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  „Hinter den Masken” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Herbst 2001
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Elaine stellt Frank zur Rede und erhält von Carol wichtige Informationen, die darauf hindeuten, dass Stella und Frank in Gefahr sind.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde
Charaktere:  Elaine Lorber (Frank Stratton, Carol Rapp, Juliana Belman)
 

 

HINTER DEN MASKEN

Kapitel 6

 

Elaine saß noch immer, die Tabletten in ihrer Hand, auf ihrem Bett und starrte vor sich hin. Sie kam sich vor wie eine Fremde. So etwas passierte nur Fremden, nie einem selbst. Man hörte davon oder sah es in einem Film und fragte sich wie diese Person so dumm, so blind sein konnte.
Doch sie kam sich weder blind, noch dumm vor. Im Grunde glaubte sie immer noch nicht, dass Frank tatsächlich zu so etwas fähig war. Ihr Verstand sagte ihr, dass alles dafür sprach, doch ihr Gefühl... Frank war ein rücksichtsvoller Mann. Selbstbewusst, gut. Er wusste, was er konnte und was er wollte. Und er fand Wege das auch zu erreichen, wenn er davon überzeugt war, dass es sich lohnte. Doch er konnte sich auch zurücknehmen. Zwar interessierte er sich nicht für ihre Arbeit und erzählte auch nicht viel von seiner eigenen, doch das hatte sie mit der Zeit zu akzeptieren gelernt, denn er war immer für sie da, wenn sie ihn brauchte. Dann ließ er, wenn es irgend ging, seine Arbeit stehen und liegen und flog nach Washington, um bei ihr zu sein. Er war aufmerksam und rücksichtsvoll - ein Gentleman, hätte ihre Mutter gesagt, wie sie es auch über ihren Vater gesagt hatte. Stella hatte sie aufgezogen und gesagt, das wäre klassisch, sich den eigenen Vater zum Freund zu nehmen. Sie hielt Frank ebenso wie ihren Vater für - Zitat - „ein chauvinistisches Schwein”. Aber Stella konnte ganz still sein. Was wusste sie schon von Liebe und Vertrauen? Sie, die nie jemanden näher als zehn Meter an sich heranließ? „Ein männerhassender Eisberg mit gestörtem Sozialverhalten” war Franks Kommentar über sie. Er verstand ebenso wenig, wie sie mit Stella befreundet sein konnte, wie diese, dass sie mit Frank zusammen war. Vielleicht hatten sie sogar beide recht mit ihren gegenseitigen Einschätzungen und sie, Elaine, war eine Idiotin, weil sie sich überhaupt mit den beiden abgab. Stella hatte sie eiskalt abserviert, als sie eine kleine Gegenleistungen wollte für all die Hilfe, die sie ihr in den letzten Monaten hatte zukommen lassen. Und Frank? Vielleicht war Frank tatsächlich mit all seinen Eitelkeiten fähig, Menschen zu...
Elaine starrte wieder auf die Tabletten. Sie sollte sie nehmen und für zehn Stunden vergessen, dass sie überhaupt existierte.

Langsam ging sie ins Bad und ließ Wasser in das Zahnputzglas laufen. Als sie die ersten Tabletten damit hinunterspülte, fiel ihr Blick auf das Gesicht im Spiegel. Blass war es. Und der Blick völlig ruhig, ebenso wie die Mimik. Sie sah sich selbst nicht an, dass etwas nicht stimmte. Eine Maske aus Beherrschtheit, selbst noch in dieser Situation, selbst in diesem Bad, in dem sie ganz alleine war!
„Verflucht!!!” In einem Reflex warf sie, was sie in den Händen hielt in die Dusche. Das Glas zersprang mit einem lauten Knall und die albern bunten Pillen begannen sich sprudelnd in dem Wasser aufzulösen. Mit Befriedigung betrachtet Elaine diesen Beweis, dass sie in der Lage war unvernünftig zu reagieren. Zum Teufel mit der Vorsicht, sie musste mit Frank reden!

Sie war aus dem Zimmer, bevor sie den Entschluss tatsächlich gefasst hatte. Sie lief, rannte fast durch das Hotel und merkte gar nicht, dass die Journalisten sich gar nicht über sie wunderten, weil es völlig normal war, dass einer von ihnen in blinder Aufregung von einem Ort zum anderen hastete. Und sie merkte auch nicht, dass sie verfolgt wurde.


Frank sah sie an, als wäre sie eine Verrückte, als sie in sein Labor gestürmt kam.
„Was wollen Sie hier?”, fragte er distanziert, doch sie ließ sich nicht auf eine Scharade ein.
„Ich muss mit dir reden. Sofort! Ich will von dir wissen, was hier vorgeht.”
„Ich weiß nicht, wovon...”
„Hör auf!” Sie trat so nahe an ihn heran, dass sich ihre Gesichter fast berührten. „Warum lässt du zu, dass hier Experimente an Menschen gemacht werden?”
In Franks Augen war ein leichtes Flackern zu sehen, doch ansonsten blieb er völlig ruhig. Sanft nahm er sie beim Arm und zog sie in einen kleinen, scheinbar gut gesicherten Seitenraum. Sorgsam schloss er die Tür und drehte sich dann langsam zu ihr um. Mit einem Seufzer lehnte er sich gegen einen Labortisch. „Was hast du gehört und woher?”
Elaine merkte, dass sie plötzlich ganz ruhig wurde. Kühl musterte sie, wie Frank da stand. Ganz lässig, mit verschränkten Armen, Herr über die Situation. Doch das war ihr Feld. Sie kannte diese Art Souveränität zu demonstrieren von unzähligen Befragungen. Die Erfahrung gab ihr die Sicherheit, die Frank nur vorspielte.
