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  „Mit'gais Kampf und Berufung” von Inserinna   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Mit'gai erfährt, daß er sterben wird
Zeitpunkt:  spielt während Mit'gais Kindheit
Charaktere:  Mit'gai, [Ro'ha, Me'rel, Ne'ras, Li'es]
 
Kommentar der Autorin:  Nach der Geschichte „Unsichtbare Freunde” von Terry Brooks, und einer Umarbeitung von Snooty, die leider gelöscht wurde. Keine Copyright-Verletzungen beabsichtigt.
 

 

MIT'GAIS KAMPF UND SEINE BERUFUNG

 

Zehn Tage vor seinem dreizehntem Geburtstag war Mit'gai klar, daß er sterben würde. Seit ungefähr sechs Monaten hatte er Kopfschmerzen, ohne irgend jemand davon zu erzählen. Die Kopfschmerzen gingen einher mit einem teilweisen Verlust seines Sehvermögens - ein Zustand, der zwischen zehn und zwanzig Minuten andauerte.
Erst hatte er nicht viel darüber nachgedacht, und es einfach für die Folgen von Überanstrengung gehalten. Denn um so älter wurde, desto anspruchsvoller wurde auch die Grundausbildung und bald würde er sich entscheiden müssen, welcher Kaste er sich anschließen wollte. Beschämt durch seine Unzulänglichkeit, hatte er es sogar vor dem Gemeinwesen geheimgehalten und sich bewußt bei jedem dieser Vorkommnisse von dem kollektiven Bewußtsein entfernt.
Aber zehn Tage vor seinem Geburtstag hatte er einen Anfall, als er gerade durch den Torbogen des Hauses ging, um seinen Lehrer aufzusuchen.
In diesem Zustand konnte er unmöglich durch die Stadt gehen, aber genausowenig herumstehen und so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Nervös begannen seine Hände sich in der Luft zu bewegen, und seine Finger rieben erregt aneinander.
Er sah sich gezwungen, Me'rel von dem Problem zu erzählen.
Me'rel, der ruhig seinem Kind gelauscht hatte, und dessen Miene sich von sanfter Verwunderung, warum Mit'gai wieder hereingekommen war, zu immer größer werdender Besorgnis änderte, ließ seine Hände über das Kommunikationsmodul seines Stuhles gleiten. In dem Datenstrom erschien das Gesicht Ne'ras, des Heilers der Region, und der um sein einziges Kind besorgte Taelon machte sogleich einen Termin aus.
Dann sorgte er dafür, daß Mit'gai sich setzte, bis er wieder richtig sehen konnte, und flog ihn dann mit seinem Shuttle zu dem großen Haus, in dem sein Lehrer wohnte, und fragte ihn unterwegs immer wieder, ob alles in Ordnung sei, wobei Me'rel ihn bei seinem alten Kosenamen nannte, bis Mit'gai glaubte schreien zu müssen.
Die Woge von Mitgefühl und die plötzliche Konzentration, die ihm vom Gemeinwesen widerfuhr, machten es auch nicht leichter für das zuweilen schüchterne Kind.
Als der erste Mond sein Licht am mittlerweile dunkelblauen Himmel zeigte, holte Me'rel, der sonst immer beschäftigt war und kaum Zeit hatte, sein Kind wieder ab, um ihn zum Heiler zu fliegen.
Ne'ras war ungewöhnlich fröhlich, während er Mit'gai untersuchte. Er ging sogar so weit, ihm über dem Kopf zu streichen und eine Bemerkung darüber zu machen, wie schnell er wachsen würde.
Und das war der selbe Heiler Ne'ras, der für gewöhnlich keine zwei Worte für ihn über hatte. Mit'gai begann sich langsam Sorgen zu machen.
Als der Heiler fertig war, schickte er Mit'gai und Me'rel in das nächstgelegene Forschungscenter seiner Kaste, wo weitere Untersuchungen durchgeführt werden sollten. Dazu gehörten Untersuchungen seiner Lebensenergie, spektrale Aufnahmen seines Körpers, Proben seines Energieflusses und eine ganze Reihe anderer Sachen, die allesamt von den kompetenten Händen versierter Forscher und Heiler vorgenommen wurden.
Mit'gai ließ kalte Metallteile an seinem Körper befestigen und sich wiederholt mit langen Nadeln stechen, atmete ein und aus, generierte unterschiedliche Fassaden nach den Anweisungen der Heiler, lag ganz still, hüpfte auf und ab, aber die meiste Zeit wartete er in leeren sterilen Behandlungszimmern.
Als alle Untersuchungen abgeschlossen waren, wurde er heimgeschickt. Er wußte nicht mehr als zu der Zeit, als er gekommen war, abgesehen davon, daß er soetwas nicht noch einmal über sich ergehen lassen würde.

An diesem Abend, als er mit den Aufgaben kämpfte, die sein Lehrer ihm gegeben hatte, und dabei leise Musik hörte, kam Heiler Ne'ras ins Haus. Me'rel rief ihn zwar nicht hinunter, aber das hinderte ihn nicht daran neugierig zu sein. Er spürte die mühsam verhohlene Anspannung der beiden Erwachsenen unten durch das Gemeinwesen. Mit'gai war ein außergewöhnlich sensibles Kind.
Er schlich die Treppe hinunter bis zum Absatz und hockte dort im Dunkeln auf der anderen Seite der halbhohen Wand, oberhalb des Wohngemachs, während Na'ras und Me'rel sich in gedämpften Ton unterhielten. Dabei unterdrückte er das natürliche Glimmen seines Körpers, so gut er es konnte.
Meistes war es Ne'ras, der redete. Er erzählte, daß die ersten Untersuchungsergebnisse vorlagen. Er sprach in seiner leicht nasalen Stimme vom Körper und seinen Zellen und eine Menge anderem Zeug, warf vielsilbige medizinische Begriffe ein, die Mit'gai nicht einmal andeutungsweise verstand.
Dann benutze er die Worte „genetischer Defekt” und „Energieanämie” und „Leptose”. Diesen Teil verstand Mit'gai.
Er war zwar erst dreizehn Zyklen alt, aber er war nicht dumm.
Er blieb auf der Treppe, bis er hörte, wie Me'rel zu schluchzen anfing, und er das von ihm ausgehende Beben fühlte, das durch das Gemeinwesen fuhr. Dann schlich er in sein Zimmer, ohne abzuwarten, ob es noch mehr zu hören gab. Da saß er nun, starrte auf seine unfertigen Aufgaben und versuchte herauszufinden, wie er sich fühlen sollte. Er schien überhaupt nichts zu fühlen.
Er hörte Ne'ras gehen, und dann kam Me'rel zu ihm nach oben. Das machte er selten, und wenn, war es etwas Ernstes.
Er klopfte an und kam herein, als Mit'gai ihn dazu aufforderte, dann stand er da. Er sah so aus, als ob es ihm ganz und gar nicht gutgehen würde. Dann erzählte Me'rel ihm, daß er krank sei und es eine Zeitlang langsam angehen lassen sollte. Dann kniete er sich nieder, umarmte ihn und drückte ihn an sich, und ganz plötzlich hatte Mit'gai schreckliche Angst.
In jener Nacht schlief er nicht viel, noch fand er Ruhe unter seiner Energiedusche. Der junge Taelon ließ auf sich einwirken, was er herausgefunden hatte, versuchte zu begreifen, was sein Sterben bedeutete, und überlegte, ob er das überhaupt für möglich hielt.
Hauptsächlich dachte er an Te'rim, seinen Patenonkel. Te'rim war sein Lieblingspate gewesen, ein ungewöhnlich großer Taelon mit kräftigen Händen, der stets ein Lächeln um seine Züge spielen gehabt hatte.
Er hatte ihm beigebracht, einen Pa'dar-Stab richtig zu halten.
Te'rim hatte ihn an Feiertagen immer mit in die Spiel- und Trainingshallen der Kriegerkaste mitgenommen. Dann wurde er krank. Es kam ganz plötzlich. Er ging in das Forschungscenter der Heiler und kam nicht wieder raus.
Me'rel nahm Mit'gai ein paar Mal mit in das Center, damit auch er ihn besuchen konnte. Da war von Te'rim aber schon nicht mehr viel übrig. Seine früher so starken Hände waren so schwach, daß er sie kaum hochheben konnte. Das Lächeln war erstorben und er sah aus, als ob er schon uralt wäre.
Dann starb er. Niemand sagte es ganz offen heraus, aber Mit'gai wußte, was ihn umgebracht hatte. Und er hatte immer den Verdacht gehegt, tief in seinem Innersten, dort, wo seine Gedanken seine allein waren, daß es eines Tages auch ihn treffen könnte.
Am nächsten Morgen erhob er sich von seinem Stuhl und ließ den Energiestrom mit einer Bewegung seiner Hand verschwinden, zog seinen Anzug an und verließ, so schnell er konnte, das geräumige Haus. Me'rel verhielt sich so seltsam ihm gegenüber.
Es war der letzte Tag vor einem der rituellen Ruhetage, und in den Hallen seines Lehrers zog er sich in die Länge. Der Vormittag schien endlos, und Mit'gai konnte sich, als er endlich vorbei war, an nichts mehr erinnern, was sein Lehrer gesagt hatte. Langsam und mit schlurfendem Schritt trottete er zum großen Saal, in dem auch zwei kleine Stühle samt Energiedusche für ihn und das einzige andere Kinder der Region installiert waren.
Er ließ sich in seinen sinken und wartete auf Ro'ha, ohne dabei den Energiestrahl zu aktivieren. Dankbar dafür, daß ihre beiden Sitze etwas abseits standen von dem des Lehrers und sie sich in Ruhe unterhalten konnten, begann er seinem ruhigen Freund alles zu berichten, was er herausgefunden hatte.
