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  „Weite Wege” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juli 2004
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Ein aufschlußreiches Gespräch / Was kein Taelon wissen will / Erinnertes Versagen
Zeitpunkt:  ab kurz vor dem Ende der dritten Staffel
Charaktere:  Rhe'on, Zo'or, Shainshiyee, Rho'mar (die Bergende, ein Elarian, Si'an, ein Jaridian, ein Fünfgliedriger)
 

 

WEITE WEGE

Kapitel 7: Hinweg

 

Rhe'on spürte - mehr durch das Schiff als über das Gemeinwesen - daß der Synodenführer auf dem Weg zu ihm war. Er hatte sich ihm mental bereits zugewandt, noch bevor dieser seinerseits einen gedanklichen oder energetischen Impuls an ihn gesandt hatte, und nahm das mühsam unterdrückte grellblaue Pulsieren seiner Energielinien mit der gleichmütigen Gelassenheit des äonenerfahrenen Biotechnikers wahr, für den es keine Katastrophe mehr gab, die er nicht zu meistern wußte.
Zo'or fühlte das, und es ärgerte ihn. Er hatte seit langem den Eindruck, Rhe'on sähe in Seinesgleichen kaum mehr etwas anderes als - mehr oder minder regulär funktionierende biologische Einheiten, wie die, über die er gebot ... Vielleicht wäre es längst an der Zeit gewesen, ihn von seinem Posten abzuziehen - aber die aktuelle Situation ließ nicht einmal den Gedanken daran zu.
Das Schiff öffnete ihm einen Durchlaß zu Rhe'ons Quartier, bevor er es ihm befehlen konnte - auf ein Signal des Biotechnikers hin, das dieser offenbar nicht einmal bewußt gegeben hatte, und der Synodenführer hatte Mühe, sich zusammen zu nehmen und dem Gleichmut des Anderen, der an Gleichgültigkeit grenzte, angemessen zu begegnen.
Selbst der Anblick Rhe'ons ärgerte ihn - dessen klare blaue Aura, die gleichmäßig durch die Kanäle strömende Energie, die, wenn sie überhaupt etwas wie einen Puls hatte, mit der selben Gemächlichkeit floß wie aktuell die im Schiff, und der prüfende Blick, der nicht seine Person zu sehen schien, sondern seinen Funktionszustand - als erdreiste sich der andere Taelon, den Level seiner Grundenergie taxieren zu wollen ...
„Du wünschst, Zo'or?” Rhe'on stellte die Frage mental und hatte gleichzeitig sie beide so selbstverständlich gegenüber dem Gemeinwesen isoliert, wie er das sonst für sich selbst tat, wenn er mit dem Schiff interagierte oder mit einem der ‚Gebäude’ auf der Erde.
Woher hatte der Biotechniker gewußt, daß Zo'or die Unterredung mit ihm als vertraulich behandelt wissen wollte, ohne daß er ...
Obwohl - verwunderlich war das eigentlich nicht. Der Andere war ja Spezialist im Wahrnehmen und Deuten un- oder halbbewußter Äußerungen, schließlich verbrachte er viel Zeit mit den stumpfen, simpel geprägten Geistern der Geschöpfe, deren Pflege, Wartung und Funktionserhaltung ihm oblag ...
„Ich muß noch einmal mit Dir über diese Sache sprechen, die Du auf der letzten Synodensitzung vorgebracht hast”, antwortete er, gleichfalls mental. „Über das, was Du eine ‚Unstimmigkeit’ beim Schiff und den organischen Unterkünften genannt hast. Drei Dinge will ich dazu wissen - erstens, was genau das eigentlich war, zweitens, ob das etwas mit Da'ans - Problemen zu tun haben könnte oder mit der Interdimensionsturbulenz, die neulich angezeigt wurde und drittens, ob Du Dir dessen sicher bist, daß die Maßnahmen, die Du getroffen hast, wirklich ausreichen, falls tatsächlich irgendeine Art Angriff seitens der Jaridian dahinter steckt.”
Er weitete die eigene pulsierende Aura so aus, daß sie die des anderen Taelon berührte, sich sehr wohl dessen bewußt, daß dies nicht angenehm sein konnte.
Jeder andere wäre zusammengezuckt und ausgewichen.
Der Biotechniker ließ im eigenen Energiefeld ein Gefälle nach unten in den Boden entstehen, lenkte die Überspannung des ihn Tangierenden da hinein und leitete sie somit aus seinem und Zo'ors System ab, als sei sie lediglich ein Zuviel an Energie in einem Shuttle-Antrieb.
Der Synodenführer konnte nicht einmal zornig werden über eine derartige Respektlosigkeit - dafür fühlte sich das zu - angenehm an ...
„Die Unstimmigkeit war eine Transmitter-Dysbalance in den zentralen Steuerorganen der Unterkünfte, des Mutterschiffs und sämtlicher Shuttles, ausgelöst durch das zunehmende Energiedefizit, das kurzfristig einen kritischen Level erreichte. Da dieser Energieabfall unkontrolliert erfolgte, erlitten alle etwas, das die Menschen wohl als eine Art ‚Panikattacke’ bezeichnen würden - sie fühlten sich vital bedroht, genau wie bei einem Angriff. Daß dies zeitgleich geschah, liegt daran, daß ich alle miteinander exakt in Phase halte - das erleichtert die Arbeit mit ihnen ungemein und spart Potential ein. Das Abziehen im Umlauf befindlicher Energie aus sämtlichen nicht lebensnotwendigen Sektionen und deren Umverteilung in die Waffensysteme läßt diese Geschöpfe sich jetzt stark fühlen, und das Herunterfahren ihrer internen Funktionslevel auf Überlebensminimum hat jeden überflüssigen Impuls aus ihren Steuerorganen vertrieben.”

