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  „Weite Wege” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Februar 2004
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Zeichen durch Raum und Zeit / Was Verbundenheit fühlen läßt
Zeitpunkt:  ab kurz vor dem Ende der dritten Staffel
Charaktere:  Selkara, Sivora, Dunkar, Shainshiyee, Liam Kincaid, Augur (andere Angehörige der vier Völker, Jaridian)
 

 

WEITE WEGE

Kapitel 3

 

Belustigung und etwas wie Ehrfurcht waren im Kreis, als Sivora in die Berührung gab: „Ich gebe es einmal mehr zu, keiner meiner Gründe damals war wirklich ein guter - ich habe mich von den elementaren Gefühlen meiner beiden Seiten leiten lassen - und ich bin heute noch froh, daß Sha vermittelt hat, wo die Ängste dieser Seiten es im letzten Moment beinahe hätten scheitern lassen ...”
„Wirklich elementare Gefühle sind gute Gründe”, ließ Selkara sie und den Kreis wissen. „Du hast Dich den Gezeiten des Ganzen überlassen - und sie haben Dich zu Dir selbst getragen ...”
Ein Eindruck war im Kreis, flüchtig und ekstatisch, von einer riesigen Meereswoge. Alle hatten plötzlich das Gefühl von Feuchte und Frische auf der Haut, und ihre Aufmerksamkeit wandte sich der Feuer und Wasser Entstammenden zu, die im Moment nur Freude und Zufriedenheit ausstrahlte, die in hellen blau-grünen, weißbeschäumten Wellen in den Kreis fluteten.
„Das Zeichen ... Wir haben das Zeichen gegeben ...”
Jetzt strahlte auch Shainshiyee.
Ihrem Übergeordneten Torvak und Selkara mit ihren sehr besonderen Fähigkeiten, auf die Vorjak sich weitaus häufiger verließ, als er zuzugeben bereit war, war es gelungen, den Ersten davon zu überzeugen, daß es einen Sinn mache, Shas bevorstehenden Einsatz mit dem Versuch zu verbinden, mit dem Widerstand der Verletzlichen gegen die Taelon, die dabei waren, sie zu erobern, Kontakt aufzunehmen. Informationen über diesen Widerstand lieferten Erkundungssonden der Jaridian, die sich seit undenklichen Zeiten auf der Erde, der Heimatwelt der Menschen, wie diese Rasse sich selbst nannte, befanden.
Sollte Shainshiyees Versuch, die Schiffswesenheit, die fast ausschließlich Mitglieder der Synode, der Führung der Taelon, beherbergte, mit den geplanten Mitteln den Jaridian in die Hände zu geben, scheitern, könnte die Allianz, die die Jaridian inzwischen mit vielen der Welten, die sie bereits befreit hatten, bildeten, den Verletzlichen wesentlich leichter beistehen, wenn diese von ihr wüßten und vielleicht sogar schon Unterstützung erfahren hatten durch sie ...
Der Anführer dieser Widerstandsbewegung war jemand Besonderes - und diese Besonderheit gehörte zu den Dingen, die Vorjak schließlich überzeugt hatten.
Denn dieser Verletzliche war mehr als ausschließlich ein solcher.
Selkara hatte nie zuvor so deutlich gespürt, daß Vorjak - Pläne hatte ... er stützte sich auf mindestens eine Strategie, die nichts mit den Neuen Wegen zu tun hatte, ohne daß sie der bekannte Weg des Schreckens gewesen wäre ...
Eine der Tiefraumsonden befand sich, unentdeckt im Grund, dort, wo sich der Widerstandsführer am häufigsten aufhielt, und hatte vor kurzem sehr besondere Energiesignaturen nach Jaridia durchdringen lassen - die Signaturen zweier Kimera.
Eine davon war verschwunden, die andere geblieben ...
Der Widerstandserste, hatte die Sonde übermittelt, die Sensoren über ein Gebiet verstreut hatte, das Sha in einer Hellphase nicht hätte überfliegen können, verfügte über die verbliebene Signatur ...
Und das hatte Vorjak keine Ruhe mehr gelassen.
Im Gespräch mit ihm hatte Selkara gespürt, daß ihn das beinahe so sehr bewegte wie das, womit er die ganze Zeit über unterschwellig beschäftigt war ...
