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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   November 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Wohin Wege führen
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Die Gesangshütenden des Erd-, Wasser- und Windvolkes, der auf dem Weg, die Führenden Jaridias, der Heiler, Trevak, der Sprecher, Jaridia ( ein Taelon, Fünfgliedrige, Gepanzerte, ein weiterer Jaridian, zwei Menschen, Yu'lin, Ra'jel)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 40

 

Unsere dichte Verbindung weitete sich auf - und die Anderen und Jaridia wurden wieder spürbar, die uns fasziniert gefolgt waren. Trevaks Shaqarava war nach wie vor aktiviert und er leuchtete vor Ungeduld, sich an den Ersten wendend: „Wenn das gelingen würde, hätten wir - ein Werkzeug, das vielen der Unseren und vielleicht sogar den Taelons den Kontakt mit dem ermöglichen, was wir gefunden haben ... es würde ihnen die neuen Wege näher bringen ... Ich bitte um Erlaubnis, das, was wir gerade entwickelt haben, sofort in ein Experiment umsetzen zu dürfen ...”
Der Anführer wirkte skeptisch bei dem Gedanken, diese Beratung hier erneut auszusetzen, bei all dem, was noch ...
„Das wäre gar nicht nötig, vorausgesetzt, Du, Aveena, die schließlich auf diese Idee gekommen ist, wärest tatsächlich bereit, dabei mitzuwirken ...”
Daran mitzuweben, daß die neuen Wege, die es zu gehen galt, den Jaridians und sogar den Taelons näher gebracht werden konnten - indem diese spürten, wie gut es sich anfühlte, sie zu gehen? Und dadurch auch dazu beizutragen, ein neues Werkzeug der Heilung zu schaffen? Mein Geist hatte diese ungewöhnliche Möglichkeit aus dem Ganzen aufgefangen ... Wir waren tief miteinander verbunden, so tief wie nie zuvor im Halt Jaridias ... nicht nur wir achteten aufeinander ... wir würden sofort spüren, ginge von diesem Versuch für irgend jemanden Gefahr aus, und wären füreinander da ...
„Ich tue es”, ließ ich Trevak und die anderen wissen.
„Ich bin ebenfalls bereit.” Das war der Heiler.
„Ich brauche lediglich die erforderlichen Geräte hierher zu holen”, sagte Trevak, vibrierend vor Spannung.
Der Erste fühlte zu uns allen hin. „Es würde eines der drängendsten Probleme lösen helfen, wenn es gelänge ... In Ordnung, wir versuchen es.”
Von Trevak kam ein funkelnder weiß-violetter Energieausbruch, der im gesamten Kreis kribbelte und vibrierte und von seiner Gefährtin mit Wärme und grün-goldener Belustigung beantwortet wurde. Trevak löste sich aus dem Kontakt und hatte kurze Zeit später die Höhle verlassen.
Es dauerte nicht lang, und er war wieder zurück und in Berührung. Sorgsam legte er einige Gegenstände in die Kreismitte, den beschriebenen Tiefenscanner, ein normales medizinisches Überwachungsgerät und das, was damals, vor meinem ersten Aufenthalt auf dem Kreuzer, einen Teil meines Brustfells hatte verschwinden lassen.
„Aveena, wir beginnen jetzt ...” Ich verließ meinen Platz und hockte mich vor ihn hin, er entfernte in der Mitte meiner Brust ein wenig Fell und brachte über der kahlen Stelle den runden Anteil des Spezialscanners an. „Dieses Modul zeichnet die Reaktionen Deiner inneren Organe und der Muskeln und Nerven außerhalb des Kopfes auf, außerdem den Druck der verschiedenen Flüssigkeiten in Dir und den jeweiligen Aktivitätslevel Deines Stoffwechsels ...” Er strich mir über den Kopf. „Kein Fell, das ist praktisch ...” Es hätte ihm Unbehagen bereitet, mir so viel davon wegnehmen zu müssen ...
„Es hätte mich nicht gestört ...”
Was für seltsame Details oft den Weg für das Ganze mit ausmachten ...
Ich bekam das ungewöhnliche kristalline - Geflecht? Gewebe? auf den Kopf gesetzt. Es war für einen Augenblick kühl und schwer, dann hatte ich das Gefühl, es ziehe sich um meine Kopfhaut zusammen - und ich spürte es nicht mehr ... Überrascht hob ich die linke Flügelhand und fühlte nach - es war noch da ... „Es hat sich Deiner Kopfform angepaßt, um optimal aufzuzeichnen”, erklärte der Heiler. „Jetzt entspanne Dich ...” Er überprüfte die Module und sämtliche Verbindungsschnüre noch einmal und aktivierte den Scanner dann.
„Ich schalte auf Aufzeichnungsmodus ...”, - er betätigte den entsprechenden Knopf. „Entspanne Dich...” Er hielt das medizinische Überwachungsgerät auf mich gerichtet.

