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  „Hinter den Masken” von Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Frühjahr 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Sandoval unternimmt Schritte, die für Elaine Lorbers Zukunft Böses bedeuten. Währenddessen denkt diese in ihrem Versteck im nächtlichen Wald über ihre Situation nach. Im Labor erwacht Stella.
Zeitpunkt:  einige Monate nach der Ankunft der Taelons auf der Erde
Charaktere:  Ronald Sandoval, Lili Marquette, Elaine Lorber, Da'an, Stella Morel [Officer Newhark, Juliana Belman, Carol Rapp, Steve und Bell Hartley, Sa'el]
 

 

HINTER DEN MASKEN

Kapitel 11

 

Sandoval informierte drei seiner direkten Untergebenen noch im Erdgeschoss des Laborgebäudes darüber, dass ein Diebstahl der Grund war, warum sie und die Freiwilligen in Nacht und Nebel auf die Suche nach zwei flüchtigen Frauen geschickt worden waren. Etwas widerwillig fügte er dem noch hinzu, dass Morel bei dem erfolgreichen Versuch diesen zu vereiteln, verletzt worden war. Da er ihnen nicht einschärfte, die Sache vertraulich zu behandeln, konnte er davon ausgehen, dass sie trotz der fortgeschrittenen Stunde binnen kurzem als Gerücht im gesamten Hotelkomplex bekannt sein würde.

Den Weg zurück in sein provisorisches Büro legte er danach weitgehend geistesabwesend zurück. Noch immer versuchte er sich darüber klar zu werden, was er nun wusste und was er nicht wusste. Was hatte er von dieser Aufzeichnung, die ihm Da'an gezeigt hatte, zu halten? Sie musste manipuliert worden sein, da war er sich sicher. Doch in welchem Grad?
Außer dieser Aufzeichnung hatte er nur die Information, dass Morel bis auf weiteres außer Gefecht gesetzt, aber nicht tot war, was Quo'on bedauerte und Da'an so wollte.
Dies warf die Frage auf, in wie fern das Ganze tatsächlich ein Unfall gewesen war. Alle Welt sollte das glauben, doch alle Welt wusste nicht, was er wusste. Nämlich, dass es geheime Experimente gegeben hatte, mit dem Ziel Menschen in irgendeiner Weise zu verändern. Tatsächlich hatte er nie herausfinden können, in welcher Weise und zu welchem Zweck. Doch Taelonenergie hatte eine Rolle gespielt, ganz wie bei diesem Unfall. Nein, das war nie und nimmer ein Unfall gewesen!
Dennoch glaubte er nicht daran, dass Da'an dies geplant hatte. Sein Verhalten, bevor er in Sa'els Labor gegangen war, widersprach dem. Hatte der Wissenschaftler selbstständig gehandelt? Oder vielleicht Stratton? Oder beide zusammen?
Es machte Sinn, dass Stratton beteiligt war, denn er hatte Interesse Morel loszuwerden, ein Interesse, von dem Sa'el, soweit Sandoval informiert war, nichts wusste. Vielleicht war also Stratton sogar die treibende Kraft dabei gewesen? Möglicherweise hatte er nicht damit gerechnet, dass Morel es im Gegensatz zu den anderen Versuchskaninchen überleben würde.
Blieb die spannende Frage, wo der Kerl steckte? Wer hätte gedacht, dass der Verbleib dieses arroganten Klugscheißers zu einem der letzten Rätsel in diesem Spiel werden würde?
Wie auch immer, er musste diesen Typen ausfindig machen, denn nur über ihn würde er mehr darüber erfahren, um was es hier eigentlich ging. Weder Sa'el noch Da'an würden ihn informieren. Sie verstanden nicht, dass es wichtig war, dass er Bescheid wusste. Wie sollte er ihnen sonst helfen?

