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  „Messers Schneide” von Alraune   (Emailadresse siehe Autorenseite), 2002
Mission Erde/Earth: Final Conflict gehören Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Handlung:  Unerwartete Freiheit führt zu lang ersehnten Ergebnissen
Zeitpunkt:  dritte Staffel
Charaktere:  Da'an, eigener Charakter, T'than, Zo'or, Liam Kincaid, Renée Palmer
 

 

MESSERS SCHNEIDE

 


‚Erwachen’

Leere.
Dies war das einzige Wort, welches seinen inneren Zustand beschrieb.
Seine Gefühle waren bis fast zur Unkenntlichkeit gedämpft. Die Stimmen des Gemeinwesens hatten sich gleich einer schweren Decke darüber gelegt und sie übertönt.
Früher einmal hatte er diese ständige Nähe als beruhigend empfunden, doch jetzt empfand er es eher wie eine große Bestie, die auf der Lauer lag, um in einem unachtsamen Moment seine Seele zu verschlingen. Er konnte nicht einmal Angst ob dieser Vorstellung empfinden, zu fest war der Griff des kollektiven Bewusstseins.
Nur sehr wenige Taelons wurden derart gründlich manipuliert.
Warum er?
Auf diese Frage hatte er nie eine Antwort erhalten. Es war immer so gewesen und sollte nach dem Willen seines Volkes auch immer so sein. Schon vor langer Zeit hatte er es aufgegeben dagegen anzukämpfen. So war sein einziger Begleiter, und sein Fluch, die Logik. Kalt und scharf, umbarmherzig in ihrer Endgültigkeit.
Einzig Boone war es manchmal gelungen die stete Gegenwart der anderen zurück zu treiben und ihm ein Weniges an Freiheit zu schaffen, einen kurzen Moment um zu verschnaufen, ehe die Leere erneut über ihn hereinbrach.
Sie hatten ihm nicht einmal gestattet um diesen einzigen Freund zu trauern. Er hatte einfach weiter gemacht, als habe Boone niemals existiert. Bei seinen Kindern war es dasselbe gewesen, sie wurden geboren und ihm genommen, ohne einen Moment um Abschied zu nehmen.
Resignation war alles, was er empfinden konnte, war alles, was man ihm erlaubte. Es gestattete ihm noch immer seine Pflicht zu erfüllen, und wenn er seine Nützlichkeit verlor, würde die Synode seinen Tod anordnen.
Ein Teil Da'ans begrüßte dieses Wissen mit Erleichterung. Ein anderer Teil jedoch schrie auf in hilflosem Zorn.
Da'an kannte diesen Teil seiner Selbst, das Gemeinwesen hatte stets alles getan um ihn zu unterdrücken, ohne Erfolg. Manchmal verschwand er für lange Zeit, doch er kehrte stets zurück.
Seine Seele.


Abwesend lauschte Da'an der Rede des Krankenhausdirektors. Er versuchte die Unterstützung des Companions zu gewinnen um irgendein Vorhaben zu verwirklichen, das vermutlich nur seinen eigenen Interessen diente. Er war dies alles so leid. Noch ehe er ganz zu Ende gedacht hatte, spürte er, wie sich der Druck des Gemeinwesens verstärkte und jeden Hauch des Verdrusses erstickte.
Laute Schreie ertönten plötzlich von irgendwo im Hause und holten Da'an aus diesem Zustand der Versunkenheit. Irgendetwas daran zog ihn an. Dieses unbestimmte Gefühl veranlasste ihn dazu seinen Beschützer sowie den ältlichen, glatzköpfigen Direktor sitzen zu lassen und dem nachzugehen.
Unten in der Notaufnahme fand er die Quelle dieses Lärms. Es war eine Frau von etwa Mitte dreißig, stand stocksteif inmitten der Notaufnahme und schrie und schrie. Niemand versuchte sie daran zu hindern, obwohl mehrere Schwestern und Ärzte in der Nähe standen und ihr zusahen. Warum versuchte niemand ihr zu helfen?
Als er näher kam, verstand Da'an. Unsagbarer Schmerz strahlte von ihr aus, brach gleich einer Flutwelle über die Sinne des Taelons herein. Angezogen wie von einer ihm unbegreiflichen Regung trat er näher, berührte sanft ihre Schulter. Sie wandte sich ihm mit erschreckender Geschwindigkeit zu, eine Hand wie zum Zuschlagen erhoben. Als sie ihn sah, verschwand der Ausdruck des Wahnsinns aus ihren Zügen, machte dem Leid platz, ohne jede Warnung stürzte sie sich in die Arme des Aliens und begann wild zu schluchzen.
Einen Augenblick lang stand Da'an da, als habe sie ihn tatsächlich geschlagen, ihre Gefühle überrollten ihn, zu lange hatte er nicht gefühlt, er konnte sich dieser Empfindungen nicht erwehren und wollte es auch nicht. Unbewusst schloss er sie in eine leichte Umarmung und begann sie beide sanft hin und her zu wiegen. Es schien ihm das Richtige zu tun. In seinem Inneren aber tobte das Chaos. Er wusste jetzt, warum sie so sehr litt. Ihre gesamte Familie, ihr Mann und ihre beiden Kinder, war bei einem Unfall umgekommen, nur sie hatte nahezu unverletzt überlebt. Ihr Leid war grenzenlos und unbändig. Die Wildheit dieser Gefühle riss die Barrieren um Da'ans Seele nieder, sie schuf Raum, Raum für Da'ans eigene Empfindungen, die zum ersten Mal so lange er sich erinnerte frei waren. Ein wahrer Sturm brach los, als sich ihrer beider Trauer vereinte. Wo sie in der Realität schrie und weinte, tat Da'an es im Gemeinwesen und sandte Schockwellen durch die Reihen seiner Artgenossen. Die Bande, die ihn so lange gehalten hatten, rissen eines nach dem anderen. Erinnerungen an vergangenes Leid, an vergangene Grausamkeiten, die ihm angetan worden waren, die er begangen hatte, strömten auf ihn ein. Er klagte für jede einzelne. Sein gesamter Schmerz bracht sich Bahn in einem einzigen gigantischen Ausbruch, der alles mit sich riss und selbst dem Gemeinwesen keine Chance ließ, die Kontrolle zurück zu erlangen. Es lag nicht mehr in ihrer Macht. Er fühlte sich frei, während herrlicher Schmerz so scharf wie ein Messer ihn durchdrang und gleich einer lang erwarteten Regenflut seine Seele reinigte. Es dauerte lange, bis ihm aufging, dass die Fremde das Bewusstsein verloren hatte, noch immer flossen Tränen ihre Wangen hinab. Sie würde niemals wissen, dass sie nicht nur ihrem eigenen Leid Raum geschaffen, nicht nur ihren eigenen Verlust beweint hatte, dass ein Teil ihrer Tränen für all jene geflossen war, die Da'an verloren hatte, die er verletzt hatte.
Er spürte kaum, wie sie ihm aus den Armen genommen wurde, ließ es wehrlos geschehen, zu gefangen war er in dieser völligen neuen Welt, in der seine Gedanken und Wünsche nicht augenblicklich unterdrückt wurden. Es war ungewohnt, es würde einige Zeit der Anpassung benötigen, doch auch etwas anderes stieg aus den Tiefen seines Selbst, Erinnerungen an eine andere Zeit. Eine Zeit, in der er anders war, ein anderer. Mit Grausamkeit wurden ihm diese Bilder entgegen geschmettert. Was habe ich getan? Fassungslosigkeit machte sich in ihm breit. Alle seine Vorstellungen und Ideale, alles woran er damals geglaubt hatte, war in sein Gegenteil verkehrt worden.
Ohne sein Wissen, ohne sein Wollen. Mit diesem Gedanken kehrte die Klarheit in seinen Geist zurück und er wurde sich seiner Umgebung bewusst. Scheue Blicke waren auf ihn gerichtet, ohne sie zu beachten wandte er sich dem Ausgang zu. Da war eine Rechnung, die darauf wartete beglichen zu werden, und es war eine Hölle zu zahlen.

