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  „Hinter den Masken” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Frühjahr 2001
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Sandoval geht seiner Aufgabe, taelonfeindliche Aktivitäten aufzudecken mit mehr oder weniger Erfolg nach. Währendessen kommen die Taelons dem Ziel ihres Plans etwas näher.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde
Charaktere:  Elaine Lorber, Stella Morel, Ronald Sandoval, Sa'el (Lili Marquette, Carol Rapp, Frank Stratton)
 

 

HINTER DEN MASKEN

Kapitel 4

 

Die meisten der im Hotel untergebrachten Journalisten nützten den klaren Herbstabend, um noch einmal in diesem Jahr in diesen Breitengraden draußen sitzen zu können. Der virtuelle Schild der Taelons hielt die Wärme der späten Herbstsonne, so dass Elaine das Gefühl hatte, einen lauen Sommerabend zu erleben. Vielleicht war es das, was das Hochgefühl, das die Menschen um sie herum scheinbar alle empfanden, erzeugte. Oder aber das Gefühl, etwas Großes zu erleben.
Die schreckliche Katastrophe, der sie mit all ihren technischen Errungenschaften hilflos gegenüber gestanden hatten, war mit einer grazilen Handbewegung Da'ans zu einem tragischen, aber nicht wirklich gravierenden Unfall zusammengeschmolzen. Noch vor wenigen Tagen hatte es so ausgesehen, als ob Tausende sterben und ein großer Bereich der USA aus den Straßenkarten radiert werden müsste. Doch dann hatten die Taelons kund getan, dass sie helfen konnten und bis auf ein paar Tote - ein Nichts im Vergleich zu den Verkehrsopfern eines Jahres - keine Schäden bleiben würden. Überall in der USA jubelten die Menschen. Doch die Begeisterung ging über die Freude über diese eine Rettungsaktion hinaus. Es ging vielmehr ein Aufatmen um die ganze Welt. Die atomare Bedrohung war gebannt und die Hoffnung begründet, dass die neuen Freunde aus dem All auch die anderen Probleme der Menschheit lösen konnten, in die sie eine kleine aber mächtige Bevölkerungsgruppe mit Hilfe des sogenannten technischen Fortschritts gebracht hatte. Dies stürzte auf der ganzen Welt Ökoaktivisten abwechselnd in Freudentaumel und Sinnkrisen, trieb Esoteriker in neugegründete Sekten und verursachte bei Politikern, Militärs und Wirtschaftsführern eine tiefe Angst um ihre Machtstellung.
Elaine war nicht dumm. Bei aller Sympathie für ihren besten Kunden, sie glaubte nicht, dass Doors die Sorge um die Menschheit angetrieben hatte, sie mit Nachforschungen zu beauftragen. Doors war ein Machtmensch und ihm war es egal, ob die Taelons Segen oder Fluch der Menschheit sein würden. Sie bedrohten seine Macht und er würde versuchen dieser Bedrohung zu begegnen.

Das Auftauchen Lili Marquettes riss Elaine aus ihren Gedanken.
„Hier ist ja wirklich eine tolle Atmosphäre!” Die Stimme der Pilotin klang bitter und ein sarkastischer Zug erschien um ihren Mund, als sie sich neben sie auf den Barhocker setzte.
„Sie teilen sie anscheinend nicht”, stellte Elaine fest. Sie ließ den Blick beiläufig über die anderen Gäste gleiten, um sicher zu gehen, dass keiner nahe genug bei ihnen stand, um ihr Gespräch belauschen zu können.
„Nein. Es gefällt mir nicht, wie alle die Taelons feiern. Ihnen etwa?”
Elaine zog es vor, gleichgültig mit den Schultern zu zucken. Die Taelon-Diskussionen hatte sie mittlerweile gründlich satt. „Haben Sie etwas herausgefunden, Lili?”
„Ja, das habe ich! La'ron plant etwas mit den Shuttles. Scheinbar benützen sie auf irgendeine Weise die Interdimensionstechnik, um die radioaktiven Partikel aus der Umwelt zu entfernen. Mit Hilfe der Shuttels soll anscheinend die Gegend entseucht werden. La'ron hat mir ein paar technische Daten gegeben, die ich mir anschauen soll.”
„Haben Sie sie dabei?”
Lili nickte.
„Gut, dann überspielen Sie sie unauffällig auf mein Global. Ich leite sie dann an Doors weiter.”
Lili grinste und ihre Hand fuhr in ihre Jackentasche. Sie rückte etwas näher.
„Sagen Sie Doors einen schönen Gruß von mir, und dass La'ron extra darauf hingewiesen hat, dass ich diese Informationen absolut vertraulich behandeln soll.”
„Er wird erfreut sein, dass zu hören.”
„Haben Sie auch etwas herausgefunden?”
„Ja. Nach der Pressekonferenz habe ich mit zwei Journalisten geredet, die mir noch einen Gefallen schuldeten und dann habe ich einem Freund, der im Taelon-Labor arbeitet, einen Besuch abgestattet.”
„Sie haben dort auch noch einen Freund?! Kein Wunder, dass Doors Sie so gerühmt hat. Was hat dieser Freund gesagt?”
„Gesagt hat er nicht viel, aber auch er hat mir ein paar Daten gegeben.”

Elaine verbarg, dass es sie - auch wenn sie es vom professionellen Standpunkt aus verstehen konnte - persönlich getroffen hatte, dass Frank sie so schnell wie möglich wieder hatte loswerden wollen. „Was willst DU hier?”, hatte er sie gefragt, ohne einen erkennbaren Funken der Freude zu zeigen. „Schnüffelst du wieder?” - „Das ist mein Job! Und ein gut bezahlter zudem.” Sie war wütend und verletzt genug gewesen, um ihn daran zu erinnern, dass sie mit ihrer Arbeit trotz abgebrochenem Studium weit mehr verdiente als er, der große Wissenschaftler mit den zahlreichen hoch dotierten Auszeichnungen. „Bist du da, um mir das zu sagen?” Frank hatte das Gesicht verzogen und sich wieder zu seinen Reagenzgläsern gedreht. Nun war er es gewesen, der verletzt war und ohne dass sie es wollte, tat es ihr leid. Irgendwie konnte sie ihn ja verstehen. Es konnte ihn den Job kosten, wenn man sie hier erwischte. Daher war sie zu ihm getreten und hatte ihrer Stimme einen versöhnlichen sanften Ton gegeben. „Nein, natürlich nicht. Aber du könntest dich schon ein wenig mehr freuen, wenn du mich siehst.” - „Du hast ja recht.” Frank hatte sich wieder zu ihr gedreht und sie in die Arme genommen. „Tut mir leid.” Für einen Moment hatte Elaine die Nähe einfach nur genossen, bevor sie sich wieder voneinander lösten. „Hast du nun was für mich?” - „Solange du es nicht veröffentlichst...” - „Nein, keine Presse!” - „Gut. Auf diesem Chip sind einige Hintergrundinformationen.”

„Zwei interne Berichte aus den beiden beteiligten Taelon-Mensch-Kooperationen”, meinte Lili erfreut. „Na, da kann Doors aber zufrieden mit uns sein!”
Elaine wusste es besser.
„Doors ist niemals zufrieden.”

 
* * *
 

Stella wunderte sich nicht, als sie Elaine und Lili zusammen an der Bar sitzen sah. Die beiden passten gut zusammen und hatten sich bestimmt auf Anhieb verstanden. Sie durchzuckte jähe Eifersucht, obwohl sie es selbst gewesen war, die Elaine mit der Weigerung ihr Informationen zu geben, vor den Kopf gestoßen hatte. Es tat weh, als Elaine sich von Lili verabschiedete und ins Hotel zurückging, noch bevor sie die Bar erreicht hatte. Sie gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Auch wenn sie wollte, sie konnte es sich nach dieser Sache mit Boston nicht mehr anders überlegen. Es war einfach zu gefährlich. Dabei hätte sie gerade jetzt, wo ihre Nerven bis zur Zerreißprobe angespannt waren, eine Freundin gebraucht. Einfach nur über irgend etwas Belangloses zu reden, wäre schon sehr beruhigend.
Ohne viel Hoffnung ging sie zu Lili Marquette hinüber und kletterte auf den Barhocker neben ihr. Auch wenn die ehemalige Soldatin ihr wohl keine direkte Antipathie entgegenbrachte, so war doch eine kühle Distanziertheit zu spüren, die sie aus irgendeinem Grund aufrecht erhielt. Stella drehte sich zur Bar und spielte mit Elaines leerem Glas. Sie hatte wirklich keine Lust, sich ausgerechnet jetzt über Lilis Verhalten Gedanken zu machen. Probleme hatte sie weiß Gott auch so schon genug. Daher war sie nicht unglücklich, als Lilis Global piepste und sie von Sandoval zum Shuttle gerufen wurde.
Vielleicht war dies ja ein Abend, um sich zu betrinken, überlegte sich Stella, während sie das Glas auf dem Rand im Kreis tanzen ließ. Ja, es war ganz bestimmt so ein Abend, doch dies war keine gute Idee. Sie stand hier unter ständiger Beobachtung und konnte sich gerade jetzt keine Fehler leisten. Missmutig beobachtete sie die Barfrau, die Lilis Capuccino-Tasse abräumte und der Pilotin interessiert hinterher sah.
„Vergiss es!”, konnte sich Stella nicht verkneifen, spöttisch zu bemerken. „Die ist so hetero, dass es schon weh tut!”
„Da hast du vermutlich recht”, seufzte die junge Frau. „Schade...”
„Mhm...”
„Willst du weiterhin das leere Glas hin- und herschieben oder doch lieber ein volles?”
„Ich schieb es noch eine Weile, wenn's recht ist”, meinte Stella säuerlich. „Wenn ich jetzt anfange zu trinken, dann kannst du mich in Kürze auf mein Zimmer tragen!”
Die Frau lachte. „Ist das ein Angebot?” Sie nahm ihr das Glas weg und ersetzte es ungefragt durch eine Espresso-Tasse samt Inhalt. „Hier, probier mal. Es ist erstaunlich, wie toll das Zeug schmeckt, wenn man es mit der richtigen Maschine macht.”
Stella tat wie geheißen und fand, dass es nicht besser schmeckte, als man es von einem Hotel dieser Klasse hatte erwarten können. „Ich schätze, das hier ist nicht dein richtiger Job.”
„Nein, ich bin nur aushilfsweise da. Ich finanziere so mein Studium.”
„Welches?”
„Psychologie.”
„Na, dann bist du ja bestens vorbereitet auf den Umgang mit gestressten Karrierefrauen!”
Stella erntete dafür wieder ein Lachen, was anzeigte, dass ihr Gegenüber deutlich bessere Laune hatte als sie selbst. Allein das munterte Stella schon ein wenig auf.
„Tatsächlich habe ich mir schon überlegt, ob es mir vielleicht als Praktikum anerkannt wird. - Ich heiße übrigens Carol.”
„Und ich Stella.”

