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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juli 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Gehalten / Reisestaub / Gelandet
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Der Hüter der Wasser-Gesänge, der auf dem Weg, die Gesangshüterin des Erdvolkes, Aveena, die Heilerin mit der hellen Stimme, deren Älteste (vier weitere Kämpfer, der Navigator, der Sprecher, eine angehende Heilerin)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 57

 

„So haben wir sie gefunden”, erklang die Stimme des Wasser-Gesangshüters. „Wir haben sie geweckt - sie hat sich nicht einmal vor uns gefürchtet, sie hat uns für Hirngespinste gehalten, für die Halluzinationen einer Schwerverletzten unter Schock ... und sie hat sich standhaft geweigert, loszulassen und mit uns mit zu kommen - sie hat uns schlicht nicht geglaubt, daß die anderen, die, denen sie versprochen hat, sie zu schützen, längst gerettet sind.”
„Er”, - die immer noch zitternde Kämpferin wies über den Kontakt zu dem aus den Feuern, der tatsächlich wieder eingeschlafen war - „hat mir die Strebe schließlich abgenommen ... Mir ist noch kein Wesen begegnet, das kein Jaridian war und so plötzlich eine derartige Kraft entwickeln konnte ... Er hat meinen Griff darum gelöst, indem er irgend etwas mit meinen Armen tat - ich mußte loslassen, ich konnte gar nicht anders ... und Euer Wasser-Wesen hat mich aufgefangen und dafür gesorgt, daß ich ...”
Ihre Stimme brach.
„Daß ich die beiden leeren Plätze sehen konnte ... die Plätze, wo die Anderen gewesen waren ... Sie waren fort ... Und dann hat er gesagt, ‚so oder so - Du kannst loslassen - das hier hilft niemandem mehr ...’ und daß Du”, - sie hatte ihrerseits wieder die Arme um die Ältere geschlungen und klammerte sich an sie - „hier auf mich wartest ...”
„Sie ist mit uns mit gekommen”, fuhr der Hüter der Gesänge derer in den Tiefen fort. „Wir haben das zerstörte Modul zurückgelassen und uns wieder in die Zwischen-Zeit begeben - aber diese wollte uns nicht vorwärts lassen, nicht zurück in unsere Gegenwart, nicht zurück auf dieses Schiff hier. Was uns vorher Schub war, wirkte uns jetzt entgegen ... Dagegen erschien das mitgenommene Kreuzermodul plötzlich wie etwas Sicheres, Haltgebendes - das zwar zerstörte, aber gerade darin verläßliche Bekannte, während die Sprungpassage mit beängstigenden Unwägbarkeiten und massivem Widerstand drohte ...”
Jetzt zitterte plötzlich auch er, und die Erdvolk-Gesangshüterin legte die Arme um ihn.
„Wir wären beinahe dort geblieben, zusammen mit ihr”, sang er, ganz leise. „Mit der Zwischen-Zeit muß man mitfließen, Widerstand duldet sie nicht ... Ihr, unsere Anker, habt uns zurückgeholt - Ihr habt unvorstellbare Kraft aufgebracht ... An Eurer Energie, Eurem Gesang entlang haben wir uns zurückgekämpft, alle drei, Euer Zug und unser Vorwärtsstreben zusammen waren um ein Geringes stärker als der Sog der Zwischen-Zeit ...”
„Ihr habt Euch um meinetwillen in Gefahr gebracht ...” Die junge Kämpferin klang jetzt ehrfürchtig. „Ihr - Ihr habt gehandelt wie Krieger ...” Sie löste sich behutsam aus dem Halt der Älteren, wandte sich dem Wasser-Gesangshüter und dem auf dem Weg zu und berührte beide. „Danke ... Ich danke Euch ... und bitte vergebt, daß ich es Euch so schwer gemacht habe ...”
Der aus den Feuern seufzte im Schlaf und veränderte seine Position in den Flocken so, daß er der jungen Jaridian sein - vollkommen entspanntes - Gesicht zuwandte, als habe er ihre Worte gehört. Der aus den Tiefen strahlte sie an.
„Wir haben das sehr gern getan ...”
Plötzlich waren seine Zwischenlider wieder offen.
„Zwei der Deinen verdanken Dir ihr Leben - und das Ganze hat noch viel vor mit Dir ...”

Es dauerte eine weitere Hell- und Dunkelphase lang, bis uns die Heilerin erlaubte, überhaupt nur mit den Vorbereitungen für die Arbeit mit den anderen Jaridian zu beginnen. Glücklicherweise war sie darauf gekommen, nicht nur die medizinischen Aufzeichnungen über die drei männlichen und die weitere weibliche Bewußtlose mitzunehmen auf den Flug, sondern auch die Datenkristalle, die Informationen über die Einsätze enthielten, während derer die vier verunglückt waren ...
Und es war auch sie, die auf die Idee kam, unter der Besatzung nachzufragen, wer vielleicht bereit wäre, uns bei den bevorstehenden Heilarbeiten zu unterstützen, und sei es nur, indem er uns mit zusätzlicher Energie versorgen würde.
Die Hälfte der Mitfliegenden erklärte sich begeistert bereit dazu, und die Heilerin befand insgesamt sechs davon als tauglich dafür, drei, für die noch zu singen wäre auf diesem Flug, mit enormen Kräften und extremer Intensität ihrer inneren Energie, und drei Verschonte, die ihr Shaqarava ausnahmslos perfekt beherrschten, und in der gemeinsamen Planung dessen, was wir für die Bewußtlosen zu tun hätten, stellte sich einmal mehr - diesmal aber konkret und detailliert heraus - daß die Jaridian, vor allem zu Heilzwecken, ihre Energie auf sehr ähnliche Weise einsetzten, wie wir es taten ... Sie benutzten andere Begriffe und zum Teil auch andere Techniken als wir, um zu gleichen Ergebnissen zu kommen, aber über den Kontakt waren auftretende Verständnisschwierigkeiten rasch behoben. Shaqarava war für die Jaridian etwas wie für uns unsere innere Energie und all unsere Gesänge zusammen - und darüber hinaus etwas, was unser Verständnis erst einmal überstieg - aber wir erarbeiteten auf diesem Flug vor allem die Gemeinsamkeiten ...

Mit allen vier Verlorenen gelang die jeweilige Arbeit sehr viel leichter als unsere erste. Wir blieben in gleicher Konstellation, allerdings mit insgesamt vier Ankernden mehr, zwei Jaridian, die mit der aus dem Dunklen im Wortsinne am gleichen Strang zogen, und zwei mit mir, während die beiden Übrigen mit der Heilerin zusammenwirkten.
Und es gelang uns, alle vier Kämpfenden vollständig zu bergen, selbst den Ältesten der Männlichen, dessen Geist in mehrere Stücke zerbrochen war ob des Entsetzens, in dem er verloren gegangen war ... sie vollständig zu bergen, so daß sie wieder wach und bewußt sein konnten in ihren inzwischen längst geheilten, aber sehr geschwächten Körpern.

Obwohl unser Flug nach Hause zeitlich wirklich deutlich länger dauerte als der Hinweg nach Jaridia, schien er erheblich schneller zu vergehen. Der Sprecher hatte Recht behalten - viel Zeit zum Ausruhen blieb uns nicht. Wir machten uns mit den Plänen für den Raumhafen vertraut, der nach den Ideen der Jaridian auf dem riesigen freien Areal vor der zurückgelassenen lebendigen Taelon-Behausung erbaut werden sollte - so würde nicht ein weiterer Teil unserer Welt mit etwas Derartigem belästigt - und mit den Gedanken, die sie sich zum Thema Abbau und Lieferung klingenden Felses gemacht hatten - da gab es Kapazitätsberechnungen von Arbeitskraft, Ausbeute und Transportmöglichkeiten, die dafür sorgten, daß sich mir das Fell sträubte, in dem sich hartnäckig dieser merkwürdige Staub hielt, obwohl ich die wenige Zeit, die uns für so etwas verblieb, konsequent dazu nutzte, zu versuchen, ihn zu entfernen - es war mir egal, daß ich leuchtend rosafarben herumlief, aber meine Haut hatte davon sehr zu jucken begonnen ...
Wir sangen für sämtliche Besatzungsmitglieder, die das wünschten - zu meiner Besorgnis war ausgerechnet der Navigator nicht darunter - er war tief im Zweifel, ob er auf die ihm immer noch zuwachsenden Kräfte wirklich verzichten wolle, und es blieb uns nur, das zu akzeptieren.
Der Älteste der Jaridian, die wir in ihr Leben hatten zurück singen können, verbrachte viel Zeit mit uns - freundlich, wortkarg und verschlossen, wie er war, schien ihm unsere Gegenwart dennoch irgendwie gut zu tun. Er hatte den Schrecken, den er erlebt hatte, wie so viele der Seinen tief in sich in die Erde gebettet, er sang nie darüber und schob, wann immer etwas davon sich in seinem Bewußtsein zeigen wollte, dies weg, ohne überhaupt zu merken, was er da tat. Wir ließen ihn über den Kontakt immer wieder fühlen, daß wir da waren für ihn ...