Mit einem ernsthaften Gesicht auf seinen Zügen hörte das jüngere Taelon-Kind zu, und als Mit'gai seinen Bericht beendet hatte, begannen seine Hände sich wieder fast unmerklich zu bewegen.

„Für mich siehst du ganz gesund aus”, meinte Ro'ha mit seiner leisen Stimme, als Mit'gai ihn erzählt hatte, daß er sterben würde.
„Ich weiß, daß ich okay aussehe.” Mit'gai sah seinen Freund ungeduldig an. „Solche Sachen sieht man nicht, weißt du?”
Der kleine Taelon setzte sich wieder, schaute sich um und wisperte dann: „Du meinst wie bei den Gerüchten, die wir über die Babys hören? Nur daß es bei dir später angefangen hat?”
Beide Kinder hatten hier und da etwas aufgeschnappt, obwohl es ein Geheimnis war, daß gerade von den wenigen Kindern ferngehalten werden sollte.
Mit'gai runzelte leicht die Stirn, während er nachdachte, und fühlte die kleine Hand Ro'has sich in seine drängen: „Nicht ganz so, den Babys fehlt die Energie, weil die Eltern ihn keine geben können, aber ich hatte ja welche mitbekommen, nur meine Zellen können sie nicht richtig absorbieren oder produzieren. Ich glaube, das ist etwas anders.”

„Du hörst dich auch normal an.” Ro'ha lehnte sich wieder zurück, aber ließ seine Hand, wo sie war, und nahm auch nicht den Blick von seinem Freund, er konnte dessen Besorgnis fühlen. „Tut dir was weh?”
Mit'gai zuckte mit den Achseln und legte seinen Kopf nachdenklich schräg. „Nur wenn ich diese Kopfschmerzen habe.”
„Nun, du hast sie jetzt auch nicht öfter als vor 6 Monaten, oder?
„Nein.”
„Und die dauern jetzt auch nicht länger an als damals, oder?”
„Nein”, Mit'gai schüttelte ganz leicht seinen Kopf, „das tun sie auch nicht.”
„Ro'ha winkte seinen Energiestrom an, und ließ den Sitz nach hinten gleiten. Nachdenklich antwortete er: „Na also! Wer kann da behaupten, daß du sterben mußt? Sicher hast du etwas falsch verstanden, und selbst wenn nicht, kann es immer noch eine dieser Krankheiten sein, die sich endlos hinziehen, und in der Zwischenzeit finden die Heiler vielleicht schon ein Mittel gegen diese Art von Defekt.”
Der jüngere Taelon, der erst sieben Zyklen zählte, tat sein Bestes, um zuversichtlich zu klingen und seinen Freund aufzuheitern. Aber selbst ihn hatte Besorgnis ergriffen.
Als Ro'ha der noch immer zweifelnde Blick Mit'gais auffiel, fuhr er fort: „Außerdem mußt du dran glauben, daß du es schaffst, das ist das Wichtigste! Immer wieder werden Taelons gesund, weil sie an ihre eigene Stärke glauben!”
Dann warf er Mit'gai ein schiefes Grinsen zu: „Außerdem ist noch niemand gestorben, der erst 13 Zyklen alt ist.”
Mit'gai wollte das glauben. Er versuchte den ganzen Nachmittag, sich davon zu überzeugen. Schließlich kannte er niemanden, der mit 13 gestorben wäre.
Auch sonst war seines Wissens nach keines der wenigen, weit über den Planeten verstreut lebenden Kinder gestorben, er hätte so einen Übergang sicher gefühlt oder wenigstens davon gehört.
Die einzigen Taelons, die er gekannt hatte, die gestorben waren, waren viel älter gewesen. Sogar sein Pate Te'rim. Er selbst war doch noch ein Kind.
Wie konnte er sterben, wenn er noch nichtmal einer Kaste angehörte?
Wie konnte ersterben, wenn er noch nicht einmal diesen Planeten verlassen hatte?
Es erschien ihm unmöglich.
Trotzdem hatte er immer noch das Gefühl, sich selbst etwas vorzumachen. Es war egal, was er glaubte. Das änderte nichts an den Tatsachen. Wenn er wirklich Leptose hatte, dann würde das nicht einfach verschwinden, bloß weil er glaubte, er hätte nichts. Er hockte im Nachmittagsunterricht neben Ro'ha und wurde immer verzweifelter, fühlte sich hilflos und wünschte sich verzweifelt, er könnte etwas dagegen tun.
Erst als er durch die schwülen, Pflanzen-verhangenen Gassen nach Hause ging, dachte er plötzlich an Li'es.
Das Haus, in dem er zusammen mit Me'rel lebte, war ein weiträumiges Gebäude, das am Rand einer der größeren Städte lag. Nach hinten hin eröffnete sich ein riesiger Garten, an den sich ein gigantischer Park anschloß. Dieser Park war ein üppiges Reservat, durchzogen von schmalen, gewundenen Pfaden, dichtem Gestrüpp und riesigen Bäumen, die sich zu schattigen Hainen gruppierten. Ein massiger Fels zog sich am größten Teil des südlichen Rands entlang, und von hier aus konnte man den Eu'res River sehen.
Bis er seine Kaste gewählt haben würde, und aufgenommen wurde, durfte Mit'gai nicht allein in den Park gehen, nicht einmal auf die andere Seite der niedrigen Büsche, die da wuchsen, wo sein Hinterhof am Rand des Parks endete.
Manchmal hatte Te'rim ihn zu Spaziergängen mitgenommen, und ganz selten war sogar Me'rel mitgekommen, der nur in seiner Arbeit aufzugehen schien und immer beschäftigt war. Aber das war nicht oft vorgekommen, so war der Park lange Zeit ein riesiges unerforschtes Gebiet geblieben, das knapp außerhalb Mit'gais Reichweite lag und seinem noch immer kindlichem Gemüt Abenteuer und Geheimnisse verhieß.
Manchmal, wenn die Verlockung zu stark war, bettelte er um die Erlaubnis, allein in den Park zu gehen, nur ein kleines Stückchen, nur ein paar kurze Minuten. Dabei hielt er Daumen und Zeigefinger ganz dicht beisammen, um zu zeigen, wie winzig seine Bitte war. Er hatte sich sogar die Mühe gemacht zu versuchen, in den Geiste Me'rels zu projizieren, wie harmlos alles sein würde, aber die Antwort war immer die gleiche geblieben - sein Hinterhof war Park genug für ihn.
Doch die Dinge haben so eine Art, sich von allein zu entwickeln, und eines Tages im Sommer, ehe er seinen Unterricht in der Stadt aufgenommen hatte, ging er schließlich trotzdem allein in den Park. Das kam alles wegen Li'es.
An einem heißen Nachmittag im Sommer hatte Mit'gai im Sandkasten mit seinen Spielzeugshuttles und Kampfschiffen gespielt, als er hörte, wie Ru'mes heulte und etwas anfauchte, das sich direkt hinter den Büschen befand.
Ru'mes war das Haustier der kleinen Familie, eine Art kleines Raubtier, mit einem länglichen Körper und scharfen Klauen, mit dem Mit'gai viel und gerne spielte.
Das Tier tat so, als hätte es einen Jaridian aufgestöbert, und schließlich trennte sich Mit'gai von den Sternenkarten und Außenposten, die er entwarf, und schlenderte an das Ende des Hofes, um zu sehen, was los war. Als er ankam, stellte er fest, daß er immer noch nichts sehen konnte, weil Ru'mes hinter einem der hohen Bäume auf der anderen Seite der Büsche war. Mit'gai rief ihm beim Namen, aber das Tier kam nicht. Nachdem er ein paar Minuten da gestanden hatte, warf Mit'gai einen Blick über die Schulter auf die Scheibe virtuellen Glases, hinter der Me'rel arbeiten würde. Der ältere Taelon war nicht zu sehen. Mit trotziger Entschlossenheit biß er sich auf die Lippen und betrat vorsichtig den verbotenen Boden.
Er konzentrierte sich zu sehr darauf, was hinter ihm lag. Als er durch die Büsche kroch, stolperte er und schlug mit dem Kopf heftig gegen einen schweren Ast. Der Schlag schmerzte, aber Mit'gai rappelte sich sofort wieder auf und ging weiter.
Ru'mes sprang um den Baum herum und jagte spielerisch hin und her. Dort wuchs Dornengestrüpp, und darin hatte sich ein Stück Stoff verfangen. Als Mit'gai näher kam, sah er, daß das Stoffstück in Wirklichkeit eine Puppe war. Was ihn etwas verwunderte, das einzige andere Kind weit und breit war kaum einen Zyklus alt, und er konnte sich noch gut an die vielen Feiern zu Ro'has Geburt erinnern. Nun, sein Spielzeug war es auch ganz sicher nicht.
Als Mit'gai noch näher kam, bemerkte er, daß sich die Puppe bewegte.
„Steh nicht einfach so rum!” schrie ihn die Puppe mit zarter, aber wütender Stimme an. „Ruf ihn zurück!”
Mit'gai packte Ru'mes Geschirr, aber das kräftige Tier versuchte sich loszureißen, wand sich in Mit'gais Griff und versuchte zu seiner neuesten Entdeckung zurückzukehren. Schließlich berührte der junge Taelon sein Tier vorsichtig an der Stirn und stellte eine einfache Verbindung zwischen ihren Geistern her. Mit einfachen Worten und einer Flut von klaren Bildern schickte er Ru'mes durch die Büsche nach Hause.
Dann hockte er sich unter den Baum und starrte die sprechende Puppe an. Es handelte sich um einen winzigen Taelon, mit ausgeprägten Energielinien, einem fast dunkelblauen Anzug, mit glänzenden Abzeichen, der schwarze Plateau-Schuhe trug und dabei war, eine kunstvolle und detaillierte Fassade zu kreieren.
