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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juli 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Verwurzelt / Verlorenes ersetzen / Rosa
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Der Verwurzelte, Aveena, der Sprecher, die Heilerin mit der hellen Stimme, ihre Untergeordnete, eine verletzte Windvolk-Angehörige, ein Verletzter aus dem Volk im Dunklen, Rosafarbenes, das wogt und singt (die aus dem Dunklen, der Hüter der Wasser-Gesänge, der auf dem Weg, andere Jaridian, andere Angehörige der vier Völker)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 59

 

Das Waffen-Wesen, so groß wie drei Flügelhände Handwurzel an Krallenspitzen hintereinander gelegt, und das lebendige Taelon-Gebäude, in dem bequem zwei unserer Stämme Platz gefunden hätten, teilten das gleiche Schicksal ...
Was immer das Haus-Geschöpf einst gewesen waren, die Taelon hatten sich seiner bemächtigt und es verdreht und verbogen, bis es nicht mehr es selbst war, sondern genau das, was sie für ihre Zwecke benötigten ...
Aber im Gegensatz zu dem Waffen-Wesen hatte das Wasserpflanzenähnliche sich nicht vollständig verloren.
Es hatte sein Innerstes bewahrt ...
In dem ich jetzt schwebte, mir nichts sehnlicher wünschend, als dieses Geschöpf im Tiefsten verstehen - und vielleicht sogar heilen zu können ...
Kein Wesen sollte so etwas aushalten müssen ...
Meine Energie war fast verbraucht, die Reserven hatte ich längst geöffnet und, einem Impuls folgend, öffnete ich jetzt dem riesigen Geschöpf um mich auch meinen Geist.
Es sollte unbedingt wissen, daß ich verstanden hatte ...
Sonnenhell und leuchtendes Hellblau strömten ineinander, wirbelten davon in silbrig Glitzerndes, rückwärts, abwärts ...
Eine komplizierte Spiralstruktur, innerhalb derer Bausteine ineinander paßten ... hellgrün in hellgelb, transparent in blaßrot, hellblau in hellgrün ... und dann plötzlich ein Strang mattgrauer Elemente, die - die farbige Zartheit daran hinderten, auf ebensolche zuzugreifen ... Lange Abschnitte der Spiralstruktur waren damit versehen, und als ich diese berührte, spürte ich, daß in all diesen Segmenten das Pulsieren, das ich auf dem Hinflug kennengelernt hatte, erloschen war. ‚Genetischer Block’ war der Begriff, der in meinem Geist auftauchte, als ich behutsam die Krallenspitzen auf das Grau legte und schaudernd sofort zurückzog ...
Die Bewegung abwärts / rückwärts hielt an, bis es irgendwann einen Ruck gab und das Silbrige um uns zerstob.

Sechs mächtige Wurzeln hatte ich in den Boden getrieben, durch die ich die Nahrung aufnahm, die ich benötigte, viel und reichlich, seit die Boten angekommen waren, die ich jetzt in mir barg ... Die ich in mir auflösen und neu zusammensetzen würde, auf das genau die Anzahl Verwurzelter und Treibender, von denen einige zu Im-Raum-Bergende werden würden, entstand, die jetzt gebraucht wurde ... Die Treibenden und Bergenden, hoch oben zwischen den Sternen, gaben von sich in die Boten, sandten diese zu uns, die wir verwurzelt sind im festen, nährenden Grund der Welten, und wir nahmen sie in uns auf, um sie, Unseres dazu gebend, neu zu machen und dann zu entlassen, auf daß sie wieder aufstiegen, um zu treiben, zu bergen oder neue Welten zu finden, um Wurzeln zu schlagen ... Die Gesandten aus unvorstellbarem Raum brachten uns, die wir aus dem Grund leben, die Gedanken der Treibenden, der Bergenden und der Geborgenen, der Regani, der Geschöpfe, die den Bergenden innewohnende Freude sind ... und denen oben bringen sie, geworden, was sie werden wollten, die Kraft der Wurzeln, die Kraft der Welten, die durch Raum und Zeit tanzen wie die Treibenden und Bergenden auch ...
Einer der Gesandten, gerade eins werdend mit mir, sang mir von der unbändigen Freude der Bergenden, die ihn hatte entstehen lassen - die Regani-Bevölkerung in ihr hatte sich mehr als verdreifacht während der Durchquerung der Sternenflut, an deren Rand die lag, in der ich wurzelte ... eine Unzahl der vielfarbig bepelzten, formlosen Geschöpfe, die Gliedmaßen nach Bedarf bildeten und verschwinden ließen und von und in der Bergenden lebten, ließen diese leuchten vor Begeisterung und strahlen vor Kraft durch die funkelnden Energielieder, die sie ihr mit all ihren Fingern
sangen ...
Ich gab von Meinem in das, was ich absorbierte und neu entstehen ließ - eine Treibende, die sich nichts sehnlicher wünschte als zu bergen ...
Die Zeit, in der die Boten kommen, bleiben und entlassen werden, ist die ekstatischste Zeit im Zyklus einer Sternenflut ...
Sternenflut ...
Eine riesige, vollkommen geformte Spiralstruktur, Myriaden von Sternen, wie aus großer Höhe betrachtet ... Darauf zu treiben ... eintauchen ... durchtauchen ... Licht in allen nur vorstellbaren Farben ... Funkeln ... Leuchten ...
