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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Februar 2003
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Es darf auch in Dir heilen / Jeder in seinem Element / Der Not gehorchend
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Der Anführer, Aveena, sieben Sechsgliedrige, eine Jaridian und ihr Nachwuchs, zwei Wachhabende ( die Gesangshütenden des Wasser- und des Erdvolks, der auf dem Weg, Trevak, seine Gefährtin, der Verwalter, der Heiler, der Sprecher, Jaridia)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 46

 

Als wir schließlich die Berührung lösten und den Kreis öffneten, war Trevak an der Seite derer aus dem Dunklen und nahm sie bei der Schulter. „Bitte ... ich muß mit Dir sprechen ...” Sie wandte sich ihm zu und schaute ihn fragend an. „Ich brauche Deine Hilfe ...”
Was immer er ihr daraufhin über den Kontakt mitteilte, brachte sie zum Strahlen. „Selbstverständlich”, sang sie ihm, „sag mir nur, was ich zu tun habe dabei ...”
„Komm mit ...” Er legte den Arm um sie und strebte rasch mit ihr dem Ausgang zu.
Ich wollte mich gerade dem Verwalter zuwenden, um mit ihm abzusprechen, wann ich für das Waffen-Wesen würde da sein können, als mir der Anführer eine Hand auf den rechten Flügel legte.
„Aveena?” Er kämpfte fühlbar mit sich, aber sein Wunsch, mir etwas zu sagen, war schließlich größer als der Widerwille dagegen, auszusprechen, was immer es war.
Ich drehte mich zu ihm um und nahm seine Hand in beide Flügelhände. Meine Reflexe reagierten auf sein tiefes Unbehagen, aber er wies meine Energie zurück.
„Darum geht es nicht ... Aveena, ich will, daß Du weißt, daß ich wirklich zutiefst bedauere, vorhin so mit Dir umgegangen zu sein ...”
Das fühlte ich und ließ es ihn wissen, verbunden damit, daß ich ja schließlich alles andere als unschuldig daran gewesen war.
Auch das wies er ab. „Ich habe die Kontrolle über mich verloren ... Ich hätte mir dessen bewußt sein müssen, daß Dir unser Regelwerk nicht wirklich etwas bedeuten kann, da Dir all diese Zusammenhänge nie zuvor begegnet sind, aber statt dessen habe ich selbst jegliche Disziplin vermissen lassen und habe im Zorn gesprochen und gehandelt - und zwar aus Angst.”
Ich verstand nicht.
„Du hast mir Angst gemacht ... Du hast einfach vor mir gehockt und all diese Ungeheuerlichkeiten von Dir gegeben, von denen Dir jede einzelne vor einem jaridianischen Gericht hätte das Todesurteil einbringen können, und ich weiß, daß Du das gefühlt hast - und Du hast mich nur angeschaut, Dich schrecklich angefühlt und immer wieder gesagt ‚ich kann nicht anders’ ... Niemand innerhalb des Imperiums würde sich mir gegenüber so verhalten - den Befehlen des Anführers wird widerspruchslos Folge geleistet ...” Jetzt war wieder dieses Gefühl von Respekt in ihm - Respekt gegenüber jemandem, der im Kampf Großes geleistet und höchste Auszeichnung verdient hatte, was mich einmal mehr nur verwirrte - ich hatte ihn verärgert und seine Ordnung mißachtet, und aus seiner Sicht war es gleich, welchen Grund ich dafür hatte ...
Er schaute mich an und vollführte eine seltsame Geste. „Glaube mir, ich bin dankbar, daß Du und die Deinen uns Verbündete geworden seid - ich würde kaum etwas mehr fürchten, als Euch zu Feinden zu haben.”
Ich wußte nicht, wie ich in Worte fassen sollte, was ich für ihn und die Seinen empfand, also zog ich ihn dieses Mal wirklich an mich, legte die Flügel um ihn und öffnete ihm mein Innerstes, so weit ich das vermochte.
„Erster Jaridias, ich war es nie, und ich werde es niemals sein - Deine Feindin ... und das Gleiche gilt für jedes Wesen, das einem der vier Völker unserer Welt entstammt ... für die aus den Feuern, weil sie Eure genetischen Vorfahren sind, und für uns übrige, weil ...”
„Weil Ihr das nicht könnt ... Es würde Euch vernichten ...”
