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  „Hinter den Masken” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Herbst 2001
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Während Elaine und Carol nach ihr suchen, kommt Stella in Schwierigkeiten. Währendessen sucht Da'an eine Lösung für seine Probleme.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde
Charaktere:  Stella Morel, Da'an, Elaine Lorber, Sa'el (Frank Stratton, Lili Marquette, Ronald Sandoval, Carol Rapp)
 

 

HINTER DEN MASKEN

Kapitel 7

 

Stella beobachtete die Spatzen, die auf dem Balkon vor ihrem Hotelzimmer hin und her hüpften. Reglos, wie sie seit einigen Minuten dort stand, bemerkten sie sie nicht. Im Grunde war ihr nicht danach ruhig zu bleiben. Sie war mehr als nervös! Doch so lange sie denken konnte, war innere und äußere Kontrolle über sich selbst ihre wirksamste Strategie gewesen, mit Schwierigkeiten umzugehen. Jetzt wartete sie darauf, zu Da'an gerufen zu werden. Sandoval hatte ihr mit steinerner Mimik mitgeteilt, dass der Companion sie zu sehen wünsche, sobald er angekommen sei.
Eine plötzliche Bewegung auf dem Balkon nebenan und die Spatzen flogen auf und davon. Stella wünschte, sie könnte Da'an fragen, ob der virtuelle Schild für die Vögel irgendwie wahrnehmbar war, denn sie hatte noch keine toten Vögel im Hotelareal gesehen. Doch sie hatte Zweifel, ob sie jemals die Gelegenheit haben würde, dem Taelon diese Frage zu stellen.
Sie sagte sich, dass es keinen Grund gab, Angst zu haben. Sie war sehr vorsichtig gewesen. Sie hatte zurück gerechnet. Seit dem vermeintlichen Unfall in Boston hatte sie nur zwei kurze Globalgespräche mit Projektmitgliedern geführt und sich einmal kurz mit Frank sowie mit Margret getroffen. Doch den Einblick, den ihr der SIA in ihre Akte gewährt hatte, leistete ihrer Paranoia Vorschub. Die unglaubliche Fülle von Details, die die Geheimdienste über ihre Person zusammen getragen hatten, war erschreckend und machte ihr klar, wie deren enorme Haushaltsetats zustande kamen. Wer einmal in den Fängen dieser Mühle war, wurde nicht mehr entlassen. Dabei hatte gerade sie die These vom Überwachungsstaat immer als übertrieben abgelehnt. Jetzt war das einzige, was ihren Glauben an diesen Staat nicht vollständig zusammenbrechen ließ, die Tatsache, dass sie trotz dieser Bespitzelung als Beraterin des Präsidenten hatte tätig sein können. Andererseits zeigte dies nichts anderes, als dass persönliche Beziehungen noch einflussreicher waren als Geheimdienstberichte.
Trotz ihrer Angst machten diese Gedanken Stella wütend. Sie wünschte sich mit einem Mal, sie wäre im Frühjahr in Nepal geblieben. Dann wäre sie mittlerweile hinter den höchsten Pässen der Erde eingeschneit und kein Mensch oder Taelon würde sich dafür interessieren, ob sie lebte oder starb. Und sie würde versuchen den Geheimnissen dieser Welt mit dem Mittel der Meditation auf den Grund zu kommen und nicht indem sie eine außerirdische Rasse wissenschaftlich untersuchte.
Ein Vorhaben, dass ihr zunehmend fragwürdig erschien. Die Taelons waren wie Irrlichter, die sich ihr entzogen, wann immer sie nach ihnen zu greifen versuchte. Die spärlichen Informationen ließen sich einfach nicht zu einem schlüssigen Bild zusammensetzen: Energiewesen und doch verhielten sie sich, als beständen sie aus Materie. Eine kollektive Spezies und doch traten sie individuell höchst unterschiedlich auf. Eine egalitäre Gesellschaft und doch hatten sie Kasten. Eine friedliche Rasse und doch hatten sie Waffen wie die Skrills entwickelt. Sie hatte das dringende Gefühl, dass ihr die entscheidenden Informationen fehlten, ohne die sie überhaupt nicht erst beginnen konnte, diese Spezies zu verstehen.
Obwohl sie es erwartet hatte, zuckte sie zusammen, als ihr Computer ihr einen Anruf meldete. Auf dem Weg dorthin stoppte sie vor dem Spiegel und zwang sich die Angst aus ihrem Blick zu verbannen, bevor sie sich langsam auf den Stuhl setzte und die Verbindung annahm.
„Frank! Was in aller Welt willst du von mir?” Stella wusste nicht, ob sie erleichtert oder wütend war, doch Franks besorgtes Gesicht ließ beide Gefühle in den Hintergrund treten und die Angst schnellte wieder hervor.
„Um Himmels Willen, schrei doch nicht so!”, giftete der Mann sie an und betrachtete sie wie ein Psychologe des 19. Jahrhunderts seine hysterische Patientin.
Stella unterließ es darauf zu reagieren und schwieg.
„Ich muss dich sprechen, Stella. Jetzt sofort! Komm bitte ins Labor.”
„Tut mir leid, ich kann nicht. Da'an kann jeden Moment kommen und er will mich sofort sprechen, wenn er da ist.”
Frank wandte sich ab und blickte mit alarmiertem Gesichtsausdruck an dem Bildschirm vorbei. Sein Blick war noch besorgter als zuvor, als er sie wieder ansah.
„Bitte, es ist wirklich dringend. Eine gemeinsame Freundin von uns ist in Schwierigkeiten geraten. Wir müssen sofort Hilfe für sie organisieren. Nimm dein Global mit, dann kann Da'an dich ja jederzeit erreichen. Ich kann selbst nicht weg, weil Sa'el mir die Überwachung eines Experiments aufs Auge gedrückt hat.”
Frank sah sie so eindringlich an, dass sich Stellas Angst in Panik zu verwandeln drohte. Wie in einem Karussell begannen ihre Gedanken zu rasen. Eine gemeinsame Freundin? Das konnte nur Elaine sein. Doch wieso sollte Elaine in Schwierigkeiten sein? Oder meinte Frank, dass sie selbst in Schwierigkeiten war? Sollte der Begriff Experiment eine Anspielung auf das Projekt sein? Wusste er etwas genaueres über die Sache in Boston? Bedeutete Hilfe, dass er ihr helfen wollte? Oder brauchte er am Ende selbst Hilfe? Oder ging es doch um Elaine? Und Überwachung konnte bedeuten, dass er nicht frei sprechen konnte. Sollte das heißen, sie würde überwacht?
Stella merkte, wie ihr schwummrig wurde und die Angst ihren Magen zu einem festen Knoten schnürte. Sie hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können.
„Okay, Frank, ich komme!”
Sie schloss hektisch die Verbindung und schnappte sich ihre Tasche. Sie rannte förmlich aus dem Zimmer und machte sich nicht einmal die Mühe ihre Zimmertüre zuzuwerfen. Zum Teufel! Was immer Frank auch wollte, seiner Bitte nachzukommen war allemal besser als in ihrem Zimmer zu sitzen und sich selbst verrückt zu machen!
Nur wenige Schritte von der Tür entfernt wurde Stella bewusst, dass ihre kopflose Eile sonderbar wirken könnte. Schnell mäßigte sie ihren Schritt, zog die Jacke ihres Kostüms glatt und gab ihrer Mimik den Ausdruck einer gestressten, aber konzentrierten Managerin. Konsequent ignorierte sie die Journalisten, die sie in der Lobby als potentielle Nachrichtenübermittlerin neugierig musterten.