Alle Farben verschmolzen zu grellem Gleißen, das beinahe schmerzte in den Augen, dann nachließ und zu silbrigem Glanz wurde, der um mich pulsierte. Das Absorbieren eines Gesandten ließ einen die Erinnerung Treibender erleben, als triebe man selbst ...aber ich war ...
Das pulsierende Silber schien mich sanft vorwärts zu stoßen, vorwärts und aufwärts ...
Vorwärts ...
Aufwärts ...
Und dann - trieb ich nur noch, trieb in leuchtendem Hellblau, um mich herum funkelndes Rauschen und tausendstimmiges Flüstern, getragen von der zentralen Pulsation ... vom Puls des Lebens in der Hauswesenheit - nein, des Verwurzelten, in dessen Innerstem ich schwebte, bewegungslos ...
„Auftauchen ... Du mußt auftauchen ...”
Die Stimme des Verwurzelten, um mich und in mir.
„Du mußt diesen Ort jetzt verlassen, sonst nimmt Dein Körper Schaden ...”
Ich spürte, wie ungern ich dieser Aufforderung nachkommen wollte. Solche Schönheit, ein derartiges Bewußtsein ...
„Du mußt ... Du hast all Deine Energie verbraucht, und die, die ich Dir gegeben habe, belebt Dich, aber füllt Dich nicht ...Das, was Du bist, braucht etwas anderes ...”
Den Eindruck einer Bodenfruchtscheibe und einer kleinen, frisch gepflückten Ph'taalfrucht, der jetzt im Kontakt war, hatte der Verwurzelte meinem weit offenen Geist entnommen, und nicht nur das.
Wir hatten tiefer als zelltief geteilt miteinander ...
Dieses Geschöpf hier war in einem Ausmaß bewußt, das das unsere bei weitem überstieg, aber durch die genetischen Blocks, die die Taelon allen Seinesgleichen, die sie nutzten, vor unvorstellbarer Zeit gesetzt hatten und die ebenso wie alles andere während des Neuwebens an die Gewobenwerdenden weitergegeben wurden, war davon in seinem jetzigen Zustand nicht viel zu spüren ... Es war gerade imstande, innerhalb der von den Taelon festgelegten Parametern selbständig zu entscheiden, und das hatte es getan, indem es sich verwandelt hatte, als der Energieschutz wegfiel, indem es Unsrige und Kaumbewußte verletzte und in den Abschied zwang und indem es mich gefangen hielt ...
Aber es gab noch mehr, noch viel mehr in ihm, und an dieses ‚Mehr’ hatte ich gerührt, als ich ihm - oben (?) - in seiner großen Leibeshöhle davon gesungen hatte, wie schön es sei und wie faszinierend anzuschauen und zu fühlen ... Und plötzlich hatte es, einem Impuls folgend, der nicht seiner Programmierung entsprang, sondern etwas viel Älterem, mich - für sich haben wollen ...
Nicht für die Schöpfer.
Für sich selbst ...
Und hatte mich in sein Innerstes genommen, in einen Bereich, den die Schöpfer nie betraten - mit dem sie auch gar nichts zu tun haben wollten - das war nichts als die primitive Biologie eines ebenso primitiven Nutzgeschöpfes ...
Der Teil, den sie trotz aller Blocks und Manipulationen nicht hatten verändern können, nur unterdrücken ...
Und dort hatten wir geteilt.
Das Bild einer Ph'taalfrucht füllte mein Gesichtsfeld, und etwas schien meine Magengrube zu berühren, die sich daraufhin schmerzhaft zusammenzog. „Du mußt ...”
Ich erhob mich aus der Mulde, sehr schwindelig mit einem Mal, dabei erst bewußt registrierend, daß ich nicht mehr verschnürt war. Ich hangelte mich aus der Vertiefung und hockte mich auf den Boden daneben.
Alles, was noch an Blau auf meiner stoppeligen Haut haftete, perlte daran herunter auf den Untergrund, strebte der Mulde zu und wurde wieder eins mit dem, was immer sich darin befand ...

Rhythmisches Blinken irgendwo dicht an mir zog meine Aufmerksamkeit auf sich.
Das aufklappbare Gerät ...
Wie lange hatte ich mich bei den Jaridian und den Meinen nicht mehr gemeldet?
„Sei beruhigt”, ließ mich der Verwurzelte wissen, durch den warmen, weichen Grund, auf dem ich hockte. „Sei beruhigt ... Die Deinen und die Jaridian sind auf dem Weg hierher ...”
„Auf dem ...” Für einen Augenblick war ich erstarrt vor Angst, bis ich die Eindrücke auffing, die mir das Hauswesen, das so viel mehr war als nur das, mir zufließen ließ.
Es hatte seinen mächtigen Leib geöffnet - und sich erneut zu verändern begonnen. Beinahe die Hälfte der Panzerung hatte sich bereits zurückgebildet, und die gliedmaßenartigen Auswüchse, die die Bewaffnung dieser Lebensform darstellten, waren eindeutig deaktiviert, und es war dabei, sie in seinen Körper zurückzuziehen.
„Ich werde keinen der Deinen mehr verletzen und niemanden von den Kleinen und Größeren, die nicht Euren Völkern angehören ... und die Anderen, die Jaridian, nur dann, wenn sie mir oder den Schöpfern zu schaden gedenken ... aber wenn ich dem folge, was in Deinem Geist ist, wird es dazu wohl nicht kommen ...”