Aufregung war in mir und Unsicherheit. Ich trug ein experimentelles jaridianisches Stück Technologie an meinem Körper ... was, wenn ich irgendeinen fatalen Fehler machte und nicht nur den Versuch scheitern ließ, sondern womöglich noch ...
„Entspanne Dich ...” Freundlichkeit, Beruhigung, Bestätigung kamen über den Kontakt. „Unsere Technik ist sehr robust - bedenke, unter welchen Bedingungen wir sie bis hierher entwickelt haben ... Im schlimmsten Fall geschieht einfach gar nichts, dann hat es eben nicht funktioniert, und wir müssen unsere Idee überprüfen ... Im besten Fall - haben wir ein ganz neues Werkzeug der Kommunikation und Heilung ... Also hör bitte auf, herumzuzappeln, und konzentriere Dich ...”
Ich spürte in den Kreis hinein, fühlte die Meinen und die Ermutigung, die sie mir zufließen ließen, spürte den Ersten, die Hoffnung in ihm ... seine Nachfolgerin, die mit ihrer Energie ganz bei ihrem Gefährten war ... den Verwalter, der dabei war, den Rohkristallbedarf für eine flächendeckende Versorgung des Imperiums mit „Kontaktnetzen”, wie er Trevaks und des Heilers Experiment der Kürze halber für sich benannt hatte, auszurechnen ... den Sprecher, der vor Neugier fast barst, den Heiler, der gerade anfing, sich Sorgen zu machen und Trevak, dessen Shaqarava flammte und der sich nur mit Mühe zusammennahm ... und Jaridia, grün und braun und voller Kraft ... und um sie herum ...
„Ja, das ist gut ... so ist es richtig ... und jetzt erinnere Dich ... erinnere Dich an etwas Angenehmes, an etwas, das gut für Dich war und das Du möglichst klar und deutlich präsent hast ...”
Etwas Angenehmes ... Der Eindruck eines Duftes stieg in mir auf, eines Duftes, der durch eine sich öffnende Shuttle-Tür herein wehte und meine Beine zum Einknicken brachte ... Zwischenholzblüten ... und dann Berührung, Farben, Vielfalt ... als Unmengen Unserer ...
Diese Erinnerung tat mir unendlich gut, aber war sie das Richtige für diesen Versuch? Die Jaridians handhabten das Thema Begegnung anders als wir ... ich wollte keine Verwirrung anrichten ...
Angenehm ... angenehm war so vieles ... und mit das Schönste war - Fliegen, Fliegen unter freiem Himmel ... unter dem gestirnten schwarzen Himmel einer jaridianischen Dunkelphase ...
Ja, das war das Richtige ... ich konzentrierte mich darauf, auf die Erinnerung an meinen ersten Flug über diese Welt, und rief sie wach, bis ins kleinste Detail. Und das Erinnern machte beinahe so viel Freude wie das Fliegen selbst ... Ich dachte flüchtig an den Navigator, mit dem ich diese Erfahrung geteilt hatte, und diese Spur öffnete sich in meinem Geist, als ich, von weit her, wieder die Stimme des Heilers vernahm.
„Das genügt erst einmal ... ich danke Dir ...”
Im Kreis war Freude, Freude über das, was ich erinnert und wir geteilt hatten. Trevak kam zu mir, schaltete den Tiefenscanner aus und nahm ihn mir ab, reichte ihn dem Heiler und half diesem, ihn anzulegen.
„Er und ich werden die Berührung jetzt verlassen”, erklärte der Gefährte der Zweiten. „Wir begeben uns an das andere Ende der Höhle, damit Interferenzen zwischen der Wiedergabe durch den Tiefenscanner und tatsächlichem Kontakt mit Aveena ausgeschlossen sind. Ob sich die Verbindung, die wir über Jaridia noch haben, auswirkt, müssen wir zu einem späteren Zeitpunkt überprüfen - jetzt heißt es erst einmal, zu schauen, ob das erarbeitete Prinzip überhaupt funktioniert ...”
Mit dem medizinischen Scanner überprüfte er den Heiler. „Deine Impulsaktivität steht bei zwei-vier ... ich denke, mit einer Verstärkung von drei-fünf müßtest Du überlagert sein ...”
Der Heiler vollführte eine verneinende Geste. „Gib mir vier-fünf”, antwortete er. „Und ich brauche etwas mehr Vorlaufzeit und Anleitung zur Entspannung als Aveena, sonst bin ich mit meiner Aufmerksamkeit zu sehr im Außen ...”
„Vier-fünf?”
„Vier-fünf - oder besser, Du verdoppelst sofort, dann habe ich es leichter ...”
Trevak blickte ihn skeptisch an, gab aber schließlich nach. „Du kennst Dich selbst am besten ...”

