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  „Reditus” von Fidelio   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Sequel zu ‚A Night is all I ask’ von Jeanne. Erinnerungen kehren zurück, ebenso wie ein geliebter Mensch.
Zeitpunkt:  zweite Staffel
Charaktere:  Watschitu (William Boone), Ekumsa, Da'an, Sandoval, Liam
 
Kommentar der Autorin:  Die Geschichte ist ein bisschen länger geraten, als ich beabsichtigt hatte. Ich hoffe, sie gefällt Euch trotzdem.
 
Anmerkung:  Jeannes „A night is all I ask” ist eine englischsprachige Adult-Geschichte. Sie ist im „Private Chamber”-Archiv zu finden.
 

 

REDITUS

 

Er war zerrissen. Alles tat weh.

Es war nicht die Art körperlicher Schmerz, die er kannte. Es fühlte sich an, als sei sein Innerstes nach außen und sein Äußerstes nach innen gezerrt. Er fühlte sich schwerelos und zugleich erdrückt von tonnenschweren Felsgestein. Er fühlte sich endlos, in alle Galaxien zerstreut und auf die Größe eines Quarks gepresst. Er sah nichts, hörte nichts, roch nichts, schmeckte nichts und schmeckte, roch, hörte, sah alles. Sein Geist war längst überfordert, irgendetwas zu erfassen oder zu begreifen.

Er war zerrissen. Alles tat weh.

Eine Ewigkeit trieb er so dahin. Oder waren es nur Sekunden? Es spielte keine Rolle. Er war in der Hölle gelandet. Seine Seele schrie nach Erlösung, doch niemand gab Antwort. Oder? Doch! Da war es wieder! Das Gefühl, als sei jemand anwesend. Mal vor seinem Wahrnehmungshorizont, mal dahinter. Jetzt näherte es sich ihm, langsam aber sicher. Es füllte seinen Geist und seine Seele mit einem Licht, warm und heilend. Seine Pein verging und er fühlte, wie sein Körper wieder Körperlichkeit annahm. Seine Sinne kehrten wieder zurück. Er war wieder ein Mensch!

Als er sich umsah, erblickte er eine Gestalt vor sich. So etwas wunderschönes hatte er noch nie gesehen. Dieses Wesen vor ihm wirkte schwereloser als eine Feder und pulsierte im herrlichsten Purpur, das er je erblickt hatte. Sie schien aus Luft zu bestehen und hatte ein Antlitz, dessen Schönheit ihn sprachlos machte. Er konnte sie nur wie betäubt anstarren. Und als er endlich eine Frage im Kopf formuliert hatte, lächelte sie sanft und berührte ihn an der Stirn, bevor er auch nur den Mund öffnen konnte. Plötzlich war alles schwarz.

 
* * *
 

Der Indio war zufrieden mit der Jagd. Der Hirsch war ein ebenbürtiger Gegner gewesen und der Jäger hatte ihm den Respekt gezollt, den er verdiente. Jetzt befand sich der Mann auf dem Heimweg, seine Beute fachmännisch auf dem Pferd hinter sich verschnürt. Eine Weile ritt er so dahin, als sein Reittier plötzlich nervös schnaubte und den Kopf unruhig hin und her wand. Sofort war der Indio hellwach. Vielleicht streifte ein Grizzly umher. Das wäre nicht ungewöhnlich in dieser Gegend. Aufmerksam sah er sich um, konnte aber nichts entdecken. Er wollte seinem Pferd schon die Sporen geben, als er einen Schatten unter einem Strauch bemerkte, der fehl am Platze wirkte. Vorsichtig stieg er ab und näherte sich dem Gestrüpp. Mit stockendem Atem hielt er inne. Es war ein Mensch!

Er war nackt, nur von Laub bedeckt und sein rostrotes Haar leuchtete an einigen Stellen in der Sonne. Erst jetzt bemerkte er, dass diese leuchtenden Flecken ihn auf den Schatten aufmerksam gemacht hatten. Schnell kniete er nieder, um den Puls zu fühlen. Die Haut des Bewusstlosen war so blass, dass befürchtete, er wäre tot. Doch er lebte noch - gerade so... Behutsam drehte er den Mann auf den Rücken und zog zischend die Luft ein, als er die tiefen Kratzspuren auf der Brust des Mannes sah. Offensichtlich war er mit einem Grizzly oder sogar einem Puma aneinandergeraten. Ein Wunder, dass er das überlebt hatte! Jetzt musste schnell gehandelt werden.

