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  „Hinter den Masken” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Winter 2000/2001
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Gerade erst in Silent Falls angekommen, müssen Menschen wie Taelons feststellen, dass mit ihren Vorhaben nicht alles wie erhofft läuft.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde
Charaktere:  Stella Morel, Da'an (Lili Marquette, Elaine Lorber, Sa'el, Frank Stratton, Margret Attwood, Ronald Sandoval)
 

 

HINTER DEN MASKEN

Kapitel 3

 

Die kleine Stadt sah friedlich aus mit seinen in der Abendsonne glitzernden Dächern. Alles schien in bester Ordnung zu sein, wenn man davon absah, dass sich niemand in den Straßen befand. Stella sah neugierig nach unten, während Lili das Shuttle über die Stadt fliegen ließ, bis schließlich etwas außerhalb der Ortschaft der Hotelkomplex auftauchte, in dem sie residieren würden. Man konnte von Glück sagen, dass Silent Falls ein solches Kongresszentrum besaß, denn sonst wäre es weit schwieriger geworden, eine Unterbringung für all die zu ermöglichen, die die Rettungsaktion ins Krisengebiet gelockt hatte.
Kurz darauf passierte das kleine Shuttle mit seinen vier Besatzungsmitgliedern den Schild aus virtuellem Glas, den die Taelons über dem Gelände errichtet hatten und der notwendig war, um die darin befindlichen Menschen vor der Radioaktivität zu schützen. Vorsichtig landete Marquette auf der Hubschrauberlandefläche auf dem Dach des Gebäudes und öffnete, nachdem sie die Steuerungskontrollen hatte verschwinden lassen, mit einer Handbewegung das Shuttle.
Ein überaus akkurat gekleideter Mann kam ihnen entgegen.
„Es freut mich sehr, Sie hier begrüßen zu dürfen, Da'an.”
Die Verneigung des Hotelchefs hätte nicht respektvoller ausfallen können. Es war selbstverständlich nicht der übliche Leiter dieses Etablissements, genauso wenig, wie die Belegschaft die war, die noch vor einer Woche hier ihren Dienst getan hatte. Alle diese Menschen waren hochgradig verstrahlt und entweder tot oder in medizinischer Behandlung und daher hatte die Hotelkette andere Mitarbeiter entsenden müssen - selbstverständlich unter Zahlung einer hohen Risikozulage.
Dank der Stationierung etlicher Freiwilliger waren keine Journalisten in das oberste Stockwerk, in dem sie residieren würden, vorgedrungen und sie konnten bequem ihre Quartiere beziehen. Stella wunderte sich, als sie ihr Zimmer betrat, was das heimisch machen in einer fremden Umgebung wohl für Da'an bedeutete und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie wenig sie über den Außerirdischen wusste. Sie seufze und ließ sich erschöpft rücklings auf ihr Bett fallen. Ihre Gedanken glitten zu einem ihrer Lieblingsthemen
Was bedeutete es, ein Taelon zu sein? Wie waren diese Wesen, die so menschlich aussahen und sich so menschlich verhielten, in Wirklichkeit? In all den Monaten, die sie jetzt für Da'an arbeitete, war sie einer Antwort auf diese Frage kaum näher gekommen. Es schien ihr, als würde sie sich auf eine Fata Morgana zu bewegen, die kaum, dass sie einen Schritt auf sie zutat, einen Schritt zurücktrat.
Warum gab Da'an so wenig preis von seiner Spezies? Die Taelons waren, obwohl freundlich und wohlmeinend, äußerst distanziert. Was verbargen sie so sorgsam? Warum waren sie zur Erde gekommen, wenn sie keinen Austausch wollten? Stella war nicht so naiv zu glauben, dass es reine Wohltätigkeit war. Auf der anderen Seite war sie auch nicht so naiv zu glauben, dass eine fremde Spezies aus dem All nicht vielleicht tatsächlich aufgrund rein altruistischer Motive handelte. Es gab keinen Grund ihnen eine ähnliche Motivation für ihr Handeln zuzuschreiben, wie sie die überwiegende Mehrheit der sogenannten westlichen Kultur antrieb.
Und schließlich gab es Grund genug für ein Eingreifen von außen. Es stand nicht gut um die Menschheit, soviel war klar. Sie waren nahe an der Zerstörung der Erde und an ihrer eigenen Vergiftung. Hatte dies die Taelons zum Kommen bewegt? Hatten sie vielleicht seit langem die Entwicklung der Menschheit verfolgt? Was, wenn manche der Berichte von Entführungen durch Aliens, wie sie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts populär gewesen waren, tatsächlich den Tatsachen entsprachen?
Das Piepsen ihres Globals unterbrach ihre Gedanken. Schnell setzte sie sich auf und fuhr ordnend durch ihre Haare, bevor sie in ihrer Tasche nach dem kleinen Gerät angelte.
„Elaine! Was gibt es?”
„Nichts besonderes, ich wollte dich nur vorwarnen, damit du nicht vor Schreck umfällst, wenn du mich hier im Hotel siehst.”
„Was? Du bist hier im Hotel? Warum?”
„Wir sehen uns an der Bar beim Swimmingpool”, lautete die einzige Antwort, die sie erhielt, bevor die Verbindung gekappt wurde.
„Oh Mann!” Stella war sich nicht sicher, ob sie sich über Elaines Anwesenheit freute. Nein, wenn sie es genau bedachte, war sie alles andere als erfreut. Elaine war aufgrund eines Auftrages hier und das konnte nur Ärger bedeuten. Sie schätzte die Hilfe, die ihre Freundin ihr in vielen Situationen bot, und sie gab diese wirklich gerne zurück, jedoch nicht, wenn Da'an und Sandoval so nahe waren. Mit einem Seufzer warf sie das Global zurück in ihre Tasche und ging ins Bad, um ihr Make-up zu erneuern.

