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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Der Dritte Weg / Zweierlei Wahrheit
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Der auf dem Weg, die Gesangshütenden des Wasser- und des Erdvolks, Aveena, der Anführer Jaridias, die Zweite und der Verwalter Jaridias, der Sprecher, Ramaz (andere Atavi)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 20

 

Wenig später hockten wir, in der selben Ordnung wie zu Anfang, im Kreis in dem Beratungsraum hoch oben in diesem Gebäude und schlossen den Kontakt. Den Anführer umgaben Trauer und Entschlossenheit, als er sich ohne Umschweife zunächst an seine Stellvertreterin wandte: „Bevor wir damit beginnen, zu beraten, ob und wie das, was wir hier erlebt haben, die Zukunft Jaridias beeinflußt, teile ich Dir und den anderen jetzt mit, daß ich von meiner Position des Ersten zurück trete.”
Die Augen der Zweiten wurden weit, und sie setzte zum Protest an, aber der Anführer sprach weiter: „Die Geschicke des Imperiums liegen ab jetzt in Deinen Händen - ich habe bewiesen, daß ich ihnen ungenügend diene. Du hattest Mut, den ich nicht aufbrachte - den Mut, etwas Neues zu tun ... Ich hätte den Taelon - und damit den Gast von einer fremden Welt, unseren Ur-Vorfahren, den es zu ehren gilt - getötet, ohne zu zögern. Du hast es gewagt, an ihm zu handeln, als sei er einer der Unseren ... Du hast dies um Jaridias willen getan, und das hat uns Möglichkeiten eröffnet, an die wir seit unvorstellbarer Zeit nicht einmal mehr denken konnten ...” Hoffnung war in ihm, neben dem Schmerz über das, was er als eigenes Versagen, als etwas Ehrloses empfand. „Du hast Jaridia einen neuen Weg in die Zukunft geöffnet - und in Deine Hände gebe ich jetzt dieses Imperium.”
Die Zweite war erschrocken und sprachlos. Ich konzentrierte mich auf sie und den Anführer und konnte keinen Unterschied fühlen zwischen beider Hingabe für die Ihren oder zwischen beider Mut und Bereitschaft, jederzeit alles für diese zu tun, was nötig war ... ich wußte nicht, was es bedeutete, ein Imperium zu führen, ich konnte es mir nicht einmal im Ansatz vorstellen, aber ich fühlte, daß beide gut für ihr Volk waren ... Der Anführer hatte nicht feige oder ehrlos gehandelt - er hatte sich dem Taelon gestellt wie ein Krieger. Der Taelon war in Kampfposition gegangen, und der Erste war nicht geflüchtet, sondern hatte sich gleichfalls bereit gemacht - bereit, gegebenenfalls auch für die Seinen zu sterben, um sie zu schützen ... und das war im Verständnis der Jaridians das Ehrenvollste, das überhaupt jemand tun konnte ... Ich ließ ihm das zufließen, ihm und dem gesamten Kreis, und alle anderen stimmten zu. Die Zweite gab, verbunden mit etwas wie Beschämung, in die Berührung: „Ich habe überhaupt nicht mehr als eine Kämpferin für Jaridia gehandelt ... ich habe an die Ehre des Imperiums nicht einmal mehr gedacht ... ich habe nur noch diesen ungeheuren Schmerz gefühlt und darauf reagiert. Es hatte nichts mit Mut gemein; ich wollte nur, daß es aufhört, so weh zu tun ... ich bin nicht würdig, zu führen - ich habe über ein momentanes Gefühl die Geschicke der Unseren ganz einfach vergessen ...”
Der auf dem Weg wob seine leuchtend weiße Energie in den Kreis, und plötzlich hatte sich der Raum um uns wieder geweitet. Der Hüter der Gesänge der Tiefen saß jetzt sehr aufrecht und schaute seinem Gegenüber aus den Feuern in die Augen, die Zwischenlider geöffnet. Mein Fell stellte sich auf, als um uns nur noch die kalte sternenfunkelnde Schwärze des Alls was.
„Beide habt Ihr aus dem Herzen gehandelt - und als Krieger”, sagte der auf dem Weg, „und Euer beider Kraft wird gebraucht, sollen die Euren eine Zukunft haben ...”
Ein Planet tauchte auf, blau und grün und weiß und braun, und ich erkannte die Heimatwelt der ursprünglichen Atavi, aus denen die Taelons und Jaridians hervorgegangen waren. Eine silbrige Zeitlinie wob sich aus der Tiefe des Weltraums durch ihn hindurch, und weit entfernt von ihm entstand das Bild einