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  „Weite Wege” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Dezember 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Willkommen / Pläne
Zeitpunkt:  ab kurz vor dem Ende der dritten Staffel
Charaktere:  Da'an, die Urältesten des Wasser-, Erd-, Wind- und Feuervolkes, Shainshiyee, Selkara, Vorjak
 

 

WEITE WEGE

AUFBRUCH

 

Kapitel 1

 

Da'an hatte sich in sein Quartier auf dem Mutterschiff hoch über der Erde begeben und sich auf der Vorrichtung ausgestreckt, die Seinesgleichen in Abständen mit der lebensnotwendigen Grundenergie versorgte.
Er hatte das bis zum letzten Moment hinausgezögert, denn im Gegensatz zu früher war es nicht mehr nur erfüllend und regenerierend, sondern barg - zumindest für ihn - Schrecken ...
Schrecken, den er seit langer Zeit überwunden zu haben glaubte, der jedoch, seit der Abtrennung, unbarmherzig wieder präsent war, nicht jedes Mal, aber mit zunehmender Häufigkeit ...
Der Taelon fühlte sich erschöpft, ersehnte die Regeneration und flehte stumm darum, dieses Mal verschont zu bleiben, verschont von diesem Anblick, verschont von der zornerfüllten Stimme ...
Er ließ seine menschenähnliche Fassade verschwinden, hob die rechte Hand und löste mit einer Geste den konstanten Energiestrom aus, den die Vorrichtung jetzt für die nächsten sechs Stunden zur Verfügung stellen würde.
Wie viele Dinge er übernommen hatte von den Menschen, ganz bewußt, in der Hoffnung, die Rätsel, die diese Rasse barg, rascher lösen zu können - nur, was man wirklich verstanden hatte, konnte man wirklich nutzen, das hatte lange Erfahrung die Seinen gelehrt ... Sich mit ihrer Zeitrechnung zu beschäftigen, hatte ihn allerdings lediglich einmal mehr wissen lassen, wie fahrig, hektisch und unpräzise derart kurzlebige Geschöpfe funktionierten, unfähig, in eigenen Belangen übergeordneten Zusammenhängen zu denken und zu handeln.
Er gestattete sich, sich der Energie, die ihn umfloß, zu öffnen und schließlich die eigene Gestalt ganz in sie hinein aufzugeben. Gleichzeitig öffnete er sein Bewußtsein für das Gemeinwesen - für das, was davon übrig war.
Die Trennung war die einzig richtige Entscheidung gewesen, auch wenn sie den mentalen Verbund - nein, präzise ausgedrückt, die Anzahl der Seinen - so drastisch reduziert hatte - reduziert auf die letzten wirklichen Taelon, die letzten, die dem Weg der Vollkommenheit folgten, anstatt ...
„Lügner”, flüsterte die Stimme, am Rande seines Bewußtseins. „Der Lügner und seine Illusionen ...”
Er wandte sich in die Richtung, aus der das Wispern kam, aber da war niemand, nur graue Ödnis.
Er wollte das nicht mehr, wollte der Begegnung entgehen, die ihm jetzt einmal mehr bevorstand, drehte sich abrupt um, der Stimme den Rücken zuwendend, und schritt energisch aus, weg, nur weg davon ...
Um am Rande einer glatten steinernen Ebene anzukommen, über der sich ein leerer grauer Himmel zu wölben schien.
Aus der Leere löste sich eine groß gewachsene Gestalt, deren Umrisse und Gesichtszüge nicht ganz deutlich waren, kam auf ihn zu und blieb in einiger Entfernung ihm gegenüber stehen.
Nicht, wie sonst immer, hoch aufgerichtet und mit flammenden Handflächen, ihn mit ihrer Energie ebenso versengend wie mit dem grenzenlosen Zorn, den sie ausstrahlte.
Die sonst so kraftvolle Wesenheit wirkte nur müde - eigentlich genau so erschöpft wie er selbst. Und sie schaute ihn an.
Er schaute zurück, verunsichert.
Die Gestalt setzte sich wieder in Bewegung und kam auf ihn zu, und er erkannte erstmals die erhabenen Muster, die in Streifen ihr Gesicht, den Hals und die Hände zeichneten - und aus seiner Verwirrung wurde Widerwillen und schließlich Abscheu.
Hinter der sich Furcht nur schlecht verbarg ...
Auf der Ebene, auf der er sich befand - wo und was immer das sein mochte - nahm der Taelon seine Energie zusammen und formte seine Fassade neu, Verachtung in seine Züge legend.
Sein Gegenüber musterte ihn.
„Umrathma ... Wie lange willst Du Dir noch etwas vormachen?”