„Das Woher geht dich nichts an und das Was kennen wir beide. Du hast mitgewirkt an einem Experiment, bei dem Menschen getötet wurde. Warum?” Elaines Stimme klang so kalt, dass sie sich selbst wunderte.
„Das ist Unsinn und das weißt du auch”, winkte Frank kopfschüttelnd ab.
Elaine gab ihm einen kurzen, abfälligen Blick und ließ ihr Global aufschnappen. „Montag, 12 Uhr 25: Lilian Schulman, 19, mittelschwere Verletzungen, hat einen schweren allergischen Anfall und wird von Dr. Frank Stratton ins Taelon-Labor verlegt. Montag, 19 Uhr 43: Dr. Frank Stratton stellt die Todesursache, Kreislaufversagen, fest. Die Leiche wird umgehend ohne Autopsie verbrannt. Montag, 20 Uhr 30: Jean Valun, 23, mittelschwere Verletzungen, erleidet einen Zusammenbruch und wird von Dr. Frank Stratton in das Taelon-Labor verlegt. Montag 21 Uhr 10: Dr. Frank Stratton stellt die Todesursache fest - wieder Kreislaufversagen. Die Leiche wird sofort ohne Autopsie verbrannt. Dienstag 10 Uhr 5: David Porter, 21, auch mittelschwere Verletzungen, erleidet einen allergischen Schock, Dr. Frank Stratton...”
„Verdammt noch mal, Elaine! Hör auf! Das sind doch keine Beweise...”
Elaine tippte ruhig einen Befehl in ihr Global und hob dann langsam den Blick. Frank war blass und auf seiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. Sie sah ihn eine ganze Weile lang einfach nur mit kaltem Blick an, den Frank mühsam zu erwidern versuchte. Schließlich sah sie wieder auf das Global und tippte wieder einen Befehl.
„Dienstag, 14 Uhr 47: Dr. Frank Stratton stellt die Todesursache Kreislaufversagen fest und lässt die Leiche von David Porter ohne Autopsie ins Krematorium transportieren. Dienstag, 16 Uhr 50: Antonio Mineto, 24 Jahre, hat einen allergischen Anfall und wird von...”
„Elaine, ich wollte das nicht!” Mit zwei schnellen Schritten war Frank bei ihr und packte sie an den Armen. „Sieh mich bitte an! Ich wollte nicht, dass diesen Menschen etwas passiert. Sa'el sagte, ihnen würde nichts geschehen. Ich habe ihm geglaubt!”
Elaine fühlte wie ihre Professionalität von ihr abglitt und sie aufgewühlt und hilflos zurückließ.
„Aber warum, Frank?” Ihre Stimme zitterte und Tränen traten ihr in die Augen. „Warum hast du dich überhaupt darauf eingelassen?”
Frank schloss verzweifelt die Augen und ließ sie los. „Ich kann dir nicht sagen, worum es...”
Doch diesmal war sie es, die ihn am Arm packte und zwang sie anzuschauen. „Ich will nicht wissen, worum es geht, ich will wissen, warum du dich an diesen Experimenten beteiligt hast!”
Ihre Blicke begegneten sich und lange, endlose Augenblicke sahen sie sich einfach nur an. Schließlich nickte Frank. Er trat einen Schritt zurück und lehnte sich wieder an den Labortisch. Doch diesmal waren seine Arme nicht abwehrend verschränkt, als er nach einer Weile zu reden begann.
„Ich frage mich, warum eigentlich noch niemand bemerkt hat, dass Außerirdische auf der Erde gelandet sind.” Er fing ihren irritierten Blick auf. „Elaine, wunderst du dich nicht auch manchmal, warum wir alle so tun, als wäre nichts geschehen? Ich meine, die Leute gehen weiter ihren kleinen unbedeutenden Berufen nach, holen ihre Kinder vom Kindergarten, schauen das gleiche schwachsinnige Fernsehprogramm an. Ja, und wenn einmal ein Taelonshuttle oder gar ein Taelon selbst in ihrer Stadt auftritt, dann strömen sie zusammen und staunen ihn an, als wäre das eine Attraktion aus Hollywood. Selbst all die Leute, die plötzlich in Taelon-Sekten rennen oder nach der Ankunft der Taelons ein neues Zeitalter des Friedens und der Harmonie mit der Natur propagieren, reagieren nicht darauf, was wirklich passiert ist. Denn im Grunde sind es doch die gleichen alten religiösen oder ideologischen Vorstellung, die sie nur mit Taelonbildchen verzieren.” In Rage geredet begann Frank auf und abzugehen. „Diese Wesen sind vollkommen Fremde. Sie sind vollkommen anders als wir. Sie sind nicht einmal aus dem gleichen Stoff wie wir. Ihre bloße Existenz liefert die Antworten auf einige unserer wichtigsten Fragen. Alles, Elaine, alles hat sich mit ihrer Ankunft verändert! Diese Wesen haben Antworten auf Fragen, die wir noch nicht einmal stellen können! Sie haben Wissen, nach dem Menschen seit Jahrhunderten gestrebt haben. Doch sie geben uns dieses Wissen nicht. Ja, sie geben uns nicht einmal Informationen über ihre eigene Rasse. - Das dürfen wir nicht hinnehmen. Wir müssen uns holen, was sie nicht freiwillig geben. Wir müssen sie zu unseren Forschungsobjekten machen. Wissenschaftler auf der ganzen Erde müssen sich zusammentun und wir müssen unsere Erkenntnisse zusammentragen und dann analysieren. Wir dürfen doch nicht die Augen davor verschließen, welche Chance sich uns hier bietet.”
