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  „Hinter den Masken” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Herbst 2001
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Flucht und Suchaktion stellen die Nerven aller Beteiligten auf eine Zerreißprobe. Während dessen versucht Da'an die schwierige Situation in den Griff zu bekommen.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde
Charaktere:  Elaine Lorber, Ronald Sandoval, Da'an (Carol Rapp, Lili Marquette, Sa'el, La'ron)
 

 

HINTER DEN MASKEN

Kapitel 9

 

Elaine kam es so vor, als rannte sie schon eine Ewigkeit durch den Wald. Ihr Gesicht musste mittlerweile von Zweigen zerkratzt und ihre Hose von Dornen zerrissen sein und langsam aber sicher ging ihr trotz ihres täglichen Trainings die Puste aus. Carols Atem ging noch schneller, doch für eine Studentin hatte sie, wie Elaine fand, eine verblüffend gute Kondition. Oder aber sie waren viel kürzer unterwegs, als es Elaine schien. Sie wünscht, sie hätte daran gedacht, auf die Uhr zu schauen, bevor sie den Schutzschild durchquert hatten.
Elaine hörte einen leisen Fluch hinter sich und kurz darauf einen dumpfen Schlag. Keuchend hielt sie an und beschloss, dass das die Gelegenheit war, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Halb in ihrer Jacke vergraben, versuchte Elaine im Licht ihrer Digitaluhr zu erkennen, wo sie sich in etwa befanden.
„Und?”, japste Carol, die sich mittlerweile wieder aufgerappelt hatte.
„Ich bin mir nicht sicher, aber wenn wir weiter bergauf laufen und uns nach der Kuppe des Hügels rechts halten, müssten wir auf ein kleines Tal treffen. Wenn wir dem folgen, sollten wir zumindest auf dem richtigen Weg in das Versteck sein.”
„Die suchen doch bestimmt schon nach uns. Meinst du, die haben Spürhunde?” Trotz ihrer Atemlosigkeit klang deutlich Angst aus Carols Stimme.
„Ich weiß nicht, ob die Taelons mit ihrer Technologie so etwas ‚Primitives’ noch brauchen.”
„Du meinst, die haben uns schon längst lokalisiert?” Elaine bemerkte, wie Carol sich furchtsam umsah und wie ihr selbst ein Frösteln durch den Körper lief. Das Gefühl entkommen zu sein verschwand und das der Paranoia meldete sich wieder zurück.
„Nein, sonst wären sie schon da.” Entschlossen versuchte Elaine Carol und mehr noch sich selbst davon zu überzeugen, dass auch die Taelons nicht alles überwachen konnten. Solange sie nicht mit Sicherheit vom Gegenteil ausgehen musste, war es nur schädlich den Taelons zu viel Macht zuzuschreiben.
„Lass uns weitergehen”, forderte sie Carol auf, als beide wieder etwas zu Atem gekommen waren.

Sie hatten die Kuppe des Hügels gerade passiert und sich aufgemacht schräg nach rechts den Abhang hinunter zu laufen, als sie in der Ferne erst ein Zischen und dann noch eines und kurz darauf ein drittes vernahmen.
Carol schaltete schneller: „Shuttles!”
Elaine widerstand dem Impuls kopflos loszurennen und blieb statt dessen stehen. Ein paar Sekunden konzentrierte sie sich darauf, ruhig ein und aus zu atmen.
„Ab jetzt sollten wir versuchen, so gut wie möglich im Dickicht bleiben, damit die Zweige unsere Körperwärme zumindest etwas verdecken. Denn mit was auch immer diese Shuttles ausgestattet sind, Infrarotsensoren gehören mit Sicherheit dazu!”
Sie ahnte Carols zustimmendes Nicken mehr, als dass sie es sah und lotste die folgsame Frau weiter ins Unterholz. Es war schon erstaunlich, wie Krisensituationen ansonsten auf Unabhängigkeit bedachte Menschen dazu brachte, jemanden zu folgen, der sich dominant und sicher zeigte. Und dabei war sich Elaine - wie sie sich nur ungern eingestand - ihrer Sache längst nicht so gewiss, wie sie vorgab.
Ihre eigene Unsicherheit ignorierend schlich sie statt dessen weiter, so als wüsste sie genau, wohin sie mussten. Immer wieder blieb sie stehen und lauschte nach einem Geräusch aus der Luft. Aber es war nichts zu hören und das wurde ihr zunehmend unheimlich. Insgeheim wartete sie auf das laute Geräusch von Rotorblättern, wie bei einem Hubschrauber, selbst wenn ihr der Verstand sagte, dass die Zeiten, in denen solche Suchaktion nur mit diesen Maschinen durchgeführt werden konnten, vorbei waren. Doch die Shuttles waren nicht nur leiser als Hubschrauber, sondern scheinbar so gut wie lautlos. Zu allem Überfluss hatte es auch noch leicht zu regnen begonnen, was das Lauschen zusätzlich erschwerte. Elaine unterdrückte den Wunsch, das Dickicht zu verlassen, um nach Lichtern am Himmel Ausschau zu halten und schlich statt dessen weiter - Carol immer dicht hinter sich.

