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  „Weite Wege” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juni 2004
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Abschiedsflug / Eine wird kommen / Gefährten / Aufbruch
Zeitpunkt:  ab kurz vor dem Ende der dritten Staffel
Charaktere:  Shainshiyee, Torvak, Augur, Liam Kincaid (eine Jaridian)
 

 

WEITE WEGE

Kapitel 6

 

Sha erwachte plötzlich, aus wirren Traumbildern heraus, an die sie sich im selben Moment bereits nicht mehr erinnerte. Es war dunkel, alle Feuerschalen waren erloschen. Sie fühlte behutsam zu Selkara hin, zwischen deren Flossen sie ruhte, und zu allen anderen im Raum, die noch in tiefem Schlaf lagen. Sie selbst hatte keine Ahnung, wie lange sie geträumt hatte, sie fühlte nur sehr deutlich, daß die innere Unruhe, die sie empfand, sie nicht wieder schlafen lassen würde ... Ihr aufklappbares Gerät, daß sie als leichten Druck unter dem rechten Flügel spürte, weil sie offenbar versehentlich darauf zu liegen gekommen war, war programmiert, sie rechtzeitig zu wecken, zwei Einheiten vor ihrem Abflug, also könnte sie sich vorsichtig umlagern und die Augen wieder schließen, aber statt dessen ... Behutsam löste sie sich aus Selkaras Halt, grub das kleine Utensil aus den Flocken und konsultierte es.
Bis es loslärmen würde, verblieben noch zwei Einheiten.
Vier Einheiten bis zum Abflug ...
Und plötzlich wurde ihr bewußt, was sie so unruhig machte.
Es gab noch etwas zu tun - unbedingt ...
Im Laufe der Feier hatte sie mit allen, die mit ihr waren, und mit Jaridia selbst, von Abschied und Wiederkehr gesungen ... Die Anderen hatten ihr gesungen davon, was von ihr bliebe, wenn sie ginge, und sie hatte ihnen das Lied für die Bleibenden angestimmt ...
Sich direkt ins Zentrum der gegnerischen Seite zu bringen, und sei es noch so gut verborgen, um eben dieses Zentrum sicher von den eigenen Reihen übernommen werden zu lassen, konnte nicht nur Abschied im Sinne des Verlassens, eine Weile Fortseins und Zurückkommens bedeuten, sondern ebenso gut den Abschied, den man nahm, um neu zu werden ... Sie hatte den brennenden Wunsch, sich noch einmal bei Jaridia zu bedanken und von dem Abschied zu nehmen, was sie an dieser Welt am meisten liebte - ihrem unendlich weiten Himmel und ihrem kraftvollen, unberechenbaren Wind, mit dem sie getanzt hatte, wann immer es ihre Zeit erlaubte, dem sie verdankte, überhaupt wieder fliegen zu können ... Der Eindruck ihrer selbst, hoch über den Wolken, ihre kristallenen Flughäute weit ausgebreitet und schimmernd im Sonnenlicht, war eines der wichtigsten Bilder gewesen, die ihr geholfen hatten, die Hoffnung aufrecht zu halten, zu einem Zeitpunkt, wo diese Flughäute nichts anderes waren als nutzloser, gefühlloser Ballast, den sie gerade mit Mühe spreizen und wieder einfalten konnte ...
Sie schob die ins Bewußtsein gelangen wollenden Erinnerungen beiseite und konzentrierte sich darauf, sich aus dem Kontakt mit Selkara und den anderen zu lösen, ohne deren Schlaf zu stören. Dann öffnete sie die Verschlüsse des selbst in dem schwachen Glanz, der durch das Fenster fiel - es war offenbar sternenklar draußen - noch leuchtenden Geflechtes, streifte es behutsam ab und breitete es über die, die halb Wasser- und halb Wegvolk war, wie eine Decke. Schließlich gurtete sie sich das aufklappbare Gerät um den rechten Oberschenkel.
Mit wenigen geschickten Schritten war sie über alle Schlafenden hinweg gestiegen, hatte sich ihr einziges Gepäckstück gegriffen und den Raum verlassen. Sämtliche Flugmuskeln empfand sie beinahe schmerzhaft deutlich - sie wollte jetzt nur noch hinaus, nach draußen auf den Platz vor dem Gebäude, in Jaridias sternfunkelnden Himmel aufsteigen und mit ihrem Wind tanzen - ein letztes Mal ...
Diese Welt war beinahe vollständig evakuiert, und sie, Shainshiyee, würde nach erfolgreichem Einsatz nicht hierher zurückkehren, sondern auf der neuen Zentralwelt des Imperiums stationiert - oder auf der Welt, auf der sie ins Leben gewoben worden war. So oder so, Jaridia, in der sie ebenso wurzelte wie in der, die die vier Völker trug, würde sie nie wieder sehen.
