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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   November 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Tradition und Verbundenheit / Strategie und Erfolg / Aus dem Ganzen schöpfen
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Die Gesangshütenden des Erd-, Wasser- und Windvolkes, der auf dem Weg, die Führenden Jaridias, Trevak, der Heiler, der Sprecher, Jaridia (die Gefährtin des Verwalters, eine junge Einsatzbefehligende)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 39

 

Der Blick des Ersten fiel auf den Kreis, den die vier Steinsitze mit dem halbrunden Mitte-Lager formten, und er registrierte diese Veränderung im Gefüge der Höhle jetzt erstmals bewußt.
„Nehmt Eure Plätze ein ...”
Der Satz war um und in uns, und für Bruchteile eines Momentes war die Höhle erneut voller Jaridians, deren Blicke - nein, nicht auf uns, sondern auf ihre Führende gerichtet waren, die vor dem Sitz stand, der sich aus dem unteren Teil der vierten Statue geformt hatte, und offenbar zu ihnen sang. In dem Augenblick, in dem ich ihre Züge erkannte, war der Eindruck verblaßt - diese Jaridian hatte zu den Zeiten des Urahns Trevaks die Geschicke des Imperiums in den Händen gehalten...
Der Erste atmete tief auf und löste sich aus der physischen Berührung - dennoch spürten wir alle, wie er kurz zögerte, weil er plötzlich zweifelte, ob ihm solche Ehre überhaupt zustünde ...
„Nur Du kannst diesen Platz einnehmen ...”
Ich fühlte, wie sich der Herzschlag des Ersten beschleunigte und daß er Mühe hatte, zu atmen, bewegt, wie er war ...
Erneut das Gefühl, etwas würde sich ausdehnen ... Der aus den Tiefen hatte die Zwischenlider geöffnet - und der Kreis, den wir mit und durch Jaridia formten, hatte sich in die Zeit hinein geweitet ... meine Wahrnehmung des Ersten war überlagert/durchdrungen von der Gestalt der längst verabschiedeten Führenden, die sich auf die Knie niedergelassen und sich sehr klein gemacht hatte, mit der Stirn den Fels des Höhlenbodens berührend, die Arme vor sich mit nach unten geöffneten Handflächen ausgestreckt.
„Jaridia, ich mag den Meinen Erste sein, aber nichts bin ich ohne Dich ... Ich gebe Dir die Ehre ...”
Und der Erste vollzog die Geste und die Worte mit - und nahm seinen Platz ein auf dem Sitz, der dem gegenwärtig Führenden zustand.

Die Jaridians waren dabei, lang Vergessenes aus den Tiefen den Zeit ans Licht zu heben - Vergessenes, das ihnen Hilfe werden konnte, Zukunft für sich zu schaffen ... und dazu gehörte die Verbindung zu ihrer Welt ebenso wie diese Sitzordnung, die jeden der Ihren an seinen Platz nicht nur unter den Seinen, sondern auch in der Ordnung des Ganzen erinnerte ... So etwas war uns, die ihnen hatten Verbündete werden dürfen, sehr fremd - und dennoch fühlte es sich hier und jetzt richtig und stimmig an ... Wir hatten längst zu singen aufgehört, der auf dem Weg hatte sein Instrument vorsichtig auf den Boden gelegt - ich hätte im Moment vor Aufregung und Ehrfurcht sowieso keinen Ton herausgebracht, aber der Grundakkord des Planeten war überall, tragend, Grün, Braun, Gelb und Gold ...
Als kenne sie es gar nicht anders, führte auch die Zweite die Geste der Ehrung für ihre Welt aus. „Ich mag den Meinen die kommende Führende sein, aber nichts bin ich ohne Dich ...” Und sie nahm neben dem ihr Übergeordneten Platz, und der Verwalter tat es ihr gleich mit den Worten: „Ich mag bestimmen, wer bekommt von dem, was Du gibst, und darüber wachen, daß vorhanden ist, was für Deinen Schutz benötigt wird, aber nichts bin ich ohne Dich ...” und setzte sich neben sie.
Trevak und der Sprecher schlossen sich an, ehrten ihre Welt und hockten sich auf den Mitte-Lager-Halbkreis, der Sprecher neben den Ersten, Trevak neben den leeren Sitz zur Rechten des Verwalters.
Der Heiler plazierte sich nach Geste und Wort der Ehre an die, die den Seinen Heimat geworden war, in die Mitte des Halbkreises aus Flocken.
Weite, Tiefe.
Große Freude.
Erwartung.
Einen Kontakt wie diesen hatte keiner der Unseren je erlebt ...
Wir vier waren am Boden, Flossen, Arme, Flügel ausgestreckt. Diese mächtige Welt war so faszinierend schön ...
„Noch ist die Zeit des Abschieds nicht da ... noch kann ich den Meinen Halt sein und Zuhause ... noch kann ich da sein für Euch, wenn Ihr gemeinsam durch Zeiten und Dimensionen unterwegs seid ...”
„Es ist uns Ehre, unseren Weg für das Ganze auch für Dich und die Deinen gehen zu dürfen ...” Wir hatten mit einer Stimme gesungen ... und nahmen unsere Plätze ein, als hätten wir es schon immer so getan, der aus den Feuern neben Trevak, die Erdvolk-Gesangshüterin an seiner Seite, ich zur Rechten des Heilers und der Hüter der Gesänge derer in den Tiefen zwischen den Sprecher und mich.
Grün und Weiß-Violett, leuchtendes Weiß mit Gold, strahlendes Weiß, sanftes Blaugrün, Tiefrot und Sonnenhell im Kreis, in tiefem Kontakt ... einen Kreis formend mit Grün und Braun mit Gelb und Gold darin ... einen Kreis formend mit glitzerndem Silber ... einander durchflutend, einander umfassend ... eins ...
Und dann war es, als ob Jaridia selbst Atem holte - und ihr Bewußtsein öffnete ... in ...
In das Ganze hinein.
Kein Atem, keine Stimme, keine Worte mehr.
Nur noch ...

Das Ganze.
Sein unvorstellbares Lied singend ...
Um uns und in uns ...
Nur noch unendliche Sehnsucht ... zelltief, bis in die winzigsten Strukturen meines Innersten ...
So, wie alle und alles um mich und in mir ...
Und unendliche Erfüllung zugleich ...
Sonnenhell wirbelte davon, sich in all das hinein in funkelndes Alles auflösend.
Um von leuchtendem Weiß umgeben und umschlossen zu werden ... von warmer, klarer, präziser Präsenz ... „Nein, noch nicht ... dazu ist es zu früh, viel zu früh ... Bevor Du gehen kannst, um hier neu zu werden, hast Du erst noch einen Weg zu gehen dafür ...”
Einen Weg für ...
Meinen Weg für das Ganze, für das alles, was ich war, sang, atemlos vor ...
Energiegefüge verschob sich, deutlich.
Arme, die mich fest umschlungen und an jemanden gedrückt hielten. Etwas Sanftes, Feuchtes, das mir über das Gesicht strich. Kraftvolle Präsenz unter mir, um mich, umgeben von unvorstellbarer Schönheit...
„Wir müssen bewußt bleiben, wenn wir, vom Ganzen lernend, unseren Weg dafür gehen wollen ... jeder muß sein Selbst behalten, wohin immer wir gehen werden, und bereit sein, was er ist und kann, für das Ganze zur Verfügung zu stellen ... Wir alle geben uns irgendwann dem Ganzen zurück, damit es erneut aus uns formt, was gebraucht wird, aber jetzt ist nicht die Zeit dafür ...” Das war der auf dem Weg. „Wir haben unsere Lichter vereint, wie die Elarian es uns bedeutet haben, miteinander und mit dieser Welt, und wir sind tatsächlich in der Lage, im Schein dieses Leuchtens sehr, sehr weit zu sehen - aber wir müssen unsere Ziele kennen, das, wohin die Wege führen sollen ... wir müssen gezielt schauen, gemeinsam - und gezielt ...”
Ich nahm meinen Körper wieder wahr, und den des Heilers, der mich an sich gedrückt hielt, öffnete die Augen und sah in das sanfte, besorgte Gesicht dessen aus den Tiefen, der lächelte, als er wiederkehrenden Fokus in meinem Blick wahrnahm. „Keine Alleingänge mehr”, sagte er, freundlich und sehr bestimmt zugleich zu mir und dem gesamten Kreis. „Keine Alleingänge - für niemanden von uns ... Jaridia hält uns, aber vergeßt nicht, daß ihre innere Ordnung begonnen hat, sich zu destabilisieren ... nur wenn wir die Pfade gemeinsam gehen, aufeinander achtend, gehen wir nicht in die Irre ...”
Wieder Energie, die sich verschob.

Wir waren winzig auf einem winzigen Punkt, der von leuchtenden Fäden durchwoben wurde, und jeder dieser Fäden vibrierte vor Lebendigkeit ... einer davon fühlte sich so vertraut an, als ich mich auf ihn konzentrierte, daß ich mich hinhockte und eine Krallenspitze darauf legte - und mit dem Laut der Überraschung, den ich von mir gab, alle darauf aufmerksam machte. Dieser zarte Strang - sang das Lied derer, die uns trug ...
„So, wie Ihr einander spürt im Kontakt, so spüren wir, die Leben tragen, einander ...” Die Stimme Jaridias sang in uns allen. „Wir wissen umeinander, so, wie Ihr umeinander wißt ... Wir, die Erwachten, die Bewußte tragen, sind miteinander ebenso in beständigem Kontakt wie mit denen, die erst noch Leben in das Ganze hinein träumen und mit denen, um die und mit denen wir tanzen ...”
Ein unendliches, funkelndes Netz ... Sonne um Sonne, Planet um Planet, Mond um Mond ... in beständiger Kommunikation ... machtvolle Präsenzen wie Jaridia, junge, sich immer noch formende wie die, die die Unseren trug oder - wie die Meereswelt, die zukünftige Heimat der Dindaei und der Sechsgliedrigen ... sanfte, seltsam ungeformte, die sich beinahe anfühlten wie - wie träumende Nichtflügge ... Hauch von Spürbarkeit waren die, die gerade erst entstanden waren aus dem, woraus Welten geformt wurden ... und leuchtende Netzfäden, die dabei waren, über einem Feld von sich Auflösendem wieder zueinander zu finden - über dem einer Welt, die sich zurückgegeben hatte ...