Er hatte schließlich den ursprünglichen Plan, Shainshiyee direkt auf die Bergende zu schicken, um dort ihr Werk zu verrichten, geändert.
Wenn die nächste Hellphase anbrach, würde die Geflügelte nicht nur als Saboteurin des wichtigsten Mutterschiffes des Taelon-Imperiums und als jemand, der eine Bergende befreite, sondern auch als eine Botschafterin der Galaktischen Allianz zur Erde aufbrechen - um dort den Widerstand gegen die Taelon aufzusuchen und ihm die Unterstützung durch dieses Bündnis fest zuzusagen, wenn die Menschen diese wünschten, unabhängig davon, ob diese sich ihm später anschlössen oder nicht. Sie sollte mit dem Widerstandsersten zusammentreffen - dem Wesen, das vielleicht über Wissen über die verfügte, die den Jaridian vor so langer Zeit das wichtigste Geschenk gemacht hatten, das diese Rasse je erhalten hatte - das Shaqarava ...
Selkara war, auch ohne Kontakt, klar, was der Anführer des Imperiums im Hinterkopf hatte dabei - einmal mehr ein mögliches Scheitern der Neuen Wege und die Aussicht auf geradezu übermächtige Verbündete, gäbe es irgendwo in diesem Universum noch Kimera - schließlich hatten die Taelon alle dieses Volkes, die sich damals auf der Welt, die sie sich noch mit den Jaridian teilten, mit denen sie längst un-eins waren, befanden, vernichtet ...
Die Wahrscheinlichkeit, daß ein Kontakt Shas mit dem Anführer der Menschenbewegung gegen die Taelon zustande kam, erhöhte sich beträchtlich dadurch, daß dieser von der bevorstehenden Ankunft einer Allianz-Botschafterin erfuhr.
Eine solche Information auf üblichem Wege an die Erde zu senden, über Relais im All an die Sonden, die daraufhin aktiv würden, hätte beim gegebenen Stand der Planung zu lang gedauert - der Versuch, über Replikanten, einer Art mobiler ‚Werkzeuge’ - und Waffen - der Sonden mit unglaublich vielseitiger und effektiver Programmierung, Hochleistungskommunikation dort zu installieren, wie sie auf allen befreiten Welten, die dies wünschten, und auf den Kolonien selbstverständlich war, war mehrfach gescheitert.
Selkara hatte sich bereit erklärt, eine Botschaft an die Erde beziehungsweise an den Widerstandsersten der Menschen über das Ganze selbst zu senden, die Shas Ankunft, auf den Bruchteil einer Untereinheit genau, an einem für ihn leicht erreichbaren Ort ankündigen würde.
Die Vorbereitungen hatten etliche Hell- und Dunkelphasen in Anspruch genommen. Alles Material, das über die Erde vorhanden war, war von der Gruppe Weg- und Wasservolkangehörigen, die sie um sich versammelt hatte, geprüft und der Ort, den Sha aufsuchen sollte, staubkorngenau festgelegt worden. Mit Sivoras Hilfe hatten sie auch die Zeit exakt bestimmt. Sie wußten aus den Übermittlungen der Sonde, daß auch die Erde inzwischen an das Portalnetz der Taelon angeschlossen war - und daß die Menschen, zumindest einige, über tragbare derartige Zugänge in die Zwischen-Zeit oder Interdimension, wie das Innere von Sprungpassagen auch genannt wurde, verfügten ...
Von den Sprachen der Verletzlichen, von denen es viele gab, hatten die Jaridian genügend aufgefangen, um, übersetzergestützt, zum wiederholten Male eine einfache Botschaft an sie aufzusetzen, die dieses Mal die Tatsache, den Zeitpunkt und die Koordinaten der Ankunft einer Allianz-Gesandten enthielt und speziell an den Träger der Kimera-Signatur gerichtet war. Die wenigen Worte waren, in allen Sprachen, in denen die Jaridian es konnten, formuliert, in einen Datenkristall gespeichert und sicher verschlüsselt.
Und Selkara hatte im Ganzen etwas ausgemacht, was ihnen helfen würde, diese Informationen in kürzester Zeit der Erde zukommen zu lassen - eine ungewöhnliche Turbulenz in der Zwischen-Zeit, die Jaridia bald erreichen würde und der es sie aufzuprägen galt ... Solche Turbulenzen umfaßten Raum und Zeit in sämtlichen Frequenzbereichen, von extrem tiefen Vibrationen bis hin zur Schwingung harter Strahlung ... Mit einem winzigen Ausschnitt davon würde auch die Technik der Menschen in Resonanz gehen - und dann hing alles an diesen selbst, vor allem an einem - ob er die Botschaft als eine solche erkannte, entschlüsselte und - glaubte ...
Die, die auch dem Wegvolk entstammte, hatte in die Feuer geschaut ... und die besondere Energie dieses Menschen gespürt, als hätte sie ihn - über diese unvorstellbare Entfernung hinweg - behutsam berührt ... Sie hatte durch die orangefarbenen Flammen hindurch in seine Augen gesehen, die voller Erstaunen zurückblickten, und sie wußte, die Chance, daß das Zeichen verstanden würde, standen gut.
Sollte die Ankündigung ihrer Ankunft scheitern, müßte Sha das von den Taelon fest installierte Portal benutzen, das dem überwiegenden Aufenthaltsort des Widerstandsersten auf dem Planeten am nächsten war, und ihn von sich aus finden, und das barg Risiken ...
Zu Beginn der vergangenen Hellphase hatte sich Selkaras Gruppe wieder zusammengefunden. Die Turbulenz in der Zwischen-Zeit näherte sich Jaridia wie eine gigantische Flutwelle durch das Ganze, und es galt, den richtigen Zeitpunkt abzupassen ...
Selkara war Weg und Wasser ... die Einzige ...
Die Einzige, die sowohl in der Lage war, sich den strömenden Gezeiten der Tiefen und des Ganzen vollkommen hinzugeben als auch mit absolut klarem Blick in die Feuer zu schauen und auf den Pfaden der Ordnung durch das Ganze unterwegs zu sein, alle zu gehenden Wege, Vergangenes und Kommendes zugleich im Blick ...
Die Einzige, der es gelingen konnte, einer interdimensionalen Flutwelle eine Botschaft mitzugeben ...
Die Wasser- und Wegvolk-Angehörigen, die sie dabei unterstützen würden, hockten dicht an dicht in ihrem Arbeitsraum auf dem Boden, Selkara in der Mitte des innersten Kreises. Jede und jeder Einzelne der Gruppe wurde von jemandem aus dem Volk im Dunklen nicht nur gehalten, sondern auch geankert ... Sie hatten den Gesang der Konzentration angestimmt, der den typischen Vierer-Atemrhythmus erforderte, und dann das Ganze um Hilfe gebeten, um Hilfe für das, was sie vorhatten, um zu dessen Heilung beizutragen ...
Und das Ganze hatte sich geöffnet, bereitwillig.
Sie alle schwebten in lichtfunkendurchsetzter Dunkelheit, in der stetig intensiver werdendes Vibrieren die nahende Flutwelle ankündigte.
Selkara hatte ihren eigenen Atemrhythmus über den des Gesangs vervierfacht und das Feuer in sich entzündet - weißglühende Energie, die Blau-Grün zum Kochen brachte ... Sie würde, sie wollte ihre ganze Kraft einsetzen, alles, alles geben, um diese Flutwelle zu meistern ...
Sehnsucht brannte in ihr, lodernd.
Kein Meer in allen Galaxien könnte ihr bieten, was ihr jetzt bevorstand ...
Wasser, Feuer, Raum und Zeit ...
Und dann hatten erste Vorboten der mächtigen Woge sie und die anderen empor gehoben.
Sie konzentrierte sich.
Atmen.
Weißes Feuer.
Alle Energie auf einen einzigen Punkt.
Und die Flutwelle war da, und Selkara sprang, mit einem Schrei, der durch Zeiten und Dimensionen hallte ...
Sie hielt sich, aufrecht, mit Flossen und Schwimmhautfüßen auf dem höchsten Kamm der Woge, die davon raste in unbekannte Weiten ...
Sie war eingetaucht in das Innerste der Flutwelle, sich vollständig darin auflösend und alles, was sie war und wußte, hinein gebend, auch die Botschaft, die Botschaft an die Erde ...
Funkelnde Geschwindigkeit, unvorstellbar ekstatische Freude, in die Unendlichkeit ...