 

‚Planung’

Die nächsten Tage waren eine schwierige Gradwanderung. Nicht gewöhnt an starke Gefühle irgendeiner Art, drohte ihm jedes Mal, wenn irgendetwas, egal wie trivial, geschah, die Kontrolle zu entgleiten. Mehr als einmal hatte er förmlich die Flucht ergriffen, um nicht einfach unter der Wucht eines solchen Ausbruches zusammen zu brechen. Die Stille war nun sein bester Freund. Er hielt die anderen auf Abstand, mied den Großteil seiner Verabredungen und Treffen, so er sie nicht komplett abgesagt hatte. Was er am intensivsten fühlte, waren Furcht und kochender Zorn.
Doch kein Hass. Dies überraschte ihn am meisten. Er konnte seine Artgenossen nicht hassen, so sehr er es auch versuchte. Seine Rache aber wollte er haben, zu tief saß die Wut von Jahrtausenden.
Es wurde Zeit einen alten Freund zu kontaktieren.


Seit Tagen schon versuchte T'than Da'an über das Gemeinwesen zu erreichen, ohne Erfolg. Der Companion hatte eine undurchdringliche Wand zwischen sich und dem Gemeinwesen errichtet. Der Kriegsminister wusste nicht, was geschehen war, nur dass Da'an sich irgendwie aus der unbarmherzigen Umklammerung des Gemeinwesens befreit hatte. Endlich, nach so langer Zeit, war es ihm gelungen. Ihn hatten sie am festesten an sich gefesselt, aus Furcht vor dem, was er tun würde, sollte er sich jemals erinnern. Sie fürchteten, was er war, und nicht zu unrecht. T'than hatte gesehen, zu was Da'ans Begabung ihn bereits in seiner Jugend befähigt hatte. Es mochte ihm sogar gelingen auch die anderen zu befreien und dazu würde er Hilfe benötigen.
Der ewig verdrossene Taelon wanderte unruhig auf und ab, wartend. Irgendwann würde sicher eine Nachricht kommen. Da'an hatte ihm stets vertraut, es wäre ungünstig, änderte dies sich gerade jetzt, da endlich wieder Hoffnung für die Kinder der Kolonie bestand.


