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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite),   Juli 2002
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Prüfung / Nichtgeteiltes Leid
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Aveena, der Verwalter, dessen Gefährtin, Jaridia selbst , die Gesangshütenden des Erd- und Wasservolkes, der auf dem Weg
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 26

 

Ich stand vor ihm und hielt ihm erneut beide Flügelhände hin. „Prüfe mich”, bat ich ihn. „Du bestimmst den Kontakt, Du berührst mich, und ich halte still. Schau in meinen Geist, in meine Gedanken ... Du kannst überall hin gehen, ich werde nichts tun. Euer Anführer hat gesagt, Du hattest Kontakt mit den Elarian?” Er vollführte eine bestätigende Geste. „Dann weißt Du, daß ich Dich nicht willentlich belügen kann in dieser Form der Kommunikation ... nur das, was ich selbst in Gedanken nicht präsent habe, weil es vergessen oder verdrängt ist, wirst Du nicht direkt wahrnehmen können. Wenn Du das Gefühl hast, es verberge sich etwas Wichtiges, dann kannst Du Dir - und mir - Zugang dazu verschaffen, indem Du verschiedene mögliche dort hin führende Gedankenstränge ausprobierst, so lange, bis es sich öffnet ...”
Seine Energie hatte sich deutlich zusammen gezogen bei dem, was ich ihm sang, und es war spürbar, daß im Moment sein Verstand wieder die Oberhand hatte - überlegend, ob die dargelegte Vorgehensweise ein brauchbares Werkzeug zur Überprüfung meiner Verläßlichkeit wäre. „Du bestimmst den Kontakt ...” wiederholte ich.
Bei dem Gedanken, ich könnte tatsächlich etwas in mir tragen, was den Jaridians schaden könnte, wurde mir elend. „Prüfe mich ... und wenn Du Recht hast und ich bin den Deinen Gefahr, dann tu, was Du tun mußt.”
Jetzt war er überrascht. „Du scheinst Dir Deiner ja sehr sicher zu sein ...” „Ganz und gar nicht”, sagte ich, selbst spürend, wie verkrampft meine Stimme klang. Er schaute mich von oben bis unten an. „Ich brauche Sicherheit für die Meinen ...”
Und dieses Mal nahm er meine Flügelhände.
Ich öffnete ihm meinen Geist.
Rückhaltlos.
Er begann zu suchen.
Nach Taelon-Energie, die er nicht fand. Er fand nur das Engramm, das er gründlicher und sorgsamer untersuchte, als es sogar der Heiler getan hatte ... „Das schadet nur Dir ... dem Imperium kann es gleich sein, ob Du ißt oder stirbst ...” Er suchte nach Implantaten, Suggestionen, technischen Gerätschaften, Krankheitserregern, Giften ... nach allem, was ihm an Taelon-Methoden bekannt war, einen Geist zu beeinflussen, im Sinne und zum Wohle der Taelon zu handeln - und fand nichts.
Er durchstreifte meine Erinnerungen ... an unsere Ankunft hier, an den ersten Kontakt mit dem Anführer ... an den ersten Kontakt mit ihm ... Zorn und Verzweiflung legten sich in ihm, und seine Berührung wurde sanfter.
Ich hielt still. Ich mußte alle Kraft zusammen nehmen, um nicht zu ihm hin zu fühlen und auf die unterschwellige Not zu reagieren, die immer noch spürbar war ... irgend etwas war überhaupt nicht in Ordnung mit ihm, und ...
Ich hielt still. Er durchwanderte meine Vergangenheit ... meine Arbeit mit dem Sprecher, das erste Mal, daß ich von der Energie der Komplexschwingung bewohnt war - meine blanke Panik und Verzweiflung darüber, was dadurch beinahe aus mir geworden wäre ... er griff von dort aus auf unsere Arbeit hier zu, an der er selbst im Kontakt beteiligt gewesen war. Und spürte meine Abscheu vor mir selbst, als ich mich in den Augen des Anführers gespiegelt sah und nur noch wünschte, es solle jetzt sofort ein Ende haben ... Mir wurde sehr kalt dabei, und das aufsteigende Zittern ließ sich nicht unterdrücken ... zurück, weiter zurück ... meine Zeit in der Behausung, die die Taelons auf unserem Planeten errichtet hatten ... und mein allererster Kontakt mit einem Taelon überhaupt ...