„Darum geht es dir also? Um bloßes Wissen? Und dafür hast du deine Seele an den Teufel verkauft?” Elaine merkte, wie ihre Stimme ungläubig klang.
„Elaine, bitte tu doch nicht so, als wäre ich Dr. Faustus und Sa'el Mephisto. Das ist doch albern!”
„Du sagst, es geht dir um Wissen. Bist du dir sicher, dass deine Motivation nicht einfach deine Eitelkeit war? Der Wunsch, der Beste aller Wissenschaftler zu sein?”
„Vielleicht. Vielleicht hast du recht und es ist tatsächlich Eitelkeit mit im Spiel. Das will ich ja gar nicht ausschließen. Aber es geht hier um mehr! Es geht um das Wichtigste, das es für uns Menschen gibt: Die Suche nach Erkenntnis!”
„Erkenntnis? Das soll das Wichtigste sein? Was ist mit dem Leben? Mit Liebe, mit Menschlichkeit? Frank, durch deine Mitwirkung sind vier Menschen gestorben. Sie hatten eine Zukunft...”
„... nur durch die Taelons. Ohne deren Hilfe wären sie gestorben.”
„Frank! Das kannst du nicht im Ernst meinen!”
„Nein, es tut mir leid.” Frank fuhr sich müde mit der Hand durch die Haare. Elaine dachte, dass er mit einem Mal aussah, als hätte er schon lange nicht mehr richtig geschlafen. Franks Stimme war tonlos und matt, als er fortfuhr. „Ich wollte nicht, dass ihnen etwas geschieht. Ich habe Sa'el nach den Risiken gefragt und ob die Versuchsobjekte dabei zu schaden kommen könnten. Er sagte, dies wäre ausgeschlossen und sie würden im Gegenteil viel dabei gewinnen. Ich konnte doch nicht ahnen...”
„Hör dich selbst einmal an: Du redest von Versuchsobjekten, als wären diese vier Menschen Dinge gewesen. Opfer, Versuchsopfer, trifft es wohl eher. Du hättest wissen müssen, dass es riskant war und du hättest Sa'els Lügen niemals glaube dürfen. Sich hinter ihm zu verstecken ist feige. Und selbst wenn die Vier nicht gestorben wären, ohne Einwilligung ist jedes Experiment verwerflich und das weißt du ganz genau. Wo bist du gelandet, dass du daran überhaupt nicht mehr denkst. Ich glaube, du hast immer noch nicht begriffen, was du da tatsächlich getan hast!”
Fassungslos starrte Elaine den Mann vor ihr an, doch er sah nur ausdruckslos zurück.
„Manchmal sind Opfer einfach notwendig. Ich wollte diesen Menschen nicht schaden, aber es musste sein. Wenn ich es nicht getan hätte, dann hätte es ein anderer getan. Jemand, der all die wertvollen Informationen nicht an andere Menschen weitergegeben hätte.”
„Ich glaub es einfach nicht! Ich versteh dich nicht!”
Plötzlich zuckte ein freudloses Lächeln um Franks Mundwinkel.
„Deine Freundin Stella würde es verstehen.”
„Was hat Stella damit zu tun?”
„Stella war es, die mich angeheuert hat für dieses Projekt, einen Verbund von Wissenschaftlern, die weltweit Informationen über die Taelons zusammentragen. Und genau das ist es, was ich hier tue. Glaubst du vielleicht, ich handele allein? Für wie größenwahnsinnig hältst du mich?”
„Willst du mir damit sagen, dass Stella davon weiß?”
„Ja!” Frank sah ihr direkt in die Augen und er log. Elaine wusste es, aber sie wusste nicht, in welchem Punkt genau er sie belog. Es war durchaus möglich, dass Stella in so einem „Projekt” mitarbeitete. Sie war fasziniert von den Taelons und konnte stundenlang darüber reden, wie Da'an oder ein anderer Taelon wohl dies oder jenes gemeint hatte. Und vielleicht wusste sie ja auch von den Experimenten. Doch würde sie wirklich nichts dagegen unternehmen?
„Das glaube ich dir nicht. Stella würde etwas tun, wenn sie davon wüsste. Ich kenne sie besser als du und ich weiß, sie hat keine Angst, für ihre Überzeugungen einzustehen. Ich werde mit ihr reden!”
Sie wandte sich zur Tür, doch Frank packte hart nach ihrem Handgelenk und hielt sie zurück. In seinen Augen spiegelte sich schlecht verborgene Furcht.
„Ich fürchte, du verstehst nicht, das wir hier alle in Gefahr sind!”, zischte er. „Moral hin oder her, es geht um das nackte Überleben. Wir spielen in einem Spiel, in dem die Taelons die Regeln setzen und es gibt nichts, was wir dagegen unternehmen können. Die einzige Chance, hinter ihre Geheimnisse zu kommen, ist mitzuspielen.”
Elaine antwortete nicht, sondern sah herausfordernd langsam von Franks hartem Griff zu seinen Augen. Wie erwartet ließ er sie los.
„Davon abgesehen hast du keine Beweise!”
„Noch nicht”, antwortete sie kühl und wandte sich zum Gehen, „aber ich versichere dir, mit Hilfe von Stella werde ich sie bald haben.”