In mir waren nur Erleichterung und unendliche Dankbarkeit. Der Verwurzelte hatte, während ich in die Vergangenheit seines Volkes eingetaucht war, meinen Geist absorbiert, als sei ich ein Bote, der Kunde von den Sternen bringt, und ihn mir wiedergegeben, als sei ich ein neuerschaffener solcher, zur Entlassung bereit ... Und er hatte verstanden, warum wir damals so und nicht anders gehandelt hatten, ebenso wie die Tatsache, daß niemand der Unseren ihm jemals wieder würde schaden wollen und daß die Jaridian keineswegs mehr beabsichtigten, die Taelon zu vernichten, sondern im Gegenteil nicht nur wünschten, dieser Krieg möge endlich beendet werden können, sondern auch die Voraussetzungen dafür geschaffen hatten, daß dies in den Bereich des Machbaren gerückt war ...
Und er hatte noch mehr darin gefunden als nur den Tachyonkonverter, der auch ihm Energie spenden würde, sobald die Taelon-Energie, die ihn jetzt am Leben hielt, aufgebraucht war - aus dem, was die Schöpfer hatten entstehen lassen, auf daß er seine Wurzeln da hinein treibe, ließ sich keine Nahrung ziehen ...
Er hatte in meinem Geist das Waffen-Wesen gefunden.
Das Waffen-Wesen, die Dindaei und - die Mittler.
Die Mittler, die einst ihn - und nicht nur ihn, sondern alle Versklavten seines Volkes, die lebendigen `Gebäude’ ebenso wie die Mutterschiffe - die Bergenden - und die Shuttles - die Boten - würden heilen können ... die in der Lage wären, die genetischen Blocks zu beseitigen, auf daß er vollständig und ganz wäre, was er war - ein Verwurzelter ...
Verwurzelte waren nicht geschaffen, daß man in ihnen lebte. Verwurzelte brauchte es, um die Boten aufzunehmen und zu verwandeln und das Wissen aller zu bewahren ...
„Geh, Aveena”, sang mir das mächtige Wesen. „Geh den Deinen entgegen - sie suchen Dich schon ... singe ihnen von dem, was wir gemeinsam gefunden haben für Euch und für mich ... Laßt die Jaridian ihren Raumhafen ruhig hier bauen, Verwurzelte lieben Gesellschaft ... Seid um mich, aber nicht in mir - bewohnen dürft Ihr mich nicht, das ...”
Etwas glitt aus dem Kontakt, und Mattgrau war plötzlich um mich.
„Die Schöpfer ... das dürfen nur die Schöpfer ... ich schütze die Schöpfer ...”
„Nein.” Ich ließ mich ganz zu Boden gleiten und breitete die Flügel aus, als könne ich den Verwurzelten dazwischen nehmen. „Gerade diese dürfen das nie wieder ... Du bist keine Behausung, Du bist verwurzelt ... Du lebst, um zu wandeln und zu bewahren ... Die Mittler werden Dich heilen ...”
„Ja ...” Die Stimme des Verwurzelten klang wie von sehr weit weg. „Die Mittler ... Sie müssen kommen ... Baut ... baut Euren Raumhafen ...”
Die Stimme verlor sich im vieltausendstimmigen Summen und Flüstern, das gemeinsam ein eintöniges Lied formte. „Die Schöpfer ... Schutz für die Schöpfer ...”
Und dennoch war die fremdartige Grundpulsation spürbar, durch diesen Gesang hindurch.

Ich erhob mich etwas benommen, kam auf die Füße und schaute mich nach einem Ausgang um. Es gab eine unregelmäßige Öffnung zwischen zwei blaßweißen, in einem sanften Luftzug wehenden Häuten ... ich ging darauf zu und glitt vorsichtig hindurch.
In der ‚Wand’ gegenüber tat sich das bläuliche Gewebe auf, und dahinter ging es sanft aufwärts ...ich betrat diesen einzigen Gang, der von der kleinen Höhle, in der ich mich aufgehalten hatte, wegführte, und folgte ihm.
Der Verwurzelte führte mich durch sein Inneres in die riesige ‚Halle’ zurück, in der ich erstmals gesungen hatte mit ihm, und dort warteten so viele der Unseren und alle Jaridian, die nur irgend hinein paßten, in dichtem Kontakt miteinander und der mächtigen Wesenheit, strahlend und ebenso erleichtert wie ich.

Hier oben war von dem, was den Verwurzelten selbst ausmachte, so gut wie nichts zu spüren, hier war nur die Haus-Wesenheit, die allerdings immerhin beschlossen hatte, uns zu dulden - so lange wir nichts berührten, was sie nicht berührt haben wollte ...
Ich teilte mit allen, was ich erlebt hatte, und erfuhr meinerseits, was draußen geschehen war - die Unseren hatte die Jaridian nur mit viel Mühe davon abhalten können, mir nachzugehen. Es war sehr viel Zeit vergangen, in der ich auf ihre dringenden Rufe nicht geantwortet hatte, so daß sie bereits den Verdacht hegten, die Wesenheit habe mich einfach in den Abschied geschickt ... Sogar die Idee, das lebendige ‚Gebäude’ doch noch aus der Luft anzugreifen oder es zumindest damit zu bedrohen, damit es mich, so ich noch am Leben wäre, sofort aus sich heraus ließe, war wieder aufgekommen, und die Erdvolk-Gesangshüterin, der aus den Tiefen und der auf dem Weg hatten ihre ganze Überzeugungskunst aufbringen müssen, zumindest bis zum Beginn der nächsten Hellphase - aktuell ging die Sonne draußen gerade unter - abzuwarten, bevor man dies im Kontakt erneut drehe und wende ...
