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  „Rattlesnake” von Alraune   (Emailadresse siehe Autorenseite),   August 2002
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Ein Kind ohne Erinnerung und eine verzweifelte Suche ohne Hoffnung auf Erfolg.
Zeitpunkt:  dritte Staffel, AU
Charaktere:  T'than, Maris, William Boone, Zo'or [Da'an, Kate Boone und Amy, Sandoval]
 

 

RATTLESNAKE

 

Das kleine Mädchen mochte vielleicht sechs oder sieben Jahre alt sein. Es lag zwischen Gerümpel und Schrott, im Schatten einer Autokarosserie. Staub war sein hartes Bett. Bloße Lumpen bedeckten den mageren, schmutzigen Kinderkörper. Sie träumte. Träume von ‚vorher’, als alles anders besser gewesen war und sie nie Hunger, Kälte oder Schmerz gekannt hatte. Nur in ihren Träumen war es noch da, dieses ‚vorher’ und die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach etwas, das sie nicht finden konnte. Etwas, das im ‚vorher’ selbstverständlich gewesen und ihr nie verwehrt worden war. Wenn sie erwachte, würde sie erneut vergessen, dann waren der Hunger und das Bedürfnis nach Schutz die wichtigsten Dinge in ihrem Leben. Es gab nirgendwo Sicherheit für eine Streunerin, ein Straßenkind, wie sie es war. Die einzigen, die ihr halfen, waren die anderen Mitglieder ihrer Bande, doch auch sie waren jetzt fern. Für einige kurze Momente hatte sie sie aus den Augen gelassen und verloren. Stundenlang hatte sie die anderen gesucht, ohne jemals das Wagnis einzugehen ihre Stimme zu heben, sie durfte nicht bemerkt werden. ‚Lass dich nie erwischen.’ Das war das erste, woran sie sich erinnerte, das einzige, das sie nie vergaß und sie selbst in ihre Träume verfolgte. Nur das ‚vorher’ war unberührt davon, dieser Traum ihre einzige Zuflucht.
Erschöpft war sie schließlich hier an diesem unbekannten Ort, weit außerhalb aller ihr bekannten Plätze zusammengesunken und eingeschlafen.
Die Mittagssonne brachte Bewegung in das Häufchen Mensch und widerwillig öffneten sich schlaftrübe, schwarze Augen und schlossen sich gleich darauf wieder unter dem gnadenlosen Licht. Die Hitze lastete drückend auf ihr und Durst machte sich brennend bemerkbar.
Langsam blickte sie sich um, hastiger dann, ehe ihr einfiel, was geschehen war.
Ein Rasseln ließ sie erstarren.
Langsam und mit weit aufgerissenen Augen wandte sie sich in Richtung des Autowracks und fand sich einer prachtvollen Klapperschlange gegenüber. Das Herz schlug ihr heftig gegen die Rippen, als sie ihrem Tod in die Augen blickte.
Unfähig sich zu bewegen, sah sie zu, wie die Schlange sich bereit machte zuzuschlagen.
Ein harter Griff an ihren Schultern und sie wurde zurückgerissen. Die Kiefer des Reptils klappten Zentimeter vor ihrem Gesicht zusammen, sein lautes Zischen durchschnitt die Luft. Ein blankes Messer bohrte sich in den Schädel des Räubers und nagelte ihn an den Boden.
Das Mädchen wurde kraftvoll herumgerissen und eine Ohrfeige ließ ihre Augen tränen.
Ramirez, ein Junge von vielleicht fünfzehn Jahren und der Anführer ihrer Gruppe, schrie auf sie ein. Seit einiger Zeit begann sie Teile dessen, was er sagte, zu verstehen. Sie lernte die ihr fremde Sprache nur langsam, niemand hatte Zeit sich mit ihr abzugeben, sie war schließlich nur ein Kind von vielen und sie hatten andere Sorgen.
Nachdem Ramirez sich etwas beruhigt hatte, holte er sein Messer zurück. Es an der Hose abwischend packte er das großäugige kleine Ding hart am Unterarm und zerrte sie ohne auf Widerstand zu stoßen hinter sich her. Sie wehrte sich nie, sah ihn nur hilflos und fragend an. Er verstand nicht, was hinter diesen Augen lag, sie brachte ihn nur dazu sich um sie zu sorgen.
Der Körper des Reptils blieb verkrümmt im Staub und seinem eigenen Blute liegend zurück. Irgendein Aasfresser würde sich seiner annehmen.


Kalte blaue Augen blickten hinab auf eine fremde Welt. Seine Suche hatte gerade erst begonnen und es gab so viele Orte, an denen es zu schauen galt. Es war fast aussichtslos. Einzig die schwache Hoffnung eines Tages wieder die vertraute und so sehr vermisste Präsenz seines Freundes zu fühlen, ließ ihn weitermachen. Niemals hatte ihm jemand näher gestanden und sein Verschwinden war das Schrecklichste, das ihm jemals widerfahren war. Einmal mehr versuchte er hinauszureichen hinunter auf diese Welt und irgendetwas zu finden, die kleinste Reaktion auf sein Rufen. Auch dieses Mal wurde er nicht erhört und seine Hoffnung schwand um ein weiteres kleines Stück.
Noch war er nicht bereit aufzugeben. Noch nicht.


Sie waren fünf. Die beiden Ältesten Ramirez und Joseppa führten die Gruppe. Dann kamen die anderen Tonio, Maria, mit vielleicht fünf Jahren die Jüngste, und das Mädchen, das bisher namenlos war. Sie sprach nicht und konnte nicht sagen, wie sie hieß, und bisher war ein ‚Hey du’ immer bequem genug gewesen für ihre Kameraden.
Es kam nicht oft vor, dass Ramirez sie so wie an diesem Tag einfach davonstreunen ließ. Sie hatte ihre Aufgaben wie die anderen auch. Gesten genügten, um einem Kind das Handwerk des Taschendiebstahls beizubringen, und sie beherrschte es gut.
Heute jedoch war sie abgelenkt. Ihre Gedanken weilten noch immer bei dem Bild der zustoßenden Klapperschlange. Kaum etwas anderes hatte Platz in ihren Gedanken. Ganz gewiss nicht ihre Arbeit. So war es kein Wunder, dass sie unvorsichtig wurde.
Eine fremde Hand schloss sich fest und unnachgiebig um ihr Handgelenk. Der Mann, den sie gerade versucht hatte zu bestehlen, sah sie hart an. Zum zweiten Mal an diesem Tag begann ihr Herz voller Panik zu schlagen und schien sich aus ihrer Brust befreien zu wollen, als er ihre kleine sich heftig windende Gestalt hinter sich herzerrte.
Sie wusste, was Dieben blühte, und versuchte nur verzweifelt zu entkommen, doch erfolglos.