Sie eilte durch die Gänge, benutzte einen der beweglichen Räume nach unten und hatte die riesige Halle erreicht, durch die es nach draußen ging, durch den Hauptausgang. Sie meldete sich bei den Wachen ab, war endlich im Freien, ließ ihren Packsack fallen, stieß sich von den steinernen Stufen, die auf den Platz führten, aus ab und war mit drei Flügelschlägen in der Luft.
Es war ihr egal, daß sie sich mit Anstrengung gegen einen Abwind aufwärts kämpfte. In kürzester Zeit war sie hoch über den Gebäuden und stieg immer weiter auf, auf zu den Sternen ...
Die kristallenen Flughäute, die ihr die haftbrandzerstörten ersetzten, waren schließlich zu ihren eigenen geworden - beim Fliegen spürte sie keinerlei Unterschied mehr zu früher. Für ihre Beine galt das Gleiche - mit dem Vorteil, daß diese praktisch nicht mehr ermüdeten ...
Die heftige Windböe, die unverhofft unter ihren rechten Flügel fuhr und sie in eine merkwürdige Schräglage brachte, nutzte sie für das erste rasante Manöver dieses Fluges - aus dieser Schräglage heraus die Flügel anlegen, sich quer nach links rollen und abtauchen in eine extrem enge Spirale, die sie nur wagen konnte, weil das, wogegen sie jetzt in die Tiefe ging, ein Aufwind war ... Irgendwann, nicht mehr sehr hoch über den Gebäuden, breitete sie ruckartig beide Flughäute aus, behielt die Drehrichtung der Spirale bei, ließ sich jetzt aber von dem Aufwind wieder hoch tragen, mit langsamen, kraftvollen Flügelschlägen, nach oben, immer weiter nach oben, bis die Luft nicht nur zum Singen zu dünn wurde, sondern auch zum Atmen ...
Sie schwebte, tauchte, stürzte, kämpfte, ließ sich werfen und treiben, trudelte, taumelte, wirbelte, glitt ... tanzte ihren letzten Tanz mit dem ganz besonderen Wind dieser uralten Welt, bis das Gerät an ihrem Bein ein kurzes Signal gab ... Die Abwärtsspirale, die sie mit weit ausgebreiteten Flügelarmen und Flughäuten absolvierte, reichte genau, um beiden für einen guten Übergang zu singen - für guten Übergang, nicht für erfülltes Bleiben, denn auch Jaridia war dabei, in den Abschied zu gehen.
Seit undenklicher Zeit bereits instabil, stand ihre Implosion, ihr Vergehen in Feuer und Flamme, kurz bevor ...
Alle Angehörigen der Vier Völker, die auf Jaridia ihren Weg für das Ganze gingen, und viele Jaridian hatten immer wieder gesungen mit dieser Welt, die sich gern zurück gab, die ihr mächtiges Bewußtsein längst für das Ganze durchlässig gemacht hatte und die sich nichts mehr wünschte - außer Zukunft für die Ihren ... Und daß deren Zukunft nicht nur Gestalt angenommen hatte, sondern für etliche derer, die sie so lange getragen hatte, sogar bereits Gegenwart war, war ihr große Freude.
Erneuter Lärm des aufklappbaren Gerätes drang Sha störend in die Ohren, sogar durch die Membran, mit der sie sie von innen fest verschloß, so daß sie sich schließlich beeilte, zu landen und ihn abzuschalten. Nässe stand auf ihrer narbigen Haut, und sie empfand den Wind als erfrischend kalt, aber jetzt konnte sie nicht länger draußen bleiben ...
Sie hatte das Shuttle zu überprüfen, mit dem sie den weit entfernten Asteroiden anfliegen würde, von dem Sivora wußte, daß er ein Portal beherbergte - einen der Zugänge in die Interdimension, die die Taelon geschaffen hatten und durch die man physisch, aber ganz ohne ein schützendes Fahrzeug, in die Zwischen-Zeit tauchen und sich darin gezielt bewegen konnte. Dessen Schöpfer hatten jedoch ihre winzige Kolonie lange verlassen, bevor die Jaridian den Sektor, in dem sie lag, erobert hatten, deswegen war unklar, ob es überhaupt noch funktionierte. Wenn nicht, müßte sie mit dem Shuttle weiter ...
‚Nein’, sagte sie zu sich selbst. ‚Eins nach dem anderen ...’
Sie wanderte die Stufen hinauf, griff sich ihren Packsack, meldete sich bei den Wachen zurück und nahm den direkten Weg zum Shuttle-Hangar, der zu diesem Gebäude gehörte, damit die Mitglieder des Hauptkommandos jederzeit ohne Verzögerung dorthin gelangen konnten, wo sie gebraucht wurden - Shuttles waren die schnellsten und wendigsten Transportmittel auf allen Planeten des Imperiums.
Sie hatte das für sie bestimmte rasch gefunden. Das Eingangsschott stand offen, also war es noch in dieser Dunkelphase von entsprechend Technologiekundigen angeschaut, getestet und für einsatztauglich befunden worden. Sie stieg hinein, verstaute ihren Packsack, aktivierte es und begann mit der vor jedem Start notwendigen Prüfroutine.