Wenig später spazierte sie am Pool entlang auf die Bar zu. Elaine stand etwas abseits mit einem Glas Weißwein in der Hand. Stella beachtete sie nicht und steuerte direkt auf den mittleren einiger freier Barhocker zu. Sie hoffte, dass Elaine schnell genug war, um zu verhindern, dass sie als Frau ohne Begleitung von unwillkommenen Männern angequatscht wurde. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Kaum hatte sie sich gesetzt, kam auch schon ein mehr oder weniger wohl geratenes Exemplar dieses Geschlechts auf sie zu und bot ihr mit Worten etwas zu trinken und mit den Augen Sex an.
„Ich bin mir sicher, die Dame verzichtet dankend auf Ihre Gesellschaft”, ertönte die klare Stimme von Elaine und Stella war höchst dankbar, denn im Gegensatz zu ihr selbst schaffte ihre Freundin es, derartige Störenfriede mit einem einzigen Blick zu vertreiben. Sie selbst brauchte dank ihres zierlichen Aussehens immer etwas länger, um diese von ihrer Biestigkeit zu überzeugen.
Stella lächelte sie an. „Herzlichen Dank!”
„Gern geschehen. Darf ich mich setzen?”
„Dieser Abschaum hängt schon die ganze Zeit hier herum”, erklang - bevor Stella etwas erwidern konnte - von hinten eine weibliche Stimme. Die Bedienung hinter der Bar wischte mit energischen Bewegungen den Tresen ab, so als würde dies ihren Unwillen mildern können. Die Frau war schlank und groß und hatte kurze, schwarzgefärbte Haare. Sie nickte Elaine kurz zu, als diese sich setzte. Stella lächelte und bestellte mit einem Augenaufschlag eine Pina Colada. Der Blick der Frau, der länger als üblich den ihren traf, bestätigte ihre Vermutung. Die Frau war lesbisch. Stella hatte ihren Haarschnitt und ihre Kleidung richtig decodiert, auch wenn sie sicher war, dass weder Elaine noch der Rest der hier anwesenden Personen das bemerkt hatten. Sie kannte den Stil von der Uni. Vielleicht wurde dieser Aufenthalt noch interessanter als sie dachte.

„Wie geht es deinem außerirdischen Chef?”, fragte Elaine, als sie wieder allein waren.
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung”, antwortete Stella wahrheitsgemäß, auch wenn sie wusste, dass es wie eine Abfuhr klang. Eine kurze Pause entstand.
„Du bist nicht sehr erfreut, dass ich hier bin, nicht, Stella?”
„Nein, nicht wirklich.”
„Als nächstes sagst du mir, dass ich keinen Ärger machen soll.”
Stella antwortete nicht, sondern ließ den Blick über den Swimmingpool und den angrenzenden Bereich schweifen. Unglaublich, wie sorglos die Leute hier ihren Vergnügungen nachgingen, wo doch nur wenige Meter weiter Menschen litten und starben.
„Stella, du bist mir ein paar Gefallen schuldig.” Elaines Stimme klang etwas ungeduldig und hatte einen leicht drohenden Unterton angenommen, doch Stella gab vor das nicht zu registrieren. Freundschaft hin oder her, sie war in der besseren Position und würde das ausnützen, selbst wenn Elaine das im Gegenzug nicht tun würde.
So kam es ihr gerade recht, als Lili Marquette das Feld betrat. Sie winkte sie herüber und lobte ihren Cocktail, als diese fragte, ob man ihn trinken könne. Sie überließ ihn ihr und verabschiedete sich, nicht ohne zu bemerken wie interessiert die Barfrau die Pilotin betrachtete.
In der Tat, dieser Aufenthalt versprach spannend zu werden. Die Reaktion der steifen Marquette auf die Avancen einer Lesbe, wären sicher amüsant zu beobachten.

