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  „Weit weg” von Emma und Kelara   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Mission Erde/Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorinnen.
 
Handlung:  Einige Freiwillige, die weit von der Erde entfernt auf einem Taelonschiff stationiert sind, feiern Weihnachten   [Eine Kurzfassung der vorangegangenen Ereignisse ist in der Vorbemerkung der Autorinnen zu finden]
Zeitpunkt:  spielt nach Emmas „Wo die Mohnblumen blühn
Charaktere:  Katja, Tilo, Te'lar, Yvonne, Kevin, Anna
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Board-Adventskalenders geschrieben
 

 

WEIT WEG

 

Katja saß im Gemeinschaftsraum und nippte an ihrem Kaffee. Sie hatte gut und lange geschlafen und fühlte sich wohl. Ihr Kopf sagte ihr, dass das nicht so sein sollte. Sie hatte nicht den geringsten Grund dazu. Erstens war sie nicht mehr auf der Erde, sie war irgendwo im Weltraum, wobei sie - und das wurde ihr erst jetzt bewusst - nicht einmal eine Ahnung hatte, wie weit sie genau von der Erde weg war. Ein paar Lichtjahre, auf der anderen Seite der Milchstraße oder gar in einer ganz anderen Galaxis? Zweitens, sie hatte - anscheinend - die letzte Woche in einem Tank verbracht, in dem ihr Körper verändert worden war. Wie genau, wusste sie nicht. Bis darauf, dass, wenn sie die Augen zusammenkniff und sich konzentrierte, die Farben ein klein wenig anders aussahen, schien alles so wie zuvor zu sein. Te'lar hatte jedoch gesagt, dass sich das noch ändern würde. Drittens, sie war im Kriegsgebiet oder zumindest nahe dran. Und viertens, sie hatten gestern einen ersten Einsatz gehabt, bei dem zwei ihrer Freunde verletzt worden waren.

Nein, sie hatte eigentlich wirklich keinen Grund sich wohl zu fühlen. Doch das änderte nichts daran, dass sie es tat. Sie fand das alles schrecklich spannend! Sie war mitten in einem Abenteuer, einem richtigen Abenteuer! Sie war mitten im Weltall, in einem Raumschiff über einem wunderschönen, fremdartigen Planeten. Ja, sie hatten einen ersten Einsatz gehabt, doch es war gut gegangen. Sie hatten sich bewährt! Und Te'lar hatte sie sogar ausdrücklich gelobt! Gut, Mike und Anna waren verletzt worden, doch hatte Te'lar nicht gesagt, dass sie wieder gesund werden würden? Sie würde schon zurechtkommen in dieser neuen Situation. Sollte Kevin ruhig griesgrämig sein und Yvonne zickig, sie würde sich davon nicht die Stimmung verderben lassen!

Entschlossen setzte sie die Kaffeetasse ab und nahm ein Brötchen, um es energisch mit etwas zu bestreichen, das wie Nutella aussah. Nutella im Weltraum! Katja kicherte vor sich hin. Sie wollte gerade genüsslich in das Brötchen beißen, als sie hörte, wie hinter ihr jemand in den Raum trat. Sie drehte sich widerwillig um und befürchtete, Kevin oder Yvonne kämen, um ihr die Laune zu verderben. Erfreut sah sie, dass es Tilo war. Sie wollte ihm eben fröhlich einen guten Morgen wünschen, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte.
„Tilo! Was ist los?” Erschrocken ließ sie das Brötchen sinken. Er sah aus, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen.
Erschöpft ließ ihr Freund sich auf einen Stuhl fallen und fuhr sich mit den Händen durch die Haare.
„Yvonne und ich haben uns gestern abend gestritten. Sie ist einfach davon gelaufen und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Was soll ich denn nur tun? Wenn ich Te'lar Bescheid gebe, dann ist sie erst recht sauer, weil ich sie verpfiffen habe. Auf der anderen Seite, mache ich mir Sorgen...”
Da machte sich auch Katja Sorgen, egal wie zickig Yvonne sein mochte.
„Wir könnten sie doch erst mal allein suchen!”, schlug sie dann vor. „Bestimmt finden wir sie!”, versuchte sie ihn zu trösten. Sein Gesicht hatte sich auch schon aufgehellt, obwohl er noch skeptisch aussah.
„Wir kennen doch nichts hier auf dem Schiff außer unserem Bereich hier und die Shuttle-Bay. Und wir wissen doch noch nicht mal, wie groß das Schiff ist!” Es war, als hätte er sich selbst wieder deprimiert geredet. „Ich hab doch auch schon daran gedacht, sie selbst zu suchen. Aber dann dachte ich, es wäre besser da zu sein, wenn sie zurück kommt.” Er atmete tief aus. „Ich mache mir solche Sorgen.”
„Hey!” Katja wollte ihn aufmuntern. Sie legte ihr Brötchen auf den Teller, ging zu Tilo und hockte sich hin. Zaghaft legte sie eine Hand auf die Schulter ihres besorgten Freundes. Sie hoffte, es half ihm ein bisschen. Dann sah sie die Tränen, die sich in Tilos Augen bildeten. Sie wollte nicht, dass es ihm so schlecht ging. Manchmal war seine nachdenkliche Art, die sie so sehr an ihm mochte, nicht gut für ihn. Sie mussten handeln.
„Komm!” Sie stand auf. „Lass uns sie suchen gehen!” Er nickte, ohne aufzusehen. Sie zog ihn hoch und lächelte ihn an. „Wir finden sie, ganz bestimmt!” Sie hatte ihre gute Laune wieder und versuchte nun, auch Tilo anzustecken.

Zuerst suchten sie ihre Räume ab. Sie wollten nur sicher gehen, aber wie erwartet, war Yvonne nicht zurückgekommen. Kevin schlief immer noch oder auch endlich, so aufgekratzt wie er gestern abend noch gewesen war, und Anna war noch nicht aus der medizinischen Abteilung zurückgekehrt. Also rannten sie los.
Am Anfang war die Shuttle-Bay dran, bei der sie alle Winkel und Ecken genau durchsuchten. Nichts. Sie rannten quer durch die Gänge, sahen in jeden Raum, in alle Ecken in dem Teil des Schiffes, in den sie gelangten. Es war merkwürdig, es gab so viele Barrieren aus virtuellem Glas, durch die sie einfach nicht hindurch kamen. Aber Yvonne konnte doch auch nicht dort lang gekommen sein. Sie schien einfach nur spurlos verschwunden zu sein.
Auf der Erde würde man sagen, wie vom Erdboden verschluckt. Wie war es hier? War Yvonne vom Mutterschiff verschluckt worden? Wenigstens konnte Katja mit dieser scherzhaften Frage ein kurzes Lächeln auf Tilos Gesicht zaubern.
Auch die Freiwilligen, die die beiden unterwegs trafen und nach Yvonne fragten, wussten nicht, wo sie sein könnte. Und so gaben sie die Suche irgendwann auf, aber immer noch hoffend, Yvonne würde schon längst wieder in ihrem Zimmer sitzen.
Als auch diese letzte Hoffnung erlosch, saßen beide wieder am Tisch. Tilo immer noch deprimiert, Katja erschöpft und besorgt. Das „Nutella” auf ihrem Brötchen war mittlerweile an den Rändern angetrocknet, so lange waren sie weg gewesen. Unwillig stieß Katja den Teller weiter von sich. Sie hatte keinen Hunger mehr. Ihre Finger trommelten auf den Tisch. Sie war unruhig. Es störte sie, jetzt nichts mehr tun zu können. Nur schwer konnte sie sich beherrschen, nicht aufzustehen und hin und her zu wandern. Tilo saß jetzt neben ihr, die Beine angezogen und die Arme fest darum geklammert. Keiner sagte etwas, bis Tilo fragte: „Was machen wir jetzt? Wir müssen Te'lar Bescheid sagen. Sie ist jetzt schon zu lange weg.”
Katja nickte. „Aber ein bisschen können wir ja noch warten.”
„Mmh.”
„Weißt du eigentlich, welcher Tag heute sein müsste?”
„Nein, welcher?”
„Wenn wir davon ausgehen, dass wir genau eine Woche im Tank waren, das müsste heute der 21. Dezember sein. Vor genau drei Jahren sind meine und Yvonnes Eltern gestorben.”
Katja kannte die Geschichte. Tilo hatte oft darüber gesprochen. „Noch eine Woche bis Weihnachten”, meinte sie nachdenklich und plötzlich kam sie sich so verloren vor. Auf einmal war die Entfernung bis zur Erde nicht mehr abenteuerlich. Wer kannte hier schon „das Fest der Liebe”? Nur ein paar Menschen von einem unbedeutenden, kleinen Planeten - weit weg. Dabei hatte sie Weihnachten sonst gar nicht gemocht. Ihre Mutter war etwas später am Abend vollkommen blau gewesen als sonst. Und ihre blöden Kerle hatten wenigstens an dem Tag mal versucht, etwas netter zu ihr zu sein. Das war's. Ihre Großeltern hatten zu weit entfernt gewohnt. Sie wäre gerne mal zu ihnen gefahren. „Kein Geld!”, hatte ihre Mutter nur gemeint und sich dann das nächste Glas Schnaps eingegossen. Sie hatte einmal versucht, dorthin zu trampen und endete dann bei irgendwelchen Punks in einer Stadt zwischen ihrem und dem Wohnort ihrer Großeltern.
Aber sie hatte die Straßenbeleuchtung und den Weihnachtsmarkt gemocht, auch wenn er so teuer gewesen war. Dort war es warm und die meisten Leute hatten gute Laune.
„Wir könnten doch auch ein bisschen feiern, nur wir vier, und wenn Anna und Mike wieder gesund sind, wir sechs.” Tilo lächelte. „Was meinst du?”
Katja nickte.
„Du scheinst nicht so begeistert zu sein.”
„Ach... bisher habe ich Weihnachten nur noch nie richtig genossen, weißt du?”
„Na, dann wirst du es dieses Jahr genießen. Wir machen einfach die schönste Weihnachtsfeier, die du je gehabt hast, Katja.”
Katjas Augen begannen zu leuchten. „Mit so richtig schöner Atmosphäre?”
Tilo nickte. „Nur ohne Weihnachtsschmuck und Tannenbaum. Aber das ist ja auch nicht so wichtig.”
„Nein.” Katja lächelte leicht.
Se sahen sich an und lächelten eine Weile einfach nur. Dann wanderten Tilos Gedanken wieder zu Yvonne und sein Gesicht wurde düster. „Erst mal müssen wir Yvonne finden.”
Katja stand auf und ging zu einem Monitor auf der anderen Seite des Raumes. Sie aktivierte den Bildschirm und versuchte, Te'lar zu erreichen. Er war nicht da, aber sie hinterließ ihm die Nachricht, dass etwas Wichtiges passiert sei.
Tilo hatte sich in der Zeit den Raum genau angesehen. Er war relativ groß, aber nicht zu groß, genau richtig für ihre kleine Gruppe. Wenn man das von den Wänden ausgehende Licht dimmen würde, könnte es richtig gemütlich wirken. Wenn sie dann statt Brötchen und „Nutella” Kekse und Tee bekommen würden, die bio-materiellen Stühle zu einer Art Sessel umformen und in einer Runde anordnen könnten...
Katja kam zurück. „Meinst du, wir können die Stühle umformen?”, fragte er sie gleich.
„Ich bin mir sicher, dass es geht. Ich weiß aber nicht wie. Wir können Te'lar fragen, er zeigt es uns bestimmt.”
Tilo nickte nachdenklich. In seinem Kopf formten sich genaue Vorstellungen darüber, wie ihr „Weihnachtsabend” gestaltet werden könnte. Katja setzte sich gespannt vor ihn und lächelte über Tilos verträumten Blick. Sie wollte ihn nicht stören. Und sie mochte es, wenn Tilo so träumerisch lächelnd ins Leere starrte. Sie ertappte sich dabei, wie sie mit ihrem Blick zärtlich über seine Konturen fuhr und an seinen Lippen hängen blieb. Schnell sah sie nach unten. Was sollte er denken, wenn er ihren Blick bemerken würde? Unbewusst waren ihre Augen wieder hoch zu seinem Gesicht gewandert. Oh Gott, Katja! Was machst du da?!