Je tiefer der Verwalter in meine Erinnerungen eintauchte, desto mehr ließ sein Zorn nach. „Sie sind krank ... für Euch sind sie krank ...” Er war überrascht und verwirrt zugleich. Er spürte meinem Wunsch von damals nach, die klaffende Leere in Mit'gai mit meiner Energie zu füllen. „Wie Du es für einen der Deinen getan hättest ... oder für jemanden von uns ...”
Kein Zorn mehr, aber Not wurde stärker ...
Ich hielt still.
Die Szene tausender von uns, um die Behausung seiner Feinde versammelt. Unser Angebot an sie, ihren Krieg aufzugeben und in uns ein neues Brudervolk zu finden ...
Und ihre Ablehnung. Das Bild in Da'ans Geist - eine endlose, sterile Wüste von Horizont zu Horizont ...
Und dann ein völlig anderer Eindruck - ich selbst, hoch in der Luft tanzend, zusammen mit unzähligen der Meinen, mit allen Stimmbändern singend, Sturm und Dunkelheit rufend ... kraftvoll, lebendig und nur von dem Wunsch erfüllt, das Verhängnis von unserer Welt abzuwenden ... Ich schauderte bei dem Gedanken daran, wieviel Leben damals genommen wurde, in Feuer, Sturm und Dunkelheit. „Eure Verluste waren so viel höher als ihre ...” Der Verwalter war fassungslos. „Ihr habt sie nicht einmal damals vernichten wollen - Ihr habt einfach nicht damit gerechnet, daß jemand so undenkbar vermessen sein könnte, bei solchem Unwetter fliegen zu wollen ...”
Etwas in ihm ließ los, und das Dunkle, Schmerzvolle, das die ganze Zeit da gewesen war, wurde so intensiv spürbar, daß ich mich vollkommen verkrampfen mußte, um meine Reflexe zu unterdrücken. „Du hast nie gegen uns gestanden”, brachte er hervor. „Für Dich sind die Taelons krank, so wie für Euch alle, und Du hast sie heilen wollen, so, wie Du ... meine Gefährtin geheilt hast ... was habe ich getan ...”
Jetzt war er derjenige, dessen Beine nachgaben, und alles in mir reagierte auf ihn, meine Tiefensinne öffneten sich und ich stützte seine Energie mit der meinen, ohne auch nur noch den Bruchteil eines Augenblicks zu zögern. Ich war mit ihm am Boden und hielt ihn fest zwischen den Flügeln, aus dem wirbelnden grau-roten Strom dessen, was jetzt völlig ungeordnet in der Berührung war, nur ab und zu ein klares Bild auffangend ...
Es hatte nie einen Anschlag gegeben.
Was hatte der aus den Feuern gesagt? „Jemand hat die Ordnung verletzt, um die Ordnung wahren zu helfen ...”
Der Verwalter Jaridias hatte uns im Innersten nie wirklich vertraut. Etwas in ihm, das noch viel tiefer ging als der Zorn auf die Taelons wegen seiner Gefährtin, hatte ihn Abscheu empfinden lassen vor unserer Arbeit hier, bei der es um Taelon-Energie ging, selbst nach der Erfahrung mit der Zweiten ... und was immer das war, es war so stark geworden, daß er sich zum Handeln gezwungen sah. Die anderen Führenden des Imperiums waren uns offenbar regelrecht verfallen - in seiner Wahrnehmung zweifelten sie nichts mehr an, was wir sagten oder taten - oder schienen uns zumindest vollkommen zu glauben, daß wir nur das Beste für Jaridia wollten, aus welchen seltsamen Gründen auch immer ... Und in ihm entstand der Plan, uns vier einem ultimativen Loyalitätstest zu unterziehen - wie würden wir handeln, wäre wir die Einzigen, die Gefahr für die Seinen abwenden könnten? Stünden unsere eigenen Leben dabei auf dem Spiel, würden wir dann überhaupt noch an die Jaridians denken - oder feige nur an die eigene Sicherheit? Oder würden wir, als Wesen, die nur vorgaben, Jaridia gut zu sein und in Wirklichkeit mit irgend einem verräterischen Taelon-Plan hier unterwegs waren, die gebotene Möglichkeit nutzen, um dem Imperium schweren Schaden zuzufügen?