 
* * *
 

„Haben Sie etwas aus Morel heraus bekommen?” Lili nippte unwillig an dem Cocktail, sie hasste dieses Zeug.
„Nein, leider nicht.”
„Na, warum sollte sie auch einer Fremden irgendetwas Interessantes erzählen?”, fragte Lili rhetorisch, während sie der Barfrau winkte und auf Elaines Weißwein zeigte.
„So fremd sind Stella und ich uns gar nicht. Wir waren gemeinsam auf der Uni.”
„Tatsächlich?”
„Leider verbessert das derzeit nicht unsere Informationslage. Meine liebe, alte Freundin ist zugeknöpfter als ich dachte. Ich wüsste zu gerne, warum.”
„Und ich wüsste zu gerne, was sie, Sandoval und Da'an heute morgen vor dem Abflug drei Stunden lang besprochen haben.”
Frustriert starrten die beiden Frauen vor sich hin, nicht ohne sorgsam jeden Blickkontakt mit den anwesenden Männern zu vermeiden, der diese ohne Zweifel sofort angelockt hätte.
„Was jetzt?”, fragte Lili nach einer Weile.
„Das, was man in so einer Situation immer tut: Man klappert die langweiligen Routinequellen ab. Für mich heißt das, dass ich zu der Pressekonferenz, die Da'an nachher geben wird, gehen werde.” - *Und danach werde ich jemandem einen kleinen Besuch abstatten*, fügte sie in Gedanken hinzu.
Lili zuckte mit den Schultern. „Dann werde ich mich eben mal wieder zur Shuttlestaffel begeben. Vielleicht ist La'ron ja jetzt etwas mitteilsamer.”

 
* * *
 

Frank Stratton war definitiv nicht begeistert, als Stella das provisorische Labor betrat. Doch sie ignorierte das und lächelte ihn freundlich an.
„Wie schön dich zu sehen. Gibt es interessante Neuigkeiten?”
„Die Freude ist ganz auf deiner Seite. Nein, es gibt nichts Neues. Hast du meinen Bericht nicht gelesen?”
„Doch sicher, aber mittlerweile müsstest du doch etwas besser darüber informiert sein, was unsere außerirdischen Freunde genau machen werden.”
„Da irrst du dich.” Frank wendete sich von ihr ab und machte sich an einigen Laborgläsern zu schaffen. Stella hatte das sichere Gefühl, dass er log.
„Tatsächlich? Sollte ich dich daran erinnern, dass du es mir verdankst, dass du deinen Job noch hast?”
Frank ließ ein verächtliches Schnauben verlauten. „Der ist nicht mehr viel wert!”
„Wie meinst du das?”
„Da!”
Sie folgte dem Wink seines Armes mit den Augen und sah in einem anderen Teil des Labors, abgetrennt durch eine Scheibe virtuellen Glases, eine Frau arbeiten. Fragend hob sie die Augenbrauen. „Und...?”
„Frisch von der Uni in Boston eingetroffen und gleich der Liebling.”
Aha, so war das also, jemand drohte dem großen Dr. Stratton den Rang abzulaufen. Stella wollte ihm eben eine wenig feinfühlig Antwort geben, da trat Sa'el in das Labor und sah zu ihr herüber. So ließ sie den Mann stehen und ging zu dem Taelon.
„Sinaui Euhura, Dr. Morel. Ich bin sehr erfreut, Sie zu sehen.”
Stella formte ebenfalls die Grußgeste und lächelte. „Sinaui Euhura, Sa'el. Wie geht es Ihnen? Kommen Sie mit Ihrer Arbeit gut voran?”
„Ja, danke der Nachfrage. Darf ich Ihnen eine meiner Mitarbeiterinnen vorstellen?” Sa'el nickte der Frau zu, die daraufhin zu ihnen trat. „Dies ist Dr. Belman. Sie ist aus dem Bostoner Forschungslabor zu uns gestoßen.”
„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Dr. Belman. Mein Name ist Stella Morel.”
„Ja, ich weiß. Wir werden wohl in Zukunft des öfteren miteinander zu tun haben.”
„Das hoffe ich.” Stella war die Frau augenblicklich sympathisch. Sie wirkte herzlich, aber ebenfalls durchsetzungsstark und ihre Augen offenbarten Intelligenz. Vielleicht war sie ja, wenn sie die entsprechende Einstellung zu den Taelons hatte, ein möglicher Zugewinn für das Projekt. Vor allem wenn Frank ausfallen sollte, wäre das sehr nützlich. Stella nickte der Frau freundlich zu und folgte Sa'el, der sie in sein Büro führte.

