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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   März 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Schöpfer und Werkzeug / Vom Umgang mit Zeit / Für die Sechsgliedrigen ...
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Die Gesangshüterin des Erdvolkes, Trevak, dessen Urahne, Der aus den Tiefen, der auf dem Weg, Aveena
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 49

 

Auch das bestätigte er, mit spürbarer Ungeduld, weil etwas in ihm diese Unterbrechung ihrer Arbeit als Zeitvergeudung empfand - warum kamen diese Geschöpfe ständig mit irgendwelchen müßigen Betrachtungen, und zwar immer dann, wenn eigentlich ein kaum zu bewältigendes Arbeitspensum ...
„Schau Dich einmal um - und zwar überall, wo Du gerade bist ...”
Um hinter sich zu bringen, was immer diese Verzögerung verursachte, tat er das.
In der Dimension seiner Physis, in der seine rechte Hand in der linken Klaue seines Wärme abstrahlenden Gegenübers und dessen rechte in seiner linken ruhte, ebenso wie dort, wo dieses Gegenüber seinen Gesang, den es mit dem Gedankenbild der Kollektorfläche zu verweben galt, abgebrochen hatte, und auf der allumfassenden Ebene der Zahlen, Zeichen und Formeln, über die er die starke, Halt gebende Verbindung zu seinem Urvorfahren spürte, dessen Eindruck des fertigen Tachyonkonverters, verknüpft mit dem Bild eines solchen in den Händen eines Jaridian, der ihn einem Taelon darbot, in ferner Zukunft ...
„Du kannst es längst ...”
Die Augen des Gefährten der Zweiten weiteten sich, als er - verstehen war ein viel zu enger, zu kleiner, zu schwacher Begriff dafür ... Er versuchte zu sprechen, brachte aber nicht einmal einen Laut heraus. Statt dessen aktivierte sich seine innere Energie ... weiß-violett expandierte, umhüllte die aus dem Dunklen und strömte in das Ganze - atemlose, pure Freude ...

Wann immer ihm solcher Kontakt damit gelungen war, war ihm auch die jeweilige Aufgabe, die das gefordert hatte, gelungen. Er hatte unbewußt seinen Geist darauf trainiert, sich dem Ganzen zu öffnen - und es schließlich einfach getan, wann immer er mit der Arbeit für die Seinen beschäftigt war, ohne, daß er wirklich wahrgenommen oder benennen können hatte, was er tat oder wie er an die notwendigen Kenntnisse dafür gelangte ...
Worte formten sich in ihm, wie Kristalle sich zu formen begannen, wenn ein entsprechendes Energiefeld um eine amorphe Schmelze gelegt wurde, und dieser Eindruck war gleichzeitig mit den Worten da.
„Du hast Recht”, brachte er schließlich heraus. „Du und ich - wir tun das Gleiche ... egal, ob Du formsingst oder ich eine Gleichung ausarbeite oder einen Konstruktionsplan zeichne - wir tun das Gleiche ... ich bin Teil des Ganzen, wie Du es bist, und wenn ich offen bin dafür, dann - dann geschieht einfach alles von allein ... dann bin ich - Schaffender und Werkzeug in einem ...”
Er verwob seine Energie mit dem Tiefrot derer aus dem Dunklen und nahm ihre Hände in einen festen Griff. „Sing bitte noch einmal das, was Du dem Gußkristall gesungen hast ...”
Sie tat es, und die Töne waren glitzernde Farben zwischen ihnen, die der Gefährte der Zweiten ergriff, drehte, wendete und auffächerte.
„Es ist ganz einfach ... in einer Schmelze geht es noch schneller ... Ein in diesen Frequenzen pulsierendes Synthron-Feld, in das geschmolzener Gußkristall eingeleitet wird ...” Zahlen und Zeichen und der Eindruck träge strömender Transparenz, ein gezeichnetes Gittermuster und rötlich Erstarrendes. „Es ist ganz einfach ...”
Er ließ die Erdvolk-Gesangshüterin los und wandte sich der Tastatur des Gerätes auf der Arbeitsfläche zu. „Ich arbeite das sofort aus ... würdest Du dabei in Kontakt bleiben mit mir?”
Die aus dem Dunklen rückte ihren Sitz neben den seinen und legte Trevak die linke Klaue auf die rechte Schulter, um anschließend gleichzeitig seinen Gedanken und den auf dem Bildschirm auftauchenden Symbolen zu folgen. Der Gefährte der Zweiten faßte den Arbeitsprozeß, den er mit ihrer Hilfe gefunden hatte, in Zahlen und Worte, dabei im Geist bereits bei der Weiterverarbeitung zusammen mit Metall und Kristall zu dem endgültigen Werkstoff.
