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  „Entscheidung” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Dezember 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Earth: Final Conflict gehört Tribune Entertainment Co., Lost Script Prod. Inc., Atlantis Films und VOX. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Was die Synode wünscht / Weihnachtsbräuche / Fremde Augen sehen mehr
Zeitpunkt:  nach Ende der 5. Staffel
Charaktere:  Die Bergende, Ra'jel, Shainshiyee, Torvak, Renée Palmer, Sinyia, eine angehende Gesangshüterin und ein Männlicher des Erdvolkes, Liam Kincaid, Aveena (die Ungeborenen, andere Angehörige der vier Völker)
 
Anmerkung:  Diese Geschichte wurde als Teil des Adventskalenders 2002 geschrieben.
 

 

ENTSCHEIDUNG

Kapitel 4

 

Shainshiyee hatte Ra'jel auf der Brücke angetroffen, wo er stand, als habe er sich nicht gerührt, seit sie ihn verließ. Sie hatte ihn ohne ein Wort der Erklärung aufgefordert, mit zu kommen in die ‚Kammer der Ungeborenen’, wie er diese Leibeshöhle der Bergenden nannte, und er war ihr gefolgt ... Sie hatte die Hoffnung in seinem Blick gesehen ... Hoffnung und etwas wie - wie Gier ... die Gier der vielen in ihm ... und sie hatte gespürt, wie sich ihre Barriere maximal ausdehnte ...
Sie hatte den Taelon an die selbe Stelle geführt, an der sie selbst gestanden hatte bei ihrem Kontakt mit dem ersten Ungeborenen, das sie berührt hatte, und hatte Ra'jel aufgefordert, eine Hand auf die entsprechende Membran zu legen.
Dieser hatte das getan - und sie verständnislos angeschaut, während Hoffnung und Gier in ihm sich verstärkten und - Druck ausübten ...
Sie hatte ihre Barriere zusammengezogen, sich, dem Taelon und der Bergenden Wärme, Ruhe, Entspannen singend, und sehr behutsam die Hand Ra'jels in ihre linke Flügelhand genommen, während sie die rechte auf die Membran legte. „Fühle, Ra'jel, fühle ...”
Und dann waren zwei Dinge gleichzeitig geschehen.
In den Augen des Taelon dämmerten Erkenntnis und Entsetzen zugleich auf, als er wirklich spürte, was sich da im Inneren der Schiffswesenheit befand: lebendige Taelon-Nichtflügge, ganz neue winzige Wesen, ein jedes mit seinem ureigenen, besonderen Bewußtsein ... so ureigen und besonders wie er selbst ...
Und im selben Moment griff eine der in ihm ruhenden Präsenzen aus und versuchte, nach der Gestalt hinter der Membran zu fassen.
Grün/Steinhart versperrte den Weg, umgeben von züngelnden weiß-violetten Flammen.
Weiterer Versuch würde loderndes Feuer auslösen ...
Ra'jel hockte am Boden, sich mit beiden Händen den Kopf haltend, die Fassade halb aufgelöst.
Sha hockte am Boden, sich mit beiden Händen den Kopf haltend und mit Mühe ihr Shaqarava unterdrückend.
Beide schauten einander an.
„Du darfst es nicht tun, Ra'jel, Du darfst es nicht ...”
„Die Synode muß leben ...” brachte der Taelon mühsam hervor. „Um jeden Preis ... was ist so ein ungeformter, winziger Geist gegen das Leben eines äonenalten Geschöpfes voller Weisheit?”
Die Geflügelte sah ihm in die Augen. „Du hast es gefühlt, Ra'jel, ich weiß es ... Du hast ihre Freude - ihre Lust auf das Neue gefühlt, das vor ihnen liegt ...ihre Lebenslust ...”
Jetzt war nur noch Kälte im Blick des Taelon. „Du weißt, daß ich Dich zwingen kann, diese Bewußtseinstransfers zu vollziehen ... Wenn ich Dir Dein Bewußtsein nehme, kann ich Dein System als Transferkanal zu benutzen ...”
Die Geflügelte wußte, daß er die Angst, die sie jetzt empfand, vielleicht in ihren Augen sah, aber ...
Sie ließ ihn durch die Schiffswesenheit sehen und spüren, was soeben geschehen war. „Das, was da gewirkt hat, ist durch Bewußtlosigkeit nicht außer Kraft zu setzen ...”

