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  „With or without you” von Ma'ri   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den Eigentümern von Mission Erde/Earth: Final Conflict. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Da'an stellt Boone vor eine Entscheidung
Zeitpunkt:  Fortsetzung zu „Visionen”
Charaktere:  Boone [Liam, Da'an, Lili, Augur]
 
Anmerkung der Autorin:  Der Text für „With Or Without You” ist von U2, nicht von mir! Es ist keine Verletzung der Urheberrechte beabsichtigt!
Widmung:  Für Sky :-) Vielen Dank an Theane und Dilla für's Betalesen und an Sky für's Posten und für ihre Geduld!
 

 

WITH OR WITHOUT YOU

(Visionen, Kapitel 4)

 

Er fühlte sich seltsam, als er den Korridoren der Botschaft auf dem Weg zu Da'ans Büro folgte. Der Companion hatte sich in den letzten zwei Tagen nicht mehr im Krankenhaus blicken lassen. Nicht mehr, seit Lili mit dem Anti-CVI implantiert worden war. Befürchtete er, die Aufmerksamkeit Zo'ors auf sich zu ziehen?
Dass gerade dieser Taelon Synodenführer geworden war ...
Resigniert schüttelte er den Kopf. Liam hatte bestimmt keinen leichten Job gehabt.
Es war schon ein merkwürdiger Gedanke, dass er ein Jahr lang fort gewesen war und nun einfach so zu seinen Aufgaben zurückkehren sollte. So vieles hatte sich verändert ... nicht nur Da'an, was ihm ja bereits aufgefallen war. Nun, er würde später Zeit haben, weiter darüber nachzudenken.
Als er den Raum betrat, sprach Da'an gerade mit Liam, der mit skeptischer Miene seinen Worten lauschte. Der Taelon bemerkte Boone sofort, brach ab und erhob sich. „Commander Boone, ich bin erfreut, Sie wieder bei Kräften zu sehen.”
Boone erwiderte den Gruß und nickte auch Liam kurz zu.
„Treffen wir uns heute abend im Flat Planet?”, fragte der jüngere Beschützer und sah auf die Uhr. „Ich habe nämlich gleich einen Termin, würde aber gerne einige Dinge mit Ihnen besprechen.”
„In Ordnung.” Das hatte er sowieso vorgehabt, um Augur zu fragen, wie es Lili ging.
Der Major verabschiedete sich und verließ das Büro des Companions. Da'an hatte inzwischen wieder Platz genommen und sah auf seine Knie herab, während seine Hände auf den Seitenlehnen ruhten. „Wie geht es Captain Marquette?”, fragte er leise.
„Sie hat sich etwas erholt und ist in Sicherheit.” Immer noch wunderte er sich über das seltsame Verhalten des Companions. Immerhin hätte er sich selbst davon überzeugen können, dass es ihr gut ging, wäre er nicht einfach gegangen, bevor Lili aufwachte.
„Gut.” Eine Pause entstand, bevor er weitersprach. „Ich hoffe, Sie wissen, was das bedeutet.”
Boone runzelte die Stirn.
Der Taelon hob den Kopf ein wenig und sah ihn durchdringend an. „Haben Sie sich nie gewünscht, das CVI in Ihrem Kopf wieder zu entfernen?”, fragte er sanft.
Der Companion-Beschützer schluckte. „Sie meinen ...”
„Es ist Ihre Entscheidung. Denken Sie darüber nach und lassen Sie sich Zeit. Die nächsten paar Tage gebe ich Ihnen frei, damit Sie sich noch etwas erholen können.” Mit einer grazilen Geste entließ er ihn.
Völlig überrumpelt wie er war, verließ Boone den Raum. Mit einer solchen Frage hatte er nicht gerechnet. Noch hatte er sich keine Gedanken über diese neue Möglichkeit gemacht, die sich ihm bot. Natürlich, wenn das Anti-CVI erfolgreich bei Lili eingesetzt worden war, warum sollte es nicht auch bei ihm funktionieren?