 
* * *
 

Sie kämpfte sich weiter den Stamm hoch, Flügellänge um Flügellänge, glühend, atemlos. Sie hatte die Krone des mächtigen Ph'taal bald erreicht, mehr als fünfzig Längen konnten es nicht mehr sein. Das Glühendheiße in ihr ließ sie nicht zur Ruhe kommen, verbunden mit der grenzenlosen Sehnsucht, die ihr beinahe den winzigen Brustkasten sprengte - die Sehnsucht nach ...
Nach weichem, dichtem Fell, an das man sich klammern konnte, nach unvorstellbar großen Flügeln, zwischen denen man geborgen war, nach vollen, warmen Stimmen, deren Gesang einen einhüllte, nach etwas, in dem das gleiche Glühen spürbar wäre wie in ihr selbst, nach ...
Nach Berührung, nach Kontakt, nach Kontakt mit Ihresgleichen ...
Sie spürte den Ph'taal, sie spürte all das Lebendige, Schützende um sich herum, aber nichts davon war Windvolk oder - oder Jaridian ... Das, was sie jetzt so sehr brauchte, daß sie wußte, sie ginge in den Abschied, bekäme sie es nicht, war über ihr, in der Krone, war dort, wo der Windvolk-Stamm lebte, dem sie sich anschließen wollte - und war in dem Fernen, das sich so anders anfühlte als alles, was von der stammte, die sie trug.
Oben, sie mußte nach oben, immer weiter hoch ...
Sie kämpfte verzweifelt um jede weitere Länge. Ihre winzigen Flügel schmerzten längst von der Anstrengung, und zwei Mal hätte sie beinahe den Halt verloren, weil sie Beine und Krallenfüße nicht mehr spürte, aber sie mußte weiter ... höher ...
Das durch das Blätterdach des Ph'taal vielfach gebrochene silbrige Mondlicht schützte sie nicht vor den Kaumbewußten, die in der Dunkelphase unterwegs waren auf der Suche nach Nahrung - allein deshalb durfte sie sich schon nicht einfach mit allen Krallen in die Rinde haken und ausruhen.
Sie wollte gar nicht ausruhen, sie wollte nach oben, nach oben in die Krone ...
Und plötzlich griff ihre tastende Flügelhand ins Leere - der Stamm hatte sich urplötzlich geteilt, und sie zog sich über den flachen Wulst, der dadurch entstanden war, auf die Fläche, die sich jetzt vor ihr erstreckte und von der unzählige Äste ausgingen, sich in die Höhe und Ferne scheinbar verlierend. Ein Stück weiter ragte etwas Riesiges vor ihr auf, das - das aus einer Unmenge dünner, zum Teil miteinander verflochtener Zweige zu bestehen schien.
Und von dort erklang - Gesang. Sehr leise und dünn, aber eindeutig Gesang.
Sie stolperte darauf zu, schlug die Krallen ihrer Flügelhände hinein und mußte sich erneut hochkämpfen ...
Allerdings war das hier leichter zu erklettern, und sie hatte keine Angst mehr, abzustürzen. Sie würde nicht im Zwischenholz oder gar auf dem Waldboden landen, sondern nur wieder vor dem Aufragenden, an dem sie hier hing.
Weiter, weiter nach oben ...
Kein Atem, keine Stimme, nur Hitze ...
Und wieder griff sie ins Leere, zog sich über einen Rand - und verlor den Halt. Das Weiche, worauf sie landete, bot ihr kaum Widerstand, der ihren Fall hätte bremsen können. Sie kugelte darüber und stieß unsanft an etwas Großes, ebenfalls Weiches, das nicht nachgab.
Etwas Großes, Weiches, das - sang.
Hätte sie noch Stimme gehabt, hätte auch sie jetzt losgesungen - losgesungen vor schierer Begeisterung. Sie hatte es geschafft ...
Das Große, Singende war - eine Ausgewachsene. Nicht ihrer Völker, das fühlte sie, obwohl da etwas in Resonanz ging, aber eine Ausgewachsene.
Ausgewachsene hockten auf Mitte-Lagern in Ph'taalkronen, hatten Baum und Zwischenholz sie gelehrt.
Sie hatte die Krone ihres zukünftigen Wohnbaumes, den Platz ihres Stammes, ihres Schwarms, erstiegen ...

 
* * *
 

Die Ausgewachsene wurde sich der kleinen glühenden Berührung an ihrem unteren Rücken bewußt und spürte dorthin, voller Überraschung. „Das kann doch gar nicht sein ...”
Sie wandte sich vorsichtig um, und die Winzigkleine fühlte sich von zwei großen, rauhen Händen behutsam hochgehoben, sehr hoch. Ihr gegenüber war jetzt ein grob gezeichnetes, faltiges Gesicht mit tief eingesunkenen dunklen Augen, die erst in ihre eigenen und dann durch sie hindurch schauten.
Plötzlich war all das fort, und die Nichtflügge schwebte in kalter schwarzer Leere, in der ferne Lichtfunken Muster zu bilden schienen.
„Shainshiyee ...” nannte die, die sie hielt, sie bei dem Namen, den sie trug, seit sie sich erinnern konnte.
Flammendheiß war um sie, Eigenes und Fremdes, dann kältestes Blau, und sie selbst war nur noch Angst.
„Shainshiyee ... Sie muß durch Feuer und Gefrorenes, und wenn sie die Ihren verläßt, muß sie singen von Abschied, Neuwerden und Wiederkehr ...”
Abschied? Jetzt? Ohne all das gespürt zu haben, wonach sie sich sehnte, seit sie durch die zweite Verwandlung gegangen war?
„Wegälteste?”
Ein Ruck ging durch die Winzige und die, die ihr gesungen hatte, und Feuer, Blau und lichtfunkendurchsetzte Schwärze wichen dem groben Gesicht mit dem jetzt erschrockenen Ausdruck.
„Es tut mir leid ... Arme Kleine, es tut mir leid ... Ich wollte Dir keine Angst machen - es ist das Alter, das einen so durchlässig macht, ich kann das Schauen nicht mehr richtig kontrollieren ...”
Die, die sie hielt - die Urälteste derer auf dem Weg, hatte die Winzige über diesen ersten Kontakt aufgefangen, ohne wirklich zu verstehen, was das bedeutete - wandte sich an die Ausgewachsene, die neben ihr hockte. „Aveena, schau ... es ist eines von Euren ...”
Eine - eine Ausgewachsene mit Flügeln, mit unvorstellbar großen Flügeln und einem markanten Schnabel, die der Feuervolk-Urältesten die Flügelhände entgegenstreckte und strahlte beim Anblick dessen, was diese ihr da hinein gab ...
„Großer Ph'taal, das erste Nichtflügge ... Aber das ist doch über eine halbe Mondphase zu früh, der Grüne ist ja nicht einmal als Schimmer sichtbar ...” Darunter klang etwas, das einfach nur gut tat, und plötzlich wurde es hell in der Winzigen, hell und weit.
Aveena drückte das kleine Geschöpf liebevoll an sich. „Willkommen ... Willkommen, Winziges, willkommen, Shainshiyee, in unserem Stamm. Ab jetzt gehörst Du dazu, egal, wie weit entfernt Du von uns sein magst ...”