Der Rest des Abends verlief erfreulich. Carol überredete ihren Kollegen für sie einzuspringen, so dass sie sich abseilen und im Park spazieren gehen konnten. Es war angenehm, sich mal wieder mit jemanden, der eine ähnliche Meinung wie sie hatte, über Politik, Kunst und Wissenschaft zu unterhalten. Da sie zudem das Thema Taelons weitgehend ausklammerten, wunderte sich Stella nicht, dass sie sich einige Stunden später küssend in Carols Armen vor den Aufzügen des Hotels wiederfand. Dass ihr Leben momentan alles andere als einfach war, vergaß sie dabei völlig - bis zu dem Zeitpunkt, als plötzlich Sandovals scharfe Stimme die Stille des halbdunklen Gangs durchschnitt.
„Dr. Morel! Könnte ich Sie bitte SOFORT sprechen!”
Es klang überhaupt nicht wie eine Bitte. Stella löste sich erschrocken von Carol und sah den unverkennbar wütend dreinblickenden Mann einen Moment lang nur verwirrt an.
„Folgen Sie mir bitte!”, befahl er ihr und Stella fiel nichts besseres ein, als - nachdem sie ihrer neuen Freundin ein entschuldigendes „Ich melde mich nachher.” zugeraunt hatte - eben dies zu tun.
Der Agent führte sie in den nächst gelegenen leeren Konferenzraum und schloss sorgsam die Tür, bevor er sie kalt musterte. Stella fühlte ihren Puls pochen und sie hatte das Gefühl ihr würde gleich schwarz vor Augen. Angst griff nach ihr. *Bitte*, flehte sie innerlich, *mach, dass er es nicht herausgefunden hat!*
Sandovals Stimme war noch kälter als sein Blick, als er sich endlich entschloss das Schweigen zu brechen: „Darf ich fragen, was das eben sollte?”
„Bitte?” Stella starrte ihn fassungslos an.
„Sie sind sich wohl nicht bewusst, dass Sie sich hier in einem Hotel voller Journalisten befinden. Wollen Sie morgen in allen Zeitungen stehen?”
Die Angst, die sie eben noch empfunden hatte, verwandelte sich schlagartig in Wut. „Sie haben wohl noch nicht bemerkt, dass wir uns im 21. Jahrhundert befinden”, fegte sie Sandoval an. „Und was ich in meinem Privatleben tue, geht Sie überhaupt nichts an!”
„Wenn Sie dabei die Interessen der Taelons verletzten, geht mich das sehr wohl etwas an! Es wäre alles andere als vorteilhaft für ihr Ansehen, wenn herauskäme, dass eine ihrer hochrangige Mitarbeiterinnen homosexuell ist.”
„Aus Ihren Bespitzelungen sollten Sie wissen, dass ich nicht homosexuell, sondern bisexuell bin, selbst wenn Ihrem bornierten Hirn beides ebenso unvorstellbar wie abartig vorkommt. Ich sag Ihnen was, Sandoval: Das stört nicht die Öffentlichkeit oder noch viel weniger die Taelons, sondern ganz allein Sie!”
„Ich habe keine persönlichen Ansichten diesbezüglich und solange Sie Ihre sexuellen Neigungen unauffällig ausleben, ist mir das vollkommen gleichgültig. Mein Motivationsimperativ ist es, der mich zwingt, mich einzumischen.”
„Ihr Motivationsimperativ! Ja, das glaube ich auch! Allerdings hat DIESER Motivationsimperativ nicht das geringste mit den Taelons zu tun!”
Wütend stürmte Stella aus dem Raum und ließ den Mann einfach stehen.

In ihrem Zimmer angelangt, war sie immer noch so aufgebracht, dass sie sich am liebsten an den Einrichtungsgegenständen abreagiert hatte. Doch allein der Gedanke kam ihr so lächerlich vor, dass sie sich ein wenig beruhigte und statt dessen nach ihrem Global langte. Carol würde sie verstehen und geteiltes Leid war bekanntlich halbes Leid. Sie war schon dabei die Verbindung herzustellen, als sie es sich anders überlegte. Es gab noch ein paar Informationen, die sie unbedingt heute noch überprüfen musste und so beschloss sie, dies vorzuziehen. Erstens, weil es sie beruhigen würde und zweitens, weil sie sonst vermutlich vorerst keine Gelegenheit mehr dazu haben würde.
Es war das erste Mal, dass sie den SIA ernsthaft nutzte. Die Daten über Wolf und Cockburn waren spärlich aber aufschlussreich. Wolf war vor wenigen Tagen einem Autounfall erlegen und Cockburn hatte kurz darauf seinen Vertrag mit der Uni gekündigt und war offiziell in die Dienste der Taelons getreten. Das Attentat wurde in Zusammenhang mit ihnen in keiner Weise erwähnt. Und ansonsten fand sich nur eine kleine Notiz, dass der Vorfall stattgefunden hatte und es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein taelonfeindliches Attentat handelte, über das die Presse nicht informiert worden war. Offensichtlich war ihre SIA-Stufe für den Fall, dass es darüber noch mehr Informationen in den Datenbanken gab, nicht ausreichend.
Die Informationen über Belman waren ebenfalls nicht sehr aussagekräftig. Das einzig für sie Interessante in ihrem Lebenslauf war, dass sie lange in einer Forschungsabteilung von Doors Internationals gearbeitet hatte. Stella wusste, dass Doors Elaines wichtigster Kunde war, doch das musste nichts bedeuten, schließlich war Doors Int. ein riesiger Konzern.
Zögernd gab Stella schließlich auch noch Carols Namen ein. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, ebenso wie sie es bei allen anderen ihrer Freunde und Bekannten gehabt hatte, als sie die gespeicherten Informationen über sie abgerufen hatte.
Die vorhandenen Daten über Carol waren so erschreckend umfangreich, wie ihre eigenen. Eine Mitgliedschaft in einer kritischen Studi-Gruppe reichte scheinbar, um die Geheimdienste aufmerksam zu machen. Tatsächlich hatte Carol in New York ein Psychologie-Studium begonnen. Stella überflog rasch die chronologisch sortierten Angaben und wollte sich lieber nichts genau merken - wie leicht konnte man etwas ausplaudern, was man eigentlich noch gar nicht wissen konnte. Sie wollte schon endgültig die Verbindung schließen, als ihr etwas auffiel. Carol hatte zwar ihr Studium, wie sie es erzählt hatte, in New York begonnen, doch vor zwei Semestern war sie an die Northeastern University nach Boston gewechselt - an eben jene Fakultät an der auch Wolf gelehrt hatte!