Der Taelon überlegte einen Augenblick. „Das Mutterschiff mag Dich haben wollen, aber ich brauche gar nicht Dich”, meinte er dann. „Ich nehme mir beliebig jemanden Deines Volkes, der nicht über Deine Besonderheit verfügt - an diesen merkwürdigen geistigen Schild hatte ich gar nicht mehr gedacht ...”
Seine Fassade hatte sich gefestigt, und er erhob sich, Sha keines Blickes mehr würdigend. „Ich benötige nur geordnete Transferkanäle ... jeder Bewußtlose Deines Stammes kann dafür herhalten ...”
„Das stimmt.”
Jetzt hatte auch die Geflügelte sich erhoben - und in ihren Augen und Flügelhänden glomm Weiß-Violett.
„Ra'jel, bitte ... Das, was Du jetzt offenbar vorhast, solltest Du noch einmal genau überprüfen ... Unabhängig davon, daß wir den Schild aktivieren werden, wenn Du versuchst, gegen unseren Willen auf uns Zugriff zu nehmen und Du sehr große Schwierigkeiten mit den Jaridian bekommen wirst ... Es geht um etwas viel Tieferes als das ... Zum Leben gehört auch der Tod, wie sogar die Menschen sagen; Leben bedeutet Ankunft, Dasein, Abschied und Wiederkehr ... Ihr Taelon seid angekommen und da, und Euer Elend rührt nicht zuletzt daher, daß Ihr bleiben wollt bis in alle Ewigkeit und dafür wieder und wieder den Abschied anderer erzwingt ... Mach Dir einmal klar, daß die einzig Lebendigen, die aus den Deinen hervorgingen, die Vereinten sind - die Taelon, die wieder eins mit einem oder einer Jaridian wurden ... und diese Winzigen hier, die einzigen Taelon, die noch ein wirklich neues Leben vor sich haben, die einzigen Taelon, die den Deinen, die ihr So-Sein bewahren und sich nicht vereinen wollen, Erneuerung bringen können ... durch die Winzigen werdet Ihr mehr, als Ihr wart, durch die Synodenmitglieder werdet Ihr weniger ...”
Sie schüttelte ihre Flügel aus und wandte sich zum Gehen, vor Zorn ihre innere Energie kaum unter Kontrolle halten könnend.
In der Öffnung, die aus der Ungeborenen-Kammer heraus führte, drehte sie sich noch einmal um.
„Ra'jel, Du hast eine Entscheidung zu treffen ... Fühl' hin, Taelon, fühl' hin - und dann triff sie zum Wohle der Deinen ...”
Dann verließ sie diesen Bereich der Bergenden raschen Schrittes, sich sehr wohl dessen bewußt, daß das unter der Oberfläche, die vor Zorn flammte - Verzweiflung war ...

Die Nichtflüge streckte in Gedanken eine Flügelhand aus und berührte den geschmückten Baum. Ihre Augen wurden sehr groß.
Der junge Erdvolk-Angehörige tat es ihr gleich und legte den Kopf schräg, als könne er dadurch den
Gesang der halbausgewachsenen Menschen besser verstehen. „Ihr habt aber ungewöhnliche Abschiedslieder ... Und ist es Brauch bei Euch, den Baum erst nach dem Gesang für guten Abschied und Übergang auf die Erde zu betten, auf daß er anderem Leben Zuhause oder Nahrung werden kann? Sind all die Dinge, die an ihm befestigt sind, Eure Übergangsgeschenke an ihn?”
Renée verstand nicht. „Abschied? Was meint ihr damit? Das ist ein Weihnachtsbaum, und was daran hängt, ist Weihnachtsschmuck ...”
Sinyia strich jetzt mit beiden Flügelhänden über die Zweige der mächtigen Tanne. „So ein wunderschöner Baum ... Warum hat er Abschied nehmen müssen? Hat ein Sturm ihn entwurzelt? War er krank?”
„Bitte? Ich habe keine Ahnung, ob er krank war - was soll denn das? Es ist halt ein Weihnachtsbaum ... Weihnachtsbäume kauft man zu Weihnachten, um sein Haus damit zu schmücken oder einen Platz draußen - diesen hier hat wahrscheinlich die Washingtoner Stadtverwaltung erworben und der Botschaft gestiftet ...”
Es war spürbar, wie sehr die winzige Windvolk-Angehörige sich konzentrierte - das eigentliche Thema war völlig vergessen, nur das Schicksal dieses mächtigen Geschöpfes, dieses ungewöhnlichen Menschenwelt-Baumes, hatte jetzt ihre Aufmerksamkeit. „Ich kann gar nichts mehr fühlen von ihm ... Sein Abschied -Tod, sagt Ihr dazu, stimmt das? - muß schon eine längere Zeit her sein ... Warum singen diese Menschen denn gar nichts über ihn? Über sein Leben, und was er ihnen bedeutet hat? Wer ihn bewohnte, und warum er Abschied ...”
„Sinyia, niemand hat auf diesem Baum gewohnt, außer vielleicht ein paar Vögel oder Eichhörnchen ...
wenn er denn je im Wald gestanden hat und nicht aus irgendeiner Baumschule stammt ... und die Schüler singen nicht für den Baum, sondern für die Taelon, die ihnen von da oben”, - sie deutete auf die riesige durchsichtige Fläche im Körper des lebenden Gebäudes, des ‚Verwurzelten’, wie Sha dieses Wesen nannte - „zuschauen - so etwas ist halt Brauch bei den Menschen zu diesem Fest ...
Die Tanne wurde irgendwo gefällt, hierher geschafft und geschmückt, damit es weihnachtlich aussieht um die Botschaft, und vermutlich sollte das auch ...”
Das winzige geflügelte Wesen war ihren Worten und den diese begleitenden Gedankenbildern gefolgt
und stocksteif geworden, die Augen schreckensweit.
Dem jungen Erdvolk-Angehörigen waren Atem und Stimme weggeblieben.
Die angehende Gesangshüterin war ebenfalls erschrocken, bemühte sich aber sofort, Klarheit und Ruhe in die Berührung zu bringen, indem sie leise und tief die entsprechenden Frequenzen zu produzieren begann.
Das Bild im Kontakt von der geschmückten Edeltanne war ersetzt durch ein anderes, eines derer, die Renée eher beiläufig in den Sinn gekommen waren - ein kräftig gebauter Mann in Beinbekleidung aus irgendeinem groben Material, den Oberkörper in etwas vielfarbig Gemustertes gehüllt, der etwas Schweres, Vibrierendes am Stamm des riesigen Baumes ansetzte - ‚Motorsäge’ war der Begriff dafür ...
Das Nichtflügge zog panisch seine Krällchen aus Renées Kleidung und sprang die weibliche Erdvolk-Angehörige an, um sich mit aller Kraft an ihr festzuklammern, zitternd.
„Sie zwingen sie ... sie zwingen lebendige, gesunde Bäume in den Abschied ...”
Der Männliche war von der Menschenfrau abgerückt, die beiden Wasservolk-Nichtflüggen hatten das Weite gesucht. Alle übrigen um sie herum starrten sie an - nur die, die die Gesänge ihres Volkes zu hüten lernte, hielt sie nach wie vor, ganz leise singend.
Renée hatte selbst zu zittern begonnen, ohne genau zu wissen, warum.
Und dann traf sie die Erkenntnis dessen, was sie soeben über ihre eigene Spezies preisgegeben hatte, wie ein Schlag ins Gesicht.

