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  „Die Legende des Sho'che'la” von Ma'hal und Emma   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Jahreswechsel 2000/2001
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorinnen.
 
Handlung:  Zo'or und Sandoval versuchen Da'an und Liam zu retten, deren Shuttle verschwunden ist
Zeitpunkt:  dritte Staffel
Charaktere:  Zo'or, Sandoval, [T'than, Pa'nor, Ja'rel, Thompson, Renee, Da'an, Liam]
 

 

DIE LEGENDE DES SHO'CHE'LA

 

„Agent Sandoval, warum ist Da'an immer noch nicht auf dem Mutterschiff? Ich erwarte ihn seit über einer halben Stunde!” Sichtlich aufgebracht rotierte Zo'or seinen Stuhl in Richtung seines Attachés und funkelte ihn wütend an.
Sandoval blickte emotionslos zurück. „Ich habe ihn wie befohlen kontaktiert... ich kann mir auch nicht erklären, wieso...” - „Dann kontaktieren Sie noch mal!” Zo'ors Finger bewegten sich nervös auf den Armlehnen seines Stuhles.
Sandoval seufzte innerlich, ließ sich jedoch nichts anmerken. Zum wiederholten Mal wählte er Kincaids Global an und wieder erzählte ihm eine freundliche Stimme, dass ein Kontakt gegenwärtig nicht herstellbar war.
Er drehte sich wieder zu Zo'or. „Ich erreiche Kincaid nicht.” Zo'or starrte ihn einen Augenblick an und stand dann schwungvoll von seinem Stuhl auf. „Sha'pra!”
Sandoval blieb ungerührt. „Ich werde versuchen, das Tagungshotel, in dem Da'an seine Rede gehalten hat, zu erreichen. Einen Moment, bitte.”
Während Sandoval eine Verbindung zu dem Hotel aufbaute, sah er aus den Augenwinkeln, wie Zo'or auf und ab ging. Er schien von Minute zu Minute nervöser zu werden. „UND?” Die schneidende Stimme des Synodenführers erklang direkt hinter Sandoval, und als dieser sich umdrehte, war sein Gesicht kaum ein paar Zentimeter von dem des Taelons entfernt. Der Agent trat überrascht einen Schritt zurück. „Zo'or, ich bin gerade erst dabei die Verbindung aufzubauen...”
„Beeilen Sie sich gefälligst ein bisschen. Was ist denn mit dem Shuttle, haben Sie schon das Shuttle...” Zo'or macht eine ärgerliche Handbewegung und öffnete seinerseits einen Datenstrom. Schneller als Sandoval überhaupt schauen konnte, ließ er die Anzeigen wechseln. Kurz darauf ließ Zo'or irritiert die Hand sinken...
Der Taelon legte seinen Kopf schief und blaue Energiespuren flossen über seine Fassade. Sandoval sah ihn entgeistert an. „Was ist denn, Zo'or?” Anstatt zu antworten, trat der Taelon einen Schritt zurück und drehte sich zur Seite. Sandoval trat an seine Stelle und sah sich die Anzeige an, die Zo'or so aus der Fassung gebracht hatte.
Er traute seinen Augen nicht. Es sah so aus, als wäre das Shuttle einfach verschwunden. Weder der Kontakt zu der Kommunikationseinrichtung des Shuttles war möglich, noch ließ sich dessen spezifische Energiesignatur scannen. Es war, als wäre es einfach verschwunden. Zu allem Überfluss meldete jetzt auch noch das Globalnetzwerk, dass ein Kontakt mit dem Hotel gegenwärtig nicht möglich war.
In diesem Moment erschien T'than auf der Brücke. Er ging geradewegs auf Zo'or zu.
„Zo'or, wo...”
„Ich spüre ihn auch nicht.” Zo'ors Augen bohrten sich in T'thans, der dem Blick nicht auswich. Statt_dessen sprach er, mit einer für ihn völlig ungewohnten Sanftheit, das aus, was Zo'or ebenfalls dachte: „Es ist, als habe er nie existiert.”
Alarmiert sah Sandoval von einem Taelon zum nächsten. „Was bedeutet das?”
Doch die beiden Taelons ignorierten ihn vollkommen.
„So etwas ist noch nie passiert.” Zo'or schien vollkommen irritiert.
„Doch...”, T'than verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und begann mit leicht gesenktem Kopf zu dem großen Fenster der Brücke zu gehen. Er hob seinen Kopf wieder und sah auf die Sterne hinaus. „...in der alten Legende des Sho'che'la.”
Zo'or machte eine abweisende Handbewegung. „Es ist nur eine Legende, T'than!”
Der Kriegsminister drehte sich um und sah Zo'or abschätzend an. „Jede Legende basiert auf einer Wahrheit.”
Doch der Führer der Synode machte wieder nur eine wegwerfende Geste. „Das ist völlig unmöglich. - Agent Sandoval, nehmen Sie ein Shuttle und fliegen Sie zum letzten registrierten Standort des Shuttles.”
Sandoval zögerte einen Moment. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache und hätte gerne erfahren, worin es in dieser Legende ging, doch er kannte Zo'or gut genug, um zu wissen, dass ein Nachfragen in dieser Situation sinnlos war. Also nickte er nur kurz und wandte sich dann zum Gehen.
„Und Agent Sandoval”, hielt ihn Zo'or zurück, „bitte halten Sie die Kommunikationsverbindung mit mir ständig offen.”
T'than sah Sandoval nachdenklich zu, wie er mit dieser Anweisung die Brücke verließ. „Dir scheint nicht viel an deinem menschlichen Attaché zu liegen, Zo'or.”
Zo'or sah ihn etwas irritiert an, doch er antwortete nicht, sondern begab sich zu seinem Stuhl. T'than stand noch immer mit dem Rücken zum Fenster. „Du solltest diese Legende etwas ernster nehmen, Zo'or.”
Zo'or schüttelte leicht den Kopf. „Dein Aberglaube ist eine deiner größten Schwächen.”
Doch T'than ließ sich von dieser Aussage nicht provozieren. „Im Gegenteil, Zo'or. Es ist eine deiner größten Schwächen, so leichtfertig die Möglichkeit auszuschließen.” Dann sah er ihn wieder abfällig an. „Aber ich sehe - ich verschwende nur meine Zeit mit dir. Ebenso wenig wie es dich interessiert, was mit deinem Attaché geschehen wird, interessiert es dich, was mit Da'an geschieht.”...
T'than wandte sich zum Gehen, als Zo'or ihn zurückhielt. „Das ist eine Unterstellung, die ich dir nicht durchgehen lassen werde, T'than!” Seine Stimme klang beinahe verletzt. T'than lächelte selbstgefällig. Auf diese Reaktion hatte er gehofft.
Langsam wand er sich wieder um. „Was also, Zo'or, gedenkst du zu tun.”
„Das einzig Vernünftige, was man in einer solchen Situation tun kann. Ich werde erst die genauen Umstände prüfen und alle verfügbaren Daten analysieren, und wenn mich das nicht weiter bringt, dann, aber erst dann, werde ich mir Gedanken über eine uralte Legende machen.” Zo'or öffnete ärgerlich den Datenstrom und rief alle Sensordaten über das fragliche Gebiet auf. Doch wie schon zuvor war nichts Ungewöhnliches zu erkennen, weder gegenwärtig noch in den Aufzeichnungen der letzten Stunden und Tage.
„Was du versuchst, ist müßig. Eine solche Unregelmäßigkeit in der Interdimension ist mit den Sensoren des Schiffes aus dieser Entfernung nicht messbar”, konstatierte der Kriegsminister hochmütig.
„Wie ich sehe, hast du dir wie ein richtiger Gläubiger deine Meinung bereits gebildet.”
„Dein Spott bringt uns nicht weiter, Zo'or.” T'than blieb ruhig und ließ sich in keiner Weise provozieren. „Wenn du dir alle Daten... oder besser gesagt alle nicht vorhandenen Daten ansiehst, dann wirst sogar du zugeben müssen, dass als Erklärung nur die Legende in Frage kommt. - Aber wie ich sehe, hemmt dich dein Stolz... du würdest niemals zugeben falsch zu liegen. Eine weitere deiner Schwächen.” Ohne ihm eine Chance zu antworten zu geben, fuhr er fort. „Was denkst du, wie ist die Legende entstanden? Damals ist genau dasselbe geschehen.”
„Du willst damit sagen, Sho'che'la habe sein Maul geöffnet und Da'an, das Shuttle und Major Kincaid verschlungen?” Zo'or sah ihn spöttisch an.
T'than verdrehte genervt seine Augen. „Deine Naivität ist erschütternd, Zo'or.”
„Nun - und selbst wenn du sein Verschwinden auf diese Weise erklären willst... es bringt uns nicht weiter. Falls du es vergessen hast: Fa'lu'shu und alle, die ihm folgten, kehrten niemals zurück.”
„Die Legende soll uns auch lediglich als Hilfestellung dienen, Zo'or. Die Frage, die wir uns stellen müssen ist: Welches Phänomen haben sich unsere Vorfahren auf diese Weise zu erklären versucht?”
T'than sah Zo'or herausfordernd an. Zo'or nickte langsam mit dem Kopf und signalisierte so, dass er zur Zusammenarbeit bereit war.

„Zo'or, ich bin jetzt auf dem Weg.” Sandovals Bild erschien auf dem Datenstrom und unterbrach ihre Diskussion.
Der Synodenführer drehte sich von T'than weg und dem Datenstrom zu. „Gut, Agent Sandoval.”

 
* * *
 

Sandoval unterdrückte ein Seufzen und befahl der Pilotin zu starten. Er neigte normalerweise nicht dazu, sich von bösen Ahnungen bei der Arbeit beeinflussen zu lassen, doch dieses Mal war es fast übermächtig. Er legte die Hände um die Armlehnen seines Sitzes und hoffte, dass weder Zo'or noch T'than darauf achten würden, dass seine Knöchel unter seinem umklammernden Griff weiß hervortraten.
Nur eine Minute später kündigte die Pilotin mit ruhiger, beinahe gelangweilter Stimme den Sprung in die Interdimension an. Sandoval ließ die Verbindung zu Zo'or offen, damit sie - so hoffte er inständig - beim Austritt des Shuttles aus der Interdimension sofort wieder hergestellt war.
Mit dem typischen weißen Lichtblitz gelangten sie in die Interdimension. Angespannt sah sich Sandoval um. Alles schien in Ordnung zu sein. Rasch öffnete er ein Kontrolldisplay und überprüfte die Shuttledaten. Ja, es war alles, wie es sein sollte. Er merkte, wie er sich ein wenig entspannte.
„Achtung, wir verlassen die Interdimension!”, verkündete knappe zehn Minuten später die Pilotin und initiierte den Sprung mit der dafür vorgesehenen Handbewegung. Sandoval wurde sich halbbewusst, dass seine Hände wieder die Lehne umklammerten, als der Lichtblitz aufflammte. Er blinzelte die Lichtflecken weg und sah erleichtert unter sich die Erde. Wälder, Wiesen, das Hotel. *Dem Himmel sei dank!*, dachte er und setzte sich in seinem Sessel auf, gegen dessen Rückenlehne er sich unbewusst gedrückt hatte.
Zo'ors Gesicht erschien auf der Anzeige und Sandoval war sich sicher, dass er noch nie zuvor so froh gewesen war, ihn zu sehen. „Agent Sandoval, bitte erstatten Sie Beri...” Zo'or stockte als Sandoval mit einem Mal an ihm vorbei durch das virtuelle Glas des Shuttles starrte. „Sandoval!” Doch Sandoval konnte nicht anders als wie hypnotisiert auf den wilden Wirbel aus Farben zu starren. Die Pilotin schrie etwas und Sandoval hörte einen Lärm, wie Sturm von unglaublicher Intensität ihn wohl erzeugen würde, bevor das Shuttle in den Strudel gezogen wurde.