Rhe'ons Energiefluß hatte sich nicht im Mindesten verändert bei dessen Ausführungen. Zo'or achtete auf jede Kleinigkeit, die ein Hinweis darauf sein könnte, daß der Andere etwas verbarg oder bewußt Unwahrheit von sich gab, aber da war nichts.
„Worin Da'ans Problem besteht, weiß ich nicht”, äußerte der andere Taelon, weiterhin unbeeindruckt von dem, was ihm da entgegengebracht wurde. „Ich bin Biotechniker, kein Heiler. Aber was ich weiß, ist, daß die Geschehnisse um das Mutterschiff, die Shuttles und die Unterkünfte in keinerlei Zusammenhang damit stehen, weder ursächlich noch zeitlich noch energetisch. Es hat keinen Angriff der Jaridian gegeben, und die Interdimensionsturbulenz, mit der ich mich ausführlich befaßt habe, hatte für uns erst recht keinerlei Konsequenzen - unsere Sensoren haben sie registriert und analysiert, sie hat lediglich zu einigen technischen Ausfällen auf der Erde und einigen hysterischen Notrufen und Beschuldigungen seitens der Menschen an unsere Adresse geführt, es wurde niemand verletzt, ein wenig primitive Technologie beschädigt, und mehr steckt nicht dahinter - weder die Unterkünfte noch das Schiff wurden dadurch auch nur beeinträchtigt. Was Deine letzte Frage betrifft - ob ich mir sicher bin, daß die veranlaßten Maßnahmen ausreichen, falls wir tatsächlich angegriffen werden ...”
Jetzt veränderte sich das Feld des Biotechnikers doch - es begann zu strahlen, und die langsamen Pulswellen wurden deutlich in den Energielinien sichtbar ...
Stolz, erkannte Zo'or, verwundert. Der Andere war - stolz auf das, was er vollbracht zu haben glaubte ...
„Synodenführer, wir haben, seit wir die Erde nutzen, noch nie über eine derartige Feuerkraft verfügt wie jetzt, und sämtliche Organismen, die in meinen Zuständigkeitsbereich fallen, reagieren ohne jeden Widerspruch auf den leisesten Impuls eines jeden Taelons im Gemeinwesen.”