Als Elaine das Labor verlassen hatte und einige Meter außer Sichtweite war, blieb sie stehen und atmete tief durch. Sie fühlte sich seltsam ruhig. Sie blinzelte in die Sonne und spürte den leichten Wind auf ihrem Gesicht. Ihre Haut fühlte sich an, als wäre sie leicht taub, so als hätte sie einen Schutzschild um sich, der die direkte Wahrnehmung dämpfte. Alles schien gedämpft, auch ihre Gefühle. Es war, als hätte jemand eine Decke in ihrem Geist ausgebreitet und alle verwirrenden Gefühle und Gedanken darunter geschoben. Was übrig blieb war die Gewissheit, dass sie etwas unternehmen musste. Sie wusste nicht warum und wie, aber sie hatte das eindeutige Gefühl, handeln zu müssen. Oder war es eher so, dass sie das Gefühl hatte, nicht NICHT handeln zu können?
So wie Frank gesagt hatte, dass niemand zu realisieren schien, dass mit der Ankunft der Taelons etwas außergewöhnliches geschehen war, so hatte sie das Gefühl, dass niemand verstand, was die Durchführung dieser Experimente wirklich bedeuteten. Sie kam sich vor wie die einzig Wache unter lauter Schlafenden und dies gab ihr das Gefühl der Irrealität, das alle verspüren, deren Wahrnehmung der Wirklichkeit nicht mit jener ihrer Umwelt übereinstimmt. Keiner schien ihr Entsetzen zu teilen. Frank nicht, der von Erkenntnis faselte. Marquette nicht, die es als Chance zur Diskreditierung der Taelons sah. Und Belman nicht, die in der Untersuchung der Umstände aufging. Alle fanden sie bedauernde Worte für die Opfer, aber niemand schien mehr als Unbehagen zu verspüren.
Warum ging ihr das anders? Sie war normalerweise kein Mensch der tiefgründige Gedanken hegte. Sowohl Stella als auch Frank hatten ihr vorgeworfen, sie würde sich zu sehr für banale Dinge interessieren und es stimmte. Sie fragte nicht nach dem Sinn und den Ursachen des Lebens, sie stellte nicht die herrschenden Gesellschaftsstrukturen in Frage. Sie lebte gut und gerne in dieser Welt und ihr Bedürfnis hinter die Fassade zu schauen befriedigte ihr Beruf, ohne dass sie sich dazu tiefschürfende Gedanken machen musste.
Elaine versuchte in sich hinein zu hören, zu verstehen, warum es in dieser Situation anders war, doch sie konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Sie glitt immer wieder zurück in bekannte Bahnen und merkte wie sie unauffällig und so, wie sie es gelernt hatte, die Umgebung absuchte. Es schien als weigere sich ihr Geist, neues Terrain zu betreten und sie fühlte sich viel zu abgestumpft und matt, um sich zu zwingen.
Sie schloss die Augen und rieb sie irritiert, um dieses Gefühl abzuschütteln. Plötzlich machte es in ihrem Kopf klick. Der Mann, der am Rand der Terrasse in sein Global schaute, beobachtete sie. Dieser und der, der sich nahe des Seiteneingangs des Hotels mit zwei Journalistinnen unterhielt. Letzteren kannte sie schon, er war seit ihrer Ankunft für sie ‚zuständig’ gewesen. Man hatte also ihre Überwachung verschärft, was nicht überraschend war, wo man doch ihre Globaltransmissionen abgehört hatte. Beide Männer machten ihre Sache gut; sie würde sie sofort einstellen, wenn sie sich bei ihr um einen Job bewerben würden. Sie ließ die Hände sinken und blinzelte wieder. Das sonderbare Gefühl war immer noch nicht verschwunden.
Sie musste mit Stella reden und da das Global keine Alternative darstellte, musste sie erst ihre beiden Bewacher loswerden. Verdammt, wenn sie nur richtig denken könnte! Sie konnte nur hoffen, dass dieses Labor so sicher war, wie es ausgesehen hatte, und ihr Gespräch mit Frank nicht abgehört worden war. Unvernünftiges Verhalten mochte ja emotional befriedigend sein, für das Überleben war es nicht gerade förderlich.
Langsam und mit scheinbar nachdenklich gesenktem Kopf ging sie Richtung Hotel. Plötzlich sah sie wie sich aus einer dunklen Ecke ein Schatten löste und eine Hand sie herüberwinkte. Die Frau von der Bar! Was zum Teufel wollte die von ihr? Elaine schob ihre Neugierde beiseite, denn dieses auffällig unauffällige Verhalten konnte sie nur in Schwierigkeiten bringen. Sie tat, als habe sie nichts bemerkt und ging weiter, in der Hoffnung, dass die Frau es dabei belassen würde. Elaine täuschte sich. Schon nach ein paar Metern, wurde sie am Arm gepackt.
„Mrs. Lorber, ich muss Sie dringend sprechen”, flüsterte die Frau völlig überflüssigerweise. Elaine hob langsam den Kopf und sah die Frau vor sich teilnahmslos an. Sie wunderte sich über sich selbst, warum sie nicht wütend über deren schwachsinniges Verhalten war. Normalerweise konnte sie stundenlang schimpfen über Amateure, die zu viel Filme gesehen hatten, doch - *Die Tabletten! Natürlich...*, tauchte ein Gedanke aus dem Nebel auf, in den hinein die Frau hektisch zu sprechen begann.
„Es geht um Stella. Sie sind doch ihre Freundin. Das hat sie zumindest gestern gesagt.”
*Was hat sie denn mit Stella zu tun?* Verwirrt musterte Elaine die Hotelbedienstete, die ebenso irritiert zurückstarrte. Etwas wie mit Angst vermischter Ärger trat in ihren Blick und sie begann ihren Arm zu schütteln, als wollte sie ihr die Dringlichkeit ihres Anliegens körperlich eintrichtern.
