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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Februar 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Sinn des Lebens? / „Ich” und „Du” / Das Tiefste hinter dem Zorn
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Der aus den Tiefen, der auf dem Weg, Aveena, das Waffen-Wesen, der Heiler, zwei männliche und eine weibliche Technologiekundige, zwei Wachhabende, die Erdvolk-Gesangshüterin, Trevak (andere Jaridian)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 48

 

Silbriges um mich, glitzernd. Kein Weiß, kein Rosa oder Hellblau mehr, keine duftende Süße, keine Spiralen der Ordnung, nur ich selbst, und dünner werdendes Silber ... das in einiger Entfernung nur noch gestaltloser, opalfarbener Nebel war ... verlockend nach all der Anstrengung ...
Nein, wußte ich im selben Moment, dorthin durfte ich auf keinen Fall ... ich war, bevor ich um mein Leben gesprungen war - ??? - in Silbrigem nach unten und rückwärts gestürzt - als wäre ich in der Zeit rückwärts gezogen worden, in die Vergangenheit ... und was immer ich genau dort erlebt hatte, hatte mich hierher, an den Rand dessen gebracht, was jenseits der Zeit lag - und darin war ich schon einmal ...
Ich konzentrierte mich auf glitzerndes Silber, auf vorwärts und aufwärts ... Ich mußte hoch, nach vorn und nach oben ... und die beste Methode, dorthin zu gelangen, war - zu fliegen ...
Also breitete ich die Flughäute aus, spannte meine Muskulatur an, sprang in das Silbrige, vom Opalnebel weggewandt, und stieg auf.
Flügelschlag um Flügelschlag ...
Ungeheure Anstrengung ...
Aber ich entfernte mich von dem Opalfarbenen, und irgendwann war es außer Sicht ...
Und dann griffen mir zwei kraftvolle dunkle Hände unter die Flügel, und ich wurde hoch gehoben ...
Ich war in der Gegenwart, in meinem Körper, in dieser merkwürdig transparenten Hülle, das Waffen-Wesen schlief tief und fest, nach wie vor an mich geheftet ... ich lag auf dem Boden, zwischen den Flossen dessen auf dem Weg, der das Wesen und mich entspannt an sich gelehnt hielt, er selbst stützte seinen Rücken gegen das, worauf die Arbeitsfläche ruhte. „Es ist alles in Ordnung”, sagte der aus den Feuern, dessen Hände ich an meinen Fußkrallen spürte, sowohl zu mir als auch über die Kommunikationseinrichtung zu den Jaridians draußen. „Seid beruhigt wegen der Werte - sie hat sich extrem konzentrieren müssen ... sie ist gerade aus diesem Zustand wieder aufgetaucht und wird jetzt über den Kontakt berichten, was sie gesehen hat ...”
Und das tat ich, während der aus den Tiefen weiter sang, mit seiner sanften vollen Stimme ... Und erst dabei begriff ich, was ich erlebt hatte - und was die Taelons dem Waffengeschöpf angetan hatten ...
Mein Bewußtsein war zu seinem geworden, und der aus den Feuern hatte uns durch die Zeit zurück geschickt, einem Signal aus dem Ganzen folgend ... Und ich war, für eine Weile, eine Lebensform gewesen, wie das Waffen-Geschöpf eine gewesen wäre, hätte es damals gelebt. Ursprünglich, unberührt ...
Ich hatte Nahrung aufgenommen, die Substanz eines großen, fast durchsichtigen Blattes, durch die Öffnung, mit der das heutige Wesen sich nur noch fest saugte, um irgendwo haften bleiben ... Mein Körper hatte der nach der üppigen Vegetation meiner Heimatwelt duftenden Luft ‚das entzogen, was sie im Überfluß enthielt’ - „Sauerstoff”, stellte der aus den Tiefen fest, voller Überraschung - und in meinem Hinterleib gesammelt ... Sauerstoff ... nichts Giftiges, Tödliches, nein, nur etwas, das ich unter Druck ruckartig aus mir entweichen lassen konnte, durch eine Öffnung - und das mich in einem erratischen Kurs ein Stück durch die Luft fliegen und irgendwo landen ließ, bevor Wesen, die mich als Nahrung ansahen, mich erwischen konnten ... für das merkwürdig asymmetrische, hautflügelige Geschöpf wußte keiner von uns eine Bezeichnung, aber das Flache, Segmentierte, Grau-Rosafarbene erkannten wir sofort wieder - ein Skrill ... das Waffen-Wesen stammte von der Heimatwelt der Skrills ...