Shainshiyee lag im Halt der Urältesten eines der beiden Völker, denen sie entstammte, und lauschte und fühlte und schaute ... Normalerweise waren viel, viel mehr der Ihren hier oben, aber diese hielten sich in dieser Phase eines Umlaufzyklus meistens am Strand auf, auch in der Dunkelheit. Die Urältesten der vier Völker hatten miteinander singen wollen, und Aveena hatte ihren Wohnbaum als Treffpunkt angeboten, weil die Ruhe einfach gut tun und die Konzentration fördern würde ... Den aus den Tiefen hatten zwei der Ihren mit einem Geschirr hergebracht, etwas, in dem sie selbst demnächst auch transportiert werden würde, solange sie noch nicht fliegen konnte.
Die Vorstellung, ganz dicht in jemandes Fell gedrückt in die Luft aufzusteigen, steigerte ihre unbändige Freude und damit die Hitze, die sie abstrahlte, so sehr, daß sie Anlaß zur Besorgnis wurde für die Ausgewachsenen, deren Tiefensinne sich öffneten.
„Ist es in Ordnung, wenn wir Dich so wahrnehmen?” wurde sie gefragt und antwortete voller Begeisterung: „Ja ...” Es war ihr egal, was sie von ihr wollten oder was sie tun mußte, das einzige, was zählte, war, daß sie jetzt dazu gehörte.
„Du brauchst gar nichts zu tun. Wir freuen uns so sehr, daß Du da bist ...”
Das Hellgoldene, Angenehme, Weitmachende war immer noch da, und Shainshiyee lernte über die Berührung, daß das die Energie derer ihres Volkes war, die da mit ihr geteilt wurde, auf das es ihr gut gehe ... Sie antwortete, indem sie ihre eigene Energie, die sonnenhell und weiß-violett war, genau so strömen ließ, wie es die Ausgewachsene tat, aber zu den Großen hin - auch diesen sollte es gut gehen, unbedingt, genau so gut wie ihr ...
„Nein.” Die, an deren Brustkasten sie ruhte, tat etwas, das ihr dünnes Strömen unterbrach. „Das ist sehr angenehm, aber das darfst Du noch nicht - Dein System benötigt alle Energie, die Du aufbringst, für sich selbst, bis Du ausgewachsen bist. Du darfst nichts anderes tun bis dahin, als zu wachsen und zu lernen.”
Und dann wurde sie nicht nur von außen berührt ... Es war, als durchstreiften die Großen ihr System rasch und behutsam auf allen Ebenen, und danach war erst einmal wieder Besorgnis in ihnen.
„Sie ist ebenso Jaridian wie Windvolk, und sie hat Ramaz' Krankheit. Das erklärt den desolaten Zustand, in dem sie hier angekommen ist, ebenso wie die Tatsache, daß sie überhaupt schon hier ist ... Sie braucht unbedingt Wasser und Nahrung, und wir müssen ihre Körpertemperatur herunter bekommen. Sie hat in der Hälfte ihrer Zellen keine Ordnung mehr ...”
In der Weg-Urältesten war wieder das Bild der Nichtflüggen, umgeben von Feuer, und das Wort ‚Abschied’ - und diese löste sich aus der Berührung. „Es tut mir leid ...”
Dieses Mal war der Winzigen das gleichgültig.
Sie hatte geteilt ... Sie hatte eine andere ihres Stammes berührt, zumindest eine ...
Wenn sie sich jetzt würde verabschieden müssen - das war es wert gewesen.
Ihr fielen die Augen zu, und vor Erschöpfung war jetzt sogar das Atmen mühsam.