Sie war schon fast an der Tür des Labors angekommen, als sie das durchdringende Zischen eines Shuttels hörte, das gerade aus dem Interdimensionsraum trat. Unwillkürlich hob sie den Blick und sah wie das Fluggerät hoch über ihr einen eleganten Bogen beschrieb, um auf dem Dach des Hotels zu landen.
Da'an.
Mit Sicherheit.
Eine Welle nervöser Übelkeit durchlief sie, so als hätte jemand gerade Adrenalin kübelweise in ihr Blut geschüttet. Sie schloss die Augen und zwang sich ruhig zu atmen. Musste sie sofort zurück ins Hotel gehen? Alles sträubte sich in ihr, wie ein Schaf zur Schlachtbank zu gehen, aber auf der anderen Seite... Wenn sie mit Da'an reden könnte? Ihm erklären, was es mit dem Projekt wirklich auf sich hatte?
War sie verrückt? Sie ging ja schon davon aus, dass sie enttarnt war, als wäre es eine Tatsache und nicht nur eine höchst unwahrscheinliche Möglichkeit.
Nein, sie musste wissen, was Frank von ihr wollte und was er wusste. Sandoval würde wie immer Da'ans Aufmerksamkeit zunächst für sich beanspruchen. Ein einziges Mal sollte ihr sein Alpha-Männchen-Verhalten von Nutzen sein und ihr etwas Zeit verschaffen. Entschlossen drückte sie die Klinke der Eingangstür und trat in den Laborkomplex.