Der Sinn des Lebens für dieses Wesen war im Tiefsten der gleiche wie für mich: Leben ... Da sein, wahrnehmen, sich gut fühlen, wobei auch immer ... beim Aufnehmen von Nahrung, im Bewußtsein, daß es Seinesgleichen gab, mit denen es zusammen war, wann immer sich das richtig anfühlte ... dafür zu sorgen, daß man erhalten blieb, um weiter Angenehmes tun zu können ...Sein Bewußtsein umfaßte dies, und damit war es gut ...Bewußtsein wie das meine umfaßte auch noch anderes, und auch das war gut ...
Und all das - hatten die Taelons auf eine Weise verdreht, die erneut beinahe mein Innerstes aus mir heraus zwang. Der aus den Feuern mußte Kraft aufbringen, um das zu abzuleiten, das Waffen-Wesen und den aus den Tiefen immer mit im Blick ...
Ich mußte mich noch einmal zwingen ... zwingen, genau hinzuschauen, in die Strukturen der Ordnung in all seinen Zellen ...
Die Erkenntnis daraus war nur Schmerz.
Es gab keine Heilung.
Nichts konnte ich - oder irgendeiner der Meinen - tun für dieses Geschöpf ...
Im Innersten der Strukturen, wie und was ein Wesen wird, zu arbeiten, überstieg alles, was wir zu leisten imstande waren, selbst für fähigste Singende wie etwa die aus dem Dunklen. So tief in das Ganze zu schauen, wie es dafür notwendig wäre, konnte nicht einmal der auf dem Weg ...
Sanftes Blaugrün umfloß mich, spülte in Wellen über mich hinweg und nahm den Schmerz mit - der Gesangshüter des Volkes in den Tiefen. „Wir können es nicht, wir nicht, das stimmt ... aber es gibt ein Volk, das das kann ...”
Natürlich - selbstverständlich gab es ein solches Volk, die Dindaei ... aber was ...
Und ich hatte verstanden.
Zwanzig Umläufe etwa würde es noch dauern, dann gäbe es Heilung für dieses Geschöpf ... Und für viele, viele andere, denen Gleiches angetan worden war ...
Die Mittler.
„Sie werden es sich nicht nehmen lassen, zu tun, was sie irgend können - Sie werden selbst den weiten Flug antreten von Jaridia - oder von ihrer Welt - zu der, die uns trägt ...”, ließ uns der aus den Tiefen wissen. „Die Dindaei verehren das Leben viel zu sehr, als daß sie solche Mißachtung des Ganzen hinnehmen würden ...”
In mir war es wieder hell, und in Gedanken hüllte ich den Hüter der Wasser-Gesänge, den auf dem Weg und das Waffen-Wesen, für das ich mir immer dringender eine andere Bezeichnung wünschte - eine, die aussagte, was es wirklich war - in meine Flügel.
„Ich glaube, wir können unsere Arbeit jetzt beenden - wir haben gefunden, was gebraucht wird”, sagte der aus den Feuern, zu uns und den Jaridians. „In Ordnung - geht so vor, wie wir es beschrieben haben, und öffnet die Tür erst, wenn Ihr das Behältnis wieder ordnungsgemäß verschlossen habt”, antwortete die weibliche Technologiekundige.
Der aus den Feuern ließ mich los, löste das träumende Wesen sehr behutsam mittels des Spezialwerkzeuges von mir, bettete es in das Behältnis und verschloß dieses Schritt für Schritt, während der aus den Tiefen und ich einander in den Stand halfen.