Mit'gai kicherte. „Warum bist du so klein?” wollte er wissen.
„Warum ich so klein bin?” echote der andere. Er bemühte sich heftig, sich zu befreien. „Warum bist du so groß? Weißt du denn überhaupt nichts?”
„Bist du echt?” bohrte Mit'gai.
„Natürlich bin ich echt! Ich bin ein Elf!”
Mit'gai legte den Kopf schräg. „Wie im Märchen?”
Der Elf wurde noch blauer als die Abzeichen an seiner Uniform. „Nein, nicht wie im Märchen! Seit wann steht in Märchen denn die Wahrheit über Elfen? Du glaubst wohl auch, Elfen seien nur kleine Wesen, die ihr Leben damit verbringen, im Mondschein zu tanzen, oder wenn sie gefangen werden, jemanden über den Verlust eines Freundes hinwegzutrösten? Nun, so ist es aber nicht! Wir arbeiten!”
Mit'gai beugte sich vor, um besser sehen zu können. „Woran arbeitet ihr?”
„An allem!” Der Elf war einem Schlaganfall nahe.
„Du bist aber komisch”, bemerkte Mit'gai und wippte auf den Fersen. „Wie heißt du?”
„Li'es. Ich heiße Li'es”, murmelte der Elf. Er wand sich noch ein bißchen und gab schließlich auf. „Und du?”
„Mit'gai”, kam die zögernde Antwort des Kindes, er war beunruhigt. So sehr er sich auch konzentrierte, konnte er das kleine Figürchen vor sich nicht im Gemeinwesen ausmachen.
„Nun schön, Mit'gai. Glaubst du, du könntest mich aus diesen Dornen befreien? Schließlich ist es deine Schuld, daß ich überhaupt darin festhänge. Das ist doch dein Tier, oder?
Nun, dein Tier hat sich da rumgetrieben, wo ich gearbeitet habe, und ich habe es nicht gehört. Es hat geknurrt und ich habe mich erschreckt, und deshalb hänge ich hier fest. Dann fing es an zu fauchen und mich vollzusabbern, und ich habe mich nur noch schlimmer verheddert.” Der kleine Elf holte tief Luft, wobei seine winzige Brust bebte und dann beruhigte sich allmählich. „Also, was ist? Hilfst du mir?”
„Klar doch”, willigte Mit'gai sofort ein und begann ganz vorsichtig, den Anzug Li'es aus den Dornen zu befreien.
„Sei vorsichtig mit deinen großen Finger”, fuhr ihn der Elf an: „Du könntest mich zermalmen! Du bist doch keiner dieser unschicklichen Burschen, oder? Du bist doch keines dieser Kinder, die die Fokussierung ihrer Energie an harmlosen Tieren üben, oder?
Du hast auch nichts mit der Veränderung der Atmosphäre zu tun, oder?” Der Elf begutachtete das nicht besonders hochgewachsene Kind vor sich mißtrauisch und seine Augen brannten und schienen Mit'gais Innerstes zu durchleuchten, noch viel tiefer, als es durch das Gemeinwesen anderen Taelons möglich war.
Als er dessen Verwirrung und Unverständnis bemerkte, fuhr Li'es etwas sanfter fort: „Hast du es nicht bemerkt? Seit einigen Jahren verändert sich die Luft um uns herum. Die Pflanzen sterben. Ein schleichendes Gift siecht sie dahin. Wenn nicht bald etwas unternommen wird, wird es böse ausgehen. Aber ich kann nichts tun, denn ich finde den Ursprung nicht.”
Mit'gai, der schon immer recht geschickt mit seinen Händen war, gelang es, den Elf in wenigen Sekunden zu befreien, ohne daß er großen Schaden durch die Dornen erlitt. Er stellte Li'es auf den Boden vor sich und lehnte sich zurück, an die rauhe Rinde eines Baumes.
Der winzige Taelon bürstete an seinen Kleidern herum und murmelte unhörbar vor sich hin.
„Wohnst du im Park?” fragte Mit'gai.
Li'es sah auf, wieder mit mürrischem Gesicht. Eins seiner Abzeichen war verrutscht. „Natürlich wohne ich im Park! Wie könnte ich wohl sonst meine Arbeit tun?” Er stieß mit einem Finger nach ihm. „Weißt du, was ich hier tue, kleiner Taelon? Ich sorge für den Park. Den ganzen Park, ganz allein! Das ist eine schreckliche Verantwortung für einen einzigen Elf.”
Mit'gai war beeindruckt. „Und wie sorgst du für ihn?”
Li'es rückte sein Rangabzeichen zurecht. „Weißt du, was Magie ist?”
Mit'gai besann sich auf die alten Legenden und Märchen, die Te'rim und Me'rel ihm so oft erzählt hatten, als er kleiner war, und deren Echo leise aber beständig durch das Gemeinwesen hallte.
„Magie war es, die den Taelon mit dem gläsernen Schuh aus der niedrigsten Kaste bis hin zu einem Rang in der Synode verholfen hat”, antworte der junge Taelon zweifelnd.
„Auch du liebe Güte, erzählen sie euch immer noch dieses dumme Zeug?” Die Mundwinkel der Elfe verzogen sich und sein Gesicht nahm einen abfälligen Ausdruck an. „Wann bringen sie diese Geschichten und Legenden bloß mal in Ordnung? Die klammern sich an lächerliche Erzählungen von Möchtegern-Herrschern, armen Wissenschaftlern und Glaspantoffeln auf irgendwelchen Bällen, als ob ein Glasschuh nur fünf Minuten auf einem Tanzboden überstehen würde!” Er hüpfte so heftig auf und ab, daß Mit'gai zusammenfuhr.
„Ich könnte denen das eine oder andere richtige Märchen erzählen!” explodierte er. „Ich könnte ihnen von längst vergessenen Legenden berichten, die wirklich wahr sind!”

Li'es brach ab, weil er sich plötzlich Mit'gais Bestürzung bewußt wurde. „Ach, vergiß es!” brummte er. „Diese ganze Sache ist einfach eine schwache Stelle von mir. Ich würde zu gerne wissen, woher dieser Schwachsinn kommt, der sich unbemerkt eingeschlichen hat, in das, was auf unserem Planeten seit Äonen an Überlieferungen da war. Jetzt zu dem, was ich tue, Mit'gai. Ich halte die Magie im Gleichgewicht, jawohl. In allem ist Magie, weißt du - von dem großen alten Baum bis hin zum kleinsten Grashalm, in allen Tieren und in jedem Stein, ja, sogar in der Erde selbst. Und das alles muß im Gleichgewicht gehalten werden, sonst gibt es große Probleme. Das ist es, was wir Elfen wirklich tun. Aber es gibt nicht mehr genug von uns, um überall zu sein. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Orte, an denen die Magie am stärksten ist und am ehesten Ärger machen könnte - wie in diesem Park.” Er fuhr mit der Hand durch die Luft.
„In diesem Park gibt es Unmengen von unangenehmer Energie.”
Mit'gai folgte den Bewegungen seiner Hand und nickte dann. „Es ist ein sehr großer Park.”
„Zu groß für die meisten Elfen, das kannst du mir glauben!” erklärte Li'es. „Willst du sehen, wie groß er ist?”
Mit'gai nickte und schüttelte den Kopf, alles in einer Bewegung. Er schaute hastig über seine Schulter, als ihm Me'rel wieder einfiel. „Ich darf nicht in den Park gehen”, erklärte er mit leichtem Bedauern. „Ich darf eigentlich noch nicht einmal unseren Hof verlassen.”
„Oh”, murmelte Li'es. Er rieb sich nachdenklich das Kinn, und seine Hände bewegten sich etwas schneller durch die Luft. Nach einer kurzen Weile nachdenklichen Schweigens fragte er: „Vertraust du mir?”
Mit'gai, der bis jetzt behütet aufgewachsen war und noch kaum Falschheit im Leben begegnet war, nickte eifrig.
„Dann weiß ich, wie ich dir zeigen kann, was ich tue in diesem wundervollen Park. Hier, heb mich auf, nimm mich in die Hand. Vorsichtig, Kind. So! Jetzt mache ich es mir bequem. Halte die Hand auf, die Handfläche nach oben. Beweg dich nicht. Jetzt mach die Augen zu und denk an den Park. Kannst du ihn sehen? So, jetzt paß auf...!”
Das Gefühl, als das Sharing begann, war ein ganz anderes, als Mit'gai es jemals erlebt hatte. Wenn er den Geist eines anderen Taelons berührte oder sich mit ihm verband, hallten kleine Glöckchen in seinem Hinterkopf, und Gedankenströme, die geformt waren wie die seinen, fanden ihren Einlaß.
Diesmal schien etwas Warmes, Klebriges wie Sirup durch Mit'gais Körper zu ziehen. Es fing bei den Augen an und arbeitete sich abwärts bis zu den Füßen. Er fühlte, wie Li'es sich bewegte.
Blaue Schlieren umgaben die Bilder, die Mit'gai nun während des Sharings sah, aber die verschwommen Ränder klarten auf und plötzlich flog Mit'gai. Er schwebte hoch über seinem Haus dahin, über den breiten grünen Teppich des Parks. Er hockte rittlings auf einem gefiedertem Tier, dessen Energielinien rötlich glühten, und dessen Schwingen sich kraftvoll bewegten.
Li'es saß hinter ihm, und seltsamerweise waren sie gleich groß. Mit'gai blinzelte und versuchte alles zu erfassen, was um ihn herum geschah, und kreischte dann vor Entzücken.
Der ausgewachsene Skrill schwebte langsam zur Erde nieder, wandte sich in diese und jene Richtung, um den Wind auszunutzen, aber die Bewegungen machten Mit'gai nichts. Trotz der verblüffenden Realität wußte er, daß ihm während eines Sharings nichts passieren und er nicht fallen konnte.