Sie traf Frank nicht in seinen Arbeitsbereich an. Er musste jedoch auf ihr Kommen gelauscht haben, denn er trat in die Tür, noch bevor sie sich richtig umgesehen hatte.
„Stella! Gut, dass du da bist!”
Er klang erleichtert, aber die Art, wie er schnell die Tür hinter sich schloss, hatte etwas beunruhigtes.
„Was gibt es?”, fragte sie in dem gereizten Tonfall, den sie Frank gegenüber nie ganz ablegen konnte.
„Es geht um Elaine. Ich nehme an, sie hat noch nicht mit dir gesprochen?”
„Elaine? Nein. Weswegen sollte sie?”
Frank schien erleichtert.
„Sie hat herausgefunden, dass es das Projekt gibt. Sie ist in Gefahr und wir müssen ihr helfen.”
Stella runzelte die Stirn. „Woher sollte sie etwas wissen und warum sollte sie dieses Wissen in Gefahr bringen?”
„Sie hat Daten auf meinem Computer gefunden und...”
„Du hast Daten des Projekts auf deinem Computer?! Bist du wahnsinnig? Das ist gegen jede Abmachung!”
„Ich weiß, ich weiß. Es war ein Fehler, aber es ist jetzt nicht mehr zu ändern. Auf jeden Fall war sie vorhin hier und ich musste ihr alles erklären. Jetzt will sie Projektdaten für einen ihrer Kunden. Du musst sie davon überzeugen, dass das nicht geht und viel zu gefährlich ist.”
Verwirrt sah Stella Frank an. „Warum machst du das nicht selbst? Du bist ihr Freund und auf mich ist sie gerade nicht sehr gut zu sprechen.” Trotz des Stress, in dem sie sich gerade befand, kam ihr die Sache komisch vor. Elaine liebte es, ihre Kunden mit verblüffenden Informationen zu überraschen, aber dass sie dafür das Leben von Freunden in Gefahr brachte...
„Auf mich ist sie erst recht nicht gut zu sprechen. Wir haben uns regelrecht gestritten. Sie wird nicht auf mich hören. Sie glaubt, ich handele nur aus Ehrgeiz.”
„Womit sie ja auch völlig Recht hat!” Stella konnte sich diese bissige Bemerkung nicht verkneifen.
„Das stimmt nicht! - Aber wir haben jetzt keine Zeit zum Streiten. Das hier ist zu wichtig. Ich bitte dich doch nur, dich mit ihr in einer dreiviertel Stunde in einem abhörsicheren Labor zu verabreden.” Frank ging zu einem Computer und öffnete ein Programm.
„Ich habe eine Besprechung mit Da'an. Ich kann mich nicht mit Elaine treffen. Und warum überhaupt in einer dreiviertel Stunde?” Stella begann ärgerlich zu werden.
„Weil ich vorher noch einiges vorbereiten muss. Vielleicht bist du dann ja mit der Besprechung fertig. Und wenn nicht, du sollst dich doch nur mit ihr verabreden, damit sie überhaupt kommt. Wenn sie mal da ist, dann kann ich auch selbst mit ihr reden.”
„Wie? Gerade hast du noch gesagt, auf dich würde sie nicht hören und jetzt reicht es plötzlich doch, wenn du selbst mit ihr redest.” Jetzt war Stella nicht nur ärgerlich, sondern auch misstrauisch. Frank machte einen noch gestressteren Eindruck als sie. Nicht nur das. Auch er hatte Angst!
Einen Moment lang sahen sie sich einfach nur feindselig und abschätzend an, bevor Frank, scheinbar einen Entschluss fassend, sich ein wenig zu ihr herunterbeugte.
„Stella, weißt du nicht, dass sie uns auf den Fersen sind?”, flüsterte er eindringlich. „Erzähl mir doch bitte nicht, dass du und wer immer hinter dir steht, nicht mitbekommen hat, was in Boston gelaufen ist.”
Vor Überraschung vergaß Stella ihren Ärger. „Woher weißt du?”
„Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich?” Frank richtete sich wieder auf. Seine Stimme klang verächtlich. „Glaubst du, ich erkenne nicht, wenn ich Daten über ein Projekt erhalte, an dem ich selbst forsche? Du wusstest nicht, dass die Kooperation an der Uni in Boston mit unserer in New York zusammenarbeitet? Cockburn habe ich sogar persönlich ein paar Mal getroffen.”
„Heißt das, dass Cockburn vielleicht den gleichen Schluss gezogen hat wie du und die Taelons jetzt wissen, dass du...”
„Du hast mich schon immer für eine kompletten Idioten gehalten! Im Gegensatz zu dir und all den andern, bin ich aber nicht so dumm, alle Informationen unverfälscht an das Projekt zu übermitteln und über diese Sache hab ich überhaupt nichts weitergegeben. Doch bevor du dich darüber aufregst, es lag vor allem daran, dass Sa'el mich über die Zusammenhänge und Einzelheiten erst vor einer Woche aufgeklärt hat. Nachdem du mir dankenswerterweise deutlich gemacht hast, was mein Problem mit diesem Taelon war und wie ich mein Verhalten ändern muss, um sein Vertrauen zu gewinnen. Cockburn war scheinbar jedoch früher informiert und das hat ihn vermutlich auf dumme Gedanken gebracht.”
„Was willst du damit sagen?”
„Gar nichts. Ich weiß nicht, was in Boston passiert ist, außer, dass es irgendeinen ominösen Unfall gegeben hat. Aber ich weiß, dass Sa'el mich in seine Forschung einweihte, weil Cockburn nicht mehr zur Verfügung stand. Und da ich ein cleveres Kerlchen bin, hab ich zwei und zwei zusammengezählt und bin darauf gekommen, dass wenn Cockburn einerseits, obwohl er sehr gut eingearbeitet ist, plötzlich ins Nirwana versetzt wird und er andererseits Mitglied im Projekt ist, dass er dann vielleicht einfach aufgeflogen ist.”
Stella merkte wie langsam die Puzzlestücke zusammenfielen. Wenn diese Forschung etwas gewesen war, mit dem Cockburn moralisch nicht einverstanden war, dann hatte er vielleicht mit seinem Freund Wolf tatsächlich aus eigenen Antrieb einen Anschlag geplant. Vielleicht um wichtige Daten zu vernichten. Und wenn Elaine bei Frank nicht nur etwas über das Projekt, sondern über Sa'els Forschung herausgefunden hatte, dann wollte sie die vielleicht trotz der Gefahr für alle Beteiligten weitergeben.
„Weiß Elaine über diese Forschungen?”
„Ja, ein paar Informationen hat sie darüber”, bestätigte Frank zögernd ihre Vermutung.
„Worum geht es?”
„Das kann ich dir jetzt nicht sagen, dazu fehlt uns einfach die Zeit. Glaub mir, du erfährst es noch früh genug. Ich sage nur soviel: Das ist eine ganz große Sache und die Chancen für uns alle wieder heil aus ihr heraus zu kommen, stehen gar nicht gut. Elaine unterschätzt die Gefahr und es ist meine Pflicht sie zu retten. Du sollt sie in das Labor rufen, damit ich sie als vermeintliche Kranke herausschmuggeln kann.”
Stella merkte wie eiskalte Wut sie packte, als ihr dämmerte, dass Frank vermutlich gar nicht vor hatte, Elaine zu fragen, ob sie das überhaupt wollte.
„Nicht mal im Traum denke ich daran das zu tun!”, schleuderte sie ihm entgegen.
„Aber, warum nicht? Keine Angst, für dich werde ich genau das gleiche tun!”, antwortete Frank besänftigend, ohne zu verstehen, warum Stella so wütend war, doch er bezweckte damit genau das Gegenteil.
„Ach, daher weht der Wind!”, fauchte Stella ihn giftig an. „Dir geht es doch gar nicht darum, Elaine oder gar mich zu retten. Du willst nur dich selbst retten. Wir wissen zu viel und du willst uns loswerden. Du lockst mich hier her und willst mich mit einem Trick dazu bringen, Elaine in ein Labor zu locken und deiner Willkür auszuliefern. Ich kann dich nicht leiden und ich vertraue dir nicht. Wer sagt mir, dass du uns nicht betäubst und direkt ins Krematorium schickst?”
Frank packte sie hart am Arm und starrte sie wütend an.
„Wag' es nicht noch mal, eine solche Unterstellung von dir zu geben. Ich liebe Elaine und ich würde niemals zulassen, dass ihr etwas geschieht!”
„Tatsächlich? Nun, selbst wenn, bei mir liegt die Sache wohl etwas anders. Willst du mich wirklich auch ‚retten’ oder lässt du mich einfach zurück und überlässt mich den Taelons. Die Frage ist dann noch, wie kommst du selbst...”
Stella brach ab und spürte, wie reine Panik in ihr hoch kochte. Sie wollte sich losreißen, doch Franks Griff war eisenhart. Er sah sie kalt an.
„Ich selbst habe gar nicht vor zu verschwinden. Elaine versteht es nicht, aber du schon. Mit Hilfe der Taelons können wir einen Schritt in eine völlig neue Welt des Wissens machen. Einen Schritt, der sonst so nie im Laufe eines Menschenlebens möglich wäre. Und ich will dabei sein! Ich will das Projekt fortführen und wenn die jetzige Besetzung auffliegt, dann eben mit einer anderen. Einer, die ich selbst aussuche und bei der ich sicher sein kann, dass ich nicht wieder durch Stümper wie Cockburn oder dich oder wer da sonst noch Mist gebaut hat, in Gefahr gerate. Ich bin schon zu weit gegangen, um noch umzukehren. Es wäre schön gewesen, wenn du mir geholfen hättest, Elaine in das Labor zu locken, eigentlich habe ich dich jedoch aus einem ganz anderen Grund hierher gerufen.”
„Du bist ja verrückt!” Stella starrte ihn entsetzt an.
Frank ignoriert ihren Blick und griff in die Tasche seines Laborkittels. Blitzschnell nützte Stella diese kleine Verschiebung seiner Aufmerksamkeit. Sie rammte ihm ihren freien Ellenbogen in den Bauch und entwand ihm ihren Arm, als sich sein Griff vor Schmerz und Überraschung lockerte. Mit wenigen Schritten war sie bei der Tür und riss sie auf. Auf der Türschwelle holte Frank sie ein. Er schlang von hinten einen Arm um sie und sein Hand packte sie am Kinn. Stella holte aus, um ihn wieder ihren Ellenbogen einzusetzen, als sie merkte, wie er etwas gegen ihren Hals presste, und dann einen Einstich spürte. Sie wollte sich wehren, doch schneller als sie es für möglich gehalten hätte, verschwamm die Welt um sie herum.
„Ich bin nicht verrückt, Stella,” hörte sie Franks Stimme durch den dichter werdenden Nebel. „Ich habe nur einfach keine andere Wahl.”