Sie hatte sich in den Armen ihres Ankers wiedergefunden und in den Gesichtszügen der alten Erdvolk-Angehörigen gesehen, was sie selbst empfand. Alle im Raum strahlten, strahlten und leuchteten von etwas, das in Worte nicht zu fassen war ...
Es hatte mehr als nur zwei Zeiteinheiten gebraucht, bis überhaupt wieder jemand aktionsfähig war von der Gruppe - jede und jeder hätte für den Rest dieser Hellphase auch einfach nur mit allen anderen da liegen und Berührung und Teilen genießen können ...
Dieser intensive Kontakt mit so viel Zwischen-Zeit hatte Spuren hinterlassen im Raum und an den Beteiligten, die üblichen merkwürdigen Veränderungen, die sehr bald wieder verschwinden würden, ebenso wie mehrere Handvoll Schwärmlingsstaub, dessen sich jetzt jemand vom Windvolk würde annehmen müssen, und nach und nach hatten sich alle aufgerafft, um sich darum und um ihre sonstigen bevorstehenden Aufgaben zu kümmern.

 
* * *
 

Die tiefe Dankbarkeit, die alle empfunden hatten für das ekstatische Gelingen ihrer Arbeit, strahlte Selkara immer noch aus, und einmal mehr drückte Sha sie fest an sich.
„Ich habe Dir zu danken ... Du bist ein großes Risiko eingegangen, um meinen Weg für das Ganze leichter zu machen ...”
Die unvorstellbar mächtige Woge bewegter Zwischen-Zeit hätte den Geist derer, die sie ritt, während sie gleichzeitig eins mit ihr war, genau so gut mit sich reißen und zwischen allen Dimensionen verstreuen können ...
„Das wäre die schönste Art für eine wie mich, mich dem Ganzen zurückzugeben, wenn es so weit ist ...” Selkaras Blick war sehnsuchtsvoll und abwesend.
„Ja, aber auch erst dann.” Shainshiyee umschlang das glatthäutige Wesen zwischen ihren Flügeln, so fest sie konnte. „Und ich wünsche mir, daß dieser Zeitpunkt noch sehr, sehr fern ist ...”
Die, die die Gezeiten ritt, schaute ihr in die Augen. „Ich auch”, sagte sie. „Mein Weg für das Ganze hat noch viele Stationen, die ich unbedingt kennen lernen will, bevor ...”
Bewegung kam in den innersten Kreis, deren Bestandteil sie waren, weil Dunkar sich behutsam aus dem Kontakt löste. „Ich glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt für das, was wir geplant haben”, meinte er, an Selkara und Sivora gerichtet. „Wenn Ihr schon von Abschied singt, dann braucht es jetzt unbedingt etwas für die Verbundenheit ...”
Er bahnte sich vorsichtig einen Weg durch den dichten Kreis, verließ den Raum und kam nach einer Weile mit etwas Verhülltem in den Armen zurück.
„Bitte macht etwas Platz ...”
Alle kamen dem nach, voller Neugier.
„Shainshiyee, stehst Du einmal auf?”
Die Geflügelte löste ihren Griff um Selkara und erhob sich, deren und Sivoras gespannte Erwartung wahrnehmend, die beiseite rückten, um dem Erdvolk-Männlichen Raum zu geben, der vor sie hintrat und behutsam etwas Großes, Funkelndes aus dem Stück Bekleidungsmaterial, in das es gewickelt war, befreite.
„Wir haben uns alle zusammen überlegt, daß wir unbedingt jeder etwas von Dir haben wollen, das uns mit Dir verbindet, wenn Du fort bist”, sang er ihr. „Zuhause würdest Du ein Fellbüschel da lassen, das jeder sich nehmen dürfte, wenn er es braucht - aber erstens hast Du kaum noch Fell, und zweitens haben alle Jaridian, die Dich kennen, gesagt, daß ihnen das nicht reicht, ein Büschel für alle ...”
Er schüttelte das Funkelnde auseinander - und streifte es der überraschten Sha über Kopf und Körper, tat unterhalb ihrer Flügel noch etwas damit und trat dann einen Schritt zurück - strahlend vor Begeisterung. „Es hat funktioniert”, meinte er, bewegt. „Es hat funktioniert ... Schaut sie Euch nur an ...”