Der Abend fand sie in gänzlich unerwarteter, doch sonderbarerweise nicht ungewohnter Situation. Etwas in ihr erinnerte sich an eine Umgebung wie diese. An einen Ort, den sie Zuhause genannt hatte und der nun Zeitalter entfernt von dem verdreckten Straßengör war. Nicht wirklich vergessen, nur verschüttet in ihrer Erinnerung.
Es war nicht die Einrichtung des kleinen Zimmers, sondern vielmehr seine Ausstrahlung, die etwas in ihr aufrüttelte.
Sie war gebadet und in saubere Kleidung gesteckt worden. Man hatte ihr Essen gegeben, genug um zum ersten Mal, so weit ihre bewusste Erinnerung reichte, wirklich satt zu werden.
Im Moment saß sie auf dem Bett, in einem Raum, der offensichtlich für ein anderes Kind bestimmt gewesen war. Niemand behelligte sie und sie hatte Gelegenheit sich umzusehen. Die Einrichtung war mit Liebe zum Detail und großer Sorgfalt ausgewählt worden. Wer auch immer hier gelebt hatte, war wirklich geliebt worden.
Eine tiefblaue Tagesdecke, bestickt mit Monden und Sternen, lag unter ihr, kühl gegen ihre bloßen Hände und Füße. Eine Parklandschaft war auf die Wände gemalt worden und ein Blick nach oben zeigte einen wundervollen und, von dieser Hemisphäre aus betrachtet, astronomisch korrekten Sternenhimmel. Das Mädchen hatte schon lange aufgegeben sich zu fragen, woher sie solche Dinge wusste, sie nahm es einfach hin, wie so vieles andere auch.
Bücher, da waren zahllose Bücher und es juckte sie in den Fingern aufzustehen und sich eines zu greifen. Sie konnte lesen, etwas, zu dem nicht einmal Ramirez fähig war.
Aber die Furcht hielt sie zurück, zwar schien man ihr nichts tun zu wollen, aber das konnte sich ändern, wenn sie gegen die unausgesprochenen Regeln verstieß, wie auch immer sie aussehen mochten. Es blieb ihr nur zu warten.
Ein leises Klicken am Fenster. Jemand warf mit Kieseln dagegen. Langsam, unentschlossen erhob sich das Kind um es zu öffnen. Ramirez fiel, Sekunden später, mehr hinein, als dass er kletterte.
Er wirkte wenigstens ebenso verblüfft, wie sie es gewesen war, dann jedoch nach einem gründlichen Blick auf seinen bevorzugten Schützling lächelte er sanft. Ein seltenes Ereignis. Sein Gesicht veränderte sich dadurch völlig, der ständig finstere Ausdruck verschwand und für einen Moment sah er so jung aus, wie er war, ein Schimmer der lange schon verlorenen Unschuld kehrte in seine grauen Augen zurück. Das Mädchen verschloss dieses Lächeln in ihrem Herzen, es war zu kostbar um es zu vergessen.
Der hochaufgeschossene Teenager kniete sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit vor ihr auf den Boden und nahm ihr Kinn in die Hand. Seine Augen bohrten sich direkt in ihre. „Bleib.” Sein Befehl war unmissverständlich. Dann erhob er sich, strich ein letztes Mal durch die pechschwarzen Locken und prägte sich noch einmal das Gesichtchen ein, das er nun zum letzten Mal sehen würde.
Ein starker Geist wohnte hinter diesen schwarzen Augen, die alles sahen und wenig preisgaben. Sie hatte besseres verdient als die Straße. Hier würde sie es finden. Die Bewohner dieses Hauses hatten sich ihrer angenommen, er hatte schon mehrmals gesehen, wie dies geschehen war. Die Gringos waren sonderbar in dieser Beziehung.
Er wandte sich ab und verschwand hinaus in die Dämmerung, die anderen brauchten ihn.
Das Mädchen blickte ihm lange nach, sie wusste, es war ein Abschied für immer gewesen, sie würde weder Ramirez noch den Rest ihrer ‚Familie’ wiedersehen. Dieser Teil ihres Lebens war abgeschlossen.
Einmal mehr dachte sie an das Tier, dem sie diese unverhoffte Veränderung ihrer Umstände verdankte. So war es schon einmal gewesen, nicht zum ersten Mal brachte ihr eines von ihnen Glück.
Gedankenvoll rollte sie sich auf dem Bett zusammen. Sie schlief ein ohne es auch nur zu merken. Ihre Träume waren in dieser Nacht nicht beherrscht vom ‚vorher’, sondern von dem, was sein mochte, und einem Geschöpf, das für sie immer Faszination bereithalten würde.
Dem sie, so sonderbar es schien, ihr Leben verdankte.


Die Suche begann im Sande zu verlaufen. Keine Spuren führten zu den Verantwortlichen. Nichts gab einen Hinweis auf das, was geschehen war. Alle Aufzeichnungen waren restlos vernichtet, alle Zeugen beseitigt worden.
Alles, was ihm blieb, war der leblose Körper eines Freundes und ein Rätsel. Für einen Moment war es ihm erschienen, als könnte er den anderen fühlen, doch was er da empfangen hatte, wusste er nicht. Was sich ihm eingebrannt hatte, war das Bild eines angreifenden irdischen Tieres, die tödlichen Giftzähne vorgereckt, ein lautes Zischen, welches die Luft durchschnitt.
Eine Klapperschlange.