 
* * *
 

Lili Marquettes Handbewegungen, mit denen sie das, was die Menschen Shuttle nannten, steuerte, machten Da'an deutlich, dass sie keine Ahnung hatte, mit was sie eigentlich zu tun hatte. *Hilfe!*, sendete das Shuttle in alle Richtungen, als Lili das Äquivalent zum Abwerfen des Interdimensionsantriebes gestikulierte. Statt den Befehl auszuführen, verließ es, Marquettes eigentlichem Wunsch folgend, die Interdimension und vollführte gleichzeitig konzentriert die komplizierte Prozedur von Energieausstoß, Raumzeitabgleichung und Tempoerhöhung, die notwendig war, um nicht im sich schließenden Interdimensionsspalt zu implodieren. Dies zu beobachten war immer wieder faszinierend, denn kein Übergang war gleich, stets musste eine spezifische Abstimmung erfolgen.
La'ron hatte tagelang, wochenlang mit zunehmender Eindringlichkeit auf ihn eingeredet, dass diese Art der Bedienung für Menschen ungeeignet war, bis er schließlich vor der Beharrlichkeit, mit der Da'an stets das gleiche Argument vorbrachte, resigniert hatte. Natürlich hatte La'ron recht. Ein einfaches Kontrollpult, wie es die Menschen aus ihren eigenen Fluggeräten kannten, wäre praktikabler und zudem weniger fehleranfällig gewesen. Doch wenn sie schon selbst so menschenähnlich wie möglich auftreten mussten, um überhaupt mit diesen Wesen in Interaktion treten zu können, so war es eben notwendig ihre Überlegenheit auf andere Weise zu demonstrieren. Auf eine Weise, die die Menschen am ehesten akzeptierten: Technologische Überlegenheit. Und über nichts ließ sich diese den Menschen leichter vermitteln als über ein kompliziertes und ihnen fremdes Design.
Mit abgehackten Bewegungen, die sicherstellten, dass das Shuttle ihre Befehle zumindest ungefähr interpretieren konnte, steuerte Marquette auf die Landeplattform des Hotels zu. Wie immer hatte sie nicht einen Ton mehr gesagt als unbedingt notwendig. Sie war ihm ein Rätsel. Hatte sie kein Interesse an einem Kontakt? Lehnte sie ihn ab? Wenn ja, warum war sie dann in seine Dienste getreten? War es eine Frage des Status - etwas, was den Menschen offenkundig das Wichtigste in ihrem Leben war?
Er kam sich blind und taub vor, dass er nicht lesen konnte, warum sie sich so verhielt. Mit Menschen zu agieren war so, als würde man durch dichten Nebel stolpern: Man konnte nie wissen, ob man tatsächlich das Erwartete vor sich hatte und wo sich die Fallstricke befanden. Für die Begegnung im Rahmen dessen, was die Menschen das öffentliche Leben nannten, waren die Regeln noch vergleichsweise leicht auszumachen und zu befolgen. Doch in persönlichen Begegnungen war das Erkennen des korrekten Verhaltens wie eine Wanderung auf einem schmalen Grad. Die meisten Menschen machten es ihm leicht und sie zeigten relativ deutlich, was sie von ihm erwarteten. Lili Marquette sendete keine eindeutigen Signale und das verunsicherte ihn.
Er war daher nicht unglücklich, als er aussteigen und sich verabschieden konnte. Von der Frau erhielt er wie immer nur ein schroffes Nicken und ein „Zu Diensten, Da'an”. Manchmal hatte er das Gefühl, von ihr noch mehr wie ein lebloser Gegenstand behandelt zu werden als das Shuttle.

Respektvoll wie immer empfing ihn Agent Sandoval am Rand der Landeplattform und geleitete ihn in sein provisorisches Büro.
„Bitte berichten Sie!”, forderte er den Menschen auf, als dieser die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
Sandoval trat ein paar Schritte an ihn heran, wahrte aber jenen Abstand, der in seiner Kultur gegenüber einer höhergestellten Person als angemessen und respektvoll empfunden wurde. Er straffte seinen Anzug und räusperte sich. Wie Da'an mittlerweile wusste, war dies ein sicheres Zeichen dafür, dass er sich unwohl fühlte.
„Dr. Morel konnte Brown davon abhalten bereits heute zu kommen. Er hat sich mit seiner Frau und seinem Wahlkampfstab für morgen früh angekündigt. Es wird schwierig sein, ihn weiter zu vertrösten...” Sandoval sah ihn abwartend an.
„Ich konnte Sa'el überzeugen, die Zwillinge aus dem Experiment heraus zu nehmen. Sie werden bis morgen soweit sein, dass Brown sie kurz sehen kann.”
„Das freut mich sehr zu hören”, antwortete der Mann erleichtert. Doch dann wandelte sich seine Erleichterung wieder in Unbehagen und er begann aufmerksam den Boden vor seinen Füßen zu studieren. Ganz offensichtlich wollte er es nicht sein, der das nächste Thema ansprach. Da'an blieb nichts anderes übrig, als dies selbst zu übernehmen.
„Ich habe die Daten analysiert, die Sie mir gesendet haben. An Ihrem Schluss, dass Stella Morel Kontakte zu der Bostoner Terrorgruppe hat, gibt es keinen Zweifel.”
Sandoval warf ihm einen schnellen Blick zu, in dem sich Freude spiegelte. Doch der Blick trübte sich sofort. Da'an fragte sich, warum. Es war oft sehr leicht an der Mimik die Gefühle eines Menschen abzulesen, doch zu interpretieren, was diese bedeuteten, war eine ganz andere Sache. War Sandoval glücklich über das Lob oder darüber, dass Stella bald nicht mehr in seinen Diensten stehen würde? Und bedeutete sein plötzlich veränderter Blick, dass er mit ihm fühlte, weil er ahnte, dass ihn Stellas Verrat schmerzte oder hatte er ein schlechtes Gewissen, dass ein anderer Mensch durch seine Tätigkeit zu schaden kam? Nachdenklich musterte er den Mann, bis er merkte, dass diesem sein Blick unangenehm wurde. Er wandte sich ab und ging zum Fenster.