Stella fühlte sich, als ob ihr jemand einen dumpfen Schlag verpasst hätte. Wie betäubt sank sie zurück auf ihr Bett und blieb dort kraftlos liegen. Sie hatte das Gefühl, sich in einem Irrgarten von Intrigen und Bespitzelungen zu befinden. Wem konnte sie trauen? Wer benutzte sie, um welche Informationen zu erhalten? Und wer versuchte ihr, mit was eine Falle zu stellen? Mehr resigniert als entschlossen schluckte sie die Tränen, die in ihr aufstiegen, herunter und griff wieder zum Global.
„Tut mir leid, Carol. Wir können uns nicht sehen. Mein Kollege macht Ärger!”
„Hey, dass kannst du dir doch nicht gefallen lassen! Gegen diese Unterdrückung...”
„Ich kann nicht nur, ich muss. Erzähl mir jetzt bitte nichts von wegen Politik und queer identity und Kampf gegen die Zwangsheterosexualität. Solche Spielchen kann ich mir in meiner Position nicht leisten. Tut mir leid!”
Damit schloss sie das Global.

 
* * *
 

Sandoval stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen am Fenster und sah auf die wenigen noch auf der Terrasse des Hotels sitzenden Menschen. Erstaunlich wie viel Zeit manche Leute mit Nichtstun verbringen konnten. Er selbst hatte nie dazugehört. Auch nicht zu den Leuten, die Gefallen hatten an Geschäftsessen und anderen Aktivitäten, die sich im Zwischenbereich von Vergnügen und Arbeit bewegten. Er schätze es, wenn eine Aufgabe nach der anderen effizient gelöst wurde. Auf diese Weise hatte er immer gute Arbeit geleistet - und es doch nie leicht gehabt. Mühelos waren andere an ihm vorbeigezogen und hatten rasch höhere Positionen erreicht, nur weil sie besser Konversation machen konnten. Sandoval war kein Dummkopf. Er wusste, dass er um ganz nach oben zu kommen, nicht aus der richtigen gesellschaftlichen Schicht stammte und zudem nicht die richtige Hautfarbe hatte. Die Führungsschicht in diesem Land war auch im 21. Jahrhundert eine weitgehend geschlossene Gesellschaft, die sich aus sich selbst reproduzierte. Auch wenn er rein eurasischer Abstammung gewesen wäre, hätte er als Neu-Einwanderer nie dazugehört. Doch das hatte sich alles geändert, als die Taelons gekommen waren. Sie waren die wahre neue Macht auf der Erde und auch wenn sie keinen direkten Umsturz planten, so boten sie doch intelligenten, ehrgeizigen Menschen wie ihm die Möglichkeit, in der menschlichen Gesellschaft ganz nach oben zu kommen.
Er war sich der Tatsache bewusst, dass Stella Morel und er in diesem Punkt sehr ähnlich dachten. Sie waren erklärte Feinde, er traute ihr nicht und suchte ihr zu schaden, wo er nur konnte, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass sie in vielen Punkten einer Meinung waren. Wie er hatte Morel eine sehr unsentimentale Einstellung gegenüber der Menschheit und ihren persönlichen Möglichkeiten in dieser Gesellschaft. Auch Morel war in ihrem Gebiet mehr als geschickt und sie hatte ihn mit ihren Fähigkeiten in Da'ans Gunst von Anfang an überflügelt. Ein Zustand, der nicht mehr lange anhalten würde. Gespannt wartete er auf die Decodierung ihrer neuesten Globalübertragung. Ihr Gespräch vom Nachmittag mit Prof. Attwood hatte ihm bereits den endgültigen Beweis für ihren Verrat an den Taelons gebracht. Alles was er tun musste, war so bald als möglich Da'an alle Beweise zu präsentieren, die belegten, dass Stella Morel Mitinitiatorin einer Vereinigung war, die die Taelons ausspionieren wollte und dass sie selbst in diesem Rahmen vertrauliche Informationen weitergegeben hatte. Er wusste nicht, wie Da'an darauf reagieren, was er anordnen oder besser andeuten würde, aber dass Morel die längste Zeit in seiner Gnade gestanden hatte, war gewiss.
Trotz dieser Sicherheit ging er eilig zu seinem Computer als dieser meldete, dass die Decodierung erfolgreich abgeschlossen war. Noch vor einigen Monaten hätten selbst alle Computer der Erde zusammen diesen Algorithmus, mit dem Morels Übertragung verschlüsselt gewesen war, nicht lösen können und jetzt reichten wenige Augenblicke und die Washingtoner Botschaft hatte den gesamten Inhalt dechiffriert. Sorgsam achtete er darauf, dass die Kenntnis von dieser Möglichkeit so geheim wie möglich blieb, auch wenn dies bedeutete, dass die Nutzung der gewonnenen Informationen manchmal etwas problematisch war.
Schnell überflog Sandoval die Nachricht und lehnte sich überrascht in seinem Stuhl zurück. Wie zum Teufel kam Stella Morel, Doktor der Ethnologie, an einen SIA der Klasse 4? Unterstützt von seinem CVI ging er in Windeseile verschiedene Möglichkeiten durch, die ihm einfielen, doch er erhielt keinen Hinweis, der ihm half, dieses Rätsel auf der Stelle zu lösen. Nun, das war ärgerlich, doch nicht wirklich problematisch. Er würde es herausfinden - bald. Wichtiger war, dass die über den SIA gewonnenen Informationen Morel dazu gebracht hatten, den Kontakt mit Carol Rapp abzubrechen, denn Sandoval hatte das sichere Gefühl, dass seine Intervention nicht den gewünschten Effekt gehabt hätte. Er konnte es beim besten Willen nicht brauchen, dass Morel Informationen über die Rettungsaktion an eine Taelongegnerin weitergab, wenn er bereits genug gegen seine bald ehemalige Kollegin in der Hand hatte.
Sandoval überlegte kurz, ob er noch alle weiteren Transmissionen überfliegen sollte, die heute innerhalb des virtuellen Glasschildes und aus ihm heraus geführt worden waren, doch er entschied sich, dass das seine Mitarbeiter tun konnten, auch wenn sie um ein xfaches langsamer waren als er. Selbst als Implantant brauchte er noch ein paar Stunden Schlaf. So beschränkte er sich darauf, nur die verdächtigen Personen zu überprüfen. Sehr zu seinem Ärger wurde er fündig. Elaine Lober hatte Daten von Marquettes Global heruntergeladen. Geheime Daten und diese bereits auch schon an eine nicht zu verfolgende Adresse weitergeleitet. Verdammt! Er würde Marquette sagen müssen, dass sie ihre Daten besser sichern musste - und dabei noch jemandem preis geben müssen, welche Möglichkeiten die Taelontechnologie bot.
Es bestand allerdings auch die Möglichkeit, dass sie die Daten bewusst weitergegeben hatte. Sandoval wog die Chancen ab, doch er entschied sich, davon auszugehen, dass Marquette nicht vorsätzlich gehandelt hatte. Die Wahrscheinlichkeit war gering, dass er zwei Verräterinnen in seinem engsten Umkreis hatte und derzeit war er vollauf mit der Überführung von einer beschäftigt. Er würde sich vorerst darauf beschränken Marquette genauer beobachten zu lassen. Als Pilotin bekam sie so gut wie keine interessanten Informationen und so war das Risiko, das er einging, gering. Zumal er nicht wirklich glaubte, dass Marquette eine Verräterin war. Sie war gradlinig und berechenbar, ein Soldat und kein Spion. Es passte nicht zu ihrem psychologischen Profil ein doppeltes Spiel zu spielen. Seine Menschenkenntnis hatte ihn bislang noch selten getäuscht. Stella Morel war ein guter Beleg dafür.
Für heute hatte er genug erreicht. Er überprüfte noch schnell, ob er eine wichtige Nachricht erhalten hatte und schaltete - als dies nicht der Fall war - den Computer aus. Die sechs Anrufe von seiner Frau ließ er unbeantwortet.