Ein ph'taalblattleichtes Geflecht aus hellgoldenem Metall bedeckte ihren Körper bis zur Mitte der Beine, die Flügel aussparend, das sich exakt ihren Konturen angepaßt hatte - und in dieses Geflecht waren dicht an dicht winzige transparente, dunkelgrüne und schwarze Kristalle eingewoben.
Sha schaute und staunte, dann streckte sie sich und vollführte eine Drehbewegung, und funkelnde Farben waren um sie, in ungewöhnlichen Mustern strukturiert, wo ihre vernarbte Haut das Geflecht wölbte.
Wie angenehm sich das anfühlte ...
Selkara und der Vereinten stand die Freude ins Gesicht geschrieben, und der gesamte Kreis gab seiner Begeisterung Ausdruck. Dunkar gab zwei Jaridian in der Nähe des Eingangs ein Zeichen, die kurz den Raum verließen und mit einem großen Stück blanken Metallblechs wieder herein kamen, das nach vorn zu Shainshiyee durchgereicht und ihr hingehalten wurde.
„Schau hinein ... Schau Dich an ... Sieh, was wir sehen ...”
Die Geflügelte schaute.
Auf ein für eine, die der Wind trug, ungewöhnlich breitknochiges Geschöpf, beweglich, mit riesigen Flughäuten, die schimmerten im Licht dessen, was seine Konturen ausmachte ... über dessen Leib tausend Farben tanzten, sobald es sich rührte ... um das Feuerstreifen wirbelten, als es sich erneut drehte und dabei die Flügel hob ...
„Alle sollen Deine Schönheit sehen ...” Dunkars Begeisterung teilte inzwischen der gesamte Kreis.
Sie hatte sich selten in ihrem Leben so sehr über etwas gefreut.
Wortlos nahm sie Dunkar zwischen die Flügel, zog ihn an sich und hielt ihn, als wolle sie ihn nie wieder loslassen.
Selkara, Sivora und er hatten das Geflecht gemeinsam gefertigt, Selkara hatte das Metall bearbeitet, Dunkar die Kristallstückchen gesungen und Sivora hatte das Ganze in Form gebracht, mit dem typischen ausgeprägten Sinn einer Jaridian für Symmetrie und der Taelon-Vorliebe für Ästhetisches ...
Nacheinander hielt Shainshiyee auch die anderen beiden an sich gedrückt, sie begeistert in Sonnenhell und Weiß-Violett hüllend.
„Danke ... Ich danke Euch so sehr ...”
„Uneigennützig waren wir bei dieser Idee allerdings nicht - dies hier ist nicht nur für Dich”, gab Dunkar irgendwann in die Berührung. „Ich habe doch gesagt, es braucht dringend etwas für die Verbundenheit ... Die Kristalle, die wir in das Geflecht gewoben haben, sind Nichtverwertbares aus der Datenkristall-Produktionsanlage hier in der Nähe, das heißt, sie sind extrem leicht prägbar und halten das, was in sie hineingegeben wurde, für alle Zeit, es sei denn, jemand präge sie neu. Wir bitten Dich darum, daß Du das Geflecht während dieser Dunkelphase um Dich behältst, auch, wenn Du später schläfst und träumst - die Zeit, bis Du aufbrechen mußt, reicht aus, um all diese Bruchstückchen auf Deine Energie zu prägen, auf die wichtigsten Frequenzen ... und bevor Du fortgehst, bekommt ein jeder von uns etwas davon, so viel, wie er wünscht, um es, wenn nötig, auch teilen zu können, was ganz leicht geht ...” Er griff nach dem glitzernden Gewobenen und löste mit einer winzigen geschickten Bewegung einen der metallenen Ringe, aus denen es bestand und an dem ein Kristallscherbchen befestigt war, heraus. „So hat jeder etwas von Dir - und wenn Du wieder nach Hause kommst, setzen wir es Dir wieder zusammen ...”
„Das tue ich sehr gern - so etwas Schönes ...” Shainshiyee ließ über die Berührung alle spüren, wofür ihr die Worte fehlten.
Verbundenheit - tiefe Verbundenheit ...