 
* * *
 

Das Einzige, was Zo'or sah, war das entsetzte Gesicht Sandovals, das von etwas angestrahlt wurde. Im Hintergrund schrie jemand, doch durch den Lärm konnte man es nicht verstehen. Dann begann das Bild zu flackern und war mit einem Mal verschwunden. Zo'ors Augen weiteten sich und seine Finger bewegten sich hektisch. „Agent Sandoval? - SANDOVAL!”
T'than sah ihn kalt an. „Es war klar, dass das geschehen würde, aber du wolltest ja nicht auf mich hören.”
Zo'or warf T'than einen kurzen panischen Blick zu, bevor er sich an eine Freiwillige wandte. „Können Sie die Worte der Pilotin herausfiltern?”
„Ja, aber das wird einige Zeit d...”
„Dann fangen Sie JETZT an!”
Schnell und ohne T'than weiter zu beachten, rief er die von den Shuttlesensoren übermittelten Daten auf und es dauerte nicht lange, bevor sich seine Augen vor Erstaunen weiteten.
„Hast du etwas gefunden?” T'than trat interessiert näher und erhielt einen kalten Blick von Zo'or.
„In der Tat, das habe ich. Bitte schau es dir an und sage mir dann, dass es sich nicht gelohnt hat, das Shuttle zu schicken. Derartige Informationen werden uns deine umfassenden Kenntnisse der Mythologie sicher nicht vermittelt!”
Nun war es an T'than den anderen Taelon wütend anzustarren, doch dann wandte er sich schnell den Daten zu.
„Du hast recht”, gab er nach einiger Zeit in neutralem Ton zurück, „diese Werte sind ebenso interessant wie ungewöhnlich. Allerdings wird es etwas dauern, bis wir mit ihnen etwas anfangen können.”
„In der Tat, Pa'nor soll sie sich anschauen.”

 
* * *
 

Das Shuttle begann sich wild zu drehen. Sandoval hatte Mühe, sich in seinem Sitz zu halten. Seine Hände krallten sich wieder an die Halterung seines Sitzes und er presste seine Augen zu. Alles, was er nun spürte, war ein ‚Herum-gewirbelt-Werden’ . Er hatte das Gefühl, sein Kopf würde jeden Moment zerspringen. Er nahm dumpf wahr, wie etwas direkt neben ihm gegen die Wand schlug. Trotz der geschlossenen Augen erschien alles hell und fleckig. Nach einer Ewigkeit in diesem grauenhaften Zustand nahm das Wirbeln mit einem Mal an Intensität ab. Er wagte es nur, seine Augen einen winzigen Schlitz zu öffnen, aus Angst, der eben noch da gewesene Zustand könnte zurückkehren. Doch als auch nach einer Minute nichts geschah, öffnete er sie schließlich doch. Durch das virtuelle Glas erkannte er die schillernden Farben des Interdimensionsraumes. Das Shuttle hatte sich beinahe vollkommen stabilisiert und trieb nun ruhig vor sich hin. Doch es war nicht der ihm bekannte Interdimensionsraum, sondern dieser Raum ähnelte eher einer Lichtung. Und mitten in dieser „Lichtung” trieb ein gigantisches Schiff - oder war es eine Raumstation?
Erst jetzt fiel dem Agent auf, dass die Pilotin nicht auf ihrem Platz saß. Er sah sich suchend um und entdeckte sie an der hinteren Wand des Shuttles. Sie war also der „Gegenstand” gewesen, der neben ihm eingeschlagen war. Er näherte sich ihr vorsichtig und legte eine Hand an ihren Hals. Ein schwacher Puls.
Vorsichtig drehte er sie in die stabile Seitenlage und entdeckte, dass aus einer Wunde an ihrem Hinterkopf Blut sickerte. „Verdammt!”, fluchte Sandoval. Jetzt würde er dieses Shuttle selbst landen müssen. Mit einem Seufzer stand er auf und setzte sich auf den Pilotensitz. Sein CVI spulte in Windeseile die notwendigen Informationen ab, doch er wusste ganz genau, dass Theorie und Praxis auch in diesem Fall zwei Paar Stiefel waren. Vorsichtig machte er eine Handbewegung, um zumindest ein wenig näher an dieses Gebilde heranzukommen. Das Shuttle machte einen heftigen Satz, der die verletzte Frau zu einem leisen Stöhnen veranlasste. Sandoval ignorierte sie und probierte es noch einmal, diesmal ein wenig sanfter. Diesmal ruckelte es nur leicht und das Shuttle begann sich vorwärts zu bewegen. Langsam kam er diesem Schiff näher.
Und je näher er kam, desto fassungsloser starrte er es an. Er war viel weiter entfernt gewesen, als er gedacht hatte. Dieses Monstrum wurde von Minute zu Minute riesiger. Er fragte sich schon, ob er nicht lieber umdrehen sollte. Vielleicht konnte er ja in die Interdimension springen und zurück zur Erde gelangen. Doch was sollte er dann Zo'or erzählen? „Ja, da war diese Raumstation.. nein, ich hab sie mir nicht näher angeschaut... ich dachte mir, es handelt sich ja bloß um Da'an und Major Kincaid und außerdem hab ich noch ein dringendes Gespräch mit einem jaridianischen Kommandanten zu führen.” Sandoval lächelte grimmig und ließ das Shuttle etwas schneller fliegen. Es war schon sonderbar, wie aufgebracht Zo'or gewesen war. Dass ein plötzliches Verschwinden von Da'an ihn verwirrte, gut, aber das war etwas mehr gewesen als bloße Verwirrung. Er kannte Zo'or gut genug, um das zu erkennen. In seinen Augen war regelrecht so etwas wie Entsetzen gewesen, sofern es so etwas bei Taelons überhaupt gab. Hatte das etwas mit T'thans Aussage zu tun, dass es schien, als hätte Da'an nie existiert? Oder schätzte er es bloß einfach nicht, wenn jemand oder etwas anderes seine Widersacher eliminierte? Und was sollte bloß diese Aussage bedeuten? Es musste anderes bedeuten, als dass er einfach tot war. Vermutlich verstand er einfach nicht genug von der Natur des Gemeinwesens, um das ergründen zu können.

Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis das kleine Shuttle endlich die gigantische Raumstation erreicht hatte. Er fand auch relativ schnell etwas, das so aussah, als sei es ein Shuttlehangar - doch der schwerste Teil lag vor ihm: Die Landung. Geradeausfliegen war eine Sache, doch das Shuttle heil zu Boden zu bringen eine ganz andere. Er atmete tief ein und richtete seine hundertprozentige Konzentration auf die Konsolen und das Deck vor ihm. Seine Hände flogen über die Anzeigen und das Shuttle glitt sogar ausgesprochen elegant hinein... bis es plötzlich einen starken Ruck gab, der Sandoval beinahe von dem Pilotensessel warf. Der rechte Antrieb schien an die Wand gestoßen zu sein. Schnell versuchte der Agent gegenzulenken, doch er hatte keine Kontrolle mehr über das Shuttle. Taumelnd näherte es sich dem Boden der Landefläche - in einer völlig überhöhten Geschwindigkeit. Als alle Versuche, die Geschwindigkeit zu verringern, versagten, blieb ihm nichts anderes übrig als die Crash-Blase zu aktivieren und darauf zu hoffen, den Absturz zu überstehen.

 
* * *
 

Zo'or war nicht glücklich. Nach einer ersten Schätzung von Pa'nor war frühestens in drei Stunden mit brauchbaren Ergebnissen zu rechnen. Und das, obwohl T'than ihm in seinem Labor assistierte. Nun, das war vielleicht eher der Grund, warum der Wissenschaftler eine so schleppend voranschreitende Analyse prognostizierte. Doch Zo'or war das weit lieber, als wenn T'than sich auf seiner Brücke herumtrieb. Zumal er keine Zeit für ihren Austausch von Gehässigkeiten hatte. Er hatte auch keine Zeit, sich um Da'ans plötzliches und vollständiges Verschwinden Gedanken zu machen. Er hatte zu funktionieren! Resolut drehte er seinen Stuhl, als Selina Borden auf die Brücke trat. Er hatte dem südpazifischen Companion kurzerhand seinen Attaché entzogen und konnte nur hoffen, dass sie Sandoval effektiv ersetzen konnte.
„Zo'or”, Selina Borden nickte ihm zur Begrüßung sachlich zu, „es freut mich, Ihnen in dieser Lage helfen zu können.”
Er sah sie skeptisch an. Sie war wie Sandoval klein, dunkelhäutig und hatte braune Augen, doch nicht mit dem starken asiatischen Einschlag. Vermutlich ein Gemisch unterschiedlicher menschlicher Rassen, wie es in wenigen Jahrhunderten den Hauptteil der Erdbevölkerung bilden würde - vorausgesetzt, es würde dann noch Menschen auf der Erde geben.
„Gut, Mrs. Borden. Haben Sie sich bereits über die gegenwärtige Lage informiert?”
„Ja. Es gab eine Anomalie im Interdimensionsraum, aufgrund derer erst der nordamerikanische Companion und sein Beschützer sowie mittlerweile auch Agent Sandoval verschwunden sind. Darüber hinaus ist der Kommunikationsverkehr in weiten Bereichen der amerikanischen Ostküste dadurch unterbrochen worden.”
„Wiederholen Sie keine Sachverhalte, die mir bekannt sind!”, unterbrach Zo'or sie schroff. „Sagen Sie alle meine Termine für diesen Tag ab und koordinieren Sie die eingehenden Anfragen. Und leiten Sie bitte nur das Allerwichtigste an mich weiter. Ich habe keine Zeit, mich mit mehr hysterischen Menschen abzugeben, als unbedingt notwendig ist.”
Die Frau ließ sich von seiner Reaktion nicht irritieren und machte sich einfach an die Arbeit. Zo'or öffnete den Datenstrom. Jetzt konnte er nur noch warten, bis die Flutwelle über ihm hereinbrach. Er hatte schon viel zu lange keine Regenerationsphase eingelegt. Nach der Besprechung mit Da'an hatte er eine eingeplant, und selbst dann wäre sie schon längst überfällig gewesen. Da'an. Ob er noch existierte? Doch er kam nicht dazu länger darüber nachzudenken.
„Der amerikanische Außenminister wünscht Sie zu sprechen, Zo'or.”
Musste dieser Mensch denn unbedingt jetzt eine Dienstreise nach Fernost machen, anstatt in Washington von der Kommunikation abgeschnitten zu sein? Ohne Borden zu antworten, holte er sich die Verbindung auf den Datenstrom.
„Mr. Jarshewsky?”
„Sinaui Euhura, Zo'or.”
Er zuckte innerlich zusammen. Sie hätten den Menschen diesen Gruß niemals bekannt machen dürfen. Sie hätten einfach etwas erfinden sollen, das diese Kreaturen aussprechen konnten!
„Zo'or, bitte verraten Sie mir, was an der Ostküste los ist. Ein kompletter Ausfall der Kommunikationsverbindungen? Das kann doch nicht möglich sein!”
„Leider doch. Es gab eine Anomalie in der Interdimension, die wohl einen Großteil der technischen Anlagen in Mitleidenschaft gezogen hat.”
„Einen Großteil der... Oh mein Gott!”
„Die Situation ist sicher problematisch, doch seien Sie versichert, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um das Problem zu beheben. Sie werden sofort einen umfassenden Bericht erhalten.”
„Ja, aber was ist denn bloß die Ursache? Und was ist alles betroffen?”
Zo'or hätte ihn am liebsten angeschnauzt, dass er den Bericht lesen solle, doch dieser Mensch war - warum auch immer - der Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika.
„Die Ursache war - wie gesagt - eine Anomalie, deren Ursache wir nicht kennen. Das betroffene Gebiet erstreckt sich von New York bis südlich von Washington.”
„Oh mein Gott, die Auswirkungen... Die Finanzmärkte...” Jarshewskys Stimme erstarb, eine Chance, die Zo'or nicht ungenutzt verstreichen ließ.
„Unser Kommunikationseinrichtungen funktionieren und ich verspreche, dass Sie bald Kontakt zu ihrem Präsidenten haben werden.”
Zo'or rang sich noch ein Nicken ab und kappte die Verbindung.