Doch glücklicherweise wurde sie unterbrochen, bevor sie sich weiter damit auseinandersetzen musste, denn die Tür öffnete sich und Te'lar betrat ihren Raum. Katja sprang erfreut auf, doch Tilo sah nur bedrückt drein, als erwarte er eine Hiobsbotschaft. So war es Katja, die den Taelon zuerst ansprach.
„Yvonne ist verschwunden. Wir haben sie überall gesucht, aber sie war nirgends, und es wusste auch niemand, wo sie sein könnte.” Aufgeregt lief sie zu dem Taelon und sah erwartungsvoll zu ihm hoch. Dieser sah irritiert von ihr zu Tilo und wieder zurück, bevor er antwortete.
„Yvonne wird bald zurückkommen.” Er machte eine kleine Handbewegung, die Katja bekannt vorkam. Wann hatte er sie schon einmal angewendet? „Ihr ward besorgt?”, unterbracht das Objekt ihrer Überlegungen dieselben.
Fassungslos sah Katja zu Tilo, der einfach nur mit ausdruckslosem Gesicht dastand. Katja warf die Arme in die Höhe. „Natürlich haben wir uns Sorgen gemacht! Sie war schließlich ewig weg und wir wussten von nichts...” Katja brach verlegen ab. Machte sie Te'lar gerade Vorwürfe? Das war ganz bestimmt nicht das korrekte Verhalten einem Taelon gegenüber! Sie sah zu Boden und erwartete eine Schelte. Doch diese ließ auf sich warten. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Te'lar wieder diese Handbewegung vollführte.
„Es tut mir leid, dass ich euch nicht informiert habe. Mir war nicht bewusst, dass ihr euch Sorgen machen würdet und ihr nicht wisst, dass ihr hier auf dem Schiff nichts geschehen kann. Ich bitte euch um Entschuldigung für mein Versäumnis.”
Katja konnte ihn nur erstaunt anstarren und so war es schließlich Tilo, der darauf etwas erwiderte.
„Es ist schon in Ordnung”, meinte er matt. „Es war dumm von mir zu glauben, dass ihr hier etwas passieren kann. Ich habe nicht richtig nachgedacht. Es tut mir leid.” Er fuhr sich müde über das Gesicht und setzte sich an den Tisch. Katja wäre am liebsten zu ihm gelaufen und hätte ihn getröstet. Er war immer noch total verwirrt und fertig. Kein Wunder, er hatte wohl so gut wie nicht geschlafen und dann der Streit mit Yvonne. Doch sie lief nicht zu ihm. Vor Te'lar schien ihr das unpassend zu sein. Also drehte sie sich zu dem Taelon um und musste feststellen, das dieser auch etwas verwirrt aussah. Zumindest interpretierte sie seine Handbewegung so. War es das? Hatte sie etwas Neues über diese Wesen gelernt? Oder war das nicht eher das Erste, was sie überhaupt selbstständig erfahren hatte.
In diese etwas verfahrene Situation platzte Kevin, als er mit mürrischem Gesicht aus seinem Zimmer stapfte. Nachdem er einmal in die Runde geblickt hatte, wäre er - so schien es Katja - am liebsten sofort wieder umgekehrt. Doch das traute er sich in Te'lars Gegenwart dann wohl doch nicht. Also stand nun auch er unschlüssig im Zimmer und Katja gewann immer mehr den Eindruck, dass sie so noch in ein paar Stunden stehen würden, wenn sie nichts unternähme. Sie holte tief Luft.
„Te'lar, ist es richtig, dass heute, ich meine, dass auf der Erde heute der einun...” sie stockte und sah zu Tilo, in dessen Augen sich Tränen sammelten. Schnell richtete sie ihren Blick wieder auf Te'lar und besann sich. „Es ist doch kurz vor Weihnachten, nicht wahr? Tilo und ich meinten, wir könnten das hier doch auch feiern. Ich habe noch nie so ein richtig schönes Weihnachtsfest gehabt. Ich meine, ohne Streit und...” wieder brach sie ab. Es war ihr peinlich, Te'lar von ihrer ständig besoffenen Mutter und ihren widerlichen Freunden zu erzählen, deren Zudringlichkeiten sie zu oft nur mit Mühe entgangen war. Zum Glück rettete Tilo sie, der aufstand und sich unterstützend neben sie stellte. „Wir dachten, vielleicht könnte man den Raum etwas gemütlicher machen, und wenn das Licht etwas weniger hell ist, dann wäre es ja schon ein bisschen weihnachtlich, so mit den bunten Farben.”
„So eine bescheuerte Idee!”, fuhr Kevin dazwischen. „Hier gibt es nichts, was an Weihnachten erinnert. Wir haben doch noch nicht mal eine Kerze!”
„Doch, haben wir!”, schnauzte Katja zurück und rannte in das Zimmer, das sie sich mit Anna teilte. Sie brauchte keine Minute, da kam sie mit einer circa 15 Zentimeter großen Figur zurück. Es war eine dicke Kerze, die einen Engel darstellen sollte. Weiß, mit Flügeln und geschlossenen Augen und einem zum Singen weit aufgerissenen Mund. Er war verziert mit goldenem und silbernem Glitzerstaub und sah alles in allem ziemlich grotesk aus. Letzteres war der Grund, aus dem ihn Anna nach eigener Aussage letzten Advent in einem Kaufhaus hatte mitgehen lassen. Anna hatte viel Sinn für sonderbar aussehende Dinge und schleppte sie mit, anstatt nützliche Dinge wie Taschenmesser oder Feuerzeuge oder Zahnbürsten.
„Er gehört eigentlich Anna,” verkündete Katja und hielt den Kerzenengel triumphierend in die Höhe, „aber sie hat sicher nicht dagegen, wenn er für einen guten Zweck geopfert wird.”
Kevin schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Irren! Ich bin von lauter Irren umgeben!”, rief er, doch es gelang ihm nicht seine mürrische Laune beizubehalten und er musste breit grinsen. Selbst Tilo schaute wieder etwas fröhlicher, wie Katja erleichtert bemerkte. Nur Te'lar sah immer noch etwas ratlos aus, als er von einem der jungen Freiwilligen zum anderen schaute.
„Kann ich euch in eurem Vorhaben irgendwie unterstützen?”, fragte er schließlich.
„Ja, sicher!”, lautete die prompte Antwort von einer begeisterten Katja. „Wie können wir die Einrichtung hier verändern? Können wir irgendwie an Kekse und Tee und Schokolade kommen? Und vielleicht an buntes Papier und Bänder oder so was?
„Ja, und ein paar andere Kerzen wären auch ganz nett!”, konstatierte Kevin trocken.
„Nun, geeignete Lebensmittel gibt es vielleicht in der Einrichtung, die die Freiwilligen hier Cafeteria nennen. Ich werde eure Zugangscodes ändern, damit ihr einem größeren Bereich des Schiffes betreten könnt. Buntes Papier und Bänder, das wird etwas schwieriger, doch etwas Entsprechendes wird sich sicher besorgen lassen. Was die Veränderung eures Quartiers betrifft...” Te'lar ging ein paar Schritte an den Rand des Raumes und öffnete einen Datenstrom. Mit ein paar schnellen Bewegungen seiner Finger rief er einige Daten auf. „Hier sind ein paar Informationen darüber. Macht euch damit bekannt. Ich werde euch dann gerne assistieren, wenn ihr mit der praktischen Ausführung nicht weiter kommt. Und zudem findet ihr hier noch einige Informationen über das Schiff, beispielsweise einen Lageplan und wie ihr mich erreichen könnt.”
„Vielen Dank, Te'lar!” Katja hätte ihn am liebsten umarmt.
Der Taelon nickte und wandte sich zum Gehen. Am Ausgang drehte er noch einmal um.
„Ihr könnte mich jederzeit kontaktieren, wenn ihr etwas braucht oder eine Frage habt.” Er zögerte einen Moment. „Und Katja, würdest du bitte Anna vom medizinischen Labor abholen? Ich denke, das wäre für sie angenehmer, als wenn dies ein unbekannter Freiwilliger täte.”
„Ja, klar! Gerne!” Katja nickte erfreut. Es war ein gutes Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun zu haben.