„Hören Sie nicht? Ich muss mit Ihnen über Stella sprechen!”
Elaine zog eine Augenbraue hoch. „So? Wieso sollte ich mit einer Fremden über eine alte Bekannte tratschen?”, fragte sie abfällig, doch sie wollte nur etwas Zeit gewinnen, um sich über diese Frau klar zu werden. Bei aller Dumpfheit, etwas in ihren Augen schien ihr zu ernst, als dass es sich hierbei bloß um eine der unzähligen Männer und Frauen handelte, die Stella aus Angst vor zu viel Nähe auf halber Strecke zu einer Liebesbeziehung fallen gelassen hatte. Doch hier war definitiv nicht der Ort um herauszufinden, ob sie mit dieser Vermutung richtig lag.
„Ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu erzählen. Wissen Sie, ich habe gestern lange mit ihr geredet, aber ich habe ihr nicht die Wahrheit über mich erzählt. Ich...”
„Also gut,” unterbrach Elaine sie scheinbar genervt. „Aber dabei will ich mich wenigstens setzen können. Kommen Sie mit in den Park.”
Damit drehte sich Elaine um und ging rasch, so als würde sie sich über die Störung ärgern, den Weg zurück. Wortlos folgte die andere Frau ihr. Elaine schlug schnell einen kleinen Seitenweg ein, der unter die Bäume führte. Als sie in eine kleine Senke kamen, raunte sie ihrer Begleiterin ein kurzes „Los!” zu und verfiel in Laufschritt.
„Was...”, begann diese entgeistert, doch sie fing sich schnell und rannte hinter ihr her.
Elaine brauchte ihre ganze Konzentration, um ihren Körper zum Laufen zu bringen. Schließlich stoppte sie an einer Bank, die recht gut versteckt zwischen einigen Büschen stand. Sie ließ sich erst mal darauf fallen und schloss für einen Moment erschöpft die Augen.
„Was sollte denn das?” Verwunderung, aber auch ein wenig Furcht klang aus der Stimme der anderen Frau. Elaine öffnete die Augen und mustere sie scharf.
„Ich werde beobachtet und dachte mir, Ihrem Auftritt von eben nach zu urteilen, dass Sie ungestört mit mir sprechen wollen.”
Die Angst trat nun deutlicher in ihren Blick. Zögernd setzte sie sich zu ihr auf die Bank.
„Ja, das ist richtig...”
„Also gut, wer sind Sie und was wollen Sie von mir?”
„Mein Name ist Carol Rapp. Ich habe den gestrigen Abend mit Stella verbracht...”
„Den Abend oder die Nacht?”, unterbrach Elaine sie. Direktheit vereinfachte in vielen Fällen das weitere Gespräch. Elaine hatte von ihrem Gegenüber den Eindruck, dass sie es verkraften konnte.
„Nur den Abend...” Carol senkte errötend den Kopf. Sicher nicht weil es ihr peinlich war. Die Arme war verliebt.
„Gut, und? Wie kommen Sie darauf mich anzusprechen?”
„Stella erzählte mir, Sie wäre eine gute Freundin von ihr, doch würden sich so distanziert verhalten, weil sie Ihnen nicht mehr Informationen als den anderen Journalisten geben wollten.”
„Das hat Stella Ihnen erzählt?”, fragte Elaine ungläubig. Warum hatte Stella ihre Freundschaft nicht sicherheitshalber ganz geheimgehalten?
Carol ging in Verteidigung der vermeintlichen Liebsten in Angriffsstellung. „Ja, das hat sie und sie war verletzt über Ihr Unverständnis!”
Tatsächlich? Sollte Stella ein Herz haben? Oder hatte sie nur ein Herz einfangen wollen?
„Sagen Sie mir jetzt nicht, dass Sie deswegen zu mir gekommen sind!”
„Natürlich nicht!” Elaine erhielt einen Blick wie einen Dolchstoß. „Gestern Abend hat uns ihr Kollege abgepasst und darauf gedrungen, dass sie sich nicht mehr mit mir trifft. Sie ist darauf eingegangen. Zunächst dachte ich, sie will nur ihre Position nicht verlieren und war wütend. Daher habe ich sie heute morgen zur Rede gestellt. Aber da steckt mehr dahinter! Stella hatte Angst! Ich bin mir ganz sicher, dass sie eine riesige Angst vor diesem Sandoval hat!”
„Stella? Angst vor Sandoval? Unmöglich! Stella liebt ihre Machtkämpfe mit Sandoval!”
Elaine lachte auf, doch ihr Lachen blieb ihr im Hals stecken, als sie Carols todernsten Blick bemerkte. Elaine war keine Philosophin, doch sie konnte Menschen einschätzen. Diese Frau wusste etwas. Carol hatte nicht nur das Gefühl, dass Stella Angst hatte, sondern auch eine Ahnung, wovor Stella Angst haben könnte. Elaine griff in ihre Tasche und zog ihre Lizenz heraus.
„Stella hat gelogen. Ich bin keine Journalistin, sondern Privatdetektivin. Sie wollte nicht mit mir reden, weil sie ahnt, dass ich für einen Kunden herausfinden soll, was die Taelons hier genau machen.”
Ein Flackern in Carols Augen machte deutlich, dass sie diese Information verunsicherte. Elaine fing den Blick der jüngeren Frau und hielt ihn fest. „Sie müssen sich entscheiden. Sagen Sie mir, was Sie wissen. Deswegen sind Sie doch zu mir gekommen. Ich werde versuchen, Ihnen zu helfen.”