Sie hatten gerade in großzügigem Abstand eine kleine Lichtung umrundet, als ein leichter Lufthauch und das Rascheln und Knacken von Laub und Ästen Elaine erstarren ließ. Bevor Carol wusste wie ihr geschah, zog Elaine sie mit sich auf den Boden.
Mit allen Sinnen lauschte sie in die Nacht. Sie konnte nicht sagen, ob es die Art des Geräusches gewesen war oder ob sie es auf eine andere Art wahrnahm, aber sie war sich sicher, dass das, was sie da eben gehört hatte, nicht einfach nur ein Tier gewesen war. Wieder hörte sie ein Rascheln und hielt den Atem an. Als der Wind gleich darauf einige Wortfetzen herübertrug, wusste sie, dass sie sich nicht geirrt hatte. Und jetzt hatte es auch Carol bemerkt. Ihre Finger krallten sich um Elaines Arme, ansonsten jedoch blieb sie ebenso regungslos wie Elaine.
Es dauerte nicht lange, dann bestand kein Zweifel mehr, dass sich von der Lichtung aus mehrere Menschen durch die Dunkelheit bewegten. Wie viele konnte Elaine nicht sagen, aber da nach einiger Zeit das Rascheln ganz unterschiedliche Lautstärken angenommen hatte, verteilten sie sich wohl in der Umgebung. Sie hätte sich gerne etwas anderes eingeredet, doch zumindest ein Mensch schien in ihre Richtung zu kommen. Ein Mensch, der ganz sicher nicht nur ein Nachtsichtgerät, sondern auch eine Waffe bei sich hatte.
Mit ihrer freien Hand tastete Elaine vorsichtig nach einem Stock. Sie fand bald etwas, doch ohne ein Geräusch zu verursachen, konnte sie nicht überprüfen, ob der Ast zu lang, zu morsch oder gar im Unterholz verhakt war. So verlegte sie sich aufs Hoffen, während die Schritte langsam und auf Umwegen, aber letztlich kontinuierlich näher kamen.
Bald waren sie so nah, dass Elaine fürchtete, ihr Gegner würde ihren Atem hören können. In der Dunkelheit war es schwer abzuschätzen, aber es waren maximal noch fünf Meter. Eigentlich musste er sie schon geortet haben und tatsächlich blieb er plötzlich stehen. Elaine begann zu zweifeln, ob sie nicht doch besser davon gerannt wären, anstatt regungslos da zu hocken und zu hoffen, nicht entdeckt zu werden. Wenn ihr Gegenüber nicht näher kam, dann würde sie wohl kaum Gelegenheit haben, ihn zu überwältigen und wenn er seine Kollegen holte, dann schwanden ihre geringen Chancen vollends dahin. Sie konnte nur hoffen, dass er den Ruhm für sich alleine wollte...
Tatsächlich kamen die Schritte zögernd näher. Das war der richtige Augenblick! - Doch Elaine stockte. Mit einem Mal wusste sie, dass das kein Feind war!
„Marquette?”, flüsterte sie leise.
Zwei Sekunden war Stille.
„Elaine Lorber?” Lilis Stimme klang, obwohl sie flüstere, verärgert. Schnell kam die Pilotin herüber und hockte sich zu ihnen auf den Boden. „Sind Sie wahnsinnig, meinen Namen zu nennen? Sie konnten doch gar nicht wissen, dass ich es bin!”