 
* * *
 

„Verdammt!”
Augur, führendes Mitglied des menschlichen Widerstandes gegen die außerirdischen Besatzer, die Taelon, hieb mit der Faust auf den Computerbildschirm, der plötzlich statt violetter und hellblauer taelonischer Schriftzeichen, die aus seinem Innersten über dunkelblauen Hintergrund zu quellen schienen, nur noch durcheinander tanzende bunte Punkte zeigte. Er war so nahe daran gewesen ... So nahe daran, eine der bestgesicherten Dateien des Synodenführers selbst aus den Datenströmen des Mutterschiffes hoch über der Erde zu isolieren, um sie ...
Das sanfte, an Meereswogen erinnernde Rauschen aus sämtlichen Lautsprechern um ihn herum schwoll immer mehr an, und als er begriff, was passiert war, sprang er auf, dabei den Hocker umstoßend, auf dem er gesessen hatte, und war mit einem Satz bei seinem Zentralrechner.
Nicht nur der Monitor, an dem er gearbeitet hatte, zeigte nur noch tanzende Pixel - sämtliche taten das, sogar der riesige Flachbild-Fernseher, den er permanent laufen ließ, darauf programmiert, zu jeder Zeit die weltweit gerade aktuellsten Nachrichten zu zeigen.
Hatte er irgendeinen fatalen Fehler gemacht und damit gerade seine gesamte Anlage außer Gefecht gesetzt?
Oder - was noch viel schlimmer wäre - die Taelon auf seine Spur gebracht, die jetzt vielleicht gerade dabei waren, seine sämtlichen Dateien zu vernichten?

Er rief das interaktive Hologramm in Frauengestalt auf, seinen dienstbaren Geist in der Maschine, dem er normalerweise via Stimmerkennung die notwendigen Befehle gab, die seine Anlage funktionieren ließen, aber es reagierte nicht. Daraufhin betätigte er hektisch Tasten, die gleichfalls nichts bewirkten, und ertappte sich dann plötzlich dabei, daß er, eine Hand über der Maus schwebend, die andere irgendwo in der Luft, auf seinen Hauptmonitor starrte.
Es schien, als versuchten die winzigen Punkte, die da durcheinander flimmerten, ein Muster zu formen, ein komplexes, sehr ansprechendes Muster, das, kaum fertig, wieder in sich zusammenbrach, um sofort ein neues ...
Und auch das Rauschen um ihn hatte sich subtil verändert, er glaubte mit einem Mal, Stimmen darin zu hören, ganze Chöre, aber von deren Gesang verstand er kein Wort ...
Er blinzelte, und die scheinbare Ordnung auf dem Schirm war fort.
Das war nie ein Muster gewesen, nur bunter Unsinn.
Er rieb sich die Augen, und die kurzfristige Faszination wich wieder Ärger und Besorgnis. Er hätte vor vierundzwanzig Stunden auf Liam hören und schlafen gehen sollen, anstatt diese beiden Tabletten mit einem doppelten Espresso herunter zu spülen, um an seinem Rechner sitzen bleiben zu können - aber er war so nahe daran gewesen ...

So plötzlich, wie der Spuk angefangen hatte, war er auch wieder vorbei.
Das Rauschen wurde ganz leise und war schließlich verebbt, während sämtliche Bildschirme zeigten, was sie zuvor auch gezeigt hatten, sogar der mit den Taelon-Schriftzeichen - sämtliche bis auf einen, den Augur aus seiner momentanen Perspektive gar nicht wahrnahm und der ihn im Moment auch wirklich als letztes interessiert hätte - er gehörte zu einem Rechner, dem er einige experimentelle Komponenten eingebaut hatte, an die er über einen Kontakt zum allgegenwärtigen Schwarzmarkt für diverse Technologien gekommen war und an deren Seriosität und Funktionalität er eigentlich nicht wirklich glaubte.
Er eilte an die Konsole, an der er zuletzt gearbeitet hatte, und überprüfte sie.
Die Verbindung zum Mutterschiff der Taelon war natürlich gekappt - aber zumindest war nicht ein einziger der sorgsam gespeicherten Arbeitsschritte, die ihn bis da hin gebracht hatten, wo er unterbrochen worden war, verloren gegangen ... Erleichtert kehrte er an seinen zentralen Computer zurück, hielt von dort aus alle laufenden Programme an und gab den Befehl zu einer gründlichen Selbstdiagnostik für die gesamte Anlage, allem voran einen Check auf taelonischen Zugriff. Von dort aus begab er sich in den Nebenraum, in dem sich seine Espressomaschine befand, und setzte diese in Gang.
Er würde keine Ruhe finden, bis er eine Erklärung für dieses ärgerliche Ereignis hatte, das hoffentlich nur das war - ärgerlich ...