Eine andere Präsenz berührte seinen Geist, begleitet von einem erstaunlichen und intensiven Gefühlsmix, unmöglich zu sagen, was in dem anderen vorging.
Da'an.
T'than konnte sich kaum noch an eine Zeit erinnern, in der sich sein Geist anders als frostig und leer angefühlt hatte. Es war so lange her. Jahrtausende. Und Da'an war nicht mehr das Kind, welches er damals gewesen war. Die Unschuld, welche er einst besessen hatte, war ausgelöscht. Erfahrung und Entschlossenheit hatten sie abgelöst.
Doch die alte Lust zu spielen war noch immer da, weniger kindlich als früher. Da'ans Geist war scharf wie die Klinge eines L'ra'sha-Schwertes, er würde jeden zerstören, der ihm im Wege stand.
Er war dazu fähig!
Einen kurzen Moment erschauerte der Kriegsminister. Der Companion beruhigte ihn mit einer sanften Geste, als streiche er mit einer Hand zärtlich über seine Wange.
‚Hallo T'than. Bist du noch immer an einer Zusammenarbeit interessiert?’, erkundigte er sich sanft, es lag etwas aus alter Zeit in seiner Stimme, etwas, von dem er geglaubt hatte, es niemals wieder zu fühlen, ein Lächeln. Nicht jenes unwirkliche Ding, das nie die Augen seines Trägers erreichte und nur eine weitere von unzähligen Masken war, sondern ein Lächeln wie warmes Sonnenlicht an einem dunklen, kalten Regentag.
‚Du erinnerst dich wieder.’ Auch wenn T'than intellektuell bewusst gewesen war, was geschehen sein musste, so stand er doch jetzt fassungslos vor dem Beweis.
‚Ja.’ Eine Emotion begann sich aus dem Wirrwarr herauszukristallisieren. Da'an lachte. Über ihn! Automatisch kehrte der so gewohnte Ärger zurück. Da'an mochte ja ein alter Freund sein, aber das gab ihm nicht das Recht über ihn zu lachen. Er ‚mph'te und ignorierte die unangemessene Emotion seines Freundes demonstrativ. Dadurch wurde die Sache allerdings nur schlimmer. Der Kriegsminister fasste sich in eiserne Geduld und wartete, bis die Heiterkeit Da'ans verklang. Er musste sehr lange warten, offenbar hatte Da'an verlernt seine Gefühle richtig zu kontrollieren.
‚Es tut mir leid T'than', brachte er schließlich hervor, ‚Es ist lange her, dass ich etwas gefühlt habe. Ich wollte dich eigentlich bitten zu mir in die Botschaft zu kommen. Wir haben einiges zu bereden.’ Es war Da'an gelungen halbwegs ernst zu klingen.
‚Was hast du vor?’
‚Mich rächen.’ Halbformulierte Vorstellungen vom Aussehen dieser ‚Rache’ begleitete Da'ans Worte.
Ein zufriedenes Lächeln begann sich auf dem Gesicht des Kriegsministers auszubreiten.


Mit nach vorn gebeugten Schultern und einer Wolke des Unglücks über seinem Kopf, saß Liam an einem Kaffeetisch und brütete vor sich hin.
„Wie geht es Ihnen?”, erklang eine Stimme neben seinem Ohr und Renée Palmer ließ sich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder.
„Schlecht. Das sollten Sie eigentlich wissen”, knurrte er unmutig zurück.
„Ich weiß, Sie machen sich Sorgen um Da'an, aber vermutlich geht es ihm hervorragend.”
„Renée, er ist da einfach rausgerannt ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen und weigert sich seitdem mit irgendjemandem zu reden.”
„So schlimm wird's schon nicht sein. Vermutlich ist das nur irgend so ein verdrehtes Taelon-Ritual.”
„Hm.”


Mit wachsender Unruhe beobachtete Zo'or das Geschehen. Erst hatte Da'an sich völlig vom Gemeinwesen abgeschottet und nun hatte er auch noch T'than zu sich gerufen.
Der junge Synodenführer hatte Da'ans Präsenz nie anders als unnahbar und ohne erkennbare Gefühle gekannt, doch was sein Bewusstsein in jener Nacht gestreift hatte...
Was hatte seinen Elter derart verändert? Was hatte er jetzt vor?
Nie hätte der junge Taelon sich dies eingestanden, aber er hatte Angst vor dem, was der Ältere tun mochte.


Nervosität und Sorge bildeten einen harten Knoten im Magen des jungen Mannes.
Tage waren vergangen, seit er Da'an das letzte Mal gesehen hatte. Zwar verstanden sie einander längst nicht mehr so gut wie früher, doch lag ihm noch immer am Wohlbefinden des Taelons. In seinem Zorn hatte er damals Dinge gesagt, die selbst ihn entsetzten. Da'an hatte ihm danach nicht mehr vertraut und Liam, noch lange Zeit sehr zornig, hatte viel zu spät erst den Versuch unternommen, Frieden zu schließen. Ihre Beziehung war inzwischen bestenfalls kühl zu nennen.
Vor einigen Minuten hatte Da'an ihn zu sich gebeten. Warum hatte er nicht sagen wollen, nur dass es wichtig sei.
Als er durch den Eingang zum Büro des nordamerikanischen Companions trat, fiel sein Blick als erstes auf den Kriegsminister. Er und Da'an schienen einfach nur zu warten. Auf ihn, wurde ihm schlagartig klar. Als sie seiner ansichtig wurden, nickte T'than dem anderen Taelon kurz zu und entfernte sich in Richtung des privaten Quartiers Da'ans.
Liam fand sich unbehaglich in der Gesellschaft seines Arbeitgebers. Es war etwas zutiefst Ungewohntes um ihn. Die ruhigen Gewässer von Da'ans Geist waren durch irgendetwas aufgewühlt worden und bisher nur äußerlich zur Ruhe gekommen.
„Major Kincaid. Es freut mich, dass Sie meinem Ruf so schnell gefolgt sind.”
„Da'an. Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Sie haben sich sehr lange zurückgezogen. Und warum ist T'than hier?”
„Ich fürchte, ich habe unangenehme Neuigkeiten für Sie.” Da'an kam zum Kern der Sache ohne sich um Liams Worte zu kümmern. „Sie sind aus meinen Diensten entlassen, Major.”
Der junge Mann starrte den Taelon ungläubig an. Ein Teil von ihm klammerte sich an die Vorstellung, dass dies alles nur ein bizarrer Traum sei. Jeden Moment würde er aufwachen.
Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen erschienen zwei Freiwillige und führten ihn an den Armen hinaus. Er war zu geschockt um Widerworte zu geben.