 
* * *
 

Shainshiyee hatte die erste Sprungpassage hinter sich gebracht, das Shuttle durch ein Meteoritenfeld gesteuert und jetzt, nach zehn und einer halben Einheit höchster Konzentration, wieder auf automatische Steuerung geschaltet. Das Letzte, wonach ihr jetzt zumute war, war Grav-Training, aber zum einen zwang ihre jaridianische Seite sie zur Disziplin, und zum anderen würde all das, was nach diesem turbulenten Stück Weges in ihrem Geist tanzte, sie sowieso nicht zur Ruhe kommen lassen ... Eine Einheit Training würde sie mindestens absolvieren müssen, um die Erinnerungen, die der Meteoritenschwarm in ihr hatte aufsteigen lassen an den Einsatz, der beinahe ...
Sie schob das Bild eines vorbei trudelnden Shuttles, dessen obere Hälfte weggerissen war, energisch beiseite und betätigte die Kontrollen, die aus ihrem Sitz an der Steuerkonsole eine Grav-Trainingseinheit machten, brachte Beine und Flügel in die richtige Position, nachdem sie den Widerstand, den Gewichte und Federzüge ihrer Muskelarbeit entgegensetzen würden, auf doppelt normal eingestellt hatte, und begann mit den Übungen, die dafür sorgten, daß ihre Kraft erhalten blieb, egal, wie lange sie im Raum unterwegs wäre.
Natürlich herrschte in ihrem Shuttle die normale jaridianische Gravitation, aber das Wenige an Bewegung, das sie darin hatte, reichte bei Weitem nicht aus, um sie einsatztauglich zu halten ...
Über die Reihenfolge der auszuführenden Bewegungen brauchte sie nicht mehr nachzudenken - nicht nach fünfzehn - nein, sechzehn und einem halben - Zyklen, während derer sie diese in beinahe jeder Hellphase begleitet hatten - seit ihrem ersten Tag in der Ausbildung für ihren Weg für das Ganze mit den Jaridian und den Elarian, den Schönen ...
Nässe begann sich auf ihrer Haut zu bilden, was sie gar nicht registrierte. Der Gedanke an die Elarian hatte eine Flut von Eindrücken in ihr ausgelöst, die die Erinnerungen an den furchtbaren Einsatz davon spülte, und einer davon war plötzlich so präsent, daß er sich nicht wieder vertreiben ließ, obwohl auch er alles andere als erfreulich war.
Das Bild ihrer selbst, völlig erschöpft in einem leeren Frachtraum des Ausbildungskreuzers, der im Einflußbereich der Elarian trieb - ihr noch dichtes grünes Fell klebte am Körper, und sie war außer Atem, obwohl sie sich körperlich kaum gerührt hatte ...
Gerade war das Mutterschiff, in dessen zentralem Gang zur Brücke sie, in der holographisch generierten Gestalt eines Zhawi, verzweifelt versucht hatte, der davon strömenden Lebensenergie eines Taelons Einhalt zu gebieten, was ihr schlußendlich auch gelungen war, um sie zerplatzt, und der Elarian in ihr, der all dies geschaffen hatte, ließ sie wissen: „Es tut mir leid, aber Du bist gerade zum dritten Mal tot.”
Sie hatte, als ihre Angst, dem Verletzten nicht helfen zu können und ihn zu verlieren, zu groß wurde, jegliche Vorsicht vergessen. Sie hatte ihre Barriere fallen lassen, den undurchdringlichen geistigen Schild in Form der Vorstellung einer massiven Mauer aus grün gemasertem Gestein, den sie sich in den vergangenen anderthalb Zyklen unter dem freundlichen, aber unbarmherzigen Diktat der Elarian antrainiert hatte ...
Allem konnte sie inzwischen standhalten, was diese mächtigen Wesen ihr abverlangten. In den völlig real erscheinenden Simulationen, die diese schufen und in denen sie genau so vollkommen präsent war und agierte wie etwa im Fluchttraining oder im Shuttleflug-Unterricht, war sie mit allen erdenklichen Schrecken konfrontiert worden, die der Krieg mit sich brachte, wieder und wieder und wieder, und bereits nach einem halben Zyklus hatte ihre Barriere standgehalten, sogar, wenn sie nicht mehr bei Bewußtsein war. Inzwischen war sie in der Lage, sie in jeder Situation präzise zu steuern - zu weiten oder zusammenzuziehen, Teile ihres Geistes oder alle ihre Gedanken und Gefühle dahinter zu verbergen, so daß sie als Person plötzlich nicht mehr wahrnehmbar war, obwohl ihre sämtlichen Sinne, auch und gerade die tiefen, so feinfühlig funktionierten wie eh und je und sie ihre Energien, Windvolk-Sonnenhell und Shaqarava, einsetzen konnte wie gewohnt.
In jeder Situation, bis auf die, denen der Elarian in ihr sie seit etlichen Hell- und Dunkelphasen immer und immer wieder aussetzte - ein anderes Wesen, ein verbündetes oder gerne auch ein gegnerisches, geriet in tödliche Gefahr, und sie mußte alles aufbieten, was sie hatte, um dessen Abschied zu verhindern, alles ...
Es war ihr immer gelungen.
Und sie hatte wieder und wieder versagt - sie hatte ihren geistigen Schild ...
In dieser Trainingsphase bereits zum dritten Mal.
„Ich lerne es nie ...” Sie hatte die Flügelhände vors Gesicht geschlagen, völlig verzweifelt. „Du hast so viel Geduld mit mir, und ich stelle mich so entsetzlich unfähig an ...”