Und dann abgerissene Stränge, deren Schmerz in mein Innerstes fuhr ...
Kein Atem, keine Stimme zum Schreien über dieses Ausmaß an Entsetzen ...
Noch bevor meine Reflexe reagierten, ergriff eine Hand meine Flügelhand und löste meine Berührung mit dem Ausgerissenen. Ich wurde in golddurchsetztes Weiß geschlossen, in dem es neben warmem, offenen, funkelnden Bewußtsein ein zweites, winziges gab ... die Zweite.
„Das hier kannst Du nicht heilen, Aveena ...”
Das Ausgerissene, das, was durch sein Fehlen dem Ganzen Schmerz war, war - die zerstörte Heimatwelt der Taelons und Jaridians ...
„Wir, die Jaridians, haben das zu verantworten ... wir haben eine lebendige Welt zerstört, aus Verzweiflung und blindem Haß ...”
Das Ausmaß an Trauer in ihr überstieg das des Schreckens in mir, und meine Energie strömte ihr zu, ihr und den zerfetzten Strängen.
„Nein ...” Sie aktivierte ihre eigene Energie und blockte die meine damit ab. „So geht es nicht ... das hier ist - ist zu groß für jeden einzelnen von uns ... das, was hier heilt, können wir nur gemeinsam weben - wir - und die Taelons ...”
Wir standen in einem engen, festen Kreis, den der aus den Feuern jetzt öffnete, indem er Trevak losließ, um den er zuvor den linken Arm gelegt hatte. Vor uns lag ein schmaler, blasser, fast transparenter Pfad, der in einem weiten Bogen fort führte, und es schien, als gebe es in weiter Ferne, dort, wo er zu Ende sein mochte, ein winziges, noch blasseres Licht - der Pfad, den der auf dem Weg durch seine eigene Energie zu festigen versucht hatte, bevor es uns gelungen war, ihn von dieser gefährlichen Idee abzubringen.
„Das ist Euer Weg für das Ganze ... das ist der Pfad, den Ihr finden/erkennen/schaffen müßt, damit die Wunden, die dem Ganzen zugefügt wurden, heilen können ...” Jaridias Gesang trug uns alle, und der aus den Feuern tat den ersten Schritt auf den Pfad hinaus.
Dann waren wir alle auf dem Weg, und ich verstand einmal mehr, warum der Feuervolk-Angehörige alles gegeben hätte, um ihn leichter und gangbarer zu machen.
Ich hatte noch nie, wirklich noch nie eine solche Furcht gespürt ...
Furcht, dieser Weg könne unter unseren Füßen einfach einbrechen oder verschwinden. Furcht, er ende einfach im Nichts.
Furcht, einer der Unseren oder der Jaridians könne den Halt verlieren und ins Nichts stürzen - und darin verloren gehen ...
Ins Nichts?
In das Ganze ...
Und niemand und nichts ging verloren im Ganzen ...
Das Ganze bewahrt ... bewahrt die Seinen ... und schafft sie immer wieder neu, so, wie sich selbst ...
Mit einem Mal wurde es hell in mir, hell und leicht.
Tiefe Verbundenheit ...
Und das, worauf ich die Krallenfüße setzte, war fest und solide. Schmal und immer noch beinahe durchsichtig, aber fest und solide.
Wir schauten einander an, staunend.
Etwas wie Belustigung vibrierte um uns.
Energie verschob sich.

Unser behutsames Vorwärtsstreben auf dem Pfad, auf den uns der aus den Feuern geführt hatte, wurde durch einen dünnen, grellgelben, hochfrequent pulsierenden Strang gestoppt, der sich in eines der vielen Alarmgeräusche verwandelte, mit denen die verschiedenen Geräte der Jaridians Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Der Anführer zog das aus seiner Kleidung hervor, von dem der Alarm ausging, klappte es auf und betätigte eine Taste daran. Auf dem Bildschirm erschien die Darstellung der zwei Planeten, von denen der eine mit einem Schild wie dem unseren versehen und der andere evakuiert war, mit den Taelon-Kampfverbänden in Stellung.
„Feindliche Schiffe jetzt in Kurzstreckensensor-Reichweite, Kontakt in vier, ich wiederhole, vier Zeiteinheiten exakt. Ich aktiviere jetzt die Holo-Emitter ...” Die Stimme der Gefährtin des Verwalters verstummte, dafür veränderte sich das Bild auf dem Schirm - statt der rötlichen Sonne und ihrer beiden Welten, auf die die Taelons es abgesehen zu haben schienen, zeigte es eine Übersichtskarte dieses Sektors - auf der plötzlich eine in einem merkwürdigen Muster angeordnete Menge grün pulsierender Symbole erschien - aus dem Nichts.
„Aktivierung erfolgreich”, meldete sich die Stimme wieder. „Ab jetzt ist keine weitere direkte Kommunikation mehr möglich, da die Signaturenverzerrer auf Vollast gehen. Erneute Meldung erfolgt nach Abschluß des Manövers.”
Der Bildschirm wurde schwarz, dann grün.
Der Erste deaktivierte das Gerät und ließ es wieder verschwinden. „Es muß gelingen ... Es muß einfach ...” Er schaute uns an, und jetzt war Furcht in ihm. Furcht und großer Zweifel ... „Was tun wir hier eigentlich? So vieles, das zu entscheiden und vorzubereiten ist ... und wir beschäftigen uns ...”
„Genau damit”, sagte der auf dem Weg. „Genau damit ...”
Der Anführer war spürbar irritiert. „Du verstehst nicht, glaube ich ...” meinte er, und jetzt wurde Ungeduld spürbar. „Es ist noch unklar, wie dieser Einsatz ausgehen wird, von dem eine Menge abhängt ... wir sitzen hier und befassen uns mit theoretischen Grundsatzüberlegungen, was sicher seine Berechtigung hat, aber unser Hauptproblem ist immer noch da draußen, und wir sind der Lösung noch keinen Schritt näher - die Taelons wissen ja noch nicht einmal von dem, um das es hier geht - und ich habe noch von keinem von Euch bisher einen konkreten Vorschlag gehört, wie wir ihnen begreiflich machen sollen, daß wir eigentlich vorhaben, mit diesem Krieg aufzuhören ... wir wissen zwar jetzt im Groben, was wir ihnen erzählen wollen, aber wie das geschehen soll ...”