Shainshiyee betrat die Brücke, zitternd und mit zu Fäusten geballten Flügelhänden. Torvaks Gesichtszüge im offenen Datenstrom nahmen einen alarmierten Ausdruck an.
„Sha, was ist los? Bist Du verletzt?”
Die Geflügelte stieß mit allen Stimmbändern einen Schrei aus, in dem Zorn, Frustration, Trauer und Ratlosigkeit gleichzeitig schwangen. „So eine furchtbar aussichtslose Situation ist mir überhaupt noch nie begegnet ... Und Ra'jel ist kaum noch er selbst ... Wenn es nach mir ginge, würde ich sagen, holt ihn auf Euer Schiff und packt ihn in Stasis, egal, ob er damit einverstanden ist oder nicht - aber ich weiß ja, daß Eure Transporter im Moment ebenso wenig funktionieren wie die des anderen Kreuzers, weil Ihr ja unbedingt jetzt dieses experimentelle Langstreckensystem installieren müßt ...” Sie rang um Atem und Kontrolle.
„Sha, beruhige Dich ...” Torvak war ernstlich in Sorge. „Hat Ra'jel Dir etwas angetan? Droht er Dir? Versuch' doch bitte, geordnet zu berichten ...”
Statt dessen begann sie, zu summen, mit den seitlichen Vertikalen, und das langsam zu Gesang zu steigern, die Resonanzsehnen mit einsetzend, so, wie sie für das Verletzte gesungen hatte. Ihr Shaqarava deaktivierte sich.
Schließlich schaute sie den Jaridian an und atmete tief auf. „Torvak, die Lage ist folgende ...”
Und sie berichtete, was vorgefallen war, ließ den Kreuzerkommandanten um ihre tiefe Sorge wissen, Sorge sowohl um die Ungeborenen als auch um Ra'jel und die, die er in sich barg ...
Daß der Taelon im Eingang zur Brücke stand und das Gespräch verfolgte, war sowohl ihr als auch dem Jaridian entgangen.
„Wir müssen unbedingt eine Lösung finden, die sowohl das Leben der Ungeborenen garantiert als auch das Ra'jels und der Präsenzen, die er hütet ... Meine erste Idee war, ihm vorzuschlagen, in Stasis zu gehen, bis wir eine solche Lösung gefunden haben, aber dann kann die Bergende nicht zurück zur Welt der Atavi, um dort die Ungeborenen zu entlassen - da sie noch nicht selbständig fliegen kann und die Menschen sie nicht steuern können ... und ich habe inzwischen Bedenken, ihn hier oben in Stasis sein zu lassen - was ist, wenn die in ihm stärker sind als jedes Stasisfeld und dieses sprengen, um doch noch der Ungeborenen habhaft zu werden? Am liebsten wäre mir, er wäre bei uns unten, dann könnten wir für ihn da sein ... und vielleicht könntet Ihr die Bergende in Schlepp
nehmen und ...”
Ra'jel trat ganz durch die Öffnung zur Brücke und damit in das Blickfeld Shainshiyees und Torvaks.
Er wirkte einmal mehr nur unendlich erschöpft.
„Deine Sorge um mich ehrt Dich wirklich, Sha”, meinte er, „nach allem, was ich Dir vorhin ...”
„Das warst nicht Du - oder besser gesagt, Du hattest den kleinsten Anteil daran”, ließ sie ihn wissen.
„Kein Wesen sollte aushalten müssen, was Ihr auszuhalten habt, und keines sollte aushalten müssen, was Ihr den Ungeborenen anzutun gedenkt ...” Sie überlegte einen Augenblick. „Hast Du mit angehört, was Torvak und ich besprochen haben?”
Der Taelon vollführte eine bestätigende Geste.
„Wärest Du denn einverstanden, Dich auf unsere Welt zu begeben, damit wir zusammen für Dich und die Deinen Wege finden - und die Ungeborenen leben können?”
Vom Bruchteil eines Augenblicks zum anderen stand der Taelon wieder aufrecht da, führte eine rasche Geste aus - und der Datenstrom schloß sich. Ra'jel war mit wenigen Schritten an der ‚Konsole’, die ihm so oft Halt gewesen war in der letzten Zeit, und ging in Interaktion damit ...
Shainshiyee fühlte etwas ... etwas, das sich genau auf sie ausrichtete, sich bündelnde Energie ...