 
* * *
 

Er ließ sich von dem Piloten direkt bei seinem Haus absetzen. Als das Shuttle schon längst wieder im Interdimensions-Raum verschwunden war, stand er immer noch reglos auf dem Bürgersteig und starrte auf die Haustür. Zum Glück hatte Sarah es nicht übers Herz gebracht, es zu verkaufen (zumindest war es auf ihren Namen eingetragen). Oder wäre gerade das vielleicht gut gewesen? Sollte er vielleicht endlich loslassen? Alles aufgeben, was ihn an Kate erinnerte? Darum ging es doch eigentlich. Um die Frage, ob er Kate endlich gehen lassen würde.
Langsam ging er auf die Haustür zu, kramte den Schlüssel heraus und schloss sie auf. Schon im Flur stieß er auf ein paar Kartons, die übereinander gestapelt waren. Er ging an ihnen vorbei ins Wohnzimmer. Noch mehr Kartons. Seine Möbel waren allesamt mit weißen Bettlaken abgedeckt. Alles sah wie kurz vor einem Umzug aus. Wahrscheinlich hatte Sarah vorgehabt, das Haus doch zu verkaufen, hatte es sich dann aber anders überlegt.
Einige Minuten lang stand er einfach da und lauschte auf die Stille des verlassenen Hauses. Vielleicht sollte er die Gelegenheit nutzen und das Haus tatsächlich verkaufen. Obwohl er darüber nachdachte, begann er, die Laken von den Möbeln zu ziehen. Erst langsam und zögerlich, dann immer resoluter. Vorerst musste er hier wohnen, weil er nicht wusste, wohin sonst. Natürlich, er hätte Augur fragen können, aber dieser hatte bereits Lili aufgenommen und Boone hätte sich nicht wohl dabei gefühlt, die Gastfreundschaft des Hackers derart auszunutzen. Nein, er würde für eine Weile hier bleiben.
Als er die Laken verstaut hatte, öffnete er den obersten Karton in einem Stapel. Zum Vorschein kamen die Bücher aus seinem Bücherregal. Langsam begann er, sie wieder einzuordnen. Bei einem Band hielt er inne. „Shakespeare - A Summernight's Dream.” Kate hatte es geliebt. Sie waren einmal zusammen in das Theaterstück gegangen. Er lächelte bei der Erinnerung, schlug das Buch an einer willkürlichen Stelle auf und las:
„Asleep, my love?
What, dead, my dove?
O Pyramus, arise!
Speak, speak! Quite dumb?
Dead, dead? A tomb
Must cover thy sweet lips,
This cherry nose,
These yellow cowslip cheeks,
Are gone, are gone!
Lovers, make moan;
His eyes were green as leeks.
O Sisters Three,
Come, come to me,
With hands as pale as milk;
Lay them in gore,
since you have shore
With shears his thread of silk.
Tongue, not a word:
Come trusty sword,
Come, blade, my breast imbrue!
And farewell, friends;
Thus Thisbe ends:
Adieu, adieu, adieu!”
Er klappte das Buch zu und stellte es schnell weg. Was war das nur mit der Liebe, dass Menschen dafür sterben würden? Er selbst gehörte ebenfalls zu ihnen, doch wusste er keine Antwort. Zum Glück hatte Da'an ihn nie gebeten, ihm das Konzept der Liebe zu erklären. Was hätte er ihm erzählen können? Dass Liebe im Grunde nur mit der Konzentration bestimmter Hormone in bestimmten Teilen des menschlichen Organismus zu tun hatte? War es das wirklich?
Er stellte weiter die Bücher ins Regal zurück, danach öffnete er den nächsten Karton. Darin waren viele kleine, in Zeitungspapier gewickelte Päckchen ... Vasen, Teller, Tassen, Gläser ... er wickelte sie aus und stellte sie einzeln an ihren Platz zurück. Dann kam ein Karton mit Kleidungsstücken ... er brachte sie in sein Schlafzimmer und ordnete sie wieder in den Schrank ein. Weiter und weiter packte er seine (und Kates) Sachen aus. Mehrmals musste er ein Flashback unterdrücken. Die Erinnerung kam wie eine Flut, wenn er ein Bild, ein Buch oder eine Schallplatte in die Hand nahm. In einem der letzten Kartons fand er einige Blumentöpfe. Kates Orchideen ... Die zarten Blumen brauchten zu viel Pflege, als dass man sie lange allein lassen konnte. Wahrscheinlich waren sie vertrocknet. Mit welcher Liebe Kate diese Pflanzen umsorgt hatte. Sein CVI ließ die Erinnerung lebendig werden und dieses Mal ließ er das Flashback zu.
Er erlebte noch einmal, wie seine Frau mit der Sprühflasche in der Hand mit den Blumen gesprochen hatte, damit sie besser wuchsen. Er legte seine Arme um sie und flüsterte ihr ins Ohr: „Man könnte meinen, du liebst diese Orchideen mehr als mich.”
Leise lachte sie. „Eifersüchtig?”
„Nur ein bisschen.”
Das Flashback war vorüber, doch er starrte weiterhin auf die leere Fensterbank. Wie hatte er diese Frau geliebt! Und alles, was von ihr geblieben war, war seine Erinnerung und ihr Name auf einem kalten Grabstein. Warum trauerte er immer noch? Nach so langer Zeit? Nein, er wollte sie nicht vergessen, wollte die vollkommene Erinnerung, die das CVI bot, nicht aufgeben. Nur war der Preis für diese Erinnerung, dass er auch niemals über ihren Tod hinwegkommen würde. Jedenfalls nie völlig.
Er gab sich einen Ruck und ging in die Küche. Natürlich war der Kühlschrank vollkommen leer. Aber das war er auch die meiste Zeit gewesen, als er vor über einem Jahr noch hier gewohnt hatte. Nein, er hatte hier nicht „gewohnt”, er war praktisch nur noch zum Schlafen hierher gekommen. Als könnte er fliehen vor den Bildern, Gegenständen und Gerüchen, die ihn an Kate erinnerten.