„Eigentlich sind wir noch nicht einmal so weit.”
Das war Trevak.
Wir hatten inzwischen wieder einen Kreis geformt, auf dem merkwürdigen Untergrund, aus dem der Pfad bestand, sitzend - ich bemühte mich, nicht darüber nachzudenken, wie das sein konnte ...
„Wir haben bisher nichts Wirkliches, das wir den Taelons anbieten könnten, immer noch nicht ... der Tachyonkonverter ist nach wie vor nicht mehr als eine Idee ... eine endlich aufgegangene Gleichung, einige erfolgreich verwüstende Explosionen und ein neuartiger Werkstoff, der der geforderten Belastbarkeit nicht entspricht ...” Er wandte sich direkt an die aus demDunklen. „Ich habe die Besten derer, die mir unterstellt sind, daran gesetzt, sich mit den Aufzeichnungen über das, was wir gemeinsam dazu erprobt haben, intensiv auseinanderzusetzen, Zeitabläufe und Materialzustände durchzurechnen und all das zu extrapolieren, in Hinsicht auf das, was die Kollektorfläche eines Tachyonkonverters können und aushalten muß, um eine ausdauernde Energiequelle sein zu können, und sie sind zu dem reproduzierbaren Ergebnis gekommen, daß - bei aller Unberechenbarkeit - bearbeiteter klingender Fels immer noch das Material ist, das die höchste Ausbeute an Energie verspricht ... Ich bitte Dich dringend, daß Du Dich damit noch einmal auf Deine Weise befaßt ...”
Er wandte sich an den Ersten. „Ist es vielleicht möglich, sie von der Beratung hier zu suspendieren, um sie für die konkrete Arbeit an der Werkstoffentwicklung freizustellen?”
Die aus dem Dunklen war den Ausführungen des Gefährten der Zweiten mit höchster Aufmerksamkeit gefolgt. Wir alle hatten die Tiefensinne geöffnet seit dem Moment, wo wir für/mit Jaridia zu singen begonnen hatten; sie fokussierte die ihren jetzt auf Trevak. „Warte ... Das ist vielleicht gar nicht notwendig ...” Sie prüfte die Eindrücke der Torus-Form, die sie als Kopie des Vermächtnis-Steins geschaffen hatte, ebenso wie die verschlungene Form aus ihrem neuen Werkstoff in Trevaks Geist, und etwas tief in ihrem Innersten öffnete sich - öffnete sich zum ersten Mal.
Warmes tiefes Rot dehnte sich aus.
Sie wandte sich an mich - und ihr Blick ging durch mich hindurch, aber sie schaute nicht in die Zeit, wie der aus den Feuern, wenn er so in das Ganze blickte, sondern in den Raum. Dorthin, wo fest, flüssig, gasförmig und reine Energie im Nichts/im Alles miteinander tanzten ... im ständigen Wandel ineinander begriffen ...
„Zeig mir bitte noch einmal, was Du in Trevaks Geist gesehen hast, damals, in der Vergangenheit ...”
Ich ließ sie den Entwurf des Tachyonkonverters sehen, hören und spüren, die Streben und die Fläche aus halb kristallinem, halb metallenem Material - dem, das es auf Jaridia nicht gab.
„Das ist nicht eins, das sind zwei ... zwei, die entschieden haben, eins zu sein ... Ihre intensive Konzentration war auf die silbrig schimmernde Fläche gerichtet, die ihr gesamtes Blickfeld einnahm - und dann war es, als tauche sie in diese Fläche ein, tiefer als zelltief ...
„Es sind zwei ... klingender Fels und dieses Metall ... dieses Metall, das Ihr als Energieleiter für Eure Holo-Emitter verwendet ... es ist spröde und nicht leicht zu singen ...”
Die Hüterin der Gesänge des Erdvolkes saß da, die Klauenhände vor sich ausgestreckt, und in der linken ruhte ein kleiner Brocken klingenden Felses, in der rechten ein stumpfsilbernes, bröckelig wirkendes Stück dieses Metalls. Sie hatte ihre Aufmerksamkeit jetzt darauf gerichtet, sichtlich verwirrt. „Aber wie können diese sich entscheiden, eins zu werden? Sie können einander doch überhaupt nicht halten ...”
In unser aller Wahrnehmung waren Gestein und das stumpfe Material, ihr filigranes innerstes Gefüge - hätten dessen äußerste, lose Enden versucht, die des jeweils anderen zu greifen und zu halten, wäre das ebenso wenig gelungen wie ... Im Geist der Erdvolk-Gesangshüterin blitzte der Eindruck des Ersten auf, der einem Taelon gegenüber stand, voller Zorn in dessen Augen blickend, in denen nur Verachtung war. „Vermittelndes ... es braucht Vermittelndes ...” Eine Unzahl Bilder wirbelte durch ihren Geist wie trockene Ph'taalblätter im heißen Wind einer zu Ende gehenden Warmphase. Eines davon war das der verschlungenen Form aus dem rötlich-grünen Material, das sie aus den Gußkristall-Scherben gesungen hatte.
Und ihre Augen wurden weit.
Sie gab mit sämtlichen Stimmbandpaaren und den Resonanzsehnen einen Laut von sich, als öffne sich irgendwo in der Tiefe ein Spalt, der bis in die Feuer des Inneren reichte.
Und dann verlor sie ihre physische Gestalt.
Da waren nur Grau, tiefes Rot mit sanftem grünlichem Schimmer und mattes Silber ... und Rot dehnte sich aus, streckte sich, griff nach Silber und Grau und packte zu ... „Hitze ...” erklang die Stimme derer aus dem Dunklen in uns allen. „Hitze ... es braucht die Feuer ... die Feuer derer auf dem Weg ...”
Flammendweiß war da, der Feuervolk-Angehörige hatte ein solches entzündet ..
Und Grau/Rot/Silber ging damit in Kontakt.
Hitze, Druck, Grelle ... und etwas grenzenlos Ekstatisches ... Festes wurde flüssig ... und zwei - nein drei - wurden - eins ...
und wieder fest ...
Und im Festwerden ein flüchtiges Bild: ein Taelon, ein Jaridian und schwingendes, kreisförmiges Blau ... und der Kreis war - offen ...
Die aus dem Dunklen saß da, strahlend, ihre tiefrote Energie, die uns alle umhüllte, pulsierend in schierer Kraft. Sie hielt die Klauenhände ausgestreckt, und in ihnen ruhte ein glatter, silbrig glänzender Klumpen, von hauchfeinen rötlichen Äderchen durchzogen.
Trevak, der aus den Feuern und ich berührten ihn gleichzeitig, sehr behutsam. Und für den Bruchteil eines Augenblicks war das Gesicht des Gefährten der Zweiten überlagert von sehr viel älteren Gesichtszügen, und in beiden freundlichen Augenpaaren lag das gleiche Leuchten.
„Das ist es.”
Unser gesamter Kreis hatte mit einer Stimme gesprochen.
„Trevak, Dein Urahn hat immer noch Recht behalten”, ließ die Gesangshüterin des Volkes im Dunklen ihn und uns wissen. „Der einzige Werkstoff, der das, was gebraucht wird, wirklich auf Dauer aushält, ist virtuelles Glas - das darüber hinaus sehr viel präziser arbeiten wird als das, was hier entstanden ist - aber das hier ist der Anfang - daraus läßt sich eine zuverlässige Kollektorfläche herstellen, die einige Umlaufzyklen lang halten wird - auch unter Vollast.”
Sie glühte immer noch - vor purer Freude. Nässe stand auf ihrer Haut, als habe sie für ihren halben Stamm allein eine neue Höhle gesungen, aber sie strahlte ... „Ich danke Euch ... ich danke Euch so sehr ...” Das war ebenso an uns gerichtet wie an Jaridia und an das Ganze. „Danke dafür, daß ich wirklich verstehen durfte ... Formsingen aus dem Innersten ... aus dem Ganzen heraus in das Ganze ...”
Auf dem Pfad, auf dem wir uns hintereinander und sehr, sehr achtsam vorgearbeitet hatten bis zu der Stelle, an der wir im Kreis saßen, konnten ab jetzt voraus zwei von uns nebeneinander gehen ...

