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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Auf der Suche nach Antworten
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  der Sprecher und der Navigator der Jaridians, Aveena (Angehörige ihres Stammes und des Erdvolk-Stammes unter ihrem Gehölz, zwei weitere Jaridians)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 5

 

Wir hockten miteinander da und keiner von uns wußte mehr etwas zu singen ...
Irgendwann wurde mir bewußt, wie tief inzwischen die Sonne stand. Es mußte ja auch noch diese Behausung geflochten werden, eine von vielen, die unseren Stamm neu beherbergen sollten...Ich konnte bis in die Dunkelphase hinein weiterflechten, singen und hinfühlen war hier wichtiger als sehen; außerdem würde es klar bleiben, mit einem sternenreichen Himmel...trotzdem war es an der Zeit, weiterzumachen, damit wir bald wieder Unterkunft hatten. Ich ließ dem Jaridian das zufließen und löste mich aus dem Kontakt. Er akzeptierte das sofort, verständigte sich über eines seiner Geräte mit den Seinen und wurde kurze Zeit später von einem der Shuttles abgeholt, auf die selbe Weise, wie er gekommen war, mit dem Seil...
Ich begann wieder mit dem Flechten. Hinfühlen, singen, hinfühlen, biegen, singen, zusammenfügen...die vertraute Tätigkeit ließ mich wieder unser Ganzes spüren statt der traurigen, ratlosen Leere zuvor, und ich sang dem Ph'taal Dank dafür...irgendwann funkelten die Sterne hoch über mir durch die Zweige, und ich hängte mich in einen fertigen Teil des Geflechts und fiel übergangslos in den Schlaf.

Die Sonne weckte mich aus einem wirren Traum über eine Gruppe von Taelons und Jaridians, die darüber stritt, wer von ihnen die bessere und funktionalere Behausung aus frisch gefällten Bäumen errichtet hätte - ich hatte Mühe, die Bilder abzuschütteln und mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren, also beschloß ich, erst einmal für eine Weile fliegen zu gehen - wer nicht richtig hinhören und hinfühlen kann, schafft kein stabiles Geflecht ...
Ich kletterte in die höchsten Äste und stieg von da aus auf, hatte einen stabilen Aufwind gefunden und ließ mich einfach tragen, höher und höher der Sonne entgegen ... keinen Flügel rühren, nur schweben ... dieser Wind trug mich langsam Richtung Meer, und das war mir nur recht ... ins Wasser tauchen, vielleicht sogar jemandem aus dem Wasservolk begegnen, das wünschte ich mir im Moment ...
Über dem Strand ließ ich mich langsam sinken, bis ich schließlich im warmen Sand gelandet war. Eine Weile hockte ich bloß da, in Gedanken wieder bei der letzten Begegnung mit dem Jaridian, und wurde wieder traurig ... und gleichzeitig innerlich rastlos, ungeduldig und unzufrieden, weil ich nichts von alledem wirklich verstand ... den Zorn des Jaridian auf die Taelons, durch die seine Gefährtin umgekommen war, hatte ich nachfühlen und wirklich begreifen können als Folge tiefen Schmerzes ... aber den Krieg zwischen diesen beiden Völkern begriff ich immer noch nicht ... warum? Wie hatte das - vor so langer Zeit, daß sich niemand mehr genau erinnerte - überhaupt angefangen? Kampf um das, was ihr Planet zu geben hatte - aber da waren sie bereits zwei verschiedene Völker gewesen ... was hatte aus einem zwei werden lassen? Warum waren sie nicht nur zwei geblieben, sondern sogar zu Feinden geworden?
Nach allem, was ich bisher von den Taelons und den Jaridians wußte, bedeutete das Zwei - Geworden - Sein für beide großen Verlust. Die Taelon hatten ihre Wurzeln verloren und Leere zurückbehalten, die zu spüren sie nicht ertrugen - was fehlte den Jaridians ? War es für beide notwendig, wieder ein Volk zu werden, oder ging es um etwas ganz anderes? Was konnte ich tun, damit dieser Krieg zuende gehen konnte - in dem es jetzt ja auch um unsere Welt ging?
Ich beschloß, diese Fragen bei nächster Gelegenheit, spätestens aber, wenn es ans Rathalten über unsere Zukunft ging, den Jaridians zu stellen - vielleicht lag in den Antworten, die darauf gefunden werden konnten, ein Schlüssel zu umfassender Lösung ...

Ich raffte mich aus dem Sand auf und wanderte ins Meer, ließ mich langsam mit angelegten Flügeln ins warme Wasser sinken und tauchte ganz unter. In der Ferne, zu weit, als daß ich bis da hin hätte schwimmen können, hörte ich Gesang - der hier heimische Wasserstamm war gleichfalls mit Behausungen beschäftigt, genau wie wir ... ich trieb unter den Wellen wie auf einem trägen warmen Wind, tauchte ab und zu auf zum Atmen und ließ das Wasser den nächtlichen Traum, meine Trauer und Verwirrung wegspülen, bis nur noch der Wunsch nach Verstehen und zum Handeln übrigblieb ...
Irgendwann ließ ich mich an den Strand treiben, sang Sand und Meer einen Dank und stieg tropfnass in die Luft.
Als ich mich in unserem zukünftigen Wohnbaum niederließ, um weiterzuflechten, hatte die Sonne mir Pelz und Flügel wieder getrocknet.