 
* * *
 

Liam Kincaid, Mensch und Kimera, lag angezogen auf seiner provisorischen Schlafstatt im Hauptquartier des Widerstands gegen die Taelon und dachte über seine augenblickliche Situation nach.
Etwas in ihm drängte ... drängte mit zunehmender Intensität nach durchschlagendem, drastischem Handeln, etwas, das Gluthitze und Geheimnis war und das er Zeit seines kurzen Lebens mit aller Macht immer und immer wieder aus seiner Wahrnehmung fort schob; etwas, das er am liebsten so tief in sich vergraben wüßte, daß es sich nie, nie wieder auch nur schwach würde regen können ...
Sein außerirdisches Erbe.
Sein Vater, der Kimera Ha'gel, hatte ausgerechnet die Körper zweier Menschen, die loyale Taelon-Agenten waren, benutzt, um den Seinen einen letzten Dienst zu erweisen - einen Nachkommen in die Welt zu setzen ...
Und dann war er verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Alle behaupteten felsenfest, er sei tot - und sein Sohn mußte nicht nur ohne jegliche Hilfe dabei, die eigene kimerianische Seite zu verstehen, unter Menschen leben, sondern war durch das, was er da nicht nur nicht verstand, sondern schlicht nicht wahrhaben wollte, gezwungen, diese vor einer Übernahme durch die Taelon zu schützen ... durch die Taelon, deren Opfer vor so langer Zeit die Kimera geworden waren ...
Er, der kaum wußte, was es bedeutete, wirklich menschlich zu leben, führte den Widerstand der Menschen gegen die ‚Companions’ an, mitten in den Reihen der Feinde ... Eigentlich konnte man gar nicht absurder leben, als er es tat ... aber wie könnte auch jemand, der unter so absurden Umständen zur Welt gekommen war, ein ganz normales Leben führen?
Ein Energiewesen hatte den Körper eines seiner aktuell gefährlichsten Feinde benutzt, um ihn, Liam, im Leib eines weiblichen Menschen zu zeugen, der ihn innerhalb weniger Stunden austrug, im Geheimen gebar - und erst im Sterben erfuhr, daß er ...
Er war ein Mensch, wie sein Freund Augur, der Großindustrielle Jonathan Doors und dessen rechte Hand, Renée Palmer, die mit ihm zusammen den Widerstand führten - aber er hatte nichts von all dem gehabt bisher, was jedem beliebigen Menschen selbstverständlich zu sein schien - Eltern, Geschwister, eine Kindheit ... Seine außerirdischen Gene hatten dafür gesorgt, daß er, kaum auf der Welt, innerhalb von Stunden zu einem ausgewachsenen Mann wurde, im Vollbesitz des Wissens seiner drei Erzeuger, von dem das nichtmenschliche in seinem Innersten rumorte und ihn nicht zur Ruhe kommen ließ ... Dazu hatte sogar Shaqarava gehört, die innere Energie der Kimera und der Jaridian, letztere erbitterte Gegner der Taelon, weshalb diese die Menschen benötigten, um ... Auch das hatte er tief in sich verschlossen, mit eiserner Beherrschung ... es hatte sich einige Male, in Situationen höchster Gefahr, Bahn gebrochen, und er hatte - Leben damit gerettet, sogar das eines derer, die er so intensiv bekämpfte, das des Taelon Da'an, als dessen Beschützer er offiziell tätig war ...
Das war vorbei.
Im Augenblick wünschte er sich nichts sehnlicher, als daß die Taelon endlich verschwänden. Sie benutzten die Menschheit, so, wie diese Papiertaschentücher benutzte, für ihre eigenen, nicht wirklich durchschaubaren Zwecke, und was das an Leben kostete, hatte sie nie interessiert und würde sie auch nie interessieren ... Aber die Mehrheit der Rasse, der er selbst zu zwei Dritteln entstammte, schien immer noch an das wundervoll klingende Märchen zu glauben, das da hieß ‚Wir kommen in Frieden’ ...