 
* * *
 

Auf der Welt, auf der die Wege zusammenführten, blickte Rho'mar durch das virtuelle Glas des riesigen Fensters in seiner Unterkunft in der immer noch langsam wachsenden Taelon-Siedlung auf dem ansonsten nur von nicht bewußten Lebensformen bewohnten nördlichen Kontinent.
Das lebendige Gebäude, das ihn beherbergte, lag der Siedlungsgrenze sehr nahe, er konnte die Energiebarriere flimmern sehen, aus der sie bestand und die alle unerwünschten Eindringlinge sicher außen vor hielt.
Nicht, daß es hier irgend etwas gab, das ein Taelon zu fürchten hätte.
Die Atavi, die ihre Welt nicht nur ihren fernen Nachfahren als neue Heimat zur Verfügung gestellt, sondern diese begeistert eingeladen hatten, mit ihnen zu leben, wieder vereint nach so langer Trennung, respektierten den Wunsch derselben nach maximaler Distanz und hielten sich fern, wenn auch mit Bedauern.
Die Jaridian flogen den Shuttlehafen der Siedlung nur an, um zu liefern, was gebraucht wurde, und das war praktisch nichts mehr.
Und von den bestenfalls halb bewußten Geschöpfen da draußen, die zum Teil schon heimisch auf diesem Planeten waren, bevor die Atavi, die sich ‚die Verzichtenden’ nannten - warum, hatte Rho'mar nie interessiert - diesen für sich in Anspruch nahmen, konnte kein einziges einem Energiewesen gefährlich werden.
Die Landschaft um das Taelon-Refugium war zu dieser Zeit eines Umlaufzyklusses von großer Schönheit. Die allgegenwärtigen Rank- und Kletterpflanzen, die in den Wäldern um die Siedlung offenbar mit den riesigen Bäumen in Symbiose lebten, standen in voller farbenprächtiger Blüte und erinnerten Rho'mar an die ursprüngliche Heimatwelt seines Volkes, die er zwar nicht gekannt hatte - er war unter den Seinen zwar einer der Älteren, so alt allerdings auch wieder nicht - aber deren Abbildungen in den Datenströmen ihn stets aufs Neue faszinierten.
Der Taelon befand sich schon lange auf diesem Planeten. Anfangs - nachdem er den Schock der Invasion der Welt, auf der er stationiert war, durch die Jaridian und ihre Verbündeten, zu denen sogar Atavi gehörten, und seiner Gefangennahme überwunden hatte - hatte er die neue Umgebung genossen, vor allem, die Tatsache, daß es jetzt nichts mehr gab, das ihn und die Seinen vital bedrohte.
Er hatte gar nicht wissen wollen, warum die Jaridian ihn und die anderen, die auf der Fünfgliedrigen-Produktionsstätte Dienst taten, am Leben gelassen hatten - es hatte ihm genügt, daß er lebte ...
Ebenso wenig hatten ihn je die Gründe interessiert, die seine Feinde bewogen hatten, den Seinen die Tachyonkonverter-Technologie zu übergeben und, nach einem längeren Zeitraum, sogar die korrekte Gebrauchsanweisung dafür, an der diese erfolgreicher geforscht hatten als Seinesgleichen ... Es waren angeblich die so genannten ‚Vereinten’ gewesen, die ...
So viel hatte sich in so kurzer Zeit verändert.
Si'an hatte das meiste davon verschuldet, der - der eigentlich auch nur ein Opfer war ... Opfer dieser geistmanipulierenden - Geräte? Waffen? - mit denen die Jaridian die Taelon hier immer noch hartnäckig belästigten ... Wie nannte sich das - etwas mit Konflikt, nein, Kontakt - ‚Kontaktnetz', ja, das war die korrekte Bezeichnung dafür ... Si'an hatte sich danach immer mehr vom Gemeinwesen abgekapselt und war schließlich so sonderbar geworden, daß allen klar war, die Jaridian hatten ihn kontaminiert, mit was auch immer - niemand sonst hatte je diese Dinger auch nur angerührt ...
Und dann hatte der Feind ihn geholt, bevor die Synode ihn ordnungsgemäß aus dem Gemeinwesen hatte ausschließen können - aber dennoch war er fort, nicht mehr spürbar in dem mächtigen mentalen Verbund, der das Ganze der Seinen ...
Nein, wurde Rho'mar einmal mehr schmerzhaft klar, das ‚Ganze der Seinen’ existierte nicht mehr - nicht so, wie es äonenlang gewesen war.
Schwächer geworden war das Gemeinwesen in den letzteren mehreren tausend Umlaufzyklen in zunehmendem Maße dadurch, daß immer mehr Taelon kriegsbedingt die Ebene gewechselt hatten - das hatte erst vor etwa einhundert Zyklen plötzlich ganz aufgehört -, durch die lange Isolierung derer, die wie er auf einsamen Außenposten, weit weg vom zentralen Geschehen um die Synode, zu verharren hatten, und schließlich durch Si'an und die Folgen dessen, was er getan hatte ... Die Synode hatte sich von sämtlichen Taelon, die nicht Mitglieder waren oder aber voll und ganz deren Linie folgten, getrennt und den verbliebenen ‚Rest’ des geistigen und energetischen Verbundes, der um so vieles größer war als sie selbst, nicht nur führerlos zurückgelassen, sondern ...
In Rho'mar stieg eine so intensive Bitterkeit auf, daß seine Gestalt die Konturen verlor. Zo'or hatte ihm und allen Übrigen, die hier lebten, abgesprochen, überhaupt noch Taelon zu sein ... Zu primitivem Abschaum seien sie degeneriert, weil sie Feindtechnologie angenommen hatten, um zu überleben - sie wären blind in eine verlockend drapierte Falle der Jaridian gelaufen, und ihr Ende sei vorprogrammiert ...