Zum zweiten Mal in weniger als vierundzwanzig Stunden erwachte das Mädchen an einem Ort, den es nicht kannte.
Darauf beschränkten sich jedoch schon die Gemeinsamkeiten.
Sie war satt und zufrieden, soweit man es in ihrer Situation erwarten konnte. Vor einigen Stunden erst hatte sie ihre ‚Familie’ verloren und war in eine andere Welt geworfen worden.
Eine Welt, die es nun, da sie sich etwas selbstbewusster fühlte, zu erkunden galt.
Ramirez hatte ihr befohlen zu bleiben, also musste sie lernen sich hier zurecht zu finden.
Das Haus war riesig und so beschloss sie erst einmal die Etage zu erkunden, in der sie sich befand.
Außer ihrem Zimmer fand sie noch gut zehn weitere Türen, die sie eine nach der anderen zu öffnen begann.
Auf diese Weise fand sie noch mehrere Schlafzimmer, eine Wäschekammer, etwas, das wohl einen Freizeitraum darstellte, und schließlich die Bibliothek.
Für jemanden, der schon länger an einem Fall von schwerer literarischer Unterernährung litt, war es, als käme man ins Paradies.
Daher bemerkte sie zu Anfang nicht, dass sie sich nicht als Einzige hier aufhielt.
„Hallo.” Überrascht blickte sie sich um. Die feurigen schwarzen Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie ihren ‚Häscher’ erkannte.
Er saß in einem bequem wirkenden Ledersessel und balancierte irgendein Buch auf den Knien.
„Komm schon her, ich beiße nicht.”
Ihr Misstrauen war noch lange nicht überwunden, ein bisschen freundliches Verhalten genügte da nicht, aber sie kam der Aufforderung nach.
Jetzt sah sie auch, was für ein Buch der Mann da hielt. Ein Astronomie-Buch. Vielleicht hatte er den Sternenhimmel in ihrem Zimmer gemalt.
„Ah, ich sehe schon, du findest das interessant. Welches ist dein Lieblingsplanet?”
Das Mädchen starrte den Mann etwas ungläubig an und blickte dann erneut auf die Seite, sie zeigte Bilder vom Mars. Sicher nicht ihr Geschmack. Ein paar Blätter weiter fand sie schließlich das Gesuchte und deutete sehr energisch darauf.
„Neptun. Interessant. Wie kommt das ... Wie heißt du eigentlich?”
Schulterzucken war seine einzige Antwort.
„Du weißt nicht, wie du heißt?”
Nicken.
„Du kannst aber sprechen?”
Unentschiedener Blick.
„Du kannst lesen.”
Nicken.
„Woher kennst du die einzelnen Planeten?”
Schulterzucken.
„Hmm damit kommen wir nicht weiter. Zuerst brauchen wir einen Namen für dich.” Der Mann blickte noch einmal auf die Seite, welche die Kleine aufgeschlagen hatte. „Du sagst, Neptun ist dein Liebling? Der Stern des Meeres. Stella Maris. Wäre dir das als Name recht?”
Die Kleine blickte ihn überrascht an. Sie hatte nicht erwartet, dass ihre Namensgebung so ablaufen würde. Der Name selbst klang gut genug. Warum also nicht? Sie nickte.
Der Mann lachte sanft. „Hallo Stella Maris, es ist mir ein großes Vergnügen dich kennen zu lernen.”
Sie bedachte ihn mit einem ernsten Blick.
„Ach ja, ich vergaß ... Mein Name ist Boone, William Boone.” Er reichte ihr die Hand. Sie zögerte einen Moment, ehe sie sie ergriff und leicht schüttelte.


Dreizehn Jahre später (2012)

T'than stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor dem Aussichtsfenster seiner Botschaft.
Schon zum tausendsten Male wünschte er sich, ein anderer stünde an seiner statt hier. Einer, der für diese Aufgabe geeigneter gewesen wäre und die Probleme, denen er sich hatte stellen müssen, anders und wohl auch besser gelöst hätte.
Er selbst war einfach nicht fähig, in diesen Aliens, diesen Menschen, etwas anderes als mindere Kreaturen zu sehen, und wollte es auch gar nicht.
Nicht umsonst hatte er einst seine Berufung als Kriegsminister gesucht und nicht als Diplomat. Außer als Kriegsmaterial hatten ihn andere Spezies einfach nicht interessiert. Und doch war er hier.
Und er nahm Anteil gegen seinen Willen und er baute Beziehungen zu den Menschen um ihn herum auf.
Er tat, was Da'an hätte tun sollen.
Was Da'an gewollt hätte.
T'than wusste, wäre Da'an hier gewesen, wäre er wohl gleich Ma'el dem Zauber der Menschen erlegen.
Ein Zauber, gegen den der ehemalige Kriegsminister wohl immun sein musste.
Nur weil er einzelne Exemplare als nicht ganz unerträglich empfand, hieß das nicht, dass ihn an ihrem Schicksal irgendwie lag.
Er war es Da'an schuldig hier zu sein. Er war nicht fähig gewesen seinen Freund zu beschützen, so beschützte er jene, die der andere gewiss geliebt hätte.
Er hatte so lange gesucht, ehe er gezwungen gewesen war aufzugeben. Es hatte einfach keinen Sinn gehabt. Auf diesem Planeten lebten sieben Milliarden Individuen. Wie hätten sie da eine einzelne Person finden sollen? Eine Person, deren Aussehen sie nicht kannten und deren Aufenthalt ein Rätsel blieb. Es war schlicht aussichtslos gewesen.
Mit erneutem Entsetzen dachte er an den Tag zurück, da er das Verschwinden Da'ans gefühlt hatte. In einem Moment war er noch da gewesen und im nächsten nicht mehr. Auf dem Mutterschiff hatte er nur noch eine leere Hülle vorgefunden. Wer oder was dafür verantwortlich war, ließ sich nicht feststellen. Vielleicht war es sogar Da'an selbst gewesen.
Aber warum hätte er das tun sollen? Es gab einfach keinen Grund. Nur unbeantwortete Fragen.
T'thans Suche hatte ein Jahrzehnt gewährt, ehe die Synode ihn praktisch gezwungen hatte aufzuhören und er seinen Platz als Companion der UNO eingenommen hatte.
Zo'or hatte nun den Posten inne, der für Da'an bestimmt gewesen war, er war der Nordamerikanische Companion.
T'than hatte sich in seine Aufgaben und sein Schicksal gefügt und dabei die Hoffnung seinen Freund jemals wiederzusehen aufgegeben. Er konnte nur wünschen, dass irgendjemand sich Da'ans angenommen hatte und für ihn da war, wie einst T'than.