 
* * *
 

Die beiden Zwillinge sahen friedlich aus. Ein leichtes Medikament hatte sie in einen Art traumlosen Schlaf versetzt - ein Zustand, der notwendig war, denn jede Unruhe oder gar Angst erhöhte das Risiko, dass das Experiment fehlschlug. Erneut fehlschlug! Sa'el war sich nicht annähernd so sicher, dass es diesmal funktionieren würde, wie er es Da'an gegenüber vorgegeben hatte.

„Alles ist angeschlossen”, informierte ihn Stratton. „Wir können beginnen.”
„Gut. Ihre Aufgabe wird es diesmal sein, beim ersten Anzeichen von Problemen das Betäubungsmittel einzusetzen.”
Sein menschlicher Helfer nickte, aber er verzog leicht den Mund. Ein Zeichen dafür, dass er nicht zufrieden war. Warum nur? War diese Aufgabe seinem Rang nicht angemessen? Menschen im allgemeinen und dieses Exemplar im besonderen hatten hochkomplexe Vorstellungen, welche Tätigkeit und welches Verhalten ihrem Status entsprach. Sa'el spürte einen leichten Widerwillen in sich. Er arbeitete durchaus nicht ungerne mit fremden Spezies zusammen - das war der Grund, warum er hier war - doch der Umgang mit dieser hier war entsetzlich schwierig. Sie waren gleichzeitig einfältig und kompliziert, gleichzeitig abstoßend und spannend. Sa'el beschloss, die Befindlichkeiten des Menschen zu ignorieren. Jetzt war nicht die Zeit, darauf Rücksicht zu nehmen.

Statt dessen ging er zu den beiden Menschen, die eingeschlossen in einem Kokon aus virtuellem Glas da lagen. Die Hülle ließ seine Hände ungehindert passieren als er sie ausstreckt, um die Zwillinge an der Stirn zu berühren. Behutsam stellt er einen Kontakt her und vermittelte ihnen Gefühle von Ruhe, Geborgenheit und Vertrauen, die er mit Bildern von Taelons verband. Schnell spürte er, wie sie diese Gefühle positiv aufnahmen, ja geradezu begierig danach griffen. Ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Nähe verblüffte ihn, wie schon zuvor bei den anderen Versuchsobjekten. Er sendete einen kleinen Impuls Energie in ihre Körper, um einen leichten Kontakt halten zu können und zog dann seine Hände wieder zurück.

„Können wir?”, fragte Stratton ungeduldig, als Sa'el wieder zu ihm in den Überwachungsraum trat.
Es war offenkundig, dass dieser Mensch nicht die leiseste Vorstellung hatte, was hier tatsächlich passierte. Die vorgenommenen Veränderungen an der DNA der Versuchsobjekte schien ihm der wesentliche Teil des Experiments zu sein. Sa'el ließ ihn in diesem Glauben und nickte nur, während seine Hände über die Kontrollkonsole glitten. Er wandte seine ganze Konzentration auf, um den leichten Kontakt zu den beiden Menschen zu halten, und ließ dann vorsichtig Energie in die Kokons, in denen sie lagen, einströmen.
Er konnte beobachten, wie die Taelonenergie langsam in ihre Körper drang. Zunächst weitgehend unstrukturiert, doch bald bildeten sich Muster und die Energie konzentrierte sich auf den regelmäßigen Fluss in bestimmten Bahnen. Ein Prozess, der - wie Sa'el fand - wunderschön anzusehen war. Es war, als würde etwas zum Leben erweckt, dass zuvor bloße Materie gewesen war. Schließlich stoppte Sa'el den Energiezufluss.