Er, Rho'mar, hatte inzwischen verstanden, was für ein Unsinn das war.
Es hatte jeden einzelnen der Zyklen, die er auf diesem Planeten bisher verbracht hatte, gebraucht, bis er endlich begriffen hatte - aber er hatte schließlich verstanden.
Ihm und den Seinen hier auf dieser Welt würde seitens der Jaridian kein häßliches überraschendes Ende zuteil - ebenso wenig wie all jenen, die diese noch ab und zu herbrachten oder denen, die es vorzogen, dort zu bleiben, wo sie zuletzt im Einsatz gewesen waren.

Er kannte die Jaridian immerhin gut genug, um sich dessen sicher zu sein - hätten sie das noch gewollt, hätten sie überhaupt niemanden auf diesen Planeten gebracht.
Der Feind hatte aus irgend einem Grund vor etwa einhundert Zyklen seine Taktik radikal geändert. Woher er die Übermacht genommen hatte, die Welt um Welt, Frontabschnitt um Frontabschnitt der Taelon hatte fallen lassen, war niemandem klar, aber die Jaridian waren diejenigen gewesen, die die Strategie wechselseitiger totaler Vernichtung aufgegeben hatten. Es gab so gut wie keine Verluste mehr, nur massenhaft Gefangene, nämlich ausnahmslos sämtliche Implantierte, egal, welcher Rasse, sowie alle Shuttles und Mutterschiffe, derer der Feind habhaft wurde - die Jaridian verschleppten sie mit unbekanntem Ziel und unbekannten Absichten. Und Gefangener wurde auch jeder einzelne Taelon, der ihnen in die Hände fiel - egal, ob sie ihn hier her brachten oder dort beließen, wo sie ihn gestellt hatten ...
Rho'mar war einer der wenigen seines Volkes, die gleichzeitig zwei Kasten angehörte - er war Krieger und Wissenschaftler, er hatte unter T'thans Vorgänger und später unter dem amtierenden Kriegsminister selbst die Fünfgliedrigen zu dem gemacht, was sie heute waren, er hatte tausende Zyklen der Forschungsarbeit in dieses Projekt gesteckt, das den Jaridian unvorstellbare Verluste zuzufügen geholfen hatte ...
Anfangs hatte er den Aufenthalt hier auf dieser Welt genossen, und das Wissen, hier nie wieder bedroht zu sein, hatte ihn erleichtert und begeistert. Wer nicht mehr mit kriegswichtiger Forschung und der ständigen Optimierung biologischer Kampfeinheiten befaßt war, war endlich frei, sich wieder dem zuzuwenden, das immer eigentliches Ziel seiner Rasse gewesen war - dem Erhalt und der Pflege höchster Perfektion, der Vollendung, die sie erreicht hatte ...
Von der annähernd humanoiden Gestalt des Energiewesens vor dem Fenster, durch das die Sonne herein flutete, war allenfalls noch etwas zu ahnen.
Der Taelon hatte sich, schon zu Beginn dessen, was eigentlich seine in jeder Hellphase mehrmals praktizierte Meditation hätte werden sollen, vom Gemeinwesen abgewandt, wie er es in der letzten Zeit häufiger getan hatte, und jetzt war er dankbar dafür.
Während die Seinen in all der Zeit, in der er schon hier war, intensiv damit beschäftigt waren, untereinander endlich eine neue Ordnung zu finden, die stabile Gemeinschaft wieder herstellen könnte, war er auf eine Erkenntnis gestoßen.
Eine Erkenntnis, die so - entsetzlich war, daß er es nicht wagte, sie zu teilen - aber sie ließ ihn auch nicht wieder los.
Er fürchtete, sich beinahe schon so wunderlich zu benehmen, wie Si'an es damals getan hatte, aber er konnte hinter das, was ihm da aufgegangen war, nicht mehr zurück.