„Nennen Sie es Erfahrung oder Intuition, ich wusste es!”, gab Elaine lapidar zurück, doch am liebsten hätte sie vor Erleichterung laut gelacht und die andere Frau herzlich umarmt. „Können Sie uns helfen?”
„Ja, aber nicht sehr. Ich hab ein paar Freiwillige im Shuttle, die ich in andere Richtungen losgeschickt hab. Ich kann Sie also nicht einfach zum Versteck fliegen. Aber ich habe einige Dinge, die Ihnen helfen sollten.” Marquette nahm ein Tasche vom Rücken und holte einige Gegenstände heraus. „Hier ist ein Kompass, eine Waffe und zwei Schutzanzüge, die Infrarotstrahlung dämpft.”
„Haben die noch was anderes, womit sie uns aufspüren könnten?”
„Nein, in den Shuttles sind nur die normalen menschlichen Geräte installiert. Die Taelons behaupten, dass sie für kriegstechnische Sensoren bisher keine Verwendung gehabt hätten.”
„Sie glauben ihnen nicht?”
„Glauben Sie das? Nachdem die den gesamten Funkverkehr im Schutzschild abhören konnten? Sie wollen uns die Technik nicht geben. Das ist alles!”
„Vielleicht waren wir aber auch naiv. Der Schutzschild ist schließlich extra dafür konzipiert, Strahlungen zu kontrollieren”, gab Elaine zu bedenken, doch Lili schüttelte ungeduldig den Kopf.
„Ich hab keine Zeit für solche Diskussionen. Wer ist noch bei Ihnen? Ist jemand verletzt? Brauchen Sie Verbandszeug?”
Elaine verstand, dass es die Pilotin eilig hatte, doch die Vorstellung, dass die erfahrene Soldatin gleich wieder weg sein würde, missfiel ihr. Sie in der Nähe zu haben, gab ihr die Sicherheit, die sie Carol gegenüber nur vortäuschte. Doch sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
„Nein, von uns ist keine verletzt und wir sind nur zu zweit, ich und Carol Rapp.”
„Carol Rapp? Wer ist das?” Doch Lili unterbrach sich sofort wieder. „Egal, ich werde es noch früh genug erfahren. Zumindest, wenn Sie sich nicht erwischen lassen. Ich halte es nämlich für unwahrscheinlich, dass Sandoval bei legalen Mitteln bleibt, wenn er sie in die Finger bekommt.”
Die Pilotin erhob sich und setzte den Rucksack wieder auf.
„Die bekommen uns nicht!”, versuchte Elaine, sie zu versichern und hoffte, dass weder sie noch Carol das leichte Zittern in ihrer Stimme wahrnahm. „Vielen Dank, Lili!”
„Nichts zu danken. Seien Sie einfach vorsichtig und denken Sie daran, dass mehr auf dem Spiel steht, als nur ihr Leben!” Damit machte sich die Pilotin auf den Rückweg.
Eine Weile sahen sie schweigend in die Dunkelheit, in der sie verschunden war.
„Ich denke, ich muss das jetzt nicht verstehen”, meinte Carol schließlich. „Warum hilft die uns?”
„Das ist doch jetzt nicht wichtig.” Elaine merkte, dass ihr einfach die Kraft für jeden Gedanken, der nicht direkt ihrer Flucht diente, fehlte. „Wichtig ist doch vorerst nur, dass wir jetzt eine faire Chance haben.”