 
* * *
 

Als Sandoval sein Bewusstsein wieder erlangt hatte, befand er sich ein paar Meter vom Shuttle entfernt - oder besser gesagt von dem, was von dem Shuttle noch übrig war. Er deaktivierte die Crashblase und stand mühsam auf. Er ging ungläubig auf das Shuttle zu und verschaffte sich einen Überblick über die noch funktionierenden Einheiten.
*Die Pilotin wird wohl kaum noch dazugehören*, dachte er trocken und wappnete sich schon einmal gegen den sicherlich wenig erfreulichen Anblick, als er in das Wrack kletterte. Doch sie musste wohl aus dem Shuttle geschleudert worden sein. Mit einer Handbewegung versuchte er die Kontrollen zu aktivieren, doch er schaffte es nicht einmal ein kleines Flackern hervorzurufen. „Verdammter Mist!” Wütend kickte er ein Stück des Sitzes zur Seite. Wie sollte er jetzt bitte hier wieder weg kommen? Er zwang sich ruhig und gleichmäßig zu atmen. Er musste sich erst einmal umsehen. Also kletterte er wieder heraus. Er befand sich in einer riesigen Halle. In seiner unmittelbaren Umgebung befanden sich nichts als Bruchstücke des Shuttles, doch in einiger Entfernung, in Richtung des Inneren der Raumstation, blitzte etwas blau und violett. Ein Shuttle! Schnell begann er darauf zu zu gehen, doch nach einigen Metern stockte er. Unter einem Wrackteil ragte der Körper der Pilotin hervor. Zögernd ging Sandoval darauf zu und zog eine blutverschmierte Hand hervor. Da war nichts mehr zu machen, kein Puls. Sandoval stand auf und sah einen Moment auf sie herunter. Dann schüttelte er den Kopf und ging schnell auf das andere Shuttle zu.

Als er es erreicht hatte, stellte er erleichtert fest, dass es scheinbar unbeschädigt war. Er stieg hinein und aktivierte mit einer Armbewegung die Anzeigen. Nachdem er sich einige der Aufzeichnungen angesehen hatte, wußte er, dass es sich tatsächlich um Da'ans Shuttle handelte. Zumindest bedeutete es, dass er nicht vollkommen alleine hier gestrandet war. Doch wo waren Da'an und der Major? Aus welchem Grund hatten sie das Shuttle verlassen? Sandoval versuchte eine Verbindung zum Mutterschiff aufzubauen, doch wie erwartet gelang es ihm nicht. Eine Weile blieb er regungslos im Shuttle sitzen und überlegte, was er nun tun sollte.
Schließlich stand er auf und verließ das Shuttle. Er sah sich in dem großen Hangar um. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten und er einen Gang entdeckte. Zielstrebig, aber dennoch vorsichtig, ging er darauf zu.
Sein Skrill zischte leise, als er die angespannte Unruhe seines Wirtes wahrnahm. Vorsichtig und in Alarmbereitschaft schlich er vorwärts. Spätestens, als er an die erste Abzweigung kam, wurde ihm klar, dass es schwierig werden würde, sie zu finden. Sie hatten vermutlich eine gute Stunde Vorsprung, vielleicht eine halbe, wenn er davon ausging, dass sie noch eine Zeitlang am Shuttle gewartet hatten. Er entspannte sich etwas, als ihm der Gedanke kam, dass sie seinen Absturz gehört haben müssten, auch wenn sie schon ein ganzes Stück weiter waren. Doch dieser positive Gedanke verkümmerte, als er etwas aufmerksamer auf Geräusche achtete. Es war unheimlich still. Selbst seine eigenen Schritte nahm er nur gedämpft war, so als würde der Schall von dem Material, aus dem dieses Ungetüm erstellt worden war, verschluckt. Sandoval blieb stehen und lauschte. Nichts... doch, ganz leise war da etwas. Eine Art Summen oder Rauschen, nicht so wie von Motoren oder Generatoren, nein, es klang nicht mechanisch, eher natürlich - unheimlich. Sandoval schüttelte den Kopf und ging entschlossen weiter. Warum hatten die beiden auch nicht am Shuttle gewartet? Man spazierte doch nicht durch eine völlig fremde Raumstation, man wartete auf Rettung. Trotz seiner prekären Lage konnte sich Sandoval ein selbstironisches Grinsen nicht ganz verkneifen. Vielleicht sollte er froh sein, dass sie nicht gewartet hatten. Seine Rettungsaktion war bislang nicht sonderlich erfolgreich verlaufen. Kincaid hatte das verflixte Shuttle scheinbar recht souverän gelandet. Naja, er war ja auch nicht mehr als ein einfacher Beschützer ohne die zusätzlichen und weit aufreibenderen Aufgaben eines Attachés. Trotzdem fragte er sich, wie der Kerl zu so viel Flugpraxis kam. So sonderlich viel war Da'an doch gar nicht mit dem Shuttle unterwegs.

 
* * *
 

Zo'or wollte gerade nachsehen, ob Pa'nor schon etwas Neues herausgefunden hatte, als Borden ihn wieder ansprach.
„CNN wünscht ein Interview. Wollen Sie...”
Bevor die Frau den Satz beenden konnte, holte er sich die Verbindung auf den Datenstrom.
„Was... Oh! Zo'or, welche Freude, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen.”
Er machte eine elegante Handbewegung - zumindest hoffte er, sie würde elegant wirken - und nickte. Bei aller Diplomatie, er würde nicht sagen, dass die Freude auch auf seiner Seite läge. Ein bisschen Extravaganz musste man sich als Außerirdischer schon erlauben können.
„Zo'or, unseren Berichten zufolge gab es an der Ostküste der USA einen massiven Ausfall der technischen Anlagen inklusive aller Kommunikationseinrichtungen. Es gibt Gerüchte von einem Interdimensionswirbel und von einem verschwundenen Shuttle. Was können Sie uns dazu sagen?”
Typisch, die Presse war besser informiert als die führenden Politiker!
„Das ist korrekt! Ursache ist eine Anomalie in der Interdimension, deren Ursache wir nicht kennen.”
„Aha, danke. Und das Shuttle?”
„Es ist tatsächlich eins unserer Shuttle verschwunden und später noch ein zweites. Sonstige Interdimensionsreisen waren nicht betroffen, aber vorsorglich habe ich trotz der Proteste der Portalbetreiber alle Portale sperren lassen, damit keine Reisenden zu Schaden kommen.”
„Da ist sicher mit großen Schäden für die Betreiber zu rechnen. Schön zu hören, dass die Sicherheit der Reisenden Vorrang vor finanziellen Interessen hat.”
„Das sieht die Taelon-Synode genauso”, meinte Zo'or und nickte huldvoll. Wenigstens wusste diese Reporterin, was sie sagen musste.
„Zurück zu den Shuttles. Wer waren denn die Insassen?”
Es missfiel Zo'or, dies kund zu tun, doch es würde sich nicht lange verheimlichen lassen, dass der nordamerikanische Companion nicht mehr da war. Wenigstens würde dieser Vorfall ihnen eine Menge Sympathie entgegenbringen. Die Menschen waren sentimental und bereit, öffentlichen Personen das Mitgefühl entgegen zu bringen, das sie ihren Nächsten versagten.
„An Bord des ersten Shuttles war der nordamerikanische Companion Da'an und sein Beschützer und an Bord des zweiten mein Attaché Ronald Sandoval und seine Pilotin.”
Die Reporterin nickte ernste. „Damit bestätigen Sie also die bösen Gerüchte, die bereits kursieren. Ich denke, ich kann sagen, dass dies alle Menschen in tiefe Besorgnis und Trauer stürzt.” Tatsächlich gelang es der Frau tieftraurig auszusehen, ob es nun gespielt oder echt war, darüber konnte Zo'or noch nicht einmal eine Vermutung aufstellen. Bei Menschen war alles möglich.
„Die Anteilnahme der Menschen ist sehr tröstlich!”, log er. „Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die Vermissten zurückholen zu können.”
„Tatsächlich? Dann ist es nicht sicher, dass sie bereits tot sind?”
„Nein. Wir sind dabei das Phänomen zu untersuchen und wir werden alles tun, damit die Menschen nicht länger unter diesem zu leiden haben.”
„Vielen Dank, Zo'or.” Wie gehofft ließ sie ihn damit erst mal in Ruhe, doch sicher nicht für lange.

 
* * *
 

Die vielen Abzweigungen des Ganges machten Sandoval nervös. Durch sein CVI lief er zwar keineswegs Gefahr sich zu verlaufen, doch die Wahrscheinlichkeit Da'an und den Major zu finden verringerte sich von Gabelung zu Gabelung. Wenn wenigstens sein Global funktionieren würde, dann könnte er versuchen sie zu kontaktieren. Sandoval wollte gerade eine Pause machen - wie lange war er schon unterwegs? Diese immer gleich aussehenden Gänge und dieses monotone Geräusch betäubten jegliches Zeitgefühl - als er ein Licht entdeckte. Er versteifte sich und rieb kurz seine Augen. Nein, es war keine optische Täuschung, sondern dort war tatsächlich ein leichtes Flimmern. Raven zischte, als Sandoval seinen Arm in Verteidungspose anhob und sich der Lichtquelle langsam näherte. Doch je näher er ihr kam, desto weiter schien sie sich zu entfernen. Nachdem er ihr eine Weile gefolgt war, blieb er irritiert stehen. Die Lichtquelle verharrte ebenfalls und die beiden musterten sich. Zumindest hatte er das Gefühl, von ihr gemustert zu werden. Urplötzlich begann sie sich auf ihn zu zu bewegen. Er blieb zuerst unbeweglich stehen, doch dann machte er einen kleinen Schritt in ihre Richtung. Das Licht verharrte wieder. Was sollte dieses Spielchen? Sandoval hatte genug von der Ungewissheit und entschloss die Initiative zu ergreifen. Mit einem Satz hechtete er auf das Licht zu. Doch genauso schnell wie Sandoval gesprungen war, entfernte sich das Licht nun. Es schien regelrecht die Flucht zu ergreifen. Der Agent sah ihm mit einer Mischung aus Faszination und Enttäuschung hinterher. Was auch immer das gewesen war, es hatte auf ihn reagiert. Vielleicht handelte es sogar um intelligentes Leben?
Wie auch immer, er beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Langsam, um dieses Wesen - wenn es denn eins war - nicht zu erschrecken, ging er darauf zu. Doch es entfernte sich ebenso langsam. Wann immer es hinter einer Ecke verschwand, fürchtet Sandoval, dass es nicht mehr da sein würde, doch auch nachdem sie dieses Spielchen weitere zehn Minuten gespielt hatten, hatte sich nichts an der Situation geändert, selbst der Abstand war noch der gleiche und langsam hatte Sandoval genug. Er überlegte gerade, ob er es nicht vielleicht ansprechen sollte, doch er konnte sich nicht dazu durchringen. Die Vorstellung, dass ihm genau dann Da'an und Kincaid über den Weg liefen, während er sich mit einem Irrlicht unterhielt, erschien ihm zu peinlich.

 
* * *
 

Zo'or hob die Hand, um eine Verbindung mit Pa'nor herzustellen, doch Borden verkündete, dass Thompson jetzt in der Washingtoner Botschaft sei. Also stellte er statt dessen eine Verbindung mit ihr her und das Gesicht dieses Präsidenten von seinen Gnaden erschien.
„Zo'or, was höre ich da? Eine Anomalie in der Interdimension? Wie kann die nur so eine Katastrophe verursachen?” Welche Katastrophe, dachte sich Zo'or, nur die menschlichen Einrichtungen versagen, unsere Einrichtungen funktionieren tadellos.
„Die Ursache der Anomalie ist uns unbekannt. Wir...”
„Mit anderen Worten, Sie haben keine Ahnung, was man dagegen tun kann?!” Thompson stöhnte und sah aus, als würde er den Weltuntergang erwarten.
„Mit anderen Worten”, fauchte Zo'or, wütend über die Unterbrechung seines Satzes, „wir arbeiten daran!”
„Ich brauche Ihre Hilfe! Hier herrscht das komplette Chaos!”
„Weil Ihre Sicherheitskräfte mit dem Problem wieder einmal nicht fertig werden, sollen also Freiwilligentruppen aushelfen. Präsident Thompson, meine Hilfsbereitschaft ist nicht grenzenlos.”
Diese Antwort veranlasste den Menschen sich aufs Bitten zu verlegen, doch der fordernde Unterton war immer noch deutlich herauszuhören.
„Zo'or, wir sind einfach überfordert, mit einem Problem dieses Ausmaßes fertig zu werden, vor allem ohne jede Kommunikationseinrichtung!”
Mit kaltem Blick lehnte Zo'or sich in seinem Sitz zurück und starrte Thompson an, dem seine Situation zunehmend ungemütlich wurde. Doch bevor dieser sich entschloss ihn mit einem weiteren Wortschall zu belästigen, gab er der „Bitte” nach.
„Also gut, Mr. Präsident. Ich werde Freiwilligentruppen zu Hilfsmaßnahmen abkommandieren.”
Die Dankesrede hörte er sich nicht mehr an, sondern kappte die Verbindung. Er war nicht wirklich abgeneigt, Freiwillige auf diese Weise einzusetzen, denn es würde ihre Popularität erheblich steigern. Er brauchte nur jemanden, der das Ganze koordinierte.

 
* * *
 

Diesmal bemühte Zo'or sich nicht eine Verbindung zum Labor herzustellen, sondern stand resolut auf, um sich - nachdem er Borden informiert hatte, wo er zu erreichen war - auf den Weg dorthin zu machen. Er kam gerade bis zum Ausgang der Brücke, als die Frau ihn zurückrief.
„Sir, es tut mir leid, aber ich erfahre gerade, dass Mrs. Palmer von Doors International auf dem Mutterschiff eingetroffen ist und Sie zu sprechen wünscht.”
„In Ordnung, Sie soll kommen.” Unverrichteter Dinge kehrte er zu seinem Platz zurück. Als er sich setzte und einen Moment einfach nur abwartete, bis dieser Mensch die Brücke erreicht hatte, merkte er seine Erschöpfung. Sie fiel wie ein schwerer Schleier über ihn. Unbewusst suchte er Da'an, bevor er realisierte, dass diese Suche sinnlos war. Dort, wo er Da'an spüren sollte, war einfach nichts. Nicht einmal der Schatten eines Toten, einfach nichts. Schnell fokussierte seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Umgebung und er beobachtete, wie Renee Palmer auf ihren lächerlichen hohen Schuhen hereinstolziert kam.
„Zo'or, schön, dass Sie einen Moment Zeit für mich haben!”
„Bitte, was kann ich für Sie tun?” Er ließ seine Stimme vergleichsweise sanft klingen und unterstrich das Ganze mit einer auffordernden Handbewegung, doch seinen Blick hielt er bewusst eisig. Es war ein gutes Mittel Menschen schnell wieder los zu werden, ohne direkt die Etikette zu verletzen.
„Ich wollte mich erkundigen, was es mit dieser Anomalie in der Interdimension auf sich hat. Können Sie mir zusätzlich zu den Informationen, die die Presse hat, noch etwas mitteilen.”
„Ich bedauere, weitere Informationen stehen auch mir derzeit nicht zur Verfügung. Ich werde Sie informieren lassen, sobald sich das ändert.”
„Ich verstehe.”
Zo'or wusste, dass sie ihm weder glaubte, noch es darauf beruhen lassen würde.
„Gibt es denn etwas, das Doors International zur Lösung der Situation tun kann?”
„Nein, ich denke nicht. Unsere eigenen Wissenschaftler arbeiten daran.” Und sie verstehen, im Gegensatz zu den menschlichen, etwas von der Interdimension, fügte er in Gedanken hinzu.
„Wie bedauerlich. Das Verschwinden von Da'an hat mich sehr betroffen gemacht. Bitte sagen Sie mir, wie die Chancen zu seiner Rettung stehen.”
Er würde das Mutterschiff darauf verwetten, dass sie sich keinen Deut um Da'ans Schicksal scherte. Es kursierten Gerüchte, dass sie in einer engen Verbindung zu Major Kincaid stand.
„Auch darüber kann ich nichts Genaueres sagen. Wir werden selbstverständlich alles unternehmen, was wir können, um die Vermissten zurückzuholen.”
Um dieses nutzlose Gespräch zu beenden, stand er auf.
„Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen würden. Ich werde Sie sofort informieren lassen, sobald es etwas Neues gibt.”
Schnell verließ der die Brücke. *Wenn ich heute noch einmal den Ausdruck „Anomalie in der Interdimension” höre oder gar sagen muss,* dachte er gereizt, *dann werde ich ein paar Seuchen auf die Menschheit loslassen, die ihre Entwicklung in die Steinzeit zurückkatapultiert!*

