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  „Schnee-Engel” von Foxfeather   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Disclaimer: Alle vorkommenden Personen gehören den Machern von Mission Erde. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Liam und Ki'va bewundern die winterliche Natur
Zeitpunkt:  Diese Story spielt im „Sammler-Universum”, etwa zu der Zeit, in der Kelara mit der Geschichte stehengeblieben ist.
Charaktere:  Liam, Ki'va, [Foxfeather, Samy'ra, Aldrin]
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Board-Adventskalenders geschrieben
 

 

SCHNEE-ENGEL

 

Der Tag fand Ki'va wie eingefroren vor dem großen Fenster seines Büros. Liam hatte den Raum bereits vor fünf Minuten betreten und wartete darauf, dass Ki'va ihn bemerken und begrüßen würde. Das letzte Mal, als er den zierlichen Taelon angesprochen hatte, als er so tief wie jetzt in Gedanken versunken gewesen war, hatte das fast dazu geführt, dass Ki'va aus dem Raum geflüchtet wäre. Noch einmal wollte Liam seinen Chef nicht erschrecken. >Chef<, er fiel ihm immer noch verdammt schwer, Ki'va so zu sehen. Es war eher umgekehrt, Ki'va war nicht sein Vorgesetzter, sondern sein Schützling, jemand, den er vor Allem, im Besonderen vor den anderen Taelons beschützen musste. Und diesen Drang musste er unterdrücken, denn dieser Beschützerinstinkt ging so weit, dass er sich schon mehrmals fast als „Gegner” der Taelons geoutet hätte. Er war sich nicht sicher, wie viel Ki'va über seine Vergangenheit wusste, wieweit Da'an ihm vertraut hatte. Aber genug davon. Was beschäftigte Ki'va jetzt, dass er so angestrengt aus dem Fenster starrte? Ein Blick auf die Uhr verriet Liam, dass er jetzt schon zehn Minuten wartete, während Ki'va sich nicht einen Millimeter vom Fleck bewegt hatte.
Ein leises Begrüßungs-Miau und eine wie ein Versehen wirkende Berührung an seinen Beinen erinnerte Liam daran, dass dieses Büro noch von einem zweiten Wesen okkupiert wurde.
„Guten Morgen, Aldrin”, ertönte die leise Stimme Ki'vas vom Fenster her. Als sich nichts rührte, drehte er sich in die Richtung, aus der das Miau gekommen war, um. Und zuckte zusammen.
„Oh. Guten Morgen, Major Kincaid! Ich wusste nicht...”
„Ist schon gut, ich bin gerade erst hereingekommen,” beschwichtigte Liam den Taelon.
Doch er redete bereits wieder mit Ki'vas Rücken.
„Es ist faszinierend...”, hörte Liam den Taelon flüstern.
„Was ist faszinierend?”
„Schneeflocken!”
„Schnee...?”
Liam trat neben Ki'va ans Fenster.
Draußen schneite es still und leise vor sich hin. Der Asphalt der Bürgersteige und die gepflasterten Wege des Gartens der taelonischen Botschaft waren bereits von einem dünnen weißen Laken bedeckt. Die Grünflächen zeigten, dass sie die Wärme besser speicherten als der kalte Stein, hier blieb der Schnee noch nicht liegen, aber wenn es so weiter schneite wie bisher, würde sich das im Nullkommanichts ändern.
Als Liam am Morgen mit dem Auto zur Botschaft gefahren war, hatte er den Schnee verflucht, der die Luft noch kälter und ungemütlicher erscheinen ließ, als sie eigentlich war, und die dunklen Wolken hatten ihm aufs Gemüt gedrückt. Wie hatte er sich in sein warmes Bett zurückgewünscht, nur nicht aufstehen müssen! Tage wie dieser waren Tage, an denen man sich am besten mit einer Tasse Schokolade und einer dicken, kuscheligen Decke vor den Fernseher verkroch. Aber die Pflicht hatte gerufen und er hatte sich, zusammen mit vielen anderen schlechtgelaunten Menschen, über Washingtons verstopfte Straßen zur Botschaft geschleppt.
Jetzt aber, wo er neben Ki'va stand, fühlte er anders. Es war immerhin der erste Schnee in diesem Winter! Liam begann, sich daran zu erinnern, dass er ja eigentlich noch ein Kind war, und er zwang sich dazu, die Welt jetzt einmal mit den Augen eines Kindes zu sehen.
Der erste Schnee, das bedeutete, dass man bald Schlitten fahren konnte, es bedeutete Schneeballschlachten, Schneemänner und Schnee-Engel. Es bedeutete Schnee mit der Zunge aufzufangen und es bedeutete das phantastische Gefühl, seinen steifgefrorenen Körper in eine Decke gewickelt vor der Heizung, oder noch besser, vorm Kamin mit einer Tasse heißer Schokolade in den Händen wieder aufzutauen. Liam konnte sich nicht daran erinnern, wie es war, einen Schneemann zu bauen, er erinnerte sich nur an die Erinnerungen des jungen Ronald Sandoval und der kleinen Siobhan Beckett. Es war wie Wissen aus zweiter Hand, und doch anders. Andere Erinnerungen tauchten nun auf, Erinnerungen an Spaziergänge in einer Landschaft, die so unberührt und jungfräulich aussah, dass es einem in der Seele weh tat, so erfüllt war man von ehrfürchtiger Freude über diese unbeschreibliche Schönheit der Natur, diese wilde Einsamkeit.