 
* * *
 

In ihrer Unterkunft im Gebäude des Hauptkommandos auf Jaridia schreckte Shainshiyee hoch aus dem dunklen Sog, in den sie im Traum geraten war, und rang nach Luft. Warum hatte sie, ausgerechnet jetzt, nach so langer Zeit, wieder von ihrer Ankunft in der Krone geträumt -von dem Kampf, den sie das gekostet hatte?
Weil sie Angst hatte.
Angst davor, zu versagen.
Angst davor, den Einsatz scheitern zu lassen, zu dem sie in der übernächsten Hellphase, gerechnet nach jaridianischer Zeit, aufzubrechen hatte und von dem so viel abhing ... Sie griff nach dem aufklappbaren Gerät neben dem Mitte-Lager, das sie sich normalerweise mit denen teilte, denen sie durch die gemeinsame Ausbildungszeit und etliche Umlaufzyklen zusammen absolvierter Einsätze inzwischen tief verbunden war, und konsultierte es. Noch acht Einheiten bis zur letzten Besprechung vor ihrem Aufbruch, der Rest der bevorstehenden Hellphase war für ihre persönlichen Vorbereitungen und den Abschied von den Anderen geplant.
Abschied ... Es war nicht der Gedanke daran, daß dieser Einsatz in den Abschied führen konnte, der sie sich fürchten ließ, wie sie sich selten gefürchtet hatte - es war die Vorstellung, er könne mißlingen. Vorjak hatte dieser Idee eine einzige Chance gegeben, und das auch nur, weil sie sich bereit erklärt hatte, sie allein umzusetzen ...
Sie hockte da und starrte ins Dunkle. Wo blieb Selkara, die immerhin auch schon seit zwei Einheiten Dienstschluß haben mußte? Sie wollte jetzt nicht allein sein, nicht ohne Kontakt ... Dunkars Schicht lag im Moment versetzt zu der ihren, er arbeitete in der medizinischen Station des Hauptkommandos, und mit Sivora hatte sie die gesamte Hell - und beginnende Dunkelphase abzüglich der letzten beiden Einheiten verbracht - die Vereinte war schließlich genau so erschöpft gewesen wie Shainshiyee. Sie hatte darauf bestanden, die Arbeit zu beenden, und sich daraufhin zu den wenigen Ihresgleichen verfügt. Aber Selkara hätte eigentlich hier sein müssen ...