 
* * *
 

Augur blickte sich um und sah niemanden. Hatte sich Kincaid vielleicht in einem der Nebenräume zum Schlafen hingelegt? Erledigt genug ausgesehen hatte er, und sein merkwürdiges Benehmen vorhin ließ durchaus den Schluß zu, daß ... Er erschrak bei dem Gedanken, sein Freund könne unbemerkt einfach gegangen sein. So wirr, wie er gewirkt hatte, könnte inzwischen sonst etwas passiert ...
Er erhob sich von seinem Sitz und wanderte durch den Raum - und wäre beinahe über Liam gestolpert.
Dieser lag, eingerollt auf der rechten Seite, vor dem Computer, von dem all das Durcheinander ausgegangen war, und schlief.
Anscheinend träumte er - seine Augen waren unter den geschlossenen Lidern in ständiger rascher
Bewegung.
Augur hockte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Liam?”
Der Angesprochene zuckte, gab eine Art unwilligen Grunzens von sich und machte Anstalten, sich auf die andere Seite zu drehen.
Der Computergenius schüttelte den Kopf, erhob sich und ging in seinen Schlafraum, nahm Decke und Kopfkissen vom Bett, kehrte damit zu seinem Freund zurück und machte es ihm so bequem, wie es halt auf dem Fußboden möglich war. Dann suchte und fand er dessen schwarze Lederjacke, nahm das in einer der Taschen befindliche Global heraus, öffnete es und rief Kincaids Terminliste für den morgigen - nein, stellte er mit einem Blick auf die Zeitangabe in dem kleinen Gerät fest, den heutigen - Tag auf.
Um acht Uhr und dreißig Minuten hatte sein Freund seinen Dienst in der nordamerikanischen Botschaft bei Da'an anzutreten ... Er ließ die Liste verschwinden, schloß das Global und steckte es dahin zurück, wo es hingehörte.
Er begab sich wieder an seinen Zentralrechner und wies das Hologramm an, auf jeden Fall um Punkt Sieben ein lautes akustisches Signal zu geben, damit er nicht vergesse, Liam rechtzeitig zu wecken - er selbst wäre entweder wieder in dieses Farben-Zahlen-Sprachen-Rätsel vertieft oder schliefe ebenfalls ...
Dann setzte er sich einmal mehr vor den Monitor und starrte auf die italienischen Zeilen.
‚Attenzione’ hieß etwas wie ‚Aufmerksamkeit’ oder ‚Achtung’, ‚soli’ bedeutete ‚allein’ ... Wer oder was war die ‚alleanza galactica'? Und was bedeuteten die zwei Lücken im vorletzten - Satz, wenn das denn Sätze waren, Satzzeichen gab es nämlich nicht - allerdings unterschiedliche Abstände zwischen den Worten ...
Er bat seine Photonengeschaffene schließlich, ihm das zu übersetzen, als ihm im gleichen Moment etwas klar wurde.
Diese bunten Bilder waren einander alle sehr ähnlich in Größe, Form und Struktur.
Ähnlich, aber nicht gleich.
Was, wenn sie alle genau die selbe Botschaft enthielten, aber jeweils in einer anderen Sprache, weil diejenigen, die sie geschickt hatten, nicht sicher wissen konnten, wer sie empfangen würde?
Bei dem Rauschen und Flimmern auf sämtlichen Schirmen und in sämtlichen Rechnern gestern morgen hatte es sich nicht um eine technische Störung gehandelt, davon war er inzwischen überzeugt. Es - es war eine Sendung gewesen, kosmisches Radio ... Außerirdische, die keine Taelon waren, hatten ein erstes Hallo aus dem All ... Und Liam war eine dieser Außerirdischen angeblich im Traum erschienen - und hatte irgendwie ausgesehen wie - wie ein Atavus.
Wieder kroch ihm Kälte zwischen die Schulterblätter.
Er mußte unbedingt herausfinden, was es mit all dem auf sich hatte.
Er wies das Hologramm an, das Decodiermuster, das letztendlich diesen Text aufgeschlüsselt hatte, der immer noch vor ihm auf dem Monitor flimmerte, nacheinander auf die übrigen Bilder zu legen, und kurze Zeit später prangten auf dem Bildschirm endlich verständliche Worte:

ACHTUNG   IHR SEID NICHT ALLEIN   EINE WIRD KOMMEN EUCH DAS WISSEN ZU LASSEN   WIR SIND MIT EUCH   WIR SIND DA FÜR EUCH   DIE GALAKTISCHE ALLIANZ KÄMPFT AN EURER SEITE   EINE WIRD KOMMEN ZEIT               ORT             HALTET DAS PORTAL OFFEN