 
* * *
 

Voller Unlust ging er einkaufen. Keiner beachtete ihn, die Leute waren viel zu hektisch. Aber das war gut so. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, waren sensationslüsterne Menschen, die sich um ihn drängten und etwas von „Wiederauferstehung” faselten. Aber war er nicht wiederauferstanden? Über ein Jahr lang hatte die Welt ihn für tot gehalten und dann kam eine fremde, junge Frau und brachte ihn zurück, woraufhin sie einfach spurlos verschwand. Kate hätte wahrscheinlich gelächelt und gemeint: „Vielleicht hattest du einfach einen Schutzengel.”
Als er wieder zu Hause war, räumte er die Einkäufe weg und ließ sich müde in einen Sessel fallen. Aus Langeweile schaltete er den Fernseher ein. Gerade lief eine Nachrichtensendung. Mal wieder nur das Übliche: Raub, Mord, Unfälle ... Die Ankunft der Taelons hatte die Menschen nicht sehr verändert. Sie lebten immer noch ihr normales Leben, waren immer noch nur auf ihren eigenen Vorteil aus. Manchmal konnte er Zo'or fast verstehen, dass er den Menschen so negativ gegenüber stand. Man brauchte ja nur den Fernseher anzuschalten, um zu sehen, wie es um die Menschheit stand. Die Frage war nur, ob die Taelons wirklich höher entwickelt waren. Wenn er an Rho'ha und Katya Petrenko zurückdachte, konnte man meinen, dass nicht. Ihre Vorgehensweise war vielleicht subtiler gewesen, aber bestimmt nicht weniger grausam als die mancher Menschen.
Resigniert schaltete er den Fernseher wieder aus und ging in die Küche, um sich etwas zum Essen zu machen. Als er nach der Packung Nudeln griff, hatte er ein weiteres Flashback und erlebte noch einmal einen Abend, an dem Kate und er zusammen italienisch gekocht hatten. Inzwischen war es Jahre her und doch wusste er, dass er an diesem Abend wirklich glücklich gewesen war. Nach Kates Tod hatte er diesen Zustand des vollkommenen Glücks nie mehr empfunden.
Condor sandte ihm Hunger-Signale. ‚Ist ja gut, ich esse ja was’, sagte er in Gedanken zu dem außerirdischen Wesen. Appetitlos aß er die Nudeln und blieb dann noch eine ganze Weile vor seinem leeren Teller sitzen. Das Licht, das durch das Küchenfenster von draußen herein fiel, war trübe, wie seine Stimmung. Wahrscheinlich würde es bald anfangen zu regnen. Langsam räumte er das Geschirr in die Spülmaschine, dann ging er wieder ins Wohnzimmer, nahm ein Buch und versuchte zu lesen. Für einige Zeit gelang es ihm auch, sich abzulenken, doch dann las er: „...Welchen Sinn das Leben auch immer hatte, es hat ihn für mich in dem Augenblick verloren, als ich sie verlor. ...” Gequält schloss er die Augen. Er hatte sich eindeutig das falsche Buch ausgesucht! Fast konnte man meinen, die Erinnerung verfolgte ihn, wollte ihn nicht loslassen.

