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  „Heiligabend” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Februar 2004
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  In schwieriger Zeit erlebt Lili etwas Besonderes
Zeitpunkt:  vierte Staffel, nach ‚Forge of Creation’
Charaktere:  Lili Marquette, Ariel (Vorjak)
 
Anmerkung:  Dieser Text wurde als Teil des Adventskalenders 2003 geschrieben.
 

 

HEILIGABEND

 

Lili Marquette, SI-Kriegsveteranin, gestandene Kämpferin im Widerstand der Menschen gegen die Taelon und Gefährtin Vorjaks, des Anführers des jaridianischen Imperiums, saß in dessen und ihrem beinahe leer geräumten Quartier im Gebäude des Hauptkommandos auf dem Boden neben ihrer Tochter und betrachtete sie. Die Kleine lag unbekleidet auf ihrer kühlenden Spezialunterlage und schlief.
Lili empfand Bitterkeit - beinahe so intensiv wie damals in dem Shuttle, in das sie gesperrt worden war und das sie, die erfahrene Pilotin, nicht einmal ansatzweise hatte steuern können - es hatte sie unbarmherzig einem ungewissen Schicksal entgegen geflogen ...
Einem Schicksal, das sie nicht nur akzeptiert, sondern letztendlich in die Arme geschlossen hatte in der Gestalt Vorjaks, den sie noch nie so sehr vermißt hatte wie gerade jetzt.
Ihr Gefährte war einmal mehr für das Wohl des Imperiums unterwegs - nicht einmal heute, an diesem besonderen Tag, konnte er bei seiner Familie bleiben, obwohl er es ihr versprochen hatte - und Jaridian standen eigentlich zu ihren Versprechen. Aber da war eine ganze Kolonie in Not geraten, ein kleiner Planet voller Ausgewachsener und ihrer Nachkommenschaft, die auf ihre eigene Weise genau so intensiv miteinander verbunden waren wie Menschenfamilien, und wer war sie, Lili Marquette, daß sie das Wohl ihrer kleinen Familie über das anderer stellen durfte, ausgerechnet an diesem besonderen Tag?
Nicht, daß Vorjak oder einem der Seinen Heiligabend irgend etwas bedeutete. Aber der Erste Jaridias hatte verstanden, daß für sie etwas Besonderes daran war, weil - weil es - ein Erden-Feiertag war, für viele Menschen sogar der wichtigste - und hatte alle Vorkehrungen getroffen, um, wenn es so weit war, bei ihr und ihrer gemeinsamen Tochter zu sein.
Mit diesem Notruf hatte wirklich niemand rechnen können.
Die Kleine auf ihrer besonderen Matratze regte sich und gab ein leises Geräusch von sich, und Lilis abgewanderte Aufmerksamkeit richtete sich erneut auf sie.
Ariel ...
Was für eine Last hatte das Schicksal ihrer dürren kleinen Tochter aufgebürdet, und wie sollte ausgerechnet sie, Lili, sie darauf vorbereiten?
Retterin des Imperiums ...
Lili hielt sich nicht für einen besonders religiösen Menschen. Dennoch schienen ihr augenblicklich die Parallelen zwischen ihrer Kleinen und einem anderen, nach den traditionellen Überlieferungen des Kulturkreises, dem sie entstammte, vor über zweitausend Jahren zu diesem Datum geborenen Kind geradezu unheimlich ...

