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  „Hinter den Masken” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Herbst 2001
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Elaine und Carol versuchen Stella und Frank zu retten und erleben dabei eine böse Überraschung. Da'an stellt Sa'el für dessen eigenmächtiges Handeln zur Rede.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde
Charaktere:  Elaine Lorber, Ronald Sandoval, Da'an (Carol Rapp, Frank Stratton, Sa'el, Agent Joras)
 

 

HINTER DEN MASKEN

Kapitel 8

 

Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie endlich in der Nähe des Eingangs zu Franks Labor waren. Elaine musste Carol davon abhalten einfach hineinzulaufen. Sie hatte einen Mann entdeckt, der den Eingang bewachte, und wollte warten, bis dieser sich einmal für längere Zeit abwendete.
Doch er war aufmerksam und sie konnten von Glück sagen, dass er sie nach einiger Zeit noch nicht in ihrem Versteck bemerkt hatte. Elaine überlegte sich schon - obwohl sie wusste, dass solche Aktionen normalerweise nur im Film funktionierten - ob sie versuchen sollte, sich an ihn heranzuschleichen und ihn irgendwie niederzuschlagen. Da machte sich plötzlich das Global des Mannes bemerkbar. Seiner Körperhaltung und seinem heftigen Nicken nach zu urteilen, erhielt er einen Befehl. Als das kurze Gespräch beendet war, schloss er das Global nicht, sondern stellte eine andere Verbindung her. Nach der nun radikal geänderten Körperhaltung war es jetzt er, der Befehle erteilte. Danach schloss er das Global und ging ein Stück den Weg hinunter, wo ihm ein anderer Mann entgegenkam.
Das war die Gelegenheit, auf die Elaine gewartet hatte. Sie stupste Carol an und huschte zur Tür. Sekunden später waren sie in dem Laborgebäude.

„Verstecken Sie sich hier im Eingangsbereich. Ich sehe nach, ob ich Frank in seinem Büro finde.”
Elaine ließ Carol zurück und schlich zu Franks Büro, an das sie keine gute Erinnerung hatte. Vorsichtig lauschte sie an der Tür. Jemand hackte heftig auf eine Tastatur ein.
„Verdammt! Hör endlich dein Global ab! Verdammt, verdammt, verdammt!”
Frank! Er war definitiv nicht gut gelaunt, aber wenn er so fluchte, dann war er mit Sicherheit allein. Höchstens vor Stella hätte er sich so ausgedrückt, aber die hätte es nicht versäumt, diesen Ausbruch mit einer spitzen Bemerkung zu kommentieren.
Leise trat Elaine ein.
„Frank?”
Erschrocken fuhr Frank auf und starrte sie an, als sähe er einen Geist. Es dauerte ein paar Sekunden, dann sprang er auf und kam auf sie zugestürzt.
„Elaine! Ich hab verzweifelt versucht dich zu erreichen!”
Fast schon grob packte er sie bei den Schultern, so dass seine Worte noch mehr Dringlichkeit erhielten. „Wieso gehst du nicht an dein Global? Die Situation spitzt sich hier gefährlich zu.”
„Tatsächlich?”, unterbrach Elaine ihn mit sarkastischem Tonfall. „Hab ich noch gar nicht bemerkt.”
Frank sah sie irritiert an, doch sein Blick wechselte schnell und nahm einen verärgerten Ausdruck an. „Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob du den Ernst der Lage richtig einschätzt. Ich bin jedenfalls schon lang nicht mehr zu Scherzen aufgelegt! - Halt, Stopp!”, beschwichtigend hob er die Hände. „Es tut mir leid, ich hab es nicht so gemeint. Hör zu, ich hab eine Fluchtmöglichkeit vorbereitet. Bitte geh in das Labor im Lazarettgebäude C und warte dort auf mich. Ich komm in einer halben Stunde nach. Dann erkläre ich dir, was ich vorhabe!”
Frank wollte Elaine aus der Tür schieben, doch sie bewegte sich nicht.
„Sag mal, du hast eine Nachricht auf mein Global gesprochen?”
„Ja, natürlich, und ich hatte dich gebeten mich zurückzurufen und nicht selbst hier her zu kommen!” Das klang jetzt wie ein Vorwurf.
„Toll, Frank! Wirklich klug! Wie kannst du in so einer Situation etwas auf ein Global sprechen? Du kannst doch nicht sicher wissen, ob es sich auch wirklich noch in meinem Besitz befindet.”
Verwirrt ließ Frank sie los. Langsam dämmerte es ihm.
„Du meinst...”
„...dass das eine wirklich dumme Idee war. Und wenn das stimmt, was du mir über das Projekt und Stellas und deine Mitgliedschaft erzähl hast, dann müssen jetzt sofort alle von hier verschwinden. Die Taelons und ihre Helfershelfer wissen nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach Bescheid.”
„Ich weiß, deswegen wollte ich dich auch von hier fortbringen.”
„Aber Frank, wo ist Stella? Ich habe in ihrem Globalprogramm eine Nachricht gefunden, dass sie zu dir kommen soll.”
„Stella hab ich schon vorgeschickt...”
Überrascht unterbrach Elaine Frank. „Tatsächlich? Wie?”
„Ich hab sie unter die Kranken geschmuggelt, die in externe Krankenhäuser transportiert werden, und das will ich mit dir auch machen.”
Elaine lachte erleichtert. „Eigentlich wollte ich dich ja retten, aber deine Methode erscheint mir die weniger anstrengende zu sein. Aber was ist mit dir?”
„Stella ist die einzige Verbindung zu mir und da sie jetzt weg ist, bin ich nicht mehr in Gefahr. Ich bleibe.”
„Hältst du das wirklich für eine gute...”