Da'an wünschte, er hätte die Gelegenheit Stella diese Fragen zu stellen. Er brauchte jemanden, der ihm half die Menschen zu verstehen und dem er gleichzeitig vertrauen konnte. Leider war es mehr als zweifelhaft, dass Sandoval die Fähigkeiten besaß, um Stella zu ersetzen. Sandoval war klug, doch sein Interesse lag sehr im Lösen praktischer Probleme. Dennoch entschloss sich Da'an einen Versuch zu wagen.
So wandte er sich wieder zu dem äußerlich geduldig wartenden Menschen um.
„Agent Sandoval, darf ich Ihnen eine Frage stellen?”
„Selbstverständlich, Da'an!” Sandoval klang überrascht.
„Mein Vertrauen in Stella Morel war offensichtlich nicht gerechtfertigt, was zeigt, dass mein Geschick die Menschen zu verstehen mangelhaft ist.” Sandoval setzte zu einer Widerrede an, doch Da'an ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Ich frage mich nun, ob ich nichtimplantierten Menschen überhaupt trauen kann. Zum Beispiel Captain Marquette. Ihr Verhalten ist äußerst distanziert. Können Sie sich vorstellen, dass sie Abneigungen gegenüber den Taelons hegt?”
„Haben Sie Anhaltspunkte für einen Verrat Captain Marquettes?”, fragte Sandoval ebenso irritiert, wie alarmiert.
„Nein, nicht im mindesten. Ich wundere mich nur über ihre Distanziertheit. Ich dachte, Sie könnten sie mir erklären.”
Da'an vermied es zu zeigen, dass ihn Sandovals sture Ausrichtung auf seine Funktion als Beschützer enttäuschte. War Sandoval schon immer so wenig bereit gewesen, über die tieferen Bedeutungen, die hinter einem Phänomen standen, nachzudenken oder hatte das CVI ihn dazu gebracht, so strickt auf Effizienz ausgerichtet zu sein?
„Captain Marquette ist ein Marine!”, verkündete Sandoval derweil feierlich. Er trat einen Schritt näher und eine ausholende Handbewegung zeigte sein Engagement, mit dem er versuchte sich begreiflich zu machen. „Marquette ist ein Soldat! Sie ist als Marine für den Kampf ausgebildet. Eine harte Ausbildung, die ein Höchstmaß an Disziplin und Durchsetzungskraft braucht. Ein Kämpfer kann es sich nicht erlauben, emotionale Beteiligung zu entwickeln. Er muss unabhängig von persönlichen Wünschen Befehle ausführen. Marquettes Distanziertheit bedeutet keine Ablehnung, sie zeigte in Wirklichkeit, dass sie ein guter Soldat ist!”
Sandovals Augen leuchteten. Da'an fand, dass ihm das Engagement, mit dem er geredet hatte, viel besser stand, als seine übliche Reserviertheit. Leider verlor sich dieser Zustand unter seinem aufmerksamen Blick viel zu schnell und Sandoval drohte unsicher zu werden.
„Ich verstehe. Vielen Dank für Ihre Erklärung”, versicherte Da'an ihn rasch und wandte sich dann wieder zum Fenster.
Er verstand tatsächlich. Sandoval bewunderte Soldaten. Leider half ihm all das wenig dabei, den Menschen Lili Marquette einzuschätzen. Er hatte lediglich bestätigt bekommen, was er schon wusste: Sandoval hielt viel auf Werte wie Distanz, Disziplin und Durchsetzungskraft. Wie enttäuschend.

 
* * *
 

Es war niemand in der Nähe, als Elaine und Carol endlich im Gang vor Stellas Zimmer angekommen waren. Die Tür stand offen, was nur bedeuten konnte, dass Stella kurz hineingegangen war, um vielleicht etwas zu holen, und schon wieder auf dem Sprung war.
„Warten wir hier, bis sie herauskommt”, flüsterte Elaine ihrer neuen Gefährtin zu.
Doch die Minuten vergingen und Stella tauchte nicht auf.
„Sie kommt nicht. Wir sollten nachsehen”, drängelte Carol ungeduldig. Elaine seufzte. Carol war schon die ganze Zeit ungeduldig gewesen und Elaine hatte es schwer gehabt, ihr begreiflich zu machen, dass Geduld in ihrer Situation das Wichtigste war. Sie waren umständlich durch Hintereingänge und Personalgänge hierher gekommen und Elaine hatte nicht vor, ihren einzigen Vorteil, nämlich dass ihre Überwacher nicht wussten, wo sie waren, aufzugeben. Doch jetzt konnten sie wirklich nicht mehr warten.
„Also gut, Sie bleiben hier.”
Schnell huschte Elaine, nachdem sie sich noch einmal umgesehen hatte, zur Tür. Sie lauschte kurz und als sie nichts hörte, schlüpfte sie in Stellas Zimmer.
Stella war nicht zu sehen. Elaine sah schnell im Badezimmer und dem Schlafzimmer nach, doch auch dort war niemand. Unschlüssig blickte Elaine sich um. Oft konnte man Räumlichkeiten ansehen, mit was sich ein Bewohner zuletzt beschäftigt hatte, doch bei Stella war allein der Versuch unsinnig. Sie war hoffnungslos unordentlich, was in schrillem Kontrast zu ihrer sonstigen Kontrolliertheit stand. Selbst hier im Wohn- beziehungsweise Arbeitsbereich ihrer Suite, in dem sie für ihre Verhältnisse Ordnung gewahrt hatte, lagen die Dinge chaotisch durcheinander. Es gab nichts, woran man hätte erkennen könnten, weshalb sie in so viel Eile aufgesprungen war, dass sie vergessen hatte die Türe zu schließen.
In Ermangelung einer anderen Idee schaltete Elaine Stellas Computerbildschirm ein und hackte sich in die letzen Transmissionen. Normalerweise hätte sie dafür länger gebraucht, doch sie kannte Stellas bevorzugte Passwörter. Stella war was das anging sehr gedankenlos. Allerdings konnte man das nie so sicher wissen. Stella verbarg viel hinter einer arglosen, unschuldigen Maske.
Doch in diesem Fall fand Elaine die letzte eingegangene Nachricht schnell. Und was sie sah, versetzte sie in Aufregung. Frank hatte Stella angerufen und gebeten zu ihm zu kommen. Eine gemeinsame Freundin sei in Gefahr? Meinte er sie? Was hatte das zu bedeuten? Frank wusste, dass Elaine zu Stella gehen wollte. Wenn er Stella hatte abpassen wollen, bevor sie selbst die Möglichkeit hatte mit ihr zu reden, warum hatte er so lange damit gewartet, Stella zu sich zu rufen? Dachte er, er könnte Stella auf seine Seite ziehen, egal ob Elaine bereits mit ihr geredet hatte? Oder ahnte er etwas von der Gefahr enttarnt zu werden, in der alle Projektmitarbeiter steckten?
Elaine schaltete den Monitor ab und verließ schnell den Raum. Wenigstens bot dies die unverhoffte Gelegenheit, Frank und Stella zusammen zu erwischen, was die Chance, sie beide retten zu können, deutlich erhöhte.
„War sie da?”, fragte Carol aufgeregt.
„Nein, sie ist bei den Laboren.”
„Wir haben den ganzen umständlichen Weg umsonst gemacht?” Die junge Frau sah sie genervt an. „Das glaub ich nicht...”
„Tja, so ist das Leben als Detektiv. - Kommen Sie, jetzt geht es den ganzen umständlichen Weg wieder zurück. Oder wollen Sie gerne Mr. Sandoval in der Hotellobby begegnen?”