Es gab Sprung- und Beschleunigungsphasen, noch mehr Arbeit und etliche Zeiteinheiten in den Behältnissen, und irgendwann gab es Abbremsalarm, ohne daß wir diese hätten aufsuchen müssen, denn die bevorstehende Bremsung würde sich über mehr als zwei mal zwanzig Einheiten hinziehen ...
Und dann wurden der auf dem Weg, die Hüterin der Gesänge des Volkes im Dunklen, der aus den Tiefen und ich über die schiffsinterne Kommunikationsanlage vom Sprecher selbst auf die Brücke befohlen, in einem so merkwürdigen Tonfall, daß in uns allen Besorgnis aufstieg.

Wir beeilten uns, dem Befehl Folge zu leisten ...
Und als wir die Brücke betraten, blieb uns allen Atem und Stimme weg.
Auf dem riesigen holographischen Bildschirm in der Mitte leuchtete in der Schwärze des Alls ein Sternensystem.
Eine hellgolden erscheinende Sonne, tanzend mit drei Planeten, davon einer von Monden umringt ...
Wir waren - beinahe - zu Hause.

Ich mußte den Schnabel fest zudrücken, um nicht laut loszusingen - aber in dem Blick, den der Sprecher mir zuwarf ob des seltsamen Geräusches, das ich da von mir gegeben hatte, war nur Freude ... Alle auf der Brücke formten einen Kreis mit uns, und all unsere Begeisterung war darin, die Bilder, die in uns aufstiegen davon, endlich wieder einzutauchen in all die Fülle und Vielfalt der Unseren ebenso wie die vom Ausladen von Geräten und Material aus unzähligen Shuttles, planvollem Durcheinander und einem wachsenden Bauwerk neben dem der Taelon bei den Jaridian ...
„Zwei mal zwanzig Einheiten und vier, dann sind wir in stationärem Orbit der Region, in der Euer Gehölz und Euer Strand liegen”, ließ uns der Navigator wissen, der mich mit dem rechten Arm umschlungen hielt.
Mein Herz schlug viel zu schnell, nicht nur, weil ich einmal mehr wieder dabei war, unwillkürlich zu versuchen, meinen Stoffwechsel dem seinen anzugleichen.
Zu Hause ... Der Stamm, dem ich angehörte ... Der Ph'taal, in dem ich lebte ... Die Höhle darunter, die die Erdvolk-Gesangshüterin und die Ihren beherbergte ... Der Strand, an dem die auftauchten, die den Hüter der Wasser-Gesänge zu Ihresgleichen zählten ... und an dem ständig die unbändig heißen Feuer derer auf dem Weg loderten, in denen sie so wunderbare Dinge wie das Instrument fertigten, mit dem der, der hier mit uns war, die Lieder derer in den Tiefen und der Zwischen-Zeit erklingen ließ ... Das Gefühl unzähliger Arme, Flossen und Flügelarme, die einander und mich hielten ... Salzig riechende Meeresluft ...
In welcher Phase eines Umlaufzyklusses würden wir wohl ankommen auf der, die uns trug?
„Auf die Zeit bezogen, die auf Eurer Welt vergangen ist seit Eurem Abflug, sind ein Zyklus und ein halber vergangen”, gab der Navigator in die Berührung. „Es herrscht das Klima einer beginnenden Kaltphase in Eurem Gebiet, es ist ziemlich naß und die Temperaturen sind bereits recht niedrig ...”
Nebel ... Alles in sanftes, fast undurchsichtiges helles Grau gehüllt, alle Klänge gedämpft ... Fast reife Bodenfrüchte ... Perlende Wassertropfen im Fell auf jedem Flug ... Eine wuselnde Schar winziger Nichtflügger, die es warm zu halten und zu unbändigem Essen zu bewegen galt, damit alle die Kaltphase durchstünden ... die bereits mit den ersten Übungen zur Kräftigung ihrer Flugmuskeln begonnen hatten ...
„Was tust Du eigentlich die ganze Zeit?” Der Sprecher unterbrach meine Gedanken, spürbar irritiert. „Ich denke, Du solltest dringend die medizinische Station aufsuchen - warum hast Du Dich eigentlich nicht schon längst dort gemeldet?”
Ich spürte zu ihm hin - womit wirkte ich so störend auf ihn - und nicht nur auf ihn?
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich rosafarbenes Glitzern auf dem Boden, aber erst, als ich mich dem Navigator entwand, um mich heftigst unter dem linken Flügel zu kratzen, hatte ich verstanden.
Mir war, gebannt von dem Anblick auf dem Holo-Schirm und im Geist schon zu Hause, nicht bewußt geworden, daß der Juckreiz durch diesen seltsamen Zwischen-Zeit-Staub in meinem Fell sich derart in der Intensität gesteigert hatte, daß ich dabei war, es mir auszureißen und meine Haut mit den Krallen so zu verletzen, daß ich anfing, Flüssigkeit daraus zu verlieren ...
„Es tut mir leid ...” Ich empfand tiefes Unbehagen, daß ich die anderen das hatte fühlen lassen - aber ich hatte es selbst ja gerade erst wirklich bemerkt ...
Sämtliche Jaridian und die Meinen rieben sich jetzt ungeduldig mit Händen, Grabklauen und Flossenspitzen über den Körper, und ich beeilte mich, die Berührung zu lösen.
Einem Impuls folgend, hob ich die ausgerissenen Fellbüschel vom Boden auf.
Was geschah hier - hatten die Anderen nur über den Kontakt mitgefühlt, was mit mir war, oder hatten sie jetzt durch mich von dem Staub abbekommen?
Ich schaute alle an - auf niemandes Haut oder Kleidung haftete Rosafarbenes - also täte ich, um der Anderen Willen, gut daran, die Brücke sofort zu verlassen ...
Ich wünschte mir nichts so sehr wie das Meer und sandigen Strand - nicht, daß sich dadurch das Glitzernde von mir gelöst hätte, das hatte ich mehrmals vergebens versucht - aber die Kühle des Wassers und das Abreiben mit Sand würde den Juckreiz, den ich inzwischen als kaum mehr erträglich empfand, mit Sicherheit mildern ...
Ich kam mir ungefähr so dumm vor wie ein Nichtflügges, das seine erste Bekanntschaft mit einer Haarbeerenpflanze schließt ... Haarbeeren sind wohlschmeckend und enthalten gerade für Winzige sehr Wichtiges, aber niemand sollte sie zu pflücken versuchen, der nicht sehr genau instruiert ist, wie man das macht - sie werden nämlich nicht gepflückt, sondern abgesungen, und das mit gutem Grund. Wegen so etwas die medizinische Station aufzusuchen, würde dort nur unnötig Arbeit verursachen ...
Ich wanderte den Gang entlang, der zu unserer Unterkunft führte. Der aus den Tiefen hatte angeboten, ich dürfe sein Wasserbehältnis aufsuchen, so oft es mir gut täte ...
Körperflüssigkeit tropfte aus meinem linken Flügelunterarm, auf dem ich mir soeben einen langen Streifen Fell mit allen Krallen der rechten Flügelhand aufgerissen hatte, ohne daß das auch nur das Mindeste bewirkt hätte.
Alles, was uns Vieren eingefallen war, um mich von dem stetig lästiger werdenden Juckreiz zu befreien, hatten wir versucht, und nichts hatte geholfen ... Ich würde den Rest dieses Fluges allein verbringen müssen, am besten in einem der Frachträume, in denen noch deutlich niedrigere Temperaturen herrschten als hier in den Gängen, denn niemand hielte es in meiner Gegenwart auch nur eine einzige Untereinheit lang aus.
Oder ich begäbe mich doch auf die medizinische Station - vielleicht fiele der Heilerin, wenn sie denn Zeit hätte für mich, eine Lösung für mein mißliches Geschick ein ... Ich wollte sie aber eigentlich wirklich nicht behelligen - sie war in den letzten vier mal zwanzig Einheiten damit beschäftigt gewesen, ihre Stammesangehörigen zu untersuchen, für die wir noch zu singen hatten, und eine neue Dringlichkeitsliste zu erstellen, nach dem wir die erste ‚abgearbeitet’ hatten, und das war, bedingt durch die offenbar speziestypische Sturheit Ihresgleichen, alles andere als einfach.
Mit der Vorstellung, notfalls den Rest dieser Reise in einem Frachtraum zu verbringen, konnte ich mich notfalls abfinden, aber nicht mit dem Gedanken, all dies hier - ich hatte mir inzwischen zwei weitere Fellbüschel ausgerissen - bei der Ankunft auf unserer Welt jedem zuzumuten, mit dem ich in Berührung käme ...
Ich stand schließlich im Eingang zur medizinischen Station und wurde zu meiner Überraschung sofort von einer jungen Jaridian in der Kleidung der Heilenden, die das einzige Rangabzeichen daran als eine werdende solche auswies, in Empfang genommen. „Das ist gut - aber wie konntest Du so schnell hier sein? Meine Übergeordnete hat den Befehl an Dich doch gerade erst an die Brücke und in Eure Bleibe durchgegeben ...”
„Befehl an mich?”
Die Jaridian hatte mich am rechten Flügelarm genommen, sich, ohne sich dessen bewußt zu sein, heftig an der Brust kratzend. „Wegen Deiner Vitalwerte ... Dein Puls hat sich innerhalb der letzten Einheit vervierfacht, und Deine Körpertemperatur steigt ebenso rasch wie der Anteil eines bestimmten Botenstoffes in Deinen inneren Flüssigkeiten - sie will Dich sofort sehen.”
Ich entwand mich der Berührung, und die angehende Heilerin schaute mich erschrocken an. „Habe ich etwas getan, was Dir unangenehm ist?”
„Nein”, sang ich ihr, „es ist umgekehrt ... Du hast auch schon damit angefangen ...” Ich verrenkte mich, um mich zwischen den hinteren Flugmuskeln kratzen zu können, während die Jaridian sich heftig beide Unterarme rieb - und im selben Moment verstand.
„Es tut mir leid”, brachte ich ziemlich kläglich heraus.
„Es ist in Ordnung ... Ich glaube, ich hole jetzt am besten meine Übergeordnete ...”

