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  „Eine unendliche Geschichte von Liebe und Krieg” von   Hydra
Alle hier vorkommenden Charaktere gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autoren.
 
Handlung:  Ro'an erlebt eine unangenehme Konfrontation mit Da'an; Nyan stattet Lili einen Besuch ab, der nicht ganz ohne Konflikte abläuft
Zeitpunkt:  dritte Staffel
Charaktere:  Da'an, Zo'or, T'than, Sandoval, Liam, Renee, Augur, Matyr, Nyan, Ro'an, Tate, Lili, Professor Dorrian
 
Achtung: Dieser Teil enthält eine Folterszene!
 

 

EINE UNENDLICHE GESCHICHTE VON LIEBE UND KRIEG

Kapitel 6

 

Ro'an beugte sich vor. „Nur noch einmal im guten? Willst du mir drohen, Da'an?”
Immer wieder dieser Spott, ohne Unterlass. Aber er störte Da'an nicht, sie war ihn gewohnt, schließlich hatten sie lange genug zusammengearbeitet.
„Meinst du, dass ich dir drohen würde, Ro'an? Wenn ich einen wichtigen Komplizen deines Verrates aufdecken will?”
Sie war kühl und sie beide wussten, welches Spiel sie gerade spielten. Ein Spiel, das für Ro'an sehr unangenehm werden konnte, das wusste er, aber er hatte sich für diesen Weg entschieden und so würde er ihn auch gehen.
„Ja”, sagte er einfach und diesmal ernst. „Ich traue dir fast alles zu, Da'an. Das solltest du aber bereits wissen.”
„Wirst du mir nun antworten?”
Ro'ans Hände bewegten sich verneinend. „Das wäre doch gegen meine Ehre, meinen Helfer zu verraten!”
Da'an sah ihn an und Ro'an sah zurück. Eine kleine Ewigkeit.
„Gut, du wolltest es nicht anders, Ro'an,” stellte Da'an fest. Angst stieg in dem gefangenen Taelon hoch. Verdammt, er wusste doch, dass man sich mit Da'an besser nicht anlegte. Er sah wie ihre Augen zu funkeln begannen und sie ihre Fassade auflöste, noch während sich ein Lächeln auf ihrem schwindenden, menschlichen Gesicht ausbreitete.
Ro'an schloss die Augen und ließ ebenfalls seine menschliche Maske fallen. Er wusste, dass er seine ganze Konzentration brauchen würde, um das durchzustehen, was auf ihn zu kam. Ein mentales Kräftemessen unter Taelons war immer eine Belastung, doch wenn der Gegner Da'an war, konnte es nur eine Tortur werden. Ro'an versuchte erst gar keinen Gegenangriff, sondern ging sofort in die Defensive. Er stärkte seine Verbindung zum Gemeinwesen und schirmte sich ab, doch langsam aber stetig und scheinbar völlig mühelos begann Da'an ihn zu isolieren. Verzweifelt versuchte Ro'an es zu verhindern, doch der Kreis begann sich zu schließen.
Ro'an spürte das neugierige Näherkommen anderer Taelons. *Helft mir!*, flehte er verzweifelt durch den engen Pass, den Da'an ihm noch ließ. Doch sie lehnten ihn ab. Er war ein Verräter ihres Volkes in ihren Augen. Er klammerte sich an Fe'lun, doch er schien erschöpft und wandte sich ebenfalls ab. Jetzt war keiner mehr da. Sie hatten sich alle von ihm zurückgezogen und stärkten damit wissentlich Da'an. Sie straften ihn für seine Handlung, seinen Verrat. Er hörte dieses Wort „Verräter”. Was sollte er tun, um sich zu schützen? Er sah Da'ans befriedigtes Lächeln. Auch ohne, dass er ihn vollständig isoliert hatte, war er allein. Das war schlimmer für Ro'an, das wusste Da'an. Und Da'an öffnete seine Verbindung zum Gemeinwesen noch weiter. Und noch lauter hörte er sie ihn einen Verräter nennen.
Er stand da, alles drückte das Elend aus, das er fühlte. Er hatte es doch nur für sie getan. So hätte er sie retten können, er hätte die Schlacht gegen die Jaridians gewonnen und dann wäre der Krieg endlich vorbei gewesen. Endlich vorbei. Und keiner wäre mehr von den Jaridians getötet worden, so wie La'ree und seine kleinen...
Er schrie auf. Das fast vollkommene Abgeschnittensein traf ihn härter als er erwartet hatte. Auch wenn ihn die Anschuldigungen verletzt hatten, so war doch nichts schlimmer, als allein zu sein, isoliert. Er hatte sich geirrt. Er begann, sich zu konzentrieren. Er musste doch das Gemeinwesen erreichen können! Er sah es immer noch, nur wie durch einen Schleier. Und sie hörten ihn nicht. Verdammt, Da'an war stark, aber sie musste nicht so viel stärker als er sein. Er ertrug diese Stille nicht mehr, er musste doch zu den anderen. Er sah, wie sie ihn beobachteten. Er streckte sich aus, doch er erreichte sie nicht. Beherrsch dich endlich, Ro'an! Fuhr er sich selbst an. Er sollte schließlich gefoltert werden, so wie er jetzt verzweifelt versuchte, die anderen zu erreichen, so wollte ihn Da'an doch nur haben. Er musste es einfach nur aushalten. So leicht würde Da'an nicht kriegen, was sie wollte!
*Es ist interessant, Deinem Gedankengang zu folgen, Ro'an. Und wie sehr du deine Barrieren in einer derartigen Situation niederlegst.* Sie amüsierte sich köstlich. *Aber jetzt bist du endlich da, wo ich dich haben wollte, Ro'an. Jetzt kommen wir zum ernsten Teil.*
*Du hast wohl schon lange niemanden mehr gefoltert, so dass du dich jetzt an mir auslassen musst.*
*Ganz recht, Ro'an. Es ist schon zu lange her.*
Damit schloss Da'an urplötzlich den Kreis um ihn. Als hätte er einen Schlag erhalten zuckte Ro'an zusammen. Öde Stille umfing ihn und die Schnelligkeit mit der dies geschehen war machte ihn orientierungslos. Als dieses Gefühl nachließ, war es, als würde er aus einem Alptraum erwachen und sich in der Hölle wiederfinden. Nichts, da war absolut nichts! Kein Kontakt zu niemandem! Er war blind, taub und gefühllos. Er versuchte sich zu beherrschen, doch unwillkürlich und obwohl er wusste, dass es sinnlos war, tastete er mental um sich. Nichts. Nichts. Nichts. Die zunehmende Verzweiflung drohte ihm den letzten Rest Kontrolle zu nehmen, als ihn wie von weit weg ein einzelner Gedanke erreichte: *Ro'an, dies kann sofort ein Ende haben. Wer ist dein Komplize?*
Wie gerne wollte Ro'an nachgeben, aber das vertrug das letzte bisschen Stolz in ihm nicht. Er wollte es Da'an nicht so einfach machen. Das würde ihn noch mehr demütigen. Nur was war schlimmer? Demütigung oder diese Leere? Auch Da'an hatte sich so weit von ihm zurückgezogen, dass er sich nur noch nicht in einen Atavus verwandelte. Nicht einmal sie erreichte er. Er fühlte sich tot, nur dass er wusste, dass er noch am Leben war, weil er sonst nicht denken würde. Das musste es doch sein, oder? Aber er war noch mehr als tot. So musste es sein, wenn der Geist eines Taelons vom Gemeinwesen verbannt wurde. Genau so. Nichts mehr da. Nichts. Ein Teil seines Verstandes sagte ihm, dass er leben würde, wieder leben würde, wenn Da'an es zuließ und Da'an würde ihn nicht töten. Er folterte ihn doch. Also musste es ihm doch schlecht gehen. Wie oft hatte er andere schon höllischen Schmerzen ausgesetzt? Zu oft, wusste er jetzt, viel zu oft. Dann dachte er nicht mehr und die Stille wurde noch unerträglicher. Er konzentrierte sich auf das Mutterschiff, versuchte es sich in allen Einzelheiten vorzustellen. Damit ein Gedanke da war in der Leere.
*Wer ist dein Komplize, Ro'an?*
Das Mutterschiff war weg und Ro'an sah eine Frage vor sich. Wer ist dein Komplize? Er wusste es nicht mehr. Er suchte und suchte, aber seine Gedanken blieben leer. Als wäre da nichts mehr. Und mit Erschrecken bemerkte er, dass auch das Mutterschiff nicht mehr da war. Er konnte es in sich nicht mehr finden.
*Ich weiß nicht.* Zögernd, unsicher, verängstigt.
*Dann öffne dich.*
Öffnen? Sich Da'an öffnen? Nein, das wollte er nicht. Aber ob dann die Gedanken wiederkommen würden und er doch noch etwas hatte? Etwas das wieder bei ihm war in der Leere. Öffnen. Wie sollte er das tun? Die Schwärze um ihn drehte sich.
Er spürte Da'ans abfällige Meinung. Sie drang nur schwach zu ihm, aber in der Leere ist das Schwache stark. Und so ließ Da'an ihn spüren, wie dumm und schwach er war.

Ro'an wusste ja nicht, dass Da'an sich nur ärgerte. Sie hatte nicht vermutet, dass Ro'an so schnell an den Rande eines Kollaps gelangen würde. Jetzt musste sie sich beeilen. Mit einer gekonnten Bewegung gelangte sie in Ro'ans Geist und hatte die Information schnell gefunden. Ro'an hatte sein Wissen aktivieren können, er war nur nicht in der Lage gewesen, es zu erreichen. Und wie es sich Da'an gedacht hatte, war Sandoval sein Komplize gewesen. Wer denn auch sonst! Da'an war verärgert. Wieder einmal Sandoval. Sie musste dringend etwas gegen ihn tun, hätte es schon längst tun sollen! Ro'an begann ihr zu entgleiten. Sie schaffte es, ihn festzuhalten und langsam wieder seine Verbindung zum Gemeinwesen zu öffnen und zu stärken. Bloß nicht zuviel auf einmal, dann würde er vollkommen seinen Verstand verlieren.

Und dann spürte Ro'an Da'an bei sich, in sich. Fühlen, er fühlte wieder etwas. Er zitterte, das Nichts, dann Da'an und dann... dann wieder Nichts. Das war einfach zuviel für ihn. Und Da'an ärgerte sich über ihn, aber Da'an war doch die Einzige, die ihn noch retten konnte. Sie durfte nicht böse auf ihn sein! Bitte nicht! Sie entfernte sich schon wieder. Nein, bitte nicht schon wieder die Leere. Bitte nicht! Jetzt drehte sich alles noch schneller und schneller. Das war ein angenehmes Gefühl, es bewegte sich etwas und das Gefühl der Furcht und Verzweiflung verlor sich. Das war schön. Er fiel irgendwie, so als würde es noch ein oben und unten geben.
Da'an packte ihn. Nein! Es war doch so schön. Was wollte sie denn noch von ihm wissen, was er nicht beantworten konnte? Dann sah er wieder etwas, den Schleier. Wenigstens den Schleier, wenn er die Anderen auch nicht erreichen konnte, aber sie waren da und er war irgendwie bei ihnen, ein bisschen wenigstens. Und dann spürte er sie wieder. Sie hießen ihn willkommen, freuten sich, dass er zurück war. Ja, er war wieder zurück, er war wieder lebendig. Danke Da'an, dachte er, obwohl es falsch war, das zu denken, wie sein wiederkehrender Verstand wusste. Aber was zählte das schon? Er war wieder bei Ihnen.