Die Sonne stand sehr hoch, als ich mit den Teil des Geflechtes, den ich allein zu fertigen hatte, beendete. Auch die Flechtenden in den anderen Himmelsrichtungen waren kurz davor, ihres fertigzustellen, so daß wir jetzt alle aus dem Stamm, die nicht gerade in anderen Bäumen flochten, dazurufen konnten ...
Schließlich hockten wir zu zehnt im Baum verteilt, intensiv beschäftigt mit Fühlen, Hören, Singen und Biegen, in Berührung mit dem Baum und miteinander, und ich gab in den Kontakt, was ich in der letzten Hellphase mit dem Sprecher der Jaridians erlebt und gesungen hatte ... mit all den Gefühlen, Fragen und Gedanken, die damit verbunden waren ...
Es wurde notwendig, dem Ph'taal sehr ausführlich zu singen, daß niemand ihn verletzen würde, daß wir ihn schützen und für ihn da sein würden wie er für uns ... „Sie dürfen ihren Krieg nicht hier austragen ...” „Sie leiden, so wie wir gelitten haben ...” „Wir sind jetzt Teil davon, so wie sie ...” „Wenn Teile leiden, ist das Ganze nicht heil ...”
„Es muß ein Ende haben ...” ” Was müssen wir tun?”
Wann immer wir uneins sind oder es Herausforderungen zu bewältigen gibt, halten wir Rat, drehen und wenden die gegebenen Tatsachen so lange, bis wir eine Lösung gefunden haben, mit der alle gut gehen können ...
Eine der Schwierigkeiten mit dem Krieg, in den wir verwickelt worden waren, war bereits, daß uns über ihn so gut wie keine Tatsachen vorlagen, die wir hätten drehen und wenden können ...
Während die Sonne sich auf ihrer Bahn dem Meer zu bewegte, flochten wir die Behausung fertig - die erste neue Behausung in unserem langsam heilenden Gehölz ... und als es dunkel wurde, gab es bereits die ersten fertigen Schlafnester und ein provisorisches Mitte-Lager aus Reisig und Laub, auf dem man zusammen hocken konnte, zum Arbeiten, Nichtflügge - Pflegen, Singen, Rat halten oder einfach so ... In unseren begeisterten Gesang davon mischte sich irgendwann das Geräusch eines nahenden Shuttles. Kurze Zeit später stieg der jaridianische Sprecher geschickt und vorsichtig durch das geflochtene Geäst und fragte, ob er eine Weile bleiben könne ... das Interesse an uns und unserer ihm so fremden Lebensweise war bei ihm und den Seinen ungebrochen. Wir machten ihm Platz und sangen ihm von unserer Arbeit hier auf dem Ph'taal, und er bestaunte das gelungene Geflecht und wunderte sich wieder einmal, daß wir gar keine Werkzeuge benutzt hatten, um die riesige Baumkrone so zu formen ...

Ich schaute den Jaridian an, der in unserem Kreis hockte, als wäre er einer der Unseren, und fühlte zu ihm hin ... spürte seine Freude darüber, mit uns zu sein und wieder Neues über uns zu erfahren. Die Herstellungsweise des Geflechts faszinierte ihn.Der Krieger,der er war, hatte sich in den Hintergrund seines Bewußtseins zurückgezogen, wo er jedes Bruchstück an Information prüfte und als brauchbar für seine Zwecke behielt oder als banal oder unsinnig verwarf.
In mir stiegen all die Fragen wieder auf, die ich ihm stellen wollte - die Fragen nach Tatsachen über den Krieg mit den Taelons, nach Tatsachen, über die Rat gehalten werden konnte, und schließlich nahm ich meinen Mut zusammen, legte ihm eine Flügelhand auf die Schulter und sprach ihn direkt an. „Bitte...ich muß Dich fragen ...”
Über meine Berührung wußte er bereits, um was es ging, und seine Augen nahmen einen wachsamen Ausdruck an. „Es geht um die Zukunft unserer Welt ... wir müssen verstehen ...” Er sah mich an, fühlte, wie wichtig das für mich war ... „Einverstanden ... frage, was Du wissen willst ...”

Ich sah das Bild des Atavus-Volkes vor mir, das wir zusammen aus seiner genetischen Erinnerung geborgen hatten, gefolgt von einer Kampfszene zwischen einem Taelon- und einem Jaridian - Schiff. „Warum? Wie konnten aus so einem starken, verwurzelten Volk zwei verfeindete Völker werden? ” Er blickte mich hilflos an. „Ich weiß es nicht ...” Er versuchte sich zu erinnern, was er über die Anfänge dieses vor Urzeiten begonnenen Krieges wußte, aber das Atavus - Volk kam nicht darin vor. „Ich weiß es wirklich nicht ...”

Unser ganzer Kreis war inzwischen mit mir und dem Jaridian in tiefen Kontakt gegangen. Alle spürten, daß der Jaridian sich wirklich bemühte, die Antwort auf unsere Frage zu finden, indem er alles rekapitulierte, was er je über den Krieg mit den Taelons gelernt hatte, selbst die Dinge, die ihm beigebracht wurden, als er noch ein Junges war ... es war eine Flut von Informationen, die er in den Kontakt gab, bis hin zu Kampftechniken mit seit Jahrtausenden veralteten Waffen, aber das Atavus - Volk, die Zeit vor diesem Krieg, tauchte nicht auf.