Er war derjenige, der die tödlichen Waffen im Beratungsraum angebracht hatte - er allein. Er hatte dafür gesorgt, daß keiner der Seinen tatsächlich in Gefahr geraten konnte - indem er seine Befugnisse genutzt und weit außerhalb des Gebäudes eine groß angelegte Schlachtübung angeordnet hatte, an der teilzunehmen alle verpflichtet waren, die innerhalb des Hauptkommandos und dessen Umkreises arbeiteten - dies galt sogar für die Zweite und den Anführer, die derartige Übungen zumindest zu Beginn zu koordinieren hatten ... und er hatte mit dem Hinweis auf „automatische Wartungsarbeiten” die drei obersten Stockwerke des Gebäudes für sämtliche Lebewesen gesperrt. Der tödliche Dunst, den das Taelon-Geschöpf in sich barg, hätte sich im Falle unseres Versagens im Freien so rasch verteilt, daß er niemandem Gefahr geworden wäre, und der Staub auf dem Bildschirm konnte nur innerhalb des Raumes bei direkter Berührung wirksam werden ... Die Sprengkraft der Bombe hätte das Stockwerk, in dem sich der Beratungsraum befand, verwüstet - und darin hielt sich niemand auf außer ...
Hätten wir versagt, wäre die tödliche Gefahr eines furchtbaren Verrats von Jaridia abgewendet gewesen - allein unser Versagen wäre dem Verwalter - und nach seinem Bericht an die übrigen Führenden wohl auch diesen - Beweis genug gewesen für das Vorliegen versuchten Verrats. Vernichtet worden wären nur wir vier. Und welcher Plan seitens der Taelons auch immer dahinter gesteckt hätte - er wäre gescheitert ...
An unsere Welt hätte man eine Note des Bedauerns über einen nicht aufklärbaren Anschlag geschickt, verbunden mit der Mitteilung, an Handel und Austausch bestünde kein weiteres Interesse mehr.
„Was habe ich getan ...” Zwischen meinen Flügeln war nur noch Grau, durchzogen von einem sehr dünnen roten Faden, und irgendwo war das, was mir diesen Schmerz im Kopf verursachte, der sich lästig in den Vordergrund schob. Ich hatte überhaupt noch kein eigenes Gefühl zu dem, was ich hier erfuhr, ich spürte nur den Schmerz des Verwalters ... Ich war nicht einmal in der Lage, ihm Fragen zu stellen, ich konnte ihn nur halten und ihm Energie zufließen lassen, auf Schmerz reagierend, der sehr tief wurzeln mußte, um so etwas wie das hier hervor zu bringen ...
Ich konzentrierte mich kurz auf die Quelle des Unbehagens in meinem Kopf, um dieses entweder abzustellen oder so weit fort zu schieben, daß es hier nicht störte, und erkannte erstaunt, daß es das Engramm war, das ich spürte ... und das in Resonanz war mit etwas ... mit etwas, das zu dem Jaridian gehörte, den ich zwischen den Flügeln hielt.
Ich tastete behutsam über die Tiefenwahrnehmung danach, gleichzeitig um Erlaubnis fragend, das Verborgene berühren zu dürfen, um es zu verstehen und richtig darauf reagieren zu können. Der Verwalter gab einen erstickten Laut von sich und machte Anstalten, sich aus dem Kontakt zu winden. Ich ließ ihn sofort los und öffnete die Flügel, und er rückte von mir ab, blieb aber auf dem Boden hocken und starrte mich an. „Was willst Du - mir helfen? Wobei? Zu tragen, was ich Dir - Euch - gegenüber zu verantworten habe? Ich verstehe Dich nicht ...” Ich hielt mir den Kopf. „Ich will, daß es aufhört zu schmerzen ... Du berührst mich nicht einmal mehr, aber die Resonanz ist sehr stark ... ” „Ich habe Dich verletzt?” Er ballte die Hände zu Fäusten, und in seinem Gesicht stand der Schmerz, den ich fühlte. Dann kam er mühsam auf die Füße. „Es tut mir leid ... Ich habe getan, was ich für die Meinen für das Richtige hielt, und ich habe furchtbar versagt ... Ihr werdet bei der Urteilsfindung mitsprechen, wenn ich mich vor den Richtenden des Imperiums zu verantworten habe. Berichte den Deinen, was ich getan habe, und lasse sie wissen, ich habe keine Gnade verdient.”