Die Heilerin mit der hellen Stimme hatte den Raum, in dem wir uns befanden, im gleichen Moment betreten, einen Scanner auf mich gerichtet. „Du siehst schrecklich aus, genau wie Deine Werte - was, um Jaridias Willen, ist los mit Dir?” Sie war bei mir und hatte mir die rechte Hand auf den linken Flügel gelegt, ehe ich sie davon abhalten konnte.
Ihre Augen wurden weit.
Ich trat einen Schritt zurück, um die Berührung sofort wieder zu lösen.
Die Jaridian konsultierte den Monitor ihres Scanners. „Dein Körper hat begonnen, sich gegen diesen Staub zu wehren. Er reagiert auf eine Weise, die bei uns sehr, sehr selten ist. Ich vermute, Du hast alles, auf das Du nur gekommen bist, unternommen, um diese rosafarbene Zeug loszuwerden?”
Ich bejahte.
Sie überlegte einen Augenblick.
„Die Medizin, die Meinesgleichen in einem solchen Fall hilft, kann ich Dir nicht geben, Dein Stoffwechsel würde sie nicht verkraften - Du wärest zwar den Juckreiz los, aber damit immer noch nicht dessen Ursache, und sie würde Deine Entgiftungsorgane völlig überlasten.”
Sie schaute zu ihrer jungen Stammesangehörigen, die Unsicherheit, den unbedingten Willen, zu helfen und unbändige Neugier ausstrahlte, und dann zu mir, und Unbehagen stand in ihren Gesichtszügen.
„Aveena, das sage ich Dir jetzt sehr ungern - aber ich fürchte, es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als ...”
Sie berührte mich erneut, ehe ich es verhindern konnte, und ließ mich ihre Ratlosigkeit und ihr Bedauern spüren. „Ich weiß wirklich keine andere Möglichkeit ... So lange der Staub an Dir haftet, wirst Du keine Ruhe finden. Ich werde jetzt eines dieser Büschel nehmen, die Du schon gelassen hast, und mir dieses Glitzernde noch einmal genau anschauen, aber ich fürchte bereits jetzt, es bleibt uns nur, Dein - Dein Fell zu entfernen, und zwar vollständig.”
Ich hielt ihr die Flügelhand mit den Büscheln darin hin, und sie nahm eines und machte sich damit an einem auf der Arbeitsfläche an der Wand aufgereihten Geräte zu schaffen. Kurze Zeit später erschien auf dem Bildschirm, der in der Mitte des Raumes von der Decke hing, eine holographische Darstellung.
Kräftige lange, dünne Gebilde, wie die Grashalme, aus denen unsere Bündel geflochten waren und die Schnüre, an denen wir die Medizin unserer Welt um den Hals trugen, und an jeden ‚Halm’ hatten sich, dicht an dicht, längliche, achteckige, rosafarben leuchtende Gebilde regelrecht geklammert, umschlossen ihn komplett mit einer Art Auswuchs, der sich zusätzlich mit etwas, das an Haarbeerenstacheln erinnerte, da hinein bohrte ...
„So etwas habe ich noch nie gesehen ...” Die Heilerin stand über ihr Gerät gebeugt, in das sie konzentriert hineinschaute. „Es ist Kristallstaub - oktaedrische Kristalle einer im Imperium unbekannten Gesteinsart, die eine wirklich außerordentliche Affinität zu Deiner Behaarung entwickelt haben ...”
Sie wandte sich zu mir um. „Es tut mir leid - das Fell muß herunter, und zwar komplett ... oder Du gerätst in ernsthafte Gefahr.”
Sie scannte mich erneut. „Deine Temperatur ist zu hoch, aber stabil - aber der Anteil dieses Botenstoffes steigt weiter, und Du bist nicht mehr weit weg vom kritischen Bereich.” Sie steckte den Scanner weg und verließ den Raum, um sofort wieder zu erscheinen, mit dem kleinen Gerät, mit dem damals ihr Übergeordneter mir das erste Mal ein paar Büschel Haare weggenommen hatte, um auf meiner bloßen Haut den selben Permanentscanner anbringen zu können, den ich jetzt wieder trug. Sie schaltete es ein und kam damit auf mich zu.
Ich hatte meine Ohren verschlossen und beide Flügelhände darauf gedrückt, so entsetzlich grell, laut und mißtönend war das Geräusch, das davon ausging ... Eine Halbton-Schwebung im ultrahohen Bereich schmerzte in sämtlichen Knochen, und ich wich vor der Heilerin zurück und krümmte mich, mit allen Stimmbändern schreiend, um das zu übertönen, aber es half nicht ...
Beide Heilenden starrten mich entsetzt an.
Alles war so laut, nicht nur dieses grauenhafte Gerät ... Ich konnte sogar die Herzen der beiden schlagen hören ... Aufhören, es sollte nur aufhören ...
Und ...
Es hörte auf, endlich.
Das entsetzliche Geräusch war verstummt, nur die übrigen Laute im Raum und der Puls der beiden Jaridian blieben hörbar, aber nicht lange.
Ich hockte auf dem Boden, den Kopf zwischen den Flügeln. Beide Jaridian berührten mich.
Ich wollte ausweichen und landete unsanft auf meinem hinteren Ende.
„Was war das? Du hast noch nie so auf den Desintegrator reagiert ...”
„Laut - es war so laut - hast Du es anders eingestellt als sonst?”
„Laut? Ich habe, wie üblich, überhaupt nichts gehört.”
Jetzt bekam ich langsam Angst - außerdem kam ich mehr und mehr außer Atem ...
„Das ist der Botenstoff in Dir - Deine Atemwege beginnen, zuzuschwellen.” Die Heilerin berührte mich einmal mehr, ich sollte fühlen, daß ich nicht allein war. „Der Staub muß herunter, auf jeden Fall ... Wir - wir machen es mit den Instrumenten, die wir in Situationen benutzen, wo keinerlei Energie zur Verfügung steht - wir schneiden Dein Fell herunter, wenn es mit dem Desintegrator nicht funktioniert.”
„Macht, was Ihr wollt - aber bitte, bitte nicht wieder diesen Lärm ...”
Jetzt ließ die Ältere der beiden Jaridian mich los.
„Wir legen sie hier auf die Fläche, als müßten wir tatsächlich einen medizinischen Eingriff an ihr vornehmen”, wies sie ihre Stammesangehörige an. „Wir schneiden zu zweit, je schneller es geht, desto besser ... Mehr, als sie sich selbst schon an Verletzungen beigebracht hat, werden wir ihr auch nicht zufügen.”
Ich wurde von beiden gepackt und mit der gleichen Mühelosigkeit hochgehoben, mit der ich das mit einer Ph'taalfrucht getan hätte, und fand mich, auf dem Rücken liegend mit weit ausgebreiteten Flügeln, auf harter Unterlage wieder.
Dann war die ältere Heilerin aus dem Kontakt; ich hörte sie den Raum verlassen und kurz darauf wieder betreten.
Über meine Brust hinweg drückte sie der Jüngeren etwas Langes, Dünnes, Glänzendes in die Hand, und dann begannen die beiden, mir mein Fell zu nehmen - rasch, gründlich und geschickt, als täten sie in zwanzig Zeiteinheiten nichts anderes ... Seltsamerweise linderte allein das bereits das dringende Bedürfnis, mich zu kratzen, so daß es mir sogar einigermaßen gelang, stillzuhalten. Irgendwann mußte ich mich umdrehen, und die glatte, kalte Fläche meiner Unterlage tat auf der bloßen Haut unendlich gut ...
Wie lange die Prozedur dauerte, wußte ich nicht, aber danach ging es mir so viel besser, daß ich, kaum von der Arbeitsfläche aufgestanden, beide Jaridian zwischen die Flügel nahm und sie das spüren ließ, verbunden mit allem Dank, den ich empfand dafür ... Die Jüngere freute sich, die Heilerin mit der hellen Stimme wies das zurück.
„Wir haben Dich entsetzlich zugerichtet, nur, weil uns nichts Besseres eingefallen ist, und darauf bin ich alles andere als stolz.” Sie ließ mich meinen kahlen Körper anschauen, nur wenig beruhigt darüber, daß ich das auch nicht seltsamer fand als zuvor meinen rosa glitzernden Pelz, mich aber um so vieles wohler fühlte.
„Stell' bitte ein Wasserbehältnis auf - aber eines, in das sie auch hinein paßt”, wandte sie sich an ihre Untergeordnete, „nimm lauwarmes Wasser und ...” Sie nannte einen komplizierten Begriff, der kühlend und angenehm klang und sich über den Kontakt, den wir jetzt wieder zu dritt hielten, auch so anfühlte. „Achte darauf, daß sie eine halbe Einheit darin bleibt, und dann gib ihr ...” - ein weiteres kaum zu singendes Wort, das die Weichheit eines Ph'taalblattes in einer Kaltphase bedeutete - „auf die Haut ...”
An mich gerichtet, fuhr sie fort: „Deine Medizin mußt Du jetzt wieder in pro Einheit einmal nehmen, nicht nur in jeder sechsten. Ich hoffe nur, daß Dein Fell noch zu wachsen beginnt, bevor wir landen ...”
Sie sorgte sich - sorgte sich, ich würde frieren, oder daß die Meinen mich so nicht wollen würden ... Ich ließ sie sehen, wie diese mich empfangen würden, kahl, wie ich war - so wie immer, voller Annahme und Freundlichkeit, verbunden wohl mit dem Bedürfnis, mich wärmen zu wollen und gegebenenfalls genau so besorgt wie sie.
„Es geht mir gut, und es wird mir auch weiterhin gut gehen, dank Eurer Hilfe”, ließ ich sie und die Jüngere wissen.
Erstere blieb skeptisch. „Geh' mit ihr und tauche Dich ein, wie sie es Dir vorgibt”, entließ sie mich aus dem Kontakt. „Ich werde all Dein Fell einsammeln und erst einmal aufheben - was immer das ist, was Dir so zu schaffen gemacht hat, ich werde es sehr gründlichen Tests unterziehen und hoffentlich ein Gegenmittel dazu finden, das jedem weiteren bepelzten Wesen das, was Du über Dich hast ergehen lassen müssen, in Zukunft erspart ...”
Wenig später ließ ich mich im Nebenraum auf Anweisung der angehenden Heilerin in das von ihr gefüllte Wasserbehältnis sinken, durch den offenen Durchgang beobachtend, wie deren Übergeordnete mit sehr unzufriedenem Gesichtsausdruck all die glitzernden Haarbüschel aufnahm, sie in ein großes transparentes Gefäß gab und dieses mit einem Deckel fest verschloß.