Kurze Zeit später befreiten uns die Jaridians von den Anzügen, Konzentratoren und sämtlichen Scannern, und der aus den Tiefen bekam sein ursprüngliches Sauerstoffgerät wieder. Die drei Trevak Untergeordneten strahlten Ungeduld und Neugier aus und trieben uns zur Eile - sie würden im Anschluß an dies hier unter Aufsicht des Heilers die Kontaktnetze benutzen, die unsere Arbeit aufgezeichnet hatten, und wir sollten in einem isolierten Nebenraum, um direkte Interferenzen auszuschließen, dabei sein - um gegebenenfalls Nachwirkungen abzufangen, wie der Heiler sie erlebt hatte, denn in der kurzen Zeit, die seit dem ersten Versuch mit einem Netz vergangen war, war niemandem etwas dazu eingefallen, wie diese auszuschalten seien.
Wir fühlten uns geehrt und beeilten uns, bereit, sofort weiter zu machen, wurden jedoch zuerst einmal mehr gescannt. „Ihr habt Energie verbraucht, und zwar alle drei reichlich, die müßt Ihr erst ergänzen ...”
Dafür wurde dann gesorgt, und schließlich verließen wir die Testkammer, während das Behältnis mit dem Wesen darin von zwei bewaffneten Jaridians in Schutzanzügen abgeholt wurde. Wir wurden durch einige Gänge geleitet und hatten wenig später einen Trakt mit weiteren Räumen, die für die Durchführung von Tests aller Art, allerdings nicht für solche, bei denen irgend etwas explodieren könnte, ausgerüstet waren.
Der Heiler und einige ihm Unterstellte nahmen uns in Empfang, trennten uns drei und die Jaridians voneinander und geleiteten ihre Stammesangehörigen zu bereit stehenden Antigravtragen, während wir in die Testkammer nebenan geführt und dort zu warten angewiesen wurden. Die Wand zwischen ihnen und uns war durchsichtig, aber massiv und fühlte sich merkwürdig stumpf an, die übrigen Wände um uns und die schwere Tür, die sich hinter uns geschlossen hatte, schienen sich mit etwas sehr Komplexem, Mehrschichtigem behaftet zu sein und unsere Stimmen klangen hier flach und gepreßt ...
Wir schauten durch das Transparente zu, wie die drei Jaridians mit den Kontaktnetzen versehen wurde, die zuvor wir getragen hatten, und ich bemerkte, daß die weibliche meines bekam - ich erkannte es an der gelben Kennzeichnung, die daran befestigt war ... Die Ihren halfen ihnen auf die Tragen, sie wurden angegurtet und dann wurden offenbar die Netze für die Wiedergabe aktiviert.
Es gab nicht viel zu sehen. Die beiden männlichen Jaridians lagen ganz still, der eine holte nur ein paar mal tief Atem, der andere zuckte mehrmals mit den Fingern. Die, die mir in den Anzug geholfen hatte, schauderte ab und zu und setzte schließlich mit der Atmung aus, was dazu führte, daß sie einmal mehr gescannt wurde als die anderen, sonst geschah nichts, für etwas über zwei Zeiteinheiten.
Dann blinkte am Brustteil jedes Kontaktnetzes ein rotes Licht auf, und der Heiler nahm den Technologiekundigen die Geräte ab. Einer der beiden Männlichen setzte sich sofort auf, mit offenen Augen, und sah sich blinzelnd im Raum um, der andere atmete tief auf, streckte sich und schlug gleichfalls die Augen auf. Die Weibliche rührte sich nicht, mit halb geschlossenen Lidern, unter denen nur Trübes sichtbar war.
Der Heiler winkte uns zu sich, und ich bekam Anweisung, mich um die Jaridian zu kümmern, die, sehr flach atmend, da lag, und war sofort an ihrer Seite und in Kontakt mit ihr.
Sie war mehr ich als sie selbst ... und kam überhaupt nicht mit meiner Schwäche zurecht ... wie sollte sie mit nicht einmal einem Zehntel ihrer Kraft etwas Riesiges, Lappiges anheben wie diese Flügel - wie hatte sie überhaupt nur jemals fliegen können? Fliegen? Springen ... so schwach ... Und wo waren plötzlich ihre restlichen Horizontalen und die Vertikalen hin verschwunden - mit diesem seltsamen Stimmchen, das ihr geblieben war, konnte sie doch nicht einmal ...