Atem und Herzschlag der Erdvolk-Gesangshüterin gingen immer noch sehr schnell, und die ekstatische Hitze, die sie abstrahlte, wärmte und stärkte uns alle. Sie selbst schien durch den Kraftakt, den sie vollbracht hatte, nicht im mindesten erschöpft ... „Es war nicht meine Energie, die das geschafft hat”, meinte sie, und Staunen war in ihr. „Es war die des Ganzen ... es war, als hätte ich nur - das Ganze gebeten um das, was gebraucht wurde ... ich habe es ihm gezeigt, und es hat es gut geheißen - und dann ... dann hat es mich gebraucht, so, wie Ihr aus den Feuern Eure - Eure Werkzeuge gebraucht, und das war mit das Schönste, was ich je erfahren habe in meinem Leben ...”
„Jetzt sind wir einen entscheidenden Schritt weiter ...” Trevak hatte ihr den Klumpen Material behutsam abgenommen und hielt ihn seinerseits in den Händen, ihn genau betrachtend und mit den Fingerspitzen darüber streichend. Dann schaute er die aus dem Dunklen an, voller Bewunderung und Begeisterung und dem plötzlichen, inständigen Wunsch, so etwas auch zu können ... sich so - verbinden zu können, daß Lösung ihm von ganz allein gelinge ... daß er die Gefüge all dessen, womit er umging für die Seinen, einfach entstehen lassen und formen konnte, so, wie sie es tat ...
„Trevak, das kannst Du doch längst.” Sie strahlte ihn an. „Du verbindest Dich mit dem Ganzen, wann immer Du auf Deine Weise in die Ordnung schaust und in Deiner Sprache, der Sprache der Zahlen, Zeichen, Formeln und Gleichungen davon singst ...”
Ehe der Gefährte der Zweiten darauf antworten konnte, flammte plötzlich ein schmales, grellgelbes Band, verbunden mit vertrautem Geräusch, im Kreis auf. Der Anführer zog das Gerät, das es von sich gab, aus einer seiner Taschen und klappte es auf.
Auf dem Bildschirm sah man die winzige Darstellung einer rötlichen Sonne, zweier sie umkreisender Planeten und eine gigantische Flotte jaridianischer Kampfschiffe sämtlicher Klassen, vor allem schwere Sokhara-Kreuzer.
Und nicht ein einziges Taelon-Schiff.
Nicht einmal ein Shuttle.
Nichts.
Der Gefährtin des Verwalters gelang es nicht, die Begeisterung über das Gelingen dieses ungewöhnlichen Einsatzes aus ihrer Stimme heraus zu halten.
„Manöver erfolgreich - ich wiederhole, Manöver erfolgreich abgeschlossen. Die in dieser Region stationierten gegnerischen Kampfverbände haben das umstrittene Gebiet fluchtartig verlassen. Es gelang zuvor, einige der zugehörigen Einheiten mit Haft-Fernsensoren zu versehen, was unter anderem ermöglichte, die Kommunikation innerhalb des Mutterschiffes abzuhören - die photonische Beschaffenheit unserer Angriffsflotte ist ihnen nicht einmal für den Bruchteil eines Augenblicks aufgefallen, ihre Sensoren sind unseren Signaturenverzerrern nicht gewachsen. Das einzige ausgegebene Kommando seitens des Taelon-Befehligenden war der unverzügliche, möglichst geordnete Rückzug in die Interdimension - der angeordnete Zielpunkt liegt mitten in taelonischem Territorium. Der gesamte Vorgang ist aufgezeichnet, die Haftsensoren wurden bislang ebenfalls nicht entdeckt, und was sie senden, wird ebenfalls laufend registriert - die Daten sind sehr aufschlußreich ... Ich werde in dieser Region hier, dem Protokoll folgend, noch für vier weitere Zeiteinheiten patrouillieren und erwarte dann weitere Befehle.”
„Sehr gute Arbeit - und den Folgebefehl erteile ich gleich jetzt - nach Ablauf der vier Zeiteinheiten sind im Orbit beider Planeten je zwei gegenläufig positionierte Fernwächter zu installieren, und im Anschluß daran könnt Ihr den Rückflug antreten. Das hat wirklich ausgezeichnet funktioniert!”
„Danke sehr. Folgebefehl wird nach angegebener Zeit ausgeführt.”
Der Bildschirm wurde grün, aber bevor der Erste das Gerät deaktivieren konnte, gab es erneut grellgelben Alarm von sich, in einer geringfügig anderen Tonart. Eine andere Planetenkonstellation füllte den kleinen Bildschirm, ein Doppelsonnensystem, umkreist von insgesamt sechs Welten, von denen alle bis auf eine mehrere Monde hatten. Auch hier hing drohend eine Unzahl jaridianischer Schiffe, und kein einziges der Taelons war zu sehen.
„Manöver erfolgreich, ich wiederhole, Manöver erfolgreich ...” Erneut eine weibliche Stimme, die sehr jung klang und sehr atemlos. „Ich konnte keine Vorabmeldung machen, es bestand Gefahr, die Aktion vorzeitig zu verraten - ich mußte den Taelons sehr nahe kommen, bevor ich die Emitter einsetzen konnte, die Strahlung in diesem System wirkt als Störfaktor. Ich habe zunächst getarnte Sensoren auf sie losgelassen, die anhaftenden haben sie bis jetzt noch nicht bemerkt ... Zwei ihrer Schiffe haben, ohne ein Kommando abzuwarten, zu feuern begonnen ... ich mußte die geplante Angriffssimulation beginnen ...”
Der Anführer war alarmiert.
„Keine Seite hat tatsächliche Treffer abbekommen”, erklärte die junge Einsatzleiterin. „Sie waren in der Interdimension, bevor auch nur eine der simulierten Energieentladungen hätte auf das befehligende Schiff fokussiert werden können ...” „Sehr gut gemacht.” Dem Anführer war nicht bewußt, daß er zitterte. „Verfahrt nach Standardprotokoll, plaziert Fernwächter, so gut das in diesem System möglich ist, und dann kommt zurück.”
„Befehl verstanden - wird ausgeführt.” Der Bildschirm des Gerätes wurde grün.
Der Erste Jaridias war zittrig und schwach vor Erleichterung.
Dieser unglaubliche Plan war aufgegangen ...
Der Einsatz war für die beiden Kreuzer, die losgeflogen waren, wirklich gefährlich gewesen - hätten die Tarnung, die Signaturen-Verzerrer oder die Holo-Emitter versagt, wäre keines der Schiffe zurückgekehrt ... und diese undurchschaubare Bedrohung hätte weiter bestanden...
Wir hüllten ihn in unsere Energien, und die Seinen ließen ihm Shaqarava zufließen, und dieses Mal ließ er sich das dankbar gefallen. „Wir haben sie vertrieben, ohne daß es ein einziges Leben gekostet hat ... das hat etwas von einem Wunder ...”
„Kein Wunder ... eine Kriegslist.” Das war der Verwalter, den ich noch nie so entspannt und zugleich begeistert erlebt hatte wie in diesem Moment. „Eine Kriegslist ... die unsere gesamte Taktik verändern wird ... die wir radikal werden umstrukturieren müssen, wenn wir den neuen Wegen folgen wollen ...”
Der Erste atmete tief auf. „Du hast Recht ... ein erster Schritt zu neuen Strategien ...”
Etwas um uns hatte sich erneut verändert - wir saßen nicht nur auf festem, solidem, undurchsichtigem Untergrund, sondern der Weg, der davon weg führte in Richtung des fernen Lichtes, hatte sich erneut verbreitert ...