Da'an merkte, wie Ro'an vorsichtig wieder willkommen geheißen wurde, doch die anderen Taelons zogen sich schnell wieder zurück und traten nicht in direkten Kontakt. Sie spürte ihre Verunsicherung über das, was hier geschehen war. Sie hielten Abstand. Nicht nur von Ro'an, sondern auch von ihr. Da'an war nicht unglücklich darüber. Sie war erschöpft und wollte unter eine Energiedusche; um zu vergessen, was sie getan hatte. Es war bestimmt nichts, worauf sie stolz sein konnte, doch es war notwendig gewesen.
Sie wollte eben die Zelle verlassen, als Zo'or sie mental anfuhr: *Was tust du mit Ro'an? Ich habe dir nicht erlaubt...* - *Ich brauche deine Erlaubnis nicht, wenn ich die Interessen des Gemeinwesens vertrete*, gab sie scharf zurück. *Ich werde berichten, aber nicht jetzt. Du wirst warten.* Da'an spürte Zo'ors Misstrauen und Widerwillen, doch er traute sich nicht, ihrer deutlichen Aussage zu widersprechen und zog sich verärgert zurück.
Wieder wandte sich Da'an zum Gehen. Doch sie zögerte. Widerstrebend sah sie zurück zu der auf dem Boden zusammengesunkenen Gestalt. Ro'ans Energieströme flackerten unnatürlich, er sah krank aus. Vorsichtig öffnete sie ihren Geist, um Ro'ans Empfinden wahrzunehmen, was sie bislang sorgsam vermieden hatte. *Angst, Leere, Trauer, Demütigung, Verlassenheit* Ein Schauer lief über sie. Was immer Ro'an getan hatte, er war einer von ihnen. Da'an merkte kaum, dass sie das virtuelle Glas passiert hatte und neben Ro'an nieder kniete. Vorsichtig berührte sie ihn. *Ro'an*, fragte sie vorsichtig.
{Furcht}
*Bitte, Ro'an.*
*Geh weg!* {panisch}
*Ich tue dir nichts mehr, Ro'an! Es war doch nur, um diese eine Information zu erhalten.*
Ro'an zitterte und kroch etwas von Da'an weg. Da'an konnte es nicht mit ansehen. War diese eine Information wirklich diese Qual wert gewesen? Sie hatte nicht einen Moment daran gezweifelt, doch jetzt, als sie Ro'an so sah. Sie war auch schon einmal derartig gequält worden. Als sie noch viel jünger war. Sie hatte es vergessen, verdrängt. Ob sie sonst diese Methode angewandt hätte? Ro'ans scheinbare Stärke und sein Spott hatten es ihr leicht gemacht, die Grausamkeit einer derartigen Tat zu vergessen. Und dann half ihr Boone. Sie erinnerte sich daran, dass Ro'an ihn jederzeit töten konnte. Da'an war kurz beschämt, als sie bemerkte, dass sie dies irgendwie auch für Boone getan hatte. Und selbst jetzt, eben gerade bei dem Gedanken, was Ro'an Boone angetan hatte, hatte sie wieder die Lust verspürt, auch noch die Information aus Ro'an herauszuholen, die ihm verriet, wie sie Boone retten konnte. Aber auf keinen Fall durfte Ro'an davon wissen, davon wie wichtig William ihr noch immer war. Er würde ihn jetzt auf der Stelle töten.
Da'an setzte sich neben Ro'an auf den Boden der Zelle. Sie wusste nicht, wofür sie sich entscheiden sollte. Einerseits bereute sie ihre Tat etwas und wollte Ro'an Trost spenden, andererseits wusste sie auch, zu was Ro'an selbst fähig war. Ro'an schien sich noch nicht erholt zu haben. Wenn die anderen sich jetzt von ihm fernhielten, konnte er dann... sterben? Sie hatte ihn doch niemals töten wollen! Und er flackerte immer noch so merkwürdig. Ohne Rücksicht auf Ro'ans Furcht vor ihr, ergriff sie eine Hand und stellte einen engen, geistigen Kontakt her. Wenn die anderen Ro'an nicht retteten, musste sie es jetzt tun.
*Ro'an.*
Sie spürte seine Schwäche, wie krank er sich fühlte, wie sehr es ihn belastete, auf eine gewisse Art und Weise noch immer vom Gemeinwesen getrennt zu sein. So musste sie jetzt sein Gemeinwesen sein. Da'an begann, Ro'ans Geist zu umschließen und ihm Nähe zu geben. Die Nähe, die Ro'an jetzt so dringend zu seiner Gesundung brauchte. Das hatte sie doch nicht gewollt! Langsam merkte sie, wie Ro'ans Angst nachließ, die Angst vor ihr und die Angst zu sterben. Er nahm ihre Nähe an, war aber nicht gewillt, die Leere von ihr auffüllen zu lassen. Wie auch immer, er würde zumindest nicht mehr sterben. Und um ihre Beziehung zu Ro'an machte sich Da'an auch nicht die geringsten Sorgen.
Plötzlich erinnerte sie sich an etwas und sie wusste, dass Ro'an ebenfalls daran dachte. Sie hatte einmal so in seinen Armen gelegen, gewärmt und getröstet, nachdem sie eine Klippe hinabgestürzt war und er sie gefunden hatte. Er hatte sie am Leben gehalten, während die Heiler auf dem Weg waren.
*Erinnerst du dich?* fragte Da'an sanft. *Ja, es ist lange her...* - *Es waren bessere Zeiten. Nicht gut, aber besser.* - *Das waren sie*, antwortete Ro'an zögernd. Er drehte leicht den Kopf, und sah Da'an an. In seine Augen leuchtete ein Abglanz seines üblichen Feuers auf. *Ich wollte, dass es wieder so wird, Da'an. Ich wollte uns endlich wieder etwas Raum verschaffen. Damit wir wieder Zeit haben, auf Klippen zu klettern.* - *Auch wenn dann manche von uns herunterfallen und direkt in einer geologischen Überwachungsstation landen?*, fragte Da'an selbstironisch und von dem ernsten Thema ablenkend. Er erntete dafür einen nachsichtig belustigten Blick. *Wie kann man nur so ungeschickt sein?! Und unverantwortlich! Du wusstest, dass sie da ist und bist trotzdem genau an dieser Stelle geklettert.* - *Es war ein sehr interessanter Aufstieg. Wie kann man nur eine Überwachungsstation an einer der besten Kletterstellen der ganzen Klippe bauen?* - *Wie oft haben wir diese Diskussion schon geführt, Da'an? Deine Sturheit hätte dich damals beinahe das Leben gekostet!* Da'an spürte, wie Ro'an in Erinnerung an diese Begebenheit und wohl mehr unabsichtlich als bewusst mental nach ihm griff und ihn beschützend einhüllte.
*Ja, und danke, dass du mich gefunden und so gerettet hast.* Da'an ließ Ro'an ihre Dankbarkeit spüren. Dann merkte sie, wie Ro'an sie losließ. *Glaubst du, ich vergesse so, was du mir angetan hast?* Ro'an ging es nun schon deutlich besser. *Nein.* Eine abwartende Pause.
*Bleib noch etwas bei mir, ja?* Da'an bestätigte und zusammen mit Ro'an dachte sie an die alten Zeiten, die Zeiten, in denen das zarte Band von La'ree und Ro'an gerade erst geknüpft wurde und sie ihre gemeinsame Zeit noch vor sich hatten. Da'an trauerte mit Ro'an und Ro'an genoss es, einmal wieder an La'ree zu denken und dabei verstanden zu werden.