Der Zustand war einfach unzumutbar.
Nicht nur T'than schien dieser Ansicht zu sein, sondern auch der hochgewachsene Mann vor ihm.
Der Grund für ihre Zusammenkunft, die unter anderen Umständen wohl nie stattgefunden hätte, hieß Ha'gel.
Der Alien war vor einigen Tagen entkommen. Wie das hatte geschehen können, versuchten ihre Wissenschaftler noch immer fieberhaft herauszufinden. Die Kapsel, in welcher der Kimera sich befunden hatte, hätte nicht geöffnet werden können. Aber ein paar einfachen Menschen war es mit simpelsten Werkzeugen gelungen.
Da die Freiwilligen allein nichts hatten ausrichten können, war die Synode schließlich gezwungen gewesen Kontakt mit den hiesigen Behörden aufzunehmen, in dem Versuch den Schaden wenigsten einigermaßen einzudämmen.
Dies hatte nun Captain William Boone in sein Büro geführt.
Gemeinsam mit Zo'or und Sandoval versuchten sie eine Strategie zur Verfolgung Ha'gels auszuarbeiten, der inzwischen vermutlich seine Pläne, wie auch immer sie aussahen, in die Tat umsetzte.
Ein Teil von T'than sorgte sich unterbewusst, wie schon seit Jahrhunderten, auch um Da'ans Sicherheit. Wo auch immer er sein mochte, vielleicht wurde er gerade ein Opfer des zornigen Aliens.
Seine Gedankenprozesse wurden gleich Zo'ors Satz von einem eindringlichen Zirpen unterbrochen. Boones Global forderte seine Aufmerksamkeit.
Das Gespräch war uninteressant für die Taelons. Irgendein Familienmitglied des rothaarigen Polizeiofficers kündigte seinen Besuch während einer Festivität an.
Boone beendete den Anruf mit einem Lächeln und schloß das Global. „Verzeihen Sie die Unterbrechung, das war meine Tochter. Sie hat mir nur mitgeteilt, dass sie doch über Weihnachten nach Hause kommen kann.”
Aus irgendeinem Grunde weckte dieser Kommentar die Neugier T'thans. Die Menschen hätten so etwas wohl als Intuition bezeichnet.
„Sie haben Familie?”
Erneut lächelte der Rotschopf. „Ja. Meine Frau und ich haben zwei Kinder. Unsere Älteste Maris, sie ist bereits auf den College, und Amy, sie ist gerade ein Jahr alt.”
Menschen waren leicht zu überreden von ihrer Familie zu reden. Das selbe Gefühl wie schon vorher veranlasste den Companion weiterzustochern. „Warum der große Altersunterschied zwischen Ihren Kindern. Soweit ich weiß, ist dies recht ungewöhnlich.”
Boone nickte. „Das ist es normalerweise auch. Maris ist genetisch leider nicht mein Kind, sondern adoptiert. Ich habe meine Frau erst vor zehn Jahren kennen gelernt.”
Das erklärte das. Und es klang aus irgendeinem Grunde vielversprechend. „Was hat Sie veranlasst ein Kind zu adoptieren?”
„Ich habe vor einigen Jahren Urlaub bei einem Bekannten in Südamerika gemacht. Maris war ein Straßenkind und wir sind gewissermaßen zusammengestoßen. Ich hatte Glück, dass sie abgelenkt war, sonst wäre sie mir wohl entwischt.” Der rothaarige Mann wirkte sonderbar wehmütig.
„Abgelenkt?” hakte T'than nach. Er wusste nicht, warum er sich so sehr in die Sache verbiss, dass er begonnen hatte den Mann zu verhören.
„Sie wäre an diesem Tag beinahe von einer Schlange getötet worden.”
Schlange. Das Wort war elektrisierend. T'than war sicher auf der richtigen Spur zu sein. Die erste Spur seit dem einen realer als real wirkenden Bild einer angreifenden Klapperschlange.
„Wann war das?” T'thans Stimme klang harsch und schien den Mann aus seiner Erinnerung zu reißen. Nichtsdestotrotz antwortete er. Vielleicht spürte er die Dringlichkeit in den Worten des Aliens. „Vor dreizehn Jahren.”
Entgegen aller Gewohnheit atmete T'than laut aus. Konnte es sein? Konnte es wirklich sein, dass er entgegen aller Chancen und jedweder Wahrscheinlichkeit die eine Person gefunden hatte, die einst Da'an gewesen war? War das möglich? Er konnte nicht anders, als sich an dieser Hoffnung festzuklammern. Er wünschte so sehr die einzige Person, die er je geliebt hatte, wiederzusehen.
Mit einer vagen Geste winkte er die anderen nach draußen und ignorierte den heftigen Protest von Da'ans Kind, als er sich in sein privates Quartier zurückzog.
In Gedanken weilte er bei dem Moment, in dem er seinen Freund kennen gelernt hatte.


~Flashback~

Er war allein und er langweilte sich.
Sein Lehrer hatte einfach den Unterricht unterbrochen und ihn heimgeschickt. Vermutlich wieder ein Übergriff der Jaridians.
Das änderte nichts daran, dass er sich sehr vernachlässigt und einsam vorkam. Er hatte nur selten Freizeit und diese verbrachte er gewöhnlich in der Gesellschaft seiner Eltern oder ausgewählter Betreuer. Altersgenossen kannte er nicht. Er wusste, dass es irgendwo noch andere Kinder geben musste, doch er hatte sie nie kennen gelernt. Man hielt es nicht für notwendig.
Er hätte liebend gern gefragt, warum ‚MAN’ es nicht für notwendig hielt, aber seine Erziehung hielt ihn davon ab. Niemand hinterfragte die Entscheidungen der Synode. Auch nicht ein Kind.
Es war in diesem Moment, dass er die Gegenwart von jemand anderem bemerkte. Überrascht blickte er dahin, wo dieser Jemand sich halb hinter einer Stützsäule verbarg und ihn aus großen Augen erwartungsvoll ansah.
Es war ein anderes Kind, vielleicht etwas jünger als er. Ein wenig atemlos starrte er die ungewohnte Sicht an. Und wurde gleichfalls ebenfalls einer ausführlichen Musterung unterzogen.
Sie beide wussten, dass momentan niemand ihnen Aufmerksamkeit schenkte, das Gemeinwesen hatte andere Sorgen. Sie waren für den Moment so frei, wie sie es jemals sein würden.
Frei sich miteinander bekannt zu machen.
„Hallo, ich bin T'than und du?” Der Jüngere blickte ihn etwas verblüfft an, blinzelte kurz und lächelte dann.
T'than wusste nicht, was dieses neue Gefühl war, das ihn in diesem Moment überkam, aber er wusste, er war dem anderen für immer verfallen, noch bevor er seine Stimme hörte. „Da'an. Mein Name ist Da'an.”