Beide lösten sich aus dem Kreis und begaben sich vor den Höhlenausgang - der Abstand schien ihnen wohl ausreichend. Der Heiler streckte sich auf dem Boden aus, Trevak hockte sich neben ihn, den medizinischen Scanner auf ihn gerichtet. Was er dem Heiler sang, war von hier aus nicht deutlich zu verstehen ... Nach einer Weile griff der Gefährte der Zweiten nach dem Verbindungsmodul des Tiefenscanners und aktivierte es offenbar - dieses Mal dann wohl im Wiedergabemodus ...
Für einen Moment lag der Heiler ganz still da, dann durchlief ihn ein Schauder, und danach schien sein Körper sich wirklich entspannt zu haben ... um wieder in Bewegung zu geraten, in unregelmäßiges, teilweise heftiges Zucken. Trevak beobachtete ihn, scannte ihn ab und zu, griff aber nicht ein.
Ich merkte, daß ich dabei war, Angst um ihn zu bekommen ... aber mit dem Navigator hatte ich die Erfahrung dieses Fluges doch ebenfalls in maximaler Intensität geteilt, und es hatte ihm nicht geschadet ... allerdings waren wir im Kontakt gewesen, und ich hatte ihn in jedem Augenblick des Teilens spüren können - hätte er auch nur ein winzigstes Anzeichen von Unbehagen gezeigt, hätte ich es ihm nehmen oder die Erfahrung für uns beide unterbrechen können ... Der Heiler teilte dieses intensive Erleben jetzt ohne die Berührung mit mir - was war,wenn es ihn in Gefahr brachte?
„Mein Gefährte achtet gut auf ihn ... er hat diese Art Technologie mit ihm und anderen Heilern zusammen bis zum jetzigen Stand entwickelt, und er weiß genau um die Risiken, die übrigens sehr viel geringer sind, als Du befürchtest ...” Die Zweite hüllte mich in ihre Energie. „Du bist wirklich die Letzte, hier andere vor den Gefahren, die die neuen Wege bergen könnten, beschützen zu wollen ...”
Der Heiler lag wieder still da - wie es aussah, vollkommen entspannt. Trevak überprüfte ihn erneut, schien mit den Werten zufrieden zu sein und nahm ihm den Scanner-Prototypen ab.
Nach einer Weile versuchte der Heiler sich offenbar aufzurichten, stellte sich dabei aber derart unbeholfen an, daß der Gefährte der Zweiten ihm zum Sitzen hoch half und ihn erst einmal an sich lehnte. Schließlich zog er ihn in den Stand, stützte ihn auf dem Weg zurück zu uns und gemeinsam sorgten wir dafür, daß er es auf dem Mitte-Lager-Halbkreis bequem hatte ... Wir schlossen den Kreis wieder mit ihm - mit purer, übersprudelnder Begeisterung; er strahlte, wie der Navigator gestrahlt hatte, obwohl er im Gegensatz zu diesem - völlig erschöpft war ...
„Das war unglaublich ... und wenn Du todkrank und nur noch Haut und Knochen wärest, ich würde Dir das Fliegen nie wieder verbieten können ... ich hätte nie geglaubt, daß allein die Zeit auf dem Kreuzer, wo ich ja schon schwerer war als sonst, meine vorderen Flugmuskeln ...”
Er unterbrach sich, sichtlich verwirrt, und schaute in sein Inneres, als müsse er dieses erst einmal wieder sortieren. „Das war ganz anders als im Kontakt mit Dir ... in der Berührung fühle ich immer Dich und mich - mich sowohl als mich selbst als auch in Deiner Wahrnehmung gespiegelt - aber dieses Mal bin ich - nein, war ich ich ... nein, Du ... ich weiß jetzt, wie Du wahrnimmst, wie sich für Dich ‚innen’ und ‚außen’ differenziert, ich weiß, was es heißt, wenn einen Sehnsucht, die einem fast den Brustkasten sprengt, in den Tanz mit dem Wind treibt ... Ich weiß, was es heißt, über eine Stimme wie die Deine zu verfügen, was es bedeutet, Resonanzsehnen zu haben ...”
Seine Energie sprudelte im Kreis, pulsierend in schierer Freude. Er versuchte, sich zu strecken und seine Lage zu verändern, erneut mit seltsam unbeholfenen Bewegungen, und verzog das Gesicht. „Und ich weiß, wie es ist, wenn man seine Steuermuskeln völlig überlastet hat ... aber das ändert nichts daran, daß diese Erfahrung hier - einfach unglaublich war ... nicht nur, daß unsere Hypothesen aufgegangen sind und dieser Prototyp funktioniert, sondern auch dieser Flug - danke, daß Du das mit uns teilst ...” „Gern geschehen ...”
Seine Freude war in uns allen, Freude und Erleichterung. Dem Heiler ging es gut, auch wenn wir alle ihm Energie zufließen lassen mußten, um verkrampfte und überanstrengte Flugmuskeln zu entspannen, über die seine Physis nicht einmal verfügte - er und Trevak würden wohl später erklären, was sich während der Benutzung des „Kontaktnetzes” - wir hatten, ohne es bewußt zu bemerken, diesen Ausdruck vom Verwalter übernommen - eigentlich in ihm/für ihn abgespielt hatte.
Und ab jetzt verfügten die Jaridians über eine funktionierende Möglichkeit, Ihresgleichen - und den Taelons - die neuen Wege nahezubringen ... die Zweite würde sich, ein Kontaktnetz auf dem Kopf, erinnern müssen ... ebenso wie der aus den Feuern ... erinnern an Weitwerden in ekstatischer Umarmung ... erinnern an strömendes Shaqarava und expandierendes Blau ... an Erfüllt- und Umhülltwerden ... an das Eins-Sein ... damit die Getrennten fühlen konnten, was möglich war ... was sie werden konnten ... mehr, so viel mehr ...
Grün, Braun und Gold umhüllten uns, voller Wärme und Annahme ... und griff hinaus in das Ganze, nach dem tiefen Schmerz des Herausgerissenen, nach der Leere, die die zerstörte Heimatwelt der Getrennten gewesen war ... griff aus, strich ganz sanft darüber und zog sich wieder zurück.
Und die Enden zweier dünner silberner Stränge berührten einander über diese klaffende Wunde hinweg - und verwoben sich zu einem dünnen glitzernden Band ...
Kein Atem, keine Stimme.
Nur Ehrfurcht - und Dankbarkeit ...
Die mächtige Präsenz in ihren kraftvollen Farben schien jedem von uns über das Gesicht zu streichen, bevor sie wieder um/in uns spürbar war ...