Das Funkeln der von Frostreif überzogenen Bäume, die wie mit tausend Diamanten bedeckt in der Sonne glitzerten. Die wunderschönen Muster der Eisblumen am Fenster. Der Geruch der Kälte, das Gefühl, die prickelnde Luft einzuatmen und dabei bewusst zu spüren, wo die eigenen Lungen waren, wie sich die Kälte im Inneren des Körpers auflöste. Der Geruch von brennendem Holz und Harz in den Kaminen der Menschen, an deren Häusern man vorbei kam.
Liam schloss die Augen, um sich alle diese Erinnerungen besser bildlich vorstellen zu können. Auch andere Sinne erinnerten sich nun an die Schönheiten des angeblich so toten Winters. Das knirschende Geräusch, wenn man mit dem Stiefel in die gefrorene oberste Schicht einer Schneedecke einbrach, an das Donnern einer Lawine, die vom Dach rutschte, während man gemütlich im Warmen saß und nach draußen sah. An das emsige Schimpfen der Vögel, die sich um die letzten Körner im Vogelhaus stritten. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass man die Vögel im Winter viel häufiger hörte als im Sommer, sie hielten sich näher bei den Menschen auf, man beachtete sie mehr, sie konnten sich nicht so sehr in den Blättern der Bäume verstecken, sie waren oft das einzige Lebendige, das man sah. Im Sommer hörte man sie nur in der Morgendämmerung, aber die war dann so früh, dass man sie regelmäßig verschlief. Jetzt im Winter achtete man viel mehr auf die Lebewesen um einen herum: Ein Eichhörnchen, das sein Nussversteck suchte, die Spuren der anderen Tiere im Schnee, Füchse, Mäuse, Tiere, von denen man für den Rest des Jahres oft vergaß, dass es sie gab.
Liam öffnete die Augen wieder und betrachtete den Himmel. Die Wolken, die ihm auf dem Weg zur Botschaft noch so finster und bedrohlich erschienen waren, wirkten nun... vielversprechend. Wie dunkelgraue Watte türmten sie sich übereinander, so tief hängend, dass man meinte, sie berühren zu können. Wolken, die Schnee trugen, sahen anders aus als alle anderen Wolken, die Liam spontan einfielen. Irgendwie dicker und mächtiger, bedeutender.
Liam legte den Kopf in den Nacken und trat näher ans Fenster. Die Schneeflocken schienen nun direkt auf ihn zu zu fallen. Der Anblick machte ihn schwindlig, aber auf eine Weise, die ihm ein Gefühl von So-muss-es-sein vermittelte.
Es schneite nun noch heftiger, und Liam senkte den Blick hinunter in den Park. Er blendete den Anblick der Stadt ringsum aus und konzentrierte sich auf die Natur. Die Erinnerung zoomte den Boden, die Wiese, näher heran und Liam sah zu, wie der Schnee die Spitzen des Grases umarmte, bis er auch das letzte Fleckchen Grün in sich aufgenommen hatte und wie eine Decke gegen den Rest der Welt schützte und versteckte.
Gedankenverloren fragte sich Liam, ob sich am virtuellen Glas des Fensters auch Eisblumen bilden würden. Virtuelles Glas. Die Taelon-Botschaft. Ki'va. Liam schreckte hoch.
Der kleine Taelon stand neben ihm und blickte ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an.
„Ich, es tut mir leid, ich wollte nicht so... abdriften. Ich...”, stammelte Liam verlegen.
„Schhh.” Ki'va hob seine Hand und legte sie Liam leicht gegen die Lippen.
„Sie spüren den Zauber ebenfalls, nicht wahr?”
Liam sah ihn verblüfft an.
„Zauber?”
„Die Welt verändert sich an diesem Tag. Sie breitet eine schützende Decke über sich und ruht sich aus von den Anstrengungen des Tages. Sie lehnt sich zurück und betrachtet das Treiben auf ihrem Rücken. Sie lacht mit den Kindern und spürt die Ehrfurcht vor ihrer Macht, wenn die Menschen und die anderen Lebewesen ihre verhüllte Pracht neu entdecken. Und wenn der Frühling kommt, dann ist es wie ein Geschenk, dass man auspackt, ein neuer Tag beginnt. Ein Tag jedoch, an dem man vor lauter Hektik und Arbeit nicht an die Schönheit denkt. Jetzt aber kann sich die Natur von dem ausruhen, was sie an diesem Tag alles geleistet hat.”
„Viele Menschen sagen, die Welt sei tot im Winter.”
„Dann blicken sie zu weit in die Zukunft, richten sich aus auf den Frühling, bejammern die Vergangenheit und vergessen die Gegenwart. Nur die Kinder haben noch nicht gelernt, in der Zukunft zu leben. Sie leben im Jetzt. Sehen Sie!”
Ki'va lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen draußen.
Bis hier hinauf konnte Liam das ausgelassene Jauchzen der kleinen Samy'ra hören, die eine lachende Foxfeather hinter sich her in den Garten schleppte. Laut jubelnd warf sich die kleine Jaridian in den Schnee, als wolle sie die ganze Welt umarmen. Auf dem Bauch liegend bewegte sie die Arme und Beine. Dann stand sie vorsichtig auf und deutete auf ihr Werk. Liam konnte sie nicht verstehen, aber er verstand, dass es wohl überall im Universum Schnee-Engel gab. Es juckte ihn in den Fingern, einen Schneeball zu formen, die Kälte des Schnees auf der Haut zu spüren, bis es schmerzte. Er wollte die Ehrfurcht vor der Natur spüren und das jetzt und live und in Farbe. Okay, Weiß war keine Farbe, aber trotzdem!
„Gehen wir?”, riss ihn Ki'vas Stimme erneut aus seinen Gedanken.
Das musste er Liam nicht zweimal fragen.