In seinem Büro angekommen, ermittelte er die Nummer der Polizeistation in Belton, der nächsten größeren Stadt, die sich außerhalb des evakuierten Gebietes befand.
Kurz darauf blinzelte ihn ein etwas schläfriger Stadtsheriff auf dem Computerbildschirm entgegen.
„Officer Newhark. - Sie wünschen?”, fragte dieser gelangweilt.
„Ich bin Companion-Agent Ronald Sandoval.” Er übermittelte die Signatur, die die Richtigkeit der Angaben zu seiner Person bewies und fuhr fort. „Im Rettungscamp bei Silent Falls ist ein Diebstahl versucht worden. Wir konnten ihn verhindern, doch die Täter sind geflüchtet.”
„Verstehe,... äh... Sir.” Den Gesichtsausdruck des Mannes änderte diese Informationen zwar nicht gravierend, aber immerhin war er ein wenig neugierig geworden. „Wissen Sie irgendwas über die Diebe?”
„Ja.” Sandoval schickte ihm Bilder, Namen und die wichtigsten Angaben über Lorber und Rapp.
„Zwei Frauen? So was...” Etwas amüsiert kratzte sich Newhark den Bart.
„Unterschätzen Sie sie nicht! Vor allem die dunkelhaarige der beiden Frauen, Elaine Lorber, ist gefährlich und hat eine Waffe!”, wies Sandoval ihn zurecht. Er hatte kein Interesse daran, dass Newhark den Vorfall herunterspielte, schließlich sollte es das Stadtgespräch von morgen werden. Mit ernster Miene und etwas bissig fuhr Sandoval den Officer an: „Eine hochrangige Companion-Mitarbeiterin ist bei dem Diebstahl lebensgefährlich verletzt worden!”
„Mein Gott! Ich dachte... Sollen wir eine Suchaktion starten?”
„Bei dem riesigen Gebiet?” Es war wirklich nicht verwunderlich, dass der Mann lediglich ein einfacher Polizist war.
„Nein, ich bitte Sie nur darum, Ihre Kollegen auf Streife anzuweisen, diesbezüglich die Augen offen zu halten. Und bitte benachrichtigen Sie auch die anderen an das Sperrgebiet grenzenden Polizeistationen!”
„Selbstverständlich, mach ich natürlich gleich, Sir! - Und... äh, Sir, darf ich vielleicht noch fragen, was die beiden eigentlich stehlen wollten?”
Insgeheim hocherfreut, dass man sich auf die Neugierde der Menschen verlassen konnte, warf Sandoval Newhark einen ungehaltenen Blick zu, so als wolle er die Informationen eigentlich nicht herausrücken.
„Es handelte sich um Hilfsgüter, Taelontechnologie, die wir hier für die Rettungsaktion brauchen”, antwortete er ungeduldig und schloss nach einem knappen Gruß die Verbindung.

Mit einem Lächeln lehnte sich Sandoval in seinem Stuhl zurück. Er war sich nicht sicher, was Lorber und Rapp wirklich von der ganzen Sache wussten, doch was immer das auch war, wenn er mit seiner Kampagne gegen sie fertig war, würden sie so unglaubwürdig sein, wie Leute, die vor einigen Jahren behaupteten, sie wären von Aliens entführt worden!