Mit Schmerz in den Augen blickte Da'an seinem ehemaligen Beschützer hinterher.
Es tat weh, ihn so abgeführt zu sehen. Doch im Moment war jeder in Gefahr, der mit ihm zusammen arbeitete. Auch wenn dieser neuerliche ‚Verrat’ jedwede Chance auf eine Versöhnung zerstört hatte. Liam war auf diese Weise in Sicherheit.
Er würde später noch einmal mit ihm reden müssen. Später, wenn alles vorbei war. Jetzt für den Moment hatte er anderes zu tun.
Langsam erhob er sich und begann T'than zu folgen. Er fürchtete sich ein wenig vor dem, was sie nun tun würden, es barg viele Gefahren in sich, fast zu viele.


Der Kriegsminister erwartete ihn. Die Hände hinter dem Rücken gefaltet, die Haltung brüsk. Da'an kannte ihn kaum anders. Selten hatten sie genug Freiheit besessen um mehr als nur ein paar Worte zu teilen. Als T'than sich ihm zuwandte, konnte er in seinen Augen für ein paar Sekundenbruchteile die selbe Unsicherheit sehen, die auch ihn quälte. Doch es gab kein Zurück mehr, was getan werden musste, musste getan werden, ehe jemand die Möglichkeit fand sie aufzuhalten.
Ruhig hob der Companion die Hände und streckte die Handflächen seinem Gegenüber entgegen.
Der Moment der Berührung ließ Da'ans mühsam aufrecht erhaltene Kontrolle wanken. Selten genug hatte er die Gelegenheit zu solchem Kontakt gehabt. T'than spürte das leichte Zittern in Da'an und stützte ihn mental.
Dankbarkeit. Erleichterung. Er war nicht allein.
In diesem Moment wussten sie beide, sie konnten und sie würden dies vollenden und altes Unrecht bereinigen. Ihre Gedanken und Gefühle verbanden sich, machten sie fast zu einem Wesen, getrieben von einem gemeinsamen Ziel. Das Gemeinwesen erzitterte unter der Wucht ihres Eintreffens, sie konnten ihrem vereinten Willen nichts entgegensetzen.
Suchend glitten sie durch zahllose Geistsphären, bis sie fanden, was sie suchten. Andere, die wie Da'an unter der völligen Herrschaft der Taelons standen, keine Wahl hatten in ihrem Tun. Ein Zustand, der sich sehr schnell änderte.
Panik breitete sich unter den anderen Taelons aus, als sie einer nach dem anderen aus der Vergessenheit emporstiegen, sich bewusst wurden, was man ihnen angetan hatte. Anders als Da'an erwachte keiner von ihnen allein, schnell fanden sie einander und ihre Freude über das Wiedersehen ebenso wie der Schmerz über jene, die verloren waren, flutete durch das Gemeinwesen. T'than und Da'an spannen ihre Gedanken in das Durcheinander der anderen ein. Grimmige Zufriedenheit breitete sich aus, als sie erfuhren, dass die Rache bereits geplant war. Sie alle stimmten zu.
Die Kinder der Kolonie würden sich rächen, auf eine Weise, welche die Taelons niemals vergessen sollten.


Als Da'an erwachte, fand er sich auf den Fußboden wieder, in der festen Umarmung des Kriegsministers. Schlanke Hände strichen sanft über seinen Rücken. Eisblaue Augen blickten in Augen, die bereits den ersten Hauch von grün zeigten.

 

‚Ausführung’

Zo'or hatte gespürt, wie die Falle, unerbittlich von Da'an errichtet, sich langsam schloss. Hilflos hatte er zusehen müssen ohne auch nur das Geringste tun zu können. Zo'or hatte vor diesen Ereignissen nicht einmal von der Kolonie gewusst. Die Synode hatte sich gezwungen gesehen ihm davon zu berichten, da es unvermeidbar geworden war. Wissend was er nun wusste, fürchtete er das schlimmste. Sie würden keine Gnade mit ihnen zeigen. Die Taelons hatten ihnen alles genommen, den größten Teil ihrer Familien, ihre Welt, ihre Gefühle und Erinnerungen. Jetzt blieb ihnen nichts anderes mehr als den Tod zu erwarten. Zo'or fürchtete sich wie nie zuvor in seinem Leben. Sein Tod würde nicht das Ergebnis des Energieverlustes sein, er würde nicht von der Hand eines Jaridians oder durch irgendeinen Anschlag des Widerstandes sterben, sondern durch eine Schuld vernichtet werden, welche seine Vorfahren auf seine Schultern geladen hatten.
Er fühlte, wie sie sich sammelten, ihre Kraft war gewaltig, ebenso ihr Zorn. Wie konnten sie einer solchen Macht Widerstand leisten? Die Antwort war nüchtern und hoffnungslos. Gar nicht.
Obwohl erwartet brach der Angriff überraschend über das Gemeinwesen herein. Wie sollte man sich auf so etwas auch vorbereiten? Mit zerstörerischer Wucht fegte die vereinte Kraft mehrerer hundert Geistsphären durch das zarte Gewebe.
Erst dann wurde Zo'or bewusst, was sie taten, sie zerstörten nicht wirklich, sie fügten dem Gemeinwesen weit Schrecklicheres zu. Alle Taelons trugen Teil an der Schuld, welche nun auf ihrem Volk lastete. Sie alle hatten den Krieg geführt, zugesehen wie andere für sie starben, Mord befohlen und ausgeführt. Sie alle hatten diese Erinnerungen weggeschlossen, sich geweigert ihre Schuld anzuerkennen und sich hinter ihren Rechtfertigungen verborgen. Sie hatten sich weit von ihrem ursprünglichen Ideal entfernt. Die Überlebenden der Kolonie zeigten ihnen dies erbarmungslos, ließen jede Erinnerung, jedes inhumane Experiment, jeden Schmerzensschrei, der gnadenlos ignoriert wurde, jedes Leben, das für sie geopfert wurde, in ihre gemeinsame Erinnerung zurückkehren. Es gab keinen Weg dem zu entkommen, die Bilder waren klar, die Laute so deutlich, als geschähe es in diesem Moment. Millionenfach attackierten sie die Sinne der Taelons. Als die Angreifer schließlich zurückwichen, ließen sie ein Schlachtfeld zurück, ein gebrochenes Volk. Sie hinterließen ein noch schrecklicheres Geschenk, die Lösung ihres Problems, das Wissen, wie die Taelons sich retten konnten. Sie würden in Ewigkeit existieren um ihre Schuld zu sühnen. Welche schrecklichere Rache konnte es geben?
Erschöpft sackte der Synodenführer in seinem Sitz zusammen, seine Last war unendlich viel schwerer geworden.