Ein Eindruck von fast Weißglühendem, Flüssigem, über dem eine derartige Hitze stand, daß der Erdvolk-Gesangshüterin die Luft weg blieb.
„Du hast doch selbst gesagt, es braucht Feuer ... Du hast alle drei Komponenten flüssig werden lassen ...” Trevak wandte sich ihr kurz wieder zu, Staunen in den Augen. „So stimmt das eigentlich gar nicht ... Du hast nicht Gestein und Metall verflüssigt ... Du bist Stein und Metall und Flüssiges - geworden ...”
Wieder das Ausgreifen über mehrere Dimensionen gleichzeitig - er versuchte, die innere Ordnung derer im Dunklen überein zu bringen mit der von Fels und Silbrig-Sprödem, was ihm kurzfristig auf einer Ebene gelang, die Materie und Energie zugleich berührte, durch die der Begriff „formgebendes Feld” wehte, während er bereits dabei war, auch dafür Zahlen und Zeichen zu finden ...
„Wir tun das Gleiche, das ist wirklich wahr ...” ließ ihn die Hüterin der Gesänge des Volkes im Dunklen wissen. „Und es ist so wunderbar, auf wie viele verschiedene Weisen man das tun kann ...”
„Verschiedene Weisen? Wir beschäftigen uns doch gerade beide mit der selben Sache ... mit einem zunächst einmal endothermen Vorgang, während dessen zwei eigentlich inkompatible Komponenten ...”
„Genau das ist es.” Sie strahlte ihn einmal mehr an. „Wir tun die selbe Arbeit ... wir bitten das Ganze um Hilfe, und es gewährt sie ... aber Dein Zugang dazu ist der von oben und außen, Du bewegst Dich mit Überblick darin wie die aus den Feuern, während ich von unten und innen ausgehe ...”
Sie zeigte ihm, wie sie seinen Geist erlebte, ausgespannt über alle Ebenen des Ganzen, die mit der augenblicklichen Aufgabe zusammenhingen und die er nur irgend erreichen konnte, während sie selbst konzentriert war auf das Allerinnerste dessen, was es zu bearbeiten galt - auf die winzigsten Bausteine rötlichen Werkstoffs, bröckligen Silbers und grauen Gesteins, ihre tiefrote Energie darum herum, als wolle sie diese in sich selbst eins werden lassen ...
Der Gefährte der Zweiten war nur noch Faszination, vibrierendes, ausgreifendes Weiß-Violett ... Neben dem Gerät auf der Arbeitsfläche hatte eine der nachgefertigten Gußkristall-Kopien des Vermächtnissteins gelegen, und ohne, daß es ihm richtig bewußt war, hatte er sie in die Hände genommen, in einen festen Griff wie zuvor die Klauen derer aus dem Dunklen, die Aufmerksamkeit in gleichem Maße dem Bildschirm auf der Arbeitsfläche und der Erdvolk-Gesangshüterin zugewandt. Das Lied des Ganzen war um sie und in ihnen beiden, und was dann geschah, konnte die aus dem Dunklen nicht erklären, sondern uns nur voller Freude und Staunen zufließen lassen.

Es war, als griffe jemand Drittes auf sie zu, auf sie und den Gefährten der Zweiten, zunächst mit einer flüchtigen, prüfenden Berührung und dann plötzlich sehr entschieden - und daraufhin stellte sich - Verbindung her ... als öffne sich etwas wie eine Sprungpassage, ein Wurmloch, aber eines durch die Zeit, nicht durch den Raum ...
Ein weiterer Geist war mit im Kontakt, womöglich noch kraftvoller als der Trevaks und genau so komplex und unendlich flexibel wie dieser ...
Die Verbindung weitete sich auf, und etwas - rastete ein.
Die aus dem Dunklen öffnete die Augen, die sie unwillkürlich geschlossen hatte, um sich auf das Überraschende besser konzentrieren zu können, und nahm erstaunt war, wie groß der Raum, in dem Trevak und sie sich befanden, auf einmal schien ... und nicht nur ihre längst weit offenen Tiefensinne registrierten die schemenhafte - Verdichtung, die sich hinter dem Gefährten der Zweiten formte, wie eine hochgewachsene, fast transparente Gestalt mit unscharfen Umrissen ...
Trevak spürte, was sie sah, und wandte sich auf seinem Sitz um, seine einzige Empfindung nach wie vor nichts als grenzenlose Faszination.
Er richtete seinen Blick auf den Schemen und fokussierte seine Sicht, um deutlicher erkennen zu können, und sein Geist schien sich mit dem Dritten in der Berührung zu verschränken.
Transparenz wurde Farbe und Kontur, Verschwommenes fest.
Vor ihm stand die große, schlanke, Hitze abstrahlende Gestalt seines Urvorfahrens, der Trevak, der vor so langer Zeit bereits den Wunsch nach Frieden mit den Taelon in sich getragen hatte ... und dessen Idee, die er als zu gefahrvoll verworfen hatte, jetzt eine der Grundlagen dafür darstellte ...
Der Gefährte der Zweiten hatte sich erhoben und schaute seinen Ahnen an, so voller Ehrfurcht und Freude, daß er weder Wort noch Geste dafür fand.
Die Hüterin der Gesänge des Erdvolkes schaute auf beide, ebenfalls außerstande, auch nur einen Laut von sich zu geben.
Der alte Trevak wandte sich ihr zu, hob die rechte Hand und strich ihr sanft über das Gesicht. „Durch Dich hat er verstanden ...”
Dann trat er auf den zu, der sein Vermächtnis angenommen hatte, und nahm ihn in die Arme. „Mein Erbe ist in guten Händen ... Dein Mut hat allen die Wege geöffnet ...”
Der Gefährte der Zweiten brachte immer noch kein Wort heraus, aber seine innere Energie weitete sich auf und umwob beide Jaridian mit Weiß-Violett.

Wie lange sie so gestanden hatten, wußten später weder der junge Trevak noch die aus dem Dunklen. Sie hatten sich beide, einander haltend, irgendwann auf dem Boden liegend wiedergefunden, aus einer gestaltlosen, warmen, funkelnden Helle in das damit verglichen matte Licht des Arbeitsraumes zurück tauchend ... Der Jaridian war als Erster auf den Füßen und half der Erdvolk-Gesangshüterin hoch, wobei sein Blick auf den Bildschirm fiel, auf dem er zuvor begonnen hatte, den Herstellungsprozeß des Werkstoffs für den Tachyonkonverter auszuarbeiten.
Der Schirm war komplett mit Zahlen und Zeichen bedeckt.
Es gab nichts mehr auszuarbeiten.

Trevak hatte die aus dem Dunklen an sich gezogen und gehalten, als wolle er sie nie wieder fort lassen. „Danke ... ich danke Dir so sehr ...”
„Nicht mir ... Das hast Du selbst bewirkt ... weil Du einmal mehr Mut bewiesen hast, wie Dein Vorfahre Dir gesungen hat ... Du hast Dich geöffnet für das Ganze und hast es angenommen, in großem Respekt ...” ließ sie ihn wissen.
In ihm war ein Eindruck seiner selbst, in dem Raum, in dem beide sich befanden, aber nicht die aus dem Dunklen war mit ihm, sondern - ein Vereinter ... der sich mit ihm über den Bildschirm beugte, um die darüber tanzenden Reihen von Symbolen zu verfolgen ... Plötzliche brennende Ungeduld begleitete das. „Ich muß den vollständigen Prozeß sofort in die Produktion geben”, sagte er, den Kontakt mit der Erdvolk-Gesangshüterin lösend. „Wir müssen anfangen, wir müssen endlich anfangen ... Man sollte im letzten Schritt der Ausformung bereits zwischen Kollektorfläche und Ableitung unterscheiden, und für die Innenbeschichtung der Speichereinheiten wird eine polyfrequenzreflektierende ...” Er unterbrach sich und schaute die aus dem Dunklen an. „Es tut mir leid ...”
„Unsinn.” Sie legte ihm noch einmal eine Klauenhand auf die Schulter. „Danke ... Danke, daß Du mich gebeten hast, dies hier mit Dir zu teilen - es war mir wirklich Ehre ... und wann immer Du mich wieder brauchst, bin ich gern da für Dich ...” Sie strahlte ihn an, und er strahlte zurück. „Ich werde von allem, was wir geteilt haben, den Meinen singen ...”
Er hatte noch einmal ihre Klauen in die Hände genommen, dann hatte sie seinen Bereich verlassen, um die Höhle aufzusuchen, hoffend, es wäre jemand dort, mit dem sie singen und teilen könnte ...

Die Wärme und leuchtende Freude im Kreis wurde von etwas berührt, unter dem der aus den Tiefen zusammenfuhr, und der auf dem Weg strich ihm sanft über den Rücken. „Es tut mir leid, aber ich muß uns alle daran erinnern ... die Jaridians warten auf den Zeitplan, den wir erstellen sollen - wann wir innerhalb der nächsten Hell- und Dunkelphasen anwesend sein werden, um für die da zu sein, die wünschen, daß Ihr für sie singt ...”