 
* * *
 

Die Suchaktion verlief bislang nicht sehr erfolgreich.
Missmutig starrte Sandoval vom Shuttle hinunter auf den dunklen Wald. Die beiden Frauen hatten einen nicht unbeträchtlichen Vorsprung, der den Radius, in dem sie sich befinden konnten, ärgerlich groß werden ließ. Zudem war die Gegend reich an Wild, so dass die Wärmekameras nur von begrenztem Nutzen waren. Mit Spürhunden wären sie besser ausgestattet gewesen.
Ungeduldig öffnete Sandoval mit einer Armbewegung den Datenstrom.
„Captain Marquette, haben Sie was gefunden?”
„Nein, die Wärmepunkte haben sich als Rehe entpuppt”, antwortete die Soldatin mit unbewegter Mine.
„Suchen Sie weiter”, befahl er ihr schroff und fand ihre kühle Ruhe momentan nicht bewunderungswürdig sondern nur ärgerlich. Unbeeindruckt davon nickte Marquette und kappte die Verbindung, so dass Sandoval wieder nur der Blick in die Nacht blieb.
Wie hatte nur alles so schief laufen können? Wie war es Lorber und Rapp möglich gewesen, an die wohlgehüteten Geräte zu kommen, mit denen man den Schutzschild durchqueren konnte? Eine Möglichkeit war, dass Stratton sie ihnen besorgt hatte. Doch wo war der Kerl? Warum war er nicht mit ihnen geflohen? Oder gab es unter seinen Augen gar noch mehr Verschwörungsmitglieder? Und wo steckte Morel?
Verdammt! Er hatte nur Fragen und keine Antworten, dabei brauchte nach all den Fehlschlägen endlich positive Ergebnisse!
Er ließ sich noch mal seine letzte Begegnung mit Da'an durch den Kopf gehen, um abzuschätzen, welche Folgen ein weiteres Versagen seinerseits haben könnte.
Da'an war ruhig und beherrscht gewesen wie immer, doch zweimal waren für kurze Zeit die Energieflüsse in seinem Inneren zum Vorschein gekommen, wenn auch das zweite Mal nur so kurz, dass ein normaler Mensch ohne CVI es gar nicht bemerkt hätte. Da'an war beunruhigt! Sandoval spürte es mit seinem ganzen Wesen. Nicht nur an diesem Indiz. Es war, als hätte er eine Antenne für Da'ans Gefühlszustand, die jetzt zum ersten Mal ausgeschlagen hatte.
Würde Da'an verärgert reagieren? Sandoval konnte sich das nicht recht vorstellen. Er hatte Da'an nie aufgebracht erlebt. Nie hatte der Taelon ihm ein Versagen vorgeworfen oder ihn gar angeschrieen. Im Gegenteil, der Taelon hatte etwas Sanftes, Zerbrechliches, Verwundbares, ja manchmal sogar Naives an sich, das seine Beschützerinstinkte weckte, es jedoch undenkbar erscheinen ließ, dass Da'an wütend reagieren könnte. Gerne hätte Sandoval den Außerirdischen auf diese Attribute beschränkt. Doch da gab es auch diese scharfen und - wie es ihm vorkam - um alle seine Fehler wissenden Blicke, die jede seine Masken zu durchbohren und bis auf den Grund seiner Seele zu blicken schienen. Und die ihn viel mehr beunruhigten, als es jedes harte Wort hätte tun können!
Sandoval hielt nicht viel von Religion, gleich welcher Art, doch Da'ans Blick schien zu einem weisen Priester oder echten Meister zu passen. Zu jemandem, der die Geheimnisse der Welt kannte, den nichts überraschte und der die Geschehnisse um ihn herum gefasst beobachtete. Zu jemandem, der sich auf einer völlig anderen Ebene befand als er selbst.
Sandoval war sich sicher, dass auch Morel Da'an für gleichzeitig unheimlich und faszinierendend hielt. Er hatte sie beobachtet, wenn sie mit Da'an sprach oder von einem Gespräch mit ihm kam.
Es war schon sonderbar, dass gerade jemand, den er als eine der größten Bedrohungen für seine Position betrachtete, so viele Gemeinsamkeiten mit ihm hatte. Vielleicht war tatsächlich etwas Wahres an dem Spruch, dass einen mit einem verhassten Feind genauso viel verband wie mit einem geliebten Freund.
Wie auch immer, seine Abneigung gegenüber dieser Frau war nicht geringer geworden, durch die erwiesene Tatsache, dass sie Da'an, trotz dass sie ihn verehrte, verraten hatte. Er wollte, dass sie für diesen Verrat büßte. Und mehr noch wollte er wissen, was sie eigentlich im Schilde geführt hatte. Denn, wie er sich eingestand, beunruhigte ihn gar nicht so sehr, dass es eine moralisch verwerfliche Tat gewesen war. Vielmehr machte sie der Umstand, dass sie zu einem so widersprüchlichen Verhalten fähig war, gefährlich. Wer das eine vorgab, aber das andere tat, der war leicht zu durchschauen. Doch wer das, was er offen zur Schau trug, tatsächlich war und gleichzeitig aber auch noch das Gegenteil in sich trug, war unberechenbar! Bedauerlicherweise hatte Sandoval so eine Ahnung, dass genau dies eine Eigenart war, die Da'an, wenn er sie einmal erkannt hatte, zu schätzen wusste.
Nein, es behagte ihm wirklich gar nicht, dass er hier draußen Nachtschatten jagen musste, während sich Morel eventuell hinter dem verschlossenen Eingang zu Sa'els Labor befand.