 
* * *
 

Lili ging so schnell sie konnte, ohne dass es auffällig gewesen wäre, zu Belmans Labor. Was ihr in den letzten Minuten zu Ohren gekommen war, stimmte sie alles andere als fröhlich. Belman hatte anscheinend auch schon etwas gehört, denn bei ihrem Eintreffen sprang sie aufgebracht von ihrem Arbeitsplatz auf.
„Marquette! Was zum Teufel ist los? Haben sie sie geschnappt?”
„Nein, das nicht”, wehrte Lili diese Befürchtung ab, „aber so wie es aussieht, wollen sie ihnen einen Diebstahl anhängen und nicht nur das... Wissen Sie was von dieser Stella Morel? Es heißt, sie wäre verletzt und da Sie Ärztin sind...”
„Nein, leider nicht”, antwortete Belman kopfschüttelnd. „Als ich davon hörte, bin ich ins Taelonlabor gelaufen und habe meine Hilfe angeboten. Aber Sandoval hat alles abriegeln lassen und dieser Joras sagte nur, dass Sa'el sich selbst um sie kümmern würde.”
„Na toll!” Lili ballte unbewusst die Fäuste. „Ich sehe schon die Schlagzeile: ‚Taelon rettet Menschenleben!’ Wieder einmal! Sie haben fünf Menschen getötet, aber in den Zeitungen wird nur stehen, wie viele sie gerettet haben.”
Belman nickte müde, tätschelte ihr dann aber beruhigend den Arm. „Sehen Sie nicht so schwarz. Wir haben immer noch die Leiche des Jungen. Vielleicht bekommen wir durch seine Obduktion etwas in die Hand. Und außerdem gibt es auch eine positive Nachricht: Die beiden Kinder, Bell und Steven Hartley, leben und sind aus dem Taelonlabor entlassen worden! Sie liegen jetzt wieder in einem der normalen Lazarette.”
„Na, wenigstens das”, meinte Lili, merkte jedoch, dass sie sich in der Hektik und dem Stress, in dem sie sich befand, nicht richtig darüber freuen konnte. Dies gab ihr ein unangenehmes Gefühl der Gefühllosigkeit, dass sie jedoch resolut wieder von sich schob. „Konnten Sie sie bereits untersuchen?”
„Nein, leider nicht. Sie werden von Sandovals Männern bewacht. Keine Freiwilligen, welche von den richtig ausgebildeten Typen. Die fadenscheinige Begründung lautet, dass sie irgendwie mit diesem Möchtegern-Gouverneur Brown verwandt sind.”
„Die verbergen doch schon wieder was! Dr. Belman, Sie müssen unbedingt versuchen, die beiden zu untersuchen!”
„Das hab ich schon - ohne Erfolg”, antwortete Belman resigniert. Die ältere Frau ließ sich mit einem Seufzer auf einen Stuhl gleiten und sah Lili erschöpft an. Sicher war auch sie bereits seit mehr als 20 Stunden auf den Beinen. „Ich werde es später noch mal probieren. Vielleicht sind die Wachen, dann nicht mehr ganz so aufmerksam.”
Lili hätte sich am liebsten neben Belman gesetzt. Dieser Tag war die Hölle gewesen! Sandovals Anschuldigung wegen den von Lorber ‚gestohlenen’ Daten, die Entdeckung dieser Experimente mit fünf Todesopfern, die Flucht von Lorber und Rapp und jetzt auch noch diese Propaganda-Schlacht. Gut, Morel war verletzt und sie war diejenige, die normalerweise dafür zuständig war, die Taelons immer und überall gut aussehen zu lassen, doch Sandoval beherrschte dieses Handwerk auch... Lili schwante nichts Gutes.
Sie wollte nur noch nach Hause in ihr Bett und zumindest für ein paar Stunden alles, was mit Außerirdischen zu tun hatte, vergessen. Wenigstens wollte sie eine kurze Pause. Nur für ein paar Minuten. Sie brauchte dringend einen Kaffee!