Es war, als ob der Anführer das jetzt zum allerersten Mal wirklich begreife. „Ihr hattet ... Ihr hattet bis zur Ankunft der Taelon nicht einmal ein Wort dafür ... Und Ihr habt trotz allem, was Ihr mit den ersten Fremden, die Euren Planeten entdeckten, erlebt habt, die Unseren freundlich aufgenommen, anstatt sie mit Euren Mitteln in die Flucht zu schlagen, bevor sie auch nur einen Fuß auf Eure Welt gesetzt hatten ...”
In meiner Erinnerung stieg das Bild der Ankunft der Jaridians auf unserem Planeten auf - die vier schlanken, wendigen Fluggeschöpfe, deren Landemanöver mir solchen Respekt abgenötigt hatte - und die tiefe Angst, die ich empfunden hatte bis zu dem Moment, in dem der Sprecher, ganz langsam und mit leeren, erhobenen Händen, aus einem dieser Wesen ausgestiegen war.
Und ich verstand den Anführer und das, was er mir klar zu machen versucht hatte.
Er war aus Angst in Zorn geraten, hatte mich verletzt und mir gedroht ... so, wie ich damals, aus der Angst heraus, den Unseren stünde erneutes Leid bevor, bereit gewesen war, diese Flugwesen, samt den Bewußtseinen, die darin spürbar waren, zu bedrohen, zu verletzen - und notfalls zu zerstören ... Daß das auch mich zerstört hätte, dem Schmerz, den ich verursacht hätte, hilflos ausgeliefert, hätte mich - um der Meinen willen - nicht gehindert ...
Das - das war also Feindschaft ... so fühlte sich das an ...
Aber das war doch nicht das, was ich wirklich in mir hatte für die Jaridians ...
Jetzt sofort gäbe ich mein Leben dafür, daß nie wieder ein Wesen so etwas spüren müßte.
Dem Anführer war - diese Art des Empfindens selbstverständlich ... er konnte nicht anders, so, wie ich nicht anders konnte, als zu fühlen, wie ich fühlte ...
Wie verschieden waren wir voneinander?
Und wie vieles hatten wir im Tiefsten gemeinsam?

Meine Energie strömte für uns beide. Solcher Widerspruch ... ich wollte ihm und den Seinen nur Gutes, aber ich war zur Feinschaft bereit gewesen, als ich sie noch nicht kannte, nicht wußte, was sie wünschten und sie daher fürchtete ...
„Du hast aber freundlich gehandelt, nicht wie eine Feindin.” In mir war, sehr sanft und achtsam gesteuert, Shaqarava - etwas berührend, von dem ich nicht gewußt hatte, daß es noch der Heilung bedurfte. „Das ist einer der vielen Unterschiede zwischen Dir und mir, zwischen Jaridian und Deinesgleichen - ich habe gefühlt und sofort gehandelt - Du hast gefühlt, abgewartet, genauer gefühlt, Dich bemüht, zu verstehen ... und hast nicht verletzt, sondern erfolgreich versucht, Freund zu werden ...”
„Ich bedauere zutiefst, wozu ich bereit war.” Ich spürte einmal mehr, wie sehr das schmerzte, immer noch, nach all der langen Zeit ... weil - weil es so falsch gewesen war ... weil es den Jaridians in keiner Weise angemessen war ... und weil es das Ganze verletzt hatte ... Mein einziges Bedürfnis war nur noch, den Ersten loszulassen und mich vor ihm auf dem Boden so klein wie möglich zu machen - und ich tat genau das. „Bitte vergib ... Du, die Deinen und das Ganze, bitte vergebt mir ...”

Eine Weile geschah nichts. Dann waren Grün, Braun, Gold und Gelb um mich und in mir, das Dunkle, in das ich abgeglitten war, fort wehend.
Berührung an meinen Schultern - der Erste, gleichzeitig schockiert und so voller Annahme für mich, daß ich es nicht zu fassen wußte - das war das Letzte, das ...
„Aveena, dieser Krieg hat Dich und die Deinen sehr verletzt ... und ich bin zutiefst dankbar, daß es ihm nicht gelungen ist, zu zerstören, was Ihr seid ... sei Dir im Klaren darüber, daß wir all das über Euch gebracht haben, nicht umgekehrt ...und wisse ...” - plötzlich war es nicht mehr nur seine Stimme, die sang, sondern eine sehr viel mächtigere, die die seine einschloß, „die Wunde, die Du und die Deinen in Eurer Hilflosigkeit dem Ganzen zugefügt habt, habt Ihr längst tausendfach geheilt ...”
Jaridias Energien strömten durch mein Innerstes und wuschen alten Schmerz fort. „Es darf auch in Dir heilen ...”