 
* * *
 

Selkara, die Einzige, die bisher aus dem Neuweben einer Wasservolk-Angehörigen und eines derer auf dem Weg hervorgegangen war, wanderte unzufrieden im Gang vor Vorjaks Empfangsraum auf und ab. Der Anführer Jaridias hatte noch immer den Planeten-Ersten der zukünftigen Zentralwelt des Imperiums, welche das Hauptkommando aufnehmen würde, wenn Jaridia selbst sich verabschiedet hatte, da drinnen ...
Eigentlich sollte sie dankbar sein, daß der Erste ihr überhaupt Zeit gewährt hatte, mit ihm zu sprechen, aber in ihr war Zorn auf ihn - Zorn darüber, daß er Shainshiyee so unter Druck gesetzt hatte, daß sie die geplante Aktion bezüglich des Mutterschiffes der Taelon, das sich im Orbit um den Planeten der Verletzlichen befand seit einigen Umlaufzyklen, jetzt allein durchführen würde anstatt, wie ursprünglich geplant, gemeinsam in bewährter Form mit ihr, Dunkar und Sivora zusammen ... Sie dachte mit Entsetzen daran, was geschehen war, als Sha das letzte Mal auf sich allein gestellt war, und schalt sich gleichzeitig dafür, jetzt Vorjak daran die Schuld zu geben.
Die Vorstellung, die, mit der sie so viel geteilt hatte, einmal mehr in einem Stasis-Behältnis aus einem Shuttle ausgeladen werden zu sehen, einmal mehr in skeptische Heiler-Gesichter schauen zu müssen und den Satz zu hören ‚wir wissen nicht, ob es gelingen wird - wir können es nur tun und abwarten, ob sie es schafft ...’, war ihr so widerwärtig, daß sie sie schließlich energisch beiseite schob und sich statt dessen auf den Jaridian konzentrierte, den es zu überzeugen galt.
Vorjak war, wenn sie die Aufzeichnungen über die jüngste Vergangenheit Jaridias bedachte, einer der schwierigsten Anführer, die je dem Imperium gedient hatten ... Gebunden, wie alle vor ihm, durch das Gesetz des damaligen Ersten, der die Neuen Wege etabliert hatte, gab es für ihn keinerlei Möglichkeiten, die Bemühungen um Frieden mit den Taelon zu verhindern, was er eigentlich ja auch gar nicht wollte - schon deshalb nicht, weil die Rettung gleich dreier Rassen von seiner Heimatwelt - die Jaridian, die Dindaei und die Sechsgliedrigen - eigentlich alle Ressourcen des Imperiums brauchte. Er hatte weder etwas gegen Verhandlungen mit dem Feind noch gegen die inzwischen fest etablierten und fast verlustfreien neuen Kampfstrategien - aber ...
Aber er glaubte im Grunde nicht wirklich daran.
Etwas in ihm schien ihm ständig zu raten, sich allein darauf niemals zu verlassen, nicht nach Äonen des Krieges, in dem es so oft grausam fatal enttäuschte Hoffnung gegeben hatte ... Selkara wußte aus den Feuern und aus den Tiefen, in denen Zeiten und Dimensionen sich öffneten, daß Vorjak längst über Pläne verfügte, die es ihm, wie er glaubte, ermöglichen würden, die Taelon endgültig zu schlagen, sollte aus irgendeinem Grund die einige Generationen nach dem damaligen Ersten jetzt deutliche Erfolge zeitigende neue Taktik, die Neuen Wege, doch noch scheitern ...
Sie strich sich geistesabwesend über die linke Flosse, die erste Trockenheitsrisse aufwies. Eine der Wachen vor Vorjaks Raum bot ihr an, ihr Wasser besorgen zu lassen, aber in dem Moment öffnete sich die Tür, und der Planeten-Erste der zukünftigen Zentralwelt, ein sehr großer Jaridian mit einer enormen Menge Rangabzeichen auf seiner Bekleidung, trat heraus, mit zufriedenem Gesichtsausdruck. Er strahlte die sehr hell blau-grünhäutige Angehörige eines verbündeten Volkes an und verschwand den Gang hinunter, und die zweite Türwache signalisierte Selkara, sie könne jetzt zum Anführer vor.
Sie straffte sich und durchschritt den Eingang, der sofort hinter ihr geschlossen wurde. Und als ihr Blick auf den Ersten Jaridias fiel, war all ihr Zorn verraucht.
Vorjak sah genau so erschöpft aus wie Shainshiyee, als sie diese zuletzt gesehen hatte. Er saß da, auf die Arbeitsfläche vor sich gestützt, die überquoll von Geräten und Datenkristallen, und schaute sie an, ohne sie wirklich zu sehen. Sie hatte ihm die schmalen Hände mit der typischen Zeichnung der Feuervolk-Angehörigen, über die sie statt der biegsamen Flossenspitzen der Wasserbewohnenden verfügte, zum Kontakt hingestreckt, bevor ihr einfiel, daß der Anführer niemals einen der vier Völker berührte oder sich berühren ließ. „Es tut mir leid ...”