„Ich muss mich bei Ihnen bedanken, Dr. Morel,” wandte sich der Taelon nun an sie, „seit Ihrer Intervention hatte ich es keine Probleme mehr mit Dr. Stratton. Da'an kann froh sein, Sie zu haben. Bitte verraten Sie mir, wie Sie das hinbekommen haben.”
Stella seufzte innerlich auf. Sie hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde und sich eine Antwort parat gelegt, die möglichst nahe bei der Wahrheit lag.
„Nun, ich habe ein ernstes Gespräch mit ihm geführt und ihn über sein Verhalten Ihnen gegenüber befragt. Zunächst hat er es weit von sich gewiesen, dass er sich unangemessen verhalten hatte. Erst als ich ihm klar machte, dass seine Arbeit mit Ihnen gefährdet war, war er bereit sich näher damit zu befassen. Nun, kurz und gut, obwohl Sie sich wie alle Taelons die Mühe machen, die männlich Geschlechterrolle zu kopieren, hat Dr. Stratton Sie unbewusst als weiblich angesehen und entsprechend behandelt.”
Es dauerte einen Moment, bis Sa'el diese Information überdacht hatte.
„Sie meinen, er hat meine Autorität nicht anerkannt, weil er mich als weiblich ansah?”
„Korrekt.”
Sa'el machte eine Geste, die, wie Stella mittlerweile wusste, Irritation ausdrückte.
„Aber mir ist bislang nicht aufgefallen, dass Dr. Stratton Mitglieder Ihres Geschlechts nicht schätzt. Im Gegenteil, er bemühte sich sehr darum, Wissenschaftlerinnen in unsere Arbeitsgruppe zu holen und sprach sich sehr anerkennend über ihre Qualifikation aus.”
„Dr. Stratton ist keinesfalls so konservativ, dass er die Leistungen von Frauen nicht anerkennt. Er hat nur eine unbewusste Abneigung dagegen, wenn sie in einer Hierarchie über ihm angesiedelt sind. Als Kolleginnen oder Untergebene kann er sie und ihre Arbeit durchaus schätzen. Doch wie gesagt, dieses Verhalten war unbewusst. Jetzt da es ihm bewusst ist, möchte er sein Verhalten ändern.”
„Das freut mich zu hören”, meinte Sa'el mit einem Lächeln. „Bitte verzeihen Sie mir eine persönliche Frage: Stört es Sie denn nicht, wenn ihre Leistungen nicht anerkannt werden, weil sie dem weiblichen Geschlecht angehören?”
Stella lachte. „Doch, natürlich stört es mich, aber das ändert die Tatsachen nicht, oder?”
„Nein, das nicht. Aber sind Sie nicht... wütend? Menschen neigen dazu auf Zurücksetzung mit Aggressivität zu reagieren.”
„Aber nein,” antwortete Stella beschwichtigend, „aggressiv zu reagieren ist völlig nutzlos, ich versuche statt dessen durch meine Leistungen zu überzeugen. Dies halte ich für die bessere Strategie.”
Oh Gott, warum log sie nur so schamlos? Sie wusste: Sie konnte leisten so viel sie wollte, wenn ein Mann das nicht anerkennen wollte, dann würde er es nicht tun. Und selbst wenn er es tat, dann würde er ihr deswegen noch lange keine wichtige Position geben. Doch was sollte sie sonst sagen? Dass sie sich mit Tricks durchmogelte? Das wäre nicht eben klug, denn es würde den Taelon dazu bringen, ihr Verhalten in Zukunft misstrauisch zu beäugen. Und sie wollte ihm auch nicht erzählen, dass sie tatsächlich manchmal so wütend über die herablassende Behandlung vieler Männer war, dass sie ihnen am liebsten ein Messer in den Bauch rammen würde. Eines der wenigen Dinge, die sie über Taelons gelernt hatte, war, dass sie negativ auf aggressives Verhalten reagierten. Sie vermied ein solches daher konsequent und war gerade deswegen so erfolgreich. Beispielsweise verhielt sie sich umso freundlicher und diskussionsbereiter, je härter Sandoval sie attackierte und hatte so fast zwangsläufig Da'an auf ihrer Seite. Auch wenn das nicht immer bedeutete, dass er ihr in jeder Sache recht gab, so fanden doch ihre Argumente stets ein offeneres Ohr als die Sandovals. Was, so gestand sie sich unumwunden ein, eine überaus angenehme Abwechslung zu ihren bisherigen beruflichen Erfahrungen darstellte. Sa'els Antwort überraschte sie daher nicht im mindesten.
„Das ist sehr weise von Ihnen”, meinte er, indem er sie aufmerksam betrachtete und sie meinte in seinem Blick Zufriedenheit über ihre Einstellung zu erkennen. „Ich danke Ihnen für Ihre Erklärung. Wie Sie richtig bemerkten, versuchen wir Taelons das Verhalten des dominanten männlichen Geschlechts zu adaptieren. Scheinbar war mein Versuch unzureichend erfolgreich. Ich werde es ändern.”
Stella nickte lächelnd „Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg, Sa'el”, antwortete sie und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie seine Aussage amüsierte. Die Vorstellung gefiel ihr, dass ein Taelon einfach so von einem typisch weiblichen Verhalten in ein typisch männliches wechseln konnte, während einem Menschen das wenn überhaupt erst nach jahrelangem Üben gelang. Vielleicht, dachte sie halb belustigt, halb ernst, sollte sie sich vornehmen, jeden Morgen und Abend vor dem Zähneputzen zehn Mal laut: ‚Taelons sind keine Menschen!’ aufzusagen.
Stella hätte das Gespräch gerne noch fortgesetzt, denn Sa'el war von allen Taelons, die sie kennen gelernt hatte, der bei weitem unterhaltsamste, doch leider ließ ihr Terminplan das nicht zu.
„Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden,” bat sie daher Sa'el, „Da'an erwartet mich zur Pressekonferenz zurück.”