Ein Eindruck in der Berührung, ein kleiner Planet ohne Schwesterwelten, Begleiter einer roten Sonne.
Die Oberfläche dieser Welt, felsig und karg, und eine Art Siedlung, in einer Bucht eines ihrer Meere ... eine große Anzahl sehr ungewohnt aussehender Geschöpfe, die sich flach am Boden bewegten, auf einer nicht deutlich werdenden Anzahl an Gliedmaßen - Wesen, die aussahen, als wären ihnen ihre braunen Kampfmonturen am Körper angewachsen ... ein wasserpflanzenartiges Gebäude, unter einer Energiekuppel, darin Taelons, alle bis auf einen unter diesen Vorrichtungen ausgestreckt, die sie mit Energie überschütteten.
Und der eine, allein in dem Raum, der ihm als Quartier diente, hielt - ein Kontaktnetz in den schlanken Händen und betrachtete es skeptisch ... er drehte es hin und her, fuhr mit den Fingerspitzen über den glatten Kristall des Kopfteils, vollführte schließlich eine undeutbare Geste und legte Netz und Brustteil an.
Seine großen Augen weiteten sich, und er verlor seine äußere Hülle - wie es ihm dennoch gelang, das Netz um sich zu behalten, verstand ich nicht ... Farbschauer durchzuckten ihn, und in seinen Zügen stand unbeschreibliche Freude ...
Nach einer Weile gewann er seine Fassade wieder, stand aufrecht da und strahlend ... Sehr behutsam streckte ich eine Flügelhand nach ihm aus und berührte ihn, ganz sanft.
Er registrierte das gar nicht.
Er fühlte nur - Eins ... Da war kein Schmerz mehr, keine Leere ...
Nur Ganzsein. Erfülltheit.
Nach einer Weile nahm er das Netz ab, völlig abwesend, und ließ es fallen.
Und dann ließ die Wirkung der Aufzeichnung, die es ihn hatte sehen/hören/spüren lassen, nach ...
Das Energiegeschöpf verlor seine Umhüllung erneut, als ihm Schmerz und Leere in seinem Sein erstmals bewußt wurden - erstmals nach wieviel Zeit?
Strahlendes Weiß und Gold blockten das Sonnenhell ab, das zu fließen begonnen hatte. „Nein ... es ist sein Weg ... Du darfst es nicht ...”
Der Taelon saß zusammengesunken da, das Gesicht in den Händen verborgen.
Das hier war unerträglich ...
Irgendwann später erhob er sich, formte seine Fassade neu, trat in die Mitte des Raumes und vollführte eine ausgreifende Geste.
Vor ihm öffnete sich ein Fenster aus Licht.
Und darin erschien eine Sternenkarte ... die Darstellung der Galaxis, aus der Perspektive der Welt, auf der er sich befand ... Blau und Grün, voneinander getrennt durch die unregelmäßige Linie der Front ... tief in dem grün dargestellten Gebiet kennzeichnete ein blinkendes Licht einen Punkt - Jaridia - und der Taelon streckte die Hand aus und berührte diese Welt mit einer Fingerspitze, in den Augen nicht Verachtung, sondern - Trauer ...
Eine flüchtige Bewegung an der Peripherie des Raumes, in dem sich das Energiewesen befand, lenkte mich von diesem ab - das deutlich zu klein geratene, unbeholfen wirkende vielgliedrige Geschöpf, dem sein Kampfanzug am Körper angewachsen zu sein schien und das den Taelon durch den Spalt, den der um ein Geringes offen stehenden Eingang zu dessen Quartier freigab, beobachtet hatte, huschte davon, dicht an den Boden gedrückt und für seine scheinbare Masse viel zu schnell. Sein zutiefst fremdartiges Gesicht mit den merkwürdig seitlich stehenden Augen und der von grob wirkenden Zusatz-Gliedmaßen umgebenen Mundöffnung strahlte eindeutig - Zufriedenheit aus ...
Und dann war wieder Grün, Gold und Braun um uns, wärmend, haltend ... Der Eindruck verblaßte in Jaridias Farben hinein, die uns umhüllten, durchdrangen und sich wieder zurückzogen - uns im Kreis aus Steinsitzen und Mitte-Lager wieder auftauchen lassend, nach wie vor in ihre Präsenz eingebunden.
Wir schauten einander an, voller Staunen und Ehrfurcht.
Keiner hatte Worte für das, was wir fühlten, tief verbunden.
Hoffnung ...
Die neuen Wege standen offen ...
Und die ersten Schritte - waren getan.