~End Flashback~


Ein leichtes Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Taelons. Es war noch immer ein Wunder, wie schnell es Da'an gelungen war ihn zu verzaubern. Selbst als Kind schon hatte er diese Gabe besessen, die ihm später zu einem steilen Aufstieg durch die Ränge der diplomatischen Kaste verhalf.
T'than war wohl der einzige, der gewusst hatte, dass dies nicht Da'ans Wünschen entsprochen hatte. Die Synode hatte die Zukunft seines Freundes aufgrund seiner hohen Begabung in diesem Bereich entschieden. Da'an hatte sehr viel lieber im Bereich der Wissenschaft tätig werden wollen, wie vor ihm schon Ma'el, sein erster Elternteil.
Da'an hatte auch kein Mitspracherecht bei der Wahl seines Partners gehabt. Er war fortpflanzungsfähig gewesen und daher war ihm ein passender Partner zugeteilt worden. Die beiden hatten gleichgültig nebeneinander hergelebt, das einzige, das noch von ihrer Verbindung zeugte, waren die Kinder, die Da'an geboren hatte und die er so sehr liebte. T'than hätte alles getan um den Kummer seines Geliebten zu lindern, doch es war ihm nicht gestattet worden.
Er hatte ihm nur ein Freund sein können.
Und jetzt rang er mit sich selbst.
Die letzten Stunden hatte er damit verbracht Informationen über Maris, oder besser Stella Maris Boone, einzuholen. Ein höchst ungewöhnlicher Name. Wie sie wohl dazu gekommen war? Sie schien glücklich zu sein. Liebevolle Eltern, eine kleine Schwester, gute Freunde. Sie studierte Naturwissenschaft. Und so wie es aussah, mit großem Erfolg. Sie schien sich nicht an ihr früheres Leben zu erinnern.
Konnte T'than es über sich bringen dieses sorgenfreie Leben zu stören? War er selbstsüchtig genug, das zu tun? Da'an hatte es nicht verdient in T'thans Welt zurückgezogen zu werden, nicht wenn er endlich zufrieden war.
Nein, der Companion würde sich zurückhalten. In diesem Falle war das Wohl des Einen ihm sehr viel mehr wert als das Wohl des Ganzen.


Hinter Maris' Stirn herrschte ein fürchterliches Durcheinander.
Sie erinnerte sich.
Es war so lange her, dass sie sich erinnert hatte. Wirklich erinnert, nicht nur vage Traumfetzen.
Die Träume hatten irgendwann, nachdem sie von Boone adoptiert worden war, aufgehört. Sie hatte sie nicht mehr gewollt, oder gebraucht. So waren sie gegangen. Anderes war an ihre Stelle getreten. Ein anderes Leben.
Jetzt forderte ihr erstes Leben mit Gewalt ihre Aufmerksamkeit, versuchte sie an alte Verpflichtungen zu gemahnen, von denen sie längst nichts mehr wissen wollte.
Ein sonderbarer Gedanke schoss kurz durch ihr verwirrtes Hirn. Die Taelons hätten sicher nichts von dieser Art Emanzipation gehalten.
Sie war sich vage bewusst in einem Bett zu liegen. Dumpfer Schmerz, überall in ihrem Körper. Sie hörte jemanden leise stöhnen und wurde sich erst nach Sekunden bewusst, dass sie selbst es war, die diesen Laut von sich gegeben hatte.
„Maris? Maris kannst du mich hören?” Die besorgte Stimme ihres Vaters. Sie spürte, wie er sich über sie beugte.
Sein warmer Atem strich leicht über ihr Gesicht. Eine warme Hand strich ihr ein paar sture Haarsträhnen aus dem Gesicht. Mutter war ebenfalls da.
Das war gut. Sie hätte das Alleinsein jetzt nicht ertragen.
Nicht jetzt.
Mühsam öffnete sie die Augen. Die Welt präsentierte sich ihr als ein Muster aus verschwommenen Linien und Formen. Ihr Kopf fühlte sich an, als sei er mit Watte ausgestopft, während alles andere einfach nur furchtbar wehtat. Mit einem erneuten Stöhnen erinnerte sie sich an den Grund.

~Flashback~

Sie schlenderte langsam und gemütlich durch die Straßen der weihnachtlichen Stadt. Es war großartig wieder Zuhause zu sein, wenn auch nur für die Feiertage. Sie hatte ihre Familie vermisst. Besonders ihre kleine Schwester. Amy war in den vier Monaten, seit sie sie das letzte Mail gesehen hatte, unglaublich gewachsen. Maris hoffte nur, dass Amy nicht noch zu klein war für das Geschenk, das sie ihr besorgt hatte.
Sie kicherte. Wenn es doch der Fall sein sollte, Amy würde sicher hinein wachsen. War ja nicht so, als würde ihre kleine Schwester immer ein Baby bleiben.
Der Schaufensterbummel hatte Spaß gemacht, aber allmählich begann ihr kalt zu werden. Ihr Mantel war zwar warm, aber sie rannte jetzt schon seit Stunden draußen herum. Es wurde Zeit heimzugehen.
Maris entschied eine Abkürzung zu nehmen, es war zwar riskant durch die Hintergassen zu gehen, aber es ging schneller und sie hatte wirklich genug von der Kälte. Das Zittern unterdrückend, beschleunigte sie ihren Schritt. Der Schnee knirschte leise unter ihren Füßen. Die Straße wirkte verzaubert, als entstammte sie einer Märchenwelt.
Das Gefühl beobachtet zu werden machte sich plötzlich in ihr breit und ließ Schauer ihren Rücken hinablaufen.
Langsam wandte sie sich um. Ein Mann stand da und blickte sie abschätzend an.
Der Mann war asiatischer Abstammung, nicht besonders hoch gewachsen, aber gutaussehend. Nichtsdestotrotz jagte ihr seine bloße Präsenz namenlose Furcht ein. Ihr Instinkt teilte ihr mit, dass dies nicht nur ein normaler Mann war, sondern etwas anderes. Etwas, das sie fürchten musste. Und plötzlich hatte sie einen Namen für ihn.
„Ha'gel.” Ihr Stimme tönte klar und ohne zu zittern durch das abendliche Dunkel.
Überrascht legte ihr Gegenüber den Kopf schief. „Woher weißt du, wer ich bin?”
Seine Frage verlangte eine Antwort. „Ich kenne dich. Ich erinnere mich deiner. Und ich fürchte dich.”
Langsam wich sie zurück. Ihr war nur halb bewusst, sich keiner menschlichen Sprache bedient zu haben.
Ha'gel kam langsam näher. „Woher kennst du mich?”
„Ich weiß es nicht und ich will es nicht wissen.” Was auch immer dieses Wissen war, es riet ihr eindringlich keine Berührung zuzulassen. Sie versuchte weiter zurückzuweichen, stieß stattdessen aber mit dem Rücken gegen eine Hauswand.
Plötzlich schien es, als würde etwas anderes in ihr die Kontrolle übernehmen, jemand, den sie nicht kannte und der ihr doch vertrauter war als sie selbst. Ihre Handflächen brannten, als unglaubliche Mengen von Energie durch ihren Körper flossen. Die Quelle dieser Energie würde zerstört werden, wenn sie sie verwendete, aber das war jetzt nicht wichtig. Würde für sie niemals wieder wichtig sein. Nur Ha'gel abzuwehren zählte.
Der Alien hatte sie fast erreicht, als sie die Kontrolle über diese Gewalt fahren ließ und sie gleich einer Lawine über den Anderen hereinbrach.
Der Schnee schmolz, die Wände auf der anderen Seite der Gasse wurden versengt, als eine grünlich schimmernde Gestalt mit unsagbarer Wucht dagegen geschmettert wurde.
Das war das letzte, was sie sah, ehe sie in die Umarmung der Ohnmacht sank.