„Aber Sie sagten etwas von einem Diebstahl...”, holte Belman sie aus ihren Gedanken, in die sie ohne es zu merken versunken war.
„Genaues weiß ich nicht”, antwortete sie mit einem Achselzucken. „Aber sie behaupten natürlich, es wären für die Rettungsaktion wichtige Gegenstände gewesen...”
„Es ist unwahrscheinlich, dass Lorber in einer solchen Lage einen derartigen Versuch gewagt hätte”, meinte Belman, doch es klang mehr wie eine Frage als wie eine Feststellung.
„Nein, ich glaube es auch nicht”, antwortete Lili vorsichtig. Am liebsten hätte sie die Vorstellung in Bausch und Bogen verworfen, doch die Möglichkeit, dass an dem Vorwurf etwas dran war, war nicht von der Hand zu weisen. „Andererseits hat Doors deutlich gemacht, dass er zu gerne etwas originale Taelontechnologie in die Finger bekommen würde.”
„Das ist leider richtig”, gab auch die Ärztin zu. „Aber im Grunde ist es auch egal, was wirklich passiert ist. Wenn die Taelons es so aussehen lassen können, dass Lorber Hilfsgüter stehlen wollte und für Morels Verletzungen verantwortlich ist, dann hat sie ein echtes Problem.”
„Das hat sie auch jetzt schon - und wir auch! Belman, Sie müssen noch mal einen Patienten auftreiben, der in ein anderes Krankenhaus verlegt werden kann. Ich muss Lorber in Sicherheit bringen, sie weiß einfach zu viel über uns, als dass wir es uns leisten könnten, dass die Taelons sie doch noch in die Finger bekommen!”
„Ja, ich weiß”, Belman nickte müde. „Ich habe eine Patientin bereit machen lassen. Sie ist bewusstlos, aber nicht allzu schwer verletzt. Sie sollten trotzdem nicht allzu lange brauchen. Man kann nie wissen.”
Lili nickte und wandte sich zum Gehen. „In Ordnung. Bis dann.”
„Bis dann”, antwortete Belman ihr mit matter Stimme.

Irgendwie funktionierten und reagierten sie nur noch, dachte Lili, als sie aus der Containerbau trat und den Blick für einen kurzen Moment in den Nachthimmel hob. Das Gesetz des Handelns war ihnen irgendwann im Laufe des Tages abhanden gekommen und seitdem hetzten sie den Ereignissen nur noch hinterher. Lili wusste, dass das keine gute Situation war, doch sie sah sich außerstande, etwas daran zu ändern. In diesem übermüdeten Zustand war sie nicht in der Lage, alle Fakten systematisch zu überdenken und zu kombinieren. Manchmal beneidete sie Sandoval um sein CVI.
Lili schüttelte den Kopf, als ob sie diesen Gedanken wie eine lästige Fliege loswerden konnte und begann zu ihrem Shuttle zu gehen. Doch es gelang ihr nicht, aus dem Grübeln heraus zu kommen. Ihr Kampf war ein auf allen Ebenen ungleicher Kampf. Der Gegner hatte die besseren Mittel, die bessere Ausstattung und die Öffentlichkeit auf seiner Seite. Dies war eine sonderbare Situation, eine, auf die sie schlecht vorbereitet war. Sie hatte im SI-Krieg gekämpft und dort war es ihre Seite gewesen, die die bessere Technik gehabt hatte. Aus dieser Erfahrung wusste sie jedoch auch, dass dies keine Garantie für einen Sieg war. Auch die schwächere Seite konnte Punkte machen, wenn sie sich geschickt anstellte und die Überlegenen sich zu sehr auf ihre Überlegenheit verließen. Dies machte Lili Mut, doch gleichzeitig erfüllte es sie heute nicht mehr mit ganz so viel Triumph, dass es trotz aller Verluste am Ende eben doch sie gewesen waren, die den SI-Krieg gewonnen hatten.