„Sie haben Stella!!!”
Frank und Elaine fuhren erschrocken herum, als eine völlig entsetzte Carol die Tür aufriss.
„Was?” Ungläubig starrte Elaine Carol an, die sie aufgeregt am Ärmel gepackt hatte und versuchte sie mit sich zu ziehen. „Ich hab mich ungesehen und Stella liegt oben und dieser Taelon macht irgendwas mit ihr.”
Elaine sah sich verwirrt zu Frank um.
„Ich konnte nichts dagegen machen...” stammelte er.
Elaine drehte sich einfach um und wollte Carol nachlaufen, doch Frank packte sie am Arm.
„Elaine! Sei doch vernünftig. Du kannst ihr nicht mehr helfen. Du musst weg von hier.”
„Fass mich nicht an!”, zischte Elaine mit eisigem Blick. Mit einem Ruck entriss sie ihm ihren Arm. „Hilfst du uns oder nicht? Du musst dich entscheiden. Jetzt!”
„Elaine, das ist doch Wahnsinn! Du hast keine Chance! Ich kann ihr nicht mehr helfen.”
„Gut, das musst du auch gar nicht.” Blitzschnell griff sie nun ihrerseits nach seinem Arm und drehte ihn mit einer geschickten Bewegung auf seinen Rücken, wo sie ihn festhielt. Mit der anderen Hand fuhr sie in ihre Tasche und holte ein Schnappmesser hervor, dass sie ihm schneller als er schauen konnte an den Hals hielt.
„Elaine...”, presste er zwischen seinen Zähnen hervor, unfähig sich auch nur ein bisschen zu bewegen.
„Still! Ich hab jetzt keine Zeit, mir zu überlegen, ob du nur ein Opfer oder ein echtes Schwein bist. Ich werde Stella hier herausholen und du kannst entweder mit uns kommen oder nicht. Es ist deine Entscheidung. Du kannst es dir überlegen. Los, jetzt geh zu dem Labor in dem Stella liegt.”
Zögern setzte sich Frank in Bewegung und auch Carol löste sich aus ihrer Erstarrung, mit der sie Elaines Aktion beobachtet hatte.
„Es ist da vorne”, wies sie Elaine die Richtung.

Nach wenigen Schritten befanden sie sich in einer anderen Welt. Wände, Boden, Decke, alles war aus einem blau-violett gemusterten Material, das ihnen unbekannt war. Sonderbar geformt und fremdartig war alles. Es wirkte kalt und gleichzeitig weich und anheimelnd. Eine sonderbare Mischung. Dies fiel ihnen sogar oder gerade wegen ihrer prekären Lage auf. Nach einem kurzen Gang bogen sie um eine Ecke in einen größeren Raum, ein Labor, von dem aus man durch eine Scheibe in einen weiteren sehen konnte. Dort stand ein Taelon und daneben auf einem Tisch lag - eingeschlossen in einen flackernden, aber größtenteils durchsichtigen Kokon - Stella, offensichtlich bewusstlos.
Der Taelon sah auf. Sein Gesicht zeigte nicht die geringste Regung.
„Lassen Sie sie frei!”, schrie Carol und rannte ein Stück in den Raum, doch dann besann sie sich und wartete auf Elaine.
„Ja, schalten Sie dieses Ding um Stella herum ab und lassen Sie sie frei. Sonst können Sie sich von ihrem Mitarbeiter verabschieden.”
Frank versteifte sich in ihrem Griff, doch der Taelon blieb ungerührt.
„Ich fürchte, damit haben Sie kein ausreichendes Druckmittel gegen mich in der Hand. Ich kann auf ihn viel eher verzichten als auf Stella.”
„Sie haben wohl gar keine Skrupel Menschen zu benützen! Was machen Sie überhaupt mit ihr?” Carol brüllte den Taelon regelrecht an.
„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber ich versichere Ihnen, dass es ihr nicht schaden wird.”
Elaine schnaubte verächtlich. „Für wie blöd halten Sie uns eigentlich? Sie glauben doch nicht wirklich, dass wir unsere Freundin hier lassen, nur weil Sie uns eine so schwachsinnige Versicherung geben.” Elaine begann Frank in Richtung von etwas zu bugsieren, das wie ein Steuerungsgerät aussah.
„Sie sind Stellas Freundinnen?” Der Taelon ließ seinen Blick interessiert von Stella zu Elaine und Carol schweifen und zum ersten Mal zeigte er so etwas Gefühl. Auch wenn das ruhige, freundliche Interesse in sonderbarem Kontrast zu der angespannten Situation stand.
„Ja, haben Sie gedacht, sie hätte keine? Wenn Sie sie nicht aus diesem Ding befreien, dann wird es eben ihr Mitarbeiter tun.” Sie gab Frank ohne ihn loszulassen einen kleinen Stoß. „Los, schalt es ab.”
Frank zögerte etwas. Verunsichert schaute er zu dem Taelon.
„LOS!”, befahl Elaine und drückte das Messer etwas stärker gegen seine Kehle. „Dein Chef wird dir nicht helfen.”
Langsam tippte er mit einer Hand auf eine Fläche und vor ihnen erschien ein holographisches Display. Er hob die Hand, um darauf etwas einzugeben, doch bevor er etwas eingeben konnte, verschwand es wieder. Verwirrt sah Frank auf.
„Tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen”, meinte der Taelon mit ruhiger Stimme.
Hilflos sahen Carol und Elaine sich an.
„Zum Teufel!”, stieß Carol wütend aus und rannte zum Eingang des Raumes, in dem sich Stella und der Taelon befand. Sie konnte gerade noch stoppen, bevor sich der Eingang blitzschnell mit einer blauen Wand schloss.
„Nein!”, schrie Carol. „Lassen Sie sie frei!”
„Ich bedaure das wirklich, auch wenn Sie mir das nicht glauben können. Sie sehen, dass Sie keine Möglichkeit haben hier herein zu gelangen. Mit den gleichen Mitteln könnte ich Sie auch einsperren, aber es wäre mir lieber, wenn Sie versuchen würden von hier zu fliehen. Ich erkenne, dass Sie Sensoren bei sich tragen, mit denen Sie den virtuellen Schild passieren können. Benutzen Sie sie, aber beeilen Sie sich. Man sucht schon nach Ihnen.”
Verblüfft und mit aufsteigender Panik sahen sich Carol und Elaine an, bevor sie wieder auf den Taelon starrten. Dieser nickte mit einem freundlichen Lächeln. Er wandte sich von ihnen ab. Gleichzeitig wurde die Scheibe undurchsichtig und er war verschwunden, ebenso Stella.