Eine Weile maßen sich ihre Blicke, dann schloss Carol die Augen und atmete tief ein und aus. Elaine entspannte sich innerlich. Sie hatte gewonnen, Carol würde reden.
„Okay, Sie haben recht. Eigentlich wollte ich Sie fragen, ob Sie mit einer Zeitung zusammenarbeiten, die mutig genug ist taelonkritische Informationen zu drucken. Das kann ich jetzt wohl vergessen. Aber gut, ich habe nichts zu verlieren, vielleicht können Sie mir ja trotzdem helfen.” Carol zuckte ergeben mit den Schultern, wie jemand, der sich in ein ungewisses Schicksal fügte. „Also, ich bin Psychologie-Studentin an der Northeastern University in Boston. Vor einiger Zeit machte einer der Dozenten am Rande einer Lehrveranstaltung eine Bemerkung darüber, wie geschickt die Taelons die Medien manipulieren würden. Er ging nicht weiter darauf ein, aber da ich mir schon meine eigenen Gedanken über dieses Thema gemacht hatte, wollte ich wissen, was er darüber dachte. Wir kamen ins Gespräch und nach und nach wurde uns beiden klar, dass wir eine gewisse Skepsis teilten. Einige Wochen lang blieb es bei gelegentlichen Gesprächen, doch dann bot er mir einen Job an, den ich annahm. Und als ich diesen eine Weile hatte und sein Vertrauen in mich wuchs, weihte er mich ein, dass er in einem Projekt mitarbeitete, das Erkenntnisse über die Taelons zusammentrug. Ich war fasziniert und bot an, ihm zu helfen. Wolf, sein Name war Robert Wolf, arbeitete an einem der Forschungsprojekte, das im Rahmen einer Taelon-Mensch-Kooperation an unserer Universität durchgeführt wurde. Er gab mir heimlich Daten zum Auswerten, wenn ihm selbst die Zeit dazu fehlte. Das ging eine Weile so, doch mit der Zeit änderte Wolf seine Meinung. Er wurde radikaler und war plötzlich der Ansicht, dass es nicht reichte die Taelons zu erforschen. Er vertrat mit einem Mal die Ansicht, man müsse sie bekämpfen. Als ich ihn fragte wieso, sagte er mir, es wäre besser, wenn ich nichts genaues wüsste, aber er deutete an, dass in der Kooperation etwas nicht mit rechten Dingen zu ginge. So sehr ich es auch versuchte, mehr verriet er mir nicht. Vor gut einer Woche dann gab es eine Explosion in einem Labor, das zur Kooperation gehörte. Ich weiß nicht, was genau ablief, es hieß, es wäre ein Unfall gewesen. Doch Wolf grinste ziemlich vielsagend, als ich ihn darauf ansprach, auch wenn er mir immer noch nichts sagte. Was mich - nebenbei bemerkt - so langsam wirklich ärgerte. Wenige Tage später tauchte ein Mann in seinem Büro auf, von dem ich jetzt weiß, dass er Sandoval heißt. Als er wieder weg war, war Wolf komplett durcheinander. Er schnappte sich seine Sachen und hastete völlig überstürzt davon. Und das Komischste daran war, dass er das Bild von seiner Freundin mitnahm, das er auf seinem Schreibtisch stehen hatte. In der gleichen Nacht hatte er einen tödlichen Autounfall.”
Carol unterbrach ihre Erzählung und sah Elaine sichtlich aufgewühlt an. Auch Elaine fühlte sich plötzlich trotz ihrer anhaltenden Stumpfheit nervös. Ein Projekt, das klang, wie das von dem Frank erzählt hatte und von dem er behauptete, von Stella dafür rekrutiert worden zu sein? Wenn das stimmte und Stella ahnte, dass Sandoval dem Projekt auf die Schliche gekommen war, dann hatte sie allen Grund Angst zu haben. Verdammt! Sie hatte gedacht, Stella könnte ihr helfen und nun brauchte diese ihre Hilfe. Dringend! Die Taelons mochten es einer kleinen Studentin nachsehen, dass sie Mitglied in einer ihnen kritisch gesonnenen Gruppe war, aber bei ihrer eigenen hochrangigen Mitarbeiterin stand das mit Sicherheit anders. Elaine konnte sich schwerlich vorstellen, dass Stella den Anschlag guthieß, da diese einer strikten, schon fanatischen Philosophie der Gewaltlosigkeit anhing, aber das änderte nicht an ihrer Mitschuld in den Augen der Taelons, wenn es tatsächlich die gleiche Gruppe war.
„Was hat das alles mit Stella zu tun?”, fragte sie unbestimmt, denn auch wenn sie es schon wusste, so hatten Carols Worte ihr noch keine Erklärung geliefert, wie diese das alles mit Stella in Verbindung brachte.
„Wolf hat mich einmal darauf aufmerksam gemacht, dass manche Daten, die er über das Projekt erhielt, darauf hindeuteten, dass jemand direkten Kontakt mit einem Taelon hat und diesen Kontakt mit ethnologischen Methoden analysiert. Er hatte als Psychologe größeres Interesse daran, als an den medizinisch und technischen Berichten, daher ist es ihm aufgefallen. Die Daten könnten überall herkommen, aber als ich mich mit Stella unterhielt, versuchte ich das Thema auf die Taelons zu lenken. Sie ging nicht groß darauf ein - im Gegenteil wich sie sogar regelrecht aus - aber sie machte dennoch eine Bemerkung, die exakt einem Gedanken entsprach, der in einem der Projektberichte auftauchte. Dies und die Tatsache, dass ich bei meinem Gespräch mit ihr heute früh so deutlich das Gefühl hatte, dass sie Angst hat, brachte mich auf die Idee, dass sie das vielleicht wäre. Schließlich ist sie Ethnologin.”