„So komme ich von einer Stelle zur anderen”, erklärte Li'es. „De'rell ist aus einem Labor entkommen, und hat seine Entwicklung hier im Park mit meiner Hilfe abgeschlossen. Aus Dankbarkeit bringt er mich überall hin. Wenn ich zu Fuß durch den Park laufen müßte, würde es Wochen dauern, bis ich von einem Ende zum anderen käme, und ich würde nie irgend etwas schaffen!”
„Das gefällt mir!” jubelte Mit'gai und lachte, und Li'es lachte mit.
Auf De'rells Rücken schwebten sie auf dem Wind, Stunden, so schien es dem jungen Taelon, von seinem Haus aus, an dem Felsen entlang nach Osten, bis sie die nächste Siedlung sehen konnten.
Mit'gai sah alles mit Augen, die groß waren vor Staunen und Entzücken. Er sah kleine Nagetiere, die an Bäumen hoch huschten, bunte Vögel in allen Farben, Formen und Größen, geschmeidige Raubtiere, winzige Mäuse und sogar einen Babyskrill, der gut verborgen unter den Blättern eines alten Baumes lag, und den er niemals ohne De'rells Hilfe gefunden hätte.
Es gab riesige alte Tannen, deren nadelübersäte Hügel sich wie eine Rüstung über verstohlenen Erdhöhlen erhoben, hochaufragende alte Bäume, die wie Speere aus dem Boden aufragten, zierliche Farne, schwingende Lianen, tiefe Löcher und Schluchten, in denen sich trockene Blätter und Schatten sammelten, und Bäche und Flüsse mit schwimmenden Pflanzen und blitzenden, winzigen Fischen.
Und es gab Magie! Mit'gai konnte sie förmlich spüren, ihre Macht erfüllte alles um ihn herum. Jetzt kam es ihm abwegig vor, der er je an ihr gezweifelt hatte.
„Da unten, Mit'gai - siehst du?” rief Li'es, als sie nach links und über eine uralte Steinbrücke flogen, die sich über einen Riß im Felsen spannte. Der junge Taelon konnte Symbole und Zeichen erkennen, die er bis jetzt nur in wenigen Sharings mit seinem Lehrer zu Gesicht bekommen hatte. Sie stammten aus der Zeit, als sich die Jaridians und die Taelons voneinander trennten.
„Sieh genau hin, Kind.”
Mit'gai schaute und sah einen kleinen grünlich schimmernden Schatten, der sich an einen Pfeiler der Brücke preßte, so daß er kaum zu sehen war.
„Das ist To'reg, ein jaridianscher Troll!” erklärte Li'es.
Mit'gais Mund verzog sich in Abscheu, er hatte schon genug von diesen Anverwandten seiner Rasse gehört, um zu wissen, daß sie hinterhältig waren und eine Gefahr darstellten.
„Es ist böse, nicht? Wie alle, die sich von dem Gemeinwesen abgewandt haben!”
Li'es guckte Mit'gai in die Augen. „Ja, To'reg ist böse, aber nicht, weil er ein Jaridian ist. Alle Trolle stiften Unfrieden. Wußtest du, daß es auch Jaridian-Elfen gibt? Sie tragen eine genauso große Verantwortung wie ich. Aber als ihr großen Leute euch in Feindschaft getrennt habt, und sie diesen Planeten verlassen haben, sind auch die Jaridian-Elfen mitgegangen. Deswegen sind wir auch so wenige, und deswegen ist auch unsere Aufgabe so schwer geworden!” Li'es seufzte, und grub seine Hände tiefer in das warme Gefieder von De'rell.
Mit'gai rutschte unbehaglich auf seinem Platz hin und her. Li'es bemerkte es und fuhr fort: „Nun, dieser To'reg ist schlimmer als jeder andere Troll, den ich kenne. Wenn es eine Möglichkeit gibt, die Magie aus dem Gleichgewicht zu bringen, dann findet er sie. Ein großer Anteil meiner Aufgabe besteht darin, seine Magie zu entwirren.”
Sie flogen weiter in einen Teil des Parks, in dem sie noch nicht zuvor gewesen waren. Sie waren jetzt tief im Osten, dort, wo der Sonnenschein offenbar nicht einzudringen vermochte und wo alles in Schatten gehüllt lag.
De'rell brachte sie hinab in die Finsternis, eine Art grauen Dunstes, der von Stille und dem Geruch verrottenden Holzes erfüllt war. Li'es zeigte nach vorn, und Mit'gais Augen folgten der Linie seines Fingers. Da stand der größte, verwüstetste Baum, den er je gesehen hatte. Ein Ungetüm mit knorrigen, krummen Ästen und rissiger Rinde. Rundherum wuchs nichts. Alle anderen Bäume, alle Büsche und alles Gras waren beseitigt worden.
„Was ist das?” fragte der junge Taelon, der zu Zittern anfing, Li'es.
Der Elf warf ihm einen mysteriösen Blick zu. „Das, mein Kind, ist das Gefängnis des Zipirden, jetzt und immerdar. Was hältst du davon?”
Mit'gai starrte ihn an. „Ein richtiger Zipirde?”
„So echt wie du und ich. Und sehr gefährlich, wenn ich das sagen darf. Zu gefährlich, um freigelassen zu werden, gleichzeitig aber auch zu mächtig, um vernichtet zu werden. Man kann nicht alles loswerden, was uns auf dieser Welt ängstigt oder beunruhigt. Es gibt Dinge, mit denen muß man einfach leben - und dazu gehören Zipirden und Trolle. Trolle sind natürlich nicht so schlimm wie Zipirden. Trolle machen Ärger, wenn sie frei sind, aber Zipirden drohen, die Magie zu vernichten. Sie sind mächtig, Mit'gai. Allein ihr Atem kann die Luft meilenweit verderben. Und der Abdruck einer ihrer Klauen kann ganze Felder vergiften.”
Er brach ab und seine Augen funkelten, als er Mit'gais Blick begegnete.
„Alle Zipirden sind unangenehm und lästig, aber dieser ist der schlimmste. Ab und zu bricht er aus, und dann sind alle, die sich in seiner Nähe aufhalten, in Gefahr. Selbst wenn die erwachsenen Taelons es nicht bemerken, er verbreitet Tod und Krankheit. Aber zum Glück passiert das nicht allzu oft. Und wenn, dann muß irgend jemand ihn einfach wieder einsperren.” Der Elf blinzelte rätselhaft. „Und dazu gehört eine ganz besondere Art von Magie.”
De'rell schwang sich plötzlich in die Lüfte und trug sie davon. Er flog aus dem Schatten und dem grauen Nebel und ließ die Finsternis hinter sich. Die Sonne fiel in Mit'gais Augen, so hell und strahlend, daß er einen Moment lang geblendet war.
„Mit'gai!”
Er dachte, er hätte Me'rel rufen gehört. Er blinzelte.
„Mit'gai, wo bist du?”
Er blinzelte noch einmal und fand sich allein unter einer Tanne sitzend, eine Hand vor sich ausgestreckt, die Innenseite nach oben. Die Hand war leer. Li'es war verschwunden. Er fuhr mit seiner anderen Hand über die kribbelnde Handinnenfläche.
Me'rel rief wieder. Mit'gai rappelte sich hastig auf die Füße und rannte zu den Büschen am Rande seines Hofes. Aber er kam zu spät, um zu verhindern, daß der erregte Wissenschaftler ihn erwischte. Zuerst bekam Me'rel einen Schreck, als er die rötliche Verfärbung seiner Energielinien sah, dann wurde er wütend, als er begriff, wie es dazu gekommen war und daß es seinem Kind ansonsten gut ging. Erregt wirbelten seine Hände vor Mit'gais schuldbewußtem Gesicht, als er ihm ins Gewissen redete. Es kam nicht oft vor, daß Mit'gai darin fehlte, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen, und Schelte waren ihm fremd. Und so kam es, daß er mit gesenkten Gesicht zurück zu dem Haus schlich.
Am Abend, als er sich in Me'rels Arme kuschelte und die ersten Energiepartikel auf ihn nieder prasselten, war alles wieder gut. Und immer noch beschäftigte ihn sein Abenteuer im Wald. Mit aus Müdigkeit halb geschlossenen Lidern erzählte er von Li'es.
Me'rel hörte ihm auf seine stille, ruhige und höfliche Art zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als er geendet hatte, erklärte Me'rel, daß das eine ganz wunderbare Geschichte sei, aber unmöglich war. Seine kleine Kopfverletzung hatte ihn Sachen sehen lassen, die nicht existierten.
Was er auch versuchte, Me'rel blieb bei seinen Erklärungen, und Mit'gai entschied, alles über seinen Phantasiefreund - so nannte Me'rel Li'es - für sich zu behalten.
Erst suchte Mit'gai noch, am Rande seines Hofes, nach dem Elf. Aber er fand ihn nicht. Und da er nicht wieder zu einer Enttäuschung werden wollte, ging der junge Taelon nicht wieder alleine in den Park hinein.
Langsam ging er in seinen Studien auf, und obwohl er noch hin und wieder an Li'es, De'rell, To'reg und den Zipirden dachte, verschwamm seine Erinnerung an sie allmählich. Er vergaß viele Besonderheiten seines Abenteuers an jenem Sommernachmittag im Park, und das Abenteuer selbst nahm die Form eines Märchens an, die Li'es so verabscheute.
Bald hörte Mit'gai mehr oder weniger auf, an die ganze Sache überhaupt zu denken.
Seit Monaten hatte er nicht mehr daran gedacht - bis heute.
Mit'gai, drängte sich an dem Shuttle vorbei, das die Einfahrt vor seinem Haus fast vollständig blockierte. Es überraschte ihn, daß er sich plötzlich an all die Einzelheiten erinnern konnte, die er bereits ganz vergessen hatte. Die Bilder der Ereignisse und des kleinen Elfs standen wieder ganz scharf vor seinen Augen, so wie an jenem Nachmittag, als alles passiert war.