Und dann hatten die Erschütterungen und der sonderbare Gesang wieder begonnen, und alle hatten gesehen, wie die riesige Lebensform aus sich herausschauende ‚Gliedmaßen’ nach und nach wieder einzog, die Panzerplatten sich scheinbar aufzulösen begannen und der Eingang sich öffnete.
Als ich dennoch weder antwortete noch herauskam, machten sich die Jaridian auf den Weg, Shaqarava aktiviert, und unmittelbar gefolgt von den Unseren, die sich, sehr zum Ärger des Sprechers, sofort zwischen die Seinen und das Haus-Wesen begaben.
Nichts geschah, auch nicht, als alle ungestüm ins Innere des Geschöpfes drangen - und dann fühlten sie durch den Boden, daß ich unversehrt war, daß es mir gut ging und ich gleich bei ihnen wäre ...
Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich verstanden hatte, was innerhalb der letzten Zeiteinheiten geschehen war ... Was hatte letztendlich bewirkt, daß der Verwurzelte in Zukunft nicht nur uns, sondern sogar den Raumhafen der Todfeinde seiner ‚Schöpfer’ um sich dulden würde?
Der Unterschied zwischen ihm und dem Waffen-Wesen bestand in der Art der Manipulation der Ordnung, die die Taelon an seinem Innersten vorgenommen hatten - das Waffen-Wesen hatten sie verwandelt, ihn jedoch ‚nur’ blockiert. Dem Waffen-Wesen hatten sie sehr viel von dem, was es ursprünglich war, genommen und durch etwas ganz anderes ersetzt, bei dem Verwurzelten hatten sie ‚lediglich’ dafür gesorgt, daß er nur in dem Ausmaß er selbst war, wie es ihnen diente, und alles andere außer Kraft gesetzt ...
Er - er war noch ganz, auch wenn er das bisher nicht gewußt hatte ... „Du bist die, die mich erkennt”, hatte er mir gesungen, weil - weil ich seine Schönheit gesehen hatte und nicht seine Nützlichkeit ... weil ich auf seine Not reagiert hatte, nicht auf die Bedürftigkeit derer, die ihn geschaffen und dann - im Stich gelassen hatten ...
Das, was er wirklich war, hatte verstanden, daß weder wir noch die Jaridian ihm, dem Verwurzelten, schaden wollten, auch wenn letztere es ihm alles andere als leicht machten, das zu verstehen.
Das, was er wirklich war, wünschte sich, genau das und nichts anderes zu sein ... und dieser Wunsch war stärker als das Programm ‚Schütze die Schöpfer’ ...
Er war nicht imstande, dieses Programm außer Kraft zu setzen, aber stark genug, um sich die Mittler, seine einzige Hoffnung, zu wünschen und - an dem Programm vorbei, was erheblich dadurch erleichtert wurde, daß aktuell keine ‚Schöpfer’ zum Schützen da waren - zu ermöglichen, daß dafür die notwendigen Voraussetzungen geschaffen wurden ...

Ein merkwürdiges Unbehagen kam auf in mir, und das war nicht nur der Hunger, der langsam unter aller Begeisterung und Faszination spürbar wurde. Es fühlte sich an, als sei es - als sei es dem Boden unangenehm, daß meine Fußkrallen auf ihm ruhten ... und ein unangenehmer Impuls ging von den an mir vorbei huschenden weißen Lichtfunken aus, als ob diese signalisierten: „Nicht berühren!” ... Ich fühlte in das hinein, worauf ich stand. Die Behausungs-Wesenheit wünschte unsere Anwesenheit nicht länger ... vor allem nicht die der Jaridian, die die zunehmend schmerzhaften Antworten auf ihre Versuche, Wandstrukturen zu scannen, zu ertasten oder gar Lichtfenster zu öffnen, einfach hinnahmen und sich nicht davon abbringen ließen, das Innere eines der Bauten ihrer Feinde möglichst eingehend zu erkunden, um der Informationen willen, die ...
„Wir sollten gehen”, ließ ich den Sprecher wissen, der mich, seit ich die ‚Halle’ betreten hatte, nicht losgelassen hatte. „Wir werden dem Verwurzelten lästig, und das grenzt an Verletzen ...” Dieser
blickte sich um, sah, daß die meisten der Unseren bereits dem Ausgang zustrebten, spürte über mich in die Wesenheit hinein und vollführte eine seltsame Geste; dann meinte er, etwas resigniert: „Du hast Recht ... Ich stelle fest, es ist leichter, neue Wege zu finden, als sie dann auch tatsächlich zu beschreiten ...”
Er erteilte den Seinen, so, daß alle ihn hörten, den Befehl, das Taelon-Gebäude zu verlassen, und wenig später schloß sich die riesige Öffnung in dem Geschöpf hinter uns allen.