Liam Kincaid drehte sich auf die Seite. Wenn er nur schlafen könnte ... erschöpft genug war er. In drei Stunden mußte er sich mit Augur treffen, es gab verschiedene geplante Aktionen zu koordinieren, und am nächsten Morgen mußte er seinen Dienst bei Da'an in der nordamerikanischen Taelon-Botschaft wieder antreten ...
Er war es leid.
Er war all dies so unendlich leid ...
Er wünschte sich eigentlich nichts anderes als - ein ganz normales Leben.
So, wie es augenscheinlich all die hatten, für die er hier kämpfte ...
Einen Job, bei dem er nicht ständig mit bleichen Wesen zusammen war, denen das Leben aller anderen Spezies ungefähr so viel bedeutete wie ihm die - die Kakerlaken, die hier ab und zu davon huschten, wenn ...
Eine - eine Familie ... Kinder ... Ein Haus ...
Ihm war nicht bewußt, daß seine Augen sich ganz langsam schlossen.
Ein Haus mit Garten, einem großen Garten ... wo auch ein Pool Platz hätte und eine Feuerstätte zum Grillen mit den Nachbarn ...
Eine Feuerstätte ...
Rauch stieg ihm in die Nase, und plötzlich war angenehme Wärme um ihn.
Wärme, die von den stetig brennenden orangefarbenen Flammen vor ihm ausging.
Flammen in einer riesigen steinernen Schale, die zwischen ihm und dem ungewöhnlichsten Geschöpf stand, dem er je begegnet war.
Und das er sofort als das erkannte, was es war - Atavus.
Obwohl es auch dafür ungewöhnlich aussah ...
Aus dem so typischen grob gezeichneten Gesicht schauten ihn sehr große, sanfte, ungewöhnlich klare Augen an, und die Haut dieses Wesens war nicht braun-grau, sondern hell türkisfarben. Es - nein, sie, dieses Geschöpf war weiblich, wußte er plötzlich, ohne daß er hätte sagen können, woher, war seltsam grazil für einen Atavus, und statt Armen hatte sie - Flossen, große, ebenfalls hell türkisene Flossen, an deren Ende sich allerdings je eine schmale, fünffingrige Hand befand ...
Sie schaute ihn an, freundlich, eindringlich.
Er schaute zurück, völlig fasziniert.
In diese unglaublichen Augen ...
In sternfunkendurchsetzte Schwärze.
„Erster des Widerstandes der Verletzlichen, Träger der Signatur des verschwundenen Volkes”, sprach - nein, sang - sie ihn an, dabei durch die Flammen hindurch eine Hand nach ihm ausstreckend und sanft sein Gesicht berührend.
„Wisse, in Eurem Kampf habt Ihr Beistand ... Achte auf das Zeichen, Kimera ... das Zeichen ...”
Sie zog die Hand wieder zurück, und er fühlte Kühle und Feuchte dort, wo sie ihn berührt hatte.
Im gleichen Moment flammte das Feuer hoch auf, und ihn durchfuhr ein Ruck.
Jetzt hatte er doch geschlafen ... Und sehr seltsam geträumt, stellte er fest. Dieses Wesen ... Diese faszinierenden Augen ...
Angenehm ... Das war so angenehm gewesen ...
Seine Unruhe, sein Ärger und Überdruß waren verflogen, er war ruhig, entspannt und klar im Kopf ...
Seine linke Wange fühlte sich feucht an, und er berührte sie mit den Fingerspitzen.
Tatsächlich - da war eine Spur Nässe.
Er hätte nicht sagen können, welcher Impuls ihn veranlaßte, diese mit der Zunge zu prüfen.
Salzig ...
Er konnte sich nicht erinnern, je im Schlaf - geweint zu haben ...
Und er fühlte sich nicht traurig, im Gegenteil.
„In Eurem Kampf habt Ihr Beistand ...”
Selten hatte er etwas so - Wohltuendes? Tröstendes? gehört ...
Schrilles Piepsen unterbrach seine Gedanken - sein Global, das allgegenwärtige Kommunikationsgerät, dessen Weckfunktion er vorsorglich auf diesen Zeitpunkt programmiert hatte.
Er schaltete es ab.
In einer halben Stunde mußte er bei Augur sein.
„Achte auf das Zeichen ... das Zeichen ...”
Was mochte damit gemeint sein?

 

Ende von Kapitel 3

 

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