 
* * *
 

Zusammengekauert saßen sie nebeneinander und starrten in die Dunkelheit. Es war erstaunlich, wie finster eine Nacht im Wald sein konnte und wie viele Geräusch es hier draußen gab. Mit Mühe und Not hatten sie nach langem Suchen den kleinen Unterschlupf gefunden. Viel war hier nicht. Nur eine Plane, ein paar Decken, etwas zu essen und zu trinken, sowie ein Global, das zu benutzen Elaine bislang noch nicht gewagt hatte.
Carol hatte versucht mit ihr über das Vorgefallene zu reden, doch Elaine war nicht darauf eingegangen. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie wusste ja nicht einmal, was sie über all das denken sollte. Die ruhigen Atemzüge der jüngeren Frau neben ihr deuteten an, dass diese mittlerweile vor Erschöpfung eingeschlafen war. Elaine hingegen konnte nicht schlafen, obwohl sie sich matt und abgestumpft fühlte. Ob das die Wirkung der Tabletten war, die sie vor Stunden eingenommen hatte? Wie sonst war es zu erklären, dass sie in dieser Situation noch nicht ausrastet war. Oder war es schlicht so, dass man es nicht sofort begreifen konnte, wenn man sich von jetzt auf nachher in einem Alptraum wiederfand? Saß sie deswegen ruhig da, während Außerirdische Experimente an ihrer besten Freundin vornahmen? Himmel, das klang so abgedroschen, dass sie geneigt war, es für schlechte Science-Fiction zu halten!
Stella... Wie es ihr wohl jetzt ging? Hatte sie Angst? Schmerzen? Oder war sie etwa gar nicht mehr am Leben? Elaine merkte, wie ihr mit einem Mal die Tränen kamen. Stella? Tot? Ihre Freundin Stella?
Sie hatte Stella gegenüber immer so etwas wie Beschützergefühle empfunden. Auch wenn sie gelernt hatte, das gut zu verbergen, denn Stella reagierte auf dergleichen mit schroffer Ablehnung. Vermutlich war es Stellas zarte Erscheinung in Verbindung mit ihrer Distanziertheit gewesen, die sie so rührte. Stella stand ganz allein auf der Welt da und schien sich der Tragik dieser Tatsache gar nicht bewusst zu sein. Vielleicht war es das gewesen, was sie veranlasst hatte, die Freundschaft mit ihr trotz wiederholter Zurückweisungen fortzusetzen. Und letztendlich hatte sie damit ja auch Erfolg gehabt und war Stella so näher gekommen, als es ihres Wissens sonst ein Mensch je geschafft hatte.
Und jetzt lag sie in diesem unheimlichen Labor. Was taten ihr diese Wesen an? Und warum?
Die Begegnung mit dem Taelon zählte zu den skurrilsten Erlebnissen, die sie je gemacht hatte. Dieses Wesen hatte etwas Schreckliches vor, doch er war nicht im mindesten aggressiv gewesen. Und auch nicht roboterhaft emotionslos. Nein, er war regelrecht freundlich zu ihnen gewesen! Es war absurd!
Elaine schüttelte den Kopf. Wann immer ihr die Szenen in dem Taelonlabor ins Gedächtnis kamen, hatte sie das Gefühl, dass ihr die Realität entglitt. Es war besser nicht daran zu denken, nicht hier, mitten im nächtlichen Wald, der ihr kaum weniger fremd vorkam als dieses furchtbare Labor.
Da war es fast noch erträglicher an Frank zu denken. Zumal sie die Tatsache, dass er am Tod von fünf Menschen mitverantwortlich sein sollte, einfach nicht mit dem Bild zusammen brachte, das sie von ihm hatte. Es schien ihr, als würde sie über zwei verschiedene Menschen nachdenken. Ihr Frank war doch kein Monster! Oder doch?
Wenn sie es genau bedachte, so konnte sie nicht viel über ihn sagen. Sehr viel Zeit hatten sie im Grunde nie miteinander verbracht. Sie war froh, ja, fast ein wenig stolz gewesen, trotz ihres Berufes seit fünf Jahren eine stabile Beziehung zu führen. Eine Beziehung, die funktionierte, obwohl sie sich nur selten sahen. Oder war es vielleicht eher so, dass sie funktioniert hatte, eben weil sie sich so selten sahen?
Und auch wenn sie sich gesehen hatten, hatten sie nicht mehr als oberflächliche Gespräche geführt. Da sie selbst nicht viel von dem erzählen konnte, was sie tagtäglich machte, war sie nicht unglücklich darüber gewesen, dass auch Frank dieses Thema ausblendete. Sie wusste auch nicht genau, was Frank über Politik, Religion, Moral und dergleichen dachte. Im Gegenteil, sie hatte es als angenehm empfunden, dass sie mit ihm über Belanglosigkeiten sprechen konnte. Die Treffen mit Stella deckten ihren Bedarf an tiefgründigen Themen mehr als vollkommen. Wenn sie sich mit Frank getroffen hatte, dann waren sie ins Theater, ins Kino oder einfach Essen gegangen. Und in ihrem spärlichen Urlaub waren sie Skifahren oder Tauchen gewesen.
Ja, wenn sie es recht bedachte, dann konnte sie nicht sagen, ob Frank skrupellos genug zum morden war.
Sie hatte das Gefühl, überhaupt nichts mehr mit Sicherheit sagen zu können...