Augurs Unterkiefer war ganz langsam nach unten gesunken, während er das las.
Was ging hier vor?
Galaktische - Allianz?
Auf Seiten der - der Menschen? Gegen die Taelon? Stammte diese Botschaft - tatsächlich von
den Jaridian? Mit wem konnten diese eine Allianz gebildet haben? Gab es irgendwo da draußen doch noch ...? Und hatte Liam deswegen so seltsam ...?
War das hier ‚das Zeichen’, von dem sein Freund gefaselt hatte?
Er, Augur, hatte das grob gezeichnete Gesicht auch gesehen ... Er rief das entsprechende Bild auf den Schirm und ließ das Hologramm das Decodierschema darauf anwenden.
Das Antlitz löste sich in ein Chaos aus Zahlen, Buchstaben und undefinierbaren Zeichen auf, und aus sämtlichen im Raum befindlichen Lautsprechern drang plötzlich das Geräusch prasselnden Feuers - das allmählich in Meeresrauschen überging, über dem eine Art fremdartiger Musik zu klingen begann, von solcher Schönheit, daß es ihm unheimlich wurde.
Was sollte das alles?
„Stell' das ab ...”
Die Photonengeschaffene kam seinem Wunsch nach. Augur konzentrierte sich auf den Zeichen-Mix vor sich. Vielleicht kodierte der bloß die gerade gehörte Musik, die eine Art Werbe-Jingle darstellen könnte für diese mysteriöse Allianz ... Nichts davon erklärte die Lücken im Text, den er sich statt des Durcheinanders wieder aufrief. ‚Zeit’ - nichts ... ‚Ort’ - nichts ... Wenn aus ‚eine wird kommen’ zu schließen war, daß sie, wer immer sie waren, jemanden schicken würden, um die Menschen wissen zu lassen, sie seien nicht allein, wäre es doch praktisch, zu wissen, wann und wohin - und ausgerechnet diese Angaben fehlten ... Das machte überhaupt keinen Sinn.
Nein, befand das Computergenie, damit würde er sich nicht abfinden. Er hatte noch gar nicht geprüft, wie viele Verschlüsselungsebenen diese Botschaft eigentlich hatte, also setzte er als nächstes eine entsprechende Routine in Gang - und saß einmal mehr mit hängendem Unterkiefer da, als sich eine nach der anderen öffnete. Die fremdartige Musik klang wieder auf, während farbige Quadrate über den Bildschirm tanzten, die sich auf der nächsten Ebene zu verwobenen geometrischen Mustern, gleichfalls in allen Farben schillernd, wandelten. Als nächstes kam etwas, das beinahe aussah wie die Zeichnung irgendeines Schaltplans, dann kam völliger graphischer Unsinn, der beim Hinschauen schwindelig machte, danach etwas wie vielstimmiger Gesang, von dem er kein Wort verstand und schließlich so unangenehm hochfrequente Töne, daß er das Hologramm einmal mehr um Unterbrechung bat - und dann darum, aus all der Fülle das herauszusuchen, das noch am ehesten für die Perzeption durch menschliche Sinne gedacht sein konnte.
Im Moment war er sich gar nicht sicher, ob er die, mit denen die Jaridian eine Allianz hatten, überhaupt kennen lernen wollte ...
Auf dem Monitor erschienen, verkleinert, damit alle ausgewählten darauf paßten, das erste entschlüsselte Bild mit Quadraten, der übersetzte Text in sechs verschiedenen Sprachen, die schaltplanartige Zeichnung und ein Bild mit neongrünem Hintergrund, auf dem ziemlich weit unten, mit etwas Abstand voneinander, zwölf farbige Quadrate zu sehen waren, die zwei Paare und, mit deutlichem Abstand davon, zwei Vierergruppen bildeten.
Augur betrachtete dieses Bild, bis ihm etwas auffiel.
„Zaubermaus, legst Du bitte einmal diesen ‚Achtung’-Text und das grüne mit den Quadraten übereinander?”
Dies geschah, und dem Computergenius entrang sich ein begeisterter Laut. „Voilà, Zeit und Ort - die vier da hinter ‚Zeit’ könnten Uhrzeit und Datum sein, und wer einen Ort mit Zahlen beschreibt, meint dessen Lage auf Breiten- und Längengrad - die Kommata muß man sich wahrscheinlich denken ...”
Jetzt war ihm klar, warum diese Angaben auf einer Ebene unterhalb des Textes angesiedelt waren - er hätte sonst die nächsten Stunden damit verbracht, zu versuchen, aus den Zahlen Buchstaben werden zu lassen und sich vergebens abgemüht. ‚24 38’ hätte ja keinen Sinn gemacht - ‚24 N’ hieß überhaupt nichts ...
So aber war klar, diese Zahlen waren Zahlen und sonst nichts - und jetzt war höchste Aufregung in ihm.
„Das - das gibt es doch gar nicht ... das ist - in vierzehn Tagen, mitten in der Nacht, aber wo?”