Ich konnte fühlen, daß es so nicht ging. Was immer wir suchten - so würden wir es nicht finden.
Die heilenden Informationen für den Atavus hatten wir aus dem Zellgedächtnis des Sprechers, aus der Struktur seines Erbes geborgen ...
Die anderen aus meinem Stamm formten einen dichten Kreis um den Jaridian und mich und begannen zu summen, den gleichen komplexen, tragenden Klang, den sie auch bei der Heilung der Atavus - Wesen gesummt und gesungen hatten. Wir saßen einander gegenüber, ich summte den Ton mit und irgendwann nahm mich der Jaridian bei den Flügelhänden und schaute mir mit solcher Intensität in die Augen, daß ich fast Angst bekam. „Hilf mir, mich zu erinnern ...”
Der Klang um uns herum verdichtete sich und schloß uns ein, bis wir nichts anderes mehr wahrnahmen als einander und diese Farben und Töne ... der Jaridian schien in meinen Augen zu ertrinken, und wir wurden in einen dunklen Strudel gezogen ... durch Szenen und Bilder von Kampf und Zerstörung,
Taelons gegen Jaridians, Jaridians gegen Taelons, mit Raumschiffen, Energiewaffen, Krankheiten, Giften...mit Heerscharen ganz anderer Wesen dazwischen, die entweder kämpften oder vernichtet wurden...
nach unvorstellbar langer Zeit dann das Bild eines völlig verwüsteten Planeten, schwarz und tot und kalt im All treibend, und fliehende Raumschiffe ... dann der selbe Planet, noch bewohnbar, aber es wurde mit allen Mitteln um ihn gekämpft - Taelons gegen Jaridians, Jaridians gegen Taelons ...
Schwärze, im Strudel abwärts ... dann eine Szene auf dem Planeten, endlich ohne offenen Kampf. Seltsame Bauten, in Gruppen zusammenstehend und von hohen Mauern umgeben ... und die Wesen, die sich darin bewegten, hatten erstmals zumindest Ähnlichkeit mit dem Atavus-Volk, waren aber schon viel graziler gebaut, mit eindeutig bläulicher Hautfärbung ... abseits der ummauerten Bauten gab es eine Art Zeltdorf, in dem umtriebige Geschäftigkeit herrschte, offenbar wurde der Aufbruch vorbereitet ... die Geschöpfe, die hier ihre Habseligkeiten zusammenpackten, waren dem Atavus-Volk gleichfalls ähnlich, verfügten noch über dessen physische Struktur, aber ihre Haut war eindeutig grün und braun statt braun und grau und bereits ganz anders gezeichnet.
Abwärts im Strudel ...
und plötzlich, mit einem heftigen Ruck, auf festem Untergrund.
Wir hatten uns fest aneinandergeklammert, atemlos ... um uns jetzt vorsichtig voneinander zu lösen und uns umzuschauen.
Wir standen auf einem Hügel, der mit niedrigen, weichen Pflanzen bewachsen war, es war dunkel um uns, und Sterne standen am Himmel. Unterhalb des Hügels stand eine Gruppe von Behausungen zwischen niedrigen, kräftigen breiten Bäumen. Eine der Behausungen wurde von innen geöffnet - und jemand vom Atavus - Volk trat heraus und schaute in den Sternenhimmel.
Der Jaridian tat es ihm gleich. Und verkrampfte sich im gleichen Moment völlig - mit vollkommen leerem Blick ... ich berührte ihn vorsichtig an der Schulter und wußte, wir hatten die Antwort auf unsere Frage gefunden.

Der Jaridian wandte mir den Blick zu, ohne mich wirklich zu sehen. „Zeichen und Vorzeichen ...” sagte er, mit einer Stimme, die nicht die seine war. „Die älteste Legende meines Volkes ...”
Zwischen den Sternen über uns erschien ein neues Licht, sehr klein und strahlend blau.
„Über den Ebenen erschien ein Zeichen in der Höhe, Vorbote dessen, was kommen sollte, und brachte die Saat des Schreckens ...”
Das Licht fiel und nahm rasch an Größe zu, bis hier unten alles in blasses Blau getaucht war. Es mußte überall, wo es jetzt dunkel war auf dieser Welt, zu sehen sein ...
Die Bäume und die Behausungen darunter warfen diffuse Schatten. Der Atavus, der die ganze Zeit über in den Himmel geschaut hatte, verschwand zwischen den Bäumen; kurze Zeit später war er mit anderen Angehörigen seines Stammes wieder da, und nach und nach versammelten sich alle draußen
Das Licht schien sich über den Himmel auszudehnen, wie unter einer ungeheuren Spannung,
bis es zerbarst und in einem Schauer aus Millionen Funken verging.
Die Funken regneten herab, und plötzlich war die Luft erfüllt von winzigen blauen Splittern, die sich in den Boden, die Bäume und die Behausungen bohrten und etliche von den Atavus - Stammesangehörigen trafen, die zusammenzuckten und überrascht schauten ... einige versuchten die Splitter abzustreifen, was aber nicht gelang, da diese offenbar sofort in der Haut verschwunden waren.

Ich fühlte in den Kontakt mit dem Jaridian hinein, in dessen ältesten und tiefsten Erinnerungen wir uns befanden und mit deren Stimme er sprach.
” ... und die, die berührt wurden vom Licht des fallenden Sterns, begannen sich zu verändern ...”
Es folgte eine Sequenz von Szenen aus dem täglichen Leben des Atavus - Stammes, der hier lebte, einer Gruppe aus einzelnen Wesen, die sich immer wieder einander zuwandten, miteinander sprachen, arbeiteten, sangen ... und von diesen Einzelnen begannen einige, sich aus dem Ganzen, das die Gruppe bildete, zurückzuziehen. Sie hockten abseits, wenn die anderen etwas gemeinsam taten, mit abwesendem Blick und abgewandter Haltung, offenbar auf etwas konzentriert, das nur sie selbst wahrnehmen konnten ... sie wirkten wie von einer Krankheit befallen. Sie wiesen jeden zurück, der sich ihnen näherte, und schienen mehr und mehr für sich bleiben zu wollen.
Die anderen aus dem Stamm verstanden nicht, was mit denen, die der fallende Stern berührt hatte, vorging, bemühten sich aber wieder und wieder um sie - um wieder und wieder abgewiesen zu werden und schließlich erkennen zu müssen, daß sie nicht helfen konnten.
Und die Berührten zog es zueinander, etwas Gemeinsames, Besonderes, etwas, was dem Rest des Stammes fremd war ... in den Gesängen, die sie entwickelten, tauchten mehr und mehr Worte auf, die der übrige Stamm weder verstand noch verwendete ...
Die Splitter des fallenden Sterns hatten etwas gebracht, das die eine Hälfte des Atavus - Stammes für immer verändert hatte. Eine neue Schwingung, eine neue Sprache ... etwas, das sie abtrennte von dem, was sie gewesen waren, indem es ihre Wahrnehmung und ihr Verhalten wandelte ... „die Saat des Schreckens” ...