In mir war so tiefe Dankbarkeit, daß ich keinen Ausdruck fand dafür, aber ich spürte, daß diese mächtige alte Welt das ebenso wahrnahm wie der Erste, der mich aufrichtete und in die Arme schloß.
Und dann war ein riesiges sanftes Flossenpaar um uns beide und die Arme dessen aus den Feuern ... und die Zweite und der Sprecher waren fühlbar in der Berührung ... Tiefrot wob sich in den Kontakt und zwei Mal Weiß-Violett - die Erdvolk-Gesangshüterin, Trevak und der Heiler - die aus dem Dunklen hatte gespürt, daß hier Wichtiges geschah, und hatte sich geweigert, die Höhle zu verlassen, weil sie da sein wollte, falls ihre Unterstützung gebraucht würde ...
Unsere Energien woben sich ineinander, zu leuchtendem, lebendigem Regenbogen, umhüllt von den Farben und tragenden Klängen Jaridias, durch die einmal mehr - das Ganze spürbar war ...
Das Ganze, das mit Jaridias Stimme sang: „Euch, die Ihr Wege der Heilung gefunden habt, ist längst vergeben ...”

Wie lang dieser zutiefst ekstatische Kontakt dauerte, hätte danach niemand von uns zu sagen gewußt. Keiner von uns mochte die Berührung lösen, andererseits war in jedem von uns auch der dringliche Wunsch, jetzt wirklich mit all der Arbeit zu beginnen, die für die neuen Wege zu tun war ... Es war Jaridia selbst, die uns schließlich mit einem erneuten Energieschub sanft anzustoßen schien. „Ihr werdet Ähnliches wie dieses ab jetzt immer wieder erleben ...” ließ sie vor allem die Jaridians wissen. „Ihr wißt wieder, was getan werden muß dafür ... Ihr spürt wieder die, die Euch trägt ...”
Der Anführer strahlte. In seinem Geist war das Bild dicht an dicht Sitzender seines Volkes - hier unten in der Höhle ... er würde die Generalversammlung hier unten stattfinden lassen, nicht in dem riesigen Raum ...
Und er war es auch, der den Kreis schließlich öffnete, und dieses Mal gingen wir tatsächlich auseinander. Trevak zog den Heiler und die aus dem Dunklen mit sich, der Anführer, der Sprecher und die Zweite verließen die Höhle in intensiver Diskussion miteinander, und der Verwalter wandte sich an mich und an den Gesangshüter des Wasser-Volkes, der signalisiert hatte, sich an der Arbeit mit dem Waffen-Wesen beteiligen zu wollen. „Es wird etwa zwanzig Zeiteinheiten dauern, bis Ihr beginnen könnt ... Ich muß noch andere Dinge in die Wege leiten, und es müssen erst alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen sein, bis überhaupt das verschlossene Behältnis mit diesem Ding”, - er schaute mich entschuldigend an - „in eine Testkammer verbracht werden darf ...”
„Ich werde die beiden bei ihrem Versuch unterstützen.” Das war der auf dem Weg, der den Verwalter eindringlich anschaute. „Und ehe Du jetzt nein sagst, mit der Begründung, Du duldest nicht, daß sich wegen dieser Abscheulichkeit ein weiteres Lebewesen in Gefahr bringt ...”
Der Verwalter blickte vollkommen überrascht, und eine flüchtige Berührung ließ mich wissen, daß er genau das wortwörtlich gedacht hatte.
„Bedenke bitte, daß die beiden wesentlich sicherer und konzentrierter arbeiten können, wenn ich ihnen den Raum halte und die energetische Überwachung übernehme ...”
Der Jaridian überlegte einen Augenblick, vollführte dann eine resignierte Geste und meinte: „Einverstanden ... ich weiß von Eurer Art, mit solchen Dingen umzugehen, zu wenig, um Dir das abschlagen zu können ...” Er zog sein aufklappbares Gerät aus einer seiner Taschen. „Zwanzig Zeiteinheiten ... Ihr werdet hier abgeholt und zu dem Testraum geführt, in dem Ihr arbeiten werdet.”
Ich wollte mich bedanken, aber er winkte ab, wandte sich um und verließ uns.
Wir drei gingen in Kontakt.
Erleichtert, bewegt, der aus den Tiefen etwas erschöpft wirkend ... er wäre jetzt im Wasser wohl am besten aufgehoben ... „Zwanzig Zeiteinheiten ...” Der Wasser-Gesangshüter strahlte plötzlich. „Das reicht, um die Dindaei aufzusuchen und eine Weile mit ihnen zu sein ...”
Teilen, was nur die in den Wassern teilen können miteinander ...