 
* * *
 

Shainshiyee hatte die Prüfroutine zur Hälfte absolviert und stand gerade aufrecht im hinteren Teil des winzigen Schiffs, um die zweite manuelle Notschildschaltung zu kontrollieren, als sie draußen Schritte hörte, die sich rasch näherten. Sie wandte sich dem Geräusch zu.
Eine hochgewachsene, kraftvoll wirkende Gestalt tauchte im Eingang auf, stieg ein und schloß das Schott nicht nur hinter sich, sondern verriegelte es.
„Torvak ...” Die Geflügelte strahlte. „Du hast es noch geschafft ...”
Statt einer Antwort nahm der Jaridian, der etwas größer war als sie selbst, sie in die Arme, um sie zu halten, als wolle er sie nie wieder loslassen. „Shainshiyee ... Ich habe alles, aber auch alles in Bewegung gesetzt, um Dir noch einmal begegnen zu können, bevor Du aufbrichst ...”
Begegnen? Sie freute sich unbändig, daß er rechtzeitig gekommen war, so daß sie sich auch von ihm wirklich verabschieden konnte, aber für eine Begegnung blieb doch kaum ...
„Bitte ...” Torvaks Stimme klang rauh, und Shas sämtliche Reflexe hatten auf ihn reagiert, bevor ihr Verstand den begonnenen Gedanken zu Ende geführt hatte - reagiert auf heftiges Verlangen - und auf noch etwas Anderes, auf tiefe, brennende Intensität, auf Energie, die nach der ihren griff, um sie ebenfalls in Brand zu setzen ...
Zwischen ihr und diesem Jaridian war Besonderes gewesen, seit sie sich das erste Mal gesehen hatten. Er war ihr Übergeordneter, was daran nichts änderte ... Irgendwann hatte er erstmals den Wunsch nach Begegnung geäußert, und sie war sofort in Resonanz gegangen mit dem, was sie in ihm spürte - und seither waren sie einander immer wieder begegnet, egal, wie sehr sie eingebunden waren in ihre Pflichten und gleichgültig, wie lange sie sich nicht gesehen hatten - die Anziehung die zwischen ihnen bestand, ließ sie immer wieder zueinander finden.
Aber das hier war - anders ...
Noch bevor sie selbst in Flammen stand, hatte sie sich dem, was sie in ihm spürte, so weit geöffnet, wie sie es vermochte.
Sie entwand sich seinem Griff und nahm ihn zwischen die Flügel, um ihn jetzt ihrerseits an sich zu ziehen, als gäbe es kein Loslassen mehr.
Eine sehr heftige Begegnung später lagen beide auf dem Boden des Shuttles, ineinander verschlungen.
Torvak fand Atem und Stimme als Erster wieder, brüchig klingend wie zuvor. „Shainshiyee, ich kann beim besten Willen nicht begreifen, warum mir das erst jetzt klar geworden ist, aber ...”
Über den Kontakt wußte sie bereits, was er im nächsten Augenblick äußern würde, ebenso, wie sie spürte, wie wichtig es ihm war, genau das laut zu singen.
„Sha, ich ... Ich will Dich ... Ich will Dich zur Gefährtin.”
Sie war überrascht, wie tief und weit die Freude war, die sie empfand - trotz all der Einwände, die sofort der Teil in ihr erhob, der sich nichts sehnlicher wünschte, als daß Torvak Erfüllung und Glück fände - Torvak, der - der seine erste Gefährtin an der Front verloren hatte ...
Sie rückte sich in seinem Halt so zurecht, daß sie ihn anschauen konnte.
„Torvak, wisse, daß ich Jaridian genug bin, um Dich so sehr zum Gefährten zu wollen wie Du mich willst - das heißt, ich will Dich mit jeder Faser meines Seins, und es wäre mir ebenso Ehre und Freude wie Dir, wenn wir diese unsere Gefährtenschaft auf die Weise bekunden und feiern, wie Jaridian es seit Äonen tun - aber hast Du Dir denn Gedanken darüber gemacht, was es für uns beide bedeutet, daß ich ebenso Windvolk bin wie Jaridian?”
„Das habe ich längst. Wisse, für mich ist es in Ordnung, daß Du sowohl mir als auch den Deinen, anderen meines Volkes oder anderen Wesen begegnest, sei es während der Feiern des Neubeginns oder einfach, weil Du Windvolk genug bist, um, wann immer es stimmt, ekstatisches Vergnügen teilen zu wollen - und ich weiß, daß auch Du mich Funken der Leidenschaft mit anderen leben und teilen ließest ... Allerdings gibt es in mir nur noch Feuer für Dich.”
Sha hatte Torvak ihren Geist ebenso rückhaltlos geöffnet wie zuvor ihr Innerstes. „So fern voneinander unsere Völker entstanden sind, so ähnlich sind sie sich in diesen Dingen ...” ließ sie ihm zufließen, voll Staunen und Dankbarkeit. „Aber ich meine noch etwas anderes.”
In ihr war der Eindruck ihrer selbst, traurig etwas abseits auf einem Mitte-Lager, auf dem mehrere weibliche Windvolk-Angehörige hockten, mit strahlenden Augen, die Flügelhände auf den Leib gelegt. „Torvak, es wäre möglich, daß wir keinen Nachwuchs haben können miteinander - und wenn es überhaupt geht, dann nur auf der Welt der vier Völker.”
Der Jaridian schaute sie etwas überrascht an. Er spürte, wie schwer ihr das fiel, was sie ihn wissen lassen wollte. Sie fürchtete, er würde - würde dann zurücknehmen, was er gesagt hatte, was nach jaridianischem Gesetz sein gutes Recht wäre.
„Ich bin bei den ersten und einzigen Feiern des Neubeginns, an denen ich teilnehmen konnte, Jaridian begegnet - und ich habe jedes einzelne Ungeschlüpfte in die Gewebe geben müssen. Das bedeutet, alle, die wir gemeinsam weben, werden, zumindest im Aufwachsen, an die Welt der vier Völker gebunden sein. Und Du weißt sehr genau, daß aus Begegnung zwischen uns nur Nachwuchs entstehen kann, wenn sie während der Feiern stattfindet, weil ich außerhalb meiner Welt ...”
Ihr Übergeordneter machte Anstalten, sie zu unterbrechen, sowohl über den Kontakt als auch, indem er zum Sprechen ansetzte, aber sie ließ das nicht zu. Das hier war zu wichtig - er mußte sich genau darüber im Klaren sein, auf wen und was er sich einließ, er mußte verstanden haben, welche Mängel die aufwies, die er zur Gefährtin wollte.
Sie blickte ihn eindringlich an. „Ich bin außerhalb der Welt der vier Völker nicht imstande, meinen Anteil zu neuem Leben dazu zu geben. Darüber hinaus ist es über fünfzehn Umlaufzyklen her, daß ich die, die mich trug, verlassen habe. Ich bin vollkommen außer Phase mit ihr - und es haben bereits die Schwierigkeiten mit der Wiederanpassung, die lediglich fünf Zyklen fort waren. Die Wahrscheinlichkeit, daß wir niemals miteinander weben werden, ist höher als die, daß es gelingt.”
Torvak verstärkte seinen Griff um die Geflügelte. Er war nicht nur ihrem Gesang gefolgt, sondern auch den zugehörigen Gedankenbildern, und er hatte eine sehr dezidierte Meinung dazu.
„Sha, Du mußt eins wissen - das alles ist mir vollkommen gleichgültig. Ich will Dich. Ich will Dich zur Gefährtin, ohne jede Bedingung. Es ist mir egal, was Du kannst oder wie Du funktionierst oder auch nicht - Du hast mir von Anfang an gegeben, was eine Gefährtin gibt, und ich - ich habe bis jetzt gebraucht, um zu begreifen, daß ich mit Dir auf die gleiche Weise teilen will.”
In der, die Windvolk und Jaridian war, war es so weit und hell geworden wie selten zuvor in ihrem Leben.
Im Kontakt war Lüge - absichtliche Täuschung - unmöglich. Torvak meinte jedes einzelne Wort, das er sang, genau so ... Und sie spürte, daß das Tiefe, das er für sie hatte, für ihn in gleicher Intensität auch in ihr war.
Sie veränderte ihre Position so, daß sie ihm die rechte Flügelhand auf die Brust legen konnte, dorthin, wo sie sein Herz schlagen fühlte. Mit etwas Mühe holte sie Atem und sang ihm mit allen Stimmbändern, die Resonanzsehnen sanft mitschwingen lassend: „Torvak, ich bitte Dich, erkläre mich zu Deiner Gefährtin - Du wohnst als mein Gefährte längst in meinem Innersten ...”
Sie hatte einmal das uralte Ritual, das Gefährtenschaft zwischen Jaridian bezeugte, bestärkte und feierte, miterlebt, und gerade dieser Gesang hatte sie so berührt, daß sie ihn nie wieder vergessen hatte.
Torvak strahlte. Auch er veränderte seine Position und legte ihr die rechte Hand auf den Brustkasten, in die Vertiefung zwischen den vorderen Flugmuskeln.
„Drakvara”, nannte er sie bei der jaridianischen Übersetzung ihres Namens, „ich erkläre Dich zu meiner Gefährtin, als die Du längst in meinem Innersten wohnst, und ich bitte Dich, für mich Gleiches zu tun.”
„Ich erkläre Dich zu meinem Gefährten, als der Du längst in meinem Innersten wohnst.” Ihre Energie, sonnenhell und weiß-violett, floß ihm zu und verwob sich mit der seinen, und dann gab es keine Worte, keinen Gesang mehr, nur noch ekstatisches Strömen ...