Übergangslos standen wir gemeinsam in engem Kreis wieder auf dem Pfad, der, breit genug, vier von uns bequem nebeneinander gehen zu lassen, zu leuchten begonnen hatte, überstrahlt nur von der Helle, die jetzt deutlich in der Ferne zu sehen war. Der auf dem Weg schaute den Hüter der Wasser-Gesänge fragend an, dieser schien in das Ganze hinaus zu tasten und ließ dem aus den Feuern Bestätigung zufließen, woraufhin dieser die rechte Hand hob, eine vertraute komplexe Geste ausführte und ein ebenso vertrautes Wort dazu sang ...
Wir wurden in einen Sog gerissen, dem sich nicht einmal der stärkste Jaridian hätte entziehen können, vorwärts in eine Flut wirbelnder Bilder, die uns den Atem nahm ... Szene um Szene tauchte auf aus strudelndem Silber, und wir tauchten hindurch ... eine Windvolk-Angehörige in einem leeren Frachtraum eines jaridianischen Schiffes, auf dem Boden hockend, die Augen geschlossen und die Flügelhände ineinander gedrückt, das Fell feucht vor Anstrengung, obwohl sie augenscheinlich überhaupt nichts tat ... Ihr Anblick berührte mich seltsam. An ihr hatte eindeutig ein - oder eine? Jaridian mitgewoben, das verriet ihr sehr flach geratener Schnabel und die typische erhabene Zeichnung auf jeder Stelle ihres Körpers, die nicht von Fell in der Farbe der winzigen, dicht wachsenden weichen Pflanzen, die in sehr lichten Ph'taalwäldern den Boden überwuchern, bedeckt war. Es war, als ob mich irgend etwas mit ihr verband - etwas, was ich nicht zu benennen wußte ... Ich berührte sie sehr vorsichtig mit einer Krallenspitze. Sie war vollkommen konzentriert - und sie war nicht allein.
Ein Elarian war mit ihr verbunden, der sehr aufmerksam überwachte, was sie gerade tat - sie befand sich in einem umfassenden Gedankeneindruck, den er offenbar für sie geschaffen hatte, in Zhawi-Gestalt auf einem Taelon-Mutterschiff, allein in einer Art Schacht, umgeben von hellblauen, sanft pulsierenden Wänden, die Greifklauen darauf gelegt, singend. „Ja, so ist es richtig ... zieh die Energie ab von allem, das zerstören kann ... Stärke Dich damit, stärke, was Dich vorwärts bringt ...”
Der Elarian wirkte zufrieden, äußerte sich aber nicht, sondern beobachtete weiter.
Eine Weile später beendete sie ihren Gesang, strich sanft über die Wand, die sie zuvor mit den Krallen berührt hatte, woraufhin ein blaßsilberner Schimmer, verbunden mit dem Gefühl ‚angenehm’ darüber lief; dann wandte sie sich ab und verließ den Schacht.
Dieser mündete in einen Gang, auf dem weitere Zhawi und mehrere Taelons unterwegs waren, die offenbar ihren jeweiligen Aufgaben nachgingen.
Dann verlor einer der Taelon, seine Fassade, gab einen merkwürdigen Laut von sich, sackte in sich zusammen und blieb auf dem Rücken liegen, während in seiner körperlosen Gestalt in Brustkastenhöhe ein greller Spalt aufklaffte, aus dem rasch Energie davonzuwirbeln begann, wie ein Strom glitzernder hellblauer Funken.
Mit einer völlig grotesken Bewegung war die ‚Zhawi’ an seiner Seite, legte beide Greifklauen so auf seine Brust, als wolle sie den Riß zusammendrücken, und ließ ihre sonnenhelle Energie darüber strömen, sorgsam darauf achtend, sie nicht mit der seinen zu vermischen, in dem Versuch, den Spalt zu schließen - was ihr letztendlich auch gelang.
Der hellblaue Strom ebbte ab und versiegte. Sie ließ weiter Energie fließen, bis der Taelon sich regte, den Kopf hob und -
„Es tut mir leid, aber Du bist jetzt bereits zum dritten Mal tot.” Das war der Elarian, der den Gedankeneindruck verschwinden ließ. „Nicht nur, daß Du durch Dein Verhalten Deine Tarnung mehr als gefährdet hast - Du hast wieder instinktiv gehandelt, anstatt Dich an das Standardvorgehen in solchen Notfällen zu erinnern - Du hast darüber hinaus einmal mehr Deine Barriere fallen lassen, dieses Mal in dem Moment, als Du das Gefühl hattest, Deine Mühe ist vergebens und es gelingt Dir nicht, den Energieverlust zu stoppen ...”
Das grüne Geschöpf schlug die Flügelhände vor das flache Gesicht, jetzt vollkommen verzweifelt. „Ich lerne das nie! Ich habe mich so sehr konzentriert ...” „Ja, das hast Du - auf den Taelon ...” „Aber das mußte ich doch ... er war dabei, sich zu verabschieden ... ich konnte doch nicht einfach ...” „Das solltest Du auch gar nicht ... aber gleichgültig, was Du tust, die Barriere muß oben bleiben ... ein Teil Deiner Aufmerksamkeit muß immer, wirklich immer darauf konzentriert sein - auch und gerade, wenn Du jemanden berührst, der in Not ist ...”
Die Windvolk-Angehörige hatte zu zittern begonnen, vor Enttäuschung und Erschöpfung. „Du hast so viel Geduld mit mir ... und ich stelle mich so entsetzlich unfähig an ... ich lerne es nie ... nie, nie, nie ...”