Liam fühlte sich einfach nur wohl. Er saß zwischen einer Weiblichen aus dem Feuervolk und einem männlichen Angehörigen derer aus den Tiefen, letzterer hatte ihm seine riesige rechte Flosse um die Schultern gelegt. Drei Nichtflügge hielten sich an ihn gedrückt - ein weibliches von denen, die der Wind trug, hing, mit den kleinen Krallen in seine lederne Jacke gehakt, über seiner linken Schulter, die Flosse des Wasserbewohnenden wie eine Decke über ihrem Rücken, und schlief, je ein Männliches vom Erd - und vom Feuervolk hockten auf seinem Schoß; sie folgten dem, was er in den Kontakt gab, funkelnd vor Neugier.
Auch er konnte, wie Renée, jeden, der direkt oder indirekt in Berührung war mit ihm, spüren, sobald er sich auf denjenigen konzentrierte, das funktionierte sogar mit den einzelnen Jaridian in dem riesigen Kreis, sofern diese nicht zu weit weg saßen ... Er versuchte, seine Reisegefährtin über den Kontakt zu erreichen, aber offenbar machte er irgend etwas falsch, oder es hatten sich zu viele der Eingeborenen dazwischen gedrängt - jedenfalls gelang es ihm nicht. Er fand diese Form der Kommunikation zwar faszinierend, aber auch reichlich verwirrend - es war etwas ganz anderes gewesen, sich so mit einem einzelnen Geschöpf zu verständigen, aber diese Flut an Eindrücken hier ... Er tastete erneut nach Renée, wieder vergebens.
„Ihr geht es gut”, ließ ihn der, dessen Flosse ihn umgab, wissen. „Sie lernt gerade ... sie von uns und wir von ihr ...” Die offenen Augen des Wasser-Wesens glänzten plötzlich, als es die schützenden Zwischenlider hob. „Was sie da webt, ist wichtig ... sehr wichtig ...”
Kincaid kam nicht dazu, zu fragen, um was es ging. Ein sehr großer Schatten fiel plötzlich auf ihn und die, mit denen er in unmittelbarer Berührung war ... Er schaute hoch und sah eines von diesen Flugwesen - nein, Windvolk-Angehörigen - ein großes, irgendwie ungewöhnlich aussehendes Exemplar, offenbar im Landeanflug.
Alles um ihn herum wich auseinander.
„Das ist Aveena ...”
„Ich wußte, daß sie die Menschen selbst begrüßen will ...”
„Sie soll doch nicht mehr allein fliegen ...”
„Macht Platz ...”
Der aus den Tiefen und die drei Winzigen blieben in Kontakt mit ihm, alle übrigen formten ein Rund um freien Sand vor seinen Füßen ...
... auf dem das ungewöhnlichste Wesen landete, dem er je gegenüber gestanden hatte, seit er Shainshiyee kennengelernt hatte ...
Das Geschöpf, das mit einer etwas umständlich anmutenden Bewegung seine papierdünnen Flughäute zusammenlegte, sich mit sichtbarer Mühe vor ihn hin hockte und ihm mit der typischen Geste die Flügelhände zum Kontakt hinstreckte, hätten die meisten Menschen häßlich oder sogar zum Fürchten gefunden - er fand es - oder besser gesagt, sie - nur faszinierend.
Alle übrigen waren wieder herangerückt und bemühten sich um dichtestmöglichen Kontakt mit ihr und erneut mit ihm.
Diese Windvolk-Angehörige war alt - uralt, um es genau zu beschreiben ... Sie war tief zerfurchte Haut - fast so kahl wie Sha - und Knochen, die Flughäute fast durchsichtig, die dunklen Augen tief in den Höhlen liegend ... und sie strahlte das gleiche Wohlwollen, die gleiche Freundlichkeit und Wärme aus wie all die Anderen auch ...