Die Erinnerungsbilder, die wir durchtauchten, wechselten jetzt rascher und umfassender. Auf der gesamten Welt der Atavus - Rasse waren Sternsplitter niedergegangen, und alle, die davon berührt worden waren, zog es zueinander - bis es schließlich zwei Völker gab, die sich diese Welt teilten, im Austausch miteinander um das Notwendige zum Überleben und im Bemühen, einander zu verstehen. Es wurde gearbeitet, gehandelt, gestritten und gesungen wie zuvor, aber aus den unzähligen über die Welt verteilten Stammesgruppen waren zwei große, sich deutlich voneinander unterscheidende Gruppierungen geworden: die von dem fallenden Stern Gezeichneten und ihre Nachkommen mit ihrer neuen Sprache, den neuen Gedanken und den zahlreichen neuen Dingen, die sie taten - und die, die der Stern nicht berührt hatte und die lebten, wie sie immer gelebt hatten ...

Irgendwann standen der Jaridian und ich wieder nachts auf dem Hügel, von dem aus wir zu Anfang die Behausungen des Atavus - Volkes gesehen hatten ... die Sterne über uns zeigten eine ganz andere Konstellation als beim letzten Mal, und in der Luft lag Erwartung. Wir schauten gemeinsam in den Himmel, als ein neues Licht zwischen den Sternen auftauchte, hellviolett, und sich langsam und gemessen auf einer geraden Bahn durch unser Blickfeld bewegte.
” ... und das Zeichen, das folgte, brachte das Dritte Volk ... und das Dritte Volk brachte die Kraft, die den Schrecken wachrief ...”

Das hellviolette Licht war ein riesiges Raumschiff, das auf dem Planeten der beiden Atavus-Völker landete - und es brachte die Kimera, ein uraltes, hochentwickeltes, graziles Volk, das seine Heimatwelt verlassen hatte, um seine Saat zu den Sternen zu bringen ...
Die Kimera verfügten nicht nur über unvorstellbares Wissen, sondern auch über eine besondere Kraft - das Shaqarava, eine körpereigene Energie, die sowohl zerstörend als auch heilend eingesetzt werden konnte. Und sie waren gekommen, um zu bleiben.
Die beiden Atavus-Völker nahmen die Kimera freundlich und neugierig auf - nicht nur als Gäste, sondern tatsächlich als ein drittes Volk auf ihrer Welt ... und ein Teil dieses dritten Volkes blieb für sich, der andere mischte sich mit den angestammten Bewohnern des Planeten, und alle ihre Nachkommen verfügten über Shaqarava, gleich, ob sie dem Sternensplitter-Volk oder den Nichtgezeichneten angehörten. Inzwischen nannte sich das Sternensplitter-Volk selbst „Taelon”, was zu diesem Zeitpunkt in der komplexen, vieldeutigen Sprache, die sich durch es entwickelt hatte, „die Strebenden” bedeutete, „die Enteilenden”, aber auch mit „abgewandt” oder „Stille” übersetzt werden konnte ...
Ihr Brudervolk, die Nichtgezeichneten, benannten sie mit dem Begriff „Jaridian ”, was soviel hieß wie „der alte Weg” oder „dem Boden zugehörig” ...

Ich hielt mich an dem Jaridian fest, um von der Flut der Bilder, die jetzt über uns hereinbrach, nicht fortgespült zu werden.
Die Kimera teilten ihr Wissen rückhaltlos mit den beiden Völkern, die ihnen eine neue Heimat gegeben hatten, und verfolgten mit großem Interesse, wie unterschiedlich diese es nutzten.
Den Taelons kam es vor allem auf das unvorstellbare biologische Wissen der Kimera an, und sie nutzten es, um in großen Sprüngen weiterzuentwickeln, was sie bereits zuvor begonnen hatten - sich selbst ... mittels Gentechnologie begannen sie ihre Physis aktiv zu verändern, anstatt sie den Zufällen zu überlassen, die die normale Fortpflanzung mit sich brachte, und zwar mit dem Ziel, später einmal keine Physis mehr zu benötigen. Die Idee von einem „Sein als reinem Geist” durchdrang dieses Volk so sehr, daß sie irgendwann begonnen hatten, alles Körperliche mit Verachtung zu betrachten und danach strebten, sich so rasch wie möglich davon zu befreien.
Die Jaridian hatten gleichfalls schon vor der Ankunft der Kimera begonnen, Technologie zu entwickeln, angepaßt an die Maßgabe, ihren Alltag zu erleichtern, aber sie hatten so gut wie nie mit Biotechnik oder Lebewesen experimentiert.Statt dessen hatten sie die Arbeit mit Metallen und Mineralien bevorzugt und ausgebaut. Mit Hilfe kimerianischen Wissens entdeckten sie die ungeheuren Möglichkeiten der Kristall - und Molekulartechnologie und spezialisierten sich schließlich darauf.
Der größte Teil beider Völker verfügte schließlich über Shaqarava. Die Jaridian bemühten sich von Anfang an, diese Kraft zu verstehen und jedem Individuum beizubringen, damit umzugehen - unkomtrolliert war sie reine Zerstörung, aber bewußt eingesetzt, konnte sie viele Arbeiten erleichtern und mit Ruhe und Präzision zum Heilen von Krankheit und Verletzung eingesetzt werden.
Bei den Taelon sorgte Shaqarava für Verwirrung und Furcht. Sie, die nach höchster intellektueller Vervollkommnung und geistiger Klarheit strebten, konnten mit einer Kraft, die stark an Emotionen, an das innere Fühlen und Erleben gebunden war, nichts anfangen und wollten sie nicht nutzen, sondern am liebsten vollständig aus ihrem Volk wieder verbannt wissen ... und das gab den Ausschlag zur Bildung des Gemeinwesens: ein gedanklicher Verbund aus vielen würde gemeinsam unter Kontrolle halten können, was dem einzelnen nicht gelang - die Emotionen und das Shaqarava ...
Und den mittels endloser Reihen von Zuchtwahl - und Gentechnik-Experimenten höchstentwickelten Gehirnen gelang der Zusammenschluß auf telepathischer Ebene - das Gemeinwesen war geboren, und eine Zeit später gab es keinen Taelon mehr, der nicht darin eingewoben war.
Die Existenz des Gemeinwesens sorgte dafür, daß kein Taelon mehr über Shaqarava verfügte. Und sie beschleunigte die Entwicklung dieses Volkes erheblich. Die Taelons hatten sich so sehr von den Jaridians entfernt, daß die beiden Völker, die einmal eines gewesen waren, sich kaum mehr miteinander verständigten. Und etwas, das sich langsam entwickelt hatte, trat jetzt offen zutage: die Taelons verachteten die Jaridians, verachteten sie für ihr Festhalten an alten Wegen und an Fortpflanzung ohne jegliche Beeinflussungsversuche, verachteten sie dafür, daß sie das Shaqarava behalten hatten und nutzten und daß Fühlen und Handeln ihnen offenbar wichtiger waren als eine möglichst rasche Weiterentwicklung des Intellekts ...
Und die Jaridians hatten begonnen, die Taelons zu fürchten, vor allem, als das Gemeinwesen etabliert war, von dessen permanenter telepathischer Verständigung sie ausgeschlossen blieben ... zu der latenten Furcht gesellte sich später Zorn darüber, daß das Brudervolk auf sie herabschaute, anstatt ihre Wege als anders, aber gleichwertig zu würdigen.