 
* * *
 

Die offene Tür machte Sandoval sofort unruhig. Misstrauisch stieß er sie auf.
„Dr. Morel?”, warf er fragend in den Raum und hob den Arm mit seinem Skrill, obwohl er sich albern dabei vorkam. Aber es war besser albern auszusehen, als unvorbereitet in einen Hinterhalt zu geraten. Natürlich war niemand da, zumindest soweit sich dies in der Unordnung ausmachen ließ. Dieses Weib war chronisch unordentlich - er wusste es aus unzähligen Berichten und Beobachtungsfotos und es war keine Eigenschaft, die ihm Morel sympathisch gemacht hätte.
Nachdem er kurz in alle Räume geschaut hatte, schaltete er den Computer ein und überprüfte die letzte Transmission. Noch bevor sie ganz abgespielt worden war, ließ er sein Global aufschnappen.
„Joras, haben Sie Morel in das Labor gehen sehen?”
„Ja. Vor gut einer halben Stunde. Seitdem hat niemand das Gebäude betreten oder verlassen...”
„Sorgen Sie dafür, dass das so bleibt!”, unterbrach Sandoval seinen Untergebenen. „Ich komme sofort.”

Als er kurz darauf den Weg zum Labor entlang lief, kam ihm Agent Joras schon entgegen. Sandoval wartete nicht darauf, dass er ihm einen der üblichen langatmigen Berichte erstattete. „Hat Morel das Gebäude verlassen?”
„Nein, aber ich...”
„Haben Sie Carol Rapp oder Elaine Lorber gefunden?”
„Nein, gefunden nicht, aber...” Joras brach ab und hielt Sandoval ein Global hin.
Im Schnelldurchlauf sah dieser sich die letzten Nachrichten an, bevor er es wieder gedankenverloren in Joras Hände drückte.
„Was zum Teufel...”, murmelte er, mehr zu sich selbst, denn von Joras erwartete er keine Erklärung, auf die er nicht selbst schneller kommen würde. Wieso bestellte Stratton Morel in sein Labor und Lorber in ein anderes? Und warum war er so nervös? Es gab nur eine Erklärung: Alle drei waren Mitglieder in Morels Organisation und wollten fliehen.
„Sorgen Sie dafür, dass ab sofort niemand mehr das Gelände verlässt, weder mit Fahrzeugen noch mit Shuttles - auch keine Krankentransporte! Und lassen Sie das Labor durchsuchen, in das Stratton Lorber bestellt hat.”
„Das habe ich bereits veranlasst...”, begann der Mann, doch Sandoval ging ohne weiter auf ihn zu achten in das Gebäude.

Ganz wohl war ihm nicht dabei, ohne Verstärkung die Festnahme vorzunehmen. Auch wenn keiner der drei Personen unter normalen Umständen für ihn gefährlich war, jede Situation konnte überraschende Wendungen nehmen und daher verstieß es gegen alle Regeln allein vorzugehen. Doch Sandoval hatte das Gefühl nicht warten zu können. Er musste die Sache schnell in den Griff bekommen, um Da'an davon zu überzeugen, dass er nicht komplett unfähig war. Es war schon zu viel schief gegangen. Ohne sein Verschulden, aber wen interessierte das schon? Nicht einmal ihn selbst.
Den Skrill wieder bereit stieß er die Tür zu Strattons Büro auf - und fand es zu seiner Überraschung leer vor. Sandoval unterdrückte einen Fluch, da hörte er hinter sich eine Bewegung an der Tür, die ihn herumwirbeln ließ.
Joras starrte ihn erschrocken an, als er plötzlich den Skrill leuchtend auf seine Brust zielen sah. „Ich...”, stotterte er.
„Postieren Sie jemanden an der Türe und durchsuchen Sie alle Räume”, befahl Sandoval und machte sich selbst auf den Weg in Sa'els Labor.
Der Taelon würde nicht begeistert sein, wenn er seinen Assistenten festnehmen würde, zumal ihre letzte Begegnung nicht gerade erfreulich verlaufen war. Er fragte sich verärgert, wie er diesem arroganten Taelon begreiflich machen sollte, dass ein weiterer seiner Mitarbeiter ein Terrorist war, als er plötzlich vor einer Wand stand.
Irritiert sah er sich um, doch da, wo vor kurzem noch der Gang zu Sa'els Labor begann, war jetzt eine blaue Wand. Keine Tür, keine Ritze, man konnte nicht einmal sehen, wo genau der ehemalige Durchgang gewesen war.
Sandoval beschloss, sich nicht durch ein Abtasten der Wand lächerlich zu machen und dass es auch keine gute Idee war, seinen Skrill zu benutzen. So drehte er um und suchte nach Agent Joras, der im Eingangsbereich mit drei anderen Männern auf ihn wartete. Sobald er Sandoval sah, kam er auf ihn zu.
„Wir haben alles durchsucht. Hier ist niemand. Und in dem anderen Labor war auch nichts.”
„Sorgen Sie dafür, dass alle Fahrzeuge, die das Gelände in der letzten halben Stunde verlassen haben, aufgehalten und durchsucht werden. Und überprüfen Sie die Zielorte aller Shuttles.”
Sandoval wartete nicht ab, bis Joras auch nur genickt hatte, sondern ging zurück zu dem Eingang von Sa'els Labor. Hier hatte sich nichts geändert. Ergeben zückte er sein Global. So gern er es vermeiden würde, es blieb ihm keine andere Wahl als Da'an zu kontaktieren.