Stella war kaum aus dem Gebäude getreten, da machte sich ihr Global bemerkbar. Als sie feststellte, dass es Margret war, entfernte sie sich ein paar Schritte und öffnete es.
„Stella, gut, dass ich dich erreiche. Ich habe etwas sehr Wichtiges zu berichten. Kann ich sprechen?”
„Moment.” Stella sah sich um und ging dann noch ein Stück in den Park des Hotels hinein. Er war weitgehend leer, alle bereiteten sich auf die Pressekonferenz vor.
„Du kannst sprechen, Margret”, meinte Stella schließlich und registrierte, dass ihre Doktormutter ungewöhnlich müde und erschöpft wirkte. Man sah ihr das Alter an, selbst auf dem kleinen Bildschirm des Globals.
„Ich habe schlechte Nachrichten. Vor gut einer Woche muss es in einem Taelonlabor in Boston zu einem Zwischenfall gekommen sein. Hast du davon gehört?”
„Ja, es hieß, es wäre ein Unfall gewesen. Mehr weiß ich nicht.”
„Nun, es war keineswegs ein Unfall. Es war ein Anschlag. Jemand hat versucht, das Labor in die Luft zu sprengen und...”, die Professorin machte eine kleine Pause, als müsste sie sich erst sammeln, bevor sie weitersprechen konnte, ”verübt haben diesen Anschlag unter anderen Wolf und Cockburn vom Bostoner Ableger unseres Projektes.”
„Nein!”, rief Stella unabsichtlich laut.
„Leider doch.”
Stella sah sich hektisch um und ging noch einen Schritt tiefer in den Schatten des Baumes unter dem sie stand.
„Woher weißt du das? Rosenberg?”
„Ja, wir haben uns vorgestern auf einem Kongress gesehen. Er erzählte mir, dass Wolf und Cockburn kurz nach dem Anschlag verschwanden. Er dachte sich nichts dabei, da es öfters vorkommt, dass sie einige Tage zu Hause arbeiten. Doch dann erhielt er plötzlich Besuch von deinem Kollegen, Agent Sandoval.”
„Oh nein!” Diesmal gelang es Stella, das nur leise zu stöhnen.
„Er hat Prof. Rosenberg nach Wolf und Cockburn gefragt und ihn dann mit deren Aussagen über unser Projekt konfrontiert. Sie haben alles gesagt, was sie wussten und dass Prof. Rosenberg ihr Kontakt war.”
„Mein Gott! Und? Was hat Rosenberg gesagt?”
„Nichts. Er hat das Ganze als absurde Verleumdung abgetan und Sandoval dann hinausgeworfen.”
Trotz des Ernstes der Situation musste Stella schadenfroh grinsen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie sich der alte Prof. Dr. Samuel Rosenberg zu seiner vollen Größe von 1 Meter 90 aufrichtete und Sandoval mit der ganzen Autorität eines Professors der alten Schule zum Gehen aufforderte. Rosenberg stammte aus altem deutsch-jüdischem Groß- und Bildungsbürgertum. Menschen wie er sogen das Selbstbewusstsein ihres Standes mit der Muttermilch ein. Ein kleiner amerikanischer Mischling mit vorwiegend philippinischer Abstammung hatte dem bei aller Intelligenz und allem Stolz auf das Erreichte an Status wenig entgegenzusetzen.
„Und dann hat er ihn in Ruhe gelassen?”, fragte Stella ungläubig.
„Ja, er hat ja nichts in der Hand außer den Aussagen von Wolf und Cockburn und auch das FBI legt sich nur ungern mit jemandem an, der in der science community so angesehen ist wie Rosenberg, ganz zu schweigen von seinen sonstigen Beziehungen.”
„Aber er wird ihn beschatten lassen.” Stella war sich sicher, dass Rosenberg vor allem deswegen keine weiteren ‚Besuche’ erhalten hatte, weil Sandoval hoffte, dass er über ihn an weitere Mitglieder des Projekts herankommen würde. „Bist du sicher, dass euer Gespräch nicht belauscht wurde?”
„Ja, ziemlich. Die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Kongress waren vorbildlich und zudem trug ich wie üblich einen Störsender.”
Stella beließ es dabei, auch wenn ihr nicht wohl bei der Sache war. Das Margret einen Störsender trug, machte sie zwar nicht direkt verdächtig, da ihr Institut viel für die Regierung arbeitete, aber es ließ sie auf jeden Fall in den Kreis der möglichen Verdächtigen rücken. Schließlich war es Rosenbergs Beschattern sicher nicht entgangen, dass sie den Inhalt des Gespräches nicht mitbekommen hatten. Außerdem waren Margrets Kontakte zu ihr selbst Sandoval wohl bekannt und er wäre sicher mehr als begeistert, ihr irgend etwas anhängen zu können.
„Gut, Margret. Ich danke dir für diese Informationen. Wir sollten uns nicht mehr über Global verständigen.”
„Ja, du hast recht. Wir sehen uns, wenn du wieder in Washington bist. Ich werde auch alle anderen Kontakte in Sachen des Projekts ruhen lassen und du solltest auf Stratton aufpassen.” Damit kappte Margret die Verbindung.
Stella sah sich unruhig um. Niemand war zu sehen und dennoch lief ihr ein Schauer über den Rücken. Was hatte diese zwei Idioten dazu gebracht, militant zu werden? Sie wollten die Taelons erforschen, in einem globalen Netzwerk von Wissenschaftlern alle Informationen, derer sie habhaft werden konnte, zusammentragen. Und jetzt gefährdeten schon nach wenigen Monaten die ersten Mitarbeiter das Projekt, indem sie meinten, gegen Aliens kämpfen zu müssen. Hatten die zu viele Computerspiele gespielt? Meinten sie, sie würden zu Weltenrettern emporsteigen, wenn sie Labore in die Luft sprengten? Und wo steckten sie jetzt? Zwei Wissenschaftler konnte man doch nicht einfach verschwinden lassen wie Obdachlose. Und mit wem hatten sie zusammengearbeitet? Cockburn war Mediziner und Wolf Psychologe, damit dürften sie kaum das nötige Know-how für einen Anschlag besitzen.
Langsam begann Stella zurück zum Hotel zu gehen. Die ganze Sache war beängstigend und zudem höchst ärgerlich. Sie hatte gehofft, Belman auf den Zahn fühlen zu können, um herauszufinden, ob sie eventuell für das Projekt taugte. Das konnte sie jetzt vergessen. Es war zu gefährlich. Plötzlich stockte sie in ihrem stillen Lamento. Hatte Frank nicht gesagt, dass Belman von der Bostoner Uni kam? Hatte das etwas zu bedeuten? Und was hatte Frank ihr verschwiegen?
Leider fehlte ihr jetzt die Zeit, um das herauszufinden. Stella setzte schnell ihr professionelles Gesicht auf, als sie das Hotel betrat und in Richtung des Konferenzraumes ging. Sie wünschte, es gäbe eine Pressekonferenz, auf der all ihre Fragen beantwortet würden. Aber so war das mit Pressekonferenzen, die wirklich interessanten Antworten erhielt man dort nie.