 
* * *
 

Anna starrte zur violetten Decke und seufzte tief. Deborah, Li'ans Assistentin, checkte sie noch ein letztes Mal durch, bevor sie die medizinische Abteilung endlich verlassen konnte. „Wir wollen ja ganz sicher sein, dass mit dir auch wirklich alles in Ordnung ist”, hatte die junge Frau sie angelächelt.
Sie hatte ihre blonden, halblangen Haare zu einem einfachen Zopf nach hinten gebunden und sah sie mit blitzenden, blauen Augen an. „Gleich bin ich fertig, Anna.”
„Deborah?”
Die Ärztin tippte auf einige Schaltflächen und sah dann zu ihrer Patientin. „Ja?”
„Sag mal, müsste nicht bald Weihnachten sein?”
Deborahs Augen trübten sich etwas. „Ja, bald. Du bist noch nicht lange hier, stimmt's?”
Anna schüttelte ihren Kopf. „Kurz vor dem Unfall erst.”
Deborah fuhr mit ihrer Untersuchung fort. „Und gleich zu einem Einsatz?” - „Hmm.”
Anna dachte an ihren kleinen Bruder zu Hause auf der Erde. Was er jetzt wohl machte? Bestimmt hatte er schon Ferien.
„Wie lange bist du jetzt schon hier?”
„Nicht ganz drei Jahre.”
„Und wie gefällt es dir?”
„Es ist in Ordnung. Die Arbeit ist sehr interessant und es gibt viele nette Individuen auf dem Schiff. Je länger du hier bist, desto mehr Leute wirst du auch kennen lernen.”
„Und was ist mit deiner Familie?”
Deborah sah etwas unbehaglich zu Boden und dann wieder auf eine Anzeige. Sie schien sichtlich erleichtert zu sein, als plötzlich eine Freiwillige ins Labor lugte.
Anna hob ihren Kopf. „Katja!” Es klang wie ein Freudenschrei. Katja lächelte ihre Mitbewohnerin fröhlich an. „Na, wie geht's dir?”
„Gut. Es ist nur schrecklich langweilig, einen Tag in der medizinischen Abteilung zu verbringen.”
„Ich bin ja jetzt da, um dich abzuholen.” Sie lächelte sie an. „Und wir haben eine Überraschung!”, meinte sie stolz.
„Für mich?” Anna war ganz aufgeregt.
„Für uns alle.”
Anna schien zu überlegen. „Na sag schon!”
Katja richtete sich auf und verkündete feierlich: „Wir machen eine Weihnachtsfeier.”
Anna fing an zu strahlen. „Das ist schön!”
„Ich hoffe, du hast nichts dagegen, deinen Engel zu opfern, wenn wir keine anderen Kerzen aufgetrieben kriegen.”
Anna schüttelte ihren Kopf und grinste fröhlich.
Deborah horchte auf. „Ihr braucht Kerzen?”
Katja nickte eifrig. „Ja. Und Bänder und Kekse und Schokolade.”
Deborah überlegte kurz. „Kennt ihr Kenny?”
Beide Mädchen schüttelten den Kopf. „Nun, er ist auch ein Freiwilliger und arbeitet im Lager. Wenn es irgendwo auf dem Schiff bunte Bänder und andere Weihnachtsgegenstände gibt, dann weiß er es. Am besten, ihr kontaktiert ihn übers Intranet. Er weiß sicherlich auch, wie es mit Keksen aussieht.” Sie grinste. „Er ist quasi unser Kontaktbüro.”
Die beiden strahlten. „Danke!”
Deborah schloss die Untersuchung ab. „Mit dir ist alles in Ordnung, Anna. Schone dich noch etwas, dann bist du bald wieder voll einsatzfähig.” Anna lächelte sie an. „Danke, Deborah.” Die Assistentin grinste. „Hoffentlich nicht bis bald.”

 
* * *
 

Als Katja und Anna in den Gemeinschaftsraum kamen, hatte Tilo seinen Kopf und einen Arm über die Lehne eines Stuhls gelehnt und schlief. Der Arme musste todmüde und total erschöpft eingeschlafen sein. Katja holte eine Decke und legte sie wärmend über ihn.
„Sehr fürsorglich!”, meinte Kevin grinsend. Er saß am Monitor und sah sich offensichtlich den Lageplan des Schiffes an. Katja sagte nichts. Sie wollte Kevin nicht noch mehr Anreiz geben, sie aufzuziehen. Anna grinste und stürmte zu Kevin. „Kevin, wir müssen einen gewissen Kenny erreichen. Er kann uns wegen der Feier helfen!” Sie war ganz eifrig dabei. Kevin sah sie nur skeptisch an. „Echt?”
„Ja, hat Deborah gesagt.” Schnatterte sie.
„Deborah.”
„Ja, Deborah. Lass mich mal ran!” Sie schubste Kevin vom Monitor weg. Katja war mittlerweile auch schon da, obwohl sie nicht wie Anna und Kevin zum Bildschirm starrte, sondern zu dem schlafenden Tilo sah. Der hatte sich die Decke unters Kinn gezogen und seinen Kopf daran gekuschelt. Er sah irgendwie süß aus, so schlafend, die Augen geschlossen und die Gesichtszüge ganz entspannt. Sie konnte ihren Blick kaum abwenden, aber als Anna „Da!”, schrie, zwang sie sich dazu.
<Hallo Kenny. We need your help.>
<What can I do for you, Anna?>
<We need candles and something else for a Christmas party. Can you help us?>
<*thinking*>
<Sure, you just have to sign for the „material.” I'll look for the rest.>
<When?>
<Have to work in the next shift. Come to me at the end of it.>
<Whereto?>
<Store, A1, Volunteer Kenny.>
<Thank you! :-) What about cookies, tea and chocolate to eat?>
<Go to the café. There you'll get this. They have a lot of that, especially now before Christmas. :-) >
<Thank you very, very much, Kenny!!!>
<No problem. :-) >
<See you later.>
<Bye.>
Die jungen Freiwilligen jubelten. „Wow!! Es klappt! Unsere Feier klappt!”
„Pscht!”, mahnte Katja. „Wir müssen an Tilo denken. Er braucht seinen Schlaf!”
Anna sah sie verwundert an. „Wieso?”
„Er hatte gestern abend einen Streit mit Yvonne, die dann fortgelaufen ist. Er hat die ganze Nacht nicht geschlafen”, erklärte Katja leise. Anna sah sie bedauernd an, während Kevin gleichgültig aussah. „Uh, Beziehungsstress! Die beiden hatten in letzter Zeit eh einige Schwierigkeiten. Meinst du nicht auch?” Katja nickte leicht.
„Wer weiß, was das noch wird! Und jetzt hängen wir hier auch noch auf dem Schiff zusammen. Das gibt noch Ärger!”, prophezeite Anna unheilsschwanger.
Genau das dachte Katja auch. Zumindest hoffte sie es und gleichzeitig auch nicht, schließlich war es nicht sehr nett, sich zu wünschen, dass ein Paar auseinander ging. Aber Anna hatte recht. Das Verhältnis der beiden hatte sich in den letzten Monaten stark abgekühlt, so stark, dass es eigentlich nicht mehr zu merken war, dass sie ein Paar waren. Und sie selbst hatte irgendwann angefangen, sich Hoffnungen zu machen, noch nicht lange, aber immerhin. Sie hatte sie anfangs unterdrückt, doch jetzt schienen sie sich zu bestätigen. Tatsächlich hatte sie in der letzten Zeit mehr Zeit mit Tilo verbracht als Yvonne und es waren immer schöne Momente gewesen. Momente, die sie, und scheinbar auch er, sehr genossen hatte, ganz entspannte, tiefe Gespräche oder gemeinsame Witzeleien. Manchmal, manchmal hatte er sie so merkwürdig angesehen, mit einem Blick, bei dem ihr Bauch stark zu kribbeln anfing. Manchmal hatte er dabei gelächelt und manchmal war er ganz ernst gewesen. Dabei waren ein paar Strähnen seiner halblangen, blond-braunen Haare in sein Gesicht gefallen. So wie jetzt auch, während er schlief.
Anna stieß sie an. „Hey, guck nicht so verträumt zu Tilo!” Sie lachte. Katja knuffte sie zurück und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

 
* * *
 

„Hey Tilo, hast du Lust mitzukommen?”, weckte Katja den Schlafenden sanft. Er brummte. „Wohin denn?” Katja lachte leicht über Tilos knurrige Art. „Wir holen Kerzen und Bänder und so.” - „Echt?” Er klang wunderbar verschlafen. „Ja, willst du mitkommen?” Er schüttelte den Kopf. „Macht ihr das mal.” Mit diesen Worten kuschelte er seinen Kopf wieder in seinen Arm und schlief sofort wieder ein.