 
* * *
 

Matyr sah, dass etwas im Gemeinwesen geschehen sein musste. Er sah es Zo'or an. Sandoval hatte einen Auftrag auf der Brücke erhalten und so würde Matyr lange warten müssen, bis er seine Verfolgung wieder aufnehmen konnte. Aber so lange konnte er sich ja noch mit dem Führer der Taelons beschäftigen, was sowieso seine erste Aufgabe als Botschafter sein sollte. Doch Zo'or sah nicht sehr gesprächig aus. Das Ereignis im Gemeinwesen hatte ihn offensichtlich verstimmt. Und Matyr sah auch genau wieso: Zo'or wusste nicht Bescheid und das nervte ihn. Der Geryn hatte diesen Taelon schon einmal in solch einer Situation erlebt und Zo'or verhielt sich ähnlich wie damals. Interessant. Er musste als Botschafter lernen, Zo'ors Auftreten zu verstehen. Und auch wenn er keine Lust hatte, sich zu unterhalten, so war dies doch eine hervorragende Lehrstunde für Matyr. Und er musste boshafterweise zugeben, dass er den Synodenführer noch etwas mehr nerven wollte. Mal sehen, wie er dann reagierte.
„Zo'or, ist etwas geschehen? Sie wirken irgendwie beunruhigt”, fragte Matyr, obwohl er wusste, dass dies den gerynianischen Regeln der Höflichkeit widersprach. Der Blick des Taelons zeigte ihm auch sofort, dass er diesen besser nicht in seinen Gedanken hätte stören sollen. Wunderbar! Matyr war auf dem richtigen Wege.
„Nein, es ist nichts geschehen, was von großer Wichtigkeit wäre.”
„Mmh, aber von geringer Wichtigkeit?”
Zo'or tötete ihn mit seinem Blick, doch der Geryn lächelte nur unschuldig. „So ist es.”
Sein Ton besagte eindeutig, dass Matyr es nicht wagen sollte, noch weiter zu fragen. Aber Geryn sind eben schrecklich neugierig, gerade wenn sie es sich in den Kopf gesetzt haben, jemanden zu studieren.
„Dann ist also doch etwas geschehen.”
„Das ist korrekt.”
„Darf ich dann fragen, was so wenig Wichtiges geschehen ist?”
Nein, dürfen Sie nicht, sagte Zo'ors Blick.
„Schließlich sollte ich als Botschafter der Geryn über die Ereignisse bei ihrem Volk informiert sein.”
Zo'or schluckte seine scharfe Antwort hinunter und war nun ganz freundlich, während er sich innerlich gerade überlegte, wie man einen gerynianischen Botschafter loswerden konnte, ohne dass es großes Aufsehen erregte.
„Dieses Ereignis ist für die Beziehungen unseres Volkes aber VOLLKOMMEN unwichtig, deshalb sehe ich nicht, weshalb ich Sie darüber informieren muss.”
In diesem Moment kam Agent Sandoval auf die beiden zu. Er wartete in respektvoller Entfernung, um die Unterhaltung zwischen dem Botschafter und dem Synodenführer nicht zu stören. Doch er musste keine Sekunde warten, bis Zo'or sich ihm - dankbar für diese Gelegenheit Matyrs Fragen zu entkommen - zuwandte.
„Was gibt es, Agent Sandoval?”
„Ich bitte darum, mich vom Mutterschiff entfernen zu dürfen. Ich muss mich um die Sicherheitsvorkehrungen der UN-Veranstaltung kümmern, an der Sie morgen teilnehmen werden.”
„Erlaubnis erteilt. Gehen Sie!”
Während der Mensch die Brücke verließ, wandte sich Zo'or zögernd - oder vielleicht ist ‚widerwillig’ das bessere Wort - zu Matyr. Doch an der Stelle, an der eben noch der gerynianische Botschafter gestanden hatte, war nichts mehr.
Mit einem „Um so besser!” öffnete Zo'or den Datenstrom, um sich ein paar nicht wirklich wichtigen, aber dafür sehr interessanten Fragen zu zuwenden, die das Privatleben einiger hochrangiger menschlicher Politiker betrafen.

 
* * *
 

*Au!* Wütend formte Matyr eine Fußangel und brachte einen Freiwilligen zu Fall, der auf ihn getreten war. Es war nicht wirklich dessen Fehler, denn wie sollte er Matyr vom normalen Bodenbelag unterscheiden, in den dieser sich in dem kurzen Moment als Zo'or und Sandoval ihn unbeachtet gelassen hatten, verwandelt hatte? Matyr beschloss, dass dies keine sehr gute Verkleidung war, um Sandoval zu verfolgen und dass er bei dem armen gestürzten Freiwilligen etwas gut zumachen hatte. Um sich sein Gesicht gut merken zu können, verwandelte er sich hinter der nächsten Ecke rasch in dessen Gestalt.
Sandoval steuerte eilig auf das Shuttlehangar zu, wo ein ziemlich unsympathisch aussehender Kerl auf ihn wartete. Missmutig verwandelte sich Matyr wieder zurück in den Bodenbelag, denn das war die einzige Möglichkeit um nahe genug an die beiden heranzukommen.

„Tag, Chef. Geht's jetzt endlich los?”
„Wenn Sie noch eine Weile leben wollen, dann sollten Sie sich eine etwas formellere Ausdrucksweise zulegen. Irgendwann könnte ich sonst Ihrer überdrüssig werden!”
Doch der Mann zuckte nur mit den Schultern und biss herzhaft in einen Schokoriegel. Das Papier ließ er achtlos auf den Boden - oder korrekter auf Matyr fallen.
„Also, was passiert jetzt, Chef?”
„Ganz einfach. Sie fliegen in unser Versteck und warten dort. Ich hole den Taelon und komme durch das Portal nach. Und wenn alles vorbei ist, dann fliegen wir - wie ich es Zo'or gesagt habe - zum Abklären der Sicherheitsvorkehrungen.”

Matyr spitzte seinen imaginären Ohren. Er wollte den Taelon holen? Wer damit wohl gemeint war? Und was war das überhaupt für eine Ausdrucksweise, von einem Taelon zu sprechen? Nein, nein, das Ganze gefiel Matyr immer weniger und weniger. Der Geryn folgte Sandoval, mittlerweile wieder als Strebe, und gelangte so zu den Arrestzellen. Es erstaunte ihn schon sehr, dass Sandoval hierher kam, um „den Taelon zu holen”. Er bemerkte, dass der Mensch abrupt stehen blieb und leicht entsetzt in eine Zelle sah. Matyr blickte in dieselbe Richtung ... und sah Da'an und Ro'an aneinander gekauert auf dem Boden sitzen/liegen. Interessant, sehr interessant. Da'an, die durch Ro'an vom Widerstand gefangen genommen worden war, war nun eng mit ihm verbunden. Aber Ro'an sah nicht gut aus, das sah Matyr mit seinen Kenntnissen von der Physiologie der Taelons sofort. Er wirkte sehr schwach und erschöpft.
Die beiden bemerkten sie nicht. So vertieft waren sie in ihr Sharing. Matyr wollte nicht stören, und Sandoval scheinbar auch nicht, denn nach einem kurzen Moment des Zögerns drehte er sich auf dem Absatz um und verließ den Arrestteil des Schiffes. Matyr hätte zu gern noch das Bild dieser zwei eng umschlungenen Taelons genossen, doch er wollte mehr über Sandovals Geheimnisse erfahren und noch mehr, in welches Versteck er Ro'an hatte bringen wollen.

 
* * *
 

T'than wanderte sehr zufrieden zu der Kammer, in der Renee gefangen halten wurde. Er hatte einen treuen Ergebenen gefunden, das musste ihn einfach zufrieden machen.
Er hatte beschlossen, sich in den folgenden Stunden nicht die Laune verderben zu lassen. Also würde er Zo'or keinen Besuch abstatten und Da'an nach dieser Sache mit Ro'an auch nicht. Er konnte sich denken, was passiert war und in welcher Stimmung sie jetzt war, dazu kannte er seine Liebste einfach zu lange und zu gut. Also wollte er sich endlich wieder um Renee kümmern. Er gab den Code ihres Raumes ein, betrat ihn und erstarrte. Renée war fort!

Wenige Minuten später stürmte ein wütender Taelon-Kriegsminister die Brücke.
„Zo'or!”, fauchte er den Synodenführer an, um dessen Aufmerksamkeit zu erhalten.
Dieser schloss auch tatsächlich den Datenstrom und drehte sich mit einem seiner üblichen fiesen Lächeln zu seinem Kontrahenten.
„Wusstest du, dass der amerikanische Justizminister ein Verhältnis mit seinem Schwiegersohn hat?”
Völlig aus dem Konzept gebracht starrte T'than den anderen Taelon an.
„Er bricht dabei gleich drei Tabus seiner Gesellschaft!”, frohlockte Zo'or mit diebischer Freude.
„Verschone mich mit den kleinlichen Tabus der Menschen!”, donnerte T'than. „Wo...”
„Zumindest eines davon finde ich persönlich gar nicht so schlecht”, unterbracht Zo'or ihn mit einem gespielt unschuldigen Lächeln.
„WO IST RENEE PALMER?” Jetzt schrie T'than.
„Mrs. Palmer ist...”, Zo'or macht eine lässige Handbewegung, „...geflohen.”
„Von wegen ‚geflohen’! Du hast sie entkommen lassen! Dazu hattest du KEIN Recht.”
„Tut mir wirklich leid, dass du dein kleines Spielzeug verloren hast,” Zo'ors Stimme troff vor Ironie, „aber ich hielt es für wichtiger herauszufinden, wo sich der Rest des Widerstandes aufhält.” Mit einer Handbewegung öffnete er den Datenstrom und man sah, wie sich eine besorgt dreinblickende Dr. Park über die verletzte Julia beugte.
Zo'ors zufriedenes Lächeln wurde noch breiter als er T'thans Überraschung und ... seine Anerkennung sah. Und wirklich, T'than war erstaunt über diese durchaus taktisch kluge Handlung des Synodenführers, auch wenn sie ihm persönlich nicht unbedingt gefiel. „Und nun?”
„Wir werden warten. Der Widerständler hatte von einer dritten Person gesprochen. Sie werden sie sicherlich bald kontaktieren.”