 
* * *
 

Es war bereits dunkel als Da'an, gefolgt von Agent Sandoval, vom Hotel zum Labor ging. Er fand es irritierend, dass dieser stets einige Schritte vor oder hinter ihm ging, doch er hütete sich etwas zu sagen. Es war in diesem Fall ein Zeichen von Respekt und Unterordnung ihm gegenüber und er war nicht in der Position diese Rituale in Frage stellen oder verändern zu dürfen. Als sie den Eingang erreichten, ging der Mensch schnell an ihm vorbei und öffnete ihm die Türe. Ob aus Höflichkeit einem Höherstehenden gegenüber oder weil er sich vergewissern wollte, dass von innen keine Gefahr drohte, konnte Da'an nicht mit Sicherheit sagen. Vermutlich war es eine Kombination aus beidem. Er tat so, als fände er dieses Verhalten selbstverständlich und trat ohne Sandoval weiter zu beachten in den Containerbau. Dieses Bauwerk war von den menschlichen Hilfswerken freundlicherweise und ohne zu ahnen, dass dies eher lästig war, aufgestellt worden. Um keinen Affront zu begehen, wurde er nun von ihnen genutzt und es war ihm lediglich ein kleiner Taelon-Anbau hinzugefügt worden.

Sa'el unterhielt sich gerade mit Dr. Stratton, doch er blickte sofort auf, als er sie hereinkommen sah und wandte sich ihm zu.
„Da'an, ich habe dich bereits erwartet”, begrüßte ihn der Wissenschaftler und ging ihm voran in den Taelonbereich des Labors, der den Vorteil bot, abhörsicher zu sein. Die beiden Menschen folgten ihnen.

„Wie gehen die Versuche voran”, fragte Da'an, nachdem sich der Eingang hinter ihnen geschlossen hatte und es war allen Anwesenden klar, dass er damit nicht die Rettungsaktion meinte.
„Gut, wir haben bereits einige vielversprechende Tests durchgeführt. Ich denke, dass ich bald weiß, auf welche Weise genau unsere Energie in den menschlichen Körper injiziert werden muss und wie dieser genau vorzubereiten ist. Die radioaktive Verstrahlung ist hierbei nur zum Teil hilfreich, es wäre besser, wenn ich die Bestrahlung von Anfang an, am weitgehend unveränderten Körper, kontrolliert einsetzen würde. Aber in Anbetracht der Umstände muss es auch so gehen.”
Da'an war von dieser Antwort ein wenig überrascht, denn er hatte Konkreteres erwartet. Die Art und Weise, wie Sa'el seinen Geist vor ihm verbarg, ließ ihn misstrauisch werden.
„Hattest du nicht für heute das erste positive Ergebnis angekündigt?”, fragte er leicht irritiert nach.
„Ja, ganz recht. Nur...” Sa'el stockte und machte eine etwas hilflose Handbewegung.
„...es gab eine Komplikation, die das Versuchsobjekt leider nicht überlebte”, sprang Dr. Stratton hilfreich, aber nur mäßig taktvoll ein.
Alarmiert blickte Da'an zu Sa'el, der es jedoch vermied ihn anzusehen und statt dessen mit einer Handbewegung die Rückwand des Raumes verschwinden ließ. Dahinter sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Etliche Gegenstände lagen verstreut auf dem Boden und man sah, wenn auch bereits verblassend, Spuren von Energiestößen an den Wänden. In der Mitte des Raumes lag zugedeckt ein menschlicher Körper.
„Wie konnte das passieren?”, fragte Da'an mit leisem Entsetzen, während Sandoval zu dem Mann ging, um ihn sich anzusehen.
„Er wurde leider gewalttätig als wir die erste Phase abgeschlossen hatten. Das Beruhigungsmittel, das wir in den Raum strömen ließen, wirkte leider nicht in der gewünschten Weise. Dem rapiden Energieverlust war sein Körper noch nicht gewachsen, so dass er zusammenbrach und an Kreislaufversagen starb.”
Sandoval ließ die Abdeckung wieder fallen. „Man sieht ihm nichts an. Wenn Sie die Energie aus seinem Körper wieder entfernen können, dann können wir die Leiche freigeben.”
„Das ist selbstverständlich möglich. Dr. Stratton, bitte übernehmen Sie das.”
Der Mensch nickte mit völlig unbewegter Miene und begab sich an die Arbeit.
Da'an wendete sich an seinen Attaché und sah ihn fragend an.
„Ich werde dafür sorgen, dass der Körper ohne Aufsehen ins Krematorium kommt”, antwortete dieser auf seine unausgesprochene Bitte.