 
* * *
 

Endlich hatten sie das richtige Lager gefunden, nachdem Te'lar ihre Zugangscodes noch einmal um das Lager erweitert hatte und sie unzählige Freiwillige von ihrer Arbeit abgelenkt hatten, um erst mal das Lager und dann in dem Lager noch mal Kenny zu finden. Dann stand der große Australier vor ihnen und grinste sie an.
„Hi, who's Anna of you?”
„Me.” Anna trat einen Schritt vor und erwiderte sein Lächeln.
„These are your friends?”
„Yes, Katja and Kevin.”
„Okay, come with me.”
Er führte die drei in einen kleinen Raum. „Here we have everything special for Humans, like candles and balloons and games. Sometimes we Volunteers need that.” Er grinste. „We store it here and everyone can rent it. It's just necessary to sign for it. Something like candles is always barely sufficient, so please give the rests after your party back.”
Sie standen nun vor der Kerzenecke und schnappten sich ein paar dicke rote. Dann zeigte Kenny ihnen noch ein paar Ecken mit Kleinkram. Sie fanden zwei Räuchermännchen (eines ließen sie aber dort für andere) sogar mit passender Räucherkerze, zwei Glockenfiguren und auch ihre gewünschten Bänder. Ganz tief vergraben fand Katja sogar noch Papiersterne. Und nicht zu vergessen ein Feuerzeug. Anna unterschrieb dafür und dann wanderten sie so stolz aus dem Raum, dass Kenny lachen musste. „Wish you a lot of fun!”, rief er ihnen hinterher.
„Thank you!” Anna schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, dabei Kevins spöttischen Blick ignorierend.

 
* * *
 

Tilo wachte auf, als Yvonne ins Zimmer kam. Sie sah ihn überrascht an, als würde sie der Anblick seines verschlafenen Gesichts kurz irritieren. Doch ein knappes „Hi” war alles, was sie sagte, bevor sie einfach in ihr gemeinsames Zimmer lief und die Tür sich hinter ihr schloss.
Tilo fühlte, wie Wut in ihm aufstieg und folgte ihr.
„Hi? Ist das alles, was du zu sagen hast?”
„Was soll ich denn sonst sagen? - Würdest du bitte die Tür zu machen, während ich mich hier umziehe. Klein-Kevin muss mich ja nicht unbedingt nackt sehen!”, antwortete sie genervt und begann sich auszuziehen. Tilo ging einen Schritt von der Tür - oder besser der Öffnung in der Wand - weg, so dass diese sich hinter ihm schloss. Er lehnte sich dagegen und sah Yvonne eine Weile schweigend zu, wie sie ihre Kleidungsstücke auf ihr Bett warf. Er versuchte, sich zu beruhigen. Wenn er jetzt so antwortete, wie er gerne würde, dann hätte er außer einem Streit nichts erreicht.
„Okay, das war vielleicht auch von mir nicht ganz der richtige Anfang, aber findest du nicht, dass du schon etwas mehr sagen könntest, wenn du die ganze Nacht weg warst.”
Yvonne ließ die Arme mitsamt dem T-Shirt, das sie sich eben über den Kopf gezogen hatte, sinken. „Tilo, was soll das? Weißt du, wie das klingt? Wir sind nicht verheiratet!” Sie starrte ihn wütend an und erhielt ausnahmsweise einen ebensolchen Blick zurück.
„Verdammt, Yvonne, ich hab mir Sorgen gemacht!”
Mit einem Seufzer zog Yvonne ihre Arme aus dem T-Shirt und ließ sich aufs Bett sinken. „Tut mir leid”, meinte sie leise. Sie reagierte nicht, als er sich neben sie setzte, sondern begann das T-Shirt in ihren Händen zu kneten. „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist... Ich will doch gar nicht so biestig zu dir sein...”
„Ist schon gut.” Tilo legte tröstend die Arme um sie und zog sie in eine liegende Position. Sanft streichelte er ihren Rücken. „Das ist eine ziemlich verwirrende Situation und...” - „Bitte nicht!”, unterbrach sie ihn und drückte ihr Gesicht an seine Schulter. „Was?”, fragte er verwirrt. „Bitte keine kluge Analyse von dem, was hier abgeht und warum ich mich so verhalte, wie ich es tue.” Sie ließ sich auf den Rücken fallen und starrte an die Decke, während Tilo sie nur verständnislos anstarren konnte. Was war denn jetzt schon wieder? „Aber...” begann er. „Nein, Tilo, ich glaube es ist besser, wenn du mich einfach in Ruhe lässt!” Yvonne stand ohne ihn anzusehen auf und ging zum Bad. Doch Tilo war schneller und passte sie ab, bevor sich die Tür schloss. Ebenso verwirrt wie hilflos sah er auf sie runter und suchte nach Worten. Wenigstens schnauzte sie ihn nicht an oder schupste ihn weg, sondern begegnete sogar seinem Blick. Nach einer Weile fragte er schließlich: „Kannst du mir nicht wenigstens sagen, wo du die ganze Zeit über gewesen bist?” Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete. „Ich habe jemanden kennen gelernt. Er heißt Anex. Ich habe bei ihm geschlafen!”
Tilo zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt, und starrte sie ungläubig an. Ihr ausdrucksloser Blick dementierte und bestätigte nichts. Schließlich drehte sie sich um und schloss die Tür zum Bad hinter sich.

 
* * *
 

Te'lar schloss den Datenstrom. Er war zufrieden mit sich. Er hatte sich über deutsche Bräuche des menschlichen Festes „Weihnachten” informiert und nun einen Transport organisiert. Er fand zwar vieles von diesen Bräuchen seltsam, doch ein Aspekt hatte ihm sehr gefallen und so hatte er beschlossen seinen Schützlingen eine Freude zu machen. Er hoffte zumindest, dass sie sich freuen würden. Es war immer schwer vorherzusagen, wie Aliens reagierten, aber es war nun seine Aufgabe sie besser kennenzulernen und da musste er es eben auch riskieren, im Umgang mit ihnen einen unter Umständen sogar peinlichen Fehler zu machen. Die Freiwilligen schienen durch die Organisation des Festes besser mit ihrer neuen Situation fertig zu werden und die neuen Eindrücke leichter zu verarbeiten. So hatte sich Kevins Stimmung entscheidend gebessert, seit er sich an der Organisation beteiligte. Und Anna schien aus ihrer Verletzung keine negativen Gedanken mitgenommen zu haben. Nur über Tilo und Yvonne machte er sich Sorgen. Die beiden schienen Probleme zu haben. Als er während ihrer Ruheperiode über die Sensoren des Schiffes nach seinen Schützlingen gesehen hatte, hatte Tilo in Mikes Bett geschlafen. Soweit er wusste, war ein solches Verhalten ein Zeichen, dass ein Liebespaar im Streit miteinander lag. Das war genau das, was er brauchen konnte! Noch mehr Probleme in dieser eh schon schwierigen Gruppe. Er überlegte, ob er nicht doch die Aufzeichnungen durchsehen sollte, um zu erfahren, was zwischen den beiden vorgefallen war. Doch er verwarf diesen Gedanken wie schon vor einigen Stunden. Menschen schätzten es nicht, überwacht zu werden. Wenn sie durch eine Unachtsamkeit seinerseits herausbekamen, dass er zu diesem Mittel der Informationsbeschaffung griff, so würde das sehr wahrscheinlich das Vertrauen, das sie in ihn hatten, zerstören. Nein, noch kannte er sie und ihre ganze Spezies einfach zu wenig, um einschätzen zu können, was er von seinem so erworbenen Wissen in der Interaktion anwenden durfte und was nicht. Dieses Weihnachtsfest bot ihm genügend Gelegenheit mit ihnen zusammenzusein, ohne dass sie sich allzu sehr über seine Anwesenheit wunderten.
Es war schon erstaunlich, wie eine neue, angenehmere Aufgabe von der bewältigten ablenkte. Er überlegte, ob es besser wäre, die Gruppe von dem organisierten Transport zu informieren oder sie zu überraschen. Te'lar entschied sich für das Zweite. Zu Weihnachten machten sich die Menschen Geschenke, deren Art vor dem Fest im Idealfall geheim blieb. Nun hatte er ein Geschenk und zwar eines, das seine eigene Kultur nicht verletzte. Neugierig, wie es seinen Freiwilligen gerade ging, stand er auf und machte sich auf den Weg zu den Räumen der Gruppe.