Als die uns auf der Brücke angekündigten zwei mal zwanzig Einheiten und vier vergangen waren und alle drei Schiffe sich im Orbit um die, die uns trug, befanden, gab es auf meiner Haut erste winzigste Stoppeln neuen Fells, und der Juckreiz, das diese verursachten, ließ sich leicht beseitigen mit dem, was die angehende Heilerin mir nach dem Verlassen des Wasserbehältnisses gegeben hatte, verbunden mit dem Gesang, den wir für die Nichtflüggen singen, wenn ihre Behaarung zu wachsen beginnt ... Ich hatte die junge Jaridian, die ihre Begeisterung darüber, an meiner Behandlung beteiligt zu sein, nicht verbarg, nach der Zusammensetzung der trüben, etwas zähen Flüssigkeit gefragt, und wir hatten beide, sehr überrascht, festgestellt, daß ihr Hauptbestandteil einem sehr ähnlichen Mittel bei uns entsprach - dem Wuchskraut ... Wir brachten den Nichtflüggen zügig bei, sobald sich erste Stoppeln auf ihrer Haut zeigten, von dieser Pflanze, die während einer Warmphase von denen im Dunklen gepflückt und getrocknet wird, immer eine Portion bei sich zu tragen und stets etwas davon im Schnabel zu haben. Austausch über derlei Dinge waren für uns alle nicht nur sehr interessant, sondern die Leitende der medizinischen Station hatte dies ausdrücklich als Auftrag mit auf diesen Einsatz bekommen.
Der Sprecher hatte sich über die zusammen mit dem Schild installierte Kommunikationseinrichtung mit den Schildwachen der Aktivierungsstationen an den beiden Polen unseres Zuhauses in Verbindung gesetzt und unsere Ankunft angekündigt - und diese waren, entgegen jedes Protokolls, zunächst einmal in wilde Begeisterungsstürme ausgebrochen, bevor sie sich an die Regeln, die diese Art von Kontakt bestimmten, erinnerten. Es war vereinbart worden, daß wir, wie in der letzten Zeit vor unserem Abflug, am Strand abgesetzt würden, und nicht nur wir, sondern auch sämtliche Jaridian, die dies wünschten - und es stellte sich rasch heraus, das waren eigentlich alle, so daß der Sprecher per Befehl festlegen mußte, wer als Notbesatzung zunächst oben zu bleiben hatte.
Wir hatten in den letzten zwei Einheiten unsere Unterkunft aufgeräumt, so weit wir konnten. Die Mitte-Lager-Flocken - das Ph'taal-Laub vom Hinflug war längst der Wiederverwertungsanlage des Kreuzers zugeführt und in irgend etwas anderes, wahrscheinlich in Energie, umgesetzt worden - hatten wir in die dafür vorgesehenen Säcke verstaut, alles, was wir an Gerätschaften von den Jaridian nicht mehr benötigten, zurückgegeben und das, was wirklich nicht mehr zu benutzen war, wie etwa Nahrungsriegel-Verpackungen und die aus irgendeinem Grund nicht wieder auffüllbaren Behältnisse für die Flüssigkeit gegen Juckreiz, unsererseits in die Wiederverwertung gegeben ... Jetzt standen wir mit gepackten Bündeln in dem Areal, in dem die Shuttles untergebracht waren, vor dem, das uns zugewiesen worden war, und warteten auf den Navigator, der uns unbedingt selbst herunterfliegen und auch gleich unten bleiben wollte. Die Jaridian hatten vor, nach der Begrüßung der Unsrigen sofort mit den vorbereitenden Arbeiten für den Raumhafenbau zu beginnen - die entsprechenden Geräte wurden gerade um uns herum verladen.
Und irgendwann hockten der auf dem Weg, die Erdvolk-Gesangshüterin und ich, in inzwischen vertrauter Anordnung, in ‚unserem’ Shuttle auf den Sitzen und die Jaridian halfen uns einmal mehr mit den Gurten, während der aus den Tiefen den Deckel seines Wasserbehältnisses über sich schloß.
Der Flug hinab auf die, die uns trug, war einfach nur wunderbar - obwohl ich vor Aufregung darüber, in kürzester Zeit wieder unter all den Unsrigen zu sein, weniger davon mitbekam, als ich mir wünschte ...
Der Anblick auf dem Bildschirm über der Steuerkonsole war atemberaubend, sobald wir in die Atmosphäre unseres Zuhauses eingetaucht waren und Kurs auf den Strand nahmen, an den unser Gehölz grenzte.