Der Schock über seine Entlassung hielt noch immer vor, obwohl es bereits mehrere Tage her war. Er fragte sich, was geschehen war. Was hatte Da'an zu dieser so plötzlichen Handlung veranlasst? Er konnte es sich nicht erklären. Der Taelon hatte stets Liams Bedeutung für die Menschen und Taelons betont. Warum ihn also so plötzlich fortschicken? Diese Überlegungen quälten den jungen Mann seit jenem Moment, in dem er zum letzten Mal die Botschaft verlassen hatte. Renée und Augur waren beide für ihn da gewesen, obwohl er deutlich spürte, dass die Blondine seinen Wert für den Widerstand nun deutlich geringer einschätzte. Sie beide waren seine Freunde und hatten sich auch bemüht es ihm zu zeigen, bis er sie fortgeschickt hatte. Der Hybrid hatte sich in seiner Wohnung verkrochen und war nur herausgekommen, wenn es sich nicht umgehen ließ. Er saß die meiste Zeit vor sich hingrübelnd da, rührte sich oft stundenlang nicht vom Fleck.
So wie auch an diesem Abend, er war einfach auf seinem Stuhl eingeschlafen. Rätselhafte und erschreckende Träume suchten ihn heim. Sie hatten nichts mit ihm zu tun, rührten vom Gemeinwesen her. Dort herrschte völliges Chaos. Sie bemerkten seine Anwesenheit nicht einmal, dafür bemerkte er etwas: Die Anwesenheit von gut zwei- oder dreihundert Kimera!
Völliger Unglaube zuckte durch ihn, das konnte gar nicht sein. Seine heftig rasenden Gedanken rissen schließlich seinen Körper aus dem Schlaf. Er schoss aufrecht in eine sitzende Haltung, dann schlug er die Augen auf; und schnellte erschrocken zum äußeren Ende des Liegestuhles zurück. Ein Kimera hatte es sich am Fußende bequem gemacht und sah sich sein Gebaren mit einem vergnügten Schmunzeln an.
„Wer ... wie ... woher...?” Liam sah sich hastig um, nichts schien ungewöhnlich, nur dass da immer noch der Kimera saß.
„Ja'ne. Durch die Tür. Und Woher, das ist eine lange Geschichte”, lautete die Antwort. Humor war allerdings nicht, was er von dem Alien erwartet hatte, und die Antworten waren zwar an sich deutlich, aber die ganze Situation schien surreal.
„Was machen Sie hier?”, brachte er schließlich heraus. Normalerweise pflegte er nicht so lebhaft zu träumen; und etwas anderes konnte das hier ja kaum sein. Die Kimera waren ausgelöscht, er selbst der Letzte.
„Ich bin hier, weil ich Ihnen eine Erklärung und eine Entschuldigung schulde.”
„Huh?” Die ganze Situation begann immer weniger Sinn zu machen, weniger und weniger ...
„Ich dachte eigentlich nicht, dass Sie derartige Schwierigkeiten haben würden mich zu erkennen. So vollständig ist meine Veränderung nicht.” Für eine reine Einbildung klang sein Gast ziemlich pikiert. Erst jetzt unterzog der Hybride seinen Besuch einer gründlicheren Musterung.
Das erste, was er feststellte: Er träumte definitiv nicht, zu deutlich spürte er die Wärme, die mit der Energie zusammen von seinem Gegenüber ausstrahlte. Er hätte den anderen berühren können, wenn er wollte. Seine zweite Feststellung war eine sehr überraschende: Ja'ne war ebenfalls ein Hybride, nur war er taelonischer Abstammung. Ein komplexes Gemisch elektrisch blauer, smaragdgrüner und silbriger Energiefäden zog sich durch seinen Körper, der geschlechtslos schien, wie bei den Taelons.
Augen, die in den selben Farben schillerten, musterten ihn mit Nervosität. Es fehlte nicht viel und der andere Hybrid hätte begonnen herumzuzappeln. Trotz dieser ungewohnten Gefühlsäußerungen gelang es Liam gewisse Ähnlichkeiten auszumachen, aber das konnte nicht sein. Völlig unmöglich, dass ausgerechnet ...
„Da... Da'an?” Diese Feststellung wurde mit einem recht schuldbewussten Nicken bestätigt. Die so fremd wirkenden Augen musterten ihn nervös unter silbrigen Stirnfransen hervor.
„Seit wann ... Wie ist das passiert?” Dutzende von Fragen drängten sich Liam auf. „Und fangen Sie jetzt bitte nicht an zu zappeln. Warum verhalten Sie sich eigentlich so sonderbar?”
„Zum einen: Sprechen Sie mich bitte nie wieder mit diesem Namen an. Wie ich schon sagte, ich heiße Ja'ne.” Der Taelon-Hybride schien unter recht heftigen Stimmungsschwankungen zu leiden, ein erschreckender Gegensatz zu dem sonst so ruhig erscheinenden Diplomaten.
„Was mein Verhalten angeht. Ich werde versuchen mich zu beherrschen.”
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.”
„Auf welche von Ihren Fragen hätten Sie gern eine Antwort?”
„Da ... Ja'ne ich habe jetzt wirklich kein Interesse an irgendwelchen Spielchen.”
„Also gut, Liam.” Der andere Hybrid machte es sich bequemer auf dem Stuhl. Es war das erste Mal, dass der junge Mann ihn derart entspannt erlebte. „Wie ich schon zu Anfang sagte, es ist eine lange Geschichte, aber ich werde mich bemühen sie kurz zu halten.”
Liam sah den anderen zittrig einatmen. Was auch immer seine Geschichte sein mochte, sie war keine schöne, wenige Geschichten, die mit den Taelons in Verbindung standen, waren das, zu viel Schuld hatte dieses Volk auf sich geladen.
„Bevor die Taelons die Kimera vernichteten, waren die Beziehungen zwischen den Völkern stets sehr gut. So gut in Fakt, dass sie verschiedentlich gemeinsame Kolonien gründeten. In den meisten dieser Kolonien lebten sie jedoch nach Völkern getrennt, es wurden keine Hybride geboren. Die einzige Ausnahme bildete meine Heimat, L'rath'shra. Die Menschen hätten diesen Ort vermutlich als langweilig empfunden, er stand erst am Anfang der Entwicklung von Leben, die einzigen großen Tiere, die es dort gab, lebten im Wasser, an Land fanden sich allenfalls ein paar Lurche und niedere Insekten. Genau dies war aber der Grund für diese Kolonie, sie war von hohem wissenschaftlichem Wert für un... die Taelons.” Der ehemalige Companion war gänzlich in seiner Geschichte versunken, sein Blick ruhte auf etwas, das nur er sehen konnte. Liam war nicht sicher, ob ihm sein Versprecher überhaupt aufgefallen war. „Ich weiß nicht aus welchem Grunde sich die Bewohner anders verhalten haben, aber Paarbindungen zwischen den beiden Spezies waren dort normal und ein Gutteil der Kinder waren Mischlinge. Ich selbst entstamme einer solchen Verbindung, auch wenn mein Vater kein Wissenschaftler war, sondern der Botschafter der Kimera in dieser Kolonie. Nicht dass es einen Unterschied gemacht hätte.” Ja'nes Stimme war völlig ruhig, ausdruckslos berichtete er.
„Der Angriff kam völlig unerwartet, keiner der in der Kolonie ansässigen Taelons hatte davon gewusst. Die reinen Kimera wurden ungeachtet ihres Alters getötet, die Hybriden und die Taelons zu den Schiffen gebracht.” Liam verspürte inzwischen nur noch den Wunsch irgendetwas zu tun, den Älteren zu schütteln, anzuschreien. Wie konnte er so ruhig über etwas derart Grauenhaftes sprechen? Wie ertrug er das? Kümmerte es ihn überhaupt?
„Wir waren größtenteils noch Kinder oder Heranwachsende, keiner von uns hatte eine Chance sich zu verteidigen. Wir wurden unter die Macht des Gemeinwesens gestellt. Sie raubten uns unsere Erinnerungen und unser Erbe. Es wurde fast vollständig unterdrückt, bis zu dem Punkt, dass wir nicht mehr als Mischlinge zu erkennen waren. Unsere Gefühle wurden komplett unterdrückt um zu verhindern, dass wir uns befreiten.” Jetzt endlich zeigte er Gefühl, Ja'ne atmete krampfhaft ein, es schien, als versuchte er ein Schluchzen zu unterdrücken. „Schon damals zeichnete sich eine beginnende Unfruchtbarkeit unter den Taelons ab. Die Synode hatte deshalb beschlossen, uns zum Zwecke der Fortpflanzung zu behalten. Eine Strategie, die ihnen nicht viel gebracht hat, zwar hatten wir Kinder, doch diese waren bald nicht mehr lebensfähig.”
Ja'ne blickte Liam plötzlich an. „Von den Kindern, die ich geboren habe, war nur eines lebensfähig, nur eines, und ich konnte nicht einmal um sie trauern. Nicht einmal das.” Seine Shakarava glühten auf, ehe er die Hände zu Fäusten ballte.
„Mein Vater hat, aus welchen Gründen auch immer, das Massaker überlebt. Es war wohl Ironie des Schicksals, dass es ihn auf die Erde verschlug, gut zweitausend Jahre, nachdem meine Mutter auf dieser Welt starb.”
Es dauerte Sekunden, bis die Botschaft einsank, dann schlug sie mit voller Wucht zu und Liams Bewusstsein versank in Dunkelheit.