„Aveena, warum hast Du uns nichts gesungen? Wir hätten Dich doch abgeholt ... Du sollst doch nicht mehr allein fliegen - was ist, wenn Dir schwindlig wird, und es ist ...” Einer ihres Volkes mit dichtem sandfarbenen Fell legte ihr eine Flügelhand auf den Rücken.
„Seid beruhigt, es geht mir gut ... Ich wäre doch nicht losgeflogen, hätte ich mich nicht imstande gefühlt dazu ... und was sollte mir auf der kurzen Strecke bis hierher denn passieren?”
In Liam kam etwas wie Ehrfurcht auf, als er sich klarmachte, was das, was er über den Kontakt über ihr Alter erfuhr, in Menschenjahren bedeutete - dieses Wesen mußte über einhundertundfünfzig Jahre alt sein - kein Wunder, daß sie so verbraucht und klapprig ...
Belustigung war um ihn, und er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg.
„Es tut mir leid ... ich wollte nicht unhöflich sein ...”
„Es stimmt doch aber.”
Er war überrascht, wie voll die Stimme der Windvolk- - nein, der Planeten-Urältesten - klang - beinahe so wie die Shainshiyees - wie nannten sie diese Organe, die dafür sorgten? Resonanzsehnen?
„Richtig, auch ich verfüge darüber.” Aveena hielt ihm immer noch die Flügelhände hin, und er besann sich endlich auf seine Manieren und ergriff sie. „Es tut mir leid”, meinte er, jetzt direkt an sie gerichtet, einmal mehr, und, einem Impuls folgend, verbeugte er sich in Gedanken vor ihr. „Urälteste, ich bitte um Entschuldigung - das hier ist mir immer noch nicht wirklich vertraut ...”
Sonnenhelle Energie war um ihn und in ihm und erfüllte ihn mit einem unglaublich angenehmen Gefühl - das hatte Sha auch einige Male für ihn getan, erinnerte er sich ...
„Liam Kincaid ... Shainshiyee hat viel von Dir gesungen, von Dir und Renée ...” Das faltige Gesicht seines Gegenübers zeigte das Äquivalent eines - eines breiten Grinsens, anders war das nicht zu deuten, was ihm gleichzeitig die Berührung des Warmen, Rauhen vermittelte, auf dem seine Handflächen ruhten.
„Du brauchst nicht so formell zu sein, Du bist hier weder unter Menschen noch unter Taelon oder auf einer Versammlung des jaridianischen Hauptkommandos ... entspann' Dich einfach wieder ... Jeder hier, mich eingeschlossen, weiß, wie alt ich bin und zu was ich noch tauge oder auch nicht. Seit ich weiß, daß die Taelon-Energie, die ich getragen habe, nicht nachträglich zu verhindern in der Lage ist, daß ich Abschied nehmen kann wie jedes andere Geschöpf auch, genieße ich einfach alles, was es noch zu tun gibt für mich ...” Sie musterte ihn mit ihren dunklen Augen von oben bis unten, dann wurde sie plötzlich ernst.
„Du bist jemand wirklich Besonderes - der einige sehr ungewöhnliche Erfahrungen hinter sich hat, die ungewöhnlichsten aber noch vor sich, es sei denn, er entscheidet sich dagegen ...”
Liam schaute sie sehr erstaunt an.
„Ich weiß von Sha, was Du bist, Kimera”, ließ Aveena ihn wissen.
„Kimera? Wohl kaum ...” antwortete er, überrascht, wie viel Bitterkeit mit diesen Worten in ihm hochkam. „Das habe ich aufgegeben, vor langer Zeit ...”
„Das hast Du nicht”, sang sie, sehr bestimmt.

 

Ende von Kapitel 4

 

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