Er wandte sich ab, um die Höhle zu verlassen, und durch den Boden unter meinen Füßen nahm ich die Intensität seiner Verzweiflung wahr. Resonanz dröhnte in meinem Schädel, und dann blickte ich plötzlich in jemandes kalte blaue Augen - so kalt wie die meinen damals, gespiegelt im Blick des Anführers - und ich wußte, es war aus ... keinerlei Gnade ...
Ich krümmte mich am Boden, den Kopf zwischen den Flügeln, Augen und Ohren fest verschlossen, aber weder der kalte Blick verschwand noch die Resonanz des Engramms ... „wertlos ... laß es, hier gibt es nichts, das für uns von Wert wäre ...” Das hier gehörte nicht zu mir, es gehörte zu ihm, zu dem Verwalter, und es schmerzte über jedes erträgliche Maß hinaus ...
Eine Berührung an meiner linken Schulter. „Ich kann sie nicht einfach so hier liegen lassen... ich rufe diesen Heiler her, der sie kennt ..” Der Verwalter legte mir eine Hand in den Nacken, mit vorsichtig aktiviertem Shaqarava. Der Kontakt verstärkte die Resonanz ein letztes Mal - und in dem Blau, das um mich aufflammte, erkannte ich endlich, worauf das Engramm, das ich trug, so sehr reagierte - auf ein anderes ... auf das des Jaridian, der mich berührte.
Meine Energie strömte gegen unser beider Schmerz, und ich rang um Atem, um für uns beide singen zu können, brachte aber keinen Ton heraus ... Der Verwalter hielt den Kontakt. „Bitte ...” ließ ich ihm zufließen, „bitte, hilf mir, es zu verstehen ... ich weiß nicht, was ich tun muß, damit es aufhört ...” Er kämpfte mit sich. „Ich sollte weg gehen von Dir ... ich mache alles nur noch schlimmer ... ich rufe den Heiler ...” „Nein ...” Ich wußte instinktiv, daß dieser hier nichts würde ausrichten können. „Wenn ich es verstehe, wird es leichter ... dann habe ich den Atem, zu singen ... bitte ...”
Und schließlich gab etwas in ihm nach. „Dann tu, was Du tun mußt ...” Ich konzentrierte mich, so gut es ging, erneut mit offenen Tiefensinnen auf ihn, auf das, was mit dem Engramm in mir in Resonanz war. Auf das, was ihn geprägt hatte ...
Auf eine Erinnerung
Auf die furchtbarste Erinnerung, die ich je mit einem Wesen geteilt hatte ...
Er war ein winziges Nichtflügges seines Stammes, nicht einmal imstande, sich selbständig fortzubewegen oder sich gezielt in der Sprache der Flüggen - nein, der Erwachsenen - zu verständigen, und er war unterwegs mit der, die ihn auf die Welt gebracht hatte - in einem großen Frachter, der, beladen mit Rohstoffen von einer Kolonie auf einem Planeten dicht hinter der Front, den die Jaridians den Taelons abgejagt hatten, nach Jaridia unterwegs war. Die Taelons waren nicht bereit, den Verlust dieser Welt einfach hinzunehmen, es wurde immer noch darum gekämpft ... und der Frachter geriet in einen Hinterhalt, wurde beschossen und schwer beschädigt und, als er antriebslos im All hing, vom Flaggschiff des Kampfverbandes, der ihn angegriffen hatte, aufgebracht. Wesen in Kampfanzügen stürmten ihn und feuerten mit ihren Energiewaffen auf alles, was sich noch regte - auch auf die weibliche Jaridian, die, ein Junges mit ihrem Körper schützend, vor ihnen floh ...Das Junge wurde fortgeschleudert, als eine tödliche Ladung sie in den Rücken traf, und blieb in einiger Entfernung regungslos im Gang liegen, die weit offenen Augen auf ihren zu Asche werdenden Körper gerichtet.
In dem Nichtflüggen gab es nichts mehr außer absoluter Angst. Es lag vollkommen erstarrt da, unfähig, sich zu rühren, einen Laut von sich zu geben oder auch nur zu atmen. Zu dem Wesen im Kampfanzug, das sich, achtlos in die Asche am Boden tretend, langsam den Gang entlang bewegte, gesellte sich ein zweites, das ganz anders aussah - es trug eine Waffe, aber keinen Schutzanzug, es war blauhäutig und bewegte sich seltsam, fast schwebend ... aber es strahlte die gleiche tödliche Bedrohung aus wie das Geschöpf in Kampfmontur, das seine Stammesangehörige umgebracht hatte und jetzt auf das Jaridianjunge zielte ... ein Taelon. Und dessen Blick fiel auf das winzige Wesen am Boden ... Er näherte sich ihm und stieß es heftig mit dem Fuß an.