 
* * *
 

„Nein!”, schrie Carol und schlug mit der Faust in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung an die ehemals durchsichtige Scheibe.
Einen Moment sah ihr Elaine betäubt zu. Sie hatte das irreale Gefühl, sich zu teilen und plötzlich neben sich zu stehen. Interessiert beobachtete sie, wie in ihr Panik aufstieg, während sich gleichzeitig die Zeit dehnte und sie in einen Zustand voller Konzentration eintrat. „Weg hier!”, befahlen ihr alle Instinkte. In Windeseile schossen ihr die Möglichkeiten, die sie hatten durch den Kopf und Sekundenbruchteile später nahm sie den Befehl an.
Sie ließ Frank los und gab ihm einen Stoß, um ihn aus dem direkten Weg zu Carol zu befördern. Mit drei schnellen Schritten war sie bei der jungen Frau und packte sie am Arm.
„Lass das! Wir müssen weg!”
„Nein, Stella...”, Carols Stimme überschlug sich beinahe. Sie klang hysterisch.
„Willst du auch so enden?” Ohne die Reaktion auf diese rhetorische Frage abzuwarten, zog Elaine die weit weniger kräftige Frau einfach mit sich. Carol wehrte sich, doch sie wirkte eher kraftlos, so als wäre ihr die Hoffnungslosigkeit ihres Unterfangens bereits klar, auch wenn sie sich noch weigerte das zu akzeptieren.
Am Ausgang zeigte Elaine ein Blick über die Schulter, dass Frank immer noch wie erstarrt in der Mitte des Raumes stand.
„Kommst du mit?”, fragte sie, doch Frank starrte sie nur an, in seinem Gesicht arbeitete es und er hob hilflos die Arme.
„Wie du willst!”

Schon nach wenigen Schritten musste sie Carol nicht mehr mit sich ziehen. Wie wenn jemand einen Schalter auf „Flucht” gestellt hätte, verschwand jeder andere Gedanken, alles wurde unwichtig und allein der Weg, der vor ihnen lag, hatte noch Bedeutung. Sie begannen zu rennen.
Nach kurzer Zeit stellten sie fest, dass dieser Weg nicht mehr mit dem übereinstimmte, den sie gekommen waren. Elaine hatte nun endgültig das Gefühl in einem Alptraum aufgewacht zu sein. In ihr formte sich die Gewissheit, dass sie bis in alle Ewigkeit weiter durch diesen unwirklichen Gang rennen würde, der immer neue Biegungen formte, ohne sich dabei zu verändern.
Doch mit einem Mal sahen sie vor sich eine Öffnung. Gras und ein Stück dahinter die Wand eines der grauen Stahlcontainer, aus denen die Labore und ein Teil des Lazaretts zusammengefügt waren. Beide Frauen stoppten und wichen erschrocken zurück, als vor der Öffnung jemand auftauchte. Doch der Mann, ein Pfleger im weißen Kittel lief einfach vorbei, ohne auf sie zu achten.
„Virtuelles Glas”, flüsterte Carol und als Elaine näher trat, sah sie ein leichtes Flimmern in der Luft. *Eingesperrt*, dachte Elaine panisch, doch als sie Hand ausstreckte, fasste sie einfach hindurch. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück, aus Angst, dass man sie von außen sehen würde, doch gleichzeitig atmete sie erleichtert auf. Nur ein Schritt und sie würde wieder in einer Welt sein, die sie kannte und deren Gefahren sie etwas entgegenzusetzen hatte - nur ein Schritt und sie war wieder in der Realität.
Draußen dämmerte es. Noch eine halbe Stunde und es würde Nacht sein. Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Schnell fuhr Elaine mit einer Hand in die Tasche ihres Jacketts, in die sie die kleinen Geräte von Belman gesteckt hatte. „Hier!” Sie reichte Carol eines davon und steckte sich ein anderes unter ihrer Jacke an ihre Bluse. Dort war es nicht sichtbar, aber leicht zu erreichen. Sie hatte Belmans Worte nicht vergessen. Sie waren leicht zu orten, wenn die Geräte aktiviert waren und mussten deshalb warten bis sie kurz vor dem virtuellen Glas waren.
Trotz der Eile holte sie die Karte heraus, die die Ärztin ihnen gegeben hatte, und prägte sich noch einmal die Richtung ein, in die sie gehen mussten, bis sie nach einigen Kilometern in ein Versteck kamen, wo sie auf Hilfe warten konnten.
„Wie kommen wir jetzt am besten zum virtuellen Schutzschild?” Der unsichere Ton, in dem Carol fragte, machte Elaine noch deutlicher, dass die Verantwortung allein auf ihren Schultern lag. Sie verdrängte diesen Gedanken so gut es ging und faltete sorgsam die Karte zusammen. Nachdem sie sie wieder in der Innentasche ihrer Jacke verstaut hattem, mustere aufmerksam das, was von der Umgebung von ihrem Standpunkt aus zu sehen war.
„Wir gehen direkt durch das Lazarett. Bei dem Zwielicht sind wir dort nur schwer von anderen Menschen zu unterscheiden. Wir müssen normal gehen und uns nicht zu oft umschauen. Wenn wir aufgehalten werden, werden wir improvisieren. Und jetzt los!”
Elaine ließ Carol keine Gelegenheit den ‚Plan’ anzufechten, sondern trat schnell ins Freie.
Ein paar Schritte brachten sie an die Ecke der gegenüberliegenden Baracke. Als sie sich noch einmal umschaute, sah sie, das Carol ihr ohne Zögern gefolgt war. Von dem Ausgang, aus dem sie herausgekommen waren, war nichts zu erkennen.

Sie kamen gut voran. Der Lazarettbereich war verwinkelt und wann immer sie jemanden sahen, bogen sie in einen anderen Weg zwischen den Baracken und Zelten ab. Die Lichtverhältnisse waren zu ihren Gunsten. Dämmrig, aber die Lampen waren noch nicht an. Schnell merkten sie, dass die Zahl der Freiwilligen, die unterwegs war, höher als sonst war. Der Taelon hatte wohl nicht gelogen. Sie wurden gesucht. Dennoch machten die Freiwilligen einen unaufmerksamen Eindruck.