~End Flashback~


Versuchsweise sprach Maris einen roten Fleck auf ihrer linken Seite an. „Dad?” Der Fleck näherte sich und gewann dabei deutlichere Konturen. „Maris, du bist wach.” Von der anderen Seite näherte sich ein blonder Fleck, den sie als ihre Mutter erkannte. Ihr Mundwinkel kräuselten sich in etwas, das ein Lächeln sein mochte, ehe es zu einer peinerfüllten Grimasse wurde.
„Au. Was ist passiert?” Sie hätte sich gern den jetzt schmerzenden Kopf gehalten, aber ihr ganzer Körper fühlte sich unglaublich schwer an.
Sie sah, wie sich das Gesicht ihres Vaters leicht verzog, Enttäuschung huschte kurz über seine Züge. „Wir hatten gehofft, das könntest du uns sagen.”
Sie brachte es nicht fertig ihm zu sagen, dass sie nicht den Zusammenstoß mit Ha'gel meinte, sondern einfach nur wissen wollte, wieso sie noch am Leben war.
Die Energie, die durch ihren Körper gefahren war, hätte eigentlich ausreichend sein sollen, um sie zu töten.


Einmal mehr tigerte T'than auf der Brücke auf und ab. Er wusste, dass Zo'or sein Verhalten inzwischen mehr als irritierend fand, und selbst Quo'on hielt sich zurück, um ihn nicht zu verwarnen.
Der Companion hatte sich schließlich gezwungen gesehen, seinen Fund zu melden. Sein sonderbares Verhalten war aufgefallen. Zu sagen, dass die beiden überrascht waren, war eine Untertreibung. Anschließend hatten sie beide begonnen seine Intuition wegzudiskutieren und wiesen ihn gnadenlos auf den Mangel an Beweisen hin. Eine Vision war einfach kein deutlicher Hinweis.
Das war kurz vor dem Vorfall gewesen.
Mit'gai hatte sie auf's Stasisdeck gerufen, wo Da'ans lebloser Körper schon seit Jahren ruhte und auf die Rückkehr seines Eigentümers wartete. Das war nicht länger der Fall. Sie waren gerade noch rechtzeitig gekommen um zu sehen, wie sich die schlanke Gestalt seines Freundes in einem Funkenwirbel auflöste.
T'thans Entsetzen hatte jenseits von allem, was er jemals für möglich gehalten hatte, gelegen.
Schiere Panik hatte ihn veranlasst zur Brücke zurück zu rennen und Agent Sandoval mit Nachforschungen über Boones Tochter zu beauftragen. Trotzdem hatte es noch fast eine Stunde gedauert, ehe er endlich etwas erfahren hatte.
Sie lebte. Gerade so.
Passanten hatten sie zusammen mit Ha'gel in einer Gasse gefunden, beide ohnmächtig. Die Gasse selbst sah aus, als sei eine Feuerwalze hindurchgegangen.
Der Kimera war umgehend auf's Mutterschiff geschafft worden, die junge Frau in ein örtliches Krankenhaus.
Sie hatte Verbrennungen an Beinen und Rücken und sonderbarerweise, für die Menschen jedenfalls, in den Handflächen. Und sie war ins Koma gesunken.
Das lag eine Woche zurück und noch immer wartete er auf eine Nachricht, dass sich ihr Zustand besserte. Er wusste, sie mochte genauso gut niemals erwachen.
Aber T'than bezweifelte das. Sein Glaube in Da'ans Willen zu leben war ungebrochen. Da'an hatte nie aufgegeben und würde es jetzt auch nicht tun.
So warteten sie.
Agent Sandovals Global zirpte. Er zog es heraus, lauschte einen Moment, nickte dann und schloss es wieder.
„Ms. Boone ist aufgewacht.”