 
* * *
 

Er beschloss, ein wenig joggen zu gehen. Nachdem er sich umgezogen hatte, verließ er das Haus und fing an, langsam die Straße hinunter zu laufen. Schon nach fünf Minuten war er völlig außer Atem. Der Aufenthalt im Tank und im Krankenhaus hatten ihn doch mehr geschwächt, als er gedacht hatte. Er musste es wohl noch langsamer angehen. Wenigstens lenkte es ihn wirklich ab.
Als er zwei Stunden später wieder zu Hause ankam, war er völlig erschöpft. Zuerst stellte er sich unter die Dusche, dann zog er Jeans und einen Pullover an und kochte sich in der Küche Kaffee. Gerade, als er sich damit an den Küchentisch setzen wollte, klingelte das Telefon. Es war Sarah.
„Will? Bist du das wirklich?”, Ihre Stimme klang gebrochen.
„Natürlich. Da'an hat dich informiert?”
„Ja, gestern. Aber ich wollte es nicht glauben.”
„Da bist du nicht die Einzige.”
„Wie geht es dir?”, fragte sie besorgt.
„Ganz gut, wenn man bedenkt, wie lange ich im Tank war.”
„Kann ich dir irgendwie helfen? Brauchst du irgendetwas? Ich kann in ein paar Stunden bei dir sein!”
„Nicht nötig, Sarah. Mir geht es wirklich gut!”
„In Ordnung. Aber ich besuche dich auf jeden Fall zu Weihnachten! Davon kannst du mich nicht abhalten!”
„Ich freue mich darauf. Aber jetzt erzähl erstmal, wie es dir geht! Habe ich was verpasst?”
„Nun ja ...”, sie klang etwas verlegen, „ich habe da jemanden kennengelernt.”
„Erzähl!”
„Er ... heißt Daniel und betreibt ein kleines Restaurant hier in der Gegend.”
„Wie lange kennt ihr euch schon?”
„Zwei Monate. Er ... hat mich angesprochen, als ich in seinem Restaurant saß. Ich ... dachte gerade daran, dass alle Menschen, die mir etwas bedeuten, entweder sterben oder mich einfach verlassen. Er hat sich Sorgen gemacht und da gerade wenig los war, hat er sich zu mir gesetzt ... wir kamen ins Gespräch und ... er erzählte mir, dass er seine Frau vor ein paar Jahren verloren hat ... naja, den Rest kannst du dir ja vorstellen.”
„Das freut mich für dich.”
„Übrigens, du hast bestimmt gesehen, dass ich deine Sachen eingepackt habe. Hör zu, pack sie einfach wieder aus, ja? Ich habe die Besichtigungstermine schon abgesagt. Du hast großes Glück, dass ich das Haus nicht schon verkauft habe.”
„Ich dachte mir, dass du es nicht übers Herz bringen würdest.”
„Ich hatte mich gerade doch dazu durchgerungen.”
„Dann bin ich dir sehr dankbar, Schwesterchen, dass du dich erst jetzt dazu durchgerungen hast”, meinte er lächelnd.
„Ach was, gern geschehen. Sag mal, wann fängst du wieder an zu arbeiten?”
Wenn er das nur wüsste. Sollte er sich für die Entfernung seines CVIs entscheiden, würde er wahrscheinlich nicht mehr für die Companions arbeiten können ... „In ein paar Tagen”, antwortete er vage und wechselte schnell das Thema: „Was ist eigentlich aus Kates Orchideen geworden?” Warum fragte er überhaupt? Im Grunde kannte er die Antwort ja bereits.
„Ich habe sie mitgenommen.”
„Du hast was?” Mehr bekam er erstmal nicht heraus.
„Ich hoffe, du hast nichts dagegen, aber ich dachte ... naja, ich wollte sie nicht vertrocknen lassen. Ich kann sie dir gerne zu Weihnachten mitbringen.”
„Du bist ein Schatz!”
Sie kicherte. „Ich weiß.” Dann wurde sie wieder ruhig. „Du glaubst gar nicht, wie ich dich vermisst habe.”
„Ich kann es mir vorstellen. Wenn es anders herum gewesen wäre, dann ...” Er brach ab.
„Schön, dass du wieder da bist, Will”, meinte sie ernst. „Ich rufe dich morgen nochmal an, ja?”
„In Ordnung. Und grüße Daniel schön von mir.”
„Danke, das werde ich. Mach's gut.”
„Du auch, Sarah.” Damit legte er auf. Er hatte offenbar so einiges verpasst. Und nicht alles konnte er in den Datenbanken nachlesen. Er würde in nächster Zeit einige längere Gespräche führen müssen. Besonders mit einem gewissen Companion.