„Was für Trottel!”, zischte Carol höhnisch als eine Freiwillige, die, obwohl eine Bewegung von ihnen gesehen haben musste, nur kurz aufblickte und sich dann wieder dem Studium ihrer Waffe widmete, die sie anscheinend mehr interessierte als ihre Aufgabe.
„Ja, die verlassen sich sehr darauf, dass wir unter dem Schutzschild in der Falle sitzen.”
Die beiden Frauen grinsten sich schadenfroh zu und beide mussten sich beherrschen, damit sich ihre Anspannung nicht in Gelächter entlud.
Als sie kurz darauf am Ende des Lazarettgeländes angekommen waren und fünfzig Meter vor sich den Schutzschild flimmern sahen, musste sich Elaine regelrecht zusammennehmen, um nicht einfach loszurennen.
„Auf Los geht's los?”, flüsterte Carol Elaine fragend zu und machte sich schon bereit das Gerät zu aktivieren. Ihre Augen glitzerten im zunehmenden Dunkel. Nur noch wenige Meter und sie waren raus aus diesem bedrückenden Gefängnis, das sich so geschickt als Hotel getarnt hatte. Die Vorstellung war so berauschend, dass Elaine am liebsten wie ein Kind vor Freude herumgesprungen wäre. Sie musste sich mit aller Macht ins Bewusstsein rufen, dass es noch nicht überstanden war. Sie bedeutete Carol zu warten und sah sich nochmals aufmerksam um. Schließlich nickte sie Carol zu und legte einen Finger an den kleinen Knopf, mit dem das Gerät aktiviert wurde.
„Los!”
Simultan aktivierten die beiden Frauen die kleinen Apparate und begannen zu rennen.
Die aufgeregten Rufe und die Gewehrsalven, die sie unbewusst erwartet hatten, blieben aus.
Wenige Sekunden später erreichten sie den Schild. Unbewusst streckten sie die Arme nach vorne, um sich abzustützen, doch das virtuelle Glas ließ sie passieren und alles, was sie spürten, war ein leichtes Kribbeln auf der Haut. Carol verlor das Gleichgewicht und fiel und auch Elaine strauchelte, so sonderbar war es in vollem Lauf auf eine - wenn auch weitgehend transparente - Wand zuzulaufen und dann nicht davon abzuprallen.
Irritiert sah Elaine zurück. Knapp hinter ihr war das virtuelle Glas - unverändert, so als wäre nichts geschehen und auch der Bereich dahinter war ruhig. Keine Alarmanlage, nichts. Ihr Verstand sagte ihr, dass das auch nicht zu erwarten gewesen war, doch gefühlsmäßig erschien ihr das sonderbar. Sie wechselte einen schnellen Blick mit Carol, die nicht weniger verwirrt aussah als sie sich fühlte.
Carol fing sich als erste. „Weg hier!”, raunte sie und riss das kleine Gerät von ihrer Kleidung.
Elaine tat es ihr nach und beförderte das ihre in hohem Bogen ins Gebüsch, bevor sie Carol in die Dunkelheit nachrannte.

 
* * *
 

Da'an stand immer noch vor dem Fenster und sah auf die unten umherlaufenden Menschen hinab, als der Computer ihm signalisierte, dass sein Attaché ihn zu sprechen wünschte. Widerwillig ging er zu dem nur äußerlich nach einem menschlichen Fabrikat aussehenden Gerät und nahm das Gespräch an.
„Was haben Sie zu berichten, Agent Sandoval?”
„Ich habe die bedauerliche Feststellung gemacht, dass Dr. Frank Stratton mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls zu Morels terroristischer Gruppierung gehört. Er hat sie und Elaine Lorber zu sich bestellt. Bedauerlicherweise ist bisher keiner von ihnen gefunden worden.” Sandoval ließ ihm keine Gelegenheit, darauf zu reagieren, sondern sprach hastig weiter. „Leider ist Sa'els Labor verschlossen, so dass ich nicht nachschauen kann, ob sie sich vielleicht dort drin befinden. Wäre es möglich, dass sie Sa'el in ihrer Gewalt haben und ihn bedrohen?”
Noch bevor Sandoval seinen Satz beendet hatte, suchte Da'an die geistige Verbindung zu dem Wissenschaftler.
*Sa'el?*
Nichts.
*Sa'el!*
Wieder keine Antwort.
*Sa'el! Antworte! SOFORT!!!*
Da'an merkte wie vor Ärger ein Flackern über seine menschliche Maske lief, doch das einzige, was er von Sa'el erhielt, war - verbunden mit einer Spur völlig unangebrachter Belustigung - eine kurze Abfolge von Bildern: Eine Tür, die ins Schloss fiel. Sicher ein Ausschnitt aus einem menschlichen Film. Da'an vermutete, dass Sa'el die Szene falsch verstanden hatte. Die Person in dem Film, die die Tür zuschlug, war vermutlich diejenige, die wütend war und nicht die, die sich davor befand. Die Botschaft war aber dennoch angekommen.
„Ich versichere Ihnen, dass Sa'el nicht in Gefahr ist”, antwortete Da'an Sandoval zeitgleich. „Dennoch denke ich, dass wir hinter der verschlossenen Tür einige Antworten finden werden. Ich komme zu Ihnen.” Er wollte die Verbindung beenden, doch sein Gegenüber hielt ihn zurück.
„Bitte warten Sie, Da'an. Ich hole Sie in der Hotellobby ab. Wie gesagt, wir haben die Flüchtigen noch immer nicht gefunden...”
Da'an unterließ es seinem besorgten Beschützer zu erklären, dass dieser selbst als einziger in weitem Umkreis in der Lage war ihm zu schaden und nickte statt dessen zustimmend. Sandovals Fürsorge hatte etwas Angenehmes, so dass er den geringen Zeitverlust, der ihm dadurch entstand wissentlich in Kauf nahm.