Er hatte Recht - und ich nicht einmal den Hauch einer Idee, wie man so etwas überhaupt tat, einen Zeitplan erstellen ... Darüber hinaus brachte mich das darauf, daß ich nicht nur unbedingt versuchen wollte, mit dem Untergeordneten der beiden Eingangswachen zumindest noch einmal zu sprechen, wenn er schon keinen Kontakt zuließ, und über den Umweg des Bildes der Jaridian mit ihrem Jungen auf dem leeren Platz draußen wurde mir bewußt, daß mir noch immer nichts bezüglich der Sechsgliedrigen eingefallen war - keiner von uns würde diese Behausung hier mehr verlassen können, um irgend etwas außerhalb zu tun, ohne sie alle in den Schlaf zu singen, wozu der auf dem Weg gar nicht fähig ...
„Eines nach dem anderen ... und der Zeitplan hat Priorität ...” Die warme, klare Präsenz dessen aus den Feuern rief den Wasser-Gesangshüter, dem sein Unbehagen deutlich anzumerken war, und mich freundlich, aber entschieden zur Ordnung.
Ich konzentrierte mich auf das, was er gesagt hatte. Den Jaridians mitteilen, wann wir da wären für die, die unsere Hilfe brauchten, das war es, worum es ging ... Ich verstand sogar, warum es einen Sinn machte, das festzulegen - damit die, die zu uns kamen, nicht vergebens warten mußten, bis etwa ich von einem Flug zurückkehrte oder der Wasser-Gesangshüter von einem ausgedehnten Besuch bei den Dindaei ... Die Jaridians waren sehr eng eingespannt in strikt eingeteilte Zeit, und wir hatten nicht das Recht, von ihnen zu verlangen, auf unsere Wünsche und Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen ...
Aber wie, um Windes Willen, sollten wir - ‚Zeit einteilen’? Keiner von uns hatte das je getan, und die empfindliche Haut dessen aus den Tiefen kräuselte sich vor Widerwillen allein bei der Vorstellung ... Zeit floß, in ihrem ureigenen Rhythmus, und man floß mit, sich davon tragen lassend ... Zeit bedeutete Kreise in Kreisen, die sich in größere Kreise öffneten, wenn sie vollendet waren ... Auf der, die uns trug, bestimmten deren Zeiten und Zyklen die unseren, wir taten, was immer zu tun war, weil es genau jetzt zu tun war ... Auf die Feiern des Neubeginns folgte das Raupensammeln, auf das Flüggewerden das Neueinweben, auf den Abschied der Käfer die zweite Verwandlung ... Hell- und Dunkelphasen folgten aufeinander, während derer man tat, was gebraucht wurde für unser Ganzes, aß, wenn man hungrig war, ausruhte, wenn die Kraft verbraucht war, sang und mit dem Wind tanzte, der wehte, wie die, die uns trug, ihn wehen ließ ... und zwischen die Zeiten und Dimensionen tauchte, wann immer diese sich öffneten, wenn man zum Volk derer aus den Tiefen gehörte ...
Wie ließ sich das überein bringen mit dem, was Zeit für die Jaridians bedeutete? Zeit, die sie in ‚Einheiten’ maßen, die, in Zahlen ausgedrückt und auf Bildschirmen angezeigt, durch Licht- und Klangalarm besondere Bedeutung erhaltend, über Hell- und Dunkelphasen hinweg ihre gesamten Aktivitäten vorherbestimmten?
Würde ich mich jetzt auf einen Flug aufmachen wollen, könnte ich keinem Jaridian sagen, wann genau ich zurück wäre - ich würde aufsteigen und mit dem Wind tanzen, bis meine Flugmuskeln ermüdeten oder etwas anderes mich plötzlich dringender riefe als das Fliegen - und das war nicht das, was die Jaridians von mir wünschten. Sie wünschten ... sie wünschten, ich würde eines ihrer allgegenwärtigen kleinen aufklappbaren Geräte benutzen, um darauf festzustellen, welche Zeiteinheit es anzeigte, und ihnen dann singen: „Jetzt haben wir Einheit Sieben ... in genau zwei Einheiten bin ich wieder da, pünktlich zum ...” Und sie würden erwarten, daß ich das schönste und komplizierteste Flugmanöver inmitten der Ausführung abbräche, um diese Absprache einhalten zu können ...
Der Wasser-Gesangshüter gab einen seltsamen Laut von sich, und meine Reflexe reagierten auf ihn. Der leichte Schwindel, der ihn auf Jaridia außerhalb seines Elementes seit einer Weile ständig begleitete, hatte sich so verstärkt, daß er nicht mehr deutlich sehen konnte ... „Es tut mir leid ...” ließ er uns wissen. „Ich weiß nicht, ob ich das hier überhaupt kann ... ich weiß, es gehört zu unserem Weg für das Ganze, aber ... es fühlt sich so falsch an ...”