 
* * *
 

Die junge Frau mit den schulterlangen, blonden Haaren, die sie locker hochgesteckt hatte, und den blauen Augen umrahmt von einer dunklen Brille ging selbstbewusst durch den Gang. Die Ärmel ihrer weißen Bluse hatte sie etwas hochgekrempelt und das Geräusch ihrer Absatzschuhe hallte durch die Etage.
„Miss Lizan!” Der Professor kam strahlend auf sie zu.
„Professor Dorrian! Es freut mich, Sie hier zu sehen.” Sie schenkte dem Mann in den Fünfzigern ein Lächeln. „Wie geht es unserer Freundin?”
„Sie hat sich sehr gut erholt. Wollen Sie sie sehen?”
„Natürlich.”
Er führte sie zwei Stockwerke höher. „Wie geht es eigentlich Ihrem Neffen?”
„Meinem Neffen? Ach, Sie meinen Augur! Nun, ich denke gut, soweit ich das weiß.”
„War er schon hier?”
„Ja, und er hat sich wahnsinnig darauf gefreut sie wiederzusehen. Sie muss ihm sehr viel bedeutet haben.”
Die junge Frau nickte. „Das denke ich auch.”
Sie traten in ein geräumiges, helles Zimmer. Am Fenster stand eine dunkelhaarige Frau, nachdenklich auf den Park hinter dem Gebäude sehend. Als sie sie eintreten hörte, drehte sie sich um und fing an zu lächeln. Lizan nickte dem Professor zu und er ließ sie diskret allein.
Jetzt kam die Besucherin auf sie zu. „Nyan!” Sie strahlte und begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung. „Du siehst phantastisch aus! Wo hast Du denn diese Frau gesehen?”
„Ein echter Glückstreffer, ich weiß.” Nyan grinste. „Wie geht es dir, Lili?”
„Oh, danke ganz gut!”, antwortete Lili und machte es sich in Nyans Umarmung bequem. Sie wusste aus Erfahrung, dass ein Geryn einen nicht so schnell wieder losließ und wenn man sich einmal daran gewöhnt hatte, war es ja auch sehr angenehm. „Mir ist nur etwas langweilig. In einem Krankenhaus herumzusitzen ist alles andere als aufregend. Nach der letzten Nachricht von dir, dass Ro'ans Plan, die Macht zu ergreifen, erfolgreich vereitelt wurde und Boone und Liam bei euch zu Gast sind, hab ich keine weiteren Informationen erhalten. Was ist denn eigentlich los?”
„Eine ganze Menge! Das wichtigste: Die Taelons haben tatsächlich in eine Allianz mit uns eingewilligt. Trotz ihrer verzweifelten Lage hätte ich das nie gedacht!” Nyan stahlte über das ganze Gesicht und drückte Lili noch enger an sich.
„Äh, Nyan, deine Begeisterung für diese Entwicklung in Ehren, aber das hat dein letzter Bericht schon enthalten. Ich will wissen, was mit Boone, Liam und Augur ist.”
Nyan mäßigte seine Umarmung wieder etwas und sah verlegen zu Boden.
„Nyan! Das letzte was ich an Informationen bekommen habe, waren die Daten von Augur, aber völlig ohne Kommentar!”
Der Geryn sah überrascht hoch. „Ich hab keine Ahnung, was mit Augur ist. Ich dachte, er und Renee wäre mitsamt den Daten aus Kanada weggekommen.”
Die beiden sahen sich besorgt an. Schließlich brach Lili das Schweigen.
„Ich werde gleich nachher versuchen, ihn zu erreichen. Aber jetzt sag mir, was mit Boone und Liam ist.”
Wieder sah der Geryn verlegen zu Boden. „Mit Boone ist alles in Ordnung. Er ist soooo lieb.” Nyan vergaß seine Verlegenheit und strahlte Lili an. „Du hattest völlig recht, mit allem was du über ihn erzählt hast!”
„Und Liam? Was ist mit Liam?”
Nyans Blick wurde wieder ausweichend, ja sogar ein wenig traurig und Lili spürte wie eisige Hand nach ihrem Herzen griff.
„Nyan, bitte sag mir nicht, dass ihm etwas passiert ist...”
„Nein”, brachte der Geryn, dem es leid tat, Lili so entsetzt zu sehen, langsam hervor. „Es geht ihm gut ... er kriegt nur langsam Hunger.”
Lili sah ihn verständnislos an. „Liam hat Hunger?” Nyan setzte zum Nicken an, als sich von innen heraus fest und so weit wie möglich eine Hand unter der Oberfläche des Geryn herauspresste.
„Nyan!”, schrie Lili den jetzt sehr verschreckten Außerirdischen an, „Du hast Liam verschlungen!”
Noch nie hatte sie oder jemand anderes Nyan angeschrien! Das tat man nur, wenn man jemanden hasste. Als hätte er sich verbrannt, ließ er sie los und entfernte sich rückwärtsgehend von ihr. „Ich habe verstanden”, murmelte er, „ich habe verstanden. Mach dir keine Sorgen, ich werde dich nicht mehr belästigen. Es tut mir leid.” Damit hatte er die Tür erreicht und war auf dem Gang.