„Liam.” Eine sanfte Stimme drang durch das Dunkel zu ihm. Sie klang so sanft, lockte ihn behutsam zurück ins Licht. „Liam.” Aber er wollte jetzt noch nicht aufwachen. Mit einem Grummeln drehte er sich wieder um und versuchte weiterzuschlafen. „LIAM!!!” Jemand hatte ihm direkt ins Ohr gebrüllt. Ruckartig kam er zu sich und fand sich Auge in Auge mit dem Grund seines ‚Nickerchens'.
„Habe ich das nur geträumt oder haben Sie mir wirklich erzählt, dass wir den selben Vater haben?” Angesichts der ihm zuteil gewordenen Überraschung fand der Beschützer, dass seine Stimme bemerkenswert ruhig war. Er klang nur einen Hauch hysterisch.
„Ja. Das habe ich.” Musste er denn unbedingt so selbstzufrieden aussehen?
„Es hat Ihnen Spaß gemacht meine Reaktion zu beobachten.”
„Erst nachdem ich festgestellt habe, dass Sie nicht vor Schreck gestorben sind. Es stellte eine gute Ablenkung dar, ich erinnere mich nicht gern.” Im einen Augenblick hatte Ja'ne noch völlig selbstbewusst gewirkt und im nächsten mutete er so zerbrechlich wie Glas an. Er schien wirklich von seinen Emotionen herumgeworfen zu werden.
„Können Sie ihre Gefühle nicht kontrollieren?”
„Nein, nicht mehr. Es ist zu lange her. Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen mich wieder daran zu gewöhnen.”
„Und in dem Zustand laufen Sie mitten in der Nacht in der Stadt herum?!” Wieso hatte sich da auf einmal dieser besorgte Unterton in seine Stimme geschlichen? Er konnte sich doch nicht wirklich um den anderen sorgen? Ihre gemeinsame Geschichte war in letzter Zeit wahrhaftig nicht von Vertrauen gezeichnet gewesen. Dabei fiel ihm ein...
Der ältere Hybride öffnete gerade den Mund um zu sprechen. „Antworten Sie nicht. Ich habe eine andere Frage.” Ja'nes Gesichtsausdruck ließ sich als ermunternd deuten. „Sie sagten doch, Sie hätten sich an nichts erinnert, wieso haben Sie mich dann beschützt? War es wirklich nur um die Brücke zwischen den Spezies zu bewahren?”
„Ja und nein. Die Antwort ist eine komplizierte.” Liams Geschwister schien hier wirklich in Erklärungsnöte zu geraten. „Die Taelons hatten zwar mein bewusstes Erinnerungsvermögen ausgeschaltet, nicht aber mein Unterbewusstsein. Sie müssen wissen, Kimera haben einen außerordentlich starken Familiensinn. Er ist so fest in uns verankert, dass er schon einem Instinkt gleichkommt. Zwar konnte ich mich nicht erinnern, aber ich habe Sie auf einer genetischen Ebene erkannt. Irgendwie musste ich es vor mir rechtfertigen, dass ich der Synode keinen Bericht erstattete, daher die Sache mit der Brücke. Es entspricht im Großen und Ganzen tatsächlich auch der Wahrheit, war aber nicht mein Hauptgrund.”
„Also was Sie mir erzählen ist, dass Ihre Gene meine erkannt haben und Sie sich seitdem in einem ständigen Kampf mit Ihrem Gewissen befunden haben, das darauf bestand mich auszuliefern. Entschuldigen Sie, wenn ich unhöflich klinge, aber das ist kompletter Schwachsinn.”
„Das können Sie sehen, wie Sie wollen, Liam. Ich habe erledigt, weswegen ich hergekommen bin.” Mit diesen Worten erhob Ja'ne sich und schritt auf die Tür zu. Als seine Hand bereits auf der Klinke lag, drehte er sich noch einmal um. „Ich kann Ihnen nur sagen, dass mir leid tut, was Sie durch mich erlitten haben. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine andere Wahl. Und nun, leben Sie wohl, wir werden uns nicht wiedersehen.” Damit schlüpfte der Taelon-Hybride zur Tür hinaus.
Liam benötigte nur einen Moment um sich zusammenzureißen, er sprang auf die Füße und stürmte zur Tür in der Hoffnung den Anderen noch zu finden. Doch er konnten niemanden mehr finden, es schien, als sei sein nächtlicher Besucher nie da gewesen.