Irgenwann stellten die Taelons mit Entsetzen fest, daß ihr inzwischen körperloses, aus reiner Energie bestehendes Volk aufhörte zu wachsen - während die Jaridians sich weiter auf dem Planeten ausbreiteten.
Und als dann die Dinge knapp wurden, die beide Völker auf dieser Welt zum Leben brauchten, brach der Krieg zwischen ihnen aus. Die verbliebenen Kimera, die nicht in einem der beiden Völker aufgegangen waren, versuchten zu vermitteln und andere Lösungen aufzuzeigen. Die Taelons versuchten die Kimera auf ihre Seite zu ziehen, und als das nicht gelang, kehrten sie sich gegen das Dritte Volk und löschten es aus -vor allem, um den Jaridians den Anteil an Unterstützung zu entziehen, den die Kimera ihnen hatten zukommen lassen...

Wieder das Gefühl, in einen wirbelnden Strudel geraten zu sein, mit deutlichem Sog aufwärts - und wieder ein plötzlicher Halt, diesmal nicht auf dem Planeten des einstigen Atavus-Volkes, sondern in einer Art leuchtenden Nichts, schwebend ...
Die Sternensplitter, die „Saat des Schreckens”, hatte den Grundstein für die Unterschiedlichkeit zwischen Taelons und Jaridians gelegt, und auseinandergebrochen waren die beiden Völker endgültig „durch die Kraft, die den Schrecken wachrief” - durch das Shaqarava, das die Taelons nicht zu kontrollieren wußten, wegen dem sie das Gemeinwesen entstehen ließen und sich endgültig von den Jaridians abwandten...
Worum ging es hier? Um unversöhnliche Gegensätze? Um das Recht, im Angesicht des ganz Anderen eigene Wege zu gehen?
Um den gerechten Anteil an einer begrenzten Welt?
Miteinander - nebeneinander - auseinander ...
Verachtet werden - gefürchtet werden - verstanden werden wollen ...
Was hatten die Sternensplitter den Taelons gebracht - einen entscheidenden Impuls zur Weiterentwicklung zum Höchstmöglichen oder eine - letztendlich tödliche - Krankheit?
Was bedeutete das Shaqarava für die Jaridians - eine mächtige Waffe mit durchschlagender Zerstörungskraft, die einem nicht genommen werden konnte oder eine Fähigkeit mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, an deren wachsender Kontrolle man selbst wuchs - und wo das eigene innere Wachstum die Kontrolle darüber und somit die Möglichkeiten des Nutzens dieser Energie verstärkte?
Miteinander - nebeneinander - auseinander ...
verachten - fürchten - verstehen ...
... verstehen ...

In dem leuchtenden Nichts war ich allein, den Jaridian hatte ich aus den Augen verloren.
Wo war ich hier? Keine Bilder mehr, nur noch opalfarbener Nebel, bestehend aus winzigen Lichtpartikeln ... kein Halt, nur Dahintreiben in der Unendlichkeit ... jenseits aller Zeit ... nur in der Ferne ein sehr leiser Klang, wie der Wind in trockenem Ph'taal - Laub ...
Nach der Flut von Informationen, die der Jaridian und ich durchtaucht hatten, waren Nebel und Stille unendlich angenehm. Der Klang in der Ferne übte eine sanfte Anziehungskraft aus, aber ich war viel zu erschöpft, um irgendetwas tun zu wollen, um ihm näherzukommen. Keine schrecklichen Dinge mehr mit ansehen zu müssen, sich nicht mehr festhalten zu müssen, um nicht von den Füßen gerissen zu werden, keinen Flügel rühren ... nicht singen, keine Gedanken, nicht einmal träumen ... nur treiben ... treiben im Nichts ...
Der Klang hatte sich subtil verändert, kein Blätterrauschen mehr, sondern eher ein komplexes Summen, wie viele leise Stimmen in verschiedenen Tonlagen, und die Anziehungskraft wurde spürbar stärker ... und es wurde wärmer, was ich angenehm fand, obwohl mir die Kälte zuvor gleichgültig gewesen war.
Die Intensität des Klanges nahm allmählich zu, und damit veränderte sich langsam die Farbe des Nebels, der mich umgab. Aus dem blassen, halbtransparenten Opal wurde mehr und mehr ein sanfter Goldton ... ich wollte nirgends mehr hin, nur noch hier bleiben, in der zunehmenden Wärme, umhüllt von Tönen und goldenem Licht ... und mich in dieses Licht hinein einfach auflösen ...