„Hatten wir Erfolg? Ich glaube, das hat diesmal geklappt!” Aufgeregt wollte Stratton in den Nebenraum laufen, doch Sa'el hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. Die Energie hatte sich nun ganz mit den Körpern der Menschen verbunden. Im selben Augenblick, in dem diese Verbindung vollendet war, spürte Sa'el wie der zuvor nur rudimentäre mentale Kontakt eine neue Qualität erhielt. Es war so überwältigend, diese neuen Präsenzen im Gemeinwesen zu spüren, dass er unwillkürlich die Kontrolle über seine Fassade verlor. Doch sein Schild, mit dem er die beiden abschirmte und ihre Anwesenheit verschleierte, stand. Es war nicht ausgeschlossen, dass die Sensibleren und Erfahreneren seiner Artgenossen merkten, dass etwas vor sich ging, doch die Präsenzen der beiden Hybriden war zu schwach, als dass ein anderer Taelon hätte sagen können, was genau vor sich ging. Von dieser Seite drohte keine Gefahr, doch umgekehrt konnte er die Hybriden nicht gegen die Auswirkungen des Gemeinwesens abschirmen.

Die Reaktion kam augenblicklich. Die beiden versteiften sich. Das Mädchen begann heftig zu zittern und den Kopf hin und her zu werfen, ihre Hände ballten sich zu Fäusten und man sah wie sie ihre Zähne zusammenbiss. Ihr Bruder hingegen schlug wild um sich und attackierte mit unkontrollierten Energieentladungen den virtuellen Glaskokon.

„Verflucht! Nicht schon wieder!” Stratton stürzte zurück an seine Konsole und aktivierte den Zustrom des Betäubungsgases. Es dauerte trotz der enormen Dosis etwas bis die Wirkung eintrat. Langsam wurden die Bewegungen der Zwillinge fahriger, schwächer, bis sie schließlich abgesehen von einem leichten Zittern ruhig da lagen.

„Was ist denn nun schon wieder schief gegangen? Die Körper waren wirklich optimal auf die Aufnahme der Energie vorbereitet. Ich versteh das nicht!” Ohne ihn zu beachten stürmte Stratton in den Nebenraum und begann hastig die Daten und Anzeigen, die ihm die Geräte von dem körperlichen Status der Versuchsobjekte lieferten, zu überprüfen.
Sa'el folgte ihm und wartete geduldig, bis Stratton seine Analyse abgeschlossen hatte. Er erwog, ihm zu sagen, dass er aufgrund seines weit über das menschliche Spektrum hinausgehenden Sichtvermögens auch ohne die Hilfe von Geräten erkennen konnte, dass die Körper die Energie erfolgreich aufgenommen hatten. Aber er entschied sich dagegen. Je weniger die Menschen über ihre Fähigkeiten wussten, desto besser. In diesem Punkt stimmte er mit der Position der Synode überein.

Es dauerte einige Minuten bis sich Stratton umwandte. „Der Adaptionsprozess ist einwandfrei vonstatten gegangen”, berichtete er mit einer etwas hilflos wirkenden Geste. „Warum um alles in der Welt haben sie dennoch so reagiert? Was haben wir übersehen?”
In seinem fragenden Blick lag tiefe Verwirrung und Verunsicherung und das erste Mal, seit Sa'el den Menschen kannte, wusste dieser nicht, wie er mit einer Situation umgehen sollte. Vielleicht war dies ein Einfallstor für einen neuen Gedanken. Sa'el lächelte, um den Mann zu beruhigen, überließ es ihm jedoch selbst den nächsten Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis zu tun.

Langsam wandte sich Stratton wieder ab und ging tief in Gedanken zu den beiden Hybriden hinüber. „Die Reaktion trat später ein, so als hätte die verbesserte Vorbereitung tatsächlich etwas bewirkt.”
Sa'el signalisierte mit einer Handbewegung seine Zustimmung zu dieser These.
Den Blick wieder nachdenklich auf die Zwillinge gerichtet, fuhr der Mensch nach einer Weile fort: „Sie haben unterschiedlich reagiert. Der Junge eher so wie die vorigen Versuchsobjekte und das Mädchen war, nun, es war auch gewalttätig, aber gegen sich selbst gerichtet... Es ist, als wäre es weniger eine körperliche, als eine psychische Reaktion auf die Energie.”
„Das ist korrekt.”
Ungläubig starrte Stratton ihn an. „Sie wussten es?”
„Selbstverständlich”, bestätigte Sa'el mit einer Geste der Belustigung, die der Mensch allerdings nicht interpretieren konnte. „Die wichtigsten Veränderungen sind nie materieller Art. Sie müssen wissen, dass Taelonenergie eine gänzlich andere Qualität hat als andere Ihnen bekannte Energieformen.”
„Aber warum haben Sie mir das nicht gesagt?” Der Mensch klang überraschender- und erfreulicherweise nicht verärgert, sondern nur irritiert.
„Ihr Verständnis von Medizin und Genetik basiert auf grundlegend anderen Prämissen als das der Taelons. Es wäre unmöglich gewesen, es Ihnen zu erklären, da es nicht zu Ihrer Vorstellung von der Welt passt.”
„Aber es ist doch ganz einfach. Die Menschen reagieren je nach Psyche unterschiedlich auf Taelonenergie, auf jeden Fall jedoch mit Abwehr. Vielleicht wenn wir den Zufluss von Energie noch langsamer gestalten und die Dosierung verringern...”
„Nein, es ist ganz und gar nicht einfach. Das Verfahren des Energiezustroms ist optimiert und der Grad der Dosierung selbst ist irrelevant. Die körperlichen Veränderungen sind abgeschlossen und, wie Sie selbst gesehen haben, erfolgreich gewesen. Jetzt kommen wir in die zweite und wesentliche Phase der Hybridisierung: die der mentalen Anpassung.”
„Das Experiment ist also noch nicht gescheitert?”
„Nein. Wir müssen den Beiden etwas Zeit geben und hoffen, dass es ihnen gelingt mit ihrer neuen Situation mental umzugehen.”
Sa'el behielt für sich, dass er ihnen dabei würde helfen können. Er musste die Illusion des Menschen, gleichberechtigter Partner zu sein, ja nicht mutwillig zerstören, indem er ihm sagte, dass er selbst im Gegensatz zu ihm am Gelingen der wichtigsten Phase des Experiments einen Anteil haben würde.

 
* * *
 

Sandoval sah von der druckfrischen Ausgabe der Morgenzeitung auf, als Captain Marquette in sein provisorisches Büro trat.
„Sie wollten mich sprechen, Agent Sandoval?”
Er musterte Marquette einen Augenblick lang durchdringend. Nicht, weil er etwas zu erkennen versuchte, sondern weil er wusste, dass es eine verunsichernde Wirkung hatte. Dann nickte er bedächtig, bevor er - wieder einen langen Augenblick später - mit kalter Stimme seine Botschaft übermittelte.
„Captain Marquette, Sie habe Geheimnisse der Taelons verraten!”
Eine leichte Kontraktion ihrer Pupillen verriet ihr Erschrecken, doch ansonsten blieb die Frau ruhig.
„Was bringt Sie auf diese absurde Idee?”, fragte sie in einem lediglich leicht verärgerten Tonfall.
Eine bewundernswert unbeeindruckte Reaktion, selbst für eine Unschuldige.
„Mir stehen einige Möglichkeiten zur Verfügung, von denen Sie keine Ahnung haben.”
„So? Und die wären?” Der Tonfall der ehemaligen Soldatin war skeptisch, während ihr Blick den seinen scharf erwiderte. Dies zerstreute seine letzten Zweifel.
„Ich lasse alle Transmissionen, die im virtuellen Schutzschild geführt werden, überwachen. Natürlich sind die meisten davon verschlüsselt - mit Codes, die kein Computer knacken könnte. Für die Systeme der Taelonbotschaft stellen sie hingegen nicht das geringste Problem dar.” Marquettes Augen spiegelte ein gewisses Erstaunen wider und so fügte er erklärend hinzu: „Mathematik ist wohl das Feld, auf dem die Taelons den Menschen am weitesten überlegen sind.”
„Tatsächlich? Und was hat das jetzt damit zu tun, dass ich Geheimnisse verraten haben soll?”
„Von Ihrem Global wurden die Daten heruntergeladen, die Ihnen La'ron gegeben hat.”
„Und von wem?”
Er ging zu seinem Computer und ließ das Bild und die Akte von Lorber erscheinen.
„Elaine Lorber. Sie wird sich Ihnen als Journalistin vorgestellt haben, tatsächlich ist sie jedoch eine Art Privatdetektivin.”
Marquette trat neben ihn und betrachtete eingehend die Informationen.
„Wie hat sie das gemacht?”
„Es ist wirklich kein Problem, Daten von einem Global zu laden, wenn man über gewisse Kenntnisse verfügt. Ein solches Wissen ist zwar nicht weit verbreitet, aber es gehört zu den normalen Fertigkeiten von Lorbers Berufsstand.”
„Und jetzt?”, fragte die Pilotin und ihre Stimme barg eine Spur Aufregung. „Hat sie die Daten schon weiter geschickt? Können wir noch etwas tun?”
Mit einem Seufzer schaltete Sandoval den Monitor aus. „Bedauerlicherweise sind die Daten bereits an eine unbekannte Adresse gesendet worden, so dass es in diesem Fall nichts mehr gibt, was wir tun könnten. Für die Zukunft werden Sie sehr viel vorsichtiger mit vertraulichen Daten umgehen müssen.”
„Da haben Sie recht. Was geschieht nun mit Elaine Lorber?”
„Vorerst nichts. Ich werde Sie beschatten lassen, um herauszufinden, wer ihr Auftraggeber ist. Generell wird es jedoch schwierig, sie hierfür zur Rechenschaft zu ziehen. Ihre Kunden sind zu mächtig und sie weiß zuviel über diese, als dass sie von ihnen nicht geschützt werden würde. Diese Frau ist keine kleine Schnüfflerin. Daher lautet mein wohlgemeinter Rat an Sie: Gehen Sie ihr aus dem Weg, sie ist gefährlich.”
„Herzlichen Dank”, antwortete Marquette und wandte sich zum Gehen.
Sandoval wartete bis sie schon fast bei der Tür war, bevor er sie effektvoll aufhielt.
„Ich werde Da'an über diesen Vorfall berichten müssen.”
Die Frau drehte sich abrupt um und mustere ihn scharf.
„Ich habe nichts anderes erwartet.”
„Sie brauchen sich deswegen jedoch nicht zu beunruhigen. Ich werde mich für Sie verwenden.”
Sandoval wartete auf ein Wort des Dankes, doch alles, was er erhielt, war ein Nicken. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sie ohne die Gewissheit, dass sie sein Wohlwollen anerkannte, mit einer letzten Ermahnung zu entlassen:
”Sie werden mit absolut niemandem über die Entschlüsselungsmöglichkeiten der Taelons reden.”
„Selbstverständlich.”