Dieser warf einen flüchtigen Blick darauf und lehnte sich dann auf seinem Sitz zurück, dadurch noch mehr Distanz schaffend. „Du wolltest mit mir sprechen?”
„Ja. Es geht noch einmal um den Mutterschiff-Einsatz. Vorjak, ich bitte Dich aus dem Tiefsten darum, daß Du uns vier - Dunkar, Sivora, Shainshiyee und mich - ihn gemeinsam absolvieren läßt. Du hast immer wieder gesagt, Sha gehöre zu den leistungsfähigsten Kämpfenden, über die die Allianz verfügt - Du kannst das Risiko nicht eingehen, sie zu verlieren! Und Du kannst nicht riskieren, Torvak gegen Dich aufzubringen, dem sie unmittelbar unterstellt ist - sie ist schließlich ...”
Der Blick, mit dem der Anführer sie musterte, verwirrte sie, so daß sie sich unterbrach, so viel Unwillen und Gereiztheit lag darin - die Gereiztheit eines Wesens, das viel zu lange schon viel zu schwer trug ... Ihre Reflexe reagierten auf das, was sie wahrnahm, und ihre sanfte blaugrüne und weiße Energie begann ihm zuzufließen, durch die Arbeitsfläche, die sie im Moment beide berührten.
„Laß das”, wies er sie an, obwohl er sich etwas entspannt hatte dadurch. „Es ist nicht nötig, daß Du Dich meinetwegen verausgabst ...”
Er erhob sich von seinem Sitz und schaute ihr in die Augen. „Selkara, hör mir zu - Ihr Vier zählt, was die Euren angeht, tatsächlich zu den Leistungsfähigsten, die sich je dem Imperium beziehungsweise der Allianz zur Verfügung gestellt haben. Ich erwarte von Dir, daß Du einfach akzeptierst - auch, wenn Du es nicht verstehst - daß ich nicht vier der Fähigsten schicke, wenn eine genügt.”
Es war kein Zorn in ihm gegen sie, spürte sie - im Gegenteil. Er hatte den Plan, das Mutterschiff oder besser die Schiffswesenheit oder Im-Raum-Bergende, ohne Wissen derer, die sie beherbergte, aufzusuchen und sie zu überzeugen, sich in die Hände der Jaridian zu begeben, von Anfang an mißbilligt, obwohl er hatte einsehen müssen, daß dies bezüglich der Synode, das hieß, der Führenden der Taelon, die den größten Teil der Besatzung dieses Geschöpfes stellten, die Idee war, die die wenigsten - im besten Fall nämlich gar keine - Verluste versprach, im schlimmsten Fall aber, aus Selkaras Sicht gesehen, den eines Wesens, dessen Abschied sie ...
„Vorjak, versteh' doch bitte - wie viele Aktionen sind überhaupt nur gelungen, weil wir vier ...”
„Selkara, das reicht - Shainshiyee geht allein, und wenn sie scheitert, treten meine Pläne in Kraft, und das ist mein letztes Wort dazu.”
Der Erste hatte die Stimme deutlich erhoben.
„Jaridia profitiert von Euch, keine Frage - und das honorieren wir, das weißt Du. Aber die Entscheidungen treffe immer noch ich, und mir müssen die Belange Aller wichtiger sein als die Einzelner.”
Sie spürte die tiefe Angst hinter seinen Worten, auch ohne ihn direkt zu berühren.
Vorjak kämpfte gegen die Zeit, gegen die Zeit, die seine sich verabschiedende Welt ihm nicht mehr lassen konnte, um die Seinen zu retten ... Abgesehen davon stand die Großoffensive gegen die Besatzer des ursprünglichen Zhawi-Heimatplaneten unmittelbar bevor, die alles andere als einfach werden würde, weshalb sie, Selkara, schon seit langem mit dafür abgestellt war, als Überwachende und Koordinierende durch Zeiten und Dimensionen ...
So viel hing von dem ab, was in der kommenden Zeit zu bewältigen war.
Sie konnte nicht zornig sein auf den Ersten.
Wenn jemandem der Mutterschiff-Einsatz gelingen konnte, dann Sha - die mehr als nur einmal ihre Kontakt- und Bewußtseinsarbeitskompetenz ebenso unter Beweis gestellt hatte wie ihre grenzenlose Sturheit ...
Selkara atmete tief auf. „Ich habe verstanden”, ließ sie Vorjak wissen. „Hab' Dank für Deine Zeit.”
Der Jaridian vollführte eine merkwürdige Geste. „Es tut mir leid”, sagte er. „Ich kann die Zeiten auch nicht ändern.”
„Niemand kann die Gezeiten ändern”, antwortete sie. „Wir können nur mitfließen ...”

 

Ende von Kapitel 1

 

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