Es sah jetzt wieder aus, wie es immer ausgesehen hatte, auch schon damals unter der Kuppel, und nur die verabschiedeten Kaumbewußten auf der riesigen freien Fläche um es herum erinnerten daran, daß es und wir - Feinde gewesen waren ...
Ich löste mich aus dem Kontakt mit dem Sprecher, um mich der aus dem Dunklen anzuschließen, die mit einigen meines und ihres Stammes am Rande des Plateaus damit begonnen hatte, aus vertrockneten Ranken und Zweigen Tragen zu flechten,auf die wir die Verabschiedeten betten konnten. Kurze Zeit darauf waren wir alle damit beschäftigt, und als es endgültig dunkel war, hatten wir alle Kaumbewußten geborgen und zwischen die Ph'taal gelegt, deren mächtiges Wurzelwerk an die Fläche angrenzte. Wir würden, sobald es wieder hell genug war dafür, für ihren guten Übergang singen - was bei den Jaridian, die zum ersten Mal hier mit uns waren, Erstaunen und Neugier hervorrief ... Anderem Leben, das nicht war wie das der Ihren oder zumindest in gleichem Maße bewußt, so tief verbunden zu sein, war ihnen sehr fremd, daran hatte auch der Kontakt mit uns Vieren auf dem Kreuzer nicht viel verändert ...

Dennoch nahmen sie alle daran teil und gaben sogar Übergangsgeschenke, und wir alle spürten, daß ihnen das in gleichem Maße gut tat wie uns.
Danach begannen alle außer den beiden Heilerinnen mit den Vorbereitungen zur Errichtung des Raumhafens. Die Heilkundigen baten darum, sich die beiden Verletzten anschauen zu dürfen - vielleicht konnten sie etwas tun für sie, was uns nicht möglich war ... Wir vier wurden gebeten, mitzukommen, ebenfalls in der Hoffnung, daß wir mit all dem Wissen, das uns unsere lange Reise hatte zuwachsen lassen, das, was bisher für sie getan wurde, hilfreich ergänzen könnten, und so begaben wir uns in die Höhle des Erdstammes unter unserem Gehölz, wo sowohl der männliche Verletzte als auch die meines Stammes untergebracht waren. Ich war etwas überrascht, daß Letztere nicht auf unserem Wohnbaum versorgt wurde, verstand aber sofort, daß die Unterbringung hier die Behandlung durch Angehörige aller vier Völker erheblich erleichterte.
Beide waren auf frisch aufgeschüttete Laubhaufen gebettet und so bequem wie irgend möglich gelagert worden. Wir begaben uns alle sechs in Kontakt mit ihnen. Dank des Gesangs derer, die sich um sie bemühten - im Momentwaren es gerade eine Wasservolk-Angehörige und eine andere Weibliche meines Stammes, waren sie ohne Schmerzen.
Die eingedrückten Rippen dessen aus dem Dunklen waren längst eingerichtet, ließen sich aber ebenso wenig zusammensingen wie die Haut darüber sich zum Zusammenwachsen anregen ließ, und der linke Flügel meiner Stammesangehörigen bestand, soweit sichtbar, nur noch aus schwärenden Fetzen. Beider Wunden waren sorgsam und geschickt verbunden worden, und die verschiedenen heilenden Blätter, Gräser und Blüten, aus denen die Auflagen bestanden, wurden regelmäßig gewechselt und mit dem getränkt, was Unsauberkeit zurückdrängte und Wachstum förderte ... Wir vier baten, sie mit den Tiefensinnen untersuchen zu dürfen, und sie stimmten sofort zu.
Die Hitze in ihnen sorgte dafür, daß die winzigen Wesen, die die Wunden besiedelten, auf diese beschränkt blieben, anstatt sich im ganzen Körper auszubreiten ... Warum hielten sich diese nicht sicht-, sondern nur fühlbaren Geschöpfe, die von allem bekannten Lebendigen das eingeschränkteste Bewußtsein überhaupt hatten - sie waren nur ‚Hunger stillen’ und ‚Mehrwerden’, sonst nichts, ohne jede Wahrnehmung, ohne jede Regung über das hinaus - überhaupt so hartnäckig in den geschädigten Texturen, allem Gesang, aller Medizin zum Trotz?
Ich konzentrierte mich auf den übel zugerichteten Flügel meiner Stammesangehörigen. Er wimmelte von diesen Wesen ... Es gab in dem verwundeten Gewebe kaum intakte Zellen, und die, die unversehrt schienen, sangen nicht das Lied dessen, was Flughaut war, sie - sie sangen etwas anderes ...
Ich ging in zelltiefen Kontakt.
Und tiefer als zelltief ...
Das hier - war nicht das Innere einer Flughaut-Zelle ... es gab Spiralen der Ordnung - aber es war keine Ordnung mehr in ihnen ...
„Das wissen wir”, gab mir die Wasservolk-Weibliche zu verstehen. „Sie wurden beide von einer Energiewaffe getroffen, die mehr verursacht als nur Verbrennung und gebrochene Knochen - aber das, was wir singen können gegen unkontrolliertes Wuchern, hilft hier nicht ... Alles, was hier - und in ihm”, - sie wies über den Kontakt auf den Erdvolk-Angehörigen - „wächst, wächst auf eine Weise unkontrolliert, die wir nur aus den uralten Gesängen kennen, die noch davon berichten, daß einige der Unseren mit dem Licht, das Abschied bringt, in Berührung kamen ... und davon, daß diese nicht zu retten waren ...”