 
* * *
 

Sandoval bog gerade um eine weitere Ecke, als er erschrocken stehen blieb. Mit einem Mal waren da nicht ein Licht, sondern drei Lichter vor ihn. Sie unterschieden sich leicht in der Farbe und der Größe. Sandoval zögerte, sollte er vielleicht jetzt etwas sagen? Vorsichtig lausche er. Kein Ton, außer diesem Summen, war zu hören. „Hey, wer ist da?”, rief er schließlich. Die Lichter wirbelten plötzlich durcheinander. Wenigstens reagierten sie, doch bevor er noch etwas sagen konnte, stoben sie auseinander und verschwanden in jeweils unterschiedlichen Gängen. „Verdammt!” Sandoval sah ihnen ärgerlich hinterher. Er hätte sie nicht ansprechen sollen. Aber was wäre die Alternative gewesen? Ewig hinter ihnen herzuschleichen? In welche Richtung sollte er jetzt gehen? Nach kurzem Überlegen entschied er sich für den mittleren der drei Gänge. Es bestand die Gefahr, dass - was auch immer es war - ihn nun einkreiste. Doch dieses Risiko nahm er auf sich. Zurückzugehen kam für ihn nicht in Frage. Eine ganze Weile war keines der Lichter mehr aufgetaucht. Er begann beinahe sie zu vermissen. Diese Gänge waren in ihrer Eintönigkeit erdrückend. Doch da erschien eines der Lichter wieder vor ihm. Und zu seiner Überraschung blieb es, wo es war, obwohl Sandoval sich näherte. Vorsichtshalber blieb Sandoval in einem sicheren Abstand stehen. Er hatte nicht vor, eines dieser Wesen erneut zu erschrecken. „Hallo?” Das Wesen flog - scheinbar aufgeregt - hin und her, doch es blieb in gleichbleibender Entfernung von Sandoval. Der Mensch startete einen neuen Versuch. „Wer... oder was... bist du?”
Nun hörte es auf hin und her zu fliegen und verharrte für einen kurzen Moment. Zu Sandovals Überraschung begann es sich auf ihn zu zu bewegen. Je näher es kam, desto vertrauter erschien es ihm. Er stellte bald fest, dass es nicht flog, wie er zuerst angenommen hatte. Es schien sich lediglich sehr schnell bewegen zu können. Als es nicht mehr weit von ihm entfernt war, wurde ihm klar, weshalb es ihm so vertraut erschien. Doch er glaubte seinen Augen nicht. Das war doch unmöglich. Ungläubig sah er das Wesen an, welches nun wenige Meter vor ihm stand. Es schimmerte in einem wundervollen Blau-lila und legte nun seinen Kopf etwas schräg. „Hallo?”, ahmte es den Menschen nach. Sandoval wusste nicht, wie er reagieren sollte. Die Situation war einfach zu skurril. Er stand einfach nur da und starrte sein Gegenüber an. Das Wesen streckte langsam seinen Arm nach ihm aus. Ohne darüber nachzudenken, tat Sandoval es ihm gleich und ihre Hände berührten sich sanft. Blitzschnell zog das Wesen seine Hand weg und wich einen Schritt zurück. Sandoval musste über dieses Verhalten lächeln. „Du brauchst keine Angst zu haben - ich tue dir nichts.” Das Wesen legte seinen Kopf wieder schief und sah den Menschen nachdenklich an, als erwäge es seine Glaubwürdigkeit. Scheinbar entschied es sich Sandoval zu vertrauen, denn es streckte erneut seine Hand nach ihm aus. Er tat es ihm wieder gleich, und als sich ihre Hände berührten, veränderte es plötzlich seine Form. Es erschien nun menschlich, wenn auch in der gewohnten Taelon-Variante des menschlichen Erscheinungsbildes. Der einzige Unterschied war die nun stärker auffallende Größe, beziehungsweise nicht vorhandene Größe. Es war wesentlich kleiner als alle Taelons, die Sandoval bisher gesehen hatte. Auch sein Gesicht schien noch filigraner zu sein. Der Taelon blickte Sandoval mit seinen großen blauen Augen lange an und sagte nichts. Auch Sandoval sagte nichts. Dieser Taelon faszinierte ihn mehr als jeder andere Taelon, den er bisher gesehen hatte. Er hätte ihn sicher noch stundenlang angestarrt, wenn der Taelon nicht als erster das Schweigen gebrochen hätte.
„Sinaui Euhura”, sagte er mit einer unglaublich sanften Stimme. Sandoval hatte das Gefühl darin zu versinken, doch er riss sich zusammen und erwiderte den Taelon-Gruß, so gut es ihm möglich war. Auf dem Gesicht des Taelon erschien ein Lächeln. „Sha'va ko'laa Tu'li!”, gab er beinahe begeistert von sich. Sandoval sah ihn verzweifelt an. Es war eindeutig Eunoia. Wieso hatte er damals die Versuche die Taelonsprache zu lernen so schnell aufgegeben? Es war ihm nicht wichtig erschienen - er hatte statt dessen seine volle Hingabe der Sicherheit seiner Companions gewidmet. Doch nun wurde ihm dies zum Verhängnis. „Ich... ich... kann dich nicht verstehen”, sagte er verzweifelt. Der Agent versuchte sich an die paar Worte und Redewendungen, die er beherrschte, zu erinnern. Das einzige, was ihm einfiel, war „Ich bin ein Mensch.” Allerdings bezweifelte er, dass ihn dieser Satz viel weiterbringen würde. Trotzdem war es einen Versuch wert. „Ju'lishi.” Die blauen Augen sahen ihn verständnislos an. Verdammt, er hatte es vollkommen falsch ausgesprochen! Wer weiß, was er gerade gesagt hatte! Eunoia war sehr ‚vielseitig’. Er räusperte sich leicht, bevor er es ein weiteres Mal versuchte. „Juu'lieshi.” Diesmal war der Blick zwar immer noch etwas verständnislos, aber ein leichtes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Taelons. Sandoval erwiderte das Lächeln etwas unsicher. Zumindest schien das, was er gesagt hatte, nicht allzu schlimm gewesen zu sein, sonst hätte der Taelon anders reagiert. Er deutete auf sich. „Sandoval.”
Der Taelon ahmte seine Geste nach und wiederholte die Worte des Menschen „Sandoval.” Dann lächelte er wieder. Sandoval seufzte. Es schien noch schwieriger zu werden, als er befürchtet hatte. „Juu'lieshi”, wiederholte er die - hoffentlich - richtig ausgesprochenen Worte und seine Geste. Der Taelon starrte ihn einen Moment nachdenklich an. Sandoval war schon dabei aufzugeben, als der Taelon mit seinem Arm auf ihn zeigte. „Sandoval?” Der Agent strahlte ihn geradezu an und nickte. Er deutete wieder auf sich „Sandoval.” Der Taelon erwiderte das Lächeln und deutete dann auf sich selbst „Ja'rel.” Sandoval hätte den Taelon am liebsten umarmt. Endlich ein Fortschritt.
Sandoval überlegte fieberhaft, was er als nächstes tun könnte. Er musste unbedingt erfahren, wo er sich befand, und vor allem, wie er wieder von hier wegkommen würde. Er machte mit seinem Arm eine Bewegung, die den ganzen Gang einbezog und sah Ja'rel dabei fragend an. Doch dieser schien nicht zu verstehen, was sein Gegenüber von ihm wollte. Statt dessen griff er sanft nach Sandovals Arm. Dieser war überrascht, doch wehrte sich nicht, sondern ließ den Taelon seinen Arm zu dessen Arm bewegen. Der Taelon nahm sanft seine Hand und drehte sie mit der Handfläche zu sich. Dann legte er seine eigene Handfläche leicht dagegen und schloss die Augen. Plötzlich spürte Sandoval ein Kribbeln an seiner Hand, das intensiver wurde. Und plötzlich war da etwas in ihm. Gefühle und Bilder, die nicht zu ihm gehörten. Doch sie waren zu schwach, als dass er sie erkennen konnte. Es schien, als sei etwas auf der Suche nach etwas in ihm. Zuerst sträubte er sich gegen dieses Eindringen in seine Gedanken, doch dann hob er diese Blockade auf und entspannte sich. Es war ein überwältigendes Gefühl - obwohl er es nicht wirklich einordnen konnte.
Dann war dieses Gefühl auf einmal wieder verschwunden. Er blinzelte ein bisschen, öffnete die Augen und blickte wieder in das freundliche Gesicht des Taelons. „Ich hoffe, es war nicht unangenehm für dich. - Ich musste in deine Gedanken eindringen, um deine Sprache zu verstehen.”
Unangenehm? Es war alles andere als das gewesen. Sandoval war noch so benommen von diesem Erlebnis, dass er erst ein paar Sekunden nach den Sätzen des Taelons realisierte, dass dieser soeben in englisch geredet hatte.
„Du bist ganz anders als die anderen.” Ja'rel sah ihn nachdenklich an.
„Die anderen?”
Der Taelon antwortete nicht auf diese Frage, sondern hob seine Hand und ließ sie vorsichtig durch Sandovals Haare gleiten. Dann strich er ihm über das Gesicht. „Obwohl du dem einen ähnlich siehst, seit ihr doch so verschieden.”
Der Mensch sah ihn mit großen Augen an und brachte kein Wort über die Lippen. Diese Handlung des Taelon hatte ihn vollkommen überrascht. Sie wirkte so unschuldig - vermutlich war diesem Wesen gar nicht bewusst, wie sie auf Menschen wirkte.
Ja'rel ließ die Hand sinken. Sandovals Skrill hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er nahm Sandovals Arm, zog den Ärmel seines Anzuges ein Stück zurück und befühlte neugierig den Skrill. „Was ist das?”, fragte er, ohne den Blick zu heben.
Sandoval brauchte ein paar Sekunden, bevor er antwortete. „Ein Skrill”, sagte er leise, wobei er weiterhin dem Taelon zusah, wie er sich fasziniert über Sandovals rechten Arm beugte.
„Es besitzt einen eigenen Geist... und doch gehört es zu dir. Lebt ihr in einer Symbiose?”
„So könnte man es umschreiben...”
„Sehr interessant...” Der Taelon richtete sich wieder auf und sah Sandoval ins Gesicht. Er ließ seine Finger noch einmal über die Wange des Menschen fahren, bevor er seinen Kopf schief legte und wie selbstverständlich fragte „Willst du jetzt zu den anderen?”
„Welche anderen?”
„Die, die kurz vor dir hier angekommen sind.”
Redete er etwa von Da'an und Liam? Er wusste, wo sie waren? Schnell nickte Sandoval.
„Ja, gerne.”
„Dann komm.” Der Taelon ergriff Sandovals Hand und zog ihn sanft mit sich.

 
* * *
 

„Was hast du herausgefunden?” fragte Zo'or Pa'nor, sobald er endlich das Labor erreicht hatte, wobei er T'than geflissentlich ignorierte.
„Ich habe meine Analysen noch nicht abschließen können”, antwortete dieser und vermied es T'than anzusehen.
„Dann beeile dich”, giftete Zo'or den Wissenschaftler unnötigerweise an und wandte sich an T'than. „Kriegsminister, ich habe eine Aufgabe für dich”, meinte er mit einem hämischen Lächeln.
T'than blickte alarmiert, doch er fand schnell zu seinem gewohnten Hochmut zurück. „Ich habe bereits eine Aufgabe. Im Gegensatz zu dir bemühe ich mich um die Rettung von Da'an. Er wird nicht erfreut sein, wenn er erfährt, wie wenig Interesse du daran gezeigt hast.”
Der Atavus in Zo'or wollte T'than für diese Aussage am liebsten töten, während ein anderer Teil, das Kind, aufgewühlt beteuern wollte, dass er Da'an niemals im Stich lassen würde. Der diplomatische Teil gewann wie immer die Oberhand.
„Im Gegensatz zu dir, T'than, nehme ich meine Aufgabe für das Gemeinwesen ernst. Ich würde nie meine ganze Energie in die Rettung eines potentiellen Bündnispartners stecken, nur um meiner Position zu sichern!”
„Nein, Zo'or, du lässt deine Widersacher lieber direkt umbringen, anstatt zivilisierte Mittel zum Austragen eines Konfliktes zu verwenden!”
„Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit deinen unverschämten Anschuldigungen zu befassen. Du wirst den Hilfseinsatz der Freiwilligen auf der Erde leiten!”
T'than sah aus, als würde er ihm am liebsten einen Energiestoß versetzen.
„Auf keinen Fall werde ich meine Zeit derart verschwenden!”
„Das ist keine Verschwendung, sondern wird uns mehr Popularität bei den Menschen einbringen als alle technologischen Geschenke, die wir in dem letzten halben Jahr gemacht haben”, antwortete Zo'or gelassen, doch insgeheim spürte er mehr Genugtuung darüber, dass er T'than so behandeln konnte, als er sich selbst eingestehen wollte.
„Unsere Popularität bei den Menschen ist wertlos. Du kennst meine Meinung!”
„Und du kennst die Meinung der Synode! Wenn du dich in dieser Sache offen gegen sie stellen willst, bitte. Aber dann trage auch die Konsequenzen!”
„Du bist nicht die Synode!”
„Aber ich vertrete sie. - Nun, was ist”, Zo'or mustere seinen Kontrahenten kühl, „willst du diese Aufgabe übernehmen oder scheiterst du schon an derart kleinen organisatorischen Problemen Es würde mich nicht wundern, wenn ich deine militärischen Misserfolge der letzten Zeit betrachte.”
T'than funkelte ihn wütend an, doch Zo'or wusste, dass er keine Wahl hatte, wenn er keinen offenen Konflikt in der Synode provozieren wollte. Und das konnte T'than nicht riskieren, zumindest derzeit nicht.
„Gut, Zo'or. Doch das wirst du noch bereuen.” Der Kriegsminister kehrte auf den Hacken um und schritt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, davon.