Eine einsame Gestalt saß auf der leeren Brücke. Er blickte hinaus in die Weite des Weltalls, die plötzlich eine Zukunft für ihn bereit hielt. Doch zu was für einem Preis. Eine wütend geballte Faust schlug krachend auf die Armlehne seines Thrones ein.
Wie hatten sie es nur wagen können?
Wie hatten diese Kimera es nur wagen können, seinem Volk das anzutun?
Und warum hatte er machtlos dagestanden ohne es zu verhindern?
Warum hatte er nichts tun können?
Erneut krachte seine Faust auf die Armlehne. Er hob die Faust ein drittes Mal, doch ehe er ein weiteres Mal zuschlagen konnte, wurde er am Handgelenk gepackt.
Zornig fuhr er herum um den Unverschämten anzufauchen und fand sich gefangen in grünblau schillernden Augen.
„Da'an.”
„Hallo Zo'or. Keine Sorge, ich bleibe nicht lange.”
„Du bist ein Kimera.”
„Natürlich, was hast du gedacht, woher du Shakarava hast?” Trotz der Wortwahl klang Da'an nicht ärgerlich, seine Finger glitten leicht über die Handinnenfläche Zo'ors. Abrupt wechselte er das Thema.
„Ich bin hier um mich von dir zu verabschieden. Wir verlassen die Erde.”
Zum ersten Mal seit langer Zeit sprachlos starrte Zo'or seinen Elternteil an. Schließlich fand er seine Stimme wieder.
„Du würdest mich allein zurücklassen?”
„Nicht allein. Liam ist noch da.” Der sanfte Ausdruck wich bei der Nennung dieses Namens kurz von seinem Gesicht und wurde von einem entschieden schalkhaften abgelöst, ehe er zurückkehrte. Zo'or hatte dabei gar kein gutes Gefühl.
„Was ist mit deinem Beschützer?” Ärger klang in seiner Stimme mit, als Zo'or diese Worte formulierte.
„Er ist ebenso wie ich ein Kind Ha'gels.”
„Oh.” Nicht die intelligenteste Bemerkung, das wusste er, aber was sollte er darauf bitte sonst erwidern? Der Beschützer Da'ans war sein Onkel und offensichtlich zum Teil Mensch. Großartig.
Der junge Synodenführer war sich bewusst, dass mehr als nur ein wenig Sarkasmus in seinen Gedanken mitklang. Es schien ihm die passende Reaktion auf die zurückliegenden Ereignisse zu sein.
„Gut, und was denkst du, soll ich nun unternehmen?”
„Mit ihm zusammenarbeiten, wäre keine schlechte Idee. Aber ich kann dir da keine Vorschriften machen.”
Erstaunlich wie spitz das klang, obwohl Da'an noch immer jenen sanften ruhigen Tonfall benutzte. Vielleicht sollte er sich an Mit'gai wenden, er fühlte sich, als würde er gleich einen Schock erleiden.
„Ich muss jetzt gehen.” Plötzlich strahlte Da'an nur noch Bedauern aus.
„Da'an ...” Eine schlanke Hand hob sich unterbrach ihn. „Mein Name ist nicht Da'an. So wurde ich erst später genannt. Mein Name ist Ja'ne. Vergiss das nicht.” Wehmut lag auf dem schmalen Gesicht. „Leb wohl.” Ohne Zo'or noch einmal zu Wort kommen zu lassen, drehte der Kimera sich um und verließ beinahe fluchtartig die Brücke.
Das Kind, der Synodenführer, blickte ihm nach, hin- und hergerissen zwischen Zorn und Verzweiflung.