 
* * *
 

Der Elarian durchflutete Shainshiyee mit Beruhigung, verbunden mit eindringlichen Worten über die Notwendigkeit, die Barriere stets an die erste Stelle zu setzen - noch vor die Aktivierung der Reflexe, jemandem in Not Geratenem beistehen zu müssen. „Bist Du gefangen, kannst Du Deinen Weg für das Ganze nicht weiter gehen ...”
Sie hatte das ja verstanden, aber ...
Vielleicht sollten die Elarian ihre Ausbildung abbrechen.
Sie tat doch nichts anderes, als wieder und wieder ...
Ein entsetzliches Geräusch, dröhnend laut, verbunden mit einer heftigen Erschütterung, die sie umwarf, unterbrach die Auseinandersetzung mit ihrem Ausbilder, und dann flammte in dem leeren Frachtraum die Alarmbeleuchtung auf höchster Stufe. Sie war auf den Füßen, noch bevor die Kommunikationsanlage sich aktivierte, ihre Barriere maximal geweitet.
„Brücke an alle - wir werden angegriffen! Wir haben einen schweren Treffer ...”
Sie spürte den Schönen in sich nicht mehr, aber das war ihr im Moment egal. Für diesen bestand keine Gefahr - er hielt sich ja nicht auf dem Kreuzer auf ...
Sonderbarerweise empfand sie keinerlei Furcht. Sie wußte genau, was sie in dieser Situation zu tun hatte - sie mußte, von ihrer gegenwärtigen Position aus, einem festgelegten Schema folgend, das Schiff durchsuchen und sich um jeden Verletzten, den sie unterwegs fand, kümmern, was in diesem Fall bedeutete, ihm elementare medizinische Versorgung angedeihen zu lassen und ihn in die nächste Fluchtkapsel zu verfrachten, damit er entkommen war, bevor ...
Der nächste Treffer riß sie erneut von den Füßen und schleuderte sie gegen die Wand, ohne daß sie die geringste Chance gehabt hätte, sich abzufangen, und heftiger Schmerz fuhr durch ihren linken Flügelarm. Der Gang, in dem sie sich befand, kippte plötzlich nach rechts ab, als habe das riesige Schiff Schlagseite bekommen oder versuche, mit vermindertem Antrieb ein Ausweichmanöver durchzuführen. Irgendwo in ihrer Nähe hatte jemand zu schreien begonnen und hörte nicht mehr auf ...
Shainshiyee kämpfte sich in den Stand, bestimmte die Richtung, aus der das kam, eilte los, sich den linken Flügelarm haltend, aus dessen unterer Hälfte ein Stück Knochen aus zerrissenem Gewebe ragte.
Einige wenige metrische Einheiten weiter zweigte der Gang ab, aus dem die Schreie drangen, und mit einem Sprung war sie an der Seite eines Jaridian, dem sich ein riesiges Metallstück aus der geborstenen Wand in den Bauch gebohrt hatte. Die Luft war hier rauchdurchzogen, weiter hinten schlugen Flammen aus einem offenen Schott, das sich eigentlich hätte automatisch schließen müssen.
Sha hockte sich neben den jungen Männlichen. Sie kannte ihn - er gehörte zu der Gruppe, mit der sie in jeder Hellphase ihr Fluchttraining absolvierte. Der Schmerz, den er ausstrahlte, ließ sie jeglichen eigenen vergessen.
Der Kreuzer wurde zum dritten Mal getroffen, und es wurde dunkel. Die Geflügelte ließ dem Verletzten längst von ihrer Energie zuströmen und hatte gegen seine Schmerzen zu singen begonnen, was der zunehmende Rauch ihr sehr erschwerte, noch während sie ihn über die Berührung seines Brustkastens mit den Tiefensinnen zu untersuchen begann. Sein Bemühen, nicht zu schreien, schmerzte so sehr wie das, was ihn immer wieder dazu zwang ...