Des Anführers Freude über das Gelungene wurde wieder überlagert - überlagert durch erneute Besorgnis, die sein Licht wie eine Wolke trübte. „Da kommt noch einiges auf uns zu ... die Unseren von der Notwendigkeit neuer Strategien zu überzeugen - Strategien, die eben nicht, wie bisher, auf Vernichtung ausgelegt sind, sondern auf - auf deren Vermeidung; auf Ermöglichen neuen Verhandelns und letztendlich darauf, getrennte Koexistenz oder sogar eine Vereinigung mit den Taelons zu ermöglichen, wird ein hartes Stück Arbeit ... ganz abgesehen davon, daß unsere Gegner von all dem immer noch nichts wissen ...”
Ich spürte in das hinein, was er sagte. Er hatte Recht ...
Was würde einen Jaridian, der in den Taelons nur Feinde sah, überzeugen können, sie zu verschonen? Wenn es Ehre bedeutete, sie zu vernichten? Die geänderte Sachlage - der bevorstehende Abschied Jaridias und die Kraft, die es in die Erhaltung der Jaridians durch Evakuierung ihres Planeten zu investieren galt? Die berechtigte Hoffnung auf eine Zukunft für seinen Nachwuchs, wenn es für die Taelons dank des Tachyon-Konverters keine Notwendigkeit mehr bestand, sich den Rest der Galaxis untertan zu machen?
Was hatte die Zweite, die es bereits gewagt hatte, vom Weg der Vereinigung wirklich überzeugt?
Das, was sie auf diesem Weg erfahren und erlebt hatte ...
Die Jaridians hatten doch Aufzeichnungen davon gemacht, aus allen nur denkbaren Perspektiven ...
Auf denen das Entscheidende fehlte.
Das, was sie gefühlt hatte ... den abgrundtiefen Schmerz in dem Wesen, das sie nicht mehr als Feind sehen konnte, nur noch als jemanden, der Heilung brauchte, unbedingt ... und sie hatte eingesetzt, was er nie besessen hatte - ihr Shaqarava ... und hatte ihn damit geheilt, wie er sie geheilt hatte, in der Ekstase des Einswerdens ...
Vage wurde ich mir dessen bewußt, daß sämtliche Jaridians und die Meinen ihre Aufmerksamkeit auf mich gerichtet hatten. Ich fühlte die unterschiedlichen Schwingungen, die von ihnen ausgingen, fühlte sie in mir ...
Warum konnte man das nicht aufzeichnen?

Licht und Klang waren Schwingung, und die Jaridians zeichneten sie auf und bewahrten sie ... im Grunde war doch alles, wirklich alles Schwingung in jeweilig spezifischer Frequenz ... Sie bewahrten sie in Kristallen, als hätten sie diese mit all diesen Frequenzen geprägt, so wie wir die Nanokristalle für die Zhawi geprägt hatten mit der CVI-Eigenfrequenz oder wie die, die uns trug, geprägt hatte, woraus sie bestand ... In mir war ein Bild, wie die Zweite einen dieser flachen Kristalle an sich drückte, singend von dem, was sie erlebt hatte - aber die Jaridians beherrschten diese Art des Prägens nicht, sie taten es anders, mit ihren Geräten ... warum gab es kein Gerät, das Schwingungen im Inneren eines Wesens aufzeichnete, wenn dieses etwas fühlte? Damit ein anderes Wesen, das die gleiche Erfahrung machen wollte ... schließlich wären ja kaum alle Jaridians zum Kontakt mit uns bereit, und die Taelons schon gar nicht ...
Weiß-Violett berührte mich, hochfrequent vor Ungeduld - Trevak und der Heiler, reine, fokussierte Konzentration.
„Etwas ähnliches wie das, was Du beschreibst, gibt es bereits”, sagte der Heiler. „Wir verwenden es, um die Körper- und Hirnfunktionen eines der Unseren aufzuzeichnen, der nach einer Verletzung das Bewußtsein nicht wieder erlangt ... und um damit Auskunft über Lokalisation und Ausmaß von Verletzung im Inneren, vor allem im Inneren von Hirn- und Nervengewebe zu gewinnen - es ist eine spezielle Variante eines medizinischen Scanners ...”
„Kristall besitzt, je nach Molekularstruktur, Speicherkapazität für Daten jeglicher Art, die wir bisher nicht einmal bruchteilhaft nutzen ...” Das war Trevak. Beide Jaridian schienen durch meine Augen direkt in meinen Geist zu schauen, und ich öffnete ihnen meine Gedanken, so weit ich es überhaupt vermochte - und plötzlich war es, als formten innerhalb unserer Verbindung miteinander, mit Jaridia und mit dem Ganzen wir drei ein eigenes Ganzes, das als solches funktionierte - offen und durchlässig für alles andere - und eins ...
Und ungeordnet gaben wir alles in die Berührung, was an Bildern und Gedanken aufstieg ...
Ein Eindruck von mir, mit so einem Scanner versehen, der aus zwei Anteilen bestand - einem kleinen runden Permanentscanner, wie wir ihn auf dem Kreuzer getragen hatten, auf der Brust haftend, und etwas, das aussah wie ein Stück silbriges Bekleidungsmaterial auf dem Kopf, beide Anteile waren über eine Art gleichfalls silbriger Schnur miteinander verbunden, in deren Mitte sich ein eckiges grünes Etwas befand, von dem eine weitere Schnur wegführte, ebenfalls grün. Dann war das silbrige Stück Bekleidungsmaterial im Kreis, das gar nicht aus solchem bestand, sondern aus etwas Glattem, Hartem - aus flachen, dünnen, miteinander verbundenen Kristallplättchen ... „Wir experimentieren mit unseren komplexesten Datenkristall-Versionen und haben eine Form ausgearbeitet, die rein kristallin ist, ohne metallene Verbindung zwischen den einzelnen Platten - letztere greifen direkt ineinander, was sowohl die Flexibilität als auch den Tragekomfort und vor allem die Leitfähigkeit deutlich erhöht hat - es existieren bereits mehrere Prototypen davon, wir hoffen, damit Zugang zu unterbewußten Schichten des Gedächtnisses in einem Individuum zu erlangen ...”
„Es gibt Verletzungen und Schockzustände, die dafür sorgen, daß ein Wesen sich nicht mehr erinnert - nicht an das, was es verletzt hat, häufig nicht an die Zeit davor oder unmittelbar danach - und manchmal nicht einmal mehr daran, wer und was es ist ...” gab der Heiler in die Berührung. „Wenn diese Tiefenscanner funktionieren, könnte man den Betroffenen vielleicht die gesamte verlorene Zeit wiedergeben, indem man ihnen das aus ihrem Unbewußten Geborgene und Aufgezeichnete zeigt ...”
„So machen wir es.” Der Gefährte der Zweiten war von Weiß-Violett umgeben und hatte bereits mehrere Schritte voraus gedacht. „Die Kristallschicht so eines Tiefenscanners ist zunächst einmal inert. Unser großer Vorteil ist, wir würden hier mit einer Probandin arbeiten”, - er meinte mich - „die nicht nur bei Bewußtsein ist, sondern aktiv und hochmotiviert an dem Experiment mitwirkt ... Das Einzige, was sie tun müßte, ist, den Scanner zu tragen, der natürlich in den Aufzeichnungsmodus geschaltet sein muß, sich zu konzentrieren und sich an etwas zu erinnern ...”
Der Heiler war von Trevaks Begeisterung angesteckt. „Und wenn die Aufzeichnung vollendet ist, brauchen wir jemanden, an dem sie getestet wird - und zwar im Sinne einer eigenimpulsüberlagernden Direktübertragung ...” Ich sah ihn, wie er mir die beiden Scannerteile abnahm, einen Schalter an dem eckigen Verbindungsteil - ‚Module’ war der Begriff für die einzelnen Anteile des Gerätes - betätigte und den kompletten Scanner an sich selbst befestigte.
Die Vorstellung, die er und Trevak von dem gesamten Vorgang hatten, war, daß ich, durch die Schwingungen, die mein Körper und vor allem mein Denkgewebe abgaben, das, was ich gerade dachte, auf den Kristall auf meinem Kopf und in die Aufzeichnungseinheit des Brustteils dieses Tiefenscanners prägen würde - und das dieses Eingeprägte, vorausgesetzt, man verstärkte dessen Schwingungen mittels eines Zusatzgerätes so, daß sie die Schwingungen dessen, der es erfahren wollte, überlagerten - diesem dann erschien, als erlebe er, was ich gedacht hatte ... fast, als sei er in Kontakt mit mir ...
Aber im Kontakt ‚überlagerte’ man einander doch nicht ... Schwingung kam mit Schwingung in Berührung, und alles wurde gesehen, gefühlt, gehört, wahrgenommen - nichts schob anderes endgültig fort, auch wenn manches durch seine Intensität danach drängte, zuerst Aufmerksamkeit zu bekommen ... „Der Vergleich ist recht gut”, meinte der Heiler. „Die Überlagerung sorgt eigentlich nur dafür, daß die Impulse des sendenden Tiefenscanners mehr Aufmerksamkeit erregen bei dem, der ihn trägt, als die Impulse aus dessen eigenen Gedanken - es ist nur eine Art Konzentrationshilfe, die Ablenkendes ausblendet ...”
Ganz wohl war mir bei der Vorstellung, ein Wesen habe etwas an sich, das stärker war als es selbst und dessen Gedanken und Wahrnehmung bestimmte, nicht, und ich brauchte eine Weile, bis mir klar war, warum. „Irgendwie erinnert mich etwas daran an das Konzept eines CVIs ...”
„Das verstehe ich sogar”, antwortete der Heiler. „Aber es ist wirklich etwas anderes - die drei wichtigsten Unterschiede bestehen darin, daß erstens niemand so einen Tiefenscanner benutzen muß - jeder, der bei Bewußtsein ist, kann sich frei entscheiden, ob er ihn angewendet haben will oder nicht. Zweitens weiß jeder, der sich darauf einläßt, exakt, um was es geht - es wird ihm sehr genau mit allen Vor- und Nachteilen erklärt - und drittens wirkt so eine Aufzeichnungs- / Wiedergabeeinheit in einem Tiefenscanner nicht permanent, sondern sie zeichnet auf, gibt das Aufgezeichnete wieder und kehrt in den inerten Zustand zurück - wann immer man die Erfahrung des Aufgezeichneten wiederholen will, muß man sich selbst aktiv dafür entscheiden - man muß entscheiden, ob man das Gerät anlegen will, ob man es aktivieren will ... Gut, bei tatsächlich ausreichender Überlagerung - und nur diese würde ein wirklich intensives Erleben garantieren - kann man während der Wiedergabe das, was man erlebt, nicht unterbrechen, weil man fest darin eingebunden ist und den Impuls des Beendens nicht verspürt. Aber wenn die Aufzeichnung zuende ist ...”
Ich hatte verstanden, was er meinte, aber es blieb eine diffuse Unsicherheit zurück. „Das liegt nur daran, daß er”, - Trevak wies über die Berührung auf den Heiler - „gerade in fast reiner Theorie gesprochen hat - so weit, wie er es darstellt, sind wir längst noch nicht, und das, was uns hier vorschwebt, die Aufzeichnungen authentischen Erlebens oder Erinnerns eines Lebewesens und die Weitergabe derer an ein anderes, das sie dann im Überlagerungsmodus abspielt, dadurch in identische Schwingung versetzt wird und empfindet, was das aufzeichnende Wesen erlebt und empfunden hat, haben wir noch nie versucht ...”

 

Ende von Kapitel 39

 

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