Das Junge rührte sich nicht. Es starrte mit blankem Entsetzen in das kalte blaue Augenpaar, das es verächtlich musterte.
„Laß es ... das lebt nicht mehr lange ...” Der Taelon stieß das Nichtflügge, das der Verwalter gewesen war, ein zweites Mal an. „Darauf braucht niemand mehr Ladung zu verschwenden, das ist es nicht wert ... dieses ganze Schiff ist wertlos, so wertlos wie seine Besatzung ...” Der Taelon wandte sich ab und zog ein Gerät aus einer seiner Taschen - offenbar eine Kommunikationseinheit. „Wir ziehen uns hier zurück - nichts hier ist brauchbar für uns. Wir desintegrieren dieses primitive Stück Technologie, sobald wir uns wieder auf dem Schiff befinden ...”
Die beiden Wesen entfernten sich und waren verschwunden.
Das jaridianische Junge lag da, hatte Schmerzen im Brustkasten, wo es die Tritte des blauen Wesens verletzt hatten, und atmete kaum.
Hastige und unsichere Schritte näherten sich.
Das Nichtflügge fühlte nur Hilflosigkeit.
Hitze war da und plötzlich ein Gesicht im Blickfeld - ein Jaridian-Gesicht. Das Junge wurde von zwei sehr warmen Händen hoch gehoben und an einen ebenso warmen Körper gedrückt. Die verletzte Stammesangehörige, die sich irgendwo versteckt gehalten hatte, floh mit dem winzigen Wesen in eine beschädigte, aber noch funktionsfähige Rettungskapsel, die sie beide von dem Frachter weg brachte, unmittelbar bevor dieser sich in eine Staubwolke verwandelte ...
„Drei im Kampf verloren, eines gewonnen ... Du wirst einer der besten Krieger, die Jaridia je hervor gebracht hat, auch wenn Du nicht so bist wie ich ...” hatte die, die den Verwalter gerettet und groß gezogen hatte, ihm immer wieder gesagt - und dem war er gefolgt. Still und in sich gekehrt, nach außen geduldig, beharrlich und unendlich diszipliniert - und tief innen lodernd vor Zorn ... etwas in ihm kämpfte bis heute gegen den Taelon, der den Tod der ihm damals nächsten und vertrautesten Stammesangehörigen zu verantworten und ihn selbst mit so grenzenloser Verachtung behandelt hatte ... der Blick dieses Wesens hatte sich ihm unauslöschlich eingeprägt, und alles, was auch nur im Entferntesten so war wie dieses Geschöpf, gehörte ausgerottet ...
So wie wir - wären wir mit diesen Wesen im Bunde ...
Der aus den Feuern, mit seiner liebevollen, klaren Präsenz und seinem Wissen um die Ordnung ... der sanfte, behutsame Hüter der Gesänge des Volkes aus den Tiefen mit seiner schönen Stimme, der in den Strömen der Zeit ebenso zuhause war wie in den Gezeiten der Wasser ... die warme, kraftvolle Erdvolk-Gesangshüterin mit ihrer sicheren und ruhigen Art zu handeln, wann immer jemand Hilfe brauchte ... ausgerottet ... von einer Explosion zerrissen, an ätzendem Dampf oder giftigem gelben Dunst erstickt ... er hatte unseren Tod riskiert, um die Seinen zu schützen vor dem, was er in uns sah - die kalten blauen Augen eines Taelon ...
Ich spürte den Verwalter, der genau so haltlos zitterte wie ich.
Ein winziges, verletztes Jaridian-Junges in Todesangst ...
Ich hatte keinen Zorn für ihn.
Es tat nur weh.
Wir hockten inzwischen aneinander geklammert da. Meine Energie war fast aufgebraucht, und ich öffnete die Reserven. Das strömende Sonnenhell ließ zumindest den Kopfschmerz endlich abklingen ...