Beide erschraken, als plötzlich Alarm losging, schrill und grellgelb - und waren gleichermaßen belustigt, als sich herausstellte, das war das aufklappbare Gerät Torvaks, daß er so programmiert hatte, daß es dafür sorgte, daß sie rechtzeitig aus was-auch-immer auftauchten, um Shas Shuttle noch innerhalb des Zeitplans vollständig überprüfen zu können.
Sie halfen einander vom Boden auf, und der Jaridian legte seine Kleidung wieder an, die er abgestreift und einfach fallengelassen hatte.  

 
* * *
 

Auf Augurs Geheiß rief das Photonenwesen eine Weltkarte auf - die Längen- und Breitenangaben, als die er die Quadrate gedeutet hatten, legten den Ort des zukünftigen Geschehens auf die Stadt Washington fest.
Der zu Hilfe genommene genaueste Stadtplan, der verfügbar war, spezifizierte ihn auf ein verlassenes, verfallendes Gewerbegebiet am südwestlichen Stadtrand - wo es seines Wissens alles Mögliche gab, vor allem eine Menge riesiger Ratten - allerdings kein Portal ... Er hatte sich in der Nähe dieses Viertels einmal mit einem Schwarzhändler getroffen, der ihm für viel Geld einen wirklichen Schund angedreht hatte, und er legte keinen besonderen Wert darauf, diese Gegend wieder aufzusuchen, vor allem nicht bei Nacht.
‚Haltet das Portal offen’ ...
Was war damit gemeint?
Ein schrilles Geräusch unterbrach seine Gedanken - das mit der Photonengeschaffenen ausgehandelte Wecksignal, welches sogar Liam aus dem Schlaf schreckte, der zu seinem Freund hinüber wankte und schlagartig hellwach wurde, als dieser ihn mit dem konfrontierte, was er gefunden hatte. Er entschuldigte sich für sein sonderbares Benehmen am Abend zuvor, was Augur abwinken ließ, der schließlich aufstand und Kincaid einen Espresso und sich selbst einen Drink mit Maracujasaft und einer gehörigen Menge Alkohol darin bereitete. Er mußte wenigstens einige Stunden schlafen, und überdreht, wie er war, würde ihm das ohne derartige Hilfe nicht gelingen ...
Mit ihren Getränken hockten beide dann erneut vor dem Zentralrechner.
„Und?” fragte der Techno-Genius den Anführer des Widerstandes. „Was hältst Du davon?”
Dieser blickte sehr nachdenklich. „Es könnte eine Falle sein - trotz allem könnte es immer noch eine Falle der Taelon sein, um den Widerstand vielleicht ebenso schwer zu schädigen wie damals, als Da'an mit meinem gefälschten Aufruf so viele in den Tod geschickt hat. Es könnte aber auch eine Chance bedeuten, die wir uns auf keinen Fall entgehen lassen dürfen ... Ich werde veranlassen, daß dieses - Fabrikgelände ab sofort von unseren Leuten observiert wird. Sobald Taelon-, ‚Freiwilligen’- oder sonstige obskure Aktivitäten dort beginnen, ziehen wir alle wieder ab, und nichts wird passieren in vierzehn Tagen. Selbst wenn die Taelon uns einen überraschenden Hinterhalt legen wollen - dieser müßte sehr gut vorbereitet sein, und diese Vorbereitungen bekommen wir mit, wenn unsere Leute sich dort unauffällig postieren und die Dinge im Blick haben ... Wenn das Ganze wirklich echt ist, dann werden wir jemanden treffen, der sich einen verdammt weiten Weg gemacht hat - die Jaridian verfügen nicht über den Interdimensionsantrieb, das wissen wir schließlich genau, aber ihnen muß wirklich etwas an uns liegen - vielleicht brauchen sie uns genau so dringend als Verbündete, wie wir Unterstützung gebrauchen können?”
„Was ist damit, daß auf diesem Gelände kein Portal existiert? Sie sagen ‚haltet das Portal offen’ ...”
„Das bedeutet, denke ich, daß wir eines mitbringen müssen”, antwortete Liam. „Mitbringen, aktivieren und offen halten, bis jemand hindurch kommt ... um vierundzwanzig Uhr und achtunddreißig Minuten ...”
Die beiden Freunde blickten einander an, die Augen des einen die Hoffnung des jeweils anderen spiegelnd.
Nach einer Weile zog Liam eine Diskette aus einer seiner Taschen und reichte sie Augur. „Die Aktionspläne, die ich eigentlich mit Dir besprechen wollte - ich denke, Du kommst auch so damit zurecht ...” Der Angesprochene nahm sie entgegen. „Selbstverständlich ... Kümmere Du Dich so schnell wie möglich um die Observation dieses Geländes ...”
Eine halbe Stunde später hatte Liam Mühe, seine Gefühle aus seinen Gesichtszügen zu verbannen, aber als er das Portal in der nordamerikanischen Botschaft verließ und seinen Arbeitsplatz ansteuerte, war es ihm gelungen.

 
* * *
 

Shainshiyee konsultierte ihr eigenes aufklappbares Gerät - das neue, das sie im Shuttle vorgefunden hatte und das sie statt ihres üblichen Utensils auf der Reise, die ihr bevorstand, benutzen sollte. Es war, zusätzlich zu all seinen sonstigen Funktionen, der leistungsfähigste tragbare Hologenerator, über den das Imperium aktuell verfügte, und würde ihre Tarnung in jeder Situation sicherstellen.
„Noch eine halbe Einheit, bis ich los muß,” meinte sie, „und ...”
„Was?”
„Und eigentlich will ich gar nicht mehr weg ...”
Torvak nahm sie in die Arme. „Und ich will nicht, daß Du fliegst ... Aber wir beide wissen, daß die Interessen des Imperiums immer vor allen eigenen kommen.”
Sie drückte sich an ihn, einmal mehr wünschend, Augenblicke könnten für immer andauern. „Ich weiß ... also bleibt uns nichts anderes übrig, als jetzt mein Shuttle zu Ende zu prüfen, bevor uns die Zeit davonläuft.”
Sie lösten den Kontakt und setzten die entsprechende Prozedur dort fort, wo sie unterbrochen worden war.
Und waren zwei Untereinheiten vor dem festgelegten Startzeitpunkt damit fertig.
Diesmal war es Sha, die den Jaridian zwischen die Flügel nahm.
Sie schaute ihm in die Augen.
„Mein Gefährte ... Ich danke Dir so sehr, daß Du genau das bist, und nehme Abschied ... vielleicht werden wir einander wieder begegnen, vielleicht gehe ich, um neu zu werden - so oder so wünsche ich Dir erfülltes Bleiben.”