Als Da'an aus dem Aufzug trat, erregte sein Auftauchen in der Hotellobby schnell die Aufmerksamkeit der dort anwesenden Menschen. Sie musterten ihn mit schlecht verhohlener Neugierde und es war wohl den warnenden Blicken Sandovals zu verdanken, dass sie nicht auf Da'an zustürzten, um ihn mit Fragen zu bombardieren. Da'an unterdrückte den Wunsch seinem Beschützer ein dankbares Lächeln zu schenken, denn dessen schuldbewusster Blick überzeugte ihn, dass Freundlichkeit den Mann in der momentanen Lage nur verwirrt hätte. So hielt er seinen Gesichtsausdruck neutral, als er Sandovals Aufforderung ihm zu folgen nachkam.
Schwer fiel ihm das nicht, denn seine fortgesetzten Versuche Sa'el zu einer Antwort zu bewegen, stießen nur auf Schweigen und Da'an war dadurch mittlerweile mehr verwirrt als verärgert. Der Wissenschaftler war für sein stures Verhalten bekannt, aber dies hier war äußerst ungewöhnlich. Vor allem weil Da'an kein anderer Grund dafür einfiel, als dass er Zeit gewinnen wollte. Ein Umstand, der es nicht gerade leicht machte, das langsame Tempo, das Sandoval in vermeintlicher Rücksicht auf ihn eingeschlagen hatte, einzuhalten. Situationen wie diese ließen selbst das Einhalten der einfachsten Regeln, die die Synode für diese Mission erlassen hatte, zu einer Prüfung werden.
Gerade so, als wolle das Schicksal seine erprobte Geduld testen, meldete sich, kaum dass sie die Hotelhalle verlassen hatten, die Kontrolleinheit, die ihre Taelon-Einrichtungen hier überwachte, und signalisierte ihm, dass es eine unautorisierte Durchquerung des Schutzschildes gegeben hatte.
*Was ist passiert?*, fragte Da'an zurück.
*Zwei Menschen haben mit Hilfe von Passieradaptoren den geschützten Bereich verlassen. Laut der DNA-Analyse handelt es sich um die zwei Individuen Carol Rapp und Elaine Lorber. Sollen Gegenmaßnahmen eingeleitet werden?*
*Ja, informiere die menschlichen Sicherheitskräfte und orte die Positionen der Flüchtigen für den Fall, dass die menschlichen Sicherheitskräfte bei der Suche versagen. Aber nicht eingreifen, bevor ich nicht Anweisung dazu gebe. Wenn möglich sollen die Menschen das Problem alleine regeln.*
*Verstanden.*
Da'an beendete den Kontakt und merkte, dass er Mühe hatte, seine menschliche Fassade aufrecht zu erhalten. Wie befürchtet, glitten ihm die Dinge aus der Hand. Es fiel ihm nun noch schwerer seine Ruhe zu bewahren, denn erst als sie den Eingang zum Laborgebäude erreichten, meldete sich Sandovals Global.
Der Mann öffnete es und das Bild eines seiner Untergeben erschien.
„Sir, wir haben eine unautorisierte Durchquerung des Schutzschildes von innen nach außen.”
Sandoval sog scharf die Luft ein.
„Sicherheitskräfte in Bereitschaft. Joras hat das Kommando bis ich komme.” Er sah schuldbewusst auf. „Es...”
„Bitte gehen Sie!”, unterbrach ihn Da'an so sanft wie möglich. „Kümmern Sie sich darum, dass die Flüchtigen gefunden werden.”
„Aber...”
„Bitte!” Da'an unterstrich dieses Wort mit einem eindringlichen Blick und einer fließenden Handbewegung.
Widerstrebend nickte Sandoval und ließ seinen Schützling alleine ins Laborgebäude gehen.

Bald darauf stand Da'an vor dem verschlossenen Eingang zu Sa'els Labor. Begleitet von einer Handbewegung gab er den Befehl, den Durchgang zu öffnen, doch zu seiner mittlerweile nur geringen Überraschung geschah nichts. Sa'el verhinderte wirkungsvoll, dass seine Anweisung befolgt wurde. Da'an legte seine Hand an die Wand und sendete ein zweites, stärkeres Signal in die Struktur, doch abermals wurde es von Sa'el gestört, bevor es an der Kontrollzentrale ankam. Über den kurzen Kontakt, der dabei entstand, spürte Da'an die Entschlossenheit des anderen Taelon, mit der dieser das, was auch immer er tat, zu Ende bringen wollte. Unwillkürlich lief ein Flackern über Da'ans menschliche Fassade und er neigte irritiert den Kopf.
Sa'el gehörte seit jeher zu den Unterstützern seiner Strategie und als solcher war er natürlicherweise radikaler als Da'an selbst, der als Mitglied der Synode - und mehr noch zuvor als dessen Führer - den Ausgleich der Interessen im Blick halten musste. Von daher war es kein Wunder, dass Sa'el engagierter für den Erfolg des Experiments kämpfte als er. Doch diese Entschlossenheit war in ihrer Ausprägung ungewöhnlich. Da'an war sich nicht sicher, ob sie nicht noch eine andere Ursache hatte. Wäre es möglich, dass sie doch nicht so stark im Widerspruch zu den gegenwärtigen Interessen des Gemeinwesens stand?
Doch diese hoffnungsvolle Überlegung änderte nichts daran, dass er vor einem verschlossenen Eingang stand. Ergeben konzentrierte sich Da'an und veränderte seine Energiesignatur auf eine Weise, bis sie schließlich weit außerhalb des für Menschen sichtbaren Spektrum lag. was für einen menschlichen Beobachter so ausgesehen hätte, als würde er sich in Nichts auflösen. Bei der richtigen Frequenz angelangt, begann Da'an mit der Feinabstimmung auf die vor ihm befindliche Struktur. Nein, Sa'el hatte wirklich nicht vor, es ihm leicht zu machen, ein neues Indiz dafür, dass Sa'el noch Zeit brauchte. Es dauerte etliche Minuten, bis Da'an endlich die richtige Abstimmung gefunden hatte und durch die Wand gleiten konnte.
Das Erste, was er, als der den Gang auf der anderen Seite durchquert und in Sa'els Labor angekommen war, sah, war der Mensch Frank Stratton, der nervös in den Vorraum auf und ab lief und dabei vor sich hin murmelte. Für einen Augenblick stoppte Da'an und beobachtete den Mann verwundert. Warum befand sich Stratton ganz allein hier, wo er doch Stella zu sich gerufen hatte und die Menschen Lorber und Rapp sich auf der Flucht befanden? Hatte Sa'el seinen Assistenten gefangen gesetzt? Und wenn ja, wo befand sich Stella? Da'an betrachtete die undurchsichtige Wand zum hinteren Teil von Sa'els Labor, wo sich der Wissenschaftler befinden musste, und in ihm stieg ein Verdacht auf...
Unwillkürlich flackerte für einen Moment seine Fassade blauviolett auf und ließ Stratton irritiert aufsehen. Doch er beachtete den Menschen nicht, sondern betrat nach einem weiteren Moment der Konzentration den Hauptraum von Sa'els Labor.
Da'an brauchte nicht mehr als einen Blick in den Raum zu werfen, um zu erkennen, dass Stella Morel, wie er befürchtet hatte, zum Objekt von Sa'els Experiment geworden war.