 
* * *
 

Noch immer hing Sa'els Blick an dem Gesicht des Menschen. Da'an beobachtete ihn, wohl wissend, dass es um so schwerer für den Wissenschaftler - und für ihn selbst - werden würde, je länger er zögerte. Doch die Zeit verstrich und er merkte, dass er die Anweisung, die seiner Überzeugung nach notwendig war, nicht geben konnte. Es hatte nichts damit zu tun, dass er es nicht wollte und nichts damit, dass es Sa'els Wünschen widersprach. Nein, Sa'els Widerstand zu überwinden war so leicht gewesen, weil auch er dieses Experiment nicht abbrechen konnte!
Zögernd trat er näher und betrachtete nun ebenfalls die Frau. Warum war es für das Gemeinwesen so wichtig, einen menschlichen Hybriden zu haben? Es nutzte Quo'ons Position nicht und ihrer Gegenposition schadete ein Bekanntwerden der Versuche auch mehr als es half. Da es jedoch beileibe nicht das erste Mal war, dass er die Motive des Gemeinwesens nicht verstand, fügte er sich in der Überzeugung, dass es das Beste für sie alle war.
*Wir werden dieses Experiment zuende führen, Sa'el!* Mit einer beschwichtigenden Geste unterband er den erstaunten Einwurf des Wissenschaftlers, so dass er weiter sprechen konnte. *Wir werden dieses Experiment zu einem hoffentlich positiven Ende führen, wenn wir eine Möglichkeit finden, den Vorfall für die Synode wie einen Unfall aussehen zu lassen!*
Da'an schenkte Sa'el einen bedeutungsvollen Blick. Doch dieser lief ins Leere, da Sa'el sich sofort mit einer temperamentvollen Bewegung zum Untersuchungstisch drehte und einen Datenstrom öffnete.
Überrascht sah Da'an ihm zu, wie er umgehend damit begann, Daten zu vergleichen und Berechnungen anzustellen. Und obwohl er den Wissenschaftler nicht beirren wollte, konnte er eine amüsierte Geste nicht unterlassen. So wie die Neigung zu Widerspruch und Sturheit eine für den Umgang mit Sa'el anstrengende Eigenart war, so gehörte es andererseits auch zu dessen Charme, sein bedingungsloses Engagement für eine Sache offen zu zeigen. Es war wohl mit die Ursache, dass Sa'el so erfinderisch war. Und da er dies besonders war, wenn er unter Druck stand, fand Da'an es keine gute Idee, ihn von den wahren Motiven für seiner „Entscheidung” zu unterrichten.
Statt dessen beschloss er, Sa'el arbeiten zu lassen und sich selbst darüber zu informieren, was genau sich im Labor zugetragen hatte. Denn während Sa'el dafür Sorge zu tragen hatte, dass ein überlebender Hybrid keinen Hinweis auf die verbotenen Experimente darstellte, musste er sich darum kümmern, dass andere Wege zu diesem Geheimnis ebenfalls verschlossen wurden.
Das Hauptproblem, Stella Morel, hatte sich erledigt - gleich, ob das Experiment tatsächlich erfolgreich beendet werden konnte oder nicht. Stratton befand sich in ihrem Gewahrsam, Cockburn ebenso und Wolf war aufgrund Sandovals voreiligem Handeln bedauerlicherweise tot. Da es unwahrscheinlich war, dass Stellas Kontaktleute Prof. Attwood und Prof. Rosenberg über konkrete Informationen über das Experiment verfügten, blieben nur Elaine Lorber und Carol Rapp übrig. Beide waren mit Sicherheit weitgehend ahnungslos nach Silent Falls gekommen. Die Frage war daher: Was hatten sie hier erfahren?

Diese Überlegungen trugen nicht gerade dazu bei, Da'ans Verärgerung zu mildern, als er mit der Durchsicht der Aufzeichnungen fertig war.
Fassungslos drehte er sich zu Sa'el um.
*Du hast Carol Rapp und Elaine Lorber entkommen lassen?*
*Ja, ich hielt es damals für sinnvoll, dass die Menschen wissen, was hier geschieht*, lautete Sa'els von seinen Emotionen ungerührte Antwort.
Da ihm der Wissenschaftler - voll konzentriert auf seine Aufgabe - keine weitere Beachtung schenkte, sparte sich Da'an eine Antwort und ließ das Gefühl des Ärgers, das sich in ihm aufbaute, ins Leere gleiten. Es würde nichts am Geschehenen ändern.
Die beiden wussten also, was mit Stella geschehen war, aber was wussten sie darüber hinaus? Da'an schloss den Datenstrom und ging durch das virtuelle Glas zurück in den Vorraum.

Stratton ging ziellos und verwirrt im Raum auf und ab. Einen Augenblick lang beobachtete Da'an den Menschen und versuchte einzuschätzen, wie er sich ihm am besten näherte, dann erst baute er seine menschliche Maske auf und wurde für den Mann sichtbar.
„Mr. Stratton?”
Er gab seiner Stimme einen sanften Klang, verhinderte damit jedoch nicht, dass der Angesprochene zusammenzuckte und ihn panisch anstarrte.
„Mr. Stratton, ich bitte Sie, sich zu beruhigen. Ich verspreche Ihnen, dass Ihnen nichts geschehen wird.”
Nach einem weiteren Moment der Starre, wechselte der Mann von Angst zu Wut. „Das soll ich glauben? Für wie blöd halten Sie mich eigentlich?” Angriffslustig kam er - scheinbar dankbar ein Ventil für seine Gefühle gefunden zu haben - auf Da'an zu. „Was denken Sie...”
„Beherrschen Sie sich und hören Sie mir zu!”, unterbrach Da'an ihn scharf und sah ihn kalt und zurechtweisend an.
Diese Demonstration der Stärke wirkte augenblicklich. Stratton blieb stehen und langsam klärte sich sein Verstand. Die Furcht kehrte in seinen Blick zurück, aber auch die Aufmerksamkeit, so dass Da'an zu seinem sanften Tonfall zurückfinden und auf ihn zu gehen konnte.
„Mr. Stratton, mir ist klar, dass Sie durch die Ereignisse verwirrt sind und sich bedroht fühlen. Ihre Mitgliedschaft in einer taelonkritischen Gruppierung gibt Ihnen scheinbar allen Grund dazu. Ich versichere Ihnen jedoch, dass Sie sich nicht in Gefahr befinden und bitte Sie lediglich um eine Information, die ich auch auf andere Art und Weise erhalten könnte.”
Die vor Schreck geweiteten Augen des Menschen zeigten, dass er erst jetzt realisierte, dass sein doppeltes Spiel kein Geheimnis mehr war und er sich in seiner aufgebrachten Verfassung nicht im Klaren darüber war, dass sein aggressives Verhalten bereits ein Schuldeingeständnis gewesen war. Er brauchte eine Weile, bis er Worte fand.
„Was wollen Sie denn wissen?”, fragte er schließlich mit brüchiger Stimme.
„Mich interessiert, was Elaine Lorber und Carol Rapp über die Experimente wissen.”
Wieder dauerte es eine Weile, in der Stratton sich räusperte und erst langsam zu einer Antwort durchringen konnte.
„Über diese zweite Frau weiß ich gar nichts. - Elaine, Mrs. Lorber, weiß zumindest von den Experimenten an den ersten vier Versuchsobjekten, aber was es damit genau auf sich hat, weiß sie, glaub ich, nicht. ”
„Woher weiß Mrs. Lorber von den ersten vier Experimenten?”
„Ich hab keine Ahnung. Wirklich nicht...”
Stratton hob hilflos beide Arme und sah ihn verunsichert an. Da'an musterte ihn aufmerksam, doch als er auch nach einer Weile seine Aussage nicht widerrief oder den Blick abwendete, ging er davon aus, dass der Mann die ihm bekannte Wahrheit sagte.
„Gut. Wissen Sie, wie die beiden Frauen an die Geräte zum Durchqueren des Schutzschildes kamen?”
„Nein, tut mir leid. Von mir haben sie sie jedenfalls nicht... - Und ich weiß auch nicht, wo sie hin wollten!”, fügte er hinzu, womit er Da'ans nächster Frage zuvor kam.
Da'an schenkte ihm dafür ein Lächeln und trat noch einen Schritt näher, so dass er zu dem Mann aufsehen musste.
„Ich danke Ihnen für Ihre Kooperation, Frank Stratton. Sie müssen wissen, dass wir Ihre Fähigkeiten zu würdigen verstehen und Sie nicht verlieren wollen. Machen Sie sich um Ihre weitere Zukunft keine Sorgen. Jetzt sollten Sie sich etwas ausruhen. Ihre Aufgebrachtheit erschöpft nur unnötig Ihre Kräfte.”
Irritiert doch auch wie gebannt erwiderte der Mensch seinen Blick und reagierte auch nicht, als Da'an die Hand hob und mit seinen Fingern seine Stirn berührte. Rasch sendete Da'an einen kurzen Impuls seiner Energie in die Stelle, die Menschen auch das dritte Auge nannten, wohldosiert und gerade genug, damit der Mann das Bewusstsein verlor. Wie ein Stein sackte Stratton zusammen und Da'an fing ihn auf, bevor er mit dem Kopf auf den Boden prallte. Sanft legte er ihn auf dem Boden ab und gab der Konstruktion den Befehl, ihn an einem sicheren Ort bewusstlos zu halten, bis sie Zeit haben würden, sich weiter mit ihm zu befassen.

Dann kehrte Da'an wieder zurück in den hinteren Teil des Labors. Er musste sich schnell entscheiden, ob er die beiden Frauen festsetzen wollte. Wussten sie so viel, dass sie gefährlich werden konnten oder wussten sie wenig genug, dass er sie laufen lassen konnte? Denn sie gefangen zu nehmen würde ebenfalls Aufmerksamkeit erregen, was eventuell schädlichere Auswirkungen haben konnte, als sie entkommen zu lassen. Gerüchte würde es so oder so geben, es war nur die Frage, welche am wenigsten gefährlich waren.
Sa'el, der nun nicht mehr am Datenstrom arbeitete, sondern die Bestrahlung, der Stella ausgesetzt war, kallibrierte, sah ohne seine Arbeit zu unterbrechen auf.
*Ich denke, ich habe eine Lösung gefunden, auch wenn es nicht ganz einfach ist, plausibel zu machen, warum...*

*Da'an?*, unterbracht plötzlich der ebenfalls an der Rettungsaktion beteiligte Taelon-Ingenieur ihr Gespräch.
Mit einer Handbewegung bedeutete Da'an Sa'el zu schweigen.
*Was ist, La'ron?*, fragte er zurück, während er Sa'el in die Unterredung mit einbezog.
*Das frage ich dich! Was suchen die Freiwilligen außerhalb des Schutzschildes und wer hat diesen aus welchem Grund durchquert?*
Der Ingenieur gab sich keine Mühe seine Verärgerung darüber, dass er nicht informiert war, zu verbergen. Während Da'an noch nach einer Antwort suchte, erhielt er von Sa'el einen Blick, der ihm bedeutete die Sache ihm zu überlassen. Bevor er intervenieren konnte, wendete sich der Wissenschaftler an La'ron.
*Es gab einen bedauerlichen Vorfall in meinem Labor. Zwei Menschen haben versucht einige Gegenstände, darunter eine Matrix mit Taelonenergie zu entwenden.*
La'rons entsetzte Reaktion durchfuhr sie beide und Da'an wünschte sich, er hätte Sa'el rechtzeitig unterbrochen. Doch seinen bestürzten Blick tat Sa'el mit einer beschwichtigenden Geste ab.
*Keine Sorge, La'ron, nichts ist verloren gegangen und die Menschen waren sich sicher nicht bewusst, welche Bedeutung ihre Tat für uns hat.*
*Wie du meinst. Deine Unachtsamkeit wird dennoch Folgen haben. Du warst dir der Risiken bewusst!* Damit zog der erboste Ingenieur sich zurück.

Aufgebracht sah Da'an Sa'el an und wartete auf eine Erklärung.
*Ich sollte eine Lösung finden und das habe ich getan,* entgegnete Sa'el mit unverkennbarer Schadenfreude. *Stella Morel zeigt ihren zwei Freundinnen das Labor, diese wollen die Chance nutzen, etwas zu stehlen. Dabei geht etwas schief, Stella wird mit Taelonenergie kontaminiert und die beiden fliehen.*
Einen Moment lang war Da'an sprachlos. Dann fand er sein Wohl in Sarkasmus. *Eine brillante Idee! Du hättest weniger menschliche Filme anschauen sollen und dich dafür mehr mit ihrer sogenannten Wirklichkeit auseinandersetzen sollen!*
*Ich gebe zu, dass das noch etwas unausgereift ist, aber ich habe mich zunächst darauf konzentriert einen Weg zu finden, wie eine zufällige Kontamination mit Taelonenergie mit Stellas Zustand vereinbar wäre. Wie es zu dieser kam, damit hab ich mich noch nicht ausgiebiger beschäftigen können.*
*Du hättest dich überhaupt nicht damit beschäftigen, sondern diesen Part mir überlassen sollen!”, antwortete Da'an und es gelang ihm nicht mehr ganz, eine gewisse Schärfe aus seinem Ton heraus zu halten. *Oder könnte es vielleicht sein, dass du nach wie vor der Ansicht bist, dass das Wissen über die Experimente die menschliche Öffentlichkeit erreichen sollte?*
*Mein Wissen von menschlichen Filmen sagt mir, dass die menschliche Öffentlichkeit manipulierbar ist. Und du, mein lieber Da'an, bist ein Meister im Manipulieren. Zumindest mich hast du vorhin vortrefflich manipuliert. Du wirst schon eine Möglichkeit finden, aus meiner mangelhaften Vorlage einen vortrefflichen Plan zu machen.*
*Herzlichen Dank, Sa'el, ich kann nur hoffen, dass du recht hast. Was dich betrifft, so werde ich La'rons Meinung unterstützen und dafür sorgen, dass dein Wirkungskreis in Zukunft auf die Mondbasis beschränkt bleibt. Du hast wirklich genug Schaden angerichtet!*
*Wenn es genug war, dann bin ich zufrieden!*
Sa'el war deutlich anzumerken, dass er den Schlagabtausch genoss. Die beiläufige Art, in der Sa'el sich der Abstimmung der Bestrahlung widmete, zeigte, dass er der Lösung seines Parts bereits auf die Spur gekommen war. Da'ans Hauptaufmerksamkeit lag hingegen darauf, eine Lösung für seine Probleme zu finden, wodurch seine Eloquenz deutlich litt. La'ron würde umgehend Quo'on informieren. Er beschloss Sa'el das letzte Wort zu lassen und öffnete, während er im Hintergrund bereits mit der Manipulation der verfügbaren Aufzeichnungen begann, eine Verbindung zu seinem Attaché.