„Sie sind wirklich nicht dumm,” bemerkte Elaine anerkennend. Noch eine Person, die sie gerne auf ihre Gehaltsliste setzen würde. „Ich gehe davon aus, dass Sie sich ursprünglich an Stella heranmachten, um sie auszufragen?”
Carol wurde ein wenig rot, aber sie hielt ihrem Blick stand.
„Das war meine Idee. Schließlich bin ich dazu überhaupt nach Silent Falls gekommen. Ich arbeite immer wieder als Bedienung und ich dachte mir, dass ich hier vielleicht etwas herausfinden kann, also hab ich mich beworben. Das heißt aber nicht, dass ich Stella nicht mag.”
Elaine schüttelte nur den Kopf und war mit einem Mal richtig froh über ihren leicht betäubten Zustand, der sie davon abhielt Carol laut anzuschreien. Sie mochte gute Anlagen haben, aber... „Glauben Sie nicht, dass es etwas riskant war hier her zu kommen? Wie kommen Sie auf die absurde Idee, dass Sandoval nicht wüsste, dass Sie Wolfs Studentin waren?” Es gelang ihr nicht, eine sarkastische Note aus ihrem Tonfall herauszuhalten.
„Es gibt viele Studierende an der Fakultät. Und überhaupt, ich musste doch etwas tun!” Carol sah sie angriffslustig an, doch auf dem Grund ihres Blicks lag Angst und Verunsicherung. „Ich dachte mir, dass ich hier doch nichts tue, weswegen man mich auch...” Die Angst überwog und sie sprach es nicht aus.
Elaine legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. Im Grund war sie selbst ja auch nicht viel intelligenter vorgegangen. „Keine Sorge. Hier her zu kommen war vermutlich nicht die klügste Entscheidung Ihres Lebens, aber ich werde schon dafür sorgen, dass es nicht die letzte war.”
Die Bestimmtheit, mit der es ihr gelang dies zu sagen, überraschte sie selbst. Sie war sich keineswegs so sicher. Die Situation wurde immer verzwickter. Sie war nach Silent Falls gekommen, um harmlose Informationen über das Wie der Rettungsaktion zu sammeln und jetzt war noch nicht der zweite Tag vergangen und sie war zwei handfesten Skandalen mit zusammengenommen fünf Toten auf die Spur gekommen. ‚Wir kommen in Frieden.’ Die Taelons hatten wirklich eine zynische Art von Humor!
„Was wollen Sie denn tun?”, fragte Carol und es sprach für ihre Intelligenz, dass ihr Tonfall skeptisch klang.
„Ich werde Sie von hier wegbringen.”
„Und Stella?”
„Die auch.” Und mich und Frank und Marquette und Belman. Fügte sie in Gedanken hinzu, wobei letztere eher ihr helfen musste als umgekehrt.
Elaine sah sich aufmerksam um. Es war perfide, ihre Bewacher mussten sich keine große Mühe machen. Sie wussten, wo sie war und dass sie ihnen in dem Schutzschild nicht entwischen konnte. Sie wussten, mit wem sie sich unterhielt. Ja, sie wussten vermutlich sogar besser als sie selbst, worüber sie sich unterhielten. Elaine merkte, wie sich trotz der immer noch vorhandenen Stumpfheit ihre Nackenhaare aufstellten und Paranoia in ihr aufstieg. Sie kam sich vor wie ein gefangenes Tier, das man gerade an der langen Leine laufen ließ.
„Haben Sie ein Global?”
„Ja. Warum fragen Sie?”, lautete die ob des abrupten Themenwechsels etwas verwirrte Antwort.
„Her damit.”
Elaine zückte ihr eigenes und gab ein paar Befehle ein und tat dann das gleiche mit dem das ihr widerstrebend gereicht wurde. Als sie fertig war, warf sie beide in ein dichtes, immergrünes Gestrüpp und stand wieder auf.
„Hey, was soll das?” Carol starrte sie fassungslos an. Doch Elaine achtete nicht darauf, sondern zog sie mit sich in das kleine Wäldchen, dass den Park von dem Lazarettgelände trennte.
„Was haben Sie gemacht?”, fragte Carol, nachdem Elaine nach einer Weile das Tempo etwas gedrosselt hatte.
„Ich habe alle Daten gelöscht. Vielleicht gibt es ja doch noch was darauf, was diese Kerle nicht heruntergeladen haben.”
„Sie haben mein...”, aufgebracht blieb die Frau stehen und starrte Elaine wütend an.
Normalerweise hätte Elaine sie angegiftet, doch jetzt sah sie nur matt zurück.
„Globals sind wunderbare Peilsender und wir können nur hoffen, dass sie uns keine anderen angeheftet haben.”
„Ach, und warum haben Sie dann so ein Theater gemacht und mit Ihren Beobachtern Verstecken gespielt?”
Elaine merkte, wie sich ein schelmisches Lächeln auf ihre Lippen stahl. „Das Theater habe ich vor allem für Sie inszeniert. Man entlockt Menschen leichter die Wahrheit, wenn sie ängstlich sind.”
Carol starrte sie mit großen Augen an. Die Wut darüber, manipuliert worden zu sein, kämpfte mit der Ahnung, dass Elaine vielleicht wirklich Fähigkeiten besahs, auf die sie in ihrer Situation dringend angewiesen war. Schließlich nickte sie. „Okay, ich sehe, dass Sie wissen, was Sie tun. Also zeigen Sie mal, was Sie sonst noch so können und bringen Sie Stella und mich hier raus.”