Licht, das Abschied bringt? Harte Strahlung? Hatte die Haus-Wesenheit - diese beiden hier mit harter Strahlung verletzt?
„Das ist richtig.” Zorn war im Kontakt - die Heilerin mit der hellen Stimme. Sie und ihre Untergeordnete hatten die beiden Getroffenen sehr gründlich gescannt. „Das ist eine besonders widerwärtige Form der Bewaffnung - die Ladung einer solchen Waffe tötet sofort oder aber ganz langsam, wie eine unheilbare Krankheit ...” Sie erhob sich vom Laublager des Erdvolk-Angehörigen, neben dem sie gekniet hatte, löste sich aus dem Kontakt und wandte sich an uns alle.
„Eure Medizin ist wirklich phantastisch - Ihr habt den beiden bisher das Leben gerettet, aber gesunden lassen könnt Ihr sie nicht ... Wir Jaridian haben im Laufe all der Zeit, die dieser Krieg schon dauert, etwas entwickelt, das derartige Verletzungen und deren Folgekrankheit heilt. Für uns ist das so lange schon Routine, daß sich keiner mehr daran erinnern kann, daß es auch einmal anders war ... Wenn es für Euch in Ordnung ist, nehme ich von den beiden hier Gewebe- und Flüssigkeitsproben und werde dann auf dem Kreuzer unsere entsprechenden Medikamente für Euren Stoffwechsel adaptieren und in ausreichender Menge herstellen. Dabei kann ich dann auch gleich alles Notwendige für den Eingriff, dem sie unterzogen werden müssen, vorbereiten ...”

„Eingriff?” Ich dachte sofort an da, was die Heilerin und ihre Untergeordnete für mich getan hatten, konnte aber keinen Zusammenhang mit den Verletzten herstellen.
Sie ging wieder in Kontakt und ließ uns wissen, was ihrer Meinung nach zu tun war.
Sie würde sich um die Bereitstellung der besonderen Medizin, derer es hier bedurfte, kümmern, die den Verwundeten verabreicht würde, bis entsprechende Scans ergaben, das sei nicht mehr nötig.
Den Verletzten mußte jegliches befallene Gewebe entfernt - und durch das ersetzt werden, das auch die verlorenen Gliedmaßen der alten Planeten-Ersten, die ich auf Jaridia kennengelernt hatte, formte ...
Wir alle waren erst einmal erschrocken.
„Nach einer Zeit intensiver Arbeit damit werden sie den Unterschied zu früher nicht mehr spüren ... Diese Art des Gewebsersatzes ist für sämtliche Organe und Gliedmaßen voll funktional, autoreparativ und in gewissem Ausmaß sogar wachstumsfähig ...” erklärte die Heilerin, und meinte dann, mit einem sehr bitteren Unterton: „Auch diese Art der Heilkunde zählt seit undenkbarer Zeit zu unseren simpelsten Routinen - in einem Krieg braucht es nichts dringender als sofort wieder einsatzfähige Kämpfer, überflüssiger Ausfall kann nicht hingenommen werden ...”
Sie ließ uns einen Eindruck der beiden Verwundeten sehen: Der aus dem Dunklen stemmte mit erhobenen Armen einen riesigen Felsblock, und lediglich die Tatsache, daß eine größere Fläche seines rechten Brustkastens merkwürdig dunkelgrün glänzte anstatt rötlich-grau auszusehen, erinnerte daran, was er hinter sich hatte ... Die Windvolk-Angehörige erhob sich mit mächtigen Flügelschlägen - die rechte Flughaut hellbraun, von Adern und Falten durchzogen, die linke grün schimmernd und vollkommen glatt - von einem Ph'taalast aus in die Luft. „Es gibt leider keinen anderen Weg ... Tun wir das nicht, wird sich ihr Zustand nicht bessern ...”
Die Windvolk-Angehörige betrachtete den Gedankeneindruck ihrer selbst, fliegend, voller Sehnsucht.
„Ich bin einverstanden”, sang sie, mit der heiseren Stimme eines Wesens, das ständigen Durst litt. „Wenn es für Dich und die Deinen in Ordnung ist, bitte ich Dich hiermit, das für mich zu tun ... Ich ... ich will wieder fliegen können ...”
Den Schmerz in ihren entsprechenden Muskeln kannte ich nur zu gut ...
„Bitte ..” Das war der männliche Verletzte. „Auch ich bitte darum, zu versuchen, mich mit Kristall zu heilen ... Ich will nicht nur hier liegen und - vergebens, wie Du sagst - gegen meinen Abschied kämpfen ... ich will noch so viel tun, zusammen mit den Meinen ...”
Die Heilerin atmete tief auf - sie hatte befürchtet, wir würden eine so ungewöhnliche Form des Umgangs mit Verletzung vielleicht ablehnen, aus welchen Gründen auch immer ...
Sie löste sich erneut aus der Berührung.
„Du bleibst hier”, wies sie ihre Untergeordnete an. „Du erklärst allen hier, was es mit den Wunden der beiden auf sich hat und läßt Dir alles, aber auch wirklich alles beibringen, was sie hier über die Heilung von Verletzungen, egal, welcher Art, wissen - daß Du das aufzuzeichnen hast, brauche ich Dir ja nicht extra zu erklären ... Ich setze mich mit Dir in Verbindung, sobald die Medikamente in ausreichender Menge vorhanden sind, und erteile dann weitere Befehle.”
„Ich handle nach Deiner Weisung”, antwortete die angehende Heilerin, und über den Kontakt war ihre Begeisterung über das Maß an Verantwortung, die sie soeben hatte übertragen bekommen, spürbar, die im Moment sogar die Sorge um die Verletzten überlagerte.
Ihre Übergeordnete verließ uns, dabei über ihr aufklappbares Gerät Kontakt mit dem Kreuzer aufnehmend.
Wir übrigen schlossen den Kontakt wieder mit dem Erdvolk-Männlichen, meiner Stammesangehörigen und den sie Versorgenden, und die junge Jaridian wandte sich an die beiden Letzteren.
„Bitte ... bitte singt mir von all dem, was Ihr schon getan habt für Eure Schützlinge ...”

Die folgenden Hell- und Dunkelphasen verflogen so rasch, daß ich nicht wußte, wieviel Zeit insgesamt vergangen war, als irgendwann der Sprecher in einer der merkwürdigen improvisierten Behausungen auftauchte, die die Jaridian um den Platz herum errichtet hatten, auf dem das zu dem, was ihr Raumhafen werden sollte, gehörende Gebäude entstehen würde. Ich war mit der aus dem Dunklen und zehn Jaridian, die dem Navigator unterstellt waren und den Transport klingenden Felses von den Höhlen auf der, die uns trug, hierher organisieren sollten, in intensivem Kontakt, der sich alles andere als einfach gestaltete, weil die Jaridian partout nicht einsehen wollten, daß es uns - denen im Dunklen und im Wind - nichts ausmachte, das abgebaute Gestein selbst tragend, ziehend oder fliegend zu bewegen, daß es jedoch nicht zu dulden war, daß neben jedem Höhleneingang zehn oder mehr Ph'taal gefällt würden, damit Shuttles dort landen und vor Ort beladen werden konnten ...
Der Sprecher brachte sich behutsam in die Berührung ein, indem er mir die Flügelspitzen der rechten Hand auf den rechten Flügeloberarm legte. Ich spürte Dringlichkeit und Besorgnis in ihm, verbunden mit dem Bedauern darüber, ausgerechnet diesen für seinen Auftrag hier bei uns so wichtigen Kontakt stören zu müssen, und wandte mich ihm zu.
„Die Heilerin will Dich sehen, sofort”, ließ er mich wissen, und ich nahm wahr, daß der Anteil Sorge in ihm sich auf mich bezog. „Du sollst Dich sofort auf den Kreuzer fliegen lassen, ohne Aufschub - das heißt, ich nehme Dich jetzt mit, denn ich muß ebenfalls dorthin ...”
Ich war sehr überrascht - seine Sorge um mich war absolut unbegründet, ich hatte mich lange nicht mehr so wohl gefühlt wie im Moment, mein Fell war bereits auf die Hälfte seiner üblichen Länge und Dichte nachgewachsen, ich war mit den Meinen geflogen, wann immer das, was ich zu tun und zu singen hatte, mir Zeit ließ dazu und hatte - auch in der Wahrnehmung der Meinen - deutlich an Kraft gewonnen ... Ihn beruhigte das nicht, zumal die Heilerin nicht einmal eine Andeutung dazu gemacht hatte, warum sie mich zu sehen wünschte. Ich konnte mir eigentlich nur vorstellen, daß es mit den Heilmitteln für die Verletzten zu tun haben müsse - vielleicht benötigte sie noch Probenmaterial und wollte die entsprechenden Prozeduren nicht extra jemand anderem von uns zumuten, der damit nicht vertraut war ...
Die Anderen im Kontakt hatten mitbekommen, worum es ging, und die Erdvolk-Gesangshüterin ließ mich wissen: „Sei beruhigt ... gehe mit ihm, es fühlt sich an, als ginge es so oder so um Wichtiges ...” Sie überlegte einen Augenblick und meinte dann: „Könntest Du fünf der Meinen und fünf der Deinen bitten, hierher zu uns zu kommen? Damit sie hier”, - ihre Geste umfaßte die Jaridian, deren Augen skeptisch auf ihr und mir ruhten - „wirklich fühlen können, daß wir uns nicht überlasten, wenn wir klingenden Fels hierher tragen, einfach, weil wir nie mehr nehmen, als wir tragen können, und uns abwechseln, wann immer das notwendig ist? Damit sie teilen können, daß es uns Freude ist?”
„Das werde ich tun”, versprach ich ihr.
Dann löste ich mich aus dem Kontakt.
„Das Shuttle, das wir nehmen, steht gleich hier, vor dieser Unterkunft”, sagte der Sprecher, Ungeduld im Blick, und ich beeilte mich, mit ihm den Raum zu verlassen und draußen, mit Stimme, Resonanzsehnen und den entsprechenden Schritten zu rufen, so daß wenig später fünf der Meinen um mich landeten und fünf derer im Dunklen über die blanke Fläche heraneilten, denen ich über den Kontakt mitteilte, worum es ging.
Während diese sich der Unterkunft zuwandten, stieg ich in das Shuttle zu dem dort wartenden Sprecher, und eine Zeit später hatten wir den Kreuzer erreicht und ich war auf dem Weg in die medizinische Station.