Dann wurde ich gepackt wie von vielen Flügelhänden und mitten in den Klang hineingezogen, den ich endlich erkannte als das, was er war, gewoben aus den singenden Stimmen meines Stammes ... meine Lethargie war durchbrochen, und plötzlich wollte ich nichts anderes mehr als zu diesen Wesen zurück, zu meinem Stamm, mit dem ich mein ganzes bisheriges Leben verbracht hatte ... wo war der Jaridian?
Ich kämpfte darum, in den wirbelnden Farben, die der Gesang um mich wob, irgendetwas erkennen zu können - vielleicht war er genau so im Nichts verloren gegangen wie ich, und ich konnte ihn doch nicht dort lassen ...
Mein Körpergefühl kehrte zurück, und ich fühlte, daß ich festgehalten wurde; ich mußte endlich etwas sehen ...
„Sie wird wach!” Ich versuchte die Augen zu öffnen und mich gleichzeitig aus dem Griff der Meinen herauszuwinden. Wo war der Jaridian?
„Lieg still ... er ist hier, und er ist sicher ...” Jemand richtete mich halb auf und lehnte mich gegen sich. „Es geht ihm gut ...”
Ich konnte meine Umgebung wieder spüren und nahm die anderen neun aus meinem Stamm wahr, mit denen ich heute die Behausung geflochten hatte ... und den Jaridian, der, in das Laub des Mitte-Lagers gebettet, offenbar wach war und leise mit einem meiner Stammesangehörigen sprach.
Es gelang mir endlich, die Augen zu öffnen. Die anderen bildeten einen engen Kreis um den Jaridian und mich, und ich lag zwischen den Flügeln eines der Unseren, der mich stützte. Der Jaridian schaute zu mir herüber. „Wir haben es geschafft ...”
Er sah so erschöpft aus, wie ich mich fühlte, aber es ging ihm gut. Mir fielen die Augen wieder zu und ich wäre wieder weggedämmert, wenn ich nicht eine Schale mit etwas sehr Heißem darin in die Flügelhände gedrückt bekommen hätte. „Du darfst jetzt nicht schlafen ... wenn Du wieder dahin gerätst, wo Du zuletzt warst, können wir Dich vielleicht nicht mehr zurückholen ...” Auch dem Jaridian wurde eine Schale gereicht, und alles rückte eng um uns zusammen. „Ihr müßt wachbleiben, bis wir wirklich fühlen, daß ihr uns nicht wieder verlaßt ... wir hatten schon geglaubt, wir hätten Euch beide verloren...”
Während wir beide langsam den scharfen Kräutersud tranken, der dafür sorgte, daß mein Körper zu glühen anfing und der Schleier vor meiner Wahrnehmung endgültig verschwand, gaben die anderen in den Kontakt, wie sie unser Eintauchen in die Zellerinnerung des Jaridian erlebt hatten. Sie hatten uns da durch gesungen, hatten einen Teil der Szenen aufgefangen, durch die wir gegangen waren, hatten vor allem aber unsere vegetativen Funktionen gestützt, damit keine davon aussetzte während unserer gemeinsamen Bewußtseinsreise. Ich hatte meinen Körper verlassen, um den Jaridian in sein Innerstes zu begleiten. Als die gesuchte Antwort gefunden und der Erinnerungsstrom verebbt war, hatten die anderen den Jaridian aus der Tiefe wieder emporheben können in die Wachheit, konnten mich aber nicht mehr finden - sie hatten mich von jenseits der Zeit zurück singen müssen, und es war ihnen gelungen - mit dem Lied von den Anfängen unseres Stammes.
Schließlich hockten wir in dichtem Kreis zusammen und sangen dieses Lied, für uns, für den Jaridian, für unsere neue Behausung und für den Ph'taal, der uns aufgenommen hatte ... und als wir dann irgendwann müde wurden, war das nur die Erschöpfung nach einer langen und schweren Arbeit.

Die nächste Hellphase brach an, und der Jaridian verließ uns, wortkarg und tief in Gedanken. Er würde den Seinen berichten, was wir in dieser Nacht gefunden hatten, was er aus tief verschütteten Schichten seines Selbst geborgen hatte und jetzt klar in seinem Bewußtsein trug ... Wir hatten ihm angeboten, dies mit seinen Leuten im Kontakt zu tun, um es allen leichter zu machen; das hatte er freundlich, aber entschieden abgelehnt, eines der Shuttles gerufen und war davongeflogen ...

Wir flochten weiter an neuen Behausungen.
Für uns auf unserer Welt war es viel, viel leichter, bei Bedarf Zugang zu unserem Zellgedächtnis zu bekommen, als für ein Volk wie die Jaridians, die weder zueinander noch zu ihrem Planeten eine solche Verbindung hatten wie wir. Wir waren ständig in den Gesamtstrom an Information hier eingewoben, und das Absteigen in tiefe Schichten war mittels Singen der alten und ältesten Legenden ein Leichtes...für das Volk in den Wassern gehörte dies fast zum Alltag, seine Gesangshüter singen nicht nur von den Anfängen des Lebens, sondern auch von den Anfängen unserer Welt selbst.
Was mußte es für den Jaridian bedeuten, der in seiner Zeit lebte und kämpfte, die Wahrheit über sein Volk und sich selbst zu erfahren - eine unvorstellbar alte Wahrheit, die das Bild, das er darüber in sich trug, vielleicht fundamental erschütterte? Wieviel Vergessen, Mißverstehen, Nicht-Sehen-Wollen, Manipulieren oder bewußtes Lügen hatte diese Wahrheit durch all die Zeit zu der Wahrheit werden lassen, die sie heute darstellte?