Ich löste ihre Gurte, packte sie unter den Schultern, richtete sie zum Sitzen auf und zog sie fest an mich. Irgendwo in ihrem fluktuierenden Bewußtsein fand ich ihren Namen und sang sie damit an, rief sie ... „Ich bin nicht länger in Dir, ich bin hier ... und Du bist diese hier ...” Ich schlang meine Flügel so fest um sie, daß eines der Gelenke darin ein lautes Geräusch von sich gab, und drückte sie gegen meinen Brustkasten. Sie ächzte und begann, sich gegen meinen Griff zu wehren. „Genau, das bist Du ... die, der es eng wird, die, die das spürt ... die sich und ihre eigene Kraft spürt ...”
Sie schwankte zwischen Sich-Fühlen und Mich-Fühlen, immer noch verwirrt.
„Das hier bist Du ...” Ich zeigte ihr sie selbst in meinem Griff, ließ sie fühlen, mit welcher Stärke sie sich, noch nur halb bewußt, dagegen stemmte, und verstärkte meine Anstrengung, sie zu halten, so gut ich es vermochte.
Ihr Shaqarava aktivierte sich, und sie war klaren Geistes, schrak heftig zusammen und hörte auf, sich zu wehren. Jetzt sehr überrascht, fühlte sie ein paar Mal zwischen sich und mir hin und her.
„Ich bin hier, und Du hältst mich fest”, konstatierte sie schließlich. „Ich kann nicht fliegen, aber ich bin sehr viel stärker als Du ...” Sie richtete sich vorsichtig auf zwischen meinen Flughäuten, und ich lockerte den Griff, bis er nur noch Umhüllung war. Sie strich mir mit den Händen durch das Fell und über die Schultern, mit Staunen. „Was für eine Erfahrung ...”
Der Heiler war da, scannte zuerst die Seine, dann mich. „Ihr werdet gleich alle noch einmal gründlich untersucht - so, wie es aussieht, ist sowohl Eure als auch unsere Arbeit gelungen ...” Er schaute seine Stammesangehörige halb kritisch, halb besorgt an. „Wie fühlst Du Dich? Deine Werte sind passabel, aber gegen diese Nachwirkungen werden wir wirklich etwas finden müssen ...”
Trevaks Untergeordnete streckte sich, spannte ihre Arm- und Brustmuskulatur an - und funkelte plötzlich vor Begeisterung. „Es geht mir gut ... Seid beide versichert, diese Erfahrung würde ich jederzeit wiederholen wollen ... einige Dinge waren sehr verwirrend - ich meine, ich war ja zwischenzeitlich nicht einmal mehr Du, ich war dieses - dieses arme Ding ...” Für einen Moment trübte sich ihr Blick wieder. „Was rede ich hier eigentlich ... eine Taelon-Waffe ... widerlich, das war wirklich widerlich ...” Im Kontakt war das Berühren der verdrehten Strukturen der Ordnung im Innersten des Wesens, gefolgt von dem, was das in mir ausgelöst hatte, und die Jaridian ballte die Hände zu Fäusten, um das weiß-violette Aufflammen darin zu unterdrücken.
„Aber dafür kannst Du, die das aufgezeichnet hat, am allerwenigsten etwas ...” Sie rückte etwas von mir ab, so gut das auf der Trage ging, um mich genauer anschauen zu können. „Woher nimmt etwas so Schwaches, Verletzbares wie Du die Kraft, die es braucht, um fliegen zu können? Als ich Du war, war das einfach selbstverständlich ... und es war gut, auch wenn es sehr anstrengend war ...” Sie betrachtete ihre Arme und ihre Brust, dann meine Flügelarme und vordere Flugmuskulatur, versuchte noch einmal, das eigene Körpergefühl mit dem erinnerten meinen überein zu bringen, und vollführte schließlich eine etwas resigniert wirkende Geste. „Ich verstehe es nicht ... aber es hat funktioniert, und es war gut ...”
Einer derer, die dem Heiler unterstellt waren, war jetzt mit im Kontakt. „Es tut mir leid, aber wir haben einen Zeitplan einzuhalten ...”

Einige Scans, Tests und Körpermaterial-Entnahmen später waren der aus den Tiefen, der auf dem Weg und ich, nach verwirrendem Hin und Her durch endlose Gänge (allerdings unter kundiger Führung) wieder allein in der Höhle, in Berührung auf unserem Mitte-Lager und dabei, noch einmal zu drehen und zu wenden, was hinter uns lag, als tiefes Vibrieren uns wissen ließ, daß uns jemand aufsuchte.