 
* * *
 

Etwas hilflos stand Katja vor dem Datenstrom. Sie hatte jetzt zwar eine ungefähre Ahnung, wie sie die Einrichtung in ihrem Raum verändern konnte, wie sie es genau angehen sollte, war ihr noch schleierhaft. Also las sie zum wiederholten Male die Ausführungen durch. Mussten die eigentlich so umständlich geschrieben sein? Und warum musste sie sich eigentlich damit herumschlagen? Kevin mit seinem CVI sollte das doch viel leichter fallen! Aber nein, er musste ja mit Anna in die Cafeteria gehen und die Kekse und sonstigen Lebensmittel für morgen besorgen. Wetten, dass die sich dort festquatschten, so wie sie es gestern abend auch getan hatten. Da war sie allerdings dabei gewesen und war nicht mit einer schwierigen Aufgabe allein gelassen worden. Wenigstens hatten sie Tilo mitgenommen.
Armer Tilo, jetzt war er noch unglücklicher als zuvor. Yvonne steckt bestimmt wieder bei diesem neuen Freund. Katja hatte ein bisschen ein schlechtes Gewissen, denn irgendwie störte sie dieser Gedanke nicht richtig und wenn sie ehrlich war, dann war sie viel zu glücklich darüber, dass Tilo sie in Vertrauen gezogen hatte. Sie hatten gestern Nacht, als die anderen schon schlafen gegangen waren, noch sehr lange und sehr vertraulich miteinander geredet. Tilo hatte ihr von Yvonne und seinen Problemen mit ihr erzählt. Yvonne war wirklich ein Biest! Und dumm dazu! „Ich verstehe sie nicht!”, meinte Katja laut zu sich selbst und machte eine heftige Handbewegung, die den Datenstrom zum Verschwinden brachte und sie infolgedessen wieder ins Hier und Jetzt zurückversetzte. Mit einem Seufzer öffnete sie ihn wieder und versuchte sich auf die Erklärungen zu konzentrieren.

Sie war nicht sehr viel weiter gekommen, als Te'lar ihr Quartier betrat. Erleichtert sprang sie auf. „Te'lar! Schön, dass Sie kommen! Bitte, Sie MÜSSEN mir helfen!” Sie lief auf ihn zu und hätte ihn am liebsten einfach zu dem Datenstrom gezogen und gezwungen, die ganze Sache für sie zu erledigen, aber sie konnte sich noch rechtzeitig stoppen.
Der Taelon sah ernst zu ihr herunter. „Gibt es ein Problem?”, fragte er und seine Stimme klang besorgt.
Belustigt bemerkte Katja, dass er ihre Aussage offensichtlich falsch verstanden hatte. „Nein, nein!”, lachte sie. „Es ist nichts Schlimmes!” *Oh, Gott! Was tue ich da? Wenn er denkt, ich lache ihn aus?* Erschrocken hielt sie inne, doch der Taelon schaute sie nur verwundert an und machte wieder diese Handbewegung. Er sah nicht so aus, als wäre er böse auf sie, er sah vielmehr so aus, als wüsste er nicht, was er sagen solle. Also fasste sich Katja ein Herz.
„Ich komme mit der Veränderung unserer Einrichtung nicht zurecht. Die Erklärungen sind ziemlich... nun ja, ich versteh sie halt nicht. Könnten Sie mir nicht helfen?” Sie sah ihn bittend an und erntete einen - wie ihr schien - erleichterten Blick.
„Ich helfe dir gerne”, sagte er mit einer anderen Handbewegung.
„Wunderbar, vielen Dank!”, erwiderte Katja mehr als erfreut, während sie versuchte, die Handbewegung in ihrem Gedächtnis zu speichern, damit sie sich, wenn sie sie wieder an ihm sah, an diese Situation erinnerte und so vielleicht herausfand, was sie bedeutete. Sie ging wieder zu dem Datenstrom und öffnete den Anfang der Beschreibung. Te'lar trat neben sie und sah ihr interessiert zu.
„Also, was heißt das jetzt genau. Ich kann alle möglichen Möbel erstellen, ihre Form verändern und ihr Material, aber...”
„Nein,” unterbrach sie Te'lar mit sanfter Stimme, „das Material selbst bleibt immer das gleiche. Was sich verändern lässt, ist seine äußere Beschaffenheit.”
Sie sah ihn nur verständnislos an.
„Ich meine, das Material kann sich hart oder weich, glatt oder rauh anfühlen, aber das ist nur der äußere Eindruck. Das Material verändert sich entsprechend ohne sich qualitativ zu verändern. Ein einfacher, wenn auch im Grunde nicht korrekter Vergleich wäre der zu Wasser. Es kann flüssig sein, aber auch hart, wie Eis.”
„Und Eis kann glatt oder auch rau oder aber weich wie Schnee sein!”, rief Katja, glücklich etwas verstanden zu haben.
„Ja, genau, nur dass dieses Material nicht nur organisch, sondern auch sehr viel variabler ist.”
„Und damit kann ich jetzt genauso einen Stuhl wie einen Sessel machen?”
„Ja.”
„Und wie?”
Te'lar wand sich dann dem Datenstrom zu. Mit schnellen aber eleganten Bewegungen arbeitet er daran. „Du musst... Katja?”
Sie war so fasziniert von der Art, wie er seine Hände bewegt hatte, dass sie nur darauf und gar nicht auf die Anzeigen geachtet hatte. „Oh, Entschuldigung”, murmelte sie und wurde etwas rot. *Konzentrier dich!*, schimpfte sie mit sich.
„Siehst du, hier kannst du zwischen verschiedenen eingespeicherten Varianten wählen.” Ein gut verstecktes Untermenü brachte eine Liste mit Möbeln zum Vorschein. Te'lar wählte ‚Stuhl’ und eine umfangreiche Auswahl erschien. Er wählte die einfachste, erste Variante und ließ dann einen dreidimensionalen Plan des Raumes erscheinen und platzierte ihn mit einem Fingerzeig in der Mitte des Raumes. Mit einer kleinen Drehung richtete er ihn zu ihnen aus und nach einer Berührung an einer anderen Stelle des Datenstromes wuchs vor Katjas staunenden Augen ein Stuhl aus dem Boden des Raumes. Sie lief hin. „Wow!” Vorsichtig steckte sie die Hand aus und berührte ihn, als hätte sie Angst er könnte sie entweder anfallen oder wieder zerfallen. Doch er war fest und stabil und wirkte, als hätte er schon immer dagestanden.
„Das ist ja toll!!! Er ist einfach plötzlich da!” Katja sah ungläubig auf. „Kann man ihn denn genauso wieder verschwinden lassen?”, fragte sie und bemerkte gleichzeitig, dass der Taelon sie mit leuchtenden Augen beobachtete. Er sah gar nicht mehr unnahbar, sondern regelrecht fröhlich aus.
„Sicher!”, antwortete er und machte eine kleine Handbewegung. Der Stuhl verschwand, wie er gekommen war. Einen Moment lang sah sie fasziniert auf die Stelle, an der er gestanden hatte, doch dann plötzlich stutze sie. Verwirrt sah sie wieder zu Te'lar. Er stand immer noch so wie eben - neben dem Datenstrom. Sie war sich sicher, dass er diesen nicht berührt hatte.
„Wie...?” begann sie, doch sie stockte, als sie sah, wie der Taelon leicht den Kopf neigte und leuchtende Muster über sein Gesicht und seine Hände liefen. Als er die Augen wieder hob und ihrem erschrockenen Blick begegnete, sah er wieder aus wie zuvor. In Katjas Gehirn machte es ‚klick’ und sie erinnerte sich daran, dass ihr erzählt worden war, dass manchmal, wenn Taelons wegen irgendwas ihre Fassung verloren, die Energie, aus der sie eigentlich bestanden, durch ihr menschliches Aussehen durchschien. Doch sie hatte es noch nie selbst gesehen. Einen Moment lang konnte sie nichts weiter tun, als ihn anstarren.
„Entschuldige Katja. Ich wollte dich nicht verwirren.” Te'lars Stimme klang so sanft wie zuvor und das beruhigte sie wieder etwas, so dass ihre Neugierde ihre Verwunderung überwand.
„Wie haben Sie das gemacht?”
„Du weißt, dass wir Taelons aus Energie bestehen?”
Sie nickte, sie hatte es eben selbst gesehen.
„Nun, wir besitzen die Fähigkeit Impulse auszusenden, mit denen wir direkt mit unserer Technologie kommunizieren können.”
Es dauerte eine Weile bis Katja verstand, was das bedeutete. Dann bekam sie große Augen. „Heißt das, Sie können einfach so einen Befehl denken und schon wird er ausgeführt?”
Nun war es an Te'lar zu nicken.
„Aber das ist ja wie Telepathie!”, rief Katja begeistert.
„Nun, es ist nicht ganz das, was Menschen gemeinhin unter Telepathie verstehen”, korrigierte der Taelon. „Im Prinzip ist es nichts anderes als die Übertragung einer Information mittels elektronischer Wellen. Du machst das gleiche, nur eben mit Hilfe des Datenstroms.”
Diese Aussage verwirrte Katja für einen Moment, doch dann beharrte sie auf ihrer Idee.
„Aber Telepathie bedeutet doch, nur an etwas zu denken und dann passiert etwas.” Sie sah ihn triumphierend an. „Und genau das ist es doch!”
„Das ist aber weder die korrekte Definition von Telepathie, noch etwas Mystisches, was im allgemeinen Sprachgebrauch mit Telepathie verknüpft wird”, intervenierte Te'lar mit einem Lächeln, doch Katja wischte seine Einwände mit einer raschen Armbewegung beiseite. Sie war versucht ihn mit einem trotzigen ‚Doch!’ zum Schweigen zu bringen, doch sie bremste sich und ging statt dessen einer neuen Idee nach.
„Aber wenn Sie das können, dann müssen Sie doch nur an etwas denken und schon kann es das Schiff herstellen!”
„Mit Einschränkungen ist das korrekt!”
„Oh, toll! Wenn ich das nur auch könnte. Ich muss zwischen Vorgefertigtem wählen”, jammerte sie.
„Das musst du keinesfalls, Katja. Du kannst mit dem Datenstrom die Möbel in jede beliebige Form bringen. Komm her, ich zeige es dir!”