 
* * *
 

Einsam und verlassen lag das Dorf am Flussufer. Die Sonne kroch gerade über den Horizont. Nur wenige Bewohner der kleinen Siedlung aus Tippies waren schon auf den Beinen. Nur aus einem Zelt stieg dünner Rauch auf. Es lag etwas abseits der anderen und war mit prächtigen Bemalungen geschmückt. Etwas bewegte sich im Inneren des Tippies und die Zeltklappe wurde geöffnet. Ein Mann trat heraus. Er stand auf sehr wackligen Beinen, musste sich mit einer Hand festhalten, während er mit der anderen seine Augen gegen die tiefstehende Sonne schützte. Er war offensichtlich lange nicht draußen gewesen. Eine Weile stand er so, bis eine Frau ihn bemerkte und anfing, laut zu rufen. Daraufhin kamen die Bewohner zusammengeströmt und liefen auf den Mann am Zelt zu. Sehr schnell hatte sich eine Traube gebildet. Alle Leute redeten wirr durcheinander. Es war ziemlich laut. Da teilten sich die hinteren Reihen und ein alter Mensch trat nach vorn. Es war der Medizinmann des Stammes. Er musterte seinen Patienten aufmerksam und sprach ihn schließlich an. Doch er erhielt keine Antwort. Der Fremde sah ihn nur an, als wüsste er nichts mit der Situation anzufangen. Er sah ziemlich verwirrt aus. Letztendlich schickte der Heiler die Menschenmenge davon und führte seinen Schützling ins Zelt zurück.

Im Inneren war es ziemlich warm. Mit einem Seufzer lies sich der Fremde auf sein Lager nieder. Er hatte keine Ahnung, wo er war oder was mit ihm passiert war. Er hatte überhaupt keine Erinnerungen mehr. Alles, woran er sich erinnerte, waren Schmerzen.

Lange Zeit wurde nicht geredet. Der Medizinmann versorgte die Wunde auf der Brust des Mannes. Sie begann gerade zu heilen und es war ein Glück, dass sie sich nicht entzündet hatte. Schließlich fragte der Weise den Fremden nach seinem Namen und woher er komme, aber er erhielt nur einen verständnislosen Blick als Antwort. Auch ein paar Brocken Französisch und Spanisch brachten ihn nicht weiter. Offensichtlich hatte sein Patient vollkommen das Gedächtnis verloren. Das würde die Sache nicht gerade erleichtern. Mit einem resigniertem Seufzen gab er dem Mann zu verstehen, er solle jetzt schlafen. Zuerst musste er wieder zu Kräften kommen und der Medizinmann hatte das dringende Bedürfnis, die Allmächtigen um Rat zu fragen. Vielleicht erhielt er so eine Antwort. Als er das Zelt verließ, war der Fremde bereits eingeschlafen.

Es war schon Nachmittag, als der Weise in das Medizintippie zurückkehrte. Noch ehe er das Zelt betrat, hörte er ein Stöhnen und Murmeln - der Fremde träumte. Träume sind gut, sie helfen, die inneren Dämonen zu besiegen, dachte der Alte. Leise ließ er sich neben dem Rothaarigen nieder und wachte über seinen Schlaf. Kurz gegen Morgen schienen die Träume schlimmer zu werden, denn der Mann war sehr unruhig und fing wieder an zu sprechen. Der Alte konnte jedoch nicht verstehen, was er sagte. Eines schien er jedoch immer zu wiederholen: Me'hir'sha. Plötzlich setzte sich der Fremde mit einem Schrei auf und blickte sich schwer atmend um. Nachdem er den Heiler neben sich gesehen hatte, entspannte er sich. Mit ein paar Worten, die er nicht verstand, reichte er ihm eine Schale mit Wasser. Langsam trank der Mann. Nach einigen Schlucken hielt er inne und hob dann die Schale, während er den Alten fragend anblickte. „Wasser,” sagte dieser daraufhin mit einem erwartungsvollem Blick. Nach ein paar Versuchen konnte er das Wort richtig aussprechen. Der Weise nickte zufrieden, deutete dann auf sich und sagte: „Ekumsa.” Nachdem der Fremde es wiederholt und es als Name des Alten verstanden hatte, zeigte dieser fragend auf sein Gegenüber. Aber er erhielt wieder nur einen verzweifelten und ratlosen Blick als Antwort. Da zeigte Ekumsa auf seinen Patienten und sagte: „Watschitu”, was soviel wie Unbekannter hieß. Nach einem Moment des Zögerns hellte sich die Miene des Fremden auf. Lächelnd zeigte er auf sich und sagte: „Watschitu”. Ein Anfang war gemacht...