Wenn es passiert war.
Er war seit langer Zeit sich dessen nicht mehr sicher. Schließlich war er damals nur ein kleines Kind gewesen, nicht älter als Ro'ha jetzt. Me'rel hatte vielleicht recht; vielleicht hatte er sich alles nur eingebildet.
Aber warum erinnerte er sich dann jetzt so genau?
Er ging in sein Zimmer, um nachzudenken, kam gerade lange genug nach unten, um sich für kurze Zeit in Me'rels Arme zu kuscheln, während der ältere Taelon unter seiner Energiedusche saß. Das war sonst einer der schönsten Momente des Tages für Mit'gai, aber Me'rel hatte ihn während der ganzen Zeit so merkwürdig angesehen - als ob er sehen wollte, ob er frühe Anzeichen von Erschöpfung erkennen ließ. Das führte dazu, daß er sich komisch vorkam.
Oben in seinem Zimmer stellte Mit'gai fest, daß er sich nicht auf seine Aufgaben konzentrieren konnte, und außerdem war es sowieso der Tag vor einem der rituellen Ruhetage. So stellte er die Musik ab, deren sanfte Klänge noch immer seinen Raum erfüllten, schloß seine Bücher, Unterlagen und Datenfiles und saß einfach nur da.
Der Wind wehte draußen vor seinem Fenster, und brachte die Blätter der vielen Bäume leise zum Rascheln, während er noch ein bißchen darüber nachdachte, was vor fast sieben Jahren passiert war. Was passiert sein könnte, verbesserte er sich - aber je mehr er darüber nachdachte, desto mehr glaubte er, daß es wirklich passiert war. Sein gesunder Verstand sagte ihm, daß er verrückt war, aber wenn man stirbt, hat man nicht viel Zeit für gesunden Verstand.
Mit'gai zog die Beine an, und legte seine Arme um seine Knie. Schließlich winkte er mit einer schnellen Bewegung seinen Datenstrom an.
Wenige Sekunden später erschien Ro'has Gesicht in der blauen, flimmernden Säule. Für ein paar Minuten sprachen sie über dies und jenes, ungefähr sieben Minuten lang, und dann fragte Mit'gai mit unsicher zu Boden geschlagenen Augen: „Ro'ha, glaubst du an Magie?”
Der jüngere Taelon lachte. „Magie, wie in den Märchen?”
„Nein, nicht wie in den Märchen.” Mit'gai schüttelte vehement seinen Kopf. „Bei den Märchen ist was falsch gelaufen, so wie es da beschrieben ist, funktioniert es nicht.”
Der jüngere Taelon hatte aufgehört, seine Hände in der Luft zu bewegen, und sie in seinen Schoß gebettet, dafür legte er seinen Kopf leicht schräg und dachte nach.
„Es hört sich fast so an, als ob du daran glauben würdest. Aber was für eine Magie meinst du denn überhaupt?”
Ro'ha kam aus einer Wissenschaftler-Familie und ging alles streng logisch an. So war auch sein Wunsch entstanden, alles zu klassifizieren und einzuordnen, bevor er über etwas diskutierte. Er wurde für vielversprechend gehalten.
„Was für Magie?” echote Mit'gai unsicher.
„Ja, was für welche? Welcher Art? Es gibt doch unterschiedliche Sorten, oder nicht?
Schwarze Magie und weiße Magie. Zauberei. Hexengebräu. Schreckliche Flüche, Verwünschungen, Feen und Elfen...”
Mit'gai stoppte Ro'ha, bevor sich dieser zu sehr für das Thema erwärmen könnte, und in seiner Begeisterung nicht wieder aufhören würde zu reden.
„Diese Art. Feen und Elfen. Glaubst du, daß es irgendwo diese Art von Magie gibt?
„Willst du wissen, ob ich an Feen und Elfen glaube?”
Mit'gai zögerte unbehaglich, und verlagerte sein Gewicht ein wenig. „Hmm, ja.”
„Nein.”
„Überhaupt nicht?” bohrte Mit'gai weiter, dessen Hände nervös durch die Luft zuckten.
„Hör mal, Mit'gai, was ist los mit dir? Du wirst doch nicht komisch wegen dieser Sache, oder? Ich habe dir doch gesagt, du sollt dir keine Sorgen machen - und das brauchst du auch nicht.”
„Ich mach mir keine Sorgen!” verteidigte sich das ältere der beiden Kinder. „Ich dachte bloß...” Er brach ab, er konnte Ro'ha einfach nicht sagen, was er genau dachte, weil es selbst für ihn sonderbar klang. Und bis auf Me'rel hatte er noch nie jemanden von Li'es erzählt.
Am anderen Ende des Datenstroms herrschte nachdenkliches Schweigen, und Mit'gai vermeinte durch das Gemeinwesen fühlen zu können, wie es in dem Kopf seines Freundes arbeitete, während er um tröstende Antworten und logische Erklärungen rang.
„Wenn du wissen willst, ob es draußen eine Art von Magie gibt, die verhindert, daß Taelons sterben, dann sage ich ja. Die gibt es.”
Das war zwar nicht genau das, wonach Mit'gai gefragt hatte, aber irgendwie fühlte er sich nach dieser Antwort trotzdem besser.
„Danke, Ro'ha. Bis bald.”
Mit'gai lehnte sich zurück und schloß die Augen. Energiepartikel begann seinen Körper zu umspielen, und wärmend prickelnd drangen sie in ihn ein. Das Geräusch der sich öffnenden Zimmertür ließ ihn wieder aufschrecken, und als er seine Augen aufschlug, stand Me'rel neben seinem Arbeitsplatz und beobachtete sein Kind. „Ist schon gut”, versuchte er Mit'gai zu beruhigen. „Schlaf weiter.”
Doch das Kind setzte sich weiter auf, denn es reagierte auf die Unruhe und Unsicherheit, die es von Me'rel über das Gemeinwesen wahrnahm.
Der ältere Taelon nahm die wachsende Furcht seines Kindes wahr, hob ihm hoch, um sich selber auf den Platz unter der Dusche zu setzen, und Mit'gai in seinen Armen zu halten.
Mit seiner ruhigen und sanften Stimme sprach er leise auf Mit'gai ein, während er dessen Hände streichelte.
„Ich habe noch mal mit dem Heiler Ne'ras gesprochen. Er möchte, daß du morgen für weitere Untersuchungen ins Forschungscenter gehst. Es könnte sein, daß du ein paar Tage bleiben mußt. ”
Mit'gai wußte, was das bedeutete. Er würde enden wie Te'rim.
Er würde kraftlos im Bett liegen. Die ganze Zeit würde ihm schlecht sein. Er würde dahin schwinden und schließlich sterben.
Er wollte das alles nicht. Es war so schrecklich unfair, und die Angst schnürte ihm die Brust zu. Krampfhaft schluchzend dränge er sich an Me'rel, bis sein Weinen leiser wurde und er schließlich zitternd in dessen Umarmung einschlief.
Hilflos blickte der Taelon auf sein verängstigtes Kind, und wiegte es, wie er es getan hatte, als Mit'gai noch ganz klein gewesen war.
Mit'gai schlief eine Weile, und als er wieder aufwachte, war es schon nach Mitternacht. Er hatte geträumt, aber er konnte sich nicht erinnern, worum es in seinen Träumen gegangen war. Als er so dalag, glaubte er jemanden rufen zu hören. Er stütze sich auf der Lehne des Sitzes ab, auf dem sie beide saßen, und lauschte in die Stille. So saß er lange Zeit und dachte nach.
Das stetige, ruhige Atmen und die Traumsequenzen, die er sehen konnte, wenn er Me'rel berührte, sagten ihm, daß der ältere Taelon tief und fest schlief. Mit'gai stand auf, griff nach seiner Kinderuniform und seinen Schuhen und zog sie an. Er bemühte sich sehr, keinen Lärm zu machen. Er kam bis zu der Veranda auf der Rückseite des Hauses. Ru'mes schlief auf der kleinen Rampe, und Mit'gai, in seinem Eifer, sich leise davon zu schleichen, und lautlos aufzutreten, sah ihn nicht. Er stolperte über das Tier, stürzte schwer und schlug sich den Kopf an der Tischkante an. Einen Moment war er bewußtlos, dann öffnete er blinzelnd die Augen. Ru'mes kauerte in einer Ecke, zu Tode erschrocken, sein langer Schwanz peitschte durch die Luft. Mit'gai war überrascht und dankbar, daß Ru'mes nicht laut Alarm schlug. Das hätte Me'rel innerhalb von Minuten auf den Plan gerufen. Er tätschelte dem aufgebrachten Tier beruhigend den Kopf und schlüpfte aus der Tür.
Stille umfing ihn. Mit'gai überquerte den feuchten grünen Boden im Hinterhof auf leisen Sohlen, zwängte sich durch die Büsche am Ende und ging in den Park. Es war eine warme, windstille Nacht, einer der Monde schien voll und weiß von einem wolkenlosen Himmel, das silbrige Licht sickerte durch das Laub der Bäume und warf Schatten. Mit'gai atmete tief ein und roch den würzigen Duft von Tannennadeln und den Nektar einiger Blumen.
Er wußte nicht, was er Me'rel erzählen sollte, wenn er ihn hier draußen fand. Er wußte nur, daß er Li'es finden mußte. Irgend etwas in ihm flüsterte, daß er es tun mußte, und es waren nicht die vertrauten Stimmen des Gemeinwesens, die in seinem Kopf schäumten. Vorsichtig zog Mit'gai seine eigenen Gedanken aus dem kollektiven Bewußtsein zurück, soweit er sich traute, und begann dann zu laufen.