Eine Stunde später hatte Katja nicht nur gelernt, wie sie die Einrichtung verändern konnte, sondern auch den Raum schon wesentlich gemütlicher gestaltet. Auf der einen Seite gab es nach wie vor einen Tisch mit Stühlen. Allerdings waren die nun bedeutend interessanter geformt als vorher und daneben befand sich ein Regal, in das sie schon mal die Kerzen und die anderen Sachen aus dem Lager gestellt hatte. Die andere bislang noch leere Fläche zierte jetzt eine Art Sitzgruppe. Es waren zwei große Sofas und zwei Sessel. Doch sie war noch nicht zufrieden damit.
Sie stand in der Mitte des Raumes und sah missmutig auf das Arrangement. Te'lar neigte den Kopf schief und musterte sie abwartend. Katja ging nach vorne zu den Sesseln und dann wusste sie es. Der Raum an sich war in Ordnung, aber für eine Weihnachtsfeier fehlte der Weihnachtsschmuck. Sie holte schnell alles, was sie aus dem Lager besorgt hatten, und sah enttäuscht auf die wenigen Gegenstände. Im Lager waren sie so glücklich gewesen, dass sie überhaupt etwas hatten, so dass sie gar nicht gemerkt hatten, wie jämmerlich das Ganze wirken könnte. Te'lar sah ihr enttäuschtes Gesicht und erkundigte sich nach dem Grund dafür.
„Etwas fehlt. Wir brauchen mehr Weihnachtsgegenstände, haben aber keine. Und so wirkt es für eine Weihnachtsfeier nicht... weihnachtlich genug.” Katja war auf einmal todunglücklich. Nach der Begeisterung der letzten Stunde war das ein harter Fall. Sie sah auf den Boden und bemerkte so nicht, dass Te'lar sie nachdenklich ansah.
„Was könntest du dir denn hier noch vorstellen, so dass es weihnachtlicher wirkt?”, fragte er dann. Katja seufzte. „Vielleicht... ach, das geht sowieso nicht. Tut mir leid, Te'lar.”
Te'lar überlegte. Sollte er seine Überraschung jetzt schon zeigen? Wieso nicht, Sinn war es schließlich gewesen, seine Schützlinge zu unterstützen und ihnen eine Freude zu bereiten.
„Katja, komm bitte mit mir.” Verwundert aber neugierig folgte Katja dem Taelon. Er führte sie quer durch das Schiff und hielt dann vor einer Kammer. Katjas Augen weiteten sich. Sollten das Te'lars Räume sein und er führte sie hierher? Te'lar öffnete den Eingang und trat ein. Schüchtern blieb Katja draußen stehen und sah auch nicht um die Ecke, als etwas merkwürdig vertraut raschelte. „Ich habe etwas organisiert, um euch eine Freude zu bereiten, Katja. Und ich denke, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um es dir zu zeigen.”
Katja sah ihn gespannt an. Das ganze schien Te'lar etwas unangenehm zu sein, aber schließlich griff er neben sich und hielt Katja einen kleinen, grünen Tannenbaum vor die Nase. Katja war außer sich vor Freude und hätte den Weihnachtsbaum am liebsten umarmt und aus Dankbarkeit Te'lar gleich dazu. Sie fuhr mit ihren Händen über die Nadeln und roch den Geruch des Baumes.
„Es war wunderbar, Te'lar”, ihre Stimme brach. „Ich weiß gar nicht wie sehr ich Ihnen danken soll! Ich... es ist einfach nur toll, dass Sie uns einen Tannenbaum besorgt haben. Ich... ich weiß gar nicht, wie ich meine Freude ausdrücken soll.”
Te'lar lächelte über ihre Begeisterung und war erleichtert, dass seine Überraschung so gut angenommen worden war. „Du brauchst nicht versuchen, mir zu zeigen, wie sehr du dich freust, Katja, denn das ist offensichtlich.”
Katja lächelte, ein wenig hilflos, dass sie nicht mehr tun konnte, zurück und sagte leise: „Ich kann nur noch mal danke sagen, Te'lar.”
Te'lar neigte seinen Kopf. „Das ist nicht notwendig, Katja. Ich habe es gern getan.”
Dann herrschte fast betretenes Schweigen, das Te'lar beendete, indem er darauf hinwies, dass er noch einiges zu tun habe.
„Ich habe Sie ja schon lange genug aufgehalten, Te'lar. Aber danke, dass Sie mir so sehr geholfen haben.”
Der Taelon nickte. „Auch das habe ich gerne getan.”
Katja wandte sich zum Gehen, doch nach ein paar Schritten drehte sie sich noch mal um. „Te'lar?”
„Ja, Katja?”
„Sie wissen hoffentlich, dass Sie morgen abend herzlichst eingeladen sind? Es wäre wirklich schön, wenn Sie kommen würden.”
Er lächelte leicht. „Danke für die Einladung. Ich nehme sie dankend an.”

 
* * *
 

Tilo saß jetzt schon seit zwei Stunden am Tisch und spielte mit sich selbst Mensch-ärgere-dich-nicht. Im wörtlichen, wie im übertragenen Sinne. Yvonne war auch diese Nacht wieder nicht in ihr Quartier gekommen. Genau wie alle anderen. Mike war immer noch auf der medizinischen Abteilung, in einem Tank um genau zu sein, und dümpelte seiner Genesung entgegen. Er hatte ihn am frühen Morgen besucht, doch ein Krankenbesuch war etwas unbefriedigend, wenn der Besuchte nicht bei Bewusstsein war. Diese Ärztin, Deborah, hatte ihm versichert, dass Mike es überleben würde, auch wenn er schlimm aussah. Sie hatte ein wenig komisch geschaut, so dass er sich nicht sicher war, ob er ihr glauben konnte. Ein Taelon war bei seinem Eintreten auch anwesend gewesen, doch er hatte ihn nichts fragen können, da dieser mehr oder weniger fluchtartig den Raum verlassen hatte, als er eingetreten war.
Also war er wieder in ihr Quartier zurück gekehrt. Kurz hatte er mit dem Gedanken gespielt, in die Cafeteria zu gehen und sich nach diesem Anex zu erkundigen, doch er kam sich blöd dabei vor. Es sah aus, als würde er Yvonne hinterher spionieren, und diese Blöße wollte er sich nicht geben. Er hatte schließlich auch seinen Stolz. Doch er hätte gerne mit jemandem geredet. Wenn wenigstens die anderen aufwachen würden, aber darauf konnte er noch lange warten. Er seufzte und würfelte. Grün war dran.