„Es ist unglaublich, wie wenig es die Menschen berührt, wenn Mitglieder ihrer Spezies den Tod gefunden haben!”
Sa'el stand am Fenster und sah durch die einseitig durchsichtige Scheibe zum Außenbereich des Hotels hinüber, wo sich die anwesenden Menschen scheinbar gut amüsierten. Es war nicht klar, ob der Anlass für seine Aussage deren oder Sandovals und Strattons Verhalten war. Doch Da'an verstand sehr gut, dass er es im Grunde in einem sehr viel umfassenderen Sinne meinte.
„Es berührt sie durchaus, wenn sie den betroffenen Menschen persönlich nahe standen”, korrigierte er den Wissenschaftler, aber Sa'el machte nur eine abwehrende Geste, um berechtigterweise daraufhin zu weisen, dass dies eine unerhebliche Spitzfindigkeit war.
Obwohl Da'an nicht anders konnte, als ihm zuzustimmen, suchte er weiter nach einer Erklärung. Er konnte es nicht so einfach auf sich beruhen lassen. Sie mussten die Menschen verstehen lernen, sie hatten - bei allem Widerwillen - keine andere Wahl.
„Die Menschen hier machen einen scharfen Unterschied zwischen ihnen vertrauten und ihnen fremden Mitgliedern ihrer Spezies. Sie haben das Konzept der Privatheit und der Öffentlichkeit.”
„Die Menschen sind eine primitive Spezies”, konstatierte Sa'el, ohne seine Bemühungen zu würdigen.
„Wohl wahr. Aber sie bergen für uns überlegene Wesen einige Überraschungen.” Da'an legte etwas Spott in seine Stimme. „Ich denke, du hast ihr Aggressionspotential unterschätzt.”
Sa'el warf ihm einen Seitenblick zu, der zeigte, dass er den Hinweis verstanden hatte, auch wenn er kühl und sachlich fortfuhr. „Ich hoffe, dieses Problem in den Griff zu bekommen, indem ich das nächste Mal die Injektion der Energie anders dosiere.”
„Ich hoffe mit dir, dass sich so die Komplikation verhindern lässt,” antwortete Da'an skeptisch. Er ahnte, dass es bereits mehr als diesen einen Toten gegeben hatte, auch wenn Sa'el darüber schwieg. Noch war dies vielleicht kein Problem. In den zwei Tage, die ihre Hilfsaktion bereits lief, hatten sie bereits Hunderten der verstrahlten Opfer helfen können. Das Einzelne darunter waren, denen nicht mehr geholfen werden konnte, verwunderte niemanden. Doch es durften nicht zu viele werden, sonst würde die Synode misstrauisch werden. Er konnte nicht erklären, warum sie Schwerverletzte retten konnten, aber eine größere Anzahl lediglich mittelschwer verstrahlter Menschen gestorben war. Wenn das Missverhältnis zu groß wurde, musste er die Aktion abbrechen und sie an anderer Stelle unter weit ungünstigeren Umständen wieder aufnehmen. Geheimhaltung war für dieses Projekt vorrangig und er hoffte, dass Sa'el dies bewusst war. Die Einbeziehung des menschlichen Wissenschaftlers deutete etwas anderes an.
„Kann man Dr. Stratton wirklich vertrauen?”, fragte er diesem Gedankengang folgend. „Du hattest bisher Schwierigkeiten mit ihm und nun hast du ihn mit diesem Projekt betraut. Darf ich fragen warum, Sa'el?”
„Er hat auf dem Gebiet menschlicher Genetik die größten Kenntnisse von allen meinen Mitarbeitern und sein Verhalten hat sich in den letzten Tagen grundlegend geändert. Ich denke, es wird keine Probleme mehr geben. Zumal ich von Stella Morel die Hintergründe erfahren habe.”
„Und?”
„Verkürzt ausgedrückt: Er hielt mich für eine Frau.” Sa'els Handbewegung drückte sowohl seine Belustigung, wie auch eine leise Verärgerung aus.
„Die Verhaltensweisen von Menschen nachzuahmen ist nicht leicht”, tröstete Da'an den Wissenschaftler. „Du bist nicht in gleicher Weise geschult darin, wie wir Diplomaten.”
„Ich wünschte, es wäre nicht notwendig, sich mit derartigen... Widrigkeiten abzugeben. Auch auf die Gefahr hin, dass du mich wieder verspottest: Auch dies zeigt nur, wie primitiv diese Spezies ist.”
„Ich gebe dir da völlig recht, Sa'el”, meinte Da'an beschwichtigend, „doch unterschlage nicht, dass wir auch einmal eine Spezies mit solchen Unterschieden waren. Vielleicht ist genau dies der Grund, weshalb uns dieser Aspekt an der Menschheit so sehr stört.”