Ich öffnete die Tiefensinne und überprüfte ihn, unterstützt von der aus dem Dunklen. Und es war sofort klar, daß er das, was die Jaridians erwarteten von uns, nicht würde leisten können.
Die bisherigen Zeitabsprachen bezüglich der jeweiligen Phasen des Rathaltens hatte er nur deshalb verkraftet, weil er sich dazwischen immer wieder hatte zurückfallen lassen können in den Fluß der Zeit, wie er ihn wahrnahm - hätten wir erst einen Zeitplan erstellt, wäre ihm das nicht mehr möglich, er müßte permanent im Zeitbewußtsein der Jaridians verbleiben ...
Das in ihm, das ihn Zeit fühlen ließ wie ich fließendes Wasser fühlte, reagierte auf seinen Versuch, sich in ein völlig fremdes Zeitbewußtsein einzufinden, mit Irritation, wodurch sich seine Wahrnehmung insgesamt trübte, und der Schwindel war inzwischen von Übelkeit begleitet ... Er hätte in einem wirbelnden, in die Tiefe stürzenden Wasserfall über mehr Orientierung verfügt als innerhalb des Zeitbewußtseins der Jaridians ...
Nein, er durfte nicht einmal an den Überlegungen zur Verplanung unserer Zeit bis zur Generalversammlung teilhaben - er wäre todkrank, wenn wir irgendwann auf unsere Welt zurückkehrten ... Ich hatte ihn zwischen die Flügel genommen, und die aus dem Dunklen hatte die Arme um uns beide geschlossen. Der auf dem Weg legte ihm für einen Augenblick die rechte Hand auf den Kopf, und ich fühlte, wie er seine Energie zentrierte und ausrichtete ... Er vollführte mit beiden Händen eine seltsame Geste, als ziehe er zwei verflochtene Zweige auseinander, und etwas - ordnete sich ...
Der aus den Tiefen reagierte mit großer Erleichterung. Die Übelkeit war verflogen, sein Blick war wieder klar, und sein viel zur rascher Herzschlag beruhigte sich ... Die Erdvolk-Gesangshüterin strich ihm über die Flossen. „Du mußt ins Wasser ...” Er hatte sich in unserem Halt deutlich entspannt, nahm ihre Klauen in seine biegsamen Flossenspitzen und schaute uns alle an. „Gern, aber nicht sofort ...” Wir hielten ihn weiter, und erst, als wir fühlten, daß auch das Schwindelige nachließ in ihm, woraufhin der aus den Feuern wiederholte, was er für ihn getan hatte, halfen wir ihm in die Quelle, und er tauchte bis auf den Grund des Schachtes und blieb dort.
Wir drei gingen auf dem Mitte-Lager in Kontakt, der auf dem Weg sehr besorgt. „Das hätte ich wissen müssen ... ich hatte ihn schon gar nicht erst mit einbezogen in meine Überlegungen, wie Ihr Euch das Singen für die Jaridians einteilen könntet, aber allein das Planen hat ja schon mit diesem völlig unterschiedlichen Zeitempfinden zu tun ...” Ich ließ ihm Sonnenhell zufließen, die aus dem Dunklen warmes Rot. „Sei beruhigt,” sang sie ihm, „in seinem Element erholt er sich schnell ...” In ihrem Geist war ein flüchtiger Eindruck - Zwischenholzblütenduft, das blasse Rotgold einer aufgehenden Sonne und ein großes blaugrünes Geschöpf mit riesigen Flossen, das sie eng umschlungen hielt, die Haut rissig von der Trockenheit viel zu langen Aufenthaltes außerhalb des Meeres ... und für einen kurzen Moment eine tiefe Sehnsucht nach der, die uns trug, bis sie sich selbst zur Ordnung rief. „Du hast Dir bereits etwas überlegt zu dem, was die Jaridians erwarten von uns?”
„Ja ... ich habe vor allem durch die Arbeit mit Trevak verstanden, wie Zeit von ihnen erlebt und ‚verwendet’ wird ... Es bleiben bis zur Generalversammlung noch insgesamt vier mal zwanzig Einheiten und der Rest der augenblicklichen Dunkelphase - zwanzig Einheiten bedeutet für die Jaridians in etwa eine ihrer Hell- und Dunkelphase zusammen. Die beiden einzigen, die sich auf jaridianisches Zeitkonzept einlassen und für jemanden singen können, seid Ihr beiden - das heißt, wenn Ihr Euch abwechseln würdet, könntet Ihr praktisch ununterbrochen Betroffene von Ramaz' Krankheit befreien - aber darauf ist der Dienstplan für dieses Gebäude nicht ausgerichtet - es müßten ja ständig Wachen irgendwo abgezogen werden, um Hilfesuchende hierher zu geleiten - und außerdem sollte keiner von Euch allein für jemanden singen, ich habe gut im Gedächtnis, was für eine Leistung das von Euch fordert ... Ich habe mir daher folgendes überlegt ...”