Gelb hatte gerade Blau kurz vor dem sicheren Haus geschlagen, als Yvonne in das Quartier kam. Sie blieb am Eingang stehen und schnappte nach Luft. Der Anblick war auch reichlich skurril. Es gab eine Sitzgruppe, einen Tisch mit Stühlen, ein Regal, die allesamt eine ganz normale Form hatten, was überhaupt nicht zu der blauvioletten Farbgebung passte. Darüber hinaus war der ganze Raum mit bunten Bändern und Papier- und Strohsternen geschmückt. Und als i-Tüpfelchen stand in einer Ecke ein unförmiger Weihnachtsbaum, aus dem gleichen Material und in der gleichen Farbe wie der Rest. Kevin hatte ihn gestern Nacht - oder besser heute früh - unter heftigem Protest von Katja erstellt. Ihre Rufe hatte Tilo geweckt, so dass er nachgeschaut hatte, was da eigentlich los war. Das Gebilde hatte ihn zum sofortigen Rückzug veranlasst, doch wenigsten waren die anderen nach seinem Auftauchen auch ins Bett gegangen.
Jetzt starrte Yvonne dieses Ungetüm an und begann zu kichern. „Was ist denn das???”
„Das ist Kevins Beitrag zu unserer Weihnachtsdekoration. Hübsch, nicht?”, antwortete er und zog eine Fünf für Rot.
Yvonne zögerte kurz und setzte sich dann zu ihm an den Tisch. „Wer gewinnt?” - „Gelb. Und Rot verliert.” - „Wie passend!” - „Ja, wie im richtigen Leben!” Yvonne wandte beschämt den Blick ab. „Wo sind denn die anderen?” fragte sie schließlich. „Die schlafen noch.” - „Wie jetzt? Es ist nach ein Uhr Mittag.” Tilo zuckte mit den Schultern. „Sie waren die ganze Nacht in der Cafeteria und haben dann noch hier im Quartier ein wenig weiter randaliert.” - „Und du? Du nicht?”, fragte Yvonne ein wenig besorgt. „Nachdem Kevin mit dem Rezitieren sämtlicher Weihnachtsgedichte und -lieder, die er jemals in seinem Leben gehört hat, durch war und mit den Weihnachtswerbespots weitermachte, hab ich mich abgeseilt. Unglaublich, wie viel Müll man selbst in einem so jungen Leben wie unserem schon aufgesogen hat!” Yvonne lachte und sah zu, wie er mit einer sechs eine grüne Figur ins Spiel brachte. „Dann findet er also doch noch Gefallen an seinem CVI?” - „Mhm, ich glaube eher, dass er gerade zwanghaft versucht, das Ganze nicht so ernst zu nehmen.” - „Möglich...” antwortete Yvonne und schaute ziellos im Raum umher. Tilo spielte weiter. Er hatte diesmal nicht vor, ihr das Reden abzunehmen. „Und wer hat dieses Arrangement verbrochen?”, fragte sie schließlich - einem ernsten Gespräch ausweichend - und zeigte auf die Sofas und Sessel und den niederen Tisch dazwischen. Tilo musste lachen. Manchmal dachten sie eben doch das Gleiche. „Das war Katja.” - „Mein Gott, ist das spießig! Sie hat wirklich gar keinen Geschmack!” - „Anna ist begeistert.” - „Ich kann gut verstehen, dass es Kevin zu... zu dieser Karikatur eines Weihnachtsbaumes inspiriert hat! Das bleibt auf keinen Fall so!” - „Lass ihr doch zumindest für heute die Freude. Ich glaube, in ihrem Leben hat es bislang nie so etwas wie spießige Gemütlichkeit gegeben.”
Yvonne drehte sich ihm zu und stützte ihr Kinn auf ihre rechte Hand. „Du magst sie, nicht war?” - „Sicher, sie ist sehr nett.” - „Ganz im Gegensatz zu mir.” Tilo lächelte, aber zog es vor zu schweigen. „Mir ist nicht entgangen, wie sie dich anschaut. Katja ist verliebt in dich!” - „Nicht richtig”, antwortete er ausweichend, wenn auch nicht richtig überzeugend. „So wie sie gestern Abend von Te'lar geschwärmt hat, hatte ich eher den Eindruck, sie wäre in ihn verliebt.” - „In Te'lar? Einen Taelon?” Yvonne lachte. „Das würde Katja ähnlich sehen! Sie hat wirklich keine Ahnung, was wirklich Sache ist.” - „Das würde ich so nicht sagen. Manchmal hat sie erstaunliche Eingebungen und dann wieder ist sie richtig naiv.” - „Was für eine entzückende Mischung”, meinte Yvonne sarkastisch, doch dann wurde sie ernst. „Bist du verliebt in sie?” Tilo sah von seinem Spiel auf und begegnete dem Blick seiner Freundin. „Nein. ... hättest du das gerne?”
Yvonne schüttelte nur den Kopf und senkte den Blick. Mit dem Zeigefinger zog sie die violetten Muster des Tisches nach. „Tilo?” - „Mhm?” - „Würdest du mir glauben, wenn ich dir sagen, dass mit... mit diesem Anex nichts ist.” Sie musste plötzlich lächeln, als wäre allein die Vorstellung komisch, doch sie wurde schnell wieder ernst und sah ihn nun wieder direkt an. „Ich brauchte nur jemanden zum Reden. Jemanden, der ein bisschen mehr Ahnung hat, vom Leben und davon, was hier eigentlich abgeht.” Tilo erwiderte ihren Blick, aber er wusste nicht, was er antworten sollte. Sie klang so, als würde sie meinen, was sie sagte. „Versteh doch, ich will dir nicht weh tun. Ich hab dich doch gern.” Sie streckte ihre Hände aus und berührte leicht seinen Arm, so als hätte sie Angst, er würde sie wegschlagen. „Ich will mich nicht mit dir streiten. Hey, heute ist das Fest der Liebe. Lass uns wieder lieb sein, wenigstens für heute.” - „Heißt das, dass du mich morgen wieder angiftest?”, fragte er, aber er sagte es in einem scherzhaften Ton und nahm ihre Hände. „Klar. Du kennst mich doch!” Jetzt musste Tilo wirklich lachen. „Dann machen wir es, wie meine Eltern früher. Die haben sich auch ständig gestritten, obwohl sie sich eigentlich mochten. Und an Weihnachten haben sie sich alle Mühe gegeben, friedlich zu sein, um mir Weihnachten nicht zu vermiesen.” - „Genau. Vertragen wir uns, damit die Kleinen ein schönes Weihnachtsfest haben...” grinste Yvonne. „...falls sie es nicht verschlafen.” - „Apropos...” Yvonne beugte sich zu ihm vor. „Willst du noch ein paar Partien Mensch-ärgere-dich-nicht gegen dich verlieren oder sollen wir uns an einen Ort verziehen, an dem es nicht ganz so schauerlich weihnachtet?” Wenn Yvonne wollte, konnte sie ihre Augen verführerisch glitzern lassen. Tilo stand auf und zog sie an sich. „Meinst du, du stellst mir diesen Anex demnächst mal vor?”, murmelte er zwischen zwei Küssen. „Ja, aber erst wenn Weihnachten vorbei ist. Ich fürchte nämlich, ich muss dir da vorher was erklären, denn ich hab dich in bezug auf Anex etwas in die Irre geführt.” Yvonne kicherte und zog ihn in ihren gemeinsamen Raum. *Was meint sie jetzt damit?* wunderte sich Tilo. *Ist Anex vielleicht eine Frau?* Doch er beschloss, dass dies kein geeigneter Augenblick war, das auszudiskutieren.

 
* * *
 

Mit einem Schreck wachte Katja auf und tastete nach Annas großem Aufziehwecker. „Fünf Uhr! Oh mein Gott!! - Anna! Aufwachen!” Sie rüttelte ihre Freundin heftig.
„Was?”, murmelte diese, sich aus dem Schlaf kämpfend.
„Wir sind dabei Weihnachten zu verschlafen!” Katja sprang auf und rannte ins Bad, um sich mit einer kalten Dusche wieder unter die Lebenden zu bringen.

Nur zehn Minuten später stand sie wieder kopfschüttelnd vor Kevins Machwerk.
„Ich werde dieses Teil jetzt entfernen!”, sagte sie mit Bestimmtheit.
„Ach, lass doch...” Annas Stimme klang zwar noch ziemlich verschlafen, aber eine leichte Traurigkeit war dennoch herauszuhören. „So haben wir wenigstens irgendeinen Baum!” Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und bekam ein verträumtes Gesicht. „Früher, im Heim, war das immer das Schönste an Weihnachten. Wenn wir gerufen wurden und die Tür ging auf und alles war dunkel und nur der große Weihnachtsbaum strahlte und glitzerte. Die Geschenke, die man danach auspacken durfte und das Spielen damit, das war alles auch schön, aber richtig Weihnachten war genau dieser Moment, in dem ich den Baum das erste Mal gesehen hab.”
Katja wandte sich ab, damit Anna nicht sehen konnte, dass ihr Tränen in den Augen standen. Sie fühlte sich sonderbar. Traurig, weil sie so etwas gar nicht kannte, glücklich, weil sie wusste, dass Anna sich sehr über Te'lars Baum freuen würde und sehnsuchtsvoll, dass dieses Weihnachten vielleicht auch für sie mal ein wirkliches Weihnachten werden könnte, allen ungünstigen Umständen zum Trotz.

„Wag es nicht einmal daran zu denken, Schurkin!”
Kevins scherzhaft drohende Stimme riss sie aus ihren schwermütigen Gedanken. Sie drehte sich um und hob die Hände. „In Ordnung, Zorro, für dieses Mal hast du gewonnen. Doch denke an meine Worte: Meine Zeit kommt noch!” Sie warf sich einen imaginären Umhang über die Schulter und rauschte aus dem Quartier. „Hee, halt, Katja, wo willst du denn hin?”, rief ihr Kevin hinterher. „Kaffee holen!” lautete die lapidare Antwort.