Bis zu diesem Zeitpunkt hier hatte der Verwalter nicht anders handeln können, als er gehandelt hatte, getrieben von Schmerz, der sein ganzes Leben zeichnete - der nie geheilt worden war, weil er ihn tief in sich verschlossen hatte ... so tief, daß er selbst beinahe glaubte, ihn vergessen zu haben ... und den Zorn, der daraus und später aus dem Los seiner Gefährtin erwuchs, hatte er unter die Kontrolle seiner eisernen Disziplin gezwungen und planvoll für seine Aufgabe eingesetzt: die Seinen zu schützen und irgendwann deren Feinde endgültig zu bezwingen. Hier, auf Jaridia, wurde Schmerz nicht geteilt, um ihn weniger werden zu lassen ... er wurde ins Innerste genommen und in eine Waffe verwandelt, einzusetzen gegen den Feind ...
Und letztendlich gegen sich selbst - so, wie es der Verwalter gerade tat, der sein Innerstes vor der im Kontakt fließenden Energie verschloß. „Nein ... Du darfst nicht so mit mir umgehen, das ist meinem Versagen nicht angemessen ...” In seinem Geist war ein Bild des riesigen Versammlungsraumes, in dem die erste Beratung der Jaridians mit uns stattgefunden hatte. Er sah sich selbst, vor der langen, erhöhten Fläche stehend, uns vier, den Anführer, die Zweite und zwei weitere Jaridians, die ich nicht kannte, dahinter sitzend. Der Anführer stand auf und erhob die rechte Hand gegen ihn, das Shaqarava aktiviert. „Du hast Dein Urteil vernommen und verstanden?” „Ja.” „Es wird hier und jetzt vollstreckt ...”
„Nein!” Der Verwalter und ich fuhren beide heftig zusammen, weil ich ihn so fest gepackt hatte, daß sich meine Krallen durch die Bekleidung in seine Haut bohrten. Ich schaute ihn an, hielt seinen Blick fest. „Wenn Du das zuläßt, dann hat dieser Taelon vollendet, was er damals begonnen hat ...”
In den Augen des Verwalters war trübe Hoffnungslosigkeit.
Ich sah wieder das halbtote Junge vor mir, das er gewesen war - und hätte diesen Erwachsenen, der gerade dabei war, es endgültig im Stich zu lassen, schütteln mögen, wenn ich gekonnt hätte ... „Gönnst Du den Taelons diesen Triumph?”
Jetzt war Zorn in mir, von einer Intensität, die mich erschreckte - ausgelöst von etwas im Gestein tief unter mir, wie ein Echo ... „Wirfst Du Dich jetzt selbst als wertlos weg? Für wen tust Du das - für Jaridia? Für uns? Glaubst Du, das ist es, was diese Welt von Dir erwartet - daß Du stirbst, weil Du Dich geirrt hast?”
„Ich wünsche nicht den Tod derer, denen ich Heimat geworden bin ...” Die unfaßbar machtvolle Präsenz, die plötzlich mit im Kontakt war, wusch meinen Zorn einfach fort. Der Verwalter starrte mich fassungslos an, den Blick wieder klar. Die Stimme derer, die ihn trug, hatte er nie zuvor wahrgenommen, nicht so ... „Der Fehlgegangene muß bleiben und lernen ...” Die Präsenz schien sein Innerstes zu berühren, und etwas darin löste sich auf und war verschwunden - nicht die Erinnerung ... „Bleiben fordert mehr als Gehen ...”
Das Bewußtsein dieser Welt schien uns beide noch einmal anzuschauen, dann wandte es sich ab. Der Raum, der sich um uns geöffnet hatte, schloß sich wieder.
Der Verwalter atmete tief aus.
Und in uns beiden war nur noch völlige Erschöpfung - nicht einmal mehr Erstaunen über das, was gerade geschehen war ...
Er war als Erster auf den Füßen. Ich spürte, daß er die Höhle noch nicht verlassen wollte, und bot ihm an, das Mitte-Lager mit uns zu teilen, was er annahm. Ich ging noch einmal zu der still und entspannt da liegenden Erdvolk-Gesangshüterin und berührte sie - ihr Bewußtsein ruhte nach wie vor in dem der Welt, deren Leib uns hier umschloß ... eine Flügelhand im Wasser verriet die fortbestehende Abwesenheit dessen aus den Tiefen ... und eine Krallenspitze auf der rechten Schulter des Feuervolk-Angehörigen ließ mich wissen, daß sein Inneres gleichfalls zunächst zur Ruhe gekommen war - was immer ihn zuvor so intensiv beansprucht hatte, ließ ihn jetzt traumlos schlafen. Der Verwalter und ich fanden Platz neben ihm ... und, miteinander in Kontakt, trieben auch wir in die Dunkelheit davon ...