Ich erschrak, als ich erkannte, daß es die beiden Eingangswachen waren, die ich so sehr verärgert hatte. Sie näherten sich dem Mitte-Lager, der Ranghöhere der beiden mit verkrampftem, der andere mit verschlossenem und abweisendem Gesichtsausdruck. Wir öffneten ihnen den Kreis, und der aus den Feuern und ich streckten ihnen Hand und Flügelhand zum Kontakt hin. Der Übergeordnete nahm die dessen auf dem Weg, sehr vorsichtig. Sein Stammesangehöriger verschränkte die Arme vor der Brust. Der andere blickte ihn auffordernd an, aber er änderte seine Haltung nicht, sondern holte nur tief Atem und schaute mir kurz in die Augen, dann über mich hinweg.
„Wir sind auf Befehl des Anführers hier, um offiziell um Entschuldigung zu bitten wegen des Vorfalls vor dem Haupteingang”, sagte er schließlich, so distanziert und ausdruckslos, wie es ihm überhaupt nur möglich schien. „Ihr habt ausdrückliche Erlaubnis des Ersten, mit jedem, der hierher zu Euch kommt und um Korrektur seines Stoffwechsels bittet, sei es für sich selbst oder Dritte, zu verfahren, wie Ihr es für richtig erachtet. Ihr müßt allerdings einen Zeitplan ausarbeiten, wann Ihr für um Euren Gesang Ersuchende hier anwesend seid und wann nicht, ihm selbigen zukommen lassen und ihn in jedem Falle einhalten, da nicht beliebig Wachpersonal zur Verfügung steht, um Außenstehende zu Euch zu eskortieren. Etwas wie das Vorgefallene wird sich kein weiteres Mal ereignen. Euch bleibt selbstverständlich unvorbehalten, das Geschehene nach Eurer Rechtsprechung zu sanktionieren, da an einer der Euren Schaden verursacht wurde. Falls Ihr bereits zu einem Urteil über uns gekommen seid, seid Ihr aufgefordert, dies dem Ersten jetzt mitzuteilen und es danach zu vollstrecken.”
Ich konnte den Jaridian nur anstarren. Ich hatte seine Worte zwar gehört und dem Sinn nach verstanden, aber anfangen konnte ich damit überhaupt nichts ... Weder aus seiner Haltung noch seinem Tonfall oder Gesichtsausdruck ließ sich auch nur eine Winzigkeit darüber entnehmen, was er zu dem, was er sagte, selbst fühlte, und zu berühren wagte ich ihn nicht ... ich spürte schließlich über den Kontakt zu seinem Übergeordneten hin, der seine linke Hand um die rechte dessen auf dem Weg verkrampft hielt.
Er empfand hauptsächlich tiefes Unbehagen. Unbehagen darüber, daß ein erfahrener Kämpfer wie er seinen Untergebenen nicht unter Kontrolle gehabt hatte, darüber, daß dieser sich selbst nicht unter Kontrolle gehabt hatte - obwohl laut jaridianischem Recht nicht eine einzige Vorschrift verletzt worden war, weshalb der Erste nichts weiter hatte tun können, als ihnen beiden Freischichten-Privilegien zu streichen und sie auf den nächst niederen Rang zurück zu stufen, was ihm am meisten zu schaffen machte ...
Ich konnte seinen Gedanken entnehmen, daß sein ihm Untergeordneter immer noch zornig war auf mich und der festen Überzeugung, ich hätte mich grundfalsch verhalten, während ihm selbst das, was ich getan hatte draußen auf dem Platz, inzwischen gleichgültig war - der Erste hatte es gebilligt, und damit war ihm die Verantwortung dafür und für eventuell daraus erwachsende Probleme abgenommen ... wenn wir, fremd, wie wir nun einmal waren auf Jaridia, hier unsere merkwürdigen fremden Gebräuche ausüben wollten, interessierte ihn das nicht weiter ... die Neugier, die die meisten seines Stammes plagte, schien ihm vollkommen zu fehlen.
Ich fühlte zu dem auf dem Weg, dessen Blick auf dem außerhalb des Kontaktes verharrenden Wachhabenden ruhte und Wärme und tiefes Bedauern ausdrückte, und zu dem Hüter der Wasser-Gesänge. Beide empfanden das Gleiche wie ich.