Der auf dem Weg lächelte, das Bild einer lodernden Feuerschale in die Berührung gebend. „Es fühlt sich an, als wäre das, was wir jetzt wirklich gut gebrauchen könnten, der Kontakt mit unserem jeweiligen Element ...”
Unwillkürlich spannten sich meine Flugmuskeln, und Sehnsucht schmerzte in meinem Brustkasten. Zwanzig Zeiteinheiten ... Fliegen, ich könnte - ich würde draußen fliegen, in den Himmel Jaridias aufsteigen ...
Den Geist dessen auf dem Weg umhüllten tanzend orangefarbene Flammen, und der Wasser-Gesangshüter hatte bereits einen Fuß Richtung Quelle gesetzt ... Wir nahmen einander noch einmal fest in Arme, Flossen und Flügel, und dann war ich vor dem Ausgang und sang den runden Stein auf.
Ich teilte den Wachhabenden vor der Höhle mit, daß ich fliegen ging. Sie nahmen es zur Kenntnis, und kurze Zeit später stand ich draußen auf dem riesigen freien Platz, der leer war wie gewohnt, leer bis auf ...

Sieben Sechsgliedrige.
Die mich gleichzeitig ansprangen, bevor ich wußte, wie mir geschah ... eines hakte sämtliche Krallen in meine rechte Flughaut, ließ aber sofort wieder los, als es über den Kontakt den Schmerz spürte, den das in mir auslöste. Ich hockte mich erst einmal auf den Boden mit den sechs Wesen an mir, und das siebte kletterte flink über die drei seiner Stammesangehörigen hinweg, die irgendwie Halt an meinem Bauch, meiner Brust und den Flügelarmen Platz gefunden hatten und legte sich um meinen Hals, dabei nicht einmal die beiden anstoßend, die sich mir an die Schultern und den oberen Rücken geheftet hatten - diese Wesen waren wirklich unglaublich biegsam und beweglich ...
Das erste, was mich überflutete, war einmal mehr Enttäuschung, verbunden mit den Bildern von etwas Großem, Atmendem, Tiefrotem und etwas Großem, Atmendem, Dunklem ...als hätten sie verstanden, daß die Erdvolk-Gesangshüterin, der auf dem Weg und ich irgendwie zusammengehörten und hätten sich gewünscht, ich hätte die beiden anderen mitgebracht ... Darauf folgte eine Woge Hungers, der kein physischer war, und ich beeilte mich, den Eindruck der Meereswelt in meinen Gedanken aufsteigen zu lassen, verbunden mit all dem, was ich inzwischen darüber und über die Rasse, der die sieben mich Umklammernden angehörten, wußte.
Zweiundvierzig Krallenfüße und -hände griffen fest zu, und sieben Zungen versuchten zu erreichen, wovon ich sang ... Ich wurde überflutet von leuchtendem Gelb, in dem ich mich aufzulösen begann ... ich sang ihnen die seltsame grau-grüne Schwingung dessen, was die Dindaei gezwungen hatte, bewußt zu werden, und fühlte, ich durfte nie wieder aufhören damit ... das war es, was sie sich so sehr ersehnten, wonach sie sich verzehrten, was sie in allem suchten, das ...
„Angenehm”, war als Antwort da, vielstimmig. „Angenehm ... mehr ... viel mehr ..”
Durch das Gelb hindurch nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, daß wir nicht mehr allein hier waren - eine unübersehbare Zahl dieser Wesen hatte sich eingefunden und umlagerte uns, den Abstand zu uns behutsam immer weiter verringernd ... Sie spürten, daß ihre Stammesangehörigen etwas Wichtiges hatten, etwas Entscheidendes ...
Ich holte tief Atem, um zur Abwechslung erneut von ihrer zukünftigen Heimat und den Wegen dorthin zu singen, als mir klar wurde, in was für eine Situation ich mich hier gerade brachte ... Ich war der elementaren Bedürftigkeit dieser sieben an mir schon nicht gewachsen - was wäre, wenn die Unzahl anderer hier ... und was, wenn mein Lied von grau-grünem Leuchten zu Wasser und zu Land ihnen schadete? Ich sang nur das, was davon in der Meereswelt schwang, aber konnte ich mir sicher sein, daß die reinen Frequenzen ...?
So oder so, ich mußte das hier nicht nur rasch beenden, sondern mir darüber hinaus auch etwas einfallen lassen, das half, den unvorstellbaren Hunger der Sechsgliedrigen zumindest zu lindern, bis sie die Welt erreichen würden, die allein ihn stillen konnte ... Würde ich mich jetzt allerdings in all dem Gelb verlieren, würde ich für überhaupt niemanden mehr etwas tun können ...