Nachdem Marquette gegangen war, setzte sich Sandoval wieder vor seinen Computer und begann Berichte durchzusehen. Eine der mit Abstand lästigsten seiner Aufgaben. Leider auch eine der wichtigsten. Informationen waren in seinem Beruf alles und man konnte nie wissen, was einmal relevant werden würde. Glücklicherweise war diese Arbeit mit dem Erhalt seines CVI deutlich einfacher geworden. Aufgrund der perfekten Erinnerung reichte es, alles flüchtig zu überfliegen. Doch das war nicht das Wesentliche. An seiner Auffassungsgabe hatte sich qualitativ etwas verändert. Schwierige Texte, teilweise Fachliteratur, über denen er früher ewig gebrütet hatte, bis er den Inhalt erfasste, erschlossen sich ihm nun in ebenso rasanter Geschwindigkeit wie banale Zeitungsartikel.

Da'an hatte ihn aufmerksam und mit einem sanften Lächeln angesehen, als er ihm wenige Wochen, nach dem er das CVI erhalten hatte, spät abends die Frage gestellt hatte, wie dies zustande kam. Er hatte den Eindruck, dass Da'an erfreut darüber war, dass er sich damit auseinander setzte.
„Das menschliche Gehirn ist im Grunde nicht dazu geschaffen, logischen Verknüpfungen zu folgen,” begann Da'an mit seiner weichen Stimme seine Erklärung. „Es funktioniert vielmehr assoziativ. Eine neue Sachlage wird mit bekannten Erfahrungen verglichen und auf dieser Grundlage bewertet. Alles was neu ist, wird folglich nur schwer verarbeitet.”
„Und das CVI verändert das?”
„Nein, nicht grundlegend. Zwar steigert Ihr CVI aufgrund der perfekten Erinnerung Ihre Fähigkeiten komplexen Wenn-dann-Ketten zu folgen, doch die wesentliche Leistung des CVIs besteht darin, die Nervenzellen Ihres Gehirns stärker miteinander zu vernetzen und so nicht nur den bewussten Zugang zu Informationen, sondern auch den unbewussten zu verbessern, so dass Ihre Assoziationsfähigkeit gesteigert ist.”
„Und dies allein bewirkt, dass ich nun eine so viel bessere Auffassungsgabe habe?”
Da'an legte den Kopf schief und sah ihn mit einem musternden Blick aus den Augenwinkeln heraus an, so als würde er abwägen, wie viel er ihm sagen sollte. „Nein, nicht allein,” fuhr er schließlich fort, „gleichzeitig gibt Ihnen das CVI die Fähigkeit in gewissen Grenzen auf Taelonwissen zuzugreifen.”
Sandoval spürte eine Welle der Erregung über sich schwappen.
„Ich habe Zugang zu Taelonwissen? Über das CVI?”
„Ja.” Es schien ihm, als würde Da'ans Handbewegung Belustigung ausdrücken.
„Doch warum erkenne ich das nicht?”
„Dieser Zugang ist nicht direkt, sondern lediglich unbewusst. So wie Sie Ihren Skrill nicht bewusst steuern müssen, so ist Ihnen auch dieses Wissen nicht bewusst zugänglich. Es wird bei der Behandlung eines Problems lediglich zurate gezogen, so dass Ihnen die Lösung leichter fällt.”

Sandoval kehrte in die Gegenwart zurück. Es war ein schöner Moment gewesen. Einer in dem er Da'an wirklich nahe war und von ihm wirklich wahrgenommen wurde. Es gab zu wenige von diesen Momenten. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Da'an ihm auswich und sich lieber mit Stella Morel unterhielt als mit ihm.
Ärgerlich gab er es auf, die Texte wirklich zu lesen. Er konnte sich nicht konzentrieren und verlegte sich statt dessen darauf sie einfach nur anzuschauen. Da'an war heute morgen sehr früh in die Botschaft zurückgeflogen und er hatte noch keine Gelegenheit dazu gehabt mit ihm über Stella Morel zu sprechen - etwas was für ihn momentan oberste Priorität hatte. Sie bedrohte die Interessen der Taelons, und darüber hinaus and er es höchste Zeit, dass er sie los wurde.

Diese Ungeduld verstärkte sich noch, als es klopfte und das Objekt seines Unmuts eintrat. Wie gewöhnlich fiel die Frau mit der Tür ins Haus - etwas, was er im Grunde schätzte, doch bei ihr empfand er es als Respektlosigkeit.
„Ich habe gerade einen Anruf des Pressesprechers von Thomas Brown, einem potentiellen Gouverneurskandidaten der Demokraten, erhalten. Brown will Silent Falls besuchen, weil seine Frau hier Patenkinder hat. Die beiden heißen Belle und Steve Hartley.”
Sandoval konsultierte sein CVI. „Die beiden gehören zu den mittelschweren Fällen, es dürfte also keine Probleme damit geben.”
„Gut, denn ich nehme an, er plant einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt, der ihm helfen soll, tatsächlich als Kandidat nominiert zu werden. Ich werde zusehen, dass auch Da'an von der Wirkung profitiert. Ich schlage vor, Sie kümmern sich darum, dass die Kinder bevorzugt behandelt werden und ich verhandle mit Browns Mitarbeitern.” Damit drehte sich Morel um und ging.

Vor Wut biss er die Zähne zusammen. Schon wieder hatte sie die Vorgehensweise festgelegt, und ihm Arbeitsaufträge erteilt. Sie hatte die Fähigkeit ihn ins Abseits zu manövrieren, ohne dass er sich dagegen wehren konnte.

Er entschied sich, zum Lazarett zu gehen und die Sache nicht via Global zu klären. Ein Spaziergang würde seine Nerven beruhigen. Wie hieß es so schön? Rache ist ein Gericht, dass man kalt genießen sollte...

 

Ende von Kapitel 4

 

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