Er löste die Berührung kurz, um das aufklappbare Gerät zu holen, das die Jaridians uns vor allem zu Kommunikationszwecken überlassen hatten.
„Wenn ihr von zwanzig Einheiten fünf zum Singen zur Verfügung steht, und zwar immer von Einheit zwölf bis Einheit siebzehn, dann bleibt Euch genügend Zeit für alles, was sonst noch getan werden muß und für alles, was Ihr für Euch selbst tun müßt - Essen, Schlafen, Fliegen, Übungen ausführen, sich mit Jaridia verbinden ... Auf sechs Einheiten könnt Ihr Euer Angebot erweitern, sollten sehr viele Eure Hilfe wünschen. Und der aus den Tiefen kommt einfach dazu, wann immer er es wünscht - so ist es für Euch beide zu schaffen, und ihm ist nicht geschadet ...”
Die Bilder und Gedankeneindrücke, die er dazu in den Kontakt gab, waren absolut stimmig und fühlten sich - nicht einmal so unangenehm an ... Und damit keiner von uns in der Zeit, die wir für uns hatten, ständig in Sorge sein mußte, getroffene Absprachen zu verpassen, würden wir die Jaridian um zwei weitere aufklappbare Geräte oder etwas Adäquates bitten, das Zeiteinheiten anzeigte und uns mit einem Alarmton daran erinnern würde, wann wir von unserer Zeitwahrnehmung auf die der Jaridians zu wechseln hätten ...
All dies war mir immer noch unsagbar fremd - allein die Vorstellung, mit so einem Gerät an mir befestigt fliegen zu gehen, und mitten in einem gewagten Abstieg in engen Spiralen mit angelegten Flügeln würde dann der Alarm ... obwohl, sehr viel merkwürdiger als mit einem Scanner am Leib konnte das eigentlich auch nicht sein - und damit war ich ja auch irgendwann vertraut geworden ... Es war wichtig und gehörte unabdingbar zu unserem Weg für das Ganze, für alle Jaridians zu singen, die dies wünschten, und wenn ich mich dafür an das Tragen eines aufklappbaren Gerätes gewöhnen mußte, würde ich genau dies tun.
Der Eindruck meiner selbst mit diesem Gerät an mir - am linken Bein befestigt - über dem Platz draußen schwebend brachte die Erinnerung an mein jüngstes Erlebnis mit den Sechsgliedrigen zurück, und dieses Mal ließ sie sich nicht wegdrängen, nur lange genug in den Hintergrund schieben, daß die aus dem Dunklen und ich der Idee dessen auf dem Weg zustimmen konnten und uns bedanken dafür - das hätte weder ihr noch mir einfallen können, er war offenbar der Einzige, der der Art der Jaridian, zu denken und wahrzunehmen, mühelos folgen konnte ... Eigentlich war das nur zu verständlich - er war ihnen um so vieles ähnlicher als wir - er war schließlich letztendlich eines Volkes mit ihnen ...
Glatte, biegsame schwarze Gestalten, die von überall her zugriffen und und alle drei mit Gelb überfluteten, mit leuchtendem Gelb und unstillbarem Hunger ... Zu wissen, was sie brauchten, und ihnen davon zu singen, entband mich nicht von dem Bedürfnis, ihnen alles, was ich nur irgend auftreiben konnte, vor die Füße zu legen ... Ich wurde das Gefühl nicht los, ab jetzt würde auch die Anwesenheit Lärm verursachender und scheuchende Gesten vollführender Jaridians sie nicht mehr vertreiben, begäben wir uns einzeln oder gemeinsam nach draußen - aber wie sinnvoll war es , sie immer und immer wieder für etliche Zeiteinheiten in Schlaf und Traum zu singen, weil das, was wir geben konnten, sowieso nicht reichen würde? Sie wollten die Meereswelt und alles, was diese bedeutete für sie ... und wir waren die Einzigen, die ihnen davon singen konnten, so, wie mir die Aufzeichnung, die die Jaridians angefertigt hatten, davon gesungen hatte ...
Die aus dem Dunklen war meinen Gedanken gefolgt, während der aus den Feuern das aufklappbare Gerät benutzt hatte, um den Jaridians unseren neu gefundenen Zeitplan mitzuteilen, und als das Bild von dem Datengerät, das Informationen über den Wasserplaneten von sich gab, auftauchte, war sie plötzlich ganz Aufmerksamkeit.