Es gab nur einen Weg aus dieser Lage ... Statt des Liedes von der Meereswelt stimmte ich mit den beiden seitlichen Vertikalen die tiefen Frequenzen von Geborgenheit, Entspannung und Ruhe an, erhob mich wieder auf die Füße, die ich fest auf den Boden setzte, und gab, was ich sang, über die Resonanzsehnen und meine deren Wirkung noch verstärkenden hohlen Knochen somit auch in das Gestein, auf dem ich stand und all diese Wesen hockten ... Ich wob das - inzwischen auch auf diesem Planeten mehrfach bewährte - Willkommens- und Schlaflied für die neu angekommenen Nichtflüggen darum, konnte nach einer Weile den Griff der sich an mir festhaltenden Geschöpfe lösen und sie gegenüber dem Hauptkommando-Gebäude in die Schatten betten - gefolgt von benommen hinter mir her staksenden gelbäugigen Wesen, über die ich so gut es ging hinweg schaute, sobald sie sich in mein Blickfeld zu schieben versuchten ... Ich zog mich, weiter singend, wieder auf den Platz zurück - die Sechsgliedrigen scharten sich um die Sieben, die tatsächlich schliefen, die, die ihnen am nächsten waren, prüften sie mit ihren Zungen und rollten sich dann neben, über und zwischen ihnen zusammen, während ihre riesigen Augen sich ganz langsam schlossen.
Ich hielt die entsprechenden Frequenzen, bis auch das letzte Sechsgliedrige, irgendwie um ein anderes seines Stammes gewickelt, mit fest geschlossenen Augen und ruhig atmend da lag, dann ließ ich das Lied für sie ausklingen.
Jetzt erst registrierte ich richtig, daß ich dieses Mal in den Himmel einer anbrechenden Hellphase aufsteigen würde - offenbar war die Sonne gerade erst aufgegangen ...
Die Windverhältnisse hatten sich nicht geändert hier zwischen den Gebäuden, und das Mich-Aufschwingen bis auf drei Viertel der Höhe der Bauten um den Platz fiel mir bereits leichter als bei meinem ersten Versuch ... Ich beschrieb sanfte, große Kreise in der auf- und absteigenden Thermik über dem Platz, spürte, daß ich mich wirklich konzentrieren mußte, um auf plötzliche Böen gefaßt zu sein, die, wie ich schmerzhaft erfahren hatte, durchaus auch zwischen die Behausungen fuhren, und hatte nach einer Weile die Sechsgliedrigen vergessen.
Konnte ich es wagen, über die Gebäude hinaus aufzusteigen? In diesen klaren, hellen Himmel, dessen Farbe ich nicht hätte benennen können und der nichts als Weite war? Nur wenige Flügelschläge, getragen von dem Aufwind, der mich sanft empor hob ...
Mit den Reflexen einer geübten Fliegerin hatte ich diese Flügelschläge bereits ausgeführt, noch ehe ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte ...Dieses Mal war ich auf den heftigen Windstoß gefaßt, der von links kam, wandte mich ihm zu, den linken Flügel leicht angehoben, daß er darunter greifen konnte, und schwang mich darauf wie auf einen weiteren Aufwind ... In dem Nichts, das ihm folgte, schwebte ich mit flachen, weit ausgebreiteten Flughäuten, und dann war alle Vernunft vergessen.
Das hier war pure Freude ...
Ich setzte alle Kraft ein, die ich wiedergewonnen hatte in der letzten Zeit, und stieg auf, bis jeder einzelne Muskel protestierte - und konnte mich dann nur noch in sehr flachen, weiten Spiralen wieder abwärts gleiten lassen, als wäre ich bereits uralt und meine Flughäute so empfindlich wie vertrocknende Ph'taalblätter, aber das war mir egal ... Zum Singen reichte mein Atem nicht, aber auch diesen würde ich bald wieder haben - in sieben mal zwanzig Zeiteinheiten würde es bei allem, was an Arbeit zu tun war, dennoch genügend Zeit geben, hier zu üben ...

Als ich schließlich wieder landete, hatte sich das Licht merklich verändert und die Sechsgliedrigen waren alle verschwunden bis auf das, welches ich zuerst angeschaut hatte, das jetzt blinzelnd da hockte und mir zuschaute, wie ich mich streckte und schüttelte, um meine Steuermuskeln zu lockern - ich würde eine Weile in der Quelle verbringen müssen, um mich noch einigermaßen bewegen zu können ...
Ich war mitten auf dem Platz gelandet und hatte auf das Gebäude des Hauptkommandos zunächst gar nicht geachtet, deshalb bemerkte ich die Gestalt, die auf dem untersten der steinernen Absätze, die zum Eingang führten, hockte, erst jetzt.
Es war ein - oder eine? - Jaridian, der/die etwas - nein, jemanden, offenbar ein Junges - in den Armen hielt und dessen/deren Haltung eine solche Mutlosigkeit ausdrückte, daß auf die Entfernung bereits meine Reflexe darauf reagierten.
Ich eilte auf sie - es war tatsächlich eine Weibliche, gehüllt in die allgegenwärtige Kleidung der Kämpfenden und eher jung wirkend - zu und hockte mich vor sie hin, ihr behutsam die Flügelhände hinstreckend. Das Junge hatte das Gesichtchen an ihrer rechten Schulter geborgen und rührte sich nicht.
Sie hob den Kopf und schaute mich trübe an, mit dem Blick eines Wesens, das sich nichts mehr erhoffte, und ich spürte, daß sie mich gar nicht richtig wahrnahm.
Ich hob die rechte Flügelhand - meine Energie strömte der Jaridian längst zu - und berührte sie sehr vorsichtig an der linken Schulter, darüber flüchtig auch ihren Nachwuchs spürend, der sich im Schlaf tiefster Erschöpfung zu befinden schien.
Sie sah auf meine Krallenspitzen, die auf ihrer Kleidung ruhten, und spürte Sonnenhell auf dem Harten, Farblosen, das ihr Inneres war.
Ein Ruck ging durch sie, und plötzlich war ihr Blick klar.
Und anstatt überrascht oder erschrocken zu sein, musterte sie mich knapp von oben bis unten, ließ mit der linken Hand ihr Junges los und packte mich an der rechten Schulter, als wolle sie mich nie wieder loslassen ... Ich wurde überschwemmt von Schmerz, von reißendem Schmerz und neu aufflammender Hoffnung zugleich ...

„Ich wußte, es ist kein Gerücht ... Du kannst ihn heilen ... Du bist hier und kannst ihn heilen ... Sie wollten mich nicht hinein lassen zu Euch, ‚es sei nichts bewiesen von dem, was sich zwangsläufig an Gerüchten verbreitet hätte über die neu entdeckten Fremdweltler’ ... Du siehst zwar anders aus, als meine Untergebenen Dich beschrieben haben, aber Du gehörst dazu, das fühle ich ...” Sie ließ mich los, die ich erst einmal nichts weiter zu tun vermochte als das, was ich an Schmerz in ihr spürte, mit Sonnenhell zu lindern, was ihr bereits gut tat, auch wenn sie noch nicht bewußt wahrnahm,
was geschah.
Dann löste sie sehr sanft den Griff ihres Jungen um ihren Leib und hielt es mir entgegen, drückte es mir förmlich an die Brust. „Heile ihn! Ich weiß, daß Du das kannst, auch, wenn die da oben”, - gemeint waren wohl die Eingangswachen - „mir etwas anderes erzählen ... ich will ihn nicht auch noch verlieren ...”
Ich ließ sie los und nahm das Jaridianjunge zwischen die Flügel. Es regte sich schwach und hielt sich sofort an mir fest.
Ich hockte mich mit ihm an die rechte Seite der Kämpferin, die ihn ins Leben gewoben hatte, und sorgte dafür, daß wir in Kontakt waren, was diese bereitwillig akzeptierte. „Auch davon wird erzählt ...daß Ihr jeden berührt, und daß das gut sein soll für den Berührten ...”
Um Erlaubnis bittend, sie und das Junge damit untersuchen zu dürfen, öffnete ich die Tiefensinne. „Kümmere Dich nicht um mich, kümmere Dich um ihn - er braucht Dich, mir fehlt nichts ...” Ich ließ sie wissen, wie sehr ich spürte, daß beide Hilfe brauchten, daß ich mich dem kleinen Geschöpf aber zuerst zuwenden würde ...
Er war ein Männliches seines Stammes, und er fühlte sich an, als lebe er seit mindestens fünf - nein, eher sechs Umlaufzyklen ... Ramaz' Krankheit war in ihm aktiv, er war erschöpft, weil bereits jetzt in der Hälfte seiner Zellen keine Ordnung mehr war ... „Nicht fünf Zyklen ...” ließ mich die Jaridian wissen. „Anderthalb ... er ist erst anderthalb Umläufe alt ...”
Ich fühlte zu ihr hin - zu einer Verschonten. Keine unwertsingenden Bruchstücke in ihren Zellen ... „Mein Gefährte hat die Krankheit weiter gegeben ...”
„Dann singen wir später für ihn, wenn er das wünscht, und ich singe jetzt für Dein Junges ...”
Flammendes Verlangen, zerfetzt von solchem Schmerz, daß ich aufschrie.
„Er ist im Kampf geblieben ... er hat seinen Nachwuchs nicht einmal in den Armen halten dürfen ... diese verdammten Taelons ...”
Ich hielt das Junge mit dem rechten Flügel an mich gedrückt, sie mit dem linken, und meine Reserven öffneten sich für sie. Kein Wesen sollte so etwas aushalten müssen ... In den sonnenhellen Strom hinein begann ich vorsichtig den Gesang für das Junge zu weben, das Lied, das Ramaz' Krankheit heilte, das fort sang, was sie verursachte, auf daß dieser Jaridian leben würde ... mit dem obersten horizontalen Stimmbandpaar die Gegenfrequenz des Komplexschwingungsbruchstücks, mit den übrigen die zu dem Strang, der für dessen Aktivierung, Ausbreitung und Weitergabe sorgte ... Und das Lied tat seine Wirkung im Innersten dieses Wesens, Zelle um Zelle ...
Ich wußte nicht, wie lange ich gesungen hatte, bis endlich nichts mehr da war außer wirkungslosem feinstem Staub, den das System des Jungen bereits zu vernichten begann.
Die Jaridian, die einen Arm um ihren Nachwuchs an meinem Brustkasten und den anderen um meinen Rücken geschlungen hatte, sah so gelöst aus, daß sie fast strahlte ... Ich fühlte einmal mehr in das Wesen hinein, für das ich gesungen hatte, zelltief. Dorthin, wo noch Ordnung war ... und dorthin, wo der angerichtete Schaden noch so begrenzt war, daß sich die betroffenen Zellen regenerieren würden ... und in die Regionen, die noch flexibel genug waren, um Zerstörtes ersetzen zu können ... „Er wird ein erwachsener Männlicher werden”, ließ ich die, die ihn ins Leben gebracht hatte, wissen. „Und wenn er sich entscheidet, Nachkommen zu haben, werden diese verschont sein, wenn seine Gefährtin es ist ...”
Sie hielt ihn und mich fest, jetzt innerlich hell und weit. Als sie spürte, wie erschöpft ich jetzt war - wann immer es für jemanden zu singen galt, sollten das wirklich mindestens zwei von uns tun - aktivierte sie behutsam ihre innere Energie und ließ mir davon zufließen, und das war wohltuend ...
Wir hockten lange zusammen, in tiefem Kontakt, den sie irgendwann löste, als das Junge wach wurde und dringendes Bedürfnis nach Nahrung signalisierte. „Ich danke Dir ... Ich werde Dir geben, was immer Du dafür haben willst - und nichts wird groß genug sein, zu vergelten, was Du ...”
„Ich habe es gern getan”, ließ ich sie wissen. „Und die Meinen und ich werden Gleiches für jeden der Euren tun, der dies wünscht ...”
„Er wäre gestorben, und das bald ...” Sie nahm mir das Junge ab und barg es am eigenen Körper. „Mein Gefährte hätte seine Heilung in jedem Fall gewünscht, das weiß ich genau ...”
Das Junge wurde unruhig in ihrem Griff und gab einen klagenden Laut von sich. „Ich muß gehen ... laß mich wissen, wenn Du etwas wünschst von mir ...” Sie griff mit der linken Hand in ihre Kleidung, nahm einen kleinen flachen Gegenstand heraus und drückte ihn mir in die Flügelhand, dann wandte sie sich ab und eilte davon - und war in wenigen Augenblicken zwischen den Gebäuden verschwunden.
Es war inzwischen sehr hell, aber nicht um ein Winziges wärmer als zu dem Zeitpunkt, zu dem ich den Platz betreten hatte ... Jetzt hatte ich selbst das dringende Bedürfnis nach Nahrung, und ich mußte etwas für meine verkrampften Muskeln tun - ich würde meine Kraft sehr bald wieder brauchen ... Ich wandte mich dem Eingang zu und stieg die steinernen Absätze hinauf.
Oben nahmen mich die beiden Wachhabenden in Empfang, der eine flammend vor Zorn, mit aktiviertem Shaqarava, der andere mit einem Blick, als hätte ich all die Sechsgliedrigen noch um mich.
„Ich nehme sie jetzt sofort in Sicherheitsverwahrung! Sie ist wirklich entschieden zu weit gegangen ...” Ich krümmte mich unter der Berührung des wütenden Jaridian, der meinen rechten Flügel in einen Griff genommen hatte, der ihn mir gebrochen hätte, hätte ich mich zu entwinden versucht. „Das kannst Du nicht tun - nicht ohne Anweisung von oben ...” meinte der Andere, „immerhin ist sie so etwas wie eine Botschafterin ...”
„Das spielt keine Rolle - sie ist ein Sicherheitsrisiko! Das, was sie gerade getan hat, wird alles und jeden her locken, der sich auch nur das Mindeste davon verspricht ... sie werden dieses Gebäude belagern, egal, ob es hell ist oder dunkel ... sie werden hier einzudringen versuchen ...”
„Unterschätze bitte nicht die jaridianische Disziplin ... nicht einmal die, die wir hier abgewiesen haben, hat etwas anderes getan, als, jede Form wahrend, um Erlaubnis zu fragen, und hat sich unseren Befehlen nicht widersetzt ...”
Der zornige Wachhabende verstärkte seinen Griff. „Darum geht es hier nicht”, beschied er den anderen, um sich dann an mich zu wenden: „Was, um Jaridias Willen, hast Du Dir dabei gedacht?”

Durch die Wut und die Ablehnung der beiden hindurch wahrzunehmen, wovon genau sie überhaupt sprachen, war fast unmöglich, und der zunehmende Schmerz in meinem Flügel machte es auch nicht leichter ... ich mußte mich zwingen, stillzuhalten ... „Würdest Du mich bitte wieder loslassen?” brachte ich mühsam heraus, an den gerichtet, der mich hielt. „Das hier ist wirklich sehr unangenehm ...” Mir war klar, daß er nichts anderes fühlte als seinen Zorn, den ich nicht zu durchdringen vermochte in der Berührung.
Der Jaridian griff fester zu, als hätte ich einen Versuch unternommen, zu entkommen. „Nicht, bevor die Innenwachen eine Eskorte organisiert haben, die Dich in Dein Quartier verfrachtet und dafür sorgt, daß Du da auch bleibst ...”
Ich mußte den Schnabel fest zudrücken, um nicht laut zu schreien. Flammendes Weiß-Violett von der Schulter bis zur Flügelhand, und ich durfte mich um keinen Preis bewegen ... und noch immer war mir völlig unklar, womit ich die beiden Eingangswachen - die mich im Übrigen inzwischen doch kannten und wußten, daß ich verstanden hatte, daß ich keine Sechsgliedrigen ... aber um die ging es offenbar gar nicht, oder doch? „Laß mich los ... bitte ... ich werde nirgendwo hingehen, und ... und wir klären alles ...”
Der andere Wachhabende schien, offenbar an meinem Gesichtsausdruck, zu bemerken, daß irgend etwas überhaupt nicht stimmte, und streckte eine Hand aus, um mich zu berühren. „Nein, nicht ...” brachte ich heraus, „es wird ...” ‚Für Dich genau so unangenehm wie für mich’, hatte ich ergänzen wollen, aber er hatte mir bereits die Fingerspitzen auf die Brust gelegt - und fuhr zurück, als hätte ich ihn geschlagen.
„Laß sie los - sofort! Das ist ein Befehl!”
Der, der mich hielt, strahlte Überraschung und Mißtrauen aus, was seinen Zorn nicht dämpfte, wohingegen der Andere nur noch erschrocken aussah.
„Das ist ein Befehl, habe ich gesagt!”
Ich wurde losgelassen - endlich ... Mein Flügel sackte einfach herunter, bewegen konnte ich ihn nicht, und die beiden Stellen, an denen ich berührt worden war, sahen merkwürdig aus, schwarz und es fehlte einiges mehr als nur das Fell, aber der flammende Schmerz ließ etwas nach ... Ich griff mit der linken Flügelhand zu und hob den hängenden Flügel an, damit er aufhörte, über den Boden zu schleifen, und merkte dabei, daß ich den Jaridian, der für meine Befreiung gesorgt hatte, nicht hörte, obwohl er eindeutig etwas sagte, weil das Rauschen in meinem Kopf so laut wurde ... So ungut, wie mir mit einem Mal war, war ich dankbar für meinen leeren Magen - aber das war mir eigentlich auch egal, denn die merkwürdige, irgendwie weiche Dunkelheit, die mich jetzt umgab, war nur angenehm.

 

Ende von Kapitel 46

 

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