 
* * *
 

„Keine Verbindung. Ich glaub es nicht. Verdammt!”
Sa'el wunderte sich, wen Dr. Stratton erreichen wollte und überlegte, ob er vor dessen Arbeitsbereich warten und lauschen sollte. Doch er entschied sich dagegen. Die Zeit drängte. Da'an war schon gelandet.
Stella lag bewusstlos auf dem Boden, als Sa'el eintrat. Dr. Stratton saß an seinem Computer und hackte wütend auf die Tastatur ein. Erschrocken sah er auf und starrte Sa'el an.
„Warum kommen Sie nicht?”, fragte Sa'el.
„Ich habe versucht, eine Freundin von ihr”, damit wies er auf die bewusstlose Frau, „zu erreichen, um zu verhindern, dass die nach ihr sucht.”
„Derartige Probleme fallen nicht in Ihren Aufgabenbereich. Kommen Sie bitte.”
Widerstrebend löste sich Stratton von seinem Computer. Nicht sehr behutsam hob er die Bewusstlose auf und trug sie, Sa'el folgend, in das Taelonlabor.
„Sie hätten sie sofort bringen müssen. Ich sagte doch, dass die Zeit drängt.”
„Warum haben Sie dann meinen Rat nicht befolgt, sie sofort hierher zu bestellen?” Die Stimme des Mannes klang gereizt.
„Erst mussten alle Vorbereitungen getroffen werden, damit Stellas Verschwinden nicht das Misstrauen von Da'ans Implantant zu einem Zeitpunkt erregt, der für unser Vorhaben ungünstig wäre”, erklärte Sa'el zum wiederholten Male und bedeutete Stratton die Frau auf den Untersuchungstisch zu legen. Er tat dies, aber so unsanft, dass Sa'el wünschte, er hätte sie selbst getragen. Doch die Anweisung der Synode, dass sie zart und schwach wirken sollten, war zu eindeutig, als dass er sie hätte umgehen können, auch wenn er aufgrund seiner Erfahrungen mit Stratton zunehmend der Ansicht war, dass diese vorgetäuschte Hilflosigkeit ein Fehler war. Menschen halfen nicht den Schwachen, sondern beugten sich vor den Starken. Wenn er dies nur der Synode oder doch zumindest Da'an begreiflich machen könnte!
„Stella? Warum nennen Sie sie plötzlich bei ihrem Vornamen?”, fragte Stratton missmutig und ohne die Frau, von der er redete, auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Weil sie bald zu uns gehören wird.”
Sa'el schloss den virtuellen Schild um die Frau und sah zu, wie Stratton die Prozedur einleitete. Mehrere Nadeln begannen Stella verändertes genetisches Material zu injizieren.
„Zu Ihnen? Ich dachte, sie würde zu einem Mischling - halb Mensch, halb Taelon.”
„Richtig.”
Stratton verzog das Gesicht und schaltete, als die Nadeln wieder zurückgezogen waren, die Bestrahlung ein. „Ich nehme an, das muss ich jetzt nicht verstehen.”
Sa'el musterte den Mann von der Seite. Sein Gesicht war hart und seine Bewegungen abgehackt. Und er strahlte Unruhe und Ablehnung aus, ein Ausdruck, der sich in den letzten Tagen zunehmend verstärkt hatte. Noch gestern hatte er die Chance gesehen, dass er sich vielleicht für neue Gedanken öffnen würde, doch jetzt war von dieser Offenheit nichts mehr zu spüren. Es wäre müßig ihm zu erklären, was er mit seiner Aussage gemeint hatte. Stratton war, wie alle Menschen unter Stress standen, in seinen gewohnten Denkmustern gefangen.
Aber warum stand er unter Stress? Machte es ihm doch etwas aus, Menschen für dieses Experiment zu verwenden? Er hatte ihn in dieser Beziehung für skrupellos gehalten. Für so ehrgeizig, dass er die moralischen Bedenken seiner Gesellschaft missachten würde. Und bis jetzt hatte es auch ganz so ausgesehen. Er verstand es nicht. Es war wie bei Cockburn. Auch dieser Mensch war erst voller Begeisterung in dem Projekt engagiert gewesen und war dann plötzlich umgeschwenkt. Menschen schienen sich ihrer Sache nie sicher zu sein. Sie waren unbeständig und wankelmütig.
„So, die Werte der Bestrahlung sind gesetzt, dass Programm müsste jetzt korrekt ablaufen. Wenn Sie nichts dagegen haben, dann würde ich jetzt noch mal versuchen, Morels Freundin zu erreichen. Nicht, dass sie sich an die Öffentlichkeit wendet und wir Ärger kriegen.”
Sa'el tat mit einem knappen Nicken seine Zustimmung kund. Nicht, weil er Strattons Befürchtungen teilte, sondern weil er froh war den Mann loszuwerden.
Als er ihm nachsah, wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass er in einem weiteren Punkt nicht mit der Meinung der Synode übereinstimmte. Mehr und mehr kam er zu der Überzeugung, dass es ein Fehler war auf das Rücksicht zu nehmen, was die Menschen ihre ‚Öffentlichkeit’ nannten. Es wäre vielmehr von Vorteil, wenn die Menschen anfingen zu ahnen, dass sie nicht nur zur Erde gekommen waren, um zu helfen. Je schneller sie das begriffen und je schneller sie sich den Bedürfnissen des Gemeinwesens anpassten, desto leichter würde dieser unvermeidliche Prozess für alle Beteiligten sein.
Langsam ging er zu der Frau hinüber, die eingeschlossen in dem virtuellen Schutzschild der Bestrahlung ausgesetzt war. Die Bewusstlosigkeit ließ sie ruhig aussehen, doch er hatte Zweifel, dass Stratton seinem Rat gefolgt war und sie tatsächlich so betäubt hatte, dass sie sich nicht geängstigt hatte. Das würde alles noch schwieriger machen und dabei gab es durch die knappe Vorbereitungszeit schon genug Unsicherheiten. Er hoffte inständig, dass Stella es überleben würde und dass er sie nicht auch implantieren musste. Die Distanz, die diese Prozedur zwischen ihn und die Zwillinge gebracht hatte, schmerzte ihn.
Doch Stratton hatte ihm versichert, dass Stella über eine hohe Fähigkeit zur Selbstkontrolle verfügte. Er hatte sie als ein hartes, berechnendes Individuum dargestellt und sich darauf berufen, dass er sie aus seiner Studienzeit kannte und entsprechende Erfahrungen mit ihr gemacht hatte. Ihm selbst hatte sie sich jedoch nie in dieser Weise gezeigt. Er hatte sie einfach für ein freundliches, sanftes Geschöpf und deswegen für geeignet gehalten. Doch wer konnte abschätzen, hinter welchen Masken die Menschen die verschiedenen Facetten ihrer Selbst verbargen? So lose wie die Menschen aneinander gebunden waren, konnte leicht der eine den anderen täuschen, auf eine Art wie es einem Taelon niemals möglich wäre. Eine sonderbare, abstoßende Art zusammen- oder eher nebeneinander her zu leben!