Etwas außer Atem, wegen der ungewohnten Anstrengung, erreichte er die alte Tanne und schaute unter ihre stacheligen Zweige. Keine Spur von Li'es. Er kam wieder heraus und sah sich im Park um. Irgendwo in der Ferne zirpten kleine Insekten. Mit'gai konnte den Rand des Felsens am Fluß im Süden sehen, aber nirgendwo regte sich etwas.
Mit'gai trat ein paar Schritte vor. Er fühlte sich jetzt irgendwie nicht ganz wohl und hatte ein bißchen Angst. Daß er die Stimmen des Gemeinwesens in seinem Kopf hatte abebben lassen, machte es nur noch schwerer für ihn. Vielleicht war das alles ein Fehler.
Dann zerriß ein heller Lichtblitz die Dunkelheit um ihn herum, und Mit'gai erhaschte einen Blick auf einen Schatten, der vor dem mondhellen Himmel dahinzog.
„De'rell!” rief er.
Aufregung machte sich in ihm breit. Er fing an zu rennen. Der Skrill kreiste über ihm, irgendwo am Rand des Felsens. Mit'gai sah, wie er herabstieß und dann wieder zum Himmel aufstieg. De'rell befand sich genau über der Steinbrücke, wo To'reg hauste.
Als Mit'gai außer Atmen die Brücke erreichte, wurde er langsamer, denn er erinnerte sich an die bösen Augen des Trolls. Dann hörte er, wie jemand seinen Namen rief, und stürmte vorwärts. Er schlitterte den feuchten Hang neben dem Westpfeiler der Brücke hinab und blinzelte in den Schatten.
„Mit'gai, wo hast du denn gesteckt, Kind?” hörte er Li'es fragen, der sich noch nicht einmal die Mühe machte, ihn zu begrüßen. „Ich warte schon seit Stunden auf dich!”
Mit'gai konnte den Elf zuerst nicht sehen und tastete vorsichtig in der Dunkelheit herum.
„Hier drüben, Kind!”
Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, und als er seinen eigenen Körper etwas stärker glühen ließ, entdeckte er etwas, daß an der Unterseite der Brücke an einem Haken hing, dicht neben dem Pfeiler.
Es war ein Käfig aus Stein. Er streckte die Hand danach aus und kippte ihn ein wenig, so daß er hinein sehen konnte.
Es war Li'es, Er sah genauso aus wie vor sieben Jahren - ein winziger Taelon, mit stark ausgeprägten Energielinien. Er trug noch immer einen dunkelblauen Anzug, auf dem die Abzeichen glänzten wie eh und je. Auch die schwarzen Plateau-Schuhe schienen die selben zu sein wie damals, nur große Teile der kunstvollen Fassade waren verschwunden, denn der kleine Elf war sehr aufgeregt, und seine Hände tanzten wild in der Luft herum.
Es war zu dunkel, um zu sagen, ob sich auch seine Finger so schnell bewegten wie seine Hände, aber der Elf war so aufgeregt, daß Mit'gai überzeugt war, sie müßten es tun. Li'es tanzte erst auf dem einen, und dann auf dem anderen Fuß herum, hüpfte auf und nieder, als würden seine Stiefel brennen.
„Was machst du da drin?” wollte Mit'gai von ihm wissen.
„Was glaubst du denn, was ich hier drin mache? Mich unter der Energiedusche räkeln?” Li'es Laune war um keinen Deut besser geworden. „Jetzt hör mir mal zu, Mit'gai, und hör mir gut zu, weil ich nämlich nicht die Zeit habe, es mehr als einmal zu sagen!” Li'es war aufgeregt, und sein Stimmchen klang schrill.
„To'reg hat mir eine Falle gestellt, und ich bin hinein gestolpert. Er stellt mir immer solche Fallen, aber normalerweise bin ich zu schlau, um mich fangen zu lassen. Diesmal hat er mich im Schlaf überrascht. Er hat mich am Abend in diesen Käfig gesperrt und mich meinem Schicksal überlassen. Er ist tief in den Wald gegangen, um die Magie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er will den Zipirden freilassen!”
Es stach mit einem Finger nach Mit'gai. „Du mußt ihn aufhalten!”
Mit'gai fuhr zusammen. „Ich?”
„Ja, du! Ich habe keine Möglichkeit dazu, weil ich hier eingesperrt bin.”
„Nun, dann muß ich dich eben befreien.”
Li'es schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, nein. Ein Trollkäfig hat weder Schloß noch Schlüssel. Man muß einfach warten, bis er auseinanderfällt. Das dauert nicht lange. Höchstens ein oder zwei Tage. Aber selbst wenn du mich befreien würdest, würde das nicht helfen. Ein Elf, der in einem Steinkäfig eingesperrt war, verliert bis zum nächsten Mondaufgang seine Zauberkraft. Das weiß doch jeder!”
Mit'gai schluckte. „Aber Li'es, ich kann...”
„Hör auf mit mir zu streiten!” wütete der Elf. „Nimm das!” Er schob etwas durch die Gitterstäbe des Käfigs. Es war eine winzige silberne Nadel. „Mach sie an deiner Uniform fest. Solange du sie trägst, kann ich sehen, was du siehst, und kann dir sagen, was du tun mußt. Im Prinzip ermöglicht sie uns ein Dauersharing auf große Entfernung. Es wir genauso sein, als wenn ich bei dir wäre. Und jetzt beeil dich! Lauf diesem verdammten Troll nach!”
„Aber was ist mir dir?” fragte Mit'gai besorgt.
„Mach dir um mich keine Sorgen. Mir geht es gut!”
„Aber...”
„Verdammt Mit'gai! Lauf los!”
Mit'gai tat, was Li'es gesagt hatte, angetrieben von der Dringlichkeit, die er in der Stimme des anderen wahrgenommen hatte. Er vergaß vorübergehend sogar, was ihn überhaupt in den Park gebracht hatte. Hastig steckte er die Silbernadel durch den Kragen seiner Uniform und wirbelte los. Er krabbelte aus dem Graben unterhalb der Brücke, schoß durch den Ring aus Bäumen, die kleine Sitzbänke abschirmten und sprintete über Lichtungen auf die dunkle Wand aus Bäumen im Osten zu. Ein-, zweimal schaute er zum Himmel, suchte De'rell, aber der Skrill war verschwunden. Mit'gai fühlte, wie sein Herz in der Brust hämmerte, hörte das Keuchen seines Atems. Li'es plapperte irgendwo in seinem linken Ohr, trieb ihn an und ermahnte ihn, sich zu beeilen. Als er versuchte, den Elf etwas zu fragen, unterbrach Li'es ihn mit dem Befehl, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, die vor ihm lag.
Er erreichte die Bäume im Osten des Parks und verschwand zwischen den Bäumen. Der Mondschein zerfiel in Lichtsplitter, die durch das schwere Laubdach fielen. Mit'gai jagte hügelauf, hügelab, schlitterte durch laubbedeckte Rinnen und sah zu, wie das Holz um ihn herum immer dicker wurde.
Endlich stolperte er über eine Baumwurzel, fiel müde auf die Knie und rang nach Atem. Als er den Kopf wieder hob, war er sich zweier Dinge bewußt. Erstens war der Wald um ihn herum vollkommen still. Zweitens herrschte eine sonderbare grünliche Beleuchtung, die wie Nebel in der Dunkelheit vor ihm wirbelte.
„Wir kommen zu spät, Mit'gai”, hörte der Li'es leise sagen.
„Dieser hohlköpfige Troll hat seine Arbeit getan! Der Zipirde ist frei!”
Mit'gai raffte sich hastig auf. „Was soll ich jetzt tun, Li'es?”
Die Stimme des Elfs war ruhig. „Tun, Mit'gai? Nun, du tust, was du tun mußt. Du sperrst den Zipirden wieder ein.”
„Ich?” Mit'gai war entsetzt. „Was soll ich machen? Ich weiß nichts über Zipirden, und ich habe mich auch noch nie besonders für das Tun der Kriegerkaste interessiert.”
„Dummes Zeug! Es ist nie zu spät, etwas zu lernen, und da ist sowieso nicht viel zu lernen. Laß uns mal sehen, Kind. Mach schon! Weiter!”
Mit'gai ging vorwärts. Seine Füße funktionierten losgelöst von seinem Verstand, der ihm zubrüllte, verdammt noch mal zu verschwinden. Das dunstige grüne Licht fing an, ihn einzuhüllen, erfüllte den ganzen Wald mit dem stechenden Geruch brennenden Gummis. Die Nachtluft strahlte Tod aus, und das Wispern von etwas, das alt und böse war, schallte aus dem Wald heraus.
Mit'gai schluckte krampfhaft vor Angst.
Dann durchbrach er ein Gebüsch und stand auf einer Lichtung, die von Tannen gesäumt war. Hier blieb er stehen. Ungefähr ein Dutzend Schritte von ihm entfernt bewegte sich etwas ziellos über den Boden, etwas kleines, Haariges, etwas, das dampfte wie Atem, der an einem Wintermorgen ausgestoßen wird.
„O je, o je”, murmelte der unsichtbare Li'es.
„Was ist das?” fragte Mit'gai besorgt.
Li'es schnalzte mit der Zunge. „Sieht so aus, als hätte To'reg auf die harte Tour gelernt, was passiert, wenn man sich mit einem Zipirden einläßt.”
„Das ist To'reg?” Mit'gai versuchte den kleinen jaridianischen Troll besser sehen zu können, aber das qualmende Etwas hatte kaum Ähnlichkeit mit den stolzen, wenn auch häßlichen Kriegern, die er aus seinen Geschichtsbüchern kannte.
„Mehr oder weniger. Bewegung, Mit'gai. Mach dir wegen des Trolls keine Sorgen.”