„Das ist lange her und wir haben diese Beschränkung auf dem Weg zur Perfektion längst überwunden. Niemand will zu diesem unbefriedigenden Zustand zurück. Ich sehe also nicht, warum du diesen Punkt anführst.”
„Vielleicht hilft es uns, die Menschen besser zu verstehen, wenn wir uns auf unsere eigene Geschichte besinnen. Und dieses Verständnis ist wichtig, wenn du dein Vorhaben zu einem erfolgreichen Abschluss führen willst. Wie willst du Taelon-Mensch-Mischlinge erschaffen, die uns ähnlich sind, wenn du die Menschen nicht verstehst.”
Sa'el vollführte eine ärgerliche Handbewegung. „Es nützt überhaupt nichts, wenn ich die Menschen verstehe. Muss ich dich daran erinnern, dass der Weg zur Weiterentwicklung von innen heraus angestrebt werden muss, da nur eine Veränderung des eigenen Denkens den Fortschritt einer Spezies bewirken kann? Und es kann wohl kaum meine Aufgabe als Genetiker sein, die veränderten Menschen hierbei zu leiten. Mal ganz abgesehen davon ist es fraglich, ob sich dieser Aufwand in der ersten Phase des Experimentes und bei dieser Form von Mensch-Taelon-Hybriden überhaupt lohnt.”
„Vielleicht nicht, doch du kannst nicht leugnen, dass dies früher oder später notwendig werden wird”, insistierte Da'an.
Sa'el machte mit einer Geste der Abwehr deutlich, dass dieses Problem weder jetzt noch in Zukunft sein Problem sein würde. Er wandte sich vom Fenster ab, öffnete einen Datenstrom und ließ die Gesichter von zwei jungen Menschen erscheinen, die sich sehr ähnlich sahen. „Belle und Steve Hartley, 16 Jahre alt, Zwillinge. Mittelschwere Verstrahlung, bis zum Unfall keine körperlichen Schäden. Ich habe sie für den nächsten Versuch ausgewählt, da ich mich frage, ob männliche und weibliche Menschen unterschiedlich auf den Prozess der Hybridisierung reagieren. Bislang habe ich zu wenig Versuchsobjekte, um das zu überprüfen.”
Da'an trat näher an das Abbild der beiden heran. Sie sahen aus wie typische amerikanische Mittelstandsteenager. Hübsche, gesunde, unbeschwerte Gesichter, in die sich jedoch bereits eine gewisse Härte eingezeichnet hatte, die andeutete, dass sie sich bewusst waren, zwar noch nichts zu sein, aber doch noch alles werden zu können.
„Was ist mit den Eltern?”
„Sie gehören zu den angesehenen Familien in Silent Falls. Der Vater starb, bevor wir unsere Hilfsaktion starteten. Die Mutter gehört zu den Schwerstbetroffenen, denen wir wohl nicht mehr helfen können, da sie bereits vor dem Unfall an einer Krebserkrankung litt.”
„Gibt es keine anderen Kandidaten?”
„Es gibt nicht mehr viele, die von ihrer Konstitution her so geeignet wären. Die paar, die es gibt, sind aus anderen Grund weniger tauglich und bieten zudem nicht den Vorteil, den unterschiedlichen Effekt auf weibliche wie männliche Menschen untersuchen zu können.”
„Gut,” antwortete Da'an nach einigem Zögern, „dann verwende sie, aber es darf ihnen auf keinen Fall etwas geschehen. Es würde unter den Menschen ein zu großes Aufsehen erregen, wenn wir ihren Tod bekannt geben müssten.”
„Es wird nichts geschehen. Ich weiß jetzt, welches Betäubungsmittel ich im Notfall verwenden muss”, versicherte ihm Sa'el und sah alles andere als erfreut zu, wie Da'an begann an dem Datenstrom die bisherigen Daten des Experiments zu überprüfen. Wie befürchtet hatte es bereits etliche Tote gegeben. Tote, die eine Behandlung hätten überleben müssen. Tote, über die er hätte informiert werden müssen.
Ohne Sa'el mehr als einen Seitenblick zu schenken, wandte sich Da'an zum Gehen. „Die Zwillinge werden dein letzter Versuch hier in Silent Falls sein”, stellte er noch mit eisiger Stimme fest, bevor er den Wissenschaftler alleine ließ.

 

Ende von Kapitel 3

 

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