Gut, Ariel war kein Neugeborenes mehr, sie war bereits einige Wochen alt - aber wie damals auf dem Jesuskind, das in einem spirituellen Sinn Retter der Menschheit werden sollte, ruhte auf ihr die Hoffnung für ein ganzes Imperium. Ariel sollte die Jaridian retten, und das sehr viel konkreter, als die Menschen das von Jesus erwarteten - sie sollte sie vor dem Aussterben bewahren.
Ihre magere, fiebrige Tochter, von der sie nicht einmal wußte, ob sie überhaupt ihren ersten Geburtstag erleben würde ... Sie war erheblich zu groß für ihr Alter, sie reifte überhaupt viel zu schnell, nicht nur für einen menschlichen Säugling, was mit ihrem beschleunigten Stoffwechsel zu tun hatte, den sie von Vorjak geerbt hatte.
Und den das, was ihre Mutter ihr mitgegeben hatte, heilen sollte ...
Gelänge dies, hätte Ariel das Volk, dem sie zur Hälfte angehörte, nach Vorjaks Worten vor dem Untergang bewahrt.
Weil sie der lebendige Beweis wäre, daß eine dauerhafte Verbindung zwischen den Jaridian und den Menschen ...
Sie selbst, Lili Marquette, hatte sich damit abfinden müssen, daß sie ihr nicht helfen konnte dabei - so, wie Maria, die Mutter Jesu, diesem seinen Weg nicht hatte erleichtern können. Ariel lag da ganz allein - so allein, wie damals der Menschensohn ...
Nein, schalt sie sich - das war jetzt Unsinn. Dieser Religionsstifter hatte sich, aus welchen Gründen auch immer, widerstandslos ans Kreuz nageln lassen, aber ihre Tochter kämpfte, kämpfte mit der Tapferkeit einer Jaridian, in jeder und um jede Sekunde ihres Daseins ...
Vorjak hatte Lili immer wieder wissen lassen, er hätte für Ariel keine geeignetere und liebevollere Trägerin und Ins-Leben-Gebende finden können als sie. Er habe niemals vermutet, daß Menschen nicht nur ähnlich, sondern mit der gleichen Tiefe und Intensität fühlen würden wie sein Volk, und das, was Lili für ihrer beider Tochter hätte, würde zu deren Überlebenschancen mehr beitragen als jede Genetik ...
Nichtsdestotrotz hatte sie jetzt, in diesen Stunden, das Gefühl, sie wäre die schlechteste Mutter, die je ein Kind gehabt hatte.
Sie war ja nicht einmal imstande, Ariel zu ernähren ...
Was ihr Leib zu geben hatte, reichte weder von der Menge noch vom Gehalt; ihre Tochter wäre auf dem Rückweg von der Erde, wo sie sie unter entsetzlichen Umständen zur Welt gebracht hatte, beinahe verhungert. Sie bekam inzwischen die flüssige Spezialnahrung, mit der die Jaridian-Jüngsten aufgezogen wurden, zusätzlich zu dem, was Lili für sie hatte - nein, es war umgekehrt, sie zu stillen, war das, was ihren Bedürfnissen als Auch-Mensch gerecht wurde, nicht aber ihrem physischen Hunger. Ihr krankhaft beschleunigter Stoffwechsel sorgte nicht nur für ihre überdurchschnittlich rasche Entwicklung, sondern forderte und forderte, und nie reichte das Angebotene - ihre Tochter war schuppige Haut und herausstehende Knochen, und allein dieser Anblick schmerzte, auch wenn Ariel bereits im Zimmer umher kroch, sich an allem hochzog, was standhielt und sogar schon erste unbeholfene Schritte, ganz ohne Hilfe ...

Wieder regte sich die Kleine, jetzt lag sie zusammengerollt auf der rechten Seite.
Hatte sie bei ihrer Geburt und die ersten zwei Wochen danach praktisch ausgesehen wie ein menschliches Baby, so verbarg inzwischen nichts mehr ihre gemischte Abstammung. Die wuscheligen schwarzen Haare, die sie mit auf die Welt gebracht hatte, waren ihr ausgegangen - was aber nichts heißen mußte, der Verlust des ersten Haars war auch bei Säuglingen rein menschlicher Abstammung keine Seltenheit. Gesichts- und Augenform waren die eines Menschen, die zarte grau-olivfarbene fleckig-streifige Hautzeichnung, die ihre Wangen und die Stirn betonten, eindeutig Jaridian ... Auch ihr knochiger Körper war davon bedeckt, allerdings waren dessen Konturen und Proportionen menschlich.
Daß sie nur sehr selten Windeln benötigt hätte, hätte ihre Mutter es denn gewagt, sie zu bekleiden, deutete darauf hin, daß bezüglich ihrer inneren Funktionen ihre jaridianische Seite dominierte, was Lili sehr viel Sorge bereitete.

Nicht einmal anziehen konnte sie dieses Kind ... Das Jesus-Baby war wenigstens in besagte Windeln gewickelt worden, aber kaum hüllte man ihre Tochter in das leichteste Stück Stoff, stieg ihre Körpertemperatur wieder an ... Vielleicht würde sie Kleidung, die aus dem selben Material wie ihre besondere Schlafstatt geschaffen war, tolerieren, wenn sie älter wäre - der einzige bisherige Versuch, sie in Derartiges hinein zu stecken, war an ihrer heftigen Gegenwehr gescheitert. Jaridianisches Temperament ...
Das Christkind hatte zumindest in einer Futterkrippe für Stallvieh gelegen - Lili konnte Ariel nicht einmal einen Schuhkarton oder eine Schublade bieten, geschweige denn ein anständiges Kinderbett, denn frühreif und agil, wie die Kleine war, wäre sie aus all dem zügig heraus gekrabbelt und nur verunglückt - da wäre auch ein Gitter, wie bei irdischen Betten für die Jüngsten, kein Hindernis gewesen. Aus Karton und Schublade wäre sie sowieso schneller herausgewachsen, als man sie hätte hinein betten können. Ja, dachte Lili bedrückt, der damalige zukünftige Messias hatte es besser getroffen als ihre Tochter. Für ihn waren Mutter und Ziehvater dagewesen, es waren zwar bedrängte Zeiten, wie hier und heute auf Jaridia auch, aber ...
Kein Notruf hatte Josef von den Seinen fort geholt - allerdings hatte Jesus, der biblischen Geschichte zufolge, seinen ‚leiblichen’ Vater auch nie um sich gehabt ... Für Ariel gab es aber keinen Vaterersatz, der Vorjaks überwiegende Abwesenheit ausgleichen konnte.
Maria und Josef hatten mit ihrem Kind diesem blutrünstigen König entkommen müssen, überstürzt und verzweifelt, so, wie Vorjak, sie und Ariel vor den Taelon hatten fliehen müssen. Und wie diese legendäre Familie mußte Lili mit ihrer Tochter bald einmal mehr aufbrechen - in einem der letzten Evakuierungsschiffe, die Jaridia für immer verlassen würden. Blieben sie, würde nicht irgendein blindwütiger eifersüchtiger Herrscher sie ins Verderben stürzen, sondern der Planet selbst. Jaridia war instabil, schon seit langem, und der Zeitpunkt der Implosion dieser mächtigen uralten Welt stand inzwischen fest, so genau, wie die Technologie ihrer Bewohner ihn hatte vorausberechnen können ...
Lili, Ariel und Vorjak würden Heimat finden auf der neuen Zentralwelt des Imperiums, einer der ersten Planeten, den es kolonisiert hatte.
Auch da hatte es die Familie dieses Menschenpropheten besser getroffen ... sie hatte ein festes Zuhause gehabt, in das sie, wenn auch nach enormen Wirren, schließlich hatte zurückkehren können.
Zurück ...
Zu Verwandten, Freunden, in eine vertraute Umgebung, vertraute Umstände und Gegebenheiten ...
Für sie, Lili, wäre alles neu.
Und nicht nur für sie ...
Dem Imperium stand ein Umbruch bevor, dessen Ausmaße nicht einmal Vorjak einzuschätzen vermochte. Schließlich war der Krieg gegen die Taelon so gut wie beendet ...
Nur das Schicksal ihres Volkes, der Menschen, war noch ungewiß. Ihr Gefährte hatte angedeutet, es gäbe in diesem Zusammenhang eine letzte Mission zu erfüllen ...
Lilis Bitterkeit schlug mit einem Mal um - in Angst.
In die Angst, die sie jedes Mal empfand, wenn Vorjak sie verließ, um seinem Volk zu dienen ...
Die Angst, ihn zu verlieren.
Nicht, daß ohne ihn ihr Leben keinen Sinn mehr hätte - zum einen brauchte Ariel sie, zum anderen gab es für sie ein ganzes Volk und Welt um Welt zu entdecken, was bisher die Umstände einfach nicht zugelassen hatten.
Nein, es ging um das Loch, das er ihr ins Herz riß, ginge er fort und käme nicht zurück ...