 
* * *
 

Ein halbes Jahr war inzwischen vergangen. Watschitu hatte sich vollkommen von seiner Verletzung erholt. Es waren aber Narben zurückgeblieben. Doch das schien ihn nicht zu stören. Nachdem er wieder zu Kräften gekommen war, hatte Watschitu sein eigenes Tippie bezogen und sich ohne Probleme in die kleine Gemeinschaft der Indianer eingegliedert. Er war ob seiner Freundlichkeit und Großherzigkeit bei allen beliebt - besonders bei den Frauen. Er hatte ein besonders enges Band der Freundschaft mit Ekumsa, dem Medizinmann des Stammes, geknüpft und wurde von ihm fast wie ein Sohn behandelt. Ekumsa hatte ihn viel gelehrt. Ihre Sprache beherrschte er fast perfekt und ebenso genug Englisch, um sich in der nächsten Stadt verständigen zu können. Nach außen hin war er glücklich, aber in seinem Inneren war Watschitu ratlos. Er hatte das Gefühl, irgendetwas zu suchen - nur wusste er nicht, was es war. Ekumsa wusste als einziger von dieser Rastlosigkeit, konnte ihm aber nicht helfen. Selbst die Allmächtigen schwiegen...

Es war Abend. Ekumsa saß in Watschitus Tippie und rauchte eine Pfeife. Sein Schützling saß ihm schweigend gegenüber.
„Du träumst also wieder?” fragte Ekumsa.
„Ja. Und es ist intensiver als beim letzten Mal.”
„Was hast du geträumt?”
„Ich kann mich nicht so genau erinnern. Ich fühlte Schmerz. Traurigkeit. Es war überwältigend. Aber es war nicht meine Pein. Eher, als ob sie von außen in mein Herz käme.”
„Hast du auch etwas gesehen?”
„Ja, ich denke schon. Es war - ein Wesen. Sie - strahlte, leuchtete, pulsierte. Ich kann es nicht anders beschreiben. Sie schien nur aus Licht zu bestehen, blauem Licht.”
„Wieso denkst du, dass dieses Wesen eine Frau ist?”
„Ich -- ich weiß nicht. Ich denke, ich habe es einfach gefühlt. Es war ihr Leid, das ich spürte. Sie sehnt sich nach jemandem - nach mir!” Erstaunt sah Watschitu Ekumsa an. „Sie sehnt sich nach mir und sie nennt mich Me'hir'sha!”
„Weißt du inzwischen, was dieses Wort bedeutet?”
„Nein.”
Schweigen.
„Willst du, dass ich diese Nacht über deinen Schlaf wache und die Allmächtigen um Rat bitte?”
„Ja.”
Daraufhin zog Ekumsa an seiner Pfeife und reichte sie Watschitu. Eine Weile saßen sie schweigend da und rauchten. Dann sagte Ekumsa: „Mamina ist sehr an dir interessiert. Soll ich mit ihrer Mutter reden?” Sein Lachen, das Watschitus Blick quittierte, war im ganzen Dorf zu hören.

 
* * *
 

Aufregung herrschte im Dorf. Es würde Besuch kommen! Ein paar Tage zuvor war ein weißer Mann aufgetaucht, der behauptete, ein angesehener Mitarbeiter der „Vereinigung zum Erhalt der Kultur der Amerikanischen Ureinwohner” zu sein. Die kleine Gemeinschaft, die zu Watschitus Familie geworden war, war der letzte Stamm eines längst ausgestorbenen Volkes. Da ihre Vorfahren so schlechte Erfahrungen mit den weißen Eroberern gemacht hatten, hatten sie beschlossen, sich vollkommen von der Außenwelt abzunabeln und ihr Leben so zu führen, wie es seit Generationen der Brauch war. Aber natürlich war der Stamm den Behörden bekannt. Sie hatten mit viel Mühe und Geduld das Land und ihren Frieden erkaufen müssen. Vor Jahren war die Vereinigung gegründet worden, die jetzt über die Gruppe wachte.

Und jetzt sollte ihr kleines Universum geöffnet werden. Der Nordamerikanische Companion würde sie besuchen! Natürlich wussten alle, wer das war. Sie lebten zwar abgeschieden von der Welt, aber nicht abgeschottet. Alle paar Monate ritt einer der jungen Männer in den nächsten Ort, um ein paar Informationen einzuholen, was sich so außerhalb ihrer kleinen Welt abspielte. Offensichtlich hatten sie das Interesse des Aliens geweckt, auch wenn alle sich wunderten, warum. Aber Da'an sollte ja ein sehr aufgeschlossener und, wenn man das so nennen konnte, neugieriger Taelon sein. Er wollte das Dorf besuchen um zu erfahren, wie die früheren Einwohner seines Schutzgebietes gelebt hatten.

 
* * *
 

„Da'an, da ist doch Wahnsinn! Sie können unmöglich in ein nicht vollkommen zu sicherndes Dorf gehen mit nur einer Hand voll Begleitschutz. Schon gar nicht in ein Indianerdorf! Reicht es denn nicht, wenn Sie einen Vertreter hier empfangen und ihm Ihre Fragen stellen?”

„Mr. Sandoval, ich verstehe Ihre Bedenken. Aber ich verstehen auch die Bedenken des Beauftragten der Vereinigung. Die Bewohner dieses Dorfes leben sehr abgeschieden von der Umwelt. Wir würden die Gemeinschaft zu sehr aufwühlen, wenn wir mit einer Schutztruppe anreisten. Ich möchte diese Menschen in ihrer natürlichen Umgebung kennen lernen, in der sie sich sicher fühlen.”

„Aber dann lassen Sie sich wenigstens mit einem Shuttle ins Dorf fliegen!”

„Sandoval! Ich glaube, Sie vergreifen sich im Ton. Da'ans Entschluss steht schon lange fest. Er möchte diese Menschen kennen lernen - so wie sie leben. Die Vorbereitungen waren lang und schwierig. Jetzt, wo wir einmal das Einverständnis der Vereinigung und des Stammes haben, wird Da'an nicht mehr auf den Besuch verzichten.”

„Na gut, Major, wie Sie meinen. Aber glauben Sie nicht, dass der Besuch eines Taelons diese Indianer...”

„Agent Sandoval!!! Es ist genug! Diese Menschen sind aufgeschlossener gegenüber Fremden als irgendein Volk auf der Erde, von dem ich bis jetzt gehört habe. Ich möchte diese Menschen besuchen - als Freund, nicht als Feind. Und ich wäre dankbar, wenn Sie sie nicht mehr Indianer nennen würden. Das ist eine Beleidigung für sie. Und Sie können nichts mehr an meinem Entschluss ändern, Agent Sandoval. Morgen brechen wir auf.”

 
* * *
 

Es war so weit. Der Fremde würde kommen! Das ganze Dorf war auf den Beinen. Die Frauen in ihren besten Gewändern, verziert mit Federn, Perlen aus Knochen und Stein und bemalt in den leuchtendsten Farben. Die Männer standen in einer Gruppe zusammen und unterhielten sich mit ernsten Gesichtern. Auch sie hatten sich dem Anlass entsprechend zurechtgemacht. Bronzefarbene Haut leuchtete in der Sonne und pechschwarzes Haar glänzte. Sämtliche Kinder rannten aufgeregt zwischen den Erwachsenen herum und erfüllten die Luft mit ihrem Lachen.