Sanktionieren? Ein Wesen, das so offensichtlich Unglück verbarg - was sonst sollte derartigen Zorn auslösen, der weit über die übliche Verärgerung über den Fehltritt einer Ahnungslosen hinausgegangen und offenbar in ungeminderter Intensität vorhanden war - dafür noch zusätzlich bestrafen? Und seinen Vorgesetzten erst recht nicht - er hatte schließlich durch sein Eingreifen Schlimmeres verhindert und die Situation letztendlich mehr oder weniger bereinigt ...
Unser Bedürfnis, vor allem meines, war nur, zu verstehen ...
Dem Wachhabenden, der in der Berührung mit uns war, gaben beinahe die Knie nach vor Erleichterung. Er hatte gefürchtet, wir würden vielleicht dafür sorgen, daß ihm und seinem Nachgeordneten sämtliche bisher erlangten Auszeichnungen oder nicht nur der letzte, sondern alle neu erworbenen Rangbezeichnungen abgesprochen würden ... er war sich sehr unsicher, ob er einen solchen Ehrverlust ertragen hätte ... Ich fuhr zusammen, als ich den Gedanken berührte, der dahinter lag.
Er hätte nicht nur dafür gesorgt, dem riskantesten Frontabschnitt im momentanen Kampfgeschehen zugeteilt zu werden. Er hätte auch dafür gesorgt, von diesem Frontabschnitt auf keinen Fall zurück zu kehren.
Meine Reflexe reagierten auf ihn, und er nahm die ihm zuströmende Energie an und ich fühlte, daß er das als wohltuend empfand, obwohl er mit meinen Gedanken dazu überhaupt nichts anfangen konnte. Ich spürte den Kämpfer, der er war, dem nichts wichtiger war als die Ehre des Imperiums und das, was er beitrug dazu - er war ohne Gefährtin und ohne Nachwuchs, obwohl er ein Verschonter war, und er wäre mehrmals beinahe im Kampf geblieben ... jemand, der so viel gab für die Seinen, dafür nichts wünschend, als daß das, was er gab, anerkannt wurde, wollte sich einfach fortwerfen - wegen etwas, was nach seinem Recht und Gesetz nicht einmal ein Fehler war ...
Sehr, sehr vorsichtig und unbeholfen berührte er seinerseits das, was ich ihm zufließen ließ. „Ihr seid das Fremdeste und Seltsamste, das mir jemals begegnet ist”, meinte er, sehr ratlos. „Ihr seid ... ach, ich weiß auch nicht ...”
Der andere Jaridian stand in unveränderter Haltung da, über uns alle hinweg sehend. Ich wandte mich jetzt direkt an ihn, ihm die offene Flügelhandfläche noch einmal entgegenstreckend. „Es ist mir wichtig, daß Du weißt, daß ich nicht zornig bin auf Dich”, sang ich ihm, versuchend, wenigstens seinen Blick auf mich zu ziehen, damit er in meinen Augen sehen konnte, was er nur hörte und nicht spürte. „Du hast nach Deinem besten Wissen gehandelt ... aber ich habe Deinen Zorn gefühlt und nicht verstanden. Ich weiß, daß sich Schmerz verbirgt hinter solcher Wut - es würde heilen, was geschehen ist, dürfte ich dafür Heilung singen ...”
Ich sah es durch seine zu Fäusten geballten Hände hindurch weiß-violett aufleuchten, aber äußerlich blieb er völlig ruhig. „Ihr habt gehört, was der Erste hat ausrichten lassen, und offenbar habt Ihr kein Urteil zu verkünden”, sagte er, und, an seinen Vorgesetzten gewandt: „Ich denke, damit ist alles besprochen im Rahmen des Protokolls - es sei denn, Du verfügst etwas anderes.”
Dieser schaute ihn an, sehr nachdenklich. „Du solltest mit in den Kontakt gehen”, meinte er, mit der freien Hand auf meine Flügelhand deutend, die ich ihm immer noch anbot. „Ich könnte es Dir befehlen ...”
Der andere zog heftig die Luft ein, und ich zuckte zusammen allein bei dem Gedanken, ihn gegen seinen Willen berühren zu sollen.