 
* * *
 

Zwei Stunden später...

„Jetzt ein Kakao!” sagten Liam und Foxfeather gleichzeitig, als sie Ki'vas Büro wieder betraten. Hinter ihnen pellte sich Samy'ra aus ihrem Parka und befreite damit auch Aldrin, der sich in dem warmen Strickpullover, den Lili ihr einmal geschenkt hatte, unter der Jacke festgekrallt hatte.
Für den Kater war Schnee eine interessante Angelegenheit: Man jagte komischen fliegenden weißen Mäusen hinterher, die verschwanden, wenn sie den Boden trafen und die seltsamerweise von den Dosenöffnern wiedergefunden und erneut zum Fliegen gebracht werden konnten. Aber so lustig und irritierend das auch war, das komische weiße Gras machte sehr schnell sehr kalte und seltsamerweise auch nasse Füße. Und Wasser war etwas, auf das Aldrin sehr gut verzichten konnte. Also hatte er sich, abwechselnd mit allen vier Pfoten schlackernd, vom Geschehen zurückgezogen und vom relativ trockenen Plätzchen unter einem Busch her zugesehen, wie sich sein blauer Freund und die anderen Dosenöffner mit weißen Mäusen bewarfen und aus vielen kleinen Mäusen eine Riesenmaus bauten. Sehr merkwürdig. Aber was war an den Zweibeinern nicht merkwürdig?

Ki'va winkte einen Freiwilligen herbei, überreichte ihm Samy'ras, Liams und Foxfeathers triefende Jacken und bestellte drei große Tassen heiße Schokolade. Der Freiwillige sah ihn etwas seltsam an, aber Ki'va war viel zu hibbelig und aufgeregt, um sich etwas daraus zu machen. Er setzte sich auf seinen Stuhl, hielt es dort aber nicht lange aus.
„Das war sehr amüsant. Machen das alle Menschen?”, wollte er von Liam wissen.
„Uhm, nein, die Kinder, aber die Erwachsenen machen das eigentlich nicht. Sie halten es für kindisch.”
„Ich bin erwachsen und ich halte es nicht für kindisch! Wie langweilig wäre das Leben, wenn man immer alles mit ‚erwachsenem Ernst’ machen würde!”, erklärte Foxfeather und versuchte, möglichst erwachsen auszusehen. Liam warf ihr einen kritischen Blick zu und brach dann in Gelächter aus.
Foxfeather ließ ihre ernste Maske fallen und grinste breit.
„Wie ist denn das bei euch?”, wandte sie sich dann an Ki'va. „Gibt es auch alberne Taelons?”
„Hast du doch gesehen!”, prustete Liam. „Wer hat dir denn vorhin das Gesicht mit Schnee gewaschen? Und wer hat Samy'ra den Schneeball in den Kragen gesteckt?”
Ki'va ‚erblaute’ tief und lächelte entschuldigend.
„Ich habe nur nachgeahmt, was ich gesehen habe. Erdenbräuche sind wirklich faszinierend. Dass sie auch albern sind, war mir nicht bewusst”, verteidigte er sich.
„Sie müssen sich dafür doch nicht entschuldigen!”, tadelte Foxfeather. „Ich fand's lustig. Kalt, aber lustig.”
„Schnee ist bei uns selten. Es gibt ihn nur in den unbewohnten Hochregionen unseres Planeten. Dorthin geht aber schon lange niemand mehr. Die Taelons hatten seit langem anderes zu tun, als die Schönheit der Natur zu bewundern und sich am Schnee zu erfreuen. Der Krieg...”
„... ist vorbei”, beendete Liam den Satz für ihn.
Ki'va lächelte ihn an. „Ja. Vielleicht finden wir jetzt wieder Zeit für die ‚unwichtigen’ Dinge des Lebens. Für Geschichten, Kunst und Musik. Und für die Poesie der Natur.”
„Qa'vra ist Musikerin, richtig? Ist sie so wie du?”, piepste Samy'ra dazwischen.
„Ja. Sie war meine Schülerin. So wie Da'an mein Schüler war. Aber Qa'vra hat meinen Weg eingeschlagen. Sie wird einmal eine wichtige Rolle für mein Volk spielen. Sie wird die Taelons wieder auf den richtigen Weg zurückführen.”
„Und was ist mit Da'an?”
„Er... ist dabei, seinen Weg zurück zu finden. So wie hoffentlich auch alle anderen Taelons nach ihm. Aber sein Weg wird nicht leicht werden.”
Einige Minuten lang herrschte Schweigen. Die Unity war schon seit einigen Wochen unterwegs. Die letzte Meldung hieß, dass man mit den Wesen auf dem Planeten Zelar Kontakt aufgenommen hatte. Hoffentlich ging es allen dort draußen gut.
Dann durchbrach die Ankunft des Freiwilligen mit einem Tablett dampfender Tassen die Stille.
„Jaaaaaa! Dunkle, heiße, dampfende, cremige Schokolade mit einer dicken Sahnehaube und... hmm... sind da etwa auch Marshmallows drin? Ich glaube, ich bin im Himmel!”
Liam verdrehte verzückt die Augen.
Ki'va warf dem grinsenden Freiwilligen einen fragenden Blick zu.
„Sie haben es sich verdient. Der Schneemann da draußen hat uns alle daran erinnert, wie schön der Winter doch ist”, erklärte der Mann und deutete durchs Fenster nach unten.
Dort hatte der Schneemann inzwischen einen Schal und, woher auch immer, einen Zylinder bekommen und eine ganze Herde Freiwilliger war dabei, dem Schneemann eine Familie zur Seite zu stellen.
„Ich verspreche, dass wir die normale Arbeit zufriedenstellend erledigen werden, Ki'va”, fügte der Freiwillige dann etwas erschrocken hinzu. Wer wusste schon, was die Taelons über Schneemänner bauende Mitarbeiter dachten, die eigentlich arbeiten sollten!
Ki'va überlegte kurz und lächelte dann. „Wissen Sie was? Lassen Sie die Arbeit heute Arbeit sein. Ich wünsche, dass sich alle hier in meinem Büro versammeln, wenn es ihnen draußen zu kalt wird. Und dann möchte ich, dass Sie mir alles erzählen, was es über den Winter und Schnee auf der Erde zu erzählen gibt! Und ich spendiere heiße Schokolade für alle!”
Ki'va ‚erblaute’ erneut, als er beobachtete, wie sich der Gesichtsausdruck des Freiwilligen durch eine ganze Palette von Gefühlen arbeitete, von Unbehagen über Verblüffung und Unglauben zu echter, kindlicher Freude.
„Ich... ich sag's den anderen! Das glauben die mir nie!” Und weg war er.
Foxfeather und Liam grinsten sich an.
„Los, besorgen wir alles an Kissen und Decken, was wir bekommen können. Das wird sicher eine lustige Runde!”
„Bloß gut, dass Sandoval und Zo'or nicht hier sind! Die würden beide einen Herzanfall bekommen, wenn sie das sähen!”

 

ENDE

 

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