Aufzeichnung ...
Wie würden die Sechsgliedrigen auf ein Datengerät reagieren, das ihnen von ihrer zukünftigen Heimat sänge?
Sie würden es sich einzuverleiben versuchen - und es könnte ihnen sogar gelingen, womit seine Funktion natürlich außer Kraft gesetzt wäre. Besonders groß waren die Geräte nicht, und etwas, was sich nicht auf einmal in die Mundöffnung stopfen ließ, ließ sich oft leicht zerbrechen ... Die Sechsgliedrigen brauchten die Schwingung des Planeten, der sie aufnehmen würde, die Frequenz dessen, was dort winzigste Mengen harter Strahlung abgab, um die Zeit zu überbrücken, bis sie dort leben würden ... Was konnte ihnen dauerhaft von dem singen, was ihren Hunger zumindest lindern konnte? Wir konnten es nicht ...
Ich merkte plötzlich, daß ich, ohne daß es mir bewußt geworden war, eine Flügelhand um den kleinen Beutel geschlossen hatte, der mir auf der Brust hing - dessen Inhalt mir sang, was ich brauchte, um nicht in Hunger und Mangel zu geraten: die Schwingung derer, die uns trug ... Diese Medizin hatten wir dem auf dem Weg zu verdanken, der wieder mit im Kontakt war, genau so konzentriert wie die aus dem Dunklen.
„Wir haben aber von dieser Welt nichts, was man in einen Beutel geben könnte ...” meinte er, verbunden mit dem Eindruck eines solchen, leer, in den Krallenhänden eines Sechsgliedrigen, das darauf starrte.
Die Erdvolk-Gesangshüterin schaute ihn ebenfalls an - und gleichzeitig auf das Bild der Meereswelt, die, sanft bräunlich und blaßgrün leuchtend, im Schwarz des Alls trieb.
Etwas in ihr schien beides zusammen bringen zu wollen, wie sie Metall und Stein hatte verbinden wollen zu dem, woraus Tachyonkonverter gefertigt werden konnten.
Der Wasserplanet - leuchtende Kugel im leeren dunklen Raum ...
Metall und - Stein ...
Warmes Tiefrot strömte in die Berührung, uns und alle Gedankeneindrücke umhüllend, und die Hüterin der Erdvolk-Gesänge strahlte.
Das Rund der Meereswelt hing plötzlich nicht mehr in Leere und Dunkelheit, sondern ruhte funkelnd in ihrer offenen linken Klauenfläche, eine kristallene Kugel, ein präzises Abbild dieses Planeten, an einer Stelle versehen mit einer flachen Ausbuchtung mit einem kleinen Loch in der Mitte, durch das die Erdvolk-Gesangshüterin jetzt ein Stück Schnur aus geflochtenem Gras schob.
„Ich habe ein Stück klingenden Felses bei mir, das schon fast wie eine Kugel geformt ist und genau die richtige Größe hätte ... Wir singen es gemeinsam in die Form dieser Welt, damit das Abbild so polyfrequent und damit so exakt wie möglich wird ... Ich könnte zu Trevak gehen und ihn um weiteren klingenden Fels bitten, so daß wir so viele Meereswelt-Steine singen könnten wie irgend möglich . Du”, - sie meinte mich - „hast uns wissen lassen, daß all die Sechsgliedrigen, die unbedingt Kontakt zu Dir wollten, sich nachher um die geschart haben, die Dich angesprungen hatten ... Wenn wir so viele der Ihren wie möglich mit den Schwingungen des Wasser-Planeten versorgen, halten sich die übrigen dann vielleicht an diese statt an uns ... und die Frequenzen dieser Welt wären zumindest für die Geschöpfe hier im Umkreis des Gebäudes präsent ...”
In dem Gedankeneindruck hängte sie behutsam die kristallene Kugel an der Grasschnur einem solchen Wesen um den Hals, das sich mit den unteren Gliedmaßen an ihren Bauch geklammert hatte und sie anstarrte.
„Ich bezweifle, daß das so gelingen wird ...” meinte der auf dem Weg, und in dem Bild, das die Erdvolk-Gesangshüterin in der Berührung hielt, zerrte das Wesen jetzt mit den mittleren Gliedmaßen Kugel und Schnur auseinander, ergriff beides mit den obersten und ließ es in sich verschwinden, die aus dem Dunklen weiterhin mit ‚Hunger’ überflutend. „Schaden würde es ihnen ebensowenig, als würden sie sich ein Datengerät einverleiben, aber bewirken würde es ebenfalls nichts ...”