 
* * *
 

Da'an weigerte sich, sich wieder umzudrehen, auch wenn sein menschlicher Beschützer und Attaché zunehmend ungeduldig wurde. Er ignorierte, wie dieser zum wiederholten Male auf seine Uhr sah und leise hustete. Eben noch hatte dieser Mensch mit strahlenden Augen von den Tugenden Disziplin und Gehorsam geschwärmt, doch wie üblich bei Mitgliedern dieser Spezies machte er einen Unterschied zwischen sich selbst und anderen. Da'an beschloss Sandoval noch nicht zu erlösen. Sandoval sollte lernen, sein CVI zum Denken zu benutzen und nicht nur dazu, um seine Berichte schneller zu lesen.
So konzentrierte sich Da'an wieder auf die Lösung seiner gegenwärtigen Schwierigkeiten. Er musste einen Weg finden, dass sie ihm nutzten und nicht schadeten. Alles hatte zwei Seiten, war gut und zugleich schlecht und immer war es möglich aus einem Nachteil einen Vorteil zu machen. Das Ob war nicht die Frage, die Kunst bestand lediglich darin, einen Weg zu finden, diese banale Tatsache umzusetzen.
Wie konnte er die Ergebnisse der Experimente der Synode vorlegen, ohne dass ihm sein eigenmächtiges Handeln vorgeworfen würde? Sa'els Forschungen zeigten, dass es überraschend leicht möglich war, menschliche Körper und taelonische Energie so zu verbinden, dass Mischwesen entstanden. So erfreulich dieses Ergebnis an sich war, aus taktischer Sicht war es für ihn problematisch. Er konnte diese Information nicht vollständig zurückhalten, dazu war sie zu wichtig. Zudem würde Sa'el nicht auf Dauer schweigen. Es wäre eine Möglichkeit, dass Sa'el die alleinige Verantwortung auf sich nahm und sie seine Beteiligung verheimlichten. Doch Sa'el war eigensinnig und stolz und neigte nicht dazu, auf taktische Überlegungen Rücksicht zu nehmen. Noch immer wusste er nicht recht, warum er sich darauf überhaupt eingelassen hatte, doch nun war es für einen Rückzieher zu spät und seine Vermutung, dass Sa'el scheitern würde, hatte sich nicht bewahrheitet. Es blieb ihm nur eine Möglichkeit: Er musste die Synode nach und nach davon überzeugen, ein entsprechendes Projekt einzusetzen und diesem dann die bereits vorliegenden Ergebnisse unterschieben. Bis dahin musste er Sa'el dazu bringen zu schweigen und alle Beweise, die auf die Experimente hindeuteten, verschwinden lassen. Doch wie schnell würde es ihm gelingen, die Synode von einem solchen Projekt zu überzeugen?
Es würde noch viel schwieriger werden, wenn Stellas Verrat bekannt wurde. Er hatte sich dafür eingesetzt, sie als Nicht-Implantierte in ihre Dienste zu nehmen. Viele andere Companions waren seinem Beispiel gefolgt und hatten ebenfalls Menschen ohne CVIs zu ihren mehr oder weniger engen Vertrauten gemacht. Bisher hatten sie damit gute Erfahrungen gemacht und dies hatte dazu beigetragen, sein Ansehen in der Synode wieder etwas zu erhöhen. Würde er zugeben müssen, dass es ein Fehler gewesen war, einer Nicht-Implantierten zu vertrauen, so würde sich dieser Gewinn ins Negative kehren.
Gravierender als dies war noch die Gefahr, dass die Synode sich entschließen würde, die Hintergründe von Stellas Verrat genauer zu untersuchen und so auf Hinweise über die Experimente stießen. Diese Gefahr wurde noch größer, wenn sich nach Cockburn auch noch Stratton als Mitglied der taelonfeindlichen Organisation herausstellen sollte. Stella Morel und ihre Freunde waren wahrlich geschickt gewesen und hatten ihre Netze eng gesponnen! Nein, er hatte keine Wahl. Er musste schnell und umfassend auf diese Bedrohung reagieren.