*Du hast länger gebraucht als ich dachte*, begrüßte ihn Sa'el spöttisch.
Doch Da'an zog es vor, ihn vorerst zu ignorieren. Sa'el war Wissenschaftler und es sollte ihm nicht schwer fallen, ihn aus seiner scheinbaren überlegen Ruhe zu bringen. Zumal er schon jetzt hinter dem Spott Nervosität spürte. Ohne dem anderen Taelon auch nur einen Blick zu schenken, ging er auf Stella zu, die offensichtlich in einem Schild aus virtuellem Glas einer ihren Körper verändernden Strahlung ausgesetzt war.
*Der Prozess lässt sich nicht mehr umkehren*, informierte ihn Sa'el in neutralem Ton.
Da'an schwieg und nahm sich Zeit die Frau aufmerksam zu mustern. Sie sah auf den ersten Blick friedlich aus, doch Da'an kannte ihr Gesicht gut genug. Eine leichte Kontraktion ihrer Wangenmuskulatur verriet ihm, dass dies vermutlich nur ein oberflächlicher Eindruck war.

Es dauerte eine Weile, bis Sa'el zögernd zu ihm trat, zu ungeduldig und wissbegierig, um die strategische Distanz aufrecht zu erhalten.
*Was denkst du, wie es ihr geht?*
Da'an ließ sich Zeit mit seiner Antwort.
*Ich denke, sie ist unruhig*, meinte er schließlich wahrheitsgemäß.
Eine hektische Geste brachte die Angespanntheit des Wissenschaftlers zum Ausdruck. *Das ist nicht gut!*
Unvermittelt wandte sich Da'an zu Sa'el um. *Es ist einiges nicht gut!*, entgegnete er scharf. *Ich kann mich nicht erinnern, dir eine Erlaubnis gegeben zu haben, Stella für dieses Experiment zu verwenden!*
Erwartungsgemäß wich Sa'el erschrocken zurück.
*Dir war bewusst, dass sie für mich sehr hilfreich ist, um ein besseres Verständnis für die Menschen zu entwickeln!* Da'an trat etwas näher an Sa'el und nahm schon an, dass er den Wissenschaftler genug in die Enge getrieben hatte, um nun das weitere Geschehen ungehindert bestimmen zu können, doch dann zeigte ihm ein leichtes Flackern von Sa'els Energieströmen, dass dieser trotz seiner Verunsicherung viel zu aufgebracht war, um so leicht beizugeben.
*Ein besseres Verständnis für die Menschen!* Herausfordernd blickte Sa'el ihn an. *Du bist schon wie Quo'on und Zo'or! Wozu soll es gut sein, die Menschen zu verstehen? Willst du die Menschen verstehen? Ich will es nicht.*
Sa'el unterstrich dies mit einer Geste der Abwehr, doch Da'an entging nicht, dass in seinem Blick mehr Furcht als Verachtung lag. Gerne hätte er dem Impuls nachgegeben, Sa'els Hand zu nehmen und ihn zu versichern, dass auch er diese Furcht empfand, doch dies würde es ihm nur erschweren, die Kontrolle über die Situation zu erlangen.
*Verständnis ist immer die Voraussetzung für eine gezielte Veränderung*, mahnte er statt.
*Du missverstehst mich absichtlich! Das Problem ist, dass du beginnst, die Menschen verstehen zu wollen, damit Quo'ons und Zo'ors Pläne mit ihnen verwirklicht werden können!* Sa'el wandte sich ab und begann sich im Raum hin und her zu bewegen. Seine Hände glitten aufgebracht durch die Luft. Da'an konnte nicht umhin, sich an Stratton erinnert zu fühlen. *Da'an, du musst endlich wieder zu dir kommen und aufhören, Quo'on und Zo'or zu folgen!*
*Nichts liegt mir ferner, als ihre Pläne gut zu heißen, doch Quo'on ist Synodenführer und...*
*...und Zo'or dein Kind...*
*...und deswegen kann ich nicht offen tun, was ich gerne würde*, fuhr Da'an fort, ohne auf Sa'els Einwurf zu beachten.
*Du solltest weniger vorsichtig sein und dafür mehr handeln!*
*Geschicktes Taktieren führt weiter als ein direktes Vorgehen - vor allem, wenn man sich wie wir in der Defensive befindet.* Da'an ließ diese Worte von einer beschwichtigenden Handbewegung begleiten, die mehr ihn selbst als Sa'el beruhigen sollte. Die Erregung, in der sich Sa'el befand und die - wie Da'an vermutete - daher rührte, dass er von seinem eigenen Verhalten überrascht war, drohte auf ihn überzugreifen und ihn aus der sowieso schon trügerischen Ruhe zu bringen.
*Geschicktes Taktieren?!* Offensiv trat Sa'el einen Schritt näher und Da'an musste sich beherrschen, um nun nicht seinerseits erschrocken zurück zu weichen. *Geschicktes Taktieren wäre sicher eine gute Sache. Doch du tust einfach gar nichts, außer auf bessere Zeiten zu warten! Was ist los mit dir? Wo ist der Da'an, den ich kannte?*
Betroffen neigte Da'an den Kopf und wich Sa'els Blick aus. Auch wenn er das Gespräch nun bei dem gewünschten Thema hatte, tat die Konfrontation mit den veränderten Bedingungen weh.