Elaine nahm die ihr damit übertragene Führungsrolle mit einem Lächeln zur Kenntnis.

So schnell auf dem unebenen Waldboden möglich war legten sie den Weg zum Lazarettgelände zurück. In dessen Sichtweite drosselten sie das Tempo und erreichten über einige Umwege unbeobachtet - wie Elaine hoffte - den Hintereingang zu Belmans Labor.
Die Ärztin studierte medizinische Daten auf einem Monitor und sah Elaine bei ihrem Eintreten mehr als ärgerlich an.
„Mrs. Lorber, ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Ihnen keine weiteren Interviews mehr...”
„Ich muss Sie sprechen,” unterbrach Elaine sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, oder vielmehr versuchte sie es. Was herauskam klang etwas matt, doch Belman schien die Dringlichkeit ihres Anliegens dennoch zu spüren. Sie stand auf und führte sie in das schon bekannte angrenzende Labor. Elaine merkte, wie sie auf die Stelle starrte, an der zuvor die Bahre mit dem Toten gestanden hatte. Sie zwang sich die in ihr aufsteigenden Gefühle zu unterdrücken und wandte sich an die Ärztin.
„Dr. Belman, ich habe einige Neuigkeiten. Sowohl Stella Morel als auch Frank Stratton sind Mitglied in einer taelonkritischen Organisation. Diese ist aufgeflogen und die beiden sind in großer Gefahr, genauso wie Carol Rapp.” Sie zeigte auf die junge, etwas verwirrt dreinblickende Frau neben ihr. Für ihre Aussagen hatte sie keine Gewissheit, aber sie tat dennoch so. Jede gezeigte Unsicherheit würde ihre Glaubwürdigkeit unterminieren. Schon jetzt schaute Belman äußerst skeptisch.
„Morel und Stratton sollen Taelonkritiker sein? Das ist doch absurd!”
Elaine trat nahe an die ältere Frau heran und packte sie eindringlich am Arm. „Ich habe von zwei unabhängigen Quellen eindeutige Hinweise erhalten. Dass die beiden für die Taelons arbeiten, heißt noch lange nichts. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass beide in erster Linie Wissenschaftler sind. Sie sammeln wissenschaftliche Erkenntnisse über die Taelons und das könnten sie wohl kaum, wenn sie im Untergrund taelonfeindliche Pamphlete drucken würden. Niemand sollte das besser verstehen als Sie!”
Abschätzend sah Belman zu ihr auf. „Ich würde Ihnen ja vielleicht glauben, was Morel angeht. Aber Stratton? Er hat vermutlich vier Menschen auf dem Gewissen! Was, wenn Sie leichtgläubig in eine Falle getappt sind, schließlich sind Sie dem Kerl gegenüber voreingenommen.”
„Ich bin in diesem Geschäft ein Profi.” Elaine zwang sich mit aller Macht ihrer Stimme Schärfe zu verleihen. „Voreingenommen oder nicht, ich tappe in keine Fallen und ich lasse mich auch von niemanden um den Finger wickeln. Im Gegensatz zu Ihnen weiß ich, wie ich mich in einer Situation wie dieser zu verhalten habe und ich kenne sowohl Stella wie auch Frank sehr gut. Stella ist keine naive Taelonverehrerin und Frank kein Monster. Wie immer man moralisch zu Franks Taten stehen mag, er versucht eine außer Kontrolle geratene Situation halbwegs heil zu überstehen und er hat Informationen, die Doors sicher sehr interessieren würden. Und jetzt helfen Sie mir gefälligst, damit ich den Job machen kann, für den Ihr Freund Jonathan mich bezahlt.”
Elaine ließ Belman los, hielt aber weiter ihren Blick. Ihr Gegenüber erwiderte diesen abwägend. Nach einer Weile, die Elaine wie eine Ewigkeit vorkam, antwortete Belman. „In Ordnung. Jonathan hält große Stücke auf Sie und er schenkt seine Achtung für gewöhnlich nur dem, der sie auch verdient.”
Elaine hörte wie Carol erleichtert die Luft ausstieß, die sie in der angespannten Situation angehalten hatte. Belman schloss eine Schublade auf und holte eine Karte und vier kleine, runde Geräte heraus.
„Mit diesen Dingern können Sie den virtuellen Glasschild passieren. Heften Sie sie an Ihre Kleidung und drücken Sie diesen Knopf. Aber tun Sie das erst, wenn Sie kurz davor stehen und werfen Sie sie danach weg, sonst kann man Sie aufspüren. Und hier haben Sie eine Karte der Umgebung. Darauf ist ein Versteck eingezeichnet, von dem aus Sie die Möglichkeit haben Hilfe zu rufen. Von den leichten Strahlenschäden, die Sie unweigerlich erleiden werden, heile ich Sie, wenn Sie in Sicherheit sind.”
Elaine nahm die Gegenstände an sich und verstaute sie in ihren Jackentaschen. „Danke, Doktor.”
„Verschwinden Sie jetzt und kommen Sie auf keinen Fall wieder hier her.”
Elaine nickte und ging von Carol gefolgt zu Tür. Sie hatte keine Ahnung, wie Sie Stella und Frank kontaktieren sollte und ob es ihr gelingen würde, sie zu überreden mitzukommen. Aber sie würde es zumindest versuchen.
Sie waren fast schon zur Tür raus, als sie Belman noch einmal hörte.
„Passen Sie auf sich auf!”

 

Ende von Kapitel 6

 

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