Es hatten sich, so schien es, beinahe genau so viele dort versammelt wie damals für das große Rathalten ... und dennoch Platz gelassen für die angekündigten zwanzig Shuttles, so, daß alle bequem landen konnten.
Einmal mehr konnte ich den Navigator nur bewundern, als ich auf dem Holo-Schirm, auf der rechten Hälfte der geteilten Darstellung, erkannte, was die Shuttles taten - sie flogen in der Formation eines Windvolk-Schwarms - genauer gesagt, meines Schwarms - wenn wir, die wir gemeinsam den selben Ph'taal bewohnen, uns aufmachten auf einen längeren Flug, war das die angenehmste und kräftesparendste Methode, mit dem Wind zu tanzen ...
Und auch die Landung vollführten diese Flugwesen, die nicht lebendig waren, so, wie wir es taten - so sanft, beinahe nicht spürbar, hatten wir noch nie im Sand aufgesetzt ...
Wir fühlten durch den Boden, daß die Unseren nicht bereit waren, zu warten, bis die Jaridian und wir irgendwann die Shuttles verlassen würden. Unbändige Erwartung und Neugier, Begeisterung und große Freude brandeten durch Metall und Kristall ...
Aus den übrigen Shuttles kamen etwas verunsicherte Anfragen, wie man darauf zu reagieren habe, daß man völlig umlagert sei, und der Navigator, von intensivem vibrierendem Grün-Gold umgeben, das seine enorme Belustigung ausdrückte, antwortete darauf mit dem Befehl, die Türen zu öffnen und die Einwohner des Planeten einfach gewähren zu lassen - seine Untergeordneten wüßten ja inzwischen, daß wir harmlos wären und niemandem einen Schaden zufügten ...
Und er öffnete unser Shuttle als erstes.

 

Ende von Kapitel 57

 

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