Erst als sie den leisen Signalton des Globals hörte, merkte Elaine, dass sie eingenickt war. Ebenso wie die junge Frau neben ihr schreckte sie zusammen.
„Wer ist das...”, fragte Carol verwirrt.
„Marquette”, murmelte Elaine und als sie das Global aktivierte, erschien darauf tatsächlich das Gesicht der Pilotin.
„Sie haben das Versteck also gefunden!” Die Erleichterung war Lili deutlich anzumerken. „Hören Sie, Elaine, ich lande mit dem Shuttle jetzt gleich in Ihrer Nähe. Packen Sie bitte alle Gegenstände zusammen und verwischen Sie die Spuren. Ich bringe Sie dann in Sicherheit.”
Sicherheit. In Elaines Ohren klang dies wie ein Zauberwort. „In Ordnung”, antwortete sie mit einem Lächeln und schloss dann das Global.
In wenigen Minuten sollte das hier vorbei sein. Sie wechselte einen Blick mit Carol, in deren Augen ebenfalls der Glanz zurück gekehrt war.
„An die Arbeit!”, meinte diese enthusiastisch und sprang auf.
Auch Elaine rappelte sich hoch und half Carol, die bereits dabei war, die Plane aus den Ästen zu lösen. Als wenig später über ihnen Lilis Shuttle aus der Interdimension sprang, war Elaine zum ersten Mal richtig froh, eines von diesen sonderbaren Ungetümen zu sehen.