Und die Szene schien zu zerplatzen, wie die Schaumblasen, die sich auf der, die uns trug, in der Warmphase manchmal auf kleinen stehenden Gewässern bilden ... und wurde übergangslos durch eine andere ersetzt.
Ein kleines jaridianisches Kampfschiff, auf der Brücke Angehörige des Feuervolkes, die die verschiedenen Geräte bedienten. „Wir müssen nach Ablassen der Anti-CVI-Kristalle sofort in der Nähe dieser Siedlung landen ... es müssen überall Kontaktnetze verteilt sein, bevor die Wirkung richtig einsetzt und die CVIs zerfallen ...” meinte einer von ihnen. „Hoffentlich tun diese Fünfgliedrigen-Aufzeichnungen ihre Wirkung ... Gut, zwei der Ihren haben sich bereit erklärt, ihre Erinnerungen zur Verfügung zu stellen - aber da unten sind mindestens zweihundert von ihnen, und alle ohne CVI vollkommen verschieden voneinander ...” sorgte sich ein anderer. „Wir sind schließlich auch noch da.” Eine kräftig gebaute, sehr jung wirkende Weibliche aus dem Volk im Dunklen, die die letzten Worte aufgefangen hatte, betrat die Brücke, gefolgt von - dem Jaridian-Windvolk-Mischwesen. „Fünfzig von uns und zweihundertundfünfzig Netze - das muß einfach gelingen ... Wir müßten jetzt dicht genug über ihnen sein, um die Nanokristalle auszuschütten, oder?” Sie beugte sich über einen der Bildschirme, und einer der Feuervolk-Angehörigen ging in Kontakt mit ihr. „Deine Zuversicht hätte ich auch gern ... das ist schließlich der erste Planet mit Fünfgliedrigen, auf dem die Netze zum Einsatz kommen ...”

Der Eindruck wurde durch den nächsten schon überlagert, bevor er sich in silbrige Fetzen auflöste.
Ein absolut ungewöhnliches Geschöpf - tiefschwarz, aufrecht auf schlanken, muskulösen Beinen, drei flossenartige Gliedmaßen mit je drei fingerähnlichen Enden an jeder Körperseite, den unteren Rücken zu einem langen, schmalen, kraftvoll wirkenden seilartigen Auswuchs verlängert, ein sanftes, seltsam vertrautes Gesicht mit riesigen Augen, deren pulsierende Farbe gerade von Orange zu strahlendem Gelb wechselte, während ein komplexes Muster in Rosa über seine Brust und seinen Bauch lief, von rechts nach links. Er hatte die ‚Finger’ der rechten mittleren und oberen Flosse auf den linken Arm eines Jaridian gelegt, mit dem zusammen er vor einem riesigen Raumreise-Behältnis für Wasserbewohnende stand.
Ich berührte das Wesen voller Ehrfurcht.
Ein Mittler ...
Einer, der zu Wasser sein konnte und zu Land ...
Einer derer, die die Dindaei und der Wasser-Gesangshüter ins Leben gewoben hatten.
„Es ist genau richtig dimensioniert und wird dem Innendruck standhalten.”
Die Stimme des Mittlers war so tief, daß sie im Boden vibrierte - seine drei vertikalen Stimmbandpaare waren mit dem Membran-Organ in seinem Unterbauch verbunden. „Die, die geben, sortieren und tragen, brauchen im Zustand des Kaum-Seins weder Nahrung noch Bewegung, nur zwei der Ihren, die sie ganz nah haben ...”
„Das habe ich schon verstanden”, antwortete der Jaridian, den seine Kleidung und der wohlvertraute Scanner, den er in den Händen hielt, als Heiler auswiesen. „Aber wenn wir auf der Meereswelt gelandet sind, können wir doch nicht einfach die Behältnisse öffnen und ...”

Das Gedankenbild verflüchtigte sich, und ich war inmitten am Boden liegender, massiger dunkelbrauner Geschöpfe, die aussahen, als seien ihnen ihre gepanzerten Kampfanzüge direkt am Körper angewachsen - und ich registrierte zum ersten Mal, daß es genau so war - diese Wesen hatten massive Platten, Auswüchse und Wülste als Körperteile, um offenbar empfindliches Inneres zu schützen ... Ihre unzählbar vielen Laufgliedmaßen machten sie um vieles schneller, als man es so schwer wirkenden Geschöpfen zutrauen würde, und die Zusatzgliedmaßen um die Mundöffnung schienen sehr wirksame Waffen zu sein ... Aber im Moment wirkten all diese Wesen vollkommen hilflos. Die meisten waren gar nicht bei Bewußtsein, einige waren auf den Rücken gekippt, offenbar nicht fähig, sich eigenständig aus dieser Lage zu befreien, und die Körper sämtlicher Daliegenden wurden immer wieder von Zuckungen durchlaufen ... Andere Ihresgleichen waren auf den Beinen und um sie, erstaunlicherweise die Kleineren und Schlankeren ihrer Rasse, und sie waren damit beschäftigt, ihren Stammesangehörigen - Kontaktnetze anzulegen ... ihnen dabei Wärme und Geborgenheit singend ...

Und übergangslos das nächste Bild - ein Taelon-Mutterschiff über dem Planeten der Verletzlichen ... und in seinem Inneren ein ähnlicher Schacht, wie ich ihn schon einmal gesehen hatte ... und ein geflügeltes Wesen, halb Windvolk, halb Jaridian, hob sein Gepäckstück vom Boden auf, mit sehr zufriedenem Gesichtsausdruck, betätigte eine Taste an dem kleinen Gerät, das es um den unteren Bauch gebunden hatte - und vor mir stand eine weibliche Verletzliche, nicht besonders groß, mit sandfarbenem, etwas unordentlichem kurzen Kopffell, nichtssagenden grauen Augen und in schwarzer Kleidung, die mit seltsamen Zeichen versehen war. In der krallenlosen Hand trug sie ein eckiges Behältnis aus Metall, auf dem das selbe Zeichen aufgebracht war wie auf dem Bekleidungsmaterial, das ihren rechten Arm umhüllte ...