„Da'an, ich bedaure. Bis jetzt haben wir noch keine Ergebnisse”, gab dieser ihm unaufgefordert einen Statusbericht. Ein Teil von Da'an registrierte am Tonfall, in dem dies vorgetragen wurde, dass Sandoval trotz seiner neutralen Mimik begann seine Beherrschtheit zu verlieren.
„Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass Sie sie noch finden?”
„Nun...”, gab Sandoval vorsichtig zu, „die beiden Frauen haben einen nicht unbeträchtlichen Vorsprung...”
„Ich möchte Ihre professionelle Meinung erfahren, Agent Sandoval!”
Da'an versuchte seinem Ton eine bestimmte, neutrale und doch freundliche Note zu geben, wobei er ehrlich zugeben musste, dass er nicht einmal wusste, ob so ein Ton für Menschen überhaupt möglich war. In Eunoia wäre es so einfach! Statt dessen musste er sich darauf beschränken, dem Menschen ein Gefühl von Dringlichkeit zu senden und hoffen, dass er sein CVI gut genug beherrschte, um es zu empfangen.
Tatsächlich sah ihn der Mensch einen Moment musternd an, bevor er antwortete. „Die Chance, dass wir die Flüchtigen noch finden, ist nicht sehr hoch”, gab er schließlich unumwunden zu.
„Ist sie niedrig genug, dass ein Abbruch der Suche gerechtfertigt wäre?”
Überraschung blitzte in den Augen des Mannes auf, doch seine Antwort kam jetzt beinahe ohne Zögern. „Ja, nach meinem Ermessen wäre das gerechtfertigt.”
„Gut, dann brechen Sie die Suche ab und begeben Sie sich in Sa'els Labor.”

Umgehend ersetzte Da'an auch die Ebene des Datenstroms, auf der er das Gespräch geführt hatte, durch eine der Aufzeichnungen. Das Quo'on sich noch nicht gemeldet hatte, deutete an, dass er derzeit zu viele andere Verpflichtungen hatte, was Da'an die Gelegenheit zu einigen Feinabstimmungen gab.
*Nicht schlecht*, meinte Sa'el spöttisch, der hinter ihn getreten war und begann hier und dort eine kleine Korrektur einzubringen, *man könnte fast meinen, du hättest ein besonderes Talent für dergleichen.*
*Ich wäre wohl kaum Diplomat, wenn ich es nicht hätte*, gab Da'an etwas gequält zurück.
Er begann sich nach einem Energiestrom und Ruhe zu sehnen und beneidete Sa'el, der dies alles, seit die Fortführung des Experiments gewiss war, als ein bloßes Spiel zu betrachten schien. Doch was Da'an erschöpfte, waren nicht die Probleme an sich, sondern dass, wann immer er die Situation im Ganzen analysiert und eine Entscheidung getroffen hatte, diese durch ein Ereignis, das alles umstieß, zu Nichte gemacht wurde. Um so dankbarer war er dem Schicksal für die kurze Pause, die es ihm ersparte, Quo'on mit unglaubwürdigen Argumenten hinzuhalten. Und für einen kurzen Moment verspürte Da'an sogar so etwas wie Belustigung bei dem Gedanken an den Synodenführer, der keine Ahnung hatte, dass die Wichtigkeit, die er bei der Erledigung seiner momentanen Aufgaben verspürte, nichts mit dem zu tun hatte, was er tat, sondern mit dem, was er nicht tat.

 

Ende von Kapitel 9

 

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