Es war kurz nach Mitternacht. T'than wanderte lautlos durch das Krankenhaus. Es war nicht einfach gewesen, diesen Besuch mitten in der Nacht zu arrangieren, aber mit ein wenig ‚Überredung’ hatte er es möglich gemacht.
Der Raum, in dem Maris lag, war einfach genug zu finden. Ihn zu betreten fiel dem Taelon beträchtlich schwerer.
Ja, er hatte gewartet und gehofft, er klammerte sich an einem simplen Gefühl fest. Das Gefühl, dass Da'an hinter dieser Tür war. Er wünschte es sich so sehr. Zögernd legte sich seine schmale Hand auf den Türknauf. Wenn er hindurchtrat, würde es kein Zurück mehr geben. Entschlossen trat er ein.
Es war ein Einzelzimmer. Ein friedlicher und heller Raum, mit großen Fenstern. Die Fensterblenden waren geöffnet und ließen das sanfte Licht des Halbmondes ungehindert ins Zimmer.
Sie lag schlafend im Bett, ihr Gesicht T'than leicht zugewandt. Ein friedlicher Ausdruck lag auf ihren Zügen.
Er hatte sie schon auf Bildern gesehen, aber dies war das erste Mal, dass er sie wirklich ansah.
Sie sah jung aus. Vielleicht nur eine Täuschung, vielleicht Realität. Maris war kreolischer Abstammung, ihre Züge spiegelten den Stolz und das wilde Temperament ihrer spanischen Vorfahren wieder. Das Haar, glänzend schwarz wie das sternlose All, die Haut von oliver Tönung. Eine hohe Stirn, eine lange gerade Nase, deren Spitze sich kaum merklich nach oben wölbte, ein voller Mund und ein starkes Kinn, hohe Wangenknochen. Die Bestandsaufnahme war auch in den Augen eines Taelons ästhetisch zufriedenstellend.
Ihr Atem, der bis dahin leicht und gleichmäßig gewesen war, vertiefte sich plötzlich. Maris war aufgewacht.
Innerlich zitternd erwartete T'than, dass sie die Augen aufschlug.
Sie waren ebenso schwarz wie ihr Haar, voller Feuer und Leben. In diesem Moment verlor T'than alle Hoffnung, das konnte nicht Da'an sein, sein Freund hatte ihn nie so angesehen. Hatte nie so frei gewirkt. Dann sprach sie. Ihre Stimme war dunkel, ein wenig rau, voller Emotionen. „T'than. Ich dachte mir schon, dass ich dich wiedersehen würde.”
Der Taelon atmete tief ein. „Da'an.”
Sie lächelte, ein wenig traurig vielleicht. „Nein, nicht wirklich. Obwohl ich mich erinnere Da'an gewesen zu sein. Ich bin Maris.”
Alles in T'than erbebte. Gefunden, er hatte Da'an gefunden und ihn auch für immer verloren, schien es.
„Ich verstehe nicht ...”
Maris richtete sich etwas mühsam auf, stützte sich dabei auf bandagierte Hände. Ein leichtes Lachen war hörbar. „Du verstehst durchaus, du willst nur nicht. Ich bin nicht mehr Da'an. Ich habe bis vor ein paar Tagen nicht einmal gewusst, dass ich ‚er’ gewesen bin. Meine Erinnerung ist bestenfalls lückenhaft zu nennen. Nein, ich bin wirklich kein Taelon mehr.”
T'than trat langsam näher und ließ sich auf der Kante des Bettes nieder. „Was bist du dann?”
Sie bedachte ihn mit demselben Lächeln, das ihn vor unzähligen Jahrtausenden bezaubert hatte. „Ein Mensch. Ein etwas ungewöhnlicher zwar, aber ein Mensch.”
Sie ergriff sanft seine Hand, hielt sie leicht in ihrer.
„Das heißt, dass du eine Rückkehr nicht in Erwägung ziehst?”
„Nein. Ich kann nicht zurück. Mein Körper ist zerstört, ich habe seine ganze Energie aufgebraucht, um Ha'gel abzuwehren.” Der Taelon blickte auf die weißen Bandagen, die sie trug.
„Du hast Glück gehabt.”
„Glück und eine ausgeprägte Risikobereitschaft. Wenn mein Dad wüsste, was ich gemacht habe, würde er mir Hausarrest bis an mein Lebensende verpassen. Volljährig oder nicht.”
„Du weißt, dass er nicht dein Vater ist.” Maris' Griff verstärkte sich merklich.
„Er hat mich als sein Kind adoptiert und aufgezogen. Er war immer für mich da, wenn ich mich verletzt hatte oder krank war. Er hat meinen Freund auf der Highschool bei jedem Date erneut eingeschüchtert, damit mir auch wirklich nichts passiert, er hat immer gewartet, bis ich wieder zurück war. Er hat dafür gesorgt, dass ich alles gelernt habe, was ich wissen muss, und mir die Chance gegeben meine Träume zu verwirklichen. Wieviel mehr könnte er mein Vater sein? Alles, was fehlt, sind ein paar Gene.”
„Und ein paar Jahrtausende.” Ihr Griff lockerte sich ebenso plötzlich wieder.
„Ich bin ein Mensch, T'than. Betrachte es als eine Art Reinkarnation.”
„Ich wünschte, du würdest es dir überlegen.”
Sie wand ihre Hand sanft aus der seinen und legte sie an seine Wange, brachte ihn mit dieser Geste dazu sie anzusehen. „Ich bin zufrieden hier. Ich will nirgendwo anders sein. Aber ich habe eine Frage: Bist du es auch? Zufrieden meine ich.”
„Nein.” T'than schüttelte in einer menschlichen Geste den Kopf. „Ich bin nicht glücklich.” Seine Hand legte sich auf ihre. „Du fehlst mir.”
Ein sanfter Laut, halb Seufzer, halb Schluchzer, drang aus ihrer Kehle. „Du hast mir auch gefehlt. So schrecklich gefehlt.” Maris lehnte ihre Stirn sanft an seine. „Du hast mir so gefehlt, dass es mich bis in meine Träume verfolgt hat. Es war das Einzige, woran ich mich erinnert habe.”
„Wer? Wer ist dafür verantwortlich?”
Sie wandte den Kopf ab, unterbrach den Kontakt zwischen ihnen. „Ich weiß es nicht. Ich habe es vergessen.” Sie strich sich leicht über die Stirn. „Ich weiß noch, wie meine Essenz in diesen Körper transferiert wurde, ich hatte Angst, schreckliche Angst, ich fühlte mich verraten und sehr wütend. Ich habe mich zur Wehr gesetzt. Irgendetwas in mir wurde dabei beschädigt, ich konnte es fühlen. Danach ist alles schwarz. Meine nächste Erinnerung ist, dass ich mit einer Klapperschlange spiele, und Ramirez, der mich mitnimmt.”
„Ich erinnere mich an die Schlange. Sie hat dich angegriffen.”
„Nein, diese nicht. Woher weißt du davon?”
„Ich habe ein Bild davon empfangen.”
Dies schien Maris aufrichtig zu verblüffen. „Tatsächlich? Das ist erstaunlich, ich dachte, ich hätte seit meinem Transfer den Kontakt mit dem Gemeinwesen verloren.”
„Das hast du auch.”
„Sonderbar. Aber die Schlange, die du gesehen hast, das war fast ein Jahr später. Ich habe die Zeit mit Ramirez und den anderen verbracht. Bin dabei eine ziemlich gute Taschendiebin geworden.”
Das ließ T'than verblüfft blinzeln.
„Diebin?”
„ja, ich habe meine Eltern damit immer fast zur Verzweiflung getrieben. Obwohl ich die Sachen meistens zurückgegeben habe.”
„Vermutlich nur, wenn du Gefahr gelaufen bist, gestellt zu werden?”
Sie grinste leicht.
Dann wurde Maris wieder ernst. „Ich fürchte, du musst gehen. Wir reden schon seit zwei Stunden.”
Der Taelon nickte leicht und widerwillig. Es wurde wirklich Zeit, sein ‚Ausflug’ würde nicht mehr lange unbemerkt bleiben.
Ein schlanker Finger legte sich auf seine Lippen, ehe er einen Abschied formulieren konnte. „Sag nichts.” Ihr Mund löste ihren Finger ab.
Der Kuss dauerte nur Sekunden. War kaum mehr als das leichte Pressen von Lippen auf Lippen und doch sagte sie damit mehr, als sie jemals in Worten hätte ausdrücken können.
T'than war es, der den Kontakt unterbrach. Lautlos verließ er den Raum.
Vor der Tür stehend, berührte er leicht seinen Mund. Es war das erste Mal, dass ihn jemand auf diese Weise berührt hatte. Das erste Mal, dass Da'an mehr als ein Freund gewesen war.
Es war Da'an gewesen, der ihn geküsst hatte, egal wie er sich jetzt nannte, egal ob er sich erinnerte. Es war die selbe Person.
Die Frage war: Was sollte er jetzt tun?
Die Antwort war einfach.
Die Ausführung nicht.


