und ging in ihr Schlafzimmer. Ein schmales Bett stand dort drin, ein kleiner Schrank, sie hatte niemals viel Wert auf Besitztümer gelegt, und ein kleiner Nachtschrank mit Wecker und Lampe. Sie schlief nicht gerne im Dunkeln.
Die Vorhänge, die vor dem Fenster hingen, schienen schwer und gingen bis zum Boden, waren braun, ebenso der Teppich. Die Tapete hatte sie abgerissen, da sie ein helles Grau zeigte, was für sie fast schon ein Blau war. Vielleicht könnte sie ja irgendwann die Farben wieder sehen, aber momentan eher nicht. Darunter kam die weiße Wand zum Vorschein, an einigen Stellen konnte man noch Fetzen der Tapete sehen.
Die Schränke schienen auch schon abgenutzt, waren braun und passten gut in das Zimmer. Sie nahm sich vor, die Wand rot streichen zu lassen, oder sich eine derartige Tapete zu holen.
Ohne sich umzuziehen legte sich aufs Bett und rollte sich unter der Decke ein.
Li'en entschied, dass sie diese Zeit nicht unbedingt mochte. Es erinnerte sie immer an ihre Familie!

In der Nacht träumte sie von dem Weihnachtstag, wie Liam sie gerade dort verriet und Se'la der Meinung war, sie bräuchte Li'en nun nicht mehr und nun könnte sie zu ihrer Familie zurückkehren. Allerdings auf dem Weg, den auch Je'na gegangen war, als man sie von ihr trennte. Man brachte sie auf ein Schiff und um sie herum war nur Dunkelheit und Stille und Schreie, ihre Familie, die immer noch nach Rache schrie, nicht verstand, warum sie nicht endlich handelte, sondern statt dessen Weihnachten feiern wollte, welches doch gar keine Bedeutung für sie hatte! Sie verstießen sie aus ihrer Familie, wollten sie zurück zu Liam schicken, der allerdings wütend auf sie war, sie nicht mehr wollte und sagte, Li'en hätte sie ausgenutzt. Sie hatte Angst. So große Angst, da alle gegen sie waren und sie nichts tun konnte und gar nicht wusste, was alle von ihr wollten!
Mittendrin wachte sie dann noch einmal auf, weinend und konnte lange Zeit nicht mehr schlafen. Ob Liam wohl wirklich so dachte? Der Gedanke ließ sie einfach nicht mehr los.
Dass sie schließlich einschlief, bekam sie nicht mehr mit. Wenigstens schlief sie nun traumlos.

 

Ende von Kapitel 1

 

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