Entschlossen drehte sich Da'an wieder zu Sandoval um.
„Haben Sie neue Informationen über Stella Morel?”
Erleichtert sah Sandoval auf. „Nicht viel. Sie hat heute morgen nichts auffälliges gemacht. Lediglich ein kurzer Kontakt mit Robert Wolfs Mitarbeiterin, den sie jedoch von sich aus abgebrochen hat.”
„Und Dr. Frank Stratton?”
„Ich habe keine weiteren Hinweise, dass er tatsächlich Mitglied in der genannten Organisation ist. Das einzig Ungewöhnliche war, dass er ein längeres Gespräch mit Elaine Lorber führte. Über dessen Inhalt kann ich leider nichts sagen, denn es fand innerhalb des geschützten Bereichs statt.”
Das war keine gute Nachricht. Da'an hatte selbst veranlasst, die Labore mit einer Taelon- Abschirmung zu versehen, so dass nur er selbst sie mit seiner Energiesignatur dechiffrieren konnte und auch er würde dazu die Hilfe der Botschaft benötigen. Eine lästige aber notwendige Schutzmaßnahme vor den neugierigen Blicken der Synode.
„Gibt es Hinweise, dass es nicht nur ein Gespräch unter Freunden war? Schließlich sind beide, wie Sie herausfanden, seit längerem in einer Liebesbeziehung liiert.”
„Nun...”, zögerte Sandoval nachdenklich, „vor und nach dem Gespräch war Mrs. Lorber ungewöhnlich aufgebracht. Dies deutet eher auf einen Beziehungskonflikt hin, denn ich kann mir nicht vorstellen, woher sie Informationen über das Experiment haben sollte oder über unser Wissen über das Projekt. Auf der anderen Seite hat sich Mrs. Lorber davor ca. zwei Stunden der Beobachtung entzogen.”
„Wie war dies möglich?”, fragte Da'an und er merkte wie seine Stimme schärfer klang als er es beabsichtigt hatte. Wenn ihm die vielen Fäden, die er in der Hand hielt, entglitten, konnten die Folgen fatal sein.
Sandoval zuckte kaum merklich zusammen. „Elaine Lorber ist sehr geschickt. Ich habe meine besten Männer auf Sie angesetzt, aber sie hat sie dennoch abgeschüttelt. Ihr Global hatte sie ausgestellt und dass wir sie darüber nicht orten konnten, deutet zumindest darauf hin, dass sie sich in der Nähe einer größeren Strahlungsquelle befunden hat. Sie war also nicht im Park.”
„Das ist nicht befriedigend! Gibt es weitere Informationen über sie?”
„Ja. Nach ihrem Gespräch mit Stratton wurde sie von Wolfs Mitarbeiterin Carol Rapp angesprochen. Die beiden führten ein längeres Gespräch im Park. Ich nehme an, Rapp erzählte Lorber über den Vorfall in Boston.”
„Sie nehmen an?” Da'an spürte, wie er ungehalten wurde.
„Leider konnten sich die beiden Observierten der direkten Beobachtung meiner Männer entziehen und nachdem sie sie wieder aufgespürt hatten, begnügten sie sich mit der bloßen Kontrolle ihres Standortes, was zur Folge hatte, dass die beiden Frauen abermals verschwinden konnten. Ich habe meine Männer dafür bereits gerügt.”
„Agent Sandoval, ich muss wissen, ob Carol Rapp nicht vielleicht doch mehr Informationen von Wolf über die Arbeit von Cockburn an der Bostoner Universität bekommen hat, als wir bislang annahmen.”
„Selbstverständlich. Dann werde ich sie unverzüglich suchen lassen und verhören.”
„Tun Sie das!”
„Für den Fall, dass sie noch mit Elaine Lorber zusammen ist, kann ich diese auch vorübergehend festnehmen? Kontakt mit einer mutmaßlichen Terroristin wäre ein hinreichender Grund, um sie zumindest für eine gewisse Zeit in Gewahrsam zu nehmen.”
„Wenn Sie es für richtig halten, tun Sie das. Aber gehen Sie sehr unauffällig vor und behandeln Sie Mrs. Lorber vorbildlich. Sie hat einflussreiche Klienten und ich möchte keine vermeidbaren Konflikte heraufbeschwören.”
„Selbstverständlich, Da'an. Solange sich nicht herausstellt, dass sie etwas über das Experiment weiß, werden wir sie einfach nur festhalten.”

Sandoval ließ sein Global aufschnappen und kontaktierte einen seiner Untergebenen. „Joras, finden Sie Rapp und Lorber und nehmen Sie sie fest, aber gehen Sie sehr unauffällig dabei vor. Die Journalisten dürfen nichts davon mitbekommen. Und halten Sie sich vor allem bei Lorber streng an die Vorschriften! Sobald es mir möglich ist, stoße ich zu Ihnen und überwache die Aktion.”
Sandoval wandte sich wieder an Da'an.

„Haben Sie Stella Morel gesagt, dass ich sie sprechen möchte?”
„Ja, sie müsste sich bereit halten. Soll ich sie rufen?”
„Ja, bitte.”
Wieder öffnete der Mann sein Global und stellte eine Verbindung her. Doch diesmal erhielt er keine Antwort. Irritiert sah er auf.
„Sie antwortet nicht”, stellte er überflüssigerweise fest.
„Bitte gehen Sie sie suchen.”

Leicht verzweifelt wandte sich Da'an wieder zum Fenster und begann sich zu fragen, ob die Situation noch schlimmer werden konnte. Kein Wunder, dass Sandoval so begeistert von guten Soldaten sprach, wenn seine Untergebenen aus Unfähigkeit oder wohl eher aus mangelndem Engagement nicht in der Lage waren, die einfachsten Situationen im Griff zu behalten. Der Grad der Desorganisiertheit menschlicher Gemeinschaften hatte etwas erschreckendes. Vor allem, dachte Da'an mit Blick auf das für menschliche Augen unsichtbare virtuelle Glas, wenn man sich vor Augen hielt, dass sie die technischen Möglichkeiten besaßen, diesen gesamten Planeten zu vernichten.

 

Ende von Kapitel 7

 

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