Diese Szene entrollte sich vor Watschitus Augen, als er aus dem Tippie trat. Auch er war aufgeregt. Er hatte am Abend zuvor alles über diese Fremden aus dem All erfahren. Und er war nicht halb so überrascht gewesen, wie es Ekumsa erwartet hatte. Die Nacht hatte er von blauen Räumen geträumt.

Als schließlich die Gruppe auf dem Hügelkamm auftauchte, waren alle in der Mitte des Dorfes versammelt. Der Häuptling ganz vorn, links neben ihm der Medizinmann, rechts der tapferste Krieger des Stammes. Hinter ihnen standen die restlichen Krieger, die alten und ehrwürdigen Männer und im Hintergrund die Frauen, Kinder und Jungen, die keine Kinder mehr waren aber auch noch keine Krieger. Watschitu stand ein paar Schritte hinter den Kriegern, noch vor den Frauen, wie es seinem Rang innerhalb der Gemeinschaft gebührte.

Er beobachtete, wie sich die Gruppe langsam näherte. Fünf Männer, die eine große, schlanke Figur umringten. Obwohl er nicht wusste warum, raste sein Herz. Er spürte ein ungewohntes Ziehen, als er das Wesen, das vollkommen in blau gekleidet war, beobachtete. Er hatte nur noch Augen für den Companion. Er zog sich vorsichtig in den Schatten eines der Männer zurück, die vor ihm standen. Er wollte nicht gesehen werden, auch wenn er nicht wusste, warum, aber die Gruppe mit dem Fremden hatte sich schon zu weit genähert, als dass er sich hätte unbemerkt davon stehlen können. Sein leuchtendes Haar hätte ihn sofort verraten. Also konnte er nur still stehen und warten.

Der Besuch dauerte etwa zwei Stunden. Der Taelon wurde mit viel Respekt empfangen und unterhielt sich eine Weile mit dem Häuptling. Dann passierte etwas, was alle überraschte und die Stimmung für ein paar Sekunden anspannte. Ein kleines Mädchen von sieben Jahren ging mitten in der Unterhaltung auf den Taelon zu und zupfte ihn fast schüchtern am Ärmel. Zuerst ungläubig, dann mild lächelnd blickte der Fremde auf die Kleine hinab. Als das Kind zurückstrahlte und etwas hinaufreichte, ging der Companion in die Knie und nahm das Geschenk in Empfang. Daraufhin fing das Mädchen fröhlich an zu plappern, obwohl die Besucher kein Wort von der fremden Sprache verstanden. Doch das schien niemanden zu stören. Die Dorfbewohner umringten schnatternd die kleine Gruppe und führten sie dann in ihrer Siedlung herum. Das war die Gelegenheit für Watschitu, sich in eins der Tippies zurückzuziehen. Dort wartete er, bis es ruhig geworden war.

Später am Abend hatte er wieder eine lange Unterhaltung mit Ekumsa.
„Du hast dich in seiner Gegenwart also unwohl gefühlt?”
„Nicht direkt unwohl. Ich hatte eher das Gefühl, dass sie mich nicht sehen darf. Hast Du bemerkt, wie unglücklich sie wirkte? Besonders nachdem Ikieri ihr das Willkommensgeschenk überreicht hatte, sah sie so unglücklich aus. Fast als hätte sie selbst ein Kind verloren.”
„Wieso denkst du, dass der Taelon eine Frau ist. Ich dachte, diese Wesen hätten kein Geschlecht.”
„Doch, sie können sich für eines entscheiden, wenn sie es wünschen.”
„Und woher weißt Du das?”
„Ich ....” ein ratloser Blick.
„Willst du in die große Stadt fahren, wo der - die Fremde wohnt?”
Schweigen.
„Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, in der Welt dort draußen erwartet mich nichts Gutes. Von den anderen Menschen fühlte ich mich bedroht. Ich fühle mich nur hier sicher.”
„Aber so wirst du nie erfahren, was mit dir passiert ist. Wie du bewusstlos und halb tot mitten in die Wildnis kamst. Wie dein früheres Leben war. Was zwischen dir und der Fremden war. Ich habe das Gefühl, die Allmächtigen haben sie geschickt, um dir den Weg zu weisen.”