 
* * *
 

Einige Stunden später betrat er das Flat Planet Café. Wie immer um diese Zeit waren die meisten Tische besetzt, doch von einem von ihnen winkte ihm Liam zu. Boone hob die Hand zum Gruß, ging jedoch zuerst zur Bar, wo Augur arbeitete. Der Hacker bemerkte ihn und kam zu ihm herüber.
„Hallo, Boone. Wieder auf den Beinen?”
„Sieht so aus.” Er lehnte sich etwas über den Tresen und fragte leise: „Wie geht es Lili?”
„Ganz gut. Sie ist nur etwas schweigsam. Möchtest du sie nicht besuchen? Sie würde sich bestimmt freuen.”
„Ich schaue nachher mal bei dir vorbei.”
„Gut”, meinte Augur lächelnd. „Möchtest du was trinken?”
„Ein Kaffee wäre nicht schlecht.”
Der Hacker machte sich daran, ihm eine Tasse zu bringen, während Boone sich im Café umsah. Es waren immer noch die gleichen, seltsamen Leute, die hier verkehrten. Wie früher ertönte Musik aus den Lautsprechern. Die Dekoration war ein bißchen anders, das ganze Café wirkte etwas ... gehobener.
Augur stellte die Tasse vor ihm ab. „Siehst du, was sie aus meinem Flat Planet gemacht hat?”
„Wer?”, fragte Boone verwundert.
„Meine ‚stille’ Teilhaberin, Dr. Belman. Nun ja, sie ist alles andere als still!”
Boone konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. „Warum hast DU eine stille Teilhaberin?”
„Naja, ich habe mich ein bißchen ... ähm ... verspekuliert. Ich musste fast alle meine Bilder und einen Teil des Cafés an Dr. Belman verkaufen.”
„Da sind sie doch in guten Händen.”
„Wenn sie nur eine etwas stillere Teilhaberin wäre. Sie mischt sich ständig ein!”
„Du wirst es überleben, Augur.”
„Das bleibt abzuwarten!”
Boone nickte ihm noch einmal zu, legte das Geld für den Kaffee auf den Tresen und ging zu Liam hinüber. Dieser begrüßte ihn mit einem - offenbar für ihn typischen - jungenhaften Lächeln.
„Darf ich fragen, ob Da'an Ihnen irgendetwas über unsere zukünftige Aufgabenverteilung gesagt hat? Ich meine, wir können nicht beide für die Sicherheit zuständig sein.”
„Nein, er hat nichts gesagt. Ehrlich gesagt steht noch nicht einmal fest, ob ich tatsächlich in meinen alten Job zurückkehre.”
Liam sah ihn erstaunt an. „Warum? Hat Zo'or es sich doch anders überlegt?”
„Nein. Entschuldigen Sie, aber das ist eine Sache zwischen Da'an und mir.”
Der junge Mann lehnte sich ein wenig über den Tisch, um leiser sprechen zu können. „Wenn es für den Widerstand relevant ist, sollten Sie es mir sagen.”
„In Ordnung”, meinte Boone kühl. „Ich bin nicht sicher, ob ich in Zukunft noch für die Companions arbeiten werde. Da Sie allerdings selbst Companion-Beschützer sind, dürfte ich als Doppelagent kein großer Verlust sein. Im Gegenteil: Es ist eher ineffizient, wenn zwei Spione bei demselben Companion, der noch dazu ein Sympathisant der Befreiungsbewegung ist, eingesetzt sind!”
„Es könnte jedoch durchaus von Vorteil sein. Unsere Kräfte wären dadurch besser verteilt.”
„Wir werden sehen, Liam. Noch ist nichts entschieden.”
Liam zuckt die Schultern, lehnte sich zurück und nippte an seinem Glas. Boone schwieg ebenfalls und sah statt dessen den Menschen auf der Tanzfläche zu. Er begann, der Musik zu lauschen. Als er das Lied erkannte, lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken und zugleich überkam ihn ein Flashback:

Kate kam zu ihm herüber gelaufen und hielt ihm die Hand hin. „Komm, Will, sie spielen das Lied!”
Er ließ sich von ihr auf die Tanzfläche ziehen. Die Band spielte das Lied, zu dem Kate und er bei ihrem ersten Rendezvous getanzt hatten, und nun waren sie hier, an ihrem Hochzeitstag ...
Der Sänger begann, zu singen:

See the stone set in your eyes
See the thorn twist in your side
I wait for you
Sleight of hand and twist of fate
On a bed of nails she makes me wait
And I wait ... without you

With or without you
With or without you

Through the storm we reach the shore
You give it all but I want more
And I'm waiting for you

With or without you
With or without you
I can't live
With or without you

And you give yourself away
And you give yourself away
And you give
And you give
And you give yourself away

My hands are tied
My body bruised, she's got me with
Nothing left to win
And nothing else to lose

With or without you
With or without you
I can't live
With or without you

Er neigte sich leicht zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich kann mit dir leben ... aber nicht ohne dich!”
Sie lächelte und schmiegte sich an ihn ...

Das Flashback war vorüber und Boone bemerkte, dass er seine Hände um die Kaffeetasse derart verkrampft hatte, dass seine Handinnenflächen ganz taub geworden waren. Nun lebte er wirklich mit und ohne Kate. Zwar erlebte er hin und wieder Szenen aus seinem Leben mit ihr, doch dieses Leben war vergangen. Kate war fort.