Der Eindruck zerplatzte, und vor der Schwärze des Alls erhob sich eine unvorstellbare Anzahl Schiffe aus dem Orbit um Jaridia, in unterschiedliche Richtungen auseinander strebend ...
Ein Sokhara-Kreuzer, über einem Taelon-Mutterschiff schwebend und dieses - festhaltend, mit einer Art Vorrichtung aus - Licht? Die Brücke des Mutterschiffes, die Besatzung aus Taelons schreckstarr, die Zhawi, die aus nicht funktionierenden Energiewaffen auf die hereindringenden Jaridians feuerten, bebend vor Angst. Der kommandierende Jaridian hob beide Hände, das Shaqarava deaktiviert.
„Hört auf zu feuern, keine Eurer Waffen hat noch Energie. Behaltet Eure Fassaden - Ihr und Euer Schiff bleibt intakt ...”
Einer der Zhawi sackte zusammen und ließ seine Waffe fallen.
„Die CVIs Eurer Versklavten werden bald unwirksam - die Unseren werden sich um sie kümmern. Ihr werdet bis dahin ...”

Szenenwechsel - ein anderer Eindruck aus dem All ... eine gigantische Jaridian-Flotte trieb einen Taelon-Kampfverband in die Interdimension, aus allen Waffen feuernd ... Die Taelon-Schiffe waren fort, und im selben Augenblick war auch die jaridianische Flotte verschwunden - bis auf einen einzelnen Kreuzer, um den in kurzem Abstand vier Holo-Emitter gruppiert waren ...
Das Bild verblaßte und wurde ersetzt durch eines des Weges, auf dem wir uns befanden ... der sich aufgefächert hatte in viele - breite, mittlere, schmale ... stabile und weniger stabile ... einer davon führte auf die Welt der Menschen zu und scheinbar hindurch, um sich dann dem Licht am Ende des Pfades, auf das auch andere Auffächerungen desselben zustrebten, zuzuwenden.
Die nächste Szene zeigte - den Strand, an den unser Stammesgehölz angrenzte ... Etliche der Unseren und des Volkes im Dunklen standen dort, darunter auch wieder die geflügelte Halbjaridian, die sich irgendwie verändert und einiges von ihrem Fell verloren zu haben schien, und schauten in den Himmel. Es herrschte eine merkwürdige, gedrückte Erwartung.
Wenig später wurde in der Luft hoch oben ein Jaridian-Shuttle sichtbar,das, geschickt die Thermik ausnutzend, schließlich in unmittelbarer Nähe der Wartenden landete. Meine grünfellige Stammesangehörige löste sich aus dem Kontakt mit den anderen und eilte darauf zu, halb hüpfend, halb flatternd.
Das Shuttle öffnete sich und entließ einen groß gewachsenen Jaridian mit freundlichen Augen und besorgtem Gesichtsausdruck. Sie nahm ihn ohne ein Wort zwischen die Flügel und zog ihn an sich. Er schloß sie seinerseits in die Arme, und sie standen einen Augenblick so da, bis der Jaridian sagte : „Es ist so weit - das Mutterschiff wird sie, wie angekündigt, mittels seiner Transportvorrichtung bei Euch abladen. Weder Ra'jel noch Yulin oder die beiden Menschen, die sie begleiten, werden Euch dieses Mal einen Besuch abstatten, sie müssen weiter - zumindest war Ra'jel einverstanden, denen, denen sein Volk solches Entsetzen angetan hat, die Chance zu geben, die sie bei Euch haben - er selbst hatte keine andere Idee, als sie einfach in Stasis zu belassen ...” Meine Stammesangehörige hatte offenbar einen intensiven Gedankeneindruck von dem Jaridian aufgefangen - ihre ganze Haltung drückte plötzlich Trauer aus. „Steht es wirklich so schlimm um all diese Wesen?” Der Jaridian wirkte genau so traurig wie sie. „Es steht so schlimm - rechnet damit, daß Ihr die Hälfte derer, die Ihr zu heilen versuchen werdet, verliert.”

Unerwartet kippte erneut die Szene, und ich erschrak heftig, als ich sah und spürte, wovon ich jetzt umgeben war - von blauen, merkwürdig organisch wirkenden Strukturen, daran angelehnt, und in ihnen flüsterte und sang es ... ich war auf der Brücke eines Taelon-Mutterschiffes ... und das riesige Lichtfenster, auf das ich, unbemerkt von den beiden Menschen, dem entweder sehr klein geratenen oder noch jungen Atavus, der eindeutig denen des Dritten Weges angehörte, und dem merkwürdig angespannt und blaß wirkenden Taelon mit diesen zusammen schaute, zeigte - die, die uns trug ... ich hätte beinahe laut geschrien ... ein Mutterschiff der Taelons über unserer Welt, egal, mit welcher Besatzung an Bord, konnte nur bedeuten, daß ... und nichts in dem Lichtfenster deutete darauf hin, daß der Schild aktiviert ...
„Ra'jel, wir müssen mit dem Transport der Stasisbehältnisse beginnen”, mahnte die weibliche Verletzliche mit dem hellen Kopfpelz, die mir irgendwie vertraut vorkam, den Taelon, der blicklos auf unsere Welt gestarrt hatte, offenbar tief in Gedanken.
Mir wurde schwindelig vor Erleichterung, als ich verstand, was hier geschah - das, worüber der Jaridian die, die halb auch seines Volkes war, am Strand informiert hatte ... „Sie haben Recht”, antwortete der Taelon, aus seinen Überlegungen auftauchend. „Es ist an der Zeit ...”
Er, der Atavus und die beiden Menschen verließen die Brücke; ich folgte ihnen, unbemerkt. Kurze Zeit später erreichten wir einen riesigen runden Raum, in dem in ungewöhnlichen durchsichtigen Behältnissen, die sehr vage an die erinnerten, in denen wir damals auf dem Kreuzer die Beschleunigungsphasen verbracht hatten, Wesen ruhten, sämtlich offenbar ohne Bewußtsein.
Verletzliche, Fünfgliedrige, Zhawi ... vielgliedrige Gepanzerte, Jaridians, Skrills ... und Geschöpfe, die ich nie zuvor gesehen hatte, von denen aber etliche an die bereits genannten erinnerten, ohne solche zu sein ... und alle waren verletzt, verstümmelt oder entstellt ...
Es schnürte mir den Brustkasten zusammen. In diesem Raum herrschte eine solche Not, daß meine Reflexe längst reagiert hatten. Sonnenhell flutete über die Behältnisse ... und der Atavus - er war tatsächlich noch sehr jung - wandte sich irritiert um, ebenso der Taelon, beide waren aber offenbar außerstande, mich zu sehen.
Sehr vorsichtig manövrierte ich mich an eines der Behältnisse heran, eines, in dem ein -
Mir blieben Atem und Stimme weg.
Ich legte beide Flügelhände auf das Behältnis, das sich seltsam kalt anfühlte - kalt und so, als sei die Oberfläche, die ich da berührte, eigentlich gar nicht vorhanden.
Niemals hätten jemand von den Fünfgliedrigen und jemand von den Jaridians einander zu begegnen versucht, um neuzuweben.
Aber jemand hatte aus Fünfgliedrigen und Jaridians neugewoben ...
Was hatte der Jaridian am Strand gesagt? Ra'jel sei einverstanden, denen, denen sein Volk solches Entsetzen angetan hatte, eine Chance zu geben?
Schmerz war spürbar durch all die Kälte, und meine Energie konzentrierte sich auf das Wesen in deren Innerem - außerstande, sie zu durchdringen ...
Der intensive Gedankeneindruck zerstob in Myriaden silbriger Funken.

Ich fand mich in bekannter Umgebung wieder - auf dem riesigen Platz vor dem Gebäude des Hauptkommandos auf Jaridia. Mehrere Shuttles standen dort, offen, und Jaridian, Taelon und Wesen, die ungewöhnlich und vertraut zugleich wirkten, waren offenbar damit beschäftigt, sie zu beladen. Die ungewohnt erscheinenden Geschöpfe sahen beinahe so aus wie Feuervolk-Angehörige, aber schlanker und graziler, und leuchtend weiße, mit Gold durchsetzte Energie war um sie ...
Noch unter den Eindrücken der letzten Szene brauchte ich einen Moment, bis ich realisiert hatte, was sie waren - Vereinte ...
„Es war richtig, unsere Organisation bereits jetzt zu evakuieren - von unserem neuen Standpunkt aus haben wir die Ruhe, zu entscheiden, ob wir das Angebot der Verzichtenden annehmen, auf deren Welt mit ihnen zu leben”, meinte einer von ihnen, der gerade einem Taelon in dem Shuttle, neben dem ich hockte, ein undefinierbares verhülltes Gepäckstück überreichte, bevor auch dieses Bild sich in funkelndes Silber auflöste ...
Dieses funkelnde Silber umtanzte mich, und bevor ich in der Lage war, mich zu orientieren, geriet ich einmal mehr in einen zwingenden, intensiven Sog, dieses Mal nach rückwärts und unten. Ich hatte gelernt, mich nicht dagegen zu wehren ...
Ich landete mit einem heftigen Ruck, aber weich - in den Flocken des Mitte-Lagers und dem tragenden Gesang Jaridias ... Schwindelig und außer Atem richtete ich mich auf, um nach den anderen zu schauen - unser Kontaktkreis war irgendwann auf dieser Reise offenbar auseinander gefallen ...
Zurück von dem, was wir, wie es schien, einzeln erlebt hatten, war nur der aus den Feuern - der da saß und die Arme nach mir ausstreckte, leuchtende Freude, Wärme und Lebendigkeit ausstrahlend wie nie zuvor.
Behutsam, ohne die Erdvolk-Gesangshüterin und den Heiler, deren Reise noch nicht vollendet schien, zu berühren, begab ich mich zu ihm, und er schloß mich in die Arme und gab, bewegt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, ein Bild in die Berührung - eine Welt, schwebend in der sternendurchsetzten Schwärze des Alls, in sanftem Blau und Braun und Grün und Gelb, übertupft von Wolkenweiß ...
„Der Dritte Weg endete nicht auf der Welt der Verletzlichen - der Dritte Weg endete im Wandel ... im Wandel derer, die ihn gegangen sind ...”

 

Ende von Kapitel 40

 

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