 
* * *
 

Laut. Dreckig. Stickig. Die große Stadt war die reinste Hölle. Nach einer dreitägigen Reise war er endlich da. Der Abschied von seiner neuen Familie war ihm schwergefallen und der Blick in eine ungewisse Zukunft setzte ihm zu. Jetzt war er endlich da und war geschockt. Er hätte nie gedacht, dass Menschen so leben konnten.

Nach einigem Suchen und viel Fragen hatte er das Gebäude am Abend gefunden. Erstaunt stand er vor einem gigantischen Etwas, das höher in den Himmel ragte, als der höchste Baum, den er kannte. Nur dass es ganz und gar nicht einem Baum ähnelte: es war blau, gewunden und auf seine Art wunderschön. Eine Weile beobachtete er das Kommen und Gehen, dann betrat er das Gebäude. Sobald er sich innerhalb der blauen Wände befand, schossen ihm schmerzhafte Blitze durch den Kopf, begleitet von Bildern, die, Schnappschüssen gleich, vor seinem inneren Auge auftauchten und wieder verschwanden. Gesichter, Räume. Er hörte Lachen, roch Blumen, fühlte - Liebe, glühender als er sich vorstellen konnte. Dann - Schmerz, unendlichen Schmerz. Aber das alles machte keinen Sinn. Irgendein Puzzleteil fehlte noch, das alles an seinen richtigen Platz bringen sollte.

So taumelte er durch die Korridore. Er wusste nicht, wohin er ging. Letztendlich gelangte er in einem großen Raum, der von einem thronartigen Stuhl in der Mitte und einer verglasten Wand im Hintergrund dominiert wurde. Er war allein. Der Saal war leer. Langsam wurde sein Kopf wieder klar. Alles kam ihm vertraut vor. Er wusste, wohin die Rampe an der rechten Wand führte, kannte die Person, die dort auf ihn wartete - schon so lange wartete. Sie spürte seine Nähe nicht, zu sehr war sie in ihrem Schmerz gefangen. Langsam stieg er die gewundene Rampe hinauf. Die Tür war geschlossen. Vorsichtig streckte er die Hand aus und berührte den Türöffner. Nichts geschah. Wurde er nicht erkannt? Er probierte es noch einmal, diesmal entschlossener. Geräuschlos öffnete sich die Tür. Das Zimmer dahinter war dunkel....

 
* * *
 

Stille umfing sie. Manchmal fehlte ihr die Kraft, weiter zu machen. Sie wollte nicht mehr leben. Wollte dorthin gehen, wo er auf sie wartete. Alles war dunkel und sinnlos ohne ihn. Mit einem fast menschlichen Seufzen ließ sie sich auf das Bett sinken. Ein paar Minuten ausruhen, so, wie er es ihr gezeigt hatte. Die Stille genießen, das Alleinsein, egal was die anderen dachten. Müde schloss sie die Augen und ließ sich in die Schwärze gleiten, die sie willkommen hieß.

Eine halbe Ewigkeit lag sie so. Dann hörte sie, wie sich die Tür öffnete. Wer wagte es, ihr privates Zimmer zu betreten?! Liam?

„Liam, ich möchte nicht gestört werden. Lassen Sie mich allein.”

Keine Antwort. Nur sanfte Fußtritte, die sich dem Bett näherten. Langsam öffnete sie die Augen. Da war er! Ihre einzige Liebe. Grüne Augen hielten sie gefangen. Ihr Herz wollte überfließen vor Freude und Hoffnung. Er war wieder da! Konnte es möglich sein? Nein! Es war unmöglich. Einer ihrer vielen Träume und Trugbilder, die sie nie zur Ruhe kommen ließen. Schnell schloss sie die Augen wieder, um der Qual zu entgehen. Doch sie fand keine Erlösung. Eine Hand legte sich auf ihre Wange, eine warme Hand, die nach ihm roch. Die Augen starrten sie weiter an, in ihrem Kopf. Sie konnte den brennende Blick förmlich spüren.

Me'hir'sha?”

Ein Ruck durchfuhr sie. Me'hir'sha? So hatte sie bis jetzt bloß einer nennen dürfen. Mit einem Ruck setzte sie sich auf und starrte den Mann im Halbdunkel vor ihr an.

„William?”

 

ENDE

 

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