 
* * *
 

Da'an beschloss, diese Aufgabe nicht vor sich herzuschieben und ging von Sa'els Labor direkt zu den Zwillingen.
Die Wachen, die Sandoval vor ihrem Zimmer postiert hatte, nickten ihm knapp und -vermutete er - respektvoll zu, als er sie passierte. Im Zimmer saßen die beiden Zwillinge auf einem der Betten und unterhielten sich. Sie sahen auf, als sie ihn bemerkten.
„Du bist Da'an, nicht wahr?”, fragt das Mädchen und musterte ihn neugierig.
„Ja, das ist richtig.” Da'an ging zu ihnen hinüber und setzte sich auf das andere Bett. „Wie geht es euch?”
„Gut!”, antwortete Steve. „Warum müssen wir hier in diesem Zimmer rumsitzen? Das ist öde!”
Da'an lächelte. Es waren wirklich Kinder.
„Es tut mir leid, aber offiziell seid ihr immer noch krank. Es würde die Menschen sehr wundern, wenn ihr jetzt bereits wieder fröhlich umherlaufen und alles erkunden würdet. Zumal es mitten in der Nacht ist.”
„Na, klasse...”, nörgelte der Junge, während das Mädchen ihn nachdenklich anschaute.
„Und warum gelten wir offiziell als krank?”
„Erinnert ihr euch an eure Patentante Jean Brown?”
„Ja, natürlich. Warum?”
„Und ihr wisst auch, dass ihr Mann Gouverneur werden will?”
„Sicher.”
„Gut. Die beiden werden morgen hier her kommen und euch besuchen. Allerdings nicht allein. Die Presse wird dabei sein und darüber berichten. Sie erhoffen sich davon, dass es ihm hilft, tatsächlich als Kandidat nominiert zu werden.”
„Und wir sollen mitspielen und uns krank stellen?” Steve grinste, als würde ihn die Aussicht auf ein wenig Schauspielerei freuen. Da'an war froh, dass er es so sah. Er hatte schon befürchtet, sie würden traurig sein, dass der Besuch nicht aus Sorge um ihr Wohlbefinden erfolgte.
Er konnte schlecht abschätzen, wie sie sich fühlten. Denn wenngleich Steve und Bell für menschliche Augen vollkommen menschlich aussehen mochten, so würde doch jeder Taelon sofort erkennen, dass sie etwas ganz anderes waren. Da'an merkte, dass die Tatsache, dass er die Energie durch ihre Körper fließen sah, ihn dazu verleitete, sie wie seinesgleichen einzuschätzen. Andererseits wusste er jedoch, dass das CVI sie beeinflusste und mental wieder sehr menschlich werden ließ. Doch wie stark war der Effekt des CVIs?
„Gibt es irgendeinen Grund, warum wir wollen, dass James Brown Gouverneur wird?”, unterbrach Bell seine Überlegungen.
„Nein, dennoch bitte ich euch mitzuspielen”, antwortete er mit Nachdruck. „Denn zum einen gibt das auch für uns eine gute Presse, vor allem jedoch könnte er sonst auf die Idee kommen, Nachforschungen anzustellen.”
„Na gut.” Steve zuckte mit den Schultern. „Schaden kann es ja nichts. Langweilen wir uns eben noch eine Weile.”
Amüsiert sah er den Jungen an. Er hatte nicht erwartet, dass er das Zusammensein mit den beiden so sehr genießen würde. Doch es half nichts....
„Leider ist das noch nicht alles, was ihr an Unannehmlichkeiten auf euch nehmen müsst”, zwang er sich zu sagen.
Die beiden Kinder horchten auf. Vielleicht nahmen sie tatsächlich die bedrückte Stimmung wahr, die seine Energie unwillkürlich übermittelte.
„Die Synode hat die Erschaffung von Taelon-Mensch-Hybriden nicht genehmigt - und sie wird dies voraussichtlich auch in näherer Zukunft nicht tun. Da ihr gleichzeitig auch das Interesse von Brown und vielleicht einigen anderen neugierigen Menschen habt, müsst ihr hier in Silent Falls bleiben.”
Sprachlos starrten ihn die beiden Hybriden an.
Steve schaffte es nach einer Weile als erster seine Gefühle in Worte zu fassen.
„Aber ihr könnt uns doch hier nicht alleine lassen! Ich weiß, dass ich mich nicht genau erinnere, was passiert ist, aber ich weiß, dass wir zu euch gehören. Ihr habt uns gerettet. Sa'el sagte, wir wären jetzt taelon.”
„Und es ist nicht nur das, was er gesagt hat.” Bell lehnte sich vor und legte eine Hand auf Da'ans Arm und eine andere auf ihre Brust. „Es ist das, was ich fühle. Wenn Sa'el da ist oder auch jetzt, wenn du da bist, fühle ich mich zuhause. Nicht so wie früher bei Mom und Dad, das war nur irgendwie der Ort, wo wir gewohnt haben. Zu euch gehören wir, ihr könnt uns nicht einfach hier zurück lassen. Wie sollen wir denn jetzt noch unter all den Menschen hier leben? Ihr müsst uns mitnehmen!”
Erstaunt sah Da'an Bell an, die jetzt mit beiden Händen seinen Arm umklammert hielt und auch Steve sah ihn verzweifelt, wenn auch etwas distanzierter, an. Ganz so, als wüsste er bereits, dass er nicht nachgeben würde - nicht nachgeben konnte.
Wie war es möglich, dass sich diese beiden trotz des CVIs so vollständig ihnen zugehörig fühlten? Das CVI unterband doch das meiste jener Eindrücke, die ihnen über ihre Verbindung zum Gemeinwesen und durch ihre veränderten Körper zuflossen. Sie sollten sich weder genau an das Vorgefallene erinnern, noch mehr sein als Implantanten mit einem hohen Maß an Energie, das durch ihre Körper floss. Oder war es vielleicht gerade das CVI, das dies bewirkte... Da'an schob den Gedanken vorerst beiseite. Dies musste untersucht werden, doch jetzt war nicht die Zeit dazu.
Vorsichtig löste er den Griff von Bells Fingern und nahm ihre Hände in die seinen.
„Ich verstehe, dass es schwer für euch ist, hier zu bleiben. Aber ihr müsst im Gegenzug auch verstehen, dass ich euch nicht an einen anderen Ort bringen kann. Wenn ihr hier bleibt, so ist dies das Unauffälligste. Solange die Synode keine Hybride zulässt, darf euch kein Taelon je zu sehen bekommen. Ursprünglich hättet ihr in Sa'els Obhut bleiben und von ihm versteckt werden können. Für die Menschen wärt ihr dann offizielle Opfer des Unfalls und tot gewesen. Doch leider habt ihr das Interesse von Brown und damit der Öffentlichkeit. Euer Tod würde Nachforschungen nach sich ziehen, die auch die Synode interessieren könnten. Dieses Risiko können wir nicht eingehen.”
Aufmerksam sah er von einem der Zwillinge zum anderen, um zu ergründen, ob sie nachgeben würden. Bell ließ mutlos den Kopf hängen und Steve wich seinem Blick aus.
„Dann haben wir das also diesem machtgierigen Brown zu verdanken?”, murmelte schließlich der Junge. „Ist ja toll! Ich konnte den Kerl noch nie leiden...”
„Ich verspreche euch, dass es nicht für immer sein wird. Ich werde tun, was ich kann, um diese Situation zu verändern.” Bestärkend und aufmunternd ließ Da'an Bell über ihre Berührung Energie zufließen und tat das gleiche, wenn auch über die Distanz in schwächerem Maße, bei Steve. Während letzterer nicht darauf reagierte, hob Bell den Kopf und lächelte ihn traurig an.
„Wir werden tun, was du von uns verlangst!”, versprach sie.