Die dunkelhaarige Frau schauderte heftig zusammen, und erst dadurch wurde ihr bewußt, daß sie sich vollkommen verkrampft hatte, so sehr, daß jeder einzelne Muskel schmerzte. Sie zwang sich, bewußt tief durchzuatmen, und streckte sich.
Das genügte weder, um den Schmerz zu vertreiben noch um ihre erschreckenden Gedanken los zu werden, also stand sie auf und begann, im Raum umher zu wandern.
Draußen war es inzwischen dunkel geworden - das hatte sie gar nicht bemerkt ...
Glitzern in einem der beiden großen Fenster, die tagsüber Licht hier herein ließen, erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie trat an die durchsichtige Fläche, die aussah und sich anfühlte wie Glas, ohne welches zu sein, und schaute hinaus.
Genau im Zentrum ihres Gesichtsfeldes überstrahlte am nachtschwarzen Himmel ein sehr heller Stern die anderen - die Sonne der neuen Zentralwelt des Imperiums.
Hinter ihr am Boden gab ihre Tochter einen wimmernden Laut von sich.
Lili wandte sich um.
Die Kleine war wach und gerade dabei, sich auf alle Viere aufzurichten.
Ihre Mutter begab sich zu ihr, nahm sie in die Arme und schaute ihr in die großen, im Hellen beinahe orangefarbenen Augen, die für einen Moment das Sternenlicht von draußen widerzuspiegeln schienen.
Eine Weile hielt sie ihre Tochter nur, dann fragte sie: „Was brauchst Du, Liebes?”
„Li ... Lili”, antwortete überraschend deren helle, etwas rauhe Stimme.

Die Angesprochene starrte ihr Kind an, als sähe sie es zum ersten Mal.
Angst und Bitterkeit waren nicht mehr spürbar, nur Staunen.
Wieder funkelte das Licht der Sonne ihres zukünftigen Zuhauses im Blick der Kleinen.

Ihre motorischen Fähigkeiten hatte Ariel so rasch entwickelt, daß man ihr dabei hatte zuschauen können, aber gesprochen ...
Gesprochen hatte sie bisher noch kein einziges Wort, nur gelacht, gejammert, gekiekst, gegluckst und manchmal verzweifelt oder zornig geschrien, wie es offenbar galaxisweit alle irgendwie humanoiden Säuglinge taten.
„Lili”, sagte ihr Töchterchen kläglich. „Lili. Durst.”
Lili Marquette brachte selbst keinen Ton heraus, vor Überraschung und Begeisterung, Statt dessen öffnete sie das Oberteil ihrer Bekleidung und rückte die Kleine in ihren Armen so zurecht, daß sie bequem trinken konnte.
Eine Weile betrachtete sie ihr zufrieden beschäftigtes Kind - ihre Tochter mit den Sternenaugen ... und sah plötzlich, ohne jede Ahnung, woher dieses Bild kam, eine sehr schlanke erwachsene Jaridian mit ungewöhnlich feinen Zügen, die ihr für eine solche erstaunlich üppiges dunkles Haar zu einer Art Kriegerzopf geflochten hatte. Sie stand vor einer großen Gruppe von - von Menschen und ...
Ariel zappelte in ihrem Griff. „Durst ...”
Lili half ihr, ihre Position zu verändern.
Sie war mit einem Mal von einem Gefühl der Ruhe und Sicherheit erfüllt.
„Wir werden es schaffen, Ariel. Wir schaffen es,” ließ sie die Kleine wissen.
Ihre Tochter würde leben.
Warum sie sich dessen plötzlich so sicher war, hätte sie niemandem erklären können.

In dem hohen Fenster funkelten die Sterne.
Ariel würde leben.

 

ENDE

 

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