Eine unbestimmte Zeit später wurde ich halb davon wach, plötzlich in eine große, feuchte Flosse gehüllt zu sein und in eine seltsam gestaltlose Zufriedenheit, und danach begann ich zu träumen wie der aus den Feuern ... ich stand vor der rückseitigen Höhlenwand und versuchte, die Steinfiguren deutlich zu erkennen, aber deren Züge verschwammen immer wieder ... ich nahm an, daß sie Jaridians darstellten, aber eine davon erschien plötzlich wie der auf dem Weg ... ich berührte sie, und sie fühlte sich weich an von den dicht an dicht stehenden Wesen, die sie dank der Feuchtigkeit hier unten bedeckten ... die phosphoreszierenden Schriftzeichen neben der Gestalt begannen in meinem Kopf zu flüstern: „Sie haben es gewußt ... Einige haben es noch gewußt ... die Zeit ist nahe ...” Ich legte die Krallenspitzen beider Flügelhände auf die Schrift, tastete die erhabenen Zeichen ab und begann ihren Gesang mit zu summen, und es war richtig und angemessen, die Resonanzsehnen mit einzusetzen ... „Die Zeit ist nahe ...”
Durch das Grün, Gelb und Braun drang Tiefrot, das meine Aufmerksamkeit auf mich zog.
Ich konzentrierte mich darauf - auf die Hüterin der Gesänge derer im Dunklen, die mich rief - und wurde wach. Sie hockte vor mir auf dem Mitte-Lager, warm und lebendig und ganz in ihrer Kraft, mit der Bitte um Kontakt, und ich setzte mich auf und nahm ihre Hände. Sie wies über die Berührung auf den Verwalter, der noch im tiefen Schlaf der Erschöpfung war und um den der aus den Feuern einen Arm gelegt hatte. „Einiges weiß ich schon ...” meinte sie, „aber ...” Ich ließ ihr zufließen, was wir gefunden hatten, und ihre Augen wurden weit vor Schmerz um das Junge, das der Verwalter gewesen war. „Kein Wesen sollte so etwas aushalten müssen ... Er konnte nicht anders handeln ...”
Tiefe, anhaltende Vibration - der Höhleneingang öffnete sich und ließ jemanden eintreten, der sich suchen umsah, uns auf dem Mitte-Lager bemerkte und sich vorsichtig näherte - die Gefährtin des Verwalters. In ihren Augen stand Trauer, und ihre Haltung drückte eine merkwürdige Ergebenheit aus ...
Wir boten ihr Grabklaue und Flügelhand zum Kontakt, was sie zögernd annahm. Sorge war in ihr, große Sorge - sowohl um uns als auch um ihren Gefährten ... Sie nahm sich spürbar zusammen und blickte uns beiden in die Augen. „Ich weiß, daß ich kein Recht dazu habe ...” ließ sie uns zufließen. „Ihr seid vielleicht längst zu einem Urteil gekommen ... aber ich bitte Euch dennoch ... Ich bitte Euch um Gnade ... um Gnade für meinen Gefährten ...” Wir erschraken beide vor dem Eindruck, der in ihr war - dem Bild der Aburteilung des Verwalters in dem großen Versammlungsraum, und wir hatten bestimmt, er solle sterben ... „Es wäre nach Recht und Gesetz ... aber er hat es für Jaridia getan ... vor unserem Kriegsgericht käme er wahrscheinlich frei, aber sein Leben gehört Euch, denn das Eure hat er mißachtet ...
„Nein ...” Das hier sollte sofort aufhören, es war nur Schmerz ... Mit dem heftigen Laut, den ich von mir gegeben hatte, hatte ich den Gesangshüter der Tiefen und den auf dem Weg geweckt, die sich sofort mit in den Kontakt begaben.