Zo'or sah dem Kriegsminister mit abwesendem Blick nach, bevor er sich umwandt und bemerkte, dass der Blick des Wissenschaftlers auf ihm ruhte.
„Du bist erschöpft, Zo'or”, meinte Pa'nor sanft. Seine Stimme klang anteilnehmend. Nicht überheblich, nicht kritisierend, nicht fordernd. Zo'or merkte, wie die Anspannung, entgegen seinem Willen, zumindest ein klein wenig von ihm wich. Es war angenehm, dass ihn zur Abwechslung mal jemand nicht tadelte. Mit einem Mal spürte er die Erschöpfung wieder. Wie lange sollte er noch, konnte er noch funktionieren? Vier Tage, ohne eine einzige Unterbrechung, waren einfach zu viel. Er würde, bei aller Willensstärke, bald eine Pause benötigen.
„Wie lange brauchst du noch für deine Analysen, Pa'nor?”
„Jetzt, nachdem du mich von T'than erlöst hast, wird es nicht mehr allzu lange dauern”, antwortete der Wissenschaftler mit einem Lächeln.
Zo'or sah dem kleineren Taelon zu, wie er seine Arbeit an dem Datenstrom wieder aufnahm. Er konnte seine ruhigen, grazilen Bewegungen nur bewundern. Wenn er ihm zusah, so kam es ihm vor, als gäbe es in diesem Universum nichts Beunruhigendes, keine Sorgen und nichts, das einen bedrohen könnte. Müde lehnte er sich gegen einen Tisch und ließ seinen Blick über Pa'nor gleiten. Er hatte die gleiche Anmut wie Da'an, doch nicht dessen Schärfe. Da'an war wie eines der alten rituellen Rapiere, glitzernd, elegant, aber gefährlich. Da'an war immer für ihn da, wenn er mentale Unterstützung brauchte, ein sicherer Halt, etwas, auf das er sich verlassen konnte, aber er verstand ihn nicht. Auf der einen Seite war er liebevoll und fürsorglich, auf der anderen Seite konnte er die beißernste Kritik äußern und ihn mit Worten bis ins Innerste treffen. Warum hatte er ihm gesagt, dass er niemals zulassen würde, dass er zu Schaden kam? Es war grausam gewesen, das zu sagen, wo er als Führer der Synode doch nichts anderes antworten konnte, als dass er nicht das gleiche für ihn tun konnte. Er hatte ihn dafür gehasst. Und jetzt hoffte er nichts mehr, als dass er Da'an endlich wieder spüren würde. Pa'nor arbeitet immer noch konzentriert an der Analyse der Daten. Wenn Da'an ein Rapier war, so war Pa'nor ein Sonnenstrahl. Sanft und freundlich, aber von einer Kraft, die beeindruckend war. Er schämte sich, dass er ihn zuvor so angefahren hatte, auch wenn er wusste, dass ein solches Verhalten Pa'nor nicht im geringsten treffen konnte.

Er war gerade dabei, wieder zu sich selbst zu kommen, als sich vor ihm ein Datenstrom öffnete und Selina Bordens Gesicht erschien.
„CNN wünscht nochmals ein Interview. Was soll ich ihnen antworten?”
„Ich komme!”
Zo'or schloss den Datenstrom und löste sich von dem Tisch, an dem er lehnt hatte.
„Bist du weiter gekommen?”, fragte er Pa'nor, indem er neben ihn trat.
„Ja, ich bin bald fertig. Wenn du von dieser Interaktion mit den Aliens zurück bist, habe ich ein Ergebnis.” Pa'nor sah kurz von seiner Arbeit auf und blickte ihm prüfend in die Augen. Dann hob er die Hand und berührte mit seinen Fingerspitzen seine Wange.
„Mach dir keine Sorgen um Da'an. Ich denke, wir können ihn zurückholen”, meinte er mit leiser Stimme und ließ etwas von seiner Energie in ihn strömen. Unwillkürlich schloss er die Augen und genoss das Gefühl. Die Überraschung über diese Geste kam erst, als Pa'nor den Kontakt abbrach. Zo'or senkte den Blick und verließ ohne ein Wort das Labor.

 
* * *
 

Nach einer Weile bogen der Taelon und der Mensch um eine Ecke und Sandoval wurde geblendet durch eine unglaubliche Intensität von Licht. Er hielt sich den Arm vor das Gesicht und kniff die Augen zu. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an diesen Anblick gewöhnt hatten. Eigentlich war es gar nicht so grell, es hatte viel mehr an dem extremen Wechsel der Lichtverhältnisse gelegen, wie er jetzt feststellte. Er und der Taelon befanden sich am Rande eines riesigen Raumes, in dem sich sicher über 50 Taelons befanden.
Sandoval musste seinen Griff um die Hand des Taelons verstärkt haben, denn dieser drehte sich nun zu ihm um und sagte leise. „Du brauchst keine Angst zu haben.” Normalerweise hätte Sandoval dies als Beleidigung empfunden und versucht klarzustellen, dass er ganz sicher keine Angst hatte, aber nun sah er den Taelon nur schweigend an und nickte. Ja'rel hob seine freie Hand und deutete gerade aus. „Dort sind die anderen.” Und tatsächlich, dort standen mitten zwischen den Taelons Da'an und Major Kincaid. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er noch immer die Hand des Taelons festumklammert hielt. Sanft löste er sie. Da'an und Kincaid sollten ihn nicht Händchen-haltend mit einem Taelon sehen. Langsam ging er in die Richtung der beiden. Als Da'an ihn entdeckte, drehte er sich überrascht zu ihm. „Agent. Haben Sie einen Weg gefunden...”
Sandoval schüttelte den Kopf. „Ich kam auf dem selben Weg wie Sie in diese Lage.”
Da'an nickte nur schweigend, als habe er mit dieser Antwort gerechnet.
„Wo sind wir hier? Und woher kommen all diese Taelons?”

Eine halbe Stunde später war Sandoval über alles informiert, was Da'an und Liam bisher in Erfahrung gebracht hatten. Bei dem Ort, an dem sie sich befanden, handelte es sich um eine Kimera-Forschungs-Raumstation. Zu einer Zeit, als die Technologie der Taelons noch in den Kinderschuhen steckte, wurden einige von ihnen zu Forschungszwecken auf die Raumstation gebracht. Bei einem Experiment mit der Interdimensionstechnologie kam es zu einem Unfall. Die Station wurde evakuiert, doch in der Hektik dachte man nicht mehr daran, dass auch Taelons an Bord waren. Die meisten wurden gerettet, doch einige von ihnen blieben zurück. Die Raumstation war seitdem in einer unbekannten Dimension des ID-Raumes gefangen. Während der Jahrtausende lernten die Taelons mit der Technik umzugehen und suchten verzweifelt einen Weg zurückzukehren. Doch sie mussten feststellen, dass es keine Hoffnung gab. Sie stellten sich ihrem Schicksal und begannen ein neues Leben. Sie bekamen Kinder und ihre Gemeinde wuchs an. Bis heute lebten sie auf diese Weise zusammen.

„Wollen Sie damit sagen, dass es keinerlei Hoffnung auf Rettung gibt?” Sandoval sah ihn ungläubig an.
„So ist es leider.”
„Also sind wir hier für immer gefangen...”, sagte Sandoval resignierend.
Da'an sah ihn mitleidig an. „Die Taelons haben im Laufe der Jahrtausende einen Weg gefunden, sich die Energie der Interdimension zu nutze zu machen. Sie leben davon. Allerdings... gibt es hier keinerlei menschliche Nahrung. - Noch nicht einmal Wasser.” Er sah seinen Attache schweigend an. Dieser begriff erst gar nicht, was Da'an damit sagen wollte. Doch dann verstand er die Bedeutung dieser Worte. „Ich werde verdursten...”, sagte er beinahe emotionslos. Da'an antwortete nicht. Und Sandoval brauchte auch keine Antwort zu erhalten, um zu wissen, dass er richtig lag. Das war es also. Er würde auf dieser Raumstation sterben. Er erinnerte sich an den Flug zu dem Hotel, als er dieses Gefühl gehabt hatte. Dieses Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren würde. Es war also doch keine Täuschung gewesen.

 
* * *
 


„Hier ist Chantal Sinnon und wir sind wieder mit Zo'or, dem Führer der Taelon-Synode verbunden, der uns heute dankenswerterweise schon zum zweiten Mal Rede und Antwort steht.” Die Reporterin drehte sich von der Kamera weg und dem Monitor mit seinem Abbild zu.
„Zo'or, das Chaos, das dieses Phänomen verursacht hat und immer noch verursacht, ist immens, auch wenn mittlerweile die wichtigsten Kommunikationsverbindungen wieder funktionieren. Bitte sagen Sie uns, haben Sie mittlerweile mehr Informationen über die Ursache dieses Phänomens.”
„Mittlerweile ist bekannt, dass es gewisse Ähnlichkeiten aufweist, mit einer... Begebenheit, die unsere Wissenschaftler bereits in früheren Zeiten beobachtet haben. Jedoch ist deren Auftreten so selten, dass wir sie bislang nicht systematisch erforschen konnten. Wir sind jedoch optimistisch, dass wir mit den gewonnenen Daten nun zu einer abschließenden Analyse gelangen können.”
„Werden Sie die Ergebnisse auch menschlichen Wissenschaftlern zur Verfügung stellen.”
„Selbstverständlich.” Schon wieder eine Lüge.
„Zo'or, Mitglieder des Widerstandes gegen die Taelons vertreten schon jetzt die Ansicht, dass diese Katastrophe mitnichten eine natürliche Ursache hat, sondern entweder ein fehlgeschlagenes Experiment der Taelons oder aber eine gezielte Aktion zur Destabilisierung der amerikanischen Gesellschaft sei. Was halten Sie von solchen Aussagen?”
Natürlich, was sollte der Widerstand auch sonst denken. Diese Menschen litten alle an Paranoia. Nicht, dass sie nicht Grund zum Misstrauen hatten, aber manchmal nahmen sie sich einfach zu wichtig.
„Solche Aussagen entbehren selbstverständlich jeder Grundlage. Es betrübt uns zu sehen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der menschlichen Rasse und der unseren noch nicht so gut ist, wie wir es gerne hätten.” Zo'or ließ seine Hand durch die Luft schweben und senkte ein wenig den Kopf, um Betroffenheit zu heucheln. Dennoch erwartete er nicht, dass seine Worte die Meinung irgendeines Widerstandsmitglieds ändern würde, hoffentlich nicht, sollten sie sich ruhig eine Weile mit dieser Sache beschäftigen. Dann fehlten ihnen die Kapazitäten an anderer Stelle.
„Viele Menschen sehen das ganz genauso. Vor der Botschaft in Washington haben sich bereits Menschen versammelt und beten für die Rückkehr von Companion Da'an. Bitte sagen Sie uns, gibt es Hoffnung?”
„Wir wissen leider immer noch nicht mehr. Niemand bedauert das mehr als ich.” Wenigstens einmal musste er nicht lügen.
„Zo'or, es gibt Gerüchte, dass Sie und Da'an politische Kontrahenten sind. Ist da was dran?”
Diese Unterstellung traf Zo'or tiefer, als es der Fall sein sollte. Für einen Moment war er aufgewühlt, Ärger durchströmte ihn, doch er behielt sich in der Gewalt.
„Wie auch Menschen, sind wir Taelons nicht immer in allem einer Meinung. Doch alle Gerüchte, die über kleinere Meinungsverschiedenheiten hinausgehen, sind lediglich böswillige Unterstellungen des Widerstandes.”
„Ich verstehe. Überall in den größeren Städten sind mittlerweile Freiwillige dabei, Hilfeleistungen zu verrichten, die die Menschen auch dankbar annehmen. Werden Freiwillige in Zukunft häufiger in humanitären Aktionen eingesetzt?”
„Die Freiwilligenorganisationen sind von Anfang an, neben dem Schutz unserer Vertreter und Einrichtungen auf der Erde, für diesen Zweck aufgebaut worden. Von daher, ja, sobald wir genügend Freiwillige haben, werden wir sie verstärkt in diesem Bereich einsetzen.”
Mit dieser Frage hatte sich Chantal Sinnon gerade noch einmal die Chancen für eine weitere Zusammenarbeit gerettet, die er nach der letzten schon auf Null zusammengestrichen hatte. Sie war klug und verstand ohne Zweifel ihren Job. Er würde Sandoval... oder Borden bitten, Informationen über sie zusammenzustellen. Vielleicht konnte man sie zukünftig brauchen.
Mit einem Blick versicherte sie sich, dass er nichts weiter sagen wollte, und beendete das Interview.