Liam traf wenig später auf dem Mutterschiff ein, er hatte eine bestimmte Ahnung, wo er suchen musste.
Auf der Brücke begrüßte ihn ungewöhnliche Stille. Einzig Zo'or war anwesend. Der Taelon starrte ihn durchdringend an, musterte ihn von Kopf bis Fuß.
„So”, sagte er schließlich mit eisiger Stimme. „Sie sind also mein Onkel.”
„Oh Gott, nein ...” Liam war danach nach Ja'ne zu brüllen, der ihn mit dieser Misere allein gelassen hatte.
Lange verweilten die beiden so, hielten den Blick des anderen fest. Keiner wusste, was sie jetzt tun sollten.
Schließlich hielt Liam es nicht länger aus. „E... entschuldigen S ... Sie mich bitte”, stotterte er nervös, ehe er sich rückwärts gehend von der Brücke entfernte. Was er jetzt brauchte, war ein starker Drink.
Zo'or blickte seinem Onkel skeptisch hinterher. „Das wird sicher noch interessant”, murmelte er leise.


Eine schlanke Gestalt schritt unter dem Licht der Sterne durch die Korridore.
T'than erwartete ihn bereits. Der ehemalige Kriegsminister hatte lange auf diesen Tag gewartet. Als einziger war er von den Manipulationen seiner Artgenossen verschont geblieben. Dies jedoch einzig, da er nur kurze Zeit in der Kolonie geweilt hatte, zu kurz, hatte die Synode befunden, um von ihrem Gedankengut beeinflusst worden zu sein. Diese Gedanken waren ihm sonderbar erschienen, doch sie waren es nicht, die ihn angezogen und seine Loyalität für immer verändert hatten. Es war Ja'ne. Von dem Moment an, in dem er den Hybriden das erste Mal gesehen hatte, war er von ihm verzaubert gewesen. So erschien es ihm jedenfalls. Ein Zauber, den er nicht verloren hatte, als sein gesamtes Erbe unterdrückt und er zu einem normalen Taelon gemacht wurde. Da'an war auf seine Weise wie Ja'ne ein Wesen, das große Faszination für T'than hielt. Beides verschiedene Aspekte einer Persönlichkeit. Er hatte Da'an nicht im Stich lassen können.
Und jetzt endlich waren sie beide erneut vereint unter einem fremden Mond, im Orbit einer fremden Welt, die sonderbarerweise ihre Rettung dargestellt hatte.
Ja'ne grüßte ihn sanft, die Berührung ihrer Handflächen war federleicht, als sich erneut ihre Geister mit denen der anderen vereinten. Sie alle teilten ihre Erleichterung, ihr Glück, ihre unendliche Trauer über den Verlust ihres Heims, ihre Ideen und Wünsche. Ein Entschluss wurde gefällt. Das Ziel ihrer Reise bestimmt. Erst langsam, dann schneller entfernte sich das kleine Schiff aus dem Sonnensystem. Seine Insassen begaben sich in Stasis, die Reise würde Jahrtausende in Anspruch nehmen und erst an ihrem Ende würden sie wieder erwachen. Das Universum, welches sie dann vorfanden, würde verändert sein, neue Spezies würden den Platz der verschwundenen eingenommen haben und es bereisen. Vielleicht wären auch die Taelons noch darunter, wenn es ihnen gelang die vor ihnen liegenden Prüfungen zu bestehen.
Der letzte Gedanke Ja'nes galt dem einen Kind, dass er zurückließ, dem Bruder, den er nur kurz gekannt hatte, ebenso wie seinen anderen Nachkommen, die sich, wie alle ihre Kinder, auf dem kleinen Schiff befanden. Die Taelons brauchten die leblos Geborenen nicht länger. Sie konnten endlich in ihrer neuen Heimat zum Leben erwachen. Sie würden alle Liebe und Fürsorge erfahren, die ihnen bisher verwehrt geblieben war?
Was konnte man sich mehr wünschen. Ja'ne lächelte schwermütig. Es gab immer mehr zu wünschen und zu ersehnen, das perfekte Glück existierte nicht.

 

ENDE

 

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