Die Taelons und die Jaridians heute waren zwei tödlich verfeindete Völker - die Taelons wollten ganze Galaxien für sich allein, und die Jaridians sähen die Taelon deshalb am liebsten ausgerottet.
Die Taelons damals - die vom fallenden Stern Gezeichneten - waren ein Volk, das anfing, eine neue Sprache zu sprechen, neue Gedanken zu denken und neue Dinge zu tun, während die Jaridians - die Nichtgezeichneten - das Bewährte beibehielten und kontinuierlich weiterentwickelten...
Der fallende Stern, das Vorzeichen...hatten die Kimera es geschickt? Um ihre Ankunft vorzubereiten? Aber das ergab keinen Sinn ... gäbe es die Kimera noch, wenn das Atavus-Volk sich nicht gespalten hätte? War der Planet dieses Volkes der einzige gewesen, auf dem die Kimera Zuflucht gesucht hatten?
Ich ließ die beiden Zweige, die ich gerade miteinander verflechten wollte, sinken und tauchte in die Erinnerung an die gemeinsame Arbeit mit dem Jaridian zurück. Das Vorzeichen ... und das Zeichen ... der fallende Stern und die Kimera ... ich fühlte beides genau, sehr genau an ...
Der fallende Stern war kalt, kalt und sehr fremd und seltsam unpersönlich ... auch die Kimera fühlten sich sehr fremd an, aber anders - freundlicher ... trotzdem konnte es einen Zusammenhang geben zwischen Zeichen und Vorzeichen, auch wenn ich keinen Sinn darin sehen konnte. Es blieb unklar, wieviel Zeit zwischen den beiden Ereignissen vergangen war - tausend Planetenumläufe? Zehntausend? Die Geschichte dieser vier Völker umfaßte unvorstellbare Zeiträume ...
Vier Völker... Atavus, Taelon, Jaridian, Kimera ... etwas rührte sich am Rand meines Bewußtseins, aber als ich es zu fassen versuchte, entglitt es mir.Ich nahm die beiden Zweige und das Singen und Biegen wieder auf und dachte an das Rathalten, das uns bevorstand, in einer der nächsten Dunkelphasen ...
Unsere Zukunft ins Leben singen. Eine Zukunft als Teil eines größeren Ganzen, als wir je geahnt hätten ... eine Zukunft mit den Jaridians, den Taelons - und dem Krieg.

Einige Zeit später flocht ich mit einigen von uns an der letzten zu fertigenden Behausung in unserem Gehölz, während der übrige Stamm sich in den bereits gewebten Wohnbereichen einrichtete.Wir hatten die Arbeit gerade aufgenommen, als wieder einmal eines der jaridianischen Shuttles über uns auftauchte und sich langsam sinken ließ. Diesmal stiegen nicht nur der Sprecher der Jaridian, sondern auch drei seiner Leute zu uns herunter und baten, an unserer Arbeit teilhaben zu dürfen.
Wir hatten uns inzwischen nicht nur daran gewöhnt,daß sie sich für wirklich jeden Aspekt unseres Lebens hier interessierten,sondern hatten unsererseits begonnen, den Kontakt mit ihnen zu nutzen, so viel wie möglich über sie zu erfahren - und das nicht nur deswgen, weil sie im Zusammenhang mit Bedrohung für unsere Welt aufgetaucht waren,sondern immer mehr auch einfach aus Neugier und dem Wunsch heraus, sie und ihre völlig andere Sicht- und Denkweise zu verstehen - und um so viel wie möglich über das neue, größere Ganze außerhalb unserer Welt zu lernen.

Der, den sie als ihren „Navigator” bezeichneten und dessen Aufgabe es war, ihr Schiff sicher zwischen den Sternen zu fliegen, hockte sich zu mir und schaute mir fasziniert auf die Flügelhände, während ich gerade zwei Zweige zusammenführte und zu verflechten begann. „Das geht doch eigentlich gar nicht...” meinte er, mit einer Hand über das Stück fertigen Geflechts streichend - und über den Baum spürte ich etwas, das mir schon einige Male aufgefallen war, wann immer ich mit mehreren seines Volkes gleichzeitig zusammen war ... er, genau wie etwa die Hälfte der Seinen, die bisher unsere Welt besucht hatten, fühlte sich anders an als die übrigen ... durch die beiden Zweige, die wir gleichzeitig berührten, wurde das so deutlich, daß es mich beunruhigte und ich ihn genau anschaute.
Rein äußerlich unterschied er sich, abgesehen von seinen individuellen Zügen, nicht von den anderen Jaridians. Er bemerkte meinen Blick und schaute fragend zurück. Ich streckte eine Flügelhand aus und berührte ihn vorsichtig.Er ging sofort in den Kontakt, offenbar überrascht über mein Interesse an ihm, streckte seinerseits eine Hand aus und legte sie mir auf die Schulter. Ich fühlte zu ihm hin und konzentrierte mich. Was unterschied ihn - und die, die sich ähnlich anfühlten - vom Rest seiner Gruppe?
Hitze ... er fühlte sich heiß an ... und seine innere Eigenfrequenz war deutlich höher als zum Beispiel die des Sprechers ... sein Shaqarava war stärker ausgeprägt, und er setzte mehr Kraft ein, um es zu kontrollieren, nahm das aber als selbstverständlich ... er war jemand, der schnell und übergreifend dachte und sehr rasche Entscheidungen fällte, den es an keinem Ort länger hielt und der Geduld nicht zu seinen hervorragendsten Eigenschaften zählte.