Einen Moment lang starrt Lili ihm einfach nur mit offenem Mund hinterher. *Was zum Teufel hat das nun wieder zu bedeuten?* Doch dann fing sie sich und rannte dem Außerirdischen so schnell es ging hinterher. Sie erreichte ihn an der Tür zur Treppe.
„Nyan! Nyan, bitte warte!” Atemlos drängte sie sich zwischen den Geryn und die Tür und ergriff das was gerade seine Hände waren. Von der ungewohnten Anstrengung nach der langen Genesungszeit war ihr schummrig und so brauchte sie einen Moment, um weiterreden zu können.
Unschlüssig stand Nyan vor ihr und wusste offenkundig nicht, was er tun sollte.
„Okay,” begann Lili nach einer Minute als sie sich soweit erholt hatte, „was meinst du damit, du hättest verstanden und würdest mich nicht mehr belästigen? Ich dachte, wir sind Freunde. Und warum um alles in der Welt hast du Liam verschlungen? Ich verstehe überhaupt nichts mehr...” Lili gelang es mühelos so verzweifelt und verwirrt auszusehen, wie sie sich fühlte.
Dies stimmte Nyan nachdenklich. Hatte Wayos nicht immer wieder betont, das andere Spezies ganz anders waren als sie?
„Ja, ich dachte auch, wir sind Freunde,” begann er zögerlich, doch dann überwältigte ihn seine Traurigkeit. Ohne darauf zu achten wo er war, verwandelte er sich in eine nicht viel mehr als ein Meter hohe, tiefgraue unförmige Kugel. „Aber Freunde schreit man doch nicht an,” jammerte er leise.
„Oh Nyan!”, meinte Lili bedauernd. „Es tut mir leid! Ich war nur so verwirrt und erschrocken. Bitte verzeih mir! Ich wollte dich nicht verletzen!” Sie strich dem Geryn sanft über die Oberfläche seiner kugeligen Form. Als sich das grau aufhellte und zu einem entspannteren Hellgrau wurde, wusste Lili, dass Nyan ihre Entschuldigung angenommen hatte. Erleichtert seufzte sie auf und dachte wieder an ihre Umgebung.
„Nyan, wir müssen schnell wieder in mein Zimmer!”, flüsterte sie und war nur wenig erstaunt, als Nyan die Tür noch vor ihr erreicht hatte. Sie hatte schon einige Fähigkeiten der Geryn selbst erlebt.
Diesmal schloss Lili ihr Zimmer ab. Professor Dorrian hatte ihr für genau solche Anlässe den Schlüssel dazu gegeben. Niemand sollte überraschend hineinkommen können.