 
* * *
 

„Wie geht es dir?”, fragte eine leise, beinahe flüsternde Stimme neben ihm. Er hatte sich an eine der Wände gelehnt und versucht mit der Welt Frieden zu schließen. Doch es war ihm nicht gelungen. Es gab zu viele Dinge, die er nicht zuende gebracht hatte - zu viele Dinge, die er wieder gut machen wollte.
„Wie soll es mir gehen? Ich werde sterben”, gab er ironisch von sich.
Er drehte seinen Kopf leicht zur Seite und sah in Ja'rels strahlend blaue Augen, die besorgt auf ihm ruhten. Sofort bereute er seine grobe Antwort. Er konnte diesem unschuldigen Wesen nicht die Schuld für sein Schicksal geben. Doch den Taelon schien diese Antwort nicht verletzt zu haben. Er setzte sich langsam und elegant neben dem Menschen nieder und blickte ihn immer noch besorgt an. Er griff nach seiner Hand und legte sie in seine. Sandoval entzog sie ihm nicht. Er machte sich keine Gedanken mehr darüber, ob Da'an oder Liam es sehen würden, geschweige denn, was sie von ihm dachten. Im Gegenteil. Sandoval lächelte den Taelon dankbar an und erwiderte den leichten Druck seiner Hand. Ja'rel rückte ein wenig näher heran, so dass sich ihre Seiten berührten. Es war ein ungewohntes, aber durchaus angenehmes Gefühl. Nicht wirklich warm, wie die Berührung eines Menschen. Es war mehr wie ein leichtes Kribbeln. Ähnlich dem, das er während des Sharings gespürt hatte, nur nicht von einer solchen Intensität.
Sandoval sah die zarte Gestalt neben sich nachdenklich an. Er hatte schon so viele Taelons kennen gelernt, doch sie waren alle so anders gewesen als Ja'rel.
Als Sandoval ihn so betrachtete, seine feinen Konturen, das zarte Gesicht, konnte er den Impuls nicht unterdrücken seine Hand zu heben und damit das Gesicht des Taelons zu berühren. Ja'rel zuckte nicht zurück, wie Zo'or es bereits tat, wenn man ihm nur aufhelfen wollte. Statt_dessen blieb er ganz ruhig, und seine einzige Reaktion war ein liebevoller Blick, den er seinem Gegenüber schenkte. Sandoval ließ seine Hand wieder sinken und sah ihn eine Weile an, bevor seinen Blick wieder gerade aus richtete.
Sie saßen eine ganze Weile so nebeneinander und machten beide keine Regung, noch sagten sie etwas. Sandoval bemerkte, wie er immer müder wurde, und nach einer Weile hatte er Mühe seine Augen aufzuhalten. Es war zwar nur einfache Müdigkeit und keineswegs das erste Anzeichen für den Wassermangel, aber er war sich dennoch bewusst, dass ihm durch seinen Skrill, der auch mit Nahrung versorgt werden musste, weniger Zeit blieb als dem Major, der hundert Meter entfernt neben Da'an auf dem Boden saß.

Sandoval war scheinbar ohne es zu bemerken eingeschlafen. Als er erwachte, hielt er die Augen geschlossen. Sein Kopf war auf etwas Weiches gebettet und er spürte, wie ihm zarte Hände sanft über sein Gesicht und seine Haare strichen. Er öffnete seine Augen und blickte in Ja'rels Gesicht, das auf ihn herabsah und ihn anlächelte. Sandoval hob seinen Arm hoch und legte seine Hand an Ja'rels Gesicht. Dort ließ er sie eine Weile ruhen, bevor er sie langsam wieder sinken ließ. Er war verwirrt über seine eigenen Gefühle. Wie war es möglich, dass er sich zu einem Taelon auf solche Weise hingezogen fühlte? Ja'rel schien seine Verwirrung zu spüren und schaute ihn fragend an. Sandoval richtete sich langsam auf und saß nun Ja'rel gegenüber. Er sah ihn lange schweigend an und lehnte sich dann plötzlich nach vorne. Er presste seine Lippen sanft auf die des Taelons. Dieser reagierte nicht, zog seinen Kopf aber auch nicht weg. Sandoval löste sich wieder von Ja'rel und dieser schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an, ohne etwas zu sagen.
Sandoval war nun unsicher, ob er nicht zu weit gegangen war. Gerade als er sich entschuldigen wollte, streckte ihm Ja'rel seine Handfläche entgegen. Zögerlich legte Sandoval seine eigene daran und wurde, wie bei dem ersten Sharing, erneut von Gefühlen übermannt. Doch diesmal waren diese Gefühle stärker. Sie schienen gezielt ausgewählt zu sein. Es waren wundervolle, unbeschreibliche Gefühle. Es war, als teile er Ja'rels gesamtes Wesen. Und auch er ließ die Barriere in seinem Geist fallen und übermittelte dem Taelon all seine Gefühle, alles was er spürte, wenn er mit ihm zusammen war.
Als es vorbei war und sich ihre Hände wieder lösten, liefen noch immer blaue Energiespuren über Ja'rels Gesicht. Der Taelon starrte Agent Sandoval an, beugte sich dann plötzlich zu ihm vor und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. Dann setzte er sich wieder gerade hin und die beiden lächelten sich schweigend an, während ihre Fingerspitzen sich noch immer sanft berührten.

 
* * *
 


Unruhiger, als Zo'or sich eingestehen wollte, machte er sich wieder auf den Weg in Pa'nors Labor. Es war gut möglich, dass die notwendigen Ressourcen zur Rettung Da'ans hoch sein würden. Vielleicht höher, als er es als Führer der Synode vertreten konnte. Verzweifelt hoffte er, dass er im Interesse des Gemeinwesens keine Entscheidung gegen eine Rettungsaktion zugunsten von Da'an treffen musste.
„Hast du mittlerweile Ergebnisse?”, fragte er, noch bevor der den Raum richtig betreten hatte.
„Ja, das habe ich. Ich denke, wir können die beiden Shuttles aus der Interdimension retten, sofern sie noch nicht zerstört wurden.”
„Tatsächlich? Heißt das, du hast die Ursache gefunden?”
„Ja.” Pa'nor wechselte die Anzeige auf dem Datenstrom. „Hier, diese Daten sendete das Shuttle, das mit deinem Attaché verschwand.”
„Ja, das kenne ich schon”, meinte Zo'or leicht ungeduldig, bevor er entdeckte, dass Pa'nor einige Werte hervorgehoben hatte. Schnell wechselte Pa'nor zu seiner Analyse eben dieser Daten und nun ergab sich auch für Zo'or ein klareres Bild. „Eine stabile Blase in einem derart turbulenten Bereich der Interdimension? Wie ist das möglich?” Er konnte den Wissenschaftler nur ungläubig ansehen. Pa'nor erwiderte seinen Blick ruhig, als würde er täglich solche Entdeckungen machen.
„Sieh her.” Wieder wechselte Pa'nor die Anzeigen, doch diesmal konnte Zo'or nichts damit anfangen.
„Und?”
„Nun, hier. Dies zeigt deutlich, dass die Blase künstlich stabil gehalten wird und zwar von einer sehr starken Energiequelle.”
Zo'or sah alarmiert auf die Anzeigen, diese Kombination gefiel ihm gar nicht.
„Das ist noch nicht alles. Alles deutet darauf hin, dass der Ursprung der eingesetzten Energie kimerianisch ist!” Pa'nors Stimme klang unangemessen ruhig bei dieser Feststellung.
Zo'or versteifte sich augenblicklich und sah ihn mit großen Augen an. „Kimerianisch? Wie ist das möglich?”
Mit einer unerträglichen Ruhe sah ihm Pa'nor entgegen „Das ist bisher unbekannt.”
Zo'or starrte ihn einen Moment an, dann machte er eine unruhige Handbewegung. „Du erwähntest eine Möglichkeit zur Rettung?”
„Ja, doch lass mich noch etwas zur Erklärung voranstellen. Der Energieausstoß, der die künstliche Blase erzeugt, ist meiner Theorie nach nicht immer konstant. Er muss in einem relativ weiten Spektrum fluktuieren. Dass heißt, die Blase dehnt sich mal aus und verkleinert sich dann wieder. Wenn sich dann der Energieausstoß wieder verstärkt, dann geschieht das explosionsartig, so dass Fenster entstehen.”
„Und durch ein solches gerieten die Shuttle in die Blase”, führte Zo'or die Erklärung des Wissenschaftlers zu Ende.
„Nun ist die Blase wohl, wie vergleichbare Blasen, die wir bereits kennen, so gestaltet, dass sie nicht mit Hilfe eines Interdimensionssprunges überwunden werden kann. Weder von innen noch von außen. Andere Blasen kann man mit einem normalen Energiestoß von innen zerstören, doch dürfe es bei einer Blase dieser Intensität nur mit einer Kraft möglich sein, die alles, was sich darin befindet, zerstören würde. Der einzige Weg hinein und hinaus führt über die Fenster, die durch den sprunghaften Energieanstieg verursacht werden.”
„Dann könnten die Shuttles die Blase aus eigenem Antrieb verlassen, wenn sie noch intakt wären.” Zo'or lehnte sich matt gegen den Tisch, als im die Implikationen dieses Gedankens klar wurden.
„Nein, Zo'or, keinesfalls und daher gibt es Hoffnung für Da'an.” Pa'nors Stimme klang tröstend und das erste Mal seit langer Zeit rief es ihn ihm keinen Ärger hervor, wenn jemand so mit ihm sprach. „Das Hineinkommen muss schon von heftigen Turbulenzen begleitet sein, die ein Shuttle aber wohl zu überstehen vermag. Hinauszukommen dürfte jedoch unmöglich sein. Ein Objekt egal welcher Größe dürfte den Energiefluss stören, so dass sich an eben der Stelle kein Fenster bilden kann. Wenn sich jedoch das Fenster gebildet hat, so müsste sich sofort ein Wirbel bilden, der alles in die Blase hinein zieht.”
„Ich verstehe. Nun, und wie könnte man nun dennoch eine Rettung zustande bringen?”
„Es müsste, jetzt wo wir genauere Daten über die Beschaffenheit der Blase und des Bereichs der Interdimension, in der sich diese befindet, haben, möglich sein, die Blase zu lokalisieren und mit einem genau justierten Energiestoß ein geöffnetes Fenster nicht nur offen zu halten, sondern auch abzuschirmen, so dass die Turbulenzen vermieden werden können.
„Wann können wir beginnen?”, fragte Zo'or mit einem für ihn ungewöhnlichen Enthusiasmus. Pa'nor musste darüber leicht lächeln. „Sobald du mir ein Team von qualifizierten Wissenschaftlern zur Seite stellst. - Menschliche, wenn es sein muss.”
Vor Erleichterung konnte Zo'or nicht anders, als über diese Bemerkung schmunzeln. „Willst du jetzt qualifizierte oder menschliche? Nein, keine Sorge, alle unsere Wissenschaftler, die nicht unbedingt an anderer Stelle benötigt werden, stehen zu deiner Verfügung.”
Nun war es an Pa'nor belustigt zu sein. „Das sind dann aber nicht eben viele. Aber es wird reichen.” Er wollte schon den Datenstrom aktivieren, um die entsprechenden Wissenschaftler zu kontaktieren, doch Zo'or hielt ihn zurück.
„Warte, Pa'nor”, meinte er plötzlich wieder sehr ernst. „Wird es denn möglich sein, ein Fenster herzustellen, dass lediglich eine Kommunikationsverbindung ermöglicht. Wir können unmöglich riskieren, etwaige überlebende Kimera aus der Blase zu befreien.”
„Keine Sorge, Zo'or. Es müsste uns möglich sein, lediglich Da'ans vollen Kontakt zum Gemeinwesen wiederherzustellen.”
„Wenn er nicht längst zum Atavus degeneriert ist. Dass wir es hier wirklich mit dem gleichen Phänomen wie dem in der Legende von... beschriebenen zu tun haben, ist keinesfalls geklärt. Vielleicht ist Da'an der einzige Taelon in der Blase.”
„Möglich, aber in diesem Punkt muss ich T'than recht geben: die Parallelen zwischen beiden Vorfällen sind groß, vielleicht werden wir mehr als nur Da'an retten können.” Pa'nors Augen glänzten bei dem Gedanken und für einen Moment verlor sich Zo'or einfach in diesem Anblick. Erst als Pa'nor den Kopf zur Seite neigte und ihn belustigt ansah, wurde Zo'or bewusst, was er da tat. Schnell wandte er den Blick ab, doch er konnte nicht verhindern, dass er vor Scham einen Moment die Kontrolle über seine menschliche Fassade verlor. *Ich bin einfach zu erschöpft*, dachte er ärgerlich. „Gut, dann mach dich an die Arbeit”, murmelte er, während er fluchtartig das Labor verließ. Er brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, das Pa'nors Blick nun erst recht Belustigung widerspiegelte.