 
* * *
 

Leise glitten die Türen des Aufzugs auseinander und er betrat Augurs unterirdische Wohnung. Eine seltsame Vorstellung, dass hier früher ein paar Dutzend Leute beschäftigt gewesen waren, um Möglichkeiten zu finden, die Taelons zu bekämpfen. Jetzt war es einfach eine moderne Wohnung. Zugegeben, sie war mit Computern und Augurs gesamten technischen „Spielzeug” vollgepackt, doch man sah, dass jemand hier tatsächlich wohnt. Im Gegensatz zu seiner eigenen Wohnung.
„Schon wieder zurück? Ich dachte, du wolltest heute länger arbeiten?”, erklang Lilis Stimme vom Sofa her. Sie hielt ein Buch in den Händen und hatte sich nicht umgedreht.
Boone musste lächeln. „Hallo, Lili.”
Sie drehte sich erschrocken um. „Boone!” Dann stand sie auf und kam auf ihn zu gehinkt. Er beeilte sich, ihr entgegen zu kommen. Jetzt, da endlich keiner von ihnen mehr in einem Krankenhausbett lag, begrüßten sie sich mit einer langen Umarmung. Dann setzten sie sich auf das Sofa.
Lili zog vorsichtig die Beine an und sah ihn lächelnd an. „Wie geht es Ihnen?”
„Ganz gut, aber ... Lili ... wie wäre es, wenn wir endlich zum ‚Du’ übergehen würden?”
Sie nickte. „In Ordnung. Wir arbeiten jetzt ja nicht mehr zusammen.” Ihre Stimme klang etwas traurig, als sie das sagte.
„Du vermisst deinen alten Job, oder?”
Wieder nickte sie. „Ich werde wahrscheinlich nie wieder ein Shuttle fliegen, William. In die Öffentlichkeit kann ich mich kaum noch wagen. Es würde nicht einmal etwas ändern, wenn ich das Land verließe.” Plötzlich lachte sie leise. „Ein Leben im Untergrund ... irgendwie hatte ich es mir anders vorgestellt.”
„Wie denn?”
„Ich weiß nicht. Abenteuerlich, vielleicht. Aufregend. Aber ich sitze hier herum, die Decke fällt mir bald auf den Kopf und ich kann nichts tun! Früher hatte ich wenigstens noch Freunde, eine Aufgabe, eine Arbeit, die mich vom Nachdenken abgehalten hat.”
„Vom Nachdenken worüber?”
Sie sah ihm direkt in die Augen. „Als mein Bruder gestorben ist, habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Als mein Vater gestorben ist, habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Als du gestorben bist, habe ich mich in die Arbeit gestürzt! Als Paul gestorben ist, habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Um zu vergessen! Um nicht nachdenken zu müssen, ob es das wirklich wert ist. Ob dieser Kampf all die Verluste wert ist, die wir erleiden!”
Sie schwiegen beide. War dieser Kampf es wert, gekämpft zu werden? Genau diese Frage stellte er sich im Grunde auch, nur hatte er sie anders formuliert. War dieser Kampf es wert, dass er seine Frau verloren hatte und damit seine Zukunft? War dieser Kampf es wert, dass er ihm sein Leben widmete? Und wofür kämpften sie überhaupt?
„Das frage ich mich auch manchmal.”
Verwundert stellte er fest, dass er die letzte Frage offenbar laut gestellt hatte.
Lili fuhr fort. „Früher war es einfacher. Es gab noch Gut und Böse.”
„Gut und Böse gibt es nur in unseren Köpfen.”
„Nur sind uns unsere eigenen Wertmaßstäbe am nächsten.”
Wieder schwiegen sie beide eine ganze Weile, bevor Boone das Schweigen brach: „Da'an hat mir angeboten, mein CVI ebenfalls entfernen zu lassen.”
Lili sah ihn erstaunt an. „Und? Was hast du geantwortet?”
„Ich habe mich noch nicht entschieden.”
Lili nickte und sagte leise: „Kate.”
Boone lächelte. Seine frühere Assistentin kannte ihn besser, als er gedacht hatte. „Ja, Kate. Ich würde die vollkommene Erinnerung an sie verlieren.”
„Meinst du nicht, du würdest dich auch ohne CVI an sie erinnern? Du würdest sie doch nicht von heute auf morgen vergessen!”
„Nein. Aber ... die Flashbacks, die ich manchmal erlebe ... sie sind so realistisch, als wäre sie noch bei mir. Manchmal träume ich auch von ihr und glaube beim Aufwachen, sie läge neben mir. Andererseits habe ich auch viele Erinnerungen, die ich lieber nicht so deutlich vor mir sähe.”
„Der Krieg”, meinte Lili gedankenverloren.
„Ja. Und noch ein paar andere Dinge. Alles hat sich in mein Gehirn gebrannt. Jede Sekunde meines Lebens.” Nach einer kurzen Pause sprach er weiter: „Außerdem wird mein CVI wahrscheinlich irgendwann zusammenbrechen, also sind die Risiken etwa gleich groß.”
„Die Frage lautet also eigentlich: Willst du mit der vollkommene Erinnerung an Kate leben und dafür weiterhin auch die anderen Erinnerungen ertragen? Oder kannst du dich mit den normalen Erinnerungen an sie zufrieden geben und dafür die Klarheit anderer, unangenehmerer Erinnerungen ebenfalls los werden?”
„Weiterhin lautet die Frage, ob ich ohne CVI noch für die Companions arbeiten könnte.”
„Warum nicht? Liam hat doch auch kein CVI.”
„Ich bezweifle ernsthaft, dass Zo'or es dulden würde, wenn auch noch Da'ans zweiter Beschützer ohne CVI seiner Tätigkeit nachgeht.”
„Da könntest du recht haben.” Sie starrte nachdenklich auf das Buch in ihren Händen. „Deinen alten Job könntest du also wahrscheinlich auch nicht mehr ausführen. Dann stellt sich die Frage, ob du die Freundschaft mit Da'an opfern willst.”
Diesen Gedanken hatte Boone offenbar erfolgreich verdrängt, doch jetzt wurde ihm die Tragweite bewusst, die die Entfernung seines CVIs wirklich hatte. Er würde Kate vollkommen verlieren, er würde wahrscheinlich nicht mehr näher mit Da'an zusammenarbeiten, er hätte keinen Nutzen mehr für den Widerstand. Und das alles, um ein paar Alpträume los zu werden?
Kate war tot! Sie war gestorben und begraben. Vielleicht würde er niemals völlig über den Tod seiner Frau hinwegkommen, aber lag es wirklich an seinem CVI? Lag es an der vollkommenen Erinnerung? Oder einfach daran, dass die „wahre Liebe”, wenn man sie verlor, einen sein ganzes Leben lang schmerzte? Wer sagte ihm, dass er besser mit dem Verlust fertig würde, wenn er kein CVI mehr hätte?
„Entschuldige bitte, aber ich muss ganz dringend weg”, meinte er plötzlich. Lili sah ihm verwundert nach, als er aufsprang und zum Ausgang hastete.