Aber Mit'gais Verstand hatte nun endlich die Kontrolle über seine Füße zurückerlangt. „Li'es, ich will damit nichts mehr zu tun haben. Ich kann nicht mit einem Zipirden kämpfen! Ich bin nur hergekommen, weil ich... weil ich herausgefunden habe, daß... ”
„... du sterben wirst.”
Mit'gais hellblaue Augen wurden starr. „Ja, aber woher...?”
„.... ich das weiß?” schloß Li'es für ihn. „Mensch, Kind! Was glaubst du denn, warum du hier bist? Jetzt hör zu. Wird Zeit, daß du dich einer ziemlich unschönen Wahrheit stellst. Du mußt mit dem Zipirden kämpfen, ob dir das nun paßt oder nicht. Er weiß, daß du hier bist, und er wird dich holen, wenn du versuchst, fortzulaufen. Er muß eingesperrt werden, Mit'gai. Du kannst das. Glaub mir, du kannst das.”
Mit'gais Herz klopfte wild. „Wie?”
„Ach, das ist ganz leicht. Du stößt ihn einfach außer Sichtweite, drängst ihn in seinen Käfig zurück, und das wäre es dann auch schon! Jetzt laß mal sehen. Da! Zu deiner Linken!”
Mit'gai ging ein paar Schritte und bückte sich. Es war der verbeulte, alte, organische Deckel einer Mülltonne. „Ein Schild!” verkündete Li'es Stimme in seinem Ohr. „Und da!” Mit'gai ging nach rechts und bückte sich wieder. Diesmal war es ein schwerer Stock, den irgend ein Wanderer zurückgelassen hatte. „Ein Schwert!” verkündete Li'es.
Mit'gai starrte abwechselnd auf den Tonnendeckel und den Stock. Dann schüttelte er hoffnungslos den Kopf. „Das ist doch lächerlich! Damit soll ich einen Zipirden bekämpfen?”
„Damit und mit dem, was in dir steckt”, antworte Li'es leise.
„Aber ich kann nicht...”
„Doch, du kannst.”
„Aber...”
„Mit'gai. Du mußt! Du mußt!” Li'es Worte waren rauh und knapp, das Stimmchen beharrlich und eindringlich. „Verstehst du denn nicht? Hast du mir denn überhaupt nicht zugehört? Bei diesem Kampf geht es nicht nur einfach darum, mich oder diesen Park zu retten! Dieser Kampf wird dich retten!”
Mit'gai war verwirrt. Warum diente dieser Kampf seiner Rettung?
Das ergab keinen Sinn. Aber etwas tief in seinem Inneren flüsterte, daß der Elf die Wahrheit sagte. Er schluckte seine Angst und würgte jeden Selbstzweifel hinunter, packte sein provisorisches Schwert und seinen Schild und setzte sich in Bewegung. Er ging schnell, fürchtete, wenn er langsamer würde, würde er ganz und gar aufgeben. Irgendwie wußte er, daß er das nicht tun durfte. Er bahnte sich vorsichtig einen Weg durch die Bäume, musterte den grünen Nebel. Vielleicht war der Zipirde nicht so schrecklich, wie er ihn sich vorstellte. Vielleicht war er gar nicht so, wie die Zipirden in den Märchen und Legenden. Schließlich - würde Li'es ihn gegen so etwas in die Schlacht schicken? Gegen etwas, gegen das er überhaupt keine Chance hatte?
Vor ihm bewegte sich etwas.
„Li'es?” flüsterte er ängstlich.
Ein Schatten ragte plötzlich aus dem Nebel empor, riesig und abscheulich, und versperrte das Licht. Mit'gai wirbelte herum und stolperte zurück.
Da war der Zipirde. Das Ungetüm erhob sich aus dem Nebel wie eine Mauer, wankte und schwankte, ein Etwas aus Schuppen und Hornplatten, eine Kreatur mit Gliedern und Klauen, ein Wesen aus Mit'gais übelsten Alpträumen entsprungen. Er hatte Gestalt und doch keine Gestalt, war geformt aus Angst und Zweifeln, entstanden aus einem Dutzend Erinnerungen, die am besten vergessen würden. Er füllte den Pfad vor Mit'gai mit seinem Körper, so massig wie der knorrige, häßliche Baum, aus dem er befreit worden war.
Mit'gai kam keuchend zum Stehen. Augen, so hart wie polierter Stein, nagelten ihn fest, wo er war. Er konnte die Hitze des Zipirden an seinen eigenen Energiepartikeln fühlen und gleichzeitig eine eisige Kälte im Bauch. Er schwitze und zitterte gleichzeitig, und sein Atem drohte in der Brust steckenzubleiben. Er dachte nicht mehr; er reagierte nur noch. Das Zischen es Zipirden hallte in seinem Innersten wider. Es verriet ihm, daß er keinen Schild, kein Schwert führte. Es sagte ihm, daß er niemanden hatte, der ihm half. Es sagte ihm, daß er sterben würde.
Angst breitete sich hastig in Mit'gai aus, erfüllte ihn mit üblem Geschmack, machte ihn vorübergehend hilflos. Er hörte Li'es Stimme wild in seinem Ohr kreischen: „Schnell, Mit'gai, schnell! Stoß den Zipirden fort!”
Aber Mit'gai rannte bereits. Er kämpfte sich durch den Nebel und die Bäume und floh vor dem Zipirden. Er war unfähig, sich selbst zuhelfen.
Er konnte Li'es nicht mehr hören; er konnte nicht mehr nachdenken. Alles, an das er denken konnte, war: rennen, und zwar so schnell und so weit fort wie möglich. Er war erst dreizehn! Er war noch ein Kind! Er wollte nicht sterben!
Er schoß aus dem dunklen Wald und über die Lichtungen auf die Brücke zu, wo Li'es in seinem Käfig hockte. Der Himmel war komisch, voll mit wirbelnden Wolken und grünlichem Licht. Alles war ein Gewirr aus Schatten und Nebel. Er rief nach Li'es um Hilfe. Aber als er sich der Brücke näherte, schien sich der Steinbogen zu öffnen wie der Mund eines Riesen, und vor ihm erhob sich der Zipirde und versperrte ihm den Weg. Er drehte sich um und rannte auf einen heiligen Hügel zu, dorthin, wo die Geister der Ahnen durch die Schatten tanzten. Aber wieder wartete der Zipirde. Er wartete auf den alten Grabstätten, wand sich durch die Reihen der Denkmäler, wie eine Schlange. Er wartete zwischen den hochgewachsenen Häusern der nächsten Siedlung, die in sanften Schein ihres Lichts, im Schrecken des Augenblicks surreal wirkten. Er wartete überall, wohin Mit'gai sich auch wandte, wohin er zu fliehen versuchte, der Zipirde war immer schon da und versperrte dem verängstigten Kind den Weg. Um es noch schlimmer zu machen, Mit'gai konnte sich nicht wieder voll an das Gemeinwesen binden. Die tröstenden Worte und die sanfte Berührung von Me'rels Gedanken blieben ihm verwehrt.
Mit'gai rannte von einem Ende des Parks zum anderen und immer wartete der Zipirde.
„Li'es!” kreischte er wieder und wieder, aber er erhielt keine Antwort. Als er schließlich daran dachte, nach der Silbernadel zu sehen, stellte er fest, daß er sie verloren hatte.
„Oh Li'es!” schluchzte er.
Endlich hörte er auf zu laufen, zu erschöpft, um weiterzumachen. Er fand sich wieder im tiefen Wald, genau da, wo er angefangen hatte. Er war gerannt, und doch hatte er sich überhaupt nicht bewegt. Der Zipirde war noch immer vor ihm, ein monströser, gestaltloser Schrecken, dem er nicht entfliehen konnte. Er konnte das Ungetüm überall um sich her spüren, unter sich, ja sogar in sich. Der Zipirde war in seinem Kopf, dort wo das Gemeinwesen sein sollte. Er zermalmte ihn, blendete ihn, stahl ihm sein Leben...
Wie seine Krankheit.
Er stöhnte auf, als er plötzlich begriff.
Wie die Krankheit, die ihn tötete.
Dieser Kampf wird dich retten, hatte Li'es ihm erzählt. Die Worte des Elfs kehrten zu ihm zurück, ihr Sinn und ihre Bedeutung wurden plötzlich ganz klar, lagen unverkennbar auf der Hand.
Mit'gai wurde ein bißchen verrückt in diesem Moment. Er schrie auf, überwältigt von der Woge von Gefühlen, die er auch nicht annähernd begreifen konnte. Die ihm fremd waren, sonst durch das Gemeinwesen gehemmt. Er schüttelte seine Angst ab, wie einen lästigen Kittel, und griff den Zipirden an, ungeachtet jeglicher Gefahr für sich selbst, blind für die monströse Größe des Ungeheuers. Zu seinem Erstaunen flammten der Spazierstock und der Mülltonnendeckel weißglühend auf und verwandelten sich in das Schwert und den Schild, die ihm versprochen worden waren. Er spürte das Feuer, das von ihnen auf ihn übergriff, und es fühlte sich an, als wäre er selbst zu Stahl geworden. Er warf sich auf den Zipirden, hämmerte mit seinen Waffen auf das Ungetüm ein.
SCHLAG IHN ZURÜCK! SPERR IHN EIN!
Die großen, knorrigen Umrisse des Zipirden und des Baumes schienen zu verschmelzen. Nacht und Nebel schlossen sich um ihn. Er schwamm durch einen Nebel aus schroffen Bildern. Er hörte Geräusche, die von überallher stammen konnten, und in ihm war ein Gefühl von Nachgiebigkeit. Er stieß zu, fühlte, wie der Zipirde ihm auswich, ehe er angriff. Das Gefühl von Hitze, der Gestank von brennenden Gummi, das Kratzen von Schuppen und Platten wurden intensiver und erfüllten seine Sinne.