Ihm gelang es, die Arme unter ihren Flughäuten durch zu manövrieren und um sie zu legen. Er drückte sie mit solcher Kraft an sich, daß ihr beinahe der Atem wegblieb. „Unsinn”, sagte er, einmal mehr mit nicht sicherer Stimme. „Wir sehen uns in zweiundsiebzig mal zwanzig Einheiten wieder. Ich habe dafür gesorgt, daß ich das Kommando über den Verband bekomme, der Euch abfängt, sobald Ihr mit der Bergenden jaridianisches Gebiet erreicht habt. Wir werden die Mittler bringen, die sich bereit erklärt haben, die Schiffswesenheit zu heilen, und übernehmen die Gefangenen, die Ihr aus ihr befreit habt - Du wirst ab dem Zusammentreffen Kravaks und meines Verbandes wieder meinem Kommando unterstellt sein, wirst die Befreiten begleiten, die zur Heilung auf Eure Welt gebracht werden und bist ab der Ankunft dort auch da stationiert.”
Die Geflügelte hatte zu strahlen begonnen. „Das heißt, wir fliegen auf dem Rückweg den größten Teil der Strecke zusammen? Und danach - komme ich auf die Welt der vier Völker? Wir bekommen eine Chance auf ... Das hast Du arrangiert?”
„Ich habe Vorjak überzeugen können, daß das - wie immer - die sinnvollste und ressourcenschonendste Strategie darstellt - wieso sollten wir all die Menschen und was-weiß-ich-wen Du in der Bergenden vorfinden wirst erst auf unsere neue Zentralwelt schaffen, wenn wir ihnen dort sowieso nicht wirklich helfen können? Warum nicht gleich alle dorthin verfrachten, wo sie wenigstens Chancen darauf haben, daß das, was ihnen angetan wurde, geheilt werden kann, und wenn das geschafft ist, ist jeder frei, zu gehen, wohin er will? Und wir haben dann - die Synode ausgeschaltet, und damit ist der Krieg vorbei ... Wir setzen Zo'or und die Seinen bei Ihresgleichen oder von mir aus sonstwo ab - und es herrscht endlich Ruhe in der ...”
Ein Alarmton unterbrach ihn.
„Das Startsignal ...” Shainshiyee löste sich behutsam aus dem Kontakt mit ihrem Gefährten. Die Worte und Bilder, die er ihr hatte zufließen lassen, hatten ihr wirklich gut getan. Wenn alles überstanden war, wäre sie für die Dauer eines langen Fluges mit ihm zusammen ... „Danke ... Ich danke Dir so sehr ...”
„Ich danke Dir.” Torvak ließ sie los, sehr widerstrebend, entriegelte das Shuttle und stieg aus. Draußen wandte er sich noch einmal um. „In zweiundsiebzig mal zwanzig Einheiten ...”
„Ja”, sang sie mit fester Stimme und allen Stimmbändern. Sie wartete, bis der Jaridian außer Sicht war, ihm nachschauend, dann schloß sie die Einstiegsluke und verriegelte sie erneut.
Sie begab sich in den für Windvolk-Gestalt modifizierten Sitz vor der Steuerkonsole, gurtete sich an und startete den Antrieb. Den vertrauten komplexen Klang in Braun, Grün, Orange und Gelb empfand sie irgendwie als ermutigend.
Sie war bestens ausgerüstet und ebenso gut vorbereitet auf diesen Einsatz, der einfach gelingen mußte - und danach wäre dieser äonenlange Krieg zwischen Taelon und Jaridian vorbei, endlich vorbei ... und beide Völker würden leben, ohne einander zu behelligen und den Rest der Galaxis in Angst und Schrecken zu halten ...
Ohne daß es ihr bewußt war, hatte sie leise zu singen begonnen - das Ermutigungslied für die Nichtflüggen, das diesen ihren Aufstieg in die Krone erleichterte, während sie sich die Ph'taalstämme hochkämpften - es wurde unablässig gesungen in den Hell- und Dunkelphasen während der Zeit des Aufbruchs - wäre sie selbst nicht weit vor ihrer eigentlichen Zeit dort angekommen, hätte es auch ihr den Kampf einfacher gemacht ... Für die, die sie selbst eingewoben hatte, hatte sie nicht mehr singen können, sie hatte die Welt der vier Völker unmittelbar danach verlassen müssen. Die Elarian wollten die, die sie auszubilden wünschten, so jung wie nur irgend möglich, sie hätten sie auch als Nichtflügge zu unterrichten begonnen, aber das hätte ...
Ein erneutes schrilles Signal unterbrach ihre Gedanken und ihren Gesang.
„Shainshiyee, beginne mit der Startroutine”, drang die Stimme einer weiblichen Jaridian aus der Kommunikationsanlage - die Hangar-Befehligende dieser Schicht. „Du hebst ab in Punkt minus vierzig.”
„Punkt minus vierzig - verstanden; ich beginne - jetzt.”
Sie überprüfte sämtliche Geräte, noch einmal den Antrieb, die Tarnvorrichtungen, Holo-Emitter und die Schilde. Dieses Shuttle war unbewaffnet, das hatte sie selbst gegen Vorjak durchgesetzt, der zwar einsah, daß es keinen Zweck hatte, es mit Waffen auszustatten, die sie zu bedienen hätte, aber automatisch reagierende hatte angebracht wissen wollen.
Sämtliche Anzeigen signalisierten ‚startklar’.
„Punkt minus dreißig”, sagte die Jaridian. „Hangartore sind offen - Du kannst los.”
Sha manövrierte das Shuttle aus der Andockbucht und brachte es auf der geraden Strecke hinaus bereits auf Geschwindigkeit.
„Punkt minus zehn.”
Sie passierte die Tore und war im Freien. Es war immer noch dunkel, registrierte sie am Rande, sie würde erneut in einen sternklaren Himmel aufsteigen ...
„Punkt!” riefen sie und die Hangarbefehligende gleichzeitig, und das Shuttle hob ab.
Sie zog es steil hoch, bis sie die Gebäude eine halbe Ph'taallänge - die eines ausgewachsenen Baumes - unter sich hatte, und flog dann einen engen Kreis darüber.
„Ich wünsche Euch erfülltes Bleiben ...” sang sie, sich dessen bewußt, daß die Komm-Verbindung noch offen war.
„Und ich Dir einen guten Weg.”
Mit einer Antwort von der Hangar-Befehligenden hatte sie gar nicht gerechnet.
Sie hörte, wie die Verbindung von unten aus unterbrochen wurde.
Ab jetzt würde sie nicht mehr mit Ihresgleichen kommunizieren - nicht, solange sie nicht die Bergende, die um den Planeten der Verletzlichen kreiste, davon überzeugt hatte, daß ein Leben in Freiheit, als die, die sie wirklich war, dem, worin sie vegetierte, bei weitem vorzuziehen war - sie davon überzeugt hatte, sich zu entwaffnen und sich in die Hände derjenigen zu begeben, die für ihre Freiheit sorgen würden, in die der Galaktischen Allianz in Gestalt eines Jaridian-Kampfverbandes, der ihre Peiniger aus ihr entfernen und sie, die Bergende, zu den Mittlern bringen würde, die ihr ihr wahres Wesen zurückgeben würden ...
Sha konzentrierte sich jetzt auf das Fliegen selbst. Sie konnte erst, wenn sie das System Jaridias verlassen hatte, für eine längere Strecke auf automatische Steuerung umschalten und ausruhen, bis zum ersten anstehenden Sprung.
Kurze Zeit später hatte sie die Atmosphäre Jaridias verlassen.
„Ich wünsche Dir einen guten Übergang und Neuwerden aus der Fülle des Ganzen ...” sang sie der uralten Welt ein letztes Mal.
Dann beschleunigte sie das Shuttle und setzte Kurs auf die erste Sprungpassage, die ihr zwölf mal zwanzig Einheiten Flugzeit einsparen würde.
Sie war unterwegs.

 

Ende von Kapitel 6

 

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