 
* * *
 

Da'an saß auf seinem Stuhl unter einem Regen aus winzigen, blauen Energiefunken, als er eintrat. Fasziniert blieb er stehen und beobachtete, wie das Energiemuster des Companions an verschiedenen Stellen aufleuchtete, das Licht seines Körpers regelrecht zu pulsieren schien. Es erinnerte ein wenig an die Reflexion von bewegtem Wasser, das geheimnisvolle Muster malte. Irgendwann richtete der Taelon sich auf, deaktivierte den Energiestrom und sah ihn fragend an.
„Darf ich fragen, was Sie um diese Uhrzeit hier machen, Commander Boone?”
„Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich habe mich entschieden.”
Da'an senkte ein wenig den Kopf und sah ihn forschend an. „Sie möchten Ihr CVI also entfernen lassen?”
„Nein, ich möchte es behalten.”
Erstaunt neigte der Companion den Kopf ein wenig zur Seite. „Und diese Entscheidung haben Sie sich gut überlegt?”
„Das habe ich.”
Der Taelon erhob sich und kam von dem kleinen Podest, auf dem sein Stuhl stand, herunter. „Bitte, erklären Sie es mir. Ich dachte, Sie fühlten sich nicht wohl mit dem CVI.”
„Es wäre gelogen, wenn ich das leugnen würde. Sie wissen ja bereits, dass mein Motivations-Imperativ nie wirklich funktioniert hat.”
Da'an senkte bestätigend den Kopf.
„Es war manchmal schwierig, den gehorsamen Implantanten zu mimen, und ich kann nicht sagen, dass die vollkommene Erinnerung nur Vorteile hätte.”
„Warum wollen Sie das CVI dann behalten?”, Der Taelon unterstrich seine Frage mit einer grazilen Geste.
Boone schaute zum Fenster hinüber. Die Lichter der Stadt schimmerten durch das virtuelle Glas. „Manche Menschen sagen: man stirbt erst wirklich, wenn man vergessen wird. Meine Frau ist gestorben, Da'an.” Er sah dem Taelon direkt in die Augen. „Aber in gewisser Weise lebt sie noch ... hier drin.” Dabei deutete er auf seinen Kopf. „Ich möchte sie nicht verlieren. Nicht noch einmal.”
Der Taelon schwieg und sah ihn bekümmert an.
„Außerdem”, fuhr Boone lächelnd fort, „weiß ich ja jetzt, dass der Schlüssel zu meiner Freiheit bereit liegt.”
Da'an nickte und kehrte mit langsamen Bewegungen zu seinem Stuhl zurück. Er ließ sich darauf nieder und sah Boone eine Weile lang schweigend an. Dann sagte er leise: „Sie haben immer noch Urlaub, Commander. Sie sollten vielleicht nach Hause gehen und etwas schlafen.”
„Ja, vielleicht haben Sie recht.”
„Kann ich noch etwas für Sie tun?”
Boone lachte leise. „Früher war ich es, der Sie das gefragt hat. Aber vielen Dank. Ich brauche nichts.”
Ein leichtes Lächeln spielte über Da'ans Gesicht. Gerade als Boone sich zum Gehen wenden wollte, sprach der Taelon ihn noch einmal an: „Gespräche wie diese haben mir gefehlt, Boone. Vielen Dank dafür.”
„Ich genieße sie ebenso”, erwiderte der Commander lächelnd. „Gute Nacht, Da'an.” Damit wandte er sich endgültig um und verließ das Büro des Companions.

 
* * *
 

Am nächsten Morgen stand Boone am Grab seiner Frau. Der Wind strich sanft durch die Blätter der Bäume. Der rothaarige Mann ging in die Hocke und stellte eine weiße Rose in die kleine Vase. Er ließ seine Hand sanft über die Buchstaben ihres Namens gleiten: „Kaitlin Barrett Boone”
„Ich habe dir doch gesagt, ich kann nicht ohne dich leben”, sagte er leise.

 

Ende von Kapitel 4

 

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