Neujahr

Anmutig schlängelte der junge Mann sich durch die Menschenmassen. Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges an ihm. Schlank, nicht übermäßig hoch gewachsen. Die Figur eines Athleten ließ sich unter seiner eleganten Kleidung erahnen. Das dunkle Haar war kurz und hing ihm teilweise ins Gesicht, welches attraktiv aber nicht übermäßig so war. Was den Blick des Beobachters fesselte, waren die Augen, deren Blau schon aus größerer Entfernung wahrnehmbar war. Er war schon seit dem frühen Abend unterwegs um jemanden zu finden. In diesem Moment hatte er sein Ziel erspäht.


Feuerwerk erhellte den sternenklaren Nachthimmel. Jubelnde Menschen umringten sie, wünschten sich gegenseitig Glück für das neue Jahr.
Maris stand ruhig unter ihnen. Ihr Blick war auf eine bestimmte Stelle am Himmel gerichtet. Sehnsucht erfüllte sie und Melancholie färbte ihre Gedanken.
Vorher hatte sie sich oft gewünscht sich erinnern zu können, jetzt wünschte sie sich zu vergessen. Es tat weh zu wissen, was ihr fehlte, ohne es jemals haben zu können.
Die Arme um sich schlingend wandte Maris sich von Schauspiel am Himmel ab. Nach wenigen Schritten jedoch stieß sie mit jemanden zusammen. Überrascht blickte sie auf und fand sich im Blick tiefblauer Augen gefangen.
Sekundenlang starrte sie einfach nur. Sie kannte diesen Blick. Aber sie konnte es nicht glauben. Das konnte er nicht getan haben. Es war einfach nicht möglich. Nichtsdestotrotz langte sie nach ihm und zog sein Gesicht zu sich herunter. Er überragte sie nur um Zentimeter. Bedachtsam presste sie seine Lippen gegen ihre.
Es gab nichts anderes, das sie hätte tun können oder wollen. Wie sonst sollte man mit diesem Kerl umgehen?
T'than hatte schon immer dazu geneigt solche Entscheidungen zu treffen.


Der ehemalige Taelon lächelte in den Kuß hinein. Er hatte lange auf diesen Moment gewartet. Er war Da'an von Planet zu Planet gefolgt, nur um in seiner Nähe sein zu können. Jetzt endlich hatte er Da'an und er gedachte nicht wieder loszulassen. Es schien, dass sie die Sache genauso sah.


Zo'or blickte gedankenverloren auf die Erde hinab. Er war sich vage bewusst in diesem Moment sowohl das Verhalten Da'ans als auch T'thans nachzuahmen. Es kümmerte ihn nicht sonderlich.
In den letzten Tagen hatte sein Konkurrent recht rätselhafte Aktivitäten an den Tag gelegt.
Zuerst war er nach mehrstündiger Abwesenheit aufs Mutterschiff gekommen und hatte erklärt, dass seine Behauptungen lediglich seinem Wunschdenken entsprungen seien und er den Tod Da'ans akzeptiert habe. Anschließend hatte er jedoch den geklonten Körper eines Mannes aus den Forschungslabors verschwinden lassen. Und jetzt ruhte der Körper des ehemaligen Kriegsministers in der Stasis-Kammer.
Als ob Zo'or nicht wusste, wo T'than und, wo er schon dabei war, auch Da'an steckten. Es schien, der, jetzt Ex-, UN-Companion hatte vergessen, dass Zo'or mit seinem Elter verbunden war. Jahrelang hatte er nur vage Traumbilder empfangen, erst seit ein paar Tagen war der Kontakt wieder stärker geworden. Im Moment schien Da'an sehr mit sich zufrieden zu sein.
Der junge Taelon seufzte leise. Seine beiden größten Konkurrenten hatten sich gewissermaßen selbst ausgeschaltet. Warum also war er nicht auch zufrieden?
Nun es gab wichtigeres. Entschieden wandte er sich ab. Sich gegen die Verbindung zu Da'an abschottend bereitete er sich auf die Arbeit des kommenden Tages vor.


Lautlos glitt das Mutterschiff durch die dunkle Tiefe des Alls. Sonnenlicht filterte über seine Oberfläche, ehe es in den Schatten des Mondes abtauchte.
Zahllose Geheimnisse ruhten in seinen Archiven. Hätten die Taelons nur gefragt, hätte es ihnen die Antworten geben können, die sie suchten. Komplexe Träume spinnend wartete es darauf, dass irgendwann jemand auf die Suche gehen würde.

 

ENDE

 

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