Als Katja mit zwei Kannen Kaffee wieder ins Quartier zurückkehrte, waren auch Tilo und sogar Yvonne da.
„Kaffee! Du bist ein Schatz!”, rief Yvonne und nahm ihr die langsam schwer werdenden Kannen ab. Da Anna immer noch nicht in der Lage zu sein schien, etwas anderes zu tun als in die Gegend zu starren, holte Katja ihr eine Tasse und goss ihr ein. Doch sie verschüttete beinahe alles wieder, als sie sah, wie Yvonne sich fröhlich auf Tilos Schoß fallen ließ. Tilo entwand ihr lachend die Kaffeetasse und trank trotz ihres lautstarken Protests.
Katja spürte, wie ihr Magen sich schlagartig in einen schweren Stein verwandelte. Dann lachte sie und stieß Anna an. „Da, du Schlafmütze, werd mal wieder munter, sonst sind das triste Weihnachten für dich!”
Katja drehte sich um und nahm sich auch eine Tasse aus dem Regal. Aus den Augenwinkel beobachtete sie, wie Tilo Yvonne verliebt ansah und sie küsste, was sie sich kichernd gefallen ließ.
Katja schluckte schwer, doch als sie sich umdrehte, verriet ihr Gesicht nichts von ihren Gefühlen. Stattdessen ginste sie Kevin, der sie eindringlich musterte, gespielt heimtückisch an und ließ dann ebenso gespielt unauffällig ihren Blick von Kevins Baumgebilde zum Datenstrom und zurückgleiten. Sie sollte verdammt sein, wenn sie es nicht schaffte ihre Gefühle zu verbergen. Wenn sie mit etwas Erfahrung hatte, dann damit! Und ehe Kevin es sich versah, hatte sie ihn in eine scherzhafte Rangelei verwickelt, in der er sie mit körperlicher Gewalt davon abhalten musste, sein Kunstwerk zu vernichten. Seine Chancen standen gut, bis sich Anna zu Katjas Gunsten einmischte. Schließlich lagen alle drei erschöpft am Boden und konnten sich vor Lachen nicht mehr bewegen.
„So, Kinderchen, jetzt hat es sich aber ausgetobt. Zu Tisch, bitte!”, baute Yvonne mit mütterlich-strengem Blick über ihnen auf.
„Vergiss es, Yvonne! Die Mama-Rolle nimmt dir hier keinen ab!”, meinte Kevin während er sich aufrappelte und seine Stimme war ein wenig ernster, als es der Situation angemessen war. Doch letztlich setzten sie sich doch alle um den Tisch und aßen von den Keksen und Lebkuchen.
„Was machen wir denn jetzt noch?”, fragte nach einiger Zeit Anna, die nach dem kurzen Intermezzo wieder still geworden war. „So richtig weihnachtlich ist mir zumindest nicht zumute.”
„Dann lass uns doch ein paar Weihnachtslieder singen! ‚Oh Tannenbaum’, zum Beispiel.”, rief Kevin mit einem Grinsen, doch er schwieg betroffen, als er Annas vernichtenden Blick auffing. Katja, die wusste, warum dieser Scherz nach hinten los gegangen war, legte ihrer Freundin die Hand auf den Arm. „Keine Sorge, es wird schon noch weihnachtlich. Wir müssen nur noch auf Te'lar warten!” Sie hätte sich schon wieder etwas besser gefühlt, wenn nicht gerade jetzt Yvonne an Tilos Ohr geknabbert hätte. Die andern versuchten, aus ihr heraus zu bekommen, was sie damit meint, doch sie schwieg und tat geheimnisvoll. So war es kein Wunder, dass Te'lar sehr freudig begrüßt wurde, als er wenig später ihr Quartier betrat.
„Es freut mich zu sehen, dass es euch gut geht. Ich habe...”
„Halt, nichts verraten, Te'lar! Sie sollen es sehen!”, unterbrach Katja den Taelon. „Ihr wartet hier!”, befahl sie den anderen und schob Te'lar mehr oder weniger aus dem Raum.

„Entschuldigen Sie, Te'lar, aber es ist doch eine viel größere Überraschung, wenn sie ihn gleich sehen, als wenn Sie ihnen von dem Baum erzählen”, meinte sie vorwurfsvoll, da er beinahe ihren schönen Plan zerstört hatte.
Der Taelon legte den Kopf irritiert zur Seite und sie erwartet eine Rüge. Ihr Ton war nicht okay gewesen, doch sie konnte jetzt nicht anders. Dieses Theaterspielen hatte sie erschöpft. Sie wollte nur noch in ihr Bett und sich die Decke über den Kopf ziehen, doch statt dessen würde sie diese Scharade noch etliche Stunden weiterführen müssen. Mit gesenktem Kopf ging sie neben Te'lar schweigend die Korridore entlang.
„Ich wusste nicht, dass eine Überraschung für Menschen schöner ist, wenn sie direkt sehen, als wenn sie davon erzählt bekommen. Es tut mir leid, dass ich sie beinahe verdorben hätte”, meinte der Taelon nach einer Weile.
„Es ist schon okay. Sie werden sich sicher sehr freuen”, antwortete Katja und sie merkte, dass ihre Stimme ein wenig matt klang. Wieder fielen sie in Schweigen, dass erst von Te'lar gebrochen wurde, als sie in den Raum mit dem Baum traten.
„Es ist nicht leicht zu antizipieren, wie Menschen etwas erleben und dementsprechend richtig zu handeln. Danke, dass du mir etwas beigebracht hast.”
Nun konnte Katje nicht anders als den Taelon anzulächeln. Es war ein so gutes Gefühl, dass sie zu etwas nutze war. Sie kam sich gerade so klein und unbedeutend vor.
„Was ist mit dir, Katja? Du bist allem Anschein nicht glücklich. Ist etwas geschehen?”, fragte Te'lar sanft. Katja senkte den Kopf und kaute an ihrer Unterlippe.
„Es ist nichts...” antwortete sie ausweichend.
„Das ist offensichtlich falsch. Ich will dich nicht zwingen, mir etwas zu erzählen, das du lieber für dich behalten willst. Aber es verwirrt mich zu sehen, dass du mit einem Mal so unglücklich bist, nachdem du gestern noch so fröhlich warst.”
Katja kaute weiter auf ihrer Unterlippe. Am liebsten hätte sie Te'lar alles erzählt. Von Tilo und ihren langen Gesprächen und dem warmen Gefühl, das sie die letzten Tage gehabt hatte, wenn sie ihn angeschaut hatte. Aber Te'lar war ein Taelon. Ihm käme das ganze sicher nur lächerlich vor. Also starrte sie weiter auf den Boden und tat so, als wäre Te'lar gar nicht da. Doch Te'lar verschwand nicht, sondern sah nur eine ganze Weile auf sie herunter. Schließlich hob er seine Hand. Mit seinen Fingerspitzen berührte er leicht ihre Wange und eine wohltuende, beruhigende Wärme strömte in sie. Verwundert blickte sie auf und sah in Te'lars blaue Augen, die sie besorgt musterten. Er zog seine Hand wieder zurück, doch das angenehme Gefühl blieb.
„Willst du mir nicht erklären, was dich so unglücklich macht?” Die Stimme des Taelon klang ebenso sanft wie seine Berührung und ehe sie es sich versah, war sie schon mittendrin ihm alles zu erzählten. Es war ihr jetzt egal, ob sie sich lächerlich machte, was hatte sie schon zu verlieren. Te'lar hörte sich ihren Bericht aufmerksam und konzentriert zu. Nachdem sie geendet hatte, meinte er zögernd: „Beziehungen wie diese sind unter Taelons nicht üblich, von daher habe ich keine Erfahrung, mit der ich dir zu Rate stehen könnte. Ich denke jedoch, dass du abwarten solltest, wie sich eure Situation hier entwickelt, ehe du voreilige Schlüsse ziehst oder dich von einer momentanen Gegebenheit zu sehr beeinflussen lässt.” Nachdenklich drehte sich Katja zum Baum und strich über die duftenden Nadeln. Te'lar hatte Recht. Wer weiß, morgen stritten sich Tilo und Yvonne vielleicht schon wieder.
Der Baum war wirklich wunderschön. Sie drehte sich wieder zu Te'lar und lächelte.
„Sie haben recht! Ich werde mir den Abend nicht davon verderben lassen!”

Als sie kurz darauf mit dem Baum in das Quartier traten, machten die anderen wie erwartet große Augen. Kevin ließ ohne weitere Erklärungen seine Kreation verschwinden, so dass Yvonne und Tilo den Baum an dessen Stelle platzieren konnten. Die beiden liefen aufgeregt hin und her und wirkten plötzlich gar nicht mehr so erwachsen, wie sie sonst immer taten. Was Kevin natürlich nicht unkommentiert ließ! Zu dritt, unter Mithilfe von Te'lar, befestigten sie Kerzen und Bänder am Baum, während Anna mit glänzenden Augen zusah und glücklich Katjas Hand hielt.
Katja lehnte sich in dem Sofa zurück. Sie war nicht mehr traurig, nur noch etwas müde. Gut möglich, dass Tilo und Yvonne sich bald wieder stritten, doch vielleicht war ihr das dann sogar ziemlich egal. Sie war sich gar nicht mehr so sicher, ob sie wirklich mehr als Freundschaft für Tilo fühlte oder ob ihr nicht einfach nur ein wenig Geborgenheit in dieser fremden Umgebung und in ihrem ganzen Leben gefehlt hatte.

Als schließlich der Baum geschmückt war und die Kerzen angezündet waren, setzten sie sich alle und Te'lar löscht mit einer Handbewegung - nein, einem Gedanken, korrigierte Katja sich lächelnd - das Licht. Katja hielt gebannt den Atem an: Der Baum war wunderschön. Die kleinen Flammen der Kerzen flackerten und hüllten den Baum in einem warmen Lichtschein, so dass es aussah als strahlte er in übernatürlichem, zauberhaften Glanz. Katja drückte leicht Annas Hand. Sie hatte Recht gehabt: Das war Weihnachten!

 

ENDE

 

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