Zo'or stand Pa'nor gegenüber und sah ihn erwartungsvoll an. Dieser gab einem der menschlichen Wissenschaftler ein Handzeichen, woraufhin dieser eine Konsole bediente. „Die Prozedur hat begonnen.” Alle im Raum sahen gebannt auf die technischen Anzeigen. Obwohl Zo'or nicht wirklich wusste, was sie bedeuteten, tat er es ihnen gleich. Es war besser, als untätig herumzustehen. Zo'or bemerkte ein erneutes Glänzen in Pa'nors Augen. „Es scheint zu funktionieren, wir...” In diesem Moment schienen alle Taelons im Raum zu erstarren. Sie erblauten sehr intensiv, einige brachen zusammen, darunter auch Zo'or.
Von einem Moment zum anderen strömten unglaublich viele neue Stimmen auf ihn ein. Er war auf so etwas nicht vorbereitet gewesen. Er griff nach Pa'nor und ließ sich von ihm aufhelfen. „Du spürst es auch?”, fragte er, noch immer vollkommen benommen. Pa'nor nickte. „Es müssen mehr als 50 Taelons sein...” Dann schien er aufzuhorchen. „Ich habe Da'an gefunden.”
Zo'or merkte gar nicht, dass Pa'nor ihn stützen musste, damit er nicht wieder umfiel. Erleichterter, als er zeigen wollte, rief er Da'an mental und spürte nur einen Sekundenbruchteil später, wie Da'ans Geist dem seinen begegnete. Sofort bestürmte er ihn mit Fragen, ohne dass es ihn wirklich störte, dass er wie ein Kind und nicht wie ein Diplomat klang.
*Was ist passiert? Wie geht es dir? Bist du verletzt?*
Er spürte, wie so oft, Da'ans Belustigung, doch dieses Mal war es ihm gleich, denn die Unterstützung und Wärme, die mitschwang und die er für gewöhnlich gar nicht mehr bewusst wahrnahm, hüllten ihn ein und gaben ihm ein angenehmes, wenn auch unbegründetes Gefühl von Geborgenheit.
*Es geht mir gut, Zo'or*, wurde er beruhigt. *Aber du bist müde, mein Kind.*
*Ja...* Für einen Moment genoss er Da'ans Nähe und Fürsorge, unabhängig von allem, was zwischen ihnen stand, unabhängig von ihren unterschiedlichen Meinungen und politischen Positionen, von den Winkelzügen, die sie - geführt an Stippen, die andere zogen - gegeneinander unternahmen. Doch viel zu bald mahnte ihn eine Stimme seine Aufgabe zu erfüllen.
*Was ist geschehen?*, fragte er noch einmal. Da'an kam ebenso schnell zur Professionalität zurück wie er und übermittelte ihm alle Informationen, die er hatte.

Zo'or beobachtete von seinem thronähnlichen Stuhl auf der Brücke über einen Datenstrom, wie Pa'nor im Labor die letzten Vorbereitungen für die Öffnung des Fensters traf. Er war unglaublich aufgeregt, doch es gelang ihm, diese Tatsache sowohl äußerlich als auch vor dem Gemeinwesen verborgen zu halten.
Pa'nor drehte sich von seinen Anzeigen zu dem Synodenführer um. „Wir sind soweit.”
Zo'or nickte kurz und nahm dann über das Gemeinwesen Kontakt zu Da'an auf. Nun lag der Rest bei seinem Elter und den beiden Menschen. Er hatte ihnen lediglich eine Tür geöffnet - hindurchschreiten mussten sie selbst. Der junge Taelon lehnte sich in seinem Stuhl etwas zurück und wartete ungeduldig auf das Ergebnis des Rettungsversuches.

 
* * *
 

Da'an hatte im Shuttle bereits Platz genommen und auch Liam war abflugbereit. Lediglich Sandoval wirkte etwas unruhig. „Könnte ich noch einen Moment...”, wandte er sich an Da'an. Dieser nickte ihm zu und Sandoval ging zu dem Taelon hinüber, der sie hierher begleitet hatte.

Ja'rel lächelte ihn zärtlich an. „Es freut mich, dass ein Weg zur Rückkehr für euch gefunden wurde.”
Sandoval antwortete nicht, sondern sah den Taelon lange an, hob dann langsam seine Hand an dessen Gesicht und strich ihm sanft über die Wange. Dann ließ er sie dort ruhen. „Ja”, flüsterte er beinahe lautlos. Er spürte, wie ihm etwas die Kehle zuschnürte und ein Kribbeln in seinem Bauch entstand. Seine Augen füllten sich mehr und mehr mit Tränen, bis sich schließlich eine von ihnen löste und langsam begann, seine Wange herunter zu rollen. Ja'rel hob seine Hand und fing die Träne mit seinem Finger auf. Dann musterte er sie interessiert. Schließlich kehrte sein Blick zu dem Gesicht des Menschen zurück.
„Was ist mit deinen Augen?”, fragte er sanft.
Sandoval musste leicht lächeln. „Wenn... wenn wir trauern, dann... weinen wir”, versuchte er es zu erklären. Der Taelon legte seinen Kopf etwas schief und sah ihn verständnislos an.
Sandoval löste seine Hand von der Wange des Taelons und griff damit nach der Hand, mit der dieser eben die Träne aufgefangen hatte. Dann legte er sanft seine Handfläche gegen die des Taelons. Zum dritten Mal an diesem Tag strömten ihre Gedanken und Gefühle aufeinander ein und ihr Geist wurde erneut zu einer Einheit.
Als es vorbei war, berührten sich ihre Hände immer noch.
„Ich werde dich auch vermissen...”, hauchte Ja'rel noch, bevor sich ihre Hände lösten und der Mensch langsam zu dem Shuttle hinüber ging.
Widerwillig setzte er sich auf den Platz neben Da'an, der ihn neugierig musterte. Doch er ignorierte den Blick des nordamerikanischen Companions und sah statt dessen traurig zu dem kleinen Taelon hinüber, der noch immer dort stand, wo sie sich getrennt hatten.

Liam steuert das Shuttle mühelos aus dem Hangar. Nur eine Minute später hatten sie die gigantische Raumstation verlassen und befanden sich wieder im leeren Raum, umgeben von den wirbelnden Farben der Interdimension. „Dort vorne muss es sein!”, rief Major Kincaid nach einiger Zeit des Suchens und machte seine Passagiere auf einen Bereich aufmerksam, in dem die Farben noch heftigere Strudel bildeten. Da'an rief die Sensordaten des Shuttles auf und bestätigte wenig später die Vermutung seines Beschützers, der das Shuttle daraufhin schnell darauf zu bewegt. Kaum waren sie aus dem leeren Raum in die Interdimension eingetreten, begann das Shuttle heftig zu taumeln. Sandoval schloss unwillkürlich die Augen und umklammerte die Lehnen seines Sitzes. Doch so schnell wie es angefangen hatte, war es auch wieder vorbei, und als er die Augen wieder öffnete, sah er in einiger Entfernung das Mutterschiff in den gewohnten Violett- und Blautönen schillern. Die Anspannung der Passagiere des kleinen Shuttles löste sich langsam, als sie sanft darauf zu flogen, doch während die anderen einfach nur glücklich über ihre Rettung waren, mischte sich in Sandovals Erleichterung wehmütige Traurigkeit.

 

ENDE

 

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