 
* * *
 

Irgendwann war es Zeit in eine andere Realität abzutauchen. Schwer zu sagen, ob sie es beschloss oder die Gesamtheit, deren Teil sie war. Es war ein und dasselbe [war], doch nachdem sie erwacht war, blieb dieses Wissen abstrakt, auch wenn das Gefühl der Zugehörigkeit nach wie vor da war.
Ohne sich zu rühren, blieb sie still liegen und fühlte um sich. Die Erinnerung an das letzte Erwachen war noch vorhanden, auch wenn es sich so fremd anfühlte, als hätte diese Erfahrung jemand anderes gemacht. Das Gemeinwesen dämpfte sofort das instinktiv aufsteigende Gefühl der Panik und ließ in ihr ein Gefühl von Klarheit aufsteigen. Sie konzentrierte sich und spürte...

Da war jemand bei ihr, den sie kannte. Sa'el. Seine Energie strahlte durch den ganzen Raum und wurde an den Wänden absorbiert, die ihrerseits Energie, wenn auch in deutlich schwächerer Form, abstrahlte. Sie fühlte sich kühler, ruhiger, aber nicht weniger vertraut an. Beide Energien vermischten sich mit der ihren und auf diese Weise formte sich in ihrem Geist ein Bild der Umgebung.
Sie spürte wie Sa'el, mit einem Signal den Datenstrom schloss und sich zu ihr setzte.
Er sagte etwas und sie nahm wahr, wie die Schallwellen den Raum durchquerten. Sie fühlte dem nach und brauchte etwas, bis sie den Sinn des Gesagten verstand, nicht nur weil sie von der Wahrnehmung fasziniert war, sondern auch, weil dieser Reiz im Vergleich zu den Energiefeldern so schwach war.
„Du bist wach!”
*Bin ich das?*, sendete sie zurück und spürte gleich darauf seine Belustigung über diese Antwort.
Er bewegte eine Hand vor ihrem Gesicht.
„Mach die Augen auf!”
Hatte sie das noch nicht? Nein...
Die Decke war blau und uneben und von starken und weniger starken Energieströmen durchflossen. Langsam gehorchte ihr Kopf ihren Befehlen und drehte sich in die gewünschte Blickrichtung. Es dauerte eine Weile, bis es ihr gelang, die beiden Eindrücke zu synchronisieren und sowohl Sa'els Energie als auch seine äußere Fassade gleichzeitig wahrzunehmen.
„Wie geht es dir?”, fragte er mit leichter Besorgnis.
Sie dachte eine Weile darüber nach und stellte dann fest, dass sie nicht wusste, wie sie das beschreiben sollte. Also setzte sie sich auf, legte ihre Hand auf die des Taelons und übermittelte ihm ihre gegenwärtigen Empfindungen.
Zurück bekam sie eine Mischung aus Zuneigung und Belustigung.
„Ein einfaches 'Gut!' hätte mir gereicht.”
Verwirrt erwiderte sie seinen Blick.
„Es ist eine Floskel”, erklärte er. „Wenn Menschen wissen wollen, wie es einem geht, dann antwortet man mit 'Gut!', solange es einem nicht schlecht geht. Erinnerst du dich nicht?”
Sie überlegte, ob sie sich erinnerte. Doch sobald sie das versuchte, steigerte sich ihre Verwirrung noch. Was ihr Gedächtnis zu Tage förderte, war ihr fremd und unverständlich. Unwillkürlich sendete sie Sa'el diese Empfindung und verband das Ganze mit einer Frage.
*Es ist schon gut!*, versicherte er sie und expandierte seine Aura, um sie darin einzuhüllen. *Du wirst etwas Zeit brauchen, um deine Erinnerungen zu verstehen. Aber du weißt, was mit dir passiert ist, nicht?*
„Ja”, antwortete sie und hatte plötzlich das Bedürfnis es in Worte zu fassen, um dem Vorgefallenen auch auf dieser Ebene Realität zu verleihen.
Doch schnell stellte sie fest, dass dies schwerer war, als sie gedacht hatte. Immer wieder entwischten ihr die Gedanken bei dem Versuch, daraus einen Satz in der bekannten und doch fremden Sprache zu formulieren. Und mit jedem fehlgeschlagenen Versuch war es, als würde ihr ein Stückchen Realität entzogen. Etwas wie Furcht wollte in ihr aufsteigen und drohte sie in ihrer Betrachtung zu stören. Sie versuchte dieses Gefühl zu verbannen und sich wieder zu konzentrieren. Doch es gelang nicht recht. Hilflos sah sie Sa'el an.
Sa'el verstärkte den beruhigenden Strom von Energie und setzte an etwas zu sagen, doch sie hielt ihn mit einem Blick davon ab. Das war nicht das, was sie wollte. Intuitiv zog sie ihn weiter auf die Plattform, auf der sie saß, lehnte sich an ihn und platzierte schließlich seine Arme um sich, was er etwas überrascht mit sich machen ließ. Es hatte den Vorteil, dass sie ihn in der Berührung leichter an ihren Schwierigkeiten teilhaben lassen konnte, doch vor allem vermittelte ihr der physische Kontakt ein stärkeres Gefühl des Behütet-Seins und der Sicherheit. Warum, das konnte sie nicht sagen. Es war einfach so.
Wieder wandte sie sich der eigentlichen Frage zu.
„Mensch. - Ich war ein Mensch. Du hast mich einem Hybridisierungsprozess unterzogen. Und nun bin ich ein Taelon.”
„Nein, du bist kein Taelon. Du bist nun eine Mischung aus Mensch und Taelon.”
Skeptisch sah sie zu ihm hoch.
„Ein Taelon würde nicht in den Arm genommen werden wollen, Stella.”
„Stella?”
„Dein Name”, erklärte Sa'el geduldig, aber wieder mit dieser gewissen Belustigung, die ihr langsam auf die Nerven ging.
„Du findest das aber auch nicht unangenehm”, sagte sie in einem Tonfall, der ihrer Gemütsverfassung entsprach.
„Nein, warum sollte ich? Aber ich fände es auch nicht angenehm, wenn du es nicht angenehm fändest.”
„Und das soll ein Argument dafür sein, dass ich menschlich bin?”, erwiderte sie skeptisch, doch sie wusste, dass sie tatsächlich kein Taelon war. Doch es war ein abstraktes Wissen und deckte sich nicht mit ihren Empfindungen.
„Warum weiß ich dann eher, was es heißt ein Taelon zu sein, als was es heißt ein Mensch zu sein?”
„Das Wissen, was es heißt ein Taelon zu sein, vermittelt dir das Gemeinwesen. Was es heißt ein Mensch zu sein, vermittelt dir deine Erinnerung...”
„...die ich nicht verstehe”, beendete sie frustriert seine Erklärung.
„Ärgere dich nicht. Es macht nichts, wenn es seine Zeit dauert. Ich finde es im Gegenteil sehr... erfrischend!” Wieder diese zärtliche Belustigung.
Verärgert löste sie sich aus der Umarmung. „Das merke ich!”
Sie stand auf und ging im Raum umher. Es war ein sonderbares Gefühl, sich durch die Energiefelder zu bewegen. Sie veränderte ein wenig die Energie, die sie abstrahlte und beobachtete, wie sich ihre Umgebung dadurch veränderte. Sa'el, der ihr fasziniert zusah, ignorierte sie. Statt dessen ging sie zu einer Wand und legte die Hand daran. Auf den fragenden Energieimpuls, den sie hineinsendete, erhielt sie eine freundliche Antwort. Mit einem Lächeln ließ sie die Hand wieder sinken. Es war schön willkommen zu sein. War es da so wichtig zu wissen, wer man gewesen war?

 

Ende von Kapitel 11

 

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