Das Metallstück hatte so viel in seinem Inneren verletzt, daß sie ihm hier überhaupt nicht helfen konnte. Die medizinische Station war zu weit weg, so sie denn noch existierte.
Mit Verzögerung schaltete sich endlich die grünliche Notbeleuchtung ein, aber durch den erstickenden Rauch, der den Gang mittlerweile füllte, war dennoch fast nichts erkennbar ... Nicht nur der Verletzte mußte husten, was ihm zusätzlich Schmerz bereitete, sondern auch Sha - an Singen war nicht mehr zu denken ...
Es gab nur eines, das sie tun konnte für ihn.
Sie schob ihm die rechte Flügelhand unter den Nacken. „Es tut mir leid ...”
Sie verfügte über zwei Formen innerer Energie, die normalerweise gemeinsam strömten - die sonnenhelle, sanfte des Windvolkes und das weiß-violette, kraftvolle Shaqarava. Beides ließ sich jedoch auch unabhängig voneinander steuern ... Sie konzentrierte sich auf letzteres, und mit einer exakt dosierten Entladung desselben nahm sie dem Jaridian das Bewußtsein.
Dann kämpfte sie sich hoch und nahm ihn, so gut das mit einem Flügelarm ging, in den Griff, mit dem man Hilflose transportierte. Sie war auf dem Weg zu ihm an einem Schacht zu einer Fluchtkapsel vorbeigekommen ...
Plötzlich dröhnten irgendwo in der Nähe Schritte.
Schwere Schritte.
So bewegte sich kein Jaridian ...
Keuchend zerrte sie den Verletzten mit sich, in Richtung des Schachtes.
Die Schritte kamen näher.
Das waren mindestens zwei Wesen, am ehesten ...
Sie hatte den offenen Schacht erreicht.
Jetzt galt es, den Bewußtlosen ...
Sie manövrierte ihn irgendwie da hinein, so daß er in Rückenlage Richtung Fluchtkapsel glitt, und sich selbst hinterher. Sie mußte ihn nicht nur in die Kapsel bekommen, sondern auch in dieser ein Stasisfeld errichten, damit er überhaupt eine Überlebenschance hatte, und sie für ihn starten - das hieß, sie konnte die Rettungseinheit nicht mitbenutzen, was sie sowieso nicht getan hätte, da sie ja noch mobil war, das hieß, imstande und verpflichtet, nach weiteren Verletzten zu suchen, sobald sie diesen hier auf die Reise geschickt hatte.
Sie hatte die Kapsel erreicht, schaffte es, sie zu öffnen, den Verletzten hinein zu betten, so gut es ging, und ihn zu sichern.
Sie schaltete die Lebenserhaltung ein, die Tarnvorrichtung, den Antrieb und das Stasisfeld, zog die Flügelhand zurück, bevor es richtig etabliert war und verschloß die Einheit von außen. Dann betätigte sie an der Wand neben dem Kapselschott die Taste für einen externen Notstart und kroch ein Stück in den Schacht zurück, durch den sie gekommen war.
Das heftige Geräusch, mit dem die Rettungseinheit sich losriß, empfand sie als unendlich erleichternd. Der junge Männliche war in Sicherheit.
Sie kroch den Schacht hoch, inzwischen völlig außer Atem, schaute, bei der Öffnung angekommen, vorsichtig in den Gang, in dem sich nichts befand außer noch mehr Rauch, betrat ihn und eilte dorthin zurück, wo sie den Jaridian gefunden hatte. Es sah aus, als habe einen der schweren Treffer diese Sektion abbekommen, also war es mehr als wahrscheinlich, daß hier noch mehr Verletzte waren, die Hilfe brauchten.
Sie sollte Recht behalten, aber ...
Die schweren Schritte, die sie gehört hatte, waren plötzlich hinter ihr.
„Das ist niemand von uns - wer immer das ist, er gehört zum Feind ...”