„Es wäre aber einen Versuch wert”, gab ich in den Kontakt. „Vielleicht gelingt es uns irgendwie, ihnen klarzumachen, daß sie von diesen Schwingungen dauerhafter etwas haben, wenn sie sie mit/an sich tragen, anstatt sie in sich zu Nahrung werden zu lassen - weil letzteres sie ja zerstört ... und es fühlt sich nicht so an, als würde von einem Abbild der Meereswelt, wie wir es hier gefunden haben, Gefahr für sie ausgehen - der Anteil der Frequenzen harter Strahlung ist der gleiche wie in den Meeren Jaridias, und die Dindaei leben seit Urzeiten darin ... Im schlimmsten Falle hätten die Jaridians etwas von ihrem klingenden Fels verloren ...”
„Sie brauchen uns ja nichts zu geben, was sie selbst noch verwerten können”, meinte die aus dem Dunklen. „Bei ihren Verarbeitungsprozessen entstehen bestimmt, genau wie bei uns, Splitter und Bruchstücke, Abfälle, aus denen sich beim besten Willen nichts mehr formsingen läßt ...”
Sie überlegte einen Augenblick, dann wandte sie sich an den auf dem Weg. „Wärest Du in der Lage und bereit, eines Eurer Feuer zu entzünden - ein weißes, das heiß genug wird, klingenden Fels zu schmelzen? Dann könnten wir ausschließlich mit Abfällen arbeiten - Erstarrendes, das noch keine endgültige Form angenommen hat, ist um vieles leichter zu singen - das haben die Deinen uns gelehrt ...”
Der auf dem Weg blickte sich in der Höhle um. „Bereit bin ich auf jeden Fall - ich denke, Ihr habt Recht, einen Versuch ist es wert. Aber hier unten kann ich ein solches Feuer nicht entfachen, es würde die Höhle beschädigen - der Stein, aus dem sie besteht, schmilzt sehr viel rascher als klingender Fels ... Wir müßten Trevak nicht nur um Abfälle, sondern auch um das Zur-Verfügung-Stellen einer geeigneten Arbeitsstätte bitten - und ob er dazu bereit ist, bezweifle ich; ich denke, sämtliche Produktionsstätten auf diesem Planeten sind mehr als ausgelastet ...”
„Aber die Idee, die Sechsgliedrigen mit dem zu versorgen, was ihnen so sehr fehlt, dient doch nicht nur unserer Entlastung, sondern auch der der Jaridians, sollte sie denn funktionieren”, gab ich in die Berührung. „Abgesehen davon, daß kein Wesen solchen - ‚Hunger’ - ein anderer Begriff traf es einfach nicht - „überhaupt sollte aushalten müssen ...”
Die verzweifelte Bedürftigkeit dieser Geschöpfe ließ einmal mehr meinen Brustkasten schmerzen und meinen Magen sich zusammenziehen, und in Gedanken schleppte ich ein bis zum Rand mit Konzentratriegeln und unseren restlichen Ph'taalfrucht-Vorräten vollgestopftes Bündel auf den Platz.
„Tun wir es einfach”, beschloß die aus dem Dunklen. „Wir schaffen Abbilder ihrer zukünftigen Heimatwelt und verteilen sie unter ihnen - und wenn sie sie einfach verschlucken, dann finden wir andere Wege ... Und klingender Fels wäre zwar das beste Material dafür, weil es hart und belastbar ist, aber wenn Trevak uns weder diesen noch eine Feuer-Arbeitsstätte gewähren kann, dann bitte ich die Höhle hier um etwas von ihrer Substanz ...”
Sie löste sich behutsam aus dem Kontakt, um zum Vorratsstapel hinüber zu wandern, wo sich auch unsere Bündel befanden, in dem ihren zu suchen und schließlich mit einem vielfacettigen, fast kugelförmig gesungenen, transparenten Stück klingenden Felses zurück zu kommen, von etwa der Größe einer Bodenfrucht, die diesen gerade erst durchbrochen hatte.
Sie schloß den Kreis mit uns wieder, den Kristall in den offenen Klauenhandflächen. Ich spürte über die Berührung hinein - das Lied ihres Stammes, des Erdvolk-Anteils, der unter unserem Gehölz lebte, sang darin - sie hatten ihn für sie gesungen und ihn ihr mitgegeben, und sie hatte einen mit ihrem ureigenen Lied zurückgelassen - für die Verbundenheit, so, wie ich ein Büschel meines Fells ausgezupft bekommen hatte ...
„Sie würden helfen, ihm ein neues Lied der Form zu singen für die, die so sehr brauchen ... Konzentriert Euch jetzt, konzentriert Euch auf die Welt, die ihnen und den Dindaei Zuhause werden wird ...”

 

Ende von Kapitel 49

 

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