Der Jaridian im Kontakt atmete tief aus. „Damit wäre wirklich alles besprochen”, meinte er, und seine Verwirrung war jetzt durchsetzt mit Resignation. Er ließ die Hand dessen aus den Feuern los, erhob sich vom Mitte-Lager und gab dem anderen ein Zeichen.
Sie verließen uns ohne ein weiteres Wort.

Wir blieben genau so ratlos zurück wie der Ranghöhere der beiden Eingangswachen.
Womit hatte ich den, der mich kampfunfähig gehalten hatte, über das Maß hinaus verärgert, das eine simple Regelverletzung verursacht hätte? Gut, er hatte bereits das Hauptkommando überrannt von Hilfesuchenden gesehen, die alle Routinen derartig durcheinander gebracht hätten, daß nicht nur die Sicherheit innerhalb des Gebäudes, sondern durch die Behinderung der darin Arbeitenden das Imperium selbst hätte in Gefahr geraten können, und das hatte ihm Angst gemacht ... Aber im Kontakt mit ihm war mehr als das gewesen, viel mehr - ich hatte dessen Wucht gefühlt, aber durch die weiß-violetten Flammen nichts erkennen können ...
Was hatte ich über ihn erfahren über die Berührung seines Vorgesetzten? Ich spürte in den Eindruck hinein, den dieser vermittelt hatte von ihm ...
Er war genau so bedingungslos im Kampf für die Seinen wie sein Übergeordneter, nahm sämtliche Regeln, Anordnungen, Vorschriften und Befehle noch sehr viel genauer als dieser und das Aufsteigen in der Rangordnung der Kämpfenden war ihm ebenso wichtig. Er tat alles, was in seiner Macht stand, um seine Kraft und seine Fähigkeiten stetig zu verbessern, da ihm dies als jemandem, den Ramaz' Krankheit verschont hatte, nicht selbstverständlich zuwuchs wie denen, deren Lebenszeit sie so drastisch verkürzte ...
Und ich hatte plötzlich begriffen.
Die Jaridian mit dem Jungen in den Armen hatte den beiden Wachhabenden ihr Anliegen ja vorgetragen ...
Sie hatte darum gebeten, dem Winzigen, vor dem, aus der Sicht des Rangniederen, ein Leben als vollendeter Kämpfer für die Seinen in höchsten Ehren lag, genau das zu nehmen, worüber er für sich im Tiefsten zu verfügen wünschte - den ständigen selbstverständlichen Zuwachs an all dem, was einen Krieger zum Besten werden lassen konnte ...
Es war ihm und dem anderen gelungen, sie abzuweisen, es hatte gar keine Überzeugungsarbeit gekostet, sie hatten sie nur über die entsprechenden Vorschriften belehren müssen, die ihr Vordringen zu uns verbaten.
Und dann war ich daher gekommen - und hatte in einem Vielversprechenden der Seinen vernichtet, wonach er selbst sich sehnte, seit er in der Lage war, eine Waffe zu halten und sein Shaqarava zu kontrollieren ...
Das hier schmerzte mehr als mein Flügel es getan hatte ... „Es wäre kein Kämpfer aus diesem Nichtflüggen geworden”, gab ich in den Kontakt. „Es hätte sich einfach nur verabschiedet ... es wäre ihm kaum mehr als ein Viertel eines Umlaufzyklus geblieben, dann wäre es zu Asche geworden ...” Ich spürte die kleine, glühende, ausgezehrte Gestalt wieder zwischen meinen Flügeln, die, völlig apathisch, nicht einmal mitbekommen hatte, etwas völlig Fremdem an die Brust gedrückt worden zu sein ... die erst zu sich gekommen war, als ich meinen Gesang beendet hatte ... Hitze, konzentrierte, verzehrende Hitze eines Verschonten am Ende seiner Lebensspanne in einem Geschöpf, das gerade erst anderthalb Zyklen lang am Leben war ... Dieses Junge würde jetzt erwachsen werden, an der Zukunft des Imperiums mitweben ...
Ich wünschte mir so sehr, mit dem Jaridian, dem die Worte, die er hier vorgebracht hatte, reine Qual gewesen sein mußten, in Kontakt gehen zu können ...
Der aus den Tiefen ließ den auf dem Weg los und nahm mich zwischen die Flossen, der aus den Feuern rückte an uns heran und schloß uns beide in die Arme. Traurigkeit und Ratlosigkeit, das war, was von dem Kontakt mit diesen beiden Jaridians übrig blieb ...
Als sich später die Höhle öffnete und die aus dem Dunklen einließ, die sofort bei uns war und in die Berührung ging, war ihre Energie, die uns umhüllte, und das, was sie mitbrachte, leuchtend vor Kraft, das, was uns in Hoffnung und Handelnwollen für die neuen Wege zurück brachte.

Als Trevak, der so rasch wie möglich in seinen Arbeitsbereich zurück wollte, die Erdvolk-Gesangshüterin um Hilfe gebeten hatte, war es dabei um die Herstellung des Werkstoffes gegangen, aus dem der Tachyonkonverter gefertigt werden sollte ... er hatte zwar in der Berührung miterlebt, wie sie diesen aus seinen drei Bestandteilen schuf, ohne jedoch mehr als ein paar vage Ideen zu haben, wie das konkret in jaridianische Produktionsbedingungen umzusetzen sei. Er hatte sie gefragt, ob sie bereit sei, das mit ihm auszuarbeiten, und sie hatte sich geehrt gefühlt und sich sofort einverstanden erklärt ...
Sie hatte ihn, als spürbar wurde, daß es in der Höhle noch Wichtiges zu singen gab, gebeten, daran noch mitweben zu dürfen, was er ihr, wenn auch sehr ungeduldig, zugestand, aber auch nur, weil er selbst fühlte, es ging um Großes. Und als das getan war, folgte sie ihm in seinen Bereich. Trevak bat den Heiler um Kontaktnetze für sie beide, was dieser ablehnte, wegen der ungeklärten Risiken für denjenigen, der eines dieser beiden Netze später im Wiedergabe-Modus benutzen sollte - der Gefährte der Zweiten hatte vor, mit der Erdvolk-Gesangshüterin im Kontakt zu arbeiten, um zu verstehen, wie diese den Werkstoff erschaffen hatte, und im Kontakt nahm man schließlich nicht nur sich selbst und den anderen, sondern auch die vielfältigen wechselseitigen Spiegelungen wahr ... Dem Heiler waren die Nachwirkungen, die er selbst erlebt hatte, ebenso gut im Gedächtnis wie die, wegen der ich mich hatte um die Jaridian kümmern müssen, die nach der Arbeit mit dem Waffen-Wesen mein Netz getragen hatte ...
„Aber Du hattest doch zuvor von Dir aus eine Versuchsanordnung vorgeschlagen, bei der während der Aufzeichnungen nicht einmal einer der Unseren an dem Kontakt beteiligt war - und außerdem waren die Vier schließlich auch in Berührung und Wahrnehmungsaustausch miteinander ...” wandte der Gefährte der Zweiten ein.
Der Heiler antwortete mit einer entschieden verneinenden Geste. „Das war etwas anderes ... Jeder der Ihren hatte eine definierte, klar von den anderen abgegrenzte Aufgabe ... ich habe über die Kommunikation ihre Arbeit mitverfolgt; hätte ich das Gefühl gehabt, sie hätten sich so miteinander verwoben, wie Du es mit ihr”, - er wies auf die Hüterin der Erdvolk-Gesänge - „vorhast, hätte ich niemanden die Netze benutzen lassen, bevor ich sie nicht selbst geprüft hätte ...”
Trevak argumentierte noch eine Weile mit ihm, aber er ließ sich nicht umstimmen und verließ schließlich die Räume der Technologiekundigen, um sich in den eigenen Arbeitsbereich zurück zu begeben.
Der Gefährte der Zweiten stand einen Augenblick nur da, etwas verärgert wirkend. „Für was hält er meine Untergebenen? Für feige?”
Dann wandte er sich der aus dem Dunklen zu. „Es wird sowieso alles aufgezeichnet, was wir tun ... und vielleicht ist es ausreichend, wenn wir uns später, unabhängig voneinander, daran erinnern ... falls es überhaupt gelingt ...”

 

Ende von Kapitel 48

 

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