Irgendetwas an alldem gab mir das Gefühl, es sei mehr als nur individuelle Besonderheit ... das Gefühl, als sei etwas nicht in Ordnung, so, als trage er Krankheit in sich, obwohl er sich gesund und stark fühlte ... dieser Jaridian war noch jung, gerade zwanzig seiner Planetenumläufe hatte er bisher gelebt.
Und damit war klar, was nicht stimmte. Der Sprecher, mit dem ich bisher so viel Zeit verbracht hatte, war mindestens doppelt so alt wie er, trug aber sowohl in seinem Äußeren als auch in seiner physischen Beschaffenheit weniger Anzeichen von Alterung als sein junger Stammesangehöriger, mit dem ich hier in Kontakt war ... ich fühlte in die Zellebene und merkte, wie sich mein eigener Herzschlag mehr als verdoppelte, als mein innerer Rhythmus sich dem seinen anglich ... gegenüber dem des Sprechers war sein Stoffwechsel rapide beschleunigt, gesteuert von einem genetischen Programm, das weit von allem abwich, was ich durch die Arbeit mit dem Sprecher kennengelernt hatte.
Dieser Jaridian würde, wenn nichts für ihn getan würde, höchstens noch zwanzig weitere Planetenumläufe erleben, bis er buchstäblich seine physische Substanz ausgebrannt hätte.
Erschrocken tauchte ich aus der Tiefenwahrnehmung wieder auf, atemlos und bereits fieberhaft überlegend, was ihm gesungen werden müßte, um ihn heilen zu können.
Der Navigator spürte über den Kontakt meine Sorge um ihn - und wies sie zurück, freundlich, aber bestimmt. „Ihr braucht und könnt nichts für mich tun, auch nicht für die anderen ... wir sind, was wir sind.” Ich blickte ihn fragend an, aber er meinte nur: „Ich will nicht darüber sprechen ...” „Das ist in Ordnung,” antwortete ich und wollte sanft den Kontakt beenden, aber er schüttelte den Kopf. „Ich wüßte so gerne, was Du wirklich mit den Zweigen tust beim Flechten ...” sagte er, „ich meine, wie es sich anfühlt ...”
Also hielten wir den Kontakt; ich wandte mich wieder meiner Arbeit zu und ließ den Navigator wahrnehmen, wie es ist, in die Äste und Zeige hineinzuspüren ... singend den Baum immer wieder zu fragen, wohin und wie weit ich biegen darf, und dem zu folgen, was im Baum schwingt ... ganz genau zu merken, wann es nicht stimmt und wann es stimmt, und die Arbeit exakt daran auszurichten ...
Ich hatte schnell meinen Rhythmus mit dem Baum gefunden, nahm einen dritten Zweig dazu, der sich anbot, die Verbindung mit den beiden nächsten größeren Ästen herzustellen und merkte, daß der faszinierte Navigator angefangen hatte, mein Lied für den Ph'taal mitzusummen. Das war passend und angenehm, und wir blieben in Kontakt, bis die Dunkelphase anbrach. Diesmal hingen schwere Regenwolken am Himmel, es würde gewittern, aber es fühlte sich nicht nach Sturm an ... trotzdem begaben wir uns in eine der fertigen Behausungen, wo wir freundlich auf dem Mitte-Lager empfangen wurden. Der Navigator schloß sich den anderen beiden Jaridians an, die heute morgen zu uns gestoßen waren, der Sprecher hockte sich zu mir - und selbst ohne direkten Kontakt war der physische Unterschied zwischen den beiden so deutlich, daß ich erneut erschrak. Was war mit dem jüngeren der beiden?

Ich nahm meinen Mut zusammen, auf erneute Abweisung gefaßt, und fragte den Sprecher danach. „Vielleicht können wir etwas tun...”
Er sah mich lange nachdenklich an und meinte schließlich:
„Ich denke, ihr solltet davon wissen...es betrifft eigentlich nur uns, hat aber indirekt mit diesem Krieg zu tun ... und somit auch mit euch ...
Vor etlichen Generationen hat es in unserer Rasse erstmals eine genetische Variante gegeben - Jaridians mit deutlich stärkerem Shaqarava, die damit viel mehr bewirken können als ich zum Beispiel ... und die mich und andere auch bezüglich anderer physischer Eigenschaften bei weitem übertreffen, etwa mit einem erweiterten Sehvermögen und schärferem Gehör. Diese Angehörigen unseres Volkes sind unsere besten Kämpfer.
Aber das, was sie dazu macht, verkürzt gleichzeitig ihre Lebenserwartung. Sie altern viel schneller. Ihre Stoffwechselvorgänge laufen beschleunigt ab - und wie es aussieht, setzt sich diese genetische Besonderheit durch; immer mehr von uns werden so geboren, so daß die Lebenserwartung von Generation zu Generation abnimmt ...”
Der Jaridian hatte mich am rechten Flügel gepackt, und über die Berührung spürte ich seine plötzliche Verzweiflung. „Wir haben die Fähigkeit behalten, uns zu vermehren, aber irgendwann werden unsere Kinder als greisenhafte Säuglinge sterben, weil dieser Prozeß sich immer mehr beschleunigt ...
wir haben Medikamente entwickelt, die den Stoffwechsel für lange Zeit herunterfahren können, aber wer sie nimmt, ist nicht leistungsfähig, also wollen die meisten von uns sie nicht...” Er atmete tief aus und schaute mir in die Augen.
„Wenn nicht ein Wunder geschieht, werden wir aussterben wie die Taelons - nach ihnen, weil wir so unendlich viele mehr sind als sie, aber auch unsere Rasse wird es eines Tages nicht mehr geben.”
Ich war fassungslos und konnte ihn nur anstarren. Taelons und Jaridians - zwei existentiell bedrohte Rassen ... das machte diesen furchtbaren Krieg zwischen ihnen doppelt sinnlos ...

Durch den Jaridian, der vor mir stand, hindurch schaute ich auf ein aufsteigendes Bild von einem Kreis extrem heißer, weißvioletter Flammen mit grünem Inneren auf einer grasbewachsenen Fläche, über der sich ein eisiger blauer Himmel wölbte ... die Kälte sorgte dafür, daß das Feuer sich nicht ausbreitete und alles verschlang ... das Feuer sorgte dafür, daß der Boden warm genug blieb, daß trotz der Kälte Gras darauf wachsen und ihn bedecken konnte ...
Ich nahm das Bild in den Kontakt und zeigte es dem Jaridian.
Wir hielten beide den Atem an.
„Wenn das wahr ist,” brachte der Jaridian mühsam hervor, „dann führen wir Krieg gegen das, was wir am meisten brauchen ...” „Und die Taelons auch,” sagte ich.

 

Ende von Kapitel 5

 

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