*Sa'el, ich bin nicht mehr der Führer der Synode. Ich muss anders vorgehen als früher.*
*Willkommen in den Niederungen der Existenz eines einfachen Taelon*, lautete Sa'els spöttischer Kommentar.
Da'an hob den Blick und mustere Sa'el missmutig über dessen Ignoranz. *Ich bin immer noch Mitglied der Synode!*
*Verzeihung, wie konnte ich das vergessen.* Sa'el trat einen Schritt zurück und vollführte ironisch eine ehrerbietige Grußgeste.
Da'an ging nicht auf die Ironie ein. *Es grenzt in der Tat an Dummheit, dass du dies immer wieder vergessen kannst. Ich muss Rücksichten nehmen, um meine Position in der Synode zu erhalten und ich kann nicht deinen Wünschen bezüglich des Experiments entsprechend handeln, ohne sie zu gefährden.*
Doch Sa'el weigerte sich, ihn zu verstehen. Eindringlich sah er ihn an, seinerseits bemüht seine Position verständlich zu machen.
*Da'an, wir brauchen dich! Von uns sind nur so wenige bei dieser Mission dabei. Wir müssen unsere Strategie weiterverfolgen und sind im Gegensatz zu dir froh, dass du noch Diplomat und kein Philosoph bist und uns so helfen kannst. Dieses Experiment ist ein wichtiger Schritt. Wir brauchen einen lebendigen Hybriden, der beweist, dass eine solche Verbindung möglich ist.*
*Und was haben wir damit gewonnen?*, fragte Da'an und sah auf die junge Frau hinab. *Dies hilft uns nicht, den Kurs der Synode zu verändern. Schon Ma'el hat theoretisch belegt, dass die Schaffung eines Taelon-Mensch-Hybiden ohne größere Probleme möglich ist, dein Experiment schafft lediglich den praktischen Beweis. Für den gegenwärtigen Kurs der Synode ist dies ohne Einfluss.*
*Aber es wird ihn langfristig beeinflussen. Die Synode wird auf längere Sicht nicht ignorieren können, dass die Menschen uns ebenbürtig sind - ganz wie Ma'el es gesagt hat.*
*Für die gegenwärtigen Pläne ist es irrelevant, ob die Menschen uns ebenbürtig sind oder nicht. Sie sind lediglich Werkzeuge - ohne eigenen Wert. Und ganz davon abgesehen, Ma'el hat uns generell gewarnt, in die Evolution der Menschheit einzugreifen, egal auf welche Weise.*
*Aus Gründen, die wir nicht kennen, solange wir nicht über seine Forschungsergebnisse verfügen. Und allein die Tatsache, dass er sie uns nicht mitgeteilt hat, lässt darauf schließen, dass sie uns zu einem Handeln bringen würde, welches der Menschheit nach Ma'els Auffassung schaden, uns aber nützen würde. Ich sehe also keinen Grund, sich von Ma'els Warnung beeinflussen zu lassen.*
*Dieser Schlussfolgerung kann ich leider nicht folgen*, gab Da'an mit einem tadelnden Seitenblick zurück. *Wie gesagt, den Kurs der Synode wird das Bekanntwerden des Experiments nicht auf eine Weise beeinflussen, die unseren Wünschen entspricht. Das einzige was wir erreichen werden, ist dass meine Stellung weiter an Einfluss einbüßt, wenn klar wird, dass ich keineswegs die Lager gewechselt habe.*
Sa'el setzte zu einer Erwiderung an, doch hielt dann inne. Gespannt wartete Da'an, ob der Wissenschaftler erfassen würde, was seine Worte bedeuteten. Er wurde zu seiner Befriedigung nicht enttäuscht. Nachdenklich trat dieser näher.
*Du gibst dich so bedeckt, um genau das vorzutäuschen, was wir alle befürchtet haben?* Prüfend sah Sa'el Da'an an, der ohne zu widersprechen so tat, als bemerke er den Blick nicht. Für eine Weile schwieg Sa'el und dachte offensichtlich über die Implikationen, die dies hatte, nach.
*Ich sehe ein, dass dir diese Täuschung Handlungsspielräume eröffnet, die durch das Bekanntwerden des Experimentes zunichte gemacht werden würden*, gab er schließlich zu. *Quo'on wird dich so mit mehr Kompetenzen ausstatten und dich in mehr Projekte einweihen als dies sonst der Fall wäre.*
*Und er wird offener für meine Vorschläge sein. Obwohl er mittlerweile einige Erfahrung als Führer der Synode hat, ist er durchaus noch unsicher genug, um Ratschläge anzunehmen - selbst wenn sie von mir stammen. Diesen Zustand würde ich gerne erhalten, zumal es etliche andere Mitglieder der Synode gibt, die unsere Position vertreten - allen voran T'than.*
*T'than*, Sa'el machte eine abfällige Handbewegung. *Er wird wohl kaum von großem Nutzen in einer Diskussion sein.* Doch auf Da'ans strafenden Blick hin verstummte er und sah stattdessen auf Stella hinab.
Als er wieder aufsah, lag Resignation in seinem Blick.
*Dann muss ich jetzt wohl auch dieses Experiment abbrechen.*

 

Ende von Kapitel 8

 

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