Fünfgliedrige ... Der Kreuzer war aufgebracht worden von - Fünfgliedrigen ... Shainshiyee hatte das Wesen endgültig an der Stimme erkannt und an der Sprache, die die Translatoreinheit ihres aufklappbaren Gerätes, das sie stets um einen Oberschenkel geschnallt bei sich trug, ihr übersetzte.
Sie lief los, die Barriere nach wie vor maximal geweitet. Gegen einen Fünfgliedrigen hatte sie nicht den Hauch einer Chance.
„Bleib' stehen, Geschöpf, oder ich schieße!”
Das kam nicht in Frage.
Nie, niemals würde sie sich gefangennehmen lassen.
Um keinen Preis.
Ihr Shaqarava war längst im Kampfmodus aktiviert - das geschah in derartigen Situationen ohne ihr Zutun - obwohl sie außerstande war, damit jemanden zu verletzen, genau so, wie sie außerstande war, jemanden auch nur zu ohrfeigen ...
Sie schaffte es bis ans Ende des Ganges, bevor sie irgend etwas mit Wucht in den unteren Rücken traf und zu Boden gehen ließ.
Es schmerzte nicht einmal.
Sie spürte nur - nichts mehr, wo eigentlich ihre Beine hätten sein sollen.
Und dann war etwas Riesiges, Unförmiges über ihr, ihre Züge spiegelten sich verzerrt im Visier eines Kampfanzuges, sie wurde hochgehoben und es wurde dunkel und sehr still.

Sha erwachte, merkwürdig verrenkt, auf etwas Kühlem, Blauem, das sich - das sich lebendig anfühlte ... Ihre Beine spürte sie immer noch nicht, der linke Flügelarm war nur Schmerz und jeder Atemzug bereitete Mühe.
Sie wandte den Kopf, spürte in ihre Umgebung, schaute ...
Ein kleiner, irgendwie formloser Raum, völlig leer, aber durchpulst von Schwingung.
Von vielfältiger Schwingung eindeutiger Signatur.
Taelon.
Sie befand sich - in einer Bergenden, in einem Taelon-Mutterschiff ... und erschrak fast zu Tode, als ihr klar wurde, was das hieß.
Sie war - eine Gefangene.
Sie hatte sich darauf verlassen, daß der Fünfgliedrige ...

 

Ende von Kapitel 7

 

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