Dann verschwand der Zipirde ganz einfach. Schwert und Schild verwandelten sich zurück in Spazierstock und den Deckel der Mülltonne, der grünliche Nebel löste sich in Nacht auf, und Mit'gai klammerte sich an den knorrigen, gebeugten Stamm des massigen alten Baumes, in dem der Drache gefangen war.
Er stolperte zurück, wie betäubt.
„Li'es!” schrie er ein letztes Mal; aber es gab keine Antwort.
Dann wurde alles schwarz - er fiel.
Er war im Forschungscenter, als er aufwachte. Sein Kopf war bandagiert, um den kleinen tropfenden Energieperlen Einhalt zu gebieten, und pochte schmerzhaft. Als er fragte, erzählte ihm ein diensthabender Taelon der Wissenschaftskaste, der einen Kittel über seine Uniform gestreift hatte, es sei der rituelle Ruhetag. Er war mitten in der Nacht von der Rampe hinter seinem Elternhaus gefallen, erzählte er, und Me'rel habe ihn erst früh am Morgen gefunden und sofort hergebracht. Mit'gai konnte den Aufruhr, der von Me'rel ausging, durch das Gemeinwesen fühlen, und seine Freude darüber, die bewußten Gedanken seines Kinder wieder wahrnehmen zu können. Der Taelon, der scheinbar diese Station leitete, fügte noch ziemlich rätselhaft hinzu, daß er ein glückliches Kind sei.
Kurz darauf erschien Me'rel, sichtlich aufgeregt, seine Hände tanzten durch die Luft und abwechselnd umarmte er ihn und schimpfte ihn gleichzeitig aus, daß er so dumm gewesen war. Dann beruhigte sich der ältere Wissenschaftler etwas, und zog Mit'gai an sich, und hielt ihn einfach nur fest. So saßen die beiden Taelons eine ganze Weile, bis der Taelon in dem Kittel Me'rel wieder wegschickte, damit Mit'gai sich weiter ausruhen konnte. Er war noch immer ziemlich benommen, und hatte nicht viel von dem verstanden, was um ihn herum gesagt worden war.
Am nächsten Tag kam Heiler Ne'ras. Er untersuchte Mit'gai, brummte und murmelte vor sich hin und schirmte seine Gedanken vor dem Gemeinwesen ab, er nahm etwas von den energiegeladenen Molekülen ab, die durch Mit'gais Adern flossen, schickte ihn zu weiteren spektralen Aufnahmen, brachte ihn wieder nach oben, brummte und murmelte noch etwas mehr und ging.
Me'rel kam wieder zu Besuch und erzählte ihm, man würde ihn noch ein paar Tage im Forschungscenter behalten, nur vorsichtshalber. Mit'gai erklärte ihm, daß er keinerlei Therapie wünschte, solange er dort war. Der ältere Taelon hörte seinem Kind ruhig zu, und erwog jedes seiner Argumente, wie er es schon immer getan hatte. Dann erhob er sich, von der Kante des nach hinten gelehnten Stuhls, auf dem Mit'gai lag, und schritt unruhig durchs Zimmer.
Doch ein Blick in Mit'gais bittende, tiefe blaue Augen brachten ihn schließlich doch dazu, zu versprechen, daß keine stattfinden würde, solange er im Forschungscenter war.
Me'rel hatte schon andere Taelons an dem genetischen Defekt Leptose leiden sehen. Nicht nur Te'rim war an ihr dahin gesiecht, sondern auch viele der wenigen Kinder, die auf Taelon geboren wurden und überlebensfähig gewesen waren. Der Wissenschaftler konnte sich keinen schlimmeren Tod vorstellen, an einer langsam schlimmer werdenden Energieanämie zu sterben. Und jede Therapie, die bekannt war, konnte den Kranken nicht helfen, nicht wirklich. Und das um wenige Monate verlängerte Leben war teuer erkauft mit viel Leid und Schmerz, und das wollte er seinem Kind ersparen.
Nocheinmal setzte er sich neben Mit'gai auf den Stuhl unter der Energiedusche und hielt ihm wortlos seine Hand für ein Sharing hin. Das leise prickelnde Gefühl setzte ein, und Me'rel wisperte leise, und hüllte Mit'gai in seine Liebe ein und bemühte sich, ihm das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit zu geben. Dann versprach er ihm noch einmal, daß nichts unternommen werden würde, was er nicht wollte. Seine Angst aber verbarg er völlig.
Im Gehen versprach Me'rel noch, daß er Morgen ganz früh wiederkommen würde, und schloß leise die Tür hinter sich, nachdem er noch einen Blick auf Mit'gai geworfen hatte.
Am nächsten Tag kamen Me'rel und Heiler Ne'ras gemeinsam zu ihm. Ungeachtet, daß sie nicht allein im Raum waren, zog Me'rel sein Kind auf seinen Schoß und bemühte sich auch gar nicht ein glückliches Lächeln zu unterdrücken, das sich auf seine Lippen gestohlen hatte, während er Mit'gai liebkoste.
Ne'ras erzählte ihm, daß die noch ausstehenden Untersuchungen durchgeführt worden waren, während er geschlafen hatte. Die Ergebnisse waren ermutigend. Seine Energieanämie schien noch nicht unbedingt lebensbedrohlich zu sein. Sie hatten sie früh genug entdeckt, so daß sie behandelt werden konnte. Vielleicht würden sie ihn nicht heilen können, aber er würde leben.
„Verstehst du, Mit'gai, eine milde Form von Therapie wirst du machen müssen”, warnte der Heiler. „Aber das können wir hier machen. Kein Grund zur Sorge.”
Mit'gai lächelte. Er machte sich keine Sorgen. Er wußte, daß er in Ordnung war. Er hatte es von dem Augenblick an gewußt, als er den Zipirden in seinen Baum zurückgedrängt hatte. Darum war es bei dem Kampf mit dem Ungeheuer gegangen. Es war darum gegangen, Mit'gais Krankheit fortzusperren. Mit'gai war sich nicht sicher, ob Li'es in jener Nacht tatsächlich seine Zauberkraft verloren oder ob er es Mit'gai einfach glauben gemacht hatte. Aber er war sich einer Sache ganz sicher - Li'es hatte ihn absichtlich in den Park zurückgeholt und dafür gesorgt, daß er ganz allein dem Zipirden gegenübertrat.
Das war der besondere Zauber, von dem sein Freund ihm einmal erzählt hatte, daß er nötig war. Es war die Magie, die ihm erlaubte zu leben.
Am Ende der Woche kehrte er wieder heim und besuchte auch wieder regelmäßig seinen Lehrer. Als er Ro'ha informierte, daß er nun doch nicht sterben würde, ließ dieser nur die Finger seiner rechten Hand nacheinander durch die Luft gleiten, bis sich seine Hand vor seinem Körper wieder schloß, und meinte, das hätte er ja gleich gesagt. Danach wandten sich beide Kinder wieder der Partie Fuflascha zu, die sie spielten, und Mit'gai mußte sich gehörig anstrengen, um nicht gegen das jüngere Kind zu verlieren.
Ne'ras riet ihm, es langsam angehen zu lassen, und in den warmen Monaten des Jahres machte er dann auch die Therapie.
Er lag dabei auch nicht kraftlos im Bett, er verlor nicht an Gewicht, und ihm war auch nicht die ganze Zeit schlecht, und seine Kopfschmerzen und der Verlust seines Sehvermögens hörten auf.
Schließlich erklärte Ne'ras, daß er alles für Mit'gai getan hatte, was er tun konnte. Der genetische Defekt ließ sich nicht völlig reparieren, aber mit einer bestimmten Substanz, die er einnehmen mußte, und ausreichend Zeit unter der Energiedusche täglich bestand keine Lebensgefahr mehr für ihn.
Mit'gai traf Li'es nie wieder. Ein-, zweimal glaubte er, De'rell zu sehen, er war sich nicht sicher. Er suchte auch im Park nach dem Baum, in dem der Zipirde gefangengehalten wurde, aber er konnte ihn nicht finden. Nach To'reg suchte er nicht.
Als er ein paar Jahre älter geworden war, tat Mit'gai zwei Sachen.
Zum einen entschied er sich, seine Ausbildung in der Wissenschaftlichen-Kaste zu machen und zu einem Heiler zu werden. Er lernte viel und erwarb großes Wissen und seine Hände waren von jeher geschickt gewesen, so daß er vielen Taelons helfen konnte.
Als Te'leg, sein ebenso junger Gefährte, ebenfalls ein Mitglied der harmlosesten Zunft auf Taelon, während eines Kampfes mit den Jaridians schwer verletzt worden war, und dann in seinen Armen starb, starb auch etwas in Mit'gai, und er hatte nur noch Verachtung für alles Nichttaelonische und Haß für die Jaridians in sich. Was Li'es ihm über die andere Hälfte seines Volkes erzählt hatte, war tief unter Schmerz und Leid vergraben.
Aber die Arbeit, die er leistete, vermittelte Mit'gai das Gefühl, Li'es etwas zurückzugeben.
Zum anderen wanderte er oft durch den Park und in der wenigen freien Zeit, die er hatte, versuchte er den immer kränker werdenden Bäumen zu helfen. Etwas vergiftete sie, und Mit'gai stellte sein ganzes Wissen und Können gegen dieses etwas.
Doch diesmal versagte er, und alle seine Bemühungen blieben umsonst. Die chemischen Waffen taten, wozu sie konstruiert worden waren, und langsam verwandelte sich der Park, seine Umgebung, der Kontinent und dann der ganze Planet in ein bares Ödland.
Doch wann immer Mit'gai im Park war, konnte er die Gegenwart Li'es spüren. Es machte nichts, daß er seinen Freund nicht sehen konnte; es reichte ihm zu wissen, daß er dort war.
Und Li'es, die Seele des Planeten, lebte weiter, in jedem Taelon, wo auch immer er war.

 

ENDE

 

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