Die Heilerin empfing mich im Eingang, mit ratlosem und verwirrtem Gesichtsausdruck, und als ich sie berührte, erschrak ich - sie wirkte richtig erschüttert, aber ich bekam kein klares Bild, wovon - da war nur - merkwürdig funkelndes Rosa, sehr fremdartiger Gesang, das - das Bedürfnis nach mir und - und etwas wie Angst ... Sie führte mich in den Raum, in dem ich von meinem vollgestaubten Fell befreit worden war, und dort bot sich mir einer der merkwürdigsten Eindrücke, den ich je wahrgenommen hatte.
Auf der Arbeitsfläche an der Wand, neben dem Gerät, mit dem die Heilerin eines meiner Haarbüschel untersucht hatte, stand das große durchsichtige Behältnis, in dem sie alles Abgeschnittene aufbewahrt hatte, um es weiteren Tests unterziehen zu können. Der Deckel lag zerbrochen am Boden, und nicht ein einziges Fellbüschel befand sich mehr in dem Gefäß - statt dessen wogte etwas Großes, Formloses, Halbtransparentes, leuchtend Rosafarbenes darin, darum und darüber ... wogte und sang ... fremdartig, ungewohnt ... und so - anziehend ...
Ich ging ein paar Schritte darauf zu.
Bis die Heilerin mich am linken Flügelarm packte.
„Nein ...”
Sie fürchtete sich tatsächlich ... Diese mutige, gestandene Kämpferin empfand - wirkliche Angst ...
„Ich weiß nicht, was hier geschieht”, ließ sie mir zufließen. „Ich - ich habe keinen einzigen Test an Deinem Fell durchgeführt ... Ich habe mir anfangs überhaupt nichts dabei gedacht, daß ich immer
wieder zu diesem Gefäß ging, mit der Idee, ich könne diese oder jene Untersuchung daran vornehmen, und das eine Untereinheit später völlig vergessen hatte ... Einmal hatte ich die Hände bereits auf dem Deckel, um ihn herunter zu nehmen, da hörte ich ein so ungewöhnliches Geräusch, daß ich erst einmal nachschauen mußte, woher das kam - aber ich konnte die Ursache nicht finden ... Zu Beginn meines Dienstes nach der Ruhephase kam ich hier herein, da war der Deckel fort und es sah - so aus ...” Sie wies auf das wogende Rosa. „Ich wollte hingehen, um es genau anzuschauen - und - und es begann, in meinem Kopf zu schmerzen ... ich habe selten in meinem Leben einen derartigen Schmerz erlebt - der sofort aufhörte, als ich mich von dem Behältnis entfernte ... und dann war ein - nein, Bild kann man das nicht nennen, eher - eher wie ... ich habe gar kein Wort dafür, jedenfalls war das - warst das irgendwie Du, verbunden mit dem Gefühl von Unbedingt-Wollen ... als - als könne ich es ohne Dich hier oben nicht mehr aushalten ... Es tut mir so leid, Dich mit einem derartigen Unsinn zu überfallen, aber - aber es stimmt, ich wußte mir ohne Dich nicht mehr zu helfen, als ob die Einzige, die hier etwas tun kann, Du bist ... seit ich vor zwei Einheiten das erste Mal in diesem Raum war, kann ich nichts mehr tun - nicht denken, nicht arbeiten, keine Nahrung zu mir nehmen ... ich sehe und höre nur noch Rosa - und Dich ...”
Es ging mir sehr ähnlich - ich nahm über die Berührung von ihr selbst fast nichts mehr wahr, nur - nur Rosa und Wollen, auf mich bezogen ... Seltsamerweise empfand ich das nicht als beängstigend, obwohl ich genau fühlte, wie sehr sie sich fürchtete - weniger wegen des Schmerzes, den sie erlitten hatte, sondern wegen der Tatsache, daß sie sich nicht unter Kontrolle hatte; sie hatte mich nicht holen wollen, hatte aber genau das getan ...
Ich nahm sie zwischen die Flügel und ließ ihr Sonnenhell zufließen, was ihr gut tat, gleichzeitig aber auch den fremden Gesang in ihr und mir lauter und lauter werden ließ ...
Sie starrte mich entsetzt an, und ich ließ sie los - das Lied wurde leiser, aber irgendwie - eindringlicher ...
Ich schaute hinüber zu dem Behältnis - es war, als habe sich das Leuchten des in ständiger Bewegung befindlichen Rosafarbenen sich intensiviert.
„Ich gehe es mir anschauen”, sang ich der Heilerin. „Vielleicht verstehe ich es, wenn mir Kontakt damit gelingt ...”
„Nein, das Risiko ist zu groß - es könnte Dich verletzen ...”
„Wenn es in meinem Kopf zu schmerzen beginnt, kann ich mich abwenden, wie Du es getan hast ...” Plötzlich war der Wunsch in mir, dort hin zu gehen und das Rosafarbene zu berühren, so intensiv, wie es der der Heilerin gewesen war, mich hier zu haben ...
Ehe sie mich davon abhalten konnte, hatte ich mich dem Behältnis zugewandt und näherte mich ihm, die Flügelhände zum Kontakt ausgestreckt, Schritt für Schritt.

 

Ende von Kapitel 59

 

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