Als es Nyan etwas besser ging, nachdem sie ihn ausgiebig geknuddelt und liebkost hatte, kam Lili wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. „Was ist nun mit Liam?”
Nyan, der sich im Laufe von Lilis Liebkosungen zu einem weichen orangefarbenen kugeligen Gebilde gewandelt hatte, veränderte sich schlagartig in einen harten betongrauen Kubus.
„Liam ist gut verstaut und kann dort wo er jetzt ist niemandem gefährlich werden. Er bleibt, wo er ist!”
Verzweifelt sah Lili auf den Geryn, der völlig unzugänglich vor ihr stand, nicht einmal Augen, Ohren oder Mund waren zu sehen.
„Nyan, bitte! Ich verstehe das einfach nicht. Liam tut doch niemandem etwas. Im Gegenteil, ich keine niemanden, der Leuten in Not so bereitwillig und bedingungslos hilft!”
„Taktik!”, tauchte irgendwo tief aus Nyan dieses Wort auf.
„Was meinst du damit?”
„Kimera sind hinterlistig”, erklang es ganz dumpf.
„Kimera?” Langsam dämmerte es Lili. Sie hatte nicht gewusst, dass Nyan davon wusste. „Aber Liam ist doch nur zu einem Drittel Kimera! Ansonsten ist er menschlich, so wie ich auch!”
„Kimera-Gene sind dominant, egal mit welcher anderen Spezies.”
„Nyan.” Lili strich über die harte Oberfläche des Geryn. „Könnte ich wenigstens wieder ein Gesicht von Dir sehen?”
Zögernd verwandelte Nyan sich, sein Körper war weiterhin ein stahlgrauer Kubus, um seinen eisernen Willen zu betonen, nur streckte sich davon jetzt ein langer, fadenförmiger Hals ab, mit einer Kugel als Kopf und einem Gesicht. Er sah sie entschlossen an, nicht bereit, auch nur einen Millimeter von seiner Meinung abzugehen.
„Wie hast du es eigentlich geschafft, Liam in der Form eines Frauenkörpers in dir zu haben?”, versuchte Lili die Atmosphäre etwas zu lockern.
„Spezielle Falttechnik der inneren Membranen.” Lili mochte nicht daran denken, wie Liam jetzt in Nyans Körper „gefaltet” war. „Wie ... wie meinst du das? Ist Liam gefaltet?”
Ein strafender Blick von Nyan. „Nein, ich will ihn ja nur aufbewahren und nicht verletzen. Seine Knochen sind zu stabil, als dass ich ihn falten könnte.”
„Ähm, und wie geht es ihm jetzt?”
Nyan schien kurz zu überlegen. „Mittlerweile hat er sich beruhigt, da er jetzt weiß, dass ich ihm NOCH nichts tun werde. Er bombardiert mich aber die ganze Zeit über mit blöden Gedanken. Wenn ich also etwas abgelenkt wirken sollte, tut es mir leid.”
„Du hattest was von Hunger gesagt.” Die Kugel auf dem dünnen Faden nickte. „Ja, ich sollte ihm bald Nahrung zuführen.”
„Ich habe etwas Obst und Kekse da,” meinte Lili und sah Nyan hoffnungsvoll an. „Das könnten wir...”
„Nein!” Der Kopf und der dünne Hals verschwanden schlagartig wieder in dem grauen Kubus. „Der Kimera bleibt, wo er ist!”, tönte es dumpf.
Lili seufzte resigniert. Sie begann zu ahnen, dass sie den Geryn nicht würde überreden konnten. Nie hätte sie bei diesen spielerischen, liebevollen Wesen eine solche Entschlossenheit vermutet. Lili schnürte es die Kehle zu, bei dem Gedanken, dass sie Liam vielleicht nicht würde helfen können.
„Was habt ihr eigentlich gegen die Kimera?”, fragte sie schließlich in dem verzweifelten Versuch etwas Licht in diese verzwickte Sache zu bringen. Leider war der Effekt nicht der gewünschte. Der graue Kubus, der Nyan war, färbte sich in Sekundenschnelle signalrot und verformte sich zu einer stacheligen Kugel. Instinktiv wich Lili vor den armlangen spitzen Stacheln zurück.
„Die Kimera sind böse!”, grollte es aus dem Inneren der Kugel. „Je weniger du darüber weißt desto besser. Bitte kümmere dich hier um alles. Ich versuche so bald wie möglich wieder zur Erde zurück zu kehren.” Damit begann Nyan - ohne die Stacheln einzuziehen - zur Tür zu rollen.
Ohne auf die Stacheln zu achten, sprang Lili auf und verstellte Nyan den Weg. Abrupt stoppte die Kugel nur wenige Zentimeter vor Lili. Erschrockene schwarze Kulleraugen wurden sichtbar und die Stacheln erhielten umgehend dicke runde Enden.
„Bitte lass mich vorbei, Lili!”, klang es ein wenig unsicher aus der Kugel.
„Ich... ich will nur die Türe aufschließen”, suchte Lili nach einer Erklärung, um Nyan nicht noch mehr zu verschrecken. „Aber bitte sag mir vorher, was du mit Liam vor hast. Warum musst du mich in dieser Situation alleine lassen?” Obwohl es Lilis Stolz eigentlich nicht zuließ, begann ihre Stimme zu zittern und der Kloß in ihrem Hals wurde immer größer. Sie fühlte sich so verdammt hilflos und verwirrt.
Der Geryn schmolz regelrecht vor Lili und formte sich langsam wieder zu der Frau, die vor kurzem das Krankenhaus betreten hatte. „Es tut mir sehr leid, Lili, dass ich dich alleine lassen muss. Aber die Entdeckung eines Kimera ist alarmierend. Ich muss ihn sofort auf unsere Heimatwelt bringen. Eigentlich hätte ich das unverzüglich machen müssen. Wenn irgendetwas ist, dann wende dich an Matyr. Ich versuche so bald wie möglich wieder zur Erde zu kommen.”
„Aber was wird mit Liam? Was habt ihr mit ihm vor? Er ist doch noch so jung.” Lili konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. „Versteh doch, ich habe seiner Mutter versprochen, auf ihn aufzupassen...”
Unglücklich sah der Geryn sie an und nahm sie dann in den Arm. „Es tut mir sehr leid, dass du so getäuscht wurdest. Ich verstehe, dass du nicht wissen kannst, was die Kimera getan haben und warum sie so gefährlich sind.”
Lili schniefte und versuchte mit leidlichem Erfolg die Tränen runterzuschlucken. „Kann ich nicht mitkommen? Ich muss wissen, was es mit den Kimera auf sich hat. So einfach kann ich Liam nicht im Stich lassen. Er braucht doch wenigstens einen Fürsprecher!” Nyan löste sich sanft von Lili, ließ jedoch seine Hände auf ihren Schultern ruhen. Ein wenig irritiert und nachdenklich sah er sie an.
Lili nützte die Chance. „Versteh doch, Nyan, wenn ihr ihm einen Prozess macht, dann muss doch jemand seine Verteidigung übernehmen. Das ist bei uns Menschen so üblich. Und Liam ist zum größten Teil menschlich, hat er da nicht eine entsprechende Behandlung verdient.”
Die Irritation des Geryn steigerte sich. „Prozess? Nein, ich verstehe dich nicht. Was soll das sein?”
Nun war es an Lili verwirrt zu sein. „Na, ich meine eine formelle Gerichtsverhandlung, in der entschieden wird, was mit ihm passieren soll. Habt ihr denn so was nicht?”
„Formelle Verhandlung? Was meinst du? Wir werden halt entscheiden, was wir mit dem Kimera machen...”
Lili sank der Mut wieder. Wie sollte Liam Gerechtigkeit widerfahren, wenn es noch nicht einmal Regeln gab, mit Hilfe derer man ihn verteidigen konnten. „Nyan, bitte nimm mich bitte mit!” Lili fiel nichts anderes mehr ein, als sich allein aufs Bitten zu verlegen.
Nachdenklich sah Nyan sie eine Weile an, dann schüttelte er schließlich den Kopf. „Nein, du hast hier wichtige Aufgaben. Wir können jetzt nicht beide weg. Aber wenn es dir so wichtig ist, dann werden wir mit der Entscheidung noch warten, bis du nachkommen kannst. Einverstanden?”
Erleichtert nickte Lili. Das war nicht viel, aber vermutlich das einzige, was sie im Moment erreichen konnte. „Einverstanden!” Sie versuchte sich an einem kleinen Lächeln und erntete dafür vor Freude strahlende Augen und eine herzliche Umarmung.
„Wunderbar! Dann gehe ich jetzt. Pass auf dich auf, Lili. Ich melde mich so bald wie möglich!”
Damit trat Nyan an ihr vorbei an die Türe und schloss sie, in dem er einen Finger zu einem passenden Schlüssel formte, auf. Noch ein Augenzwinkern und ein Winken und Nyan war verschwunden.

 

Ende von Kapitel 6

 

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