Erneut gab ich in die Berührung, was der Verwalter mich hatte erfahren lassen und was wir gemeinsam gefunden hatten, und in dessen Gefährtin war nur Verzweiflung über die Geschichte des Nichtflüggen. „Das habe ich nicht gewußt ... in all der Zeit habe ich das nicht gewußt ... vielleicht hätte ich verhindern können ... Ihr hättet alle sterben können, es hing an so dünnen Fäden ...” „Er hat es selbst nicht gewußt ...” ließ ich ihr zufließen. „Es war so tief in ihm verborgen, er hat es gar nicht mehr gespürt ...”
Wie sollten wir ihn verurteilen? Er konnte doch nicht anders handeln, er hatte keine Wahl ...
Für einen Moment hatte ich unter den Krallenspitzen wieder das Gefühl von Stein und Weichheit, und in meinem Kopf flüsterte und sang leuchtende Schrift ... Der aus den Feuern warf mir einen überraschten Blick zu, und der flüchtige Eindruck verschwand wieder. Die Gefährtin des Verwalters atmete tief aus und wandte sich an uns alle. „Ihr laßt ihn am Leben? Ihr habt Gnade für ihn?” ‚Ich wäre zerstört, wäre er nicht mehr’ schwang darunter und schmerzte in mir ... Ich öffnete ihr mein Innerstes und ließ sie sehen und fühlen, was ich für ihren Gefährten empfand: Schmerz um das Junge, das er gewesen war, verbunden mit dem Gefühl, dieses schützen und heilen zu wollen ... Schmerz um die Zerrissenheit in ihm, die ihn zu seiner Entscheidung getrieben hatte ... und große Achtung vor seiner Hingabe für die Seinen, für die er alles aufzugeben bereit gewesen war - seine Position, seine persönliche Ehre als Krieger, indem er Verrat an uns beging, und ohne Widerspruch sein Leben ... „Er muß leben, er muß bleiben ... er muß bleiben, was er ist, weil Jaridia ihn braucht ... weil Du ihn brauchst ... weil er dem Ganzen nicht verloren gehen darf ...”
Von den anderen strömte ihr das Gleiche zu, verbunden mit all dem, wofür wir nur Bilder und keine Worte hatten, und als ihr Gefährte schließlich wach wurde, zog sie ihn mit in den Kontakt und schloß ihn in die Arme ... Die Ruhe, die jetzt in ihm spürbar war, war etwas anderes als nur die antrainierte Disziplin und Genauigkeit, die vor alldem hier seine Energie bestimmt hatte.
Nach einer Weile löste sie sich aus der Berührung und zog ihr Kommunikationsgerät aus der Kleidung hervor. „Ich setze den Anführer und die Zweite von Eurem Entschluß in Kenntnis”, sagte sie, das gleiche Leuchten in den Augen wie kurz nach ihrer Heilung. ”Sie haben eine Kriegsgerichtsverhandlung von Eurer Entscheidung abhängig gemacht. Nachdem er”, - sie deutete auf ihren Gefährten - „mir von seiner Handlung berichtet hatte, habe ich ihn zu Euch geschickt und bin zu ihnen gegangen ... und sie haben es Euch überlassen ... es wird keine Verhandlung geben ...”
Hohl und zittrig war mir vor Erleichterung, daß das hier endlich durchgestanden war ... aber das Hohle war nicht nur davon ... Ich stieg vom Mitte-Lager herunter, ging hinüber zu den aufgestapelten Vorräten und nahm ein Behältnis mit Konzentratriegeln, eines der merkwürdigen durchsichtigen Wassergefäße und getrocknete Ph'taalfrüchte aus meinem Bündel sowie ein weiteres Behältnis, das etwas von der grünlichen Medizin enthielt, und kehrte mit allem zu den anderen zurück. Und während wir das alles miteinander teilten und ich schluckweise die Hälfte des dickflüssigen Getränks leerte, wurde mir bewußt, daß ich jedes Zeitgefühl verloren hatte, hier im Inneren dieser riesigen Welt ... Ich spürte Jaridia um mich und hatte keinerlei Verlangen danach, in das Gebäude darüber zurück zu kehren, und über die Berührung nahm ich wahr, daß es den anderen - mit Ausnahme der beiden Jaridians - genau so ging . Diese Höhle hier war nicht die Höhle der Gesänge, aber etwas sehr, sehr Ähnliches ... Vom Mitte-Lager aus waren weder die Steinfiguren noch die Schriftzeichen an der Rückwand deutlich zu sehen, aber in meinem Kopf begann es erneut leise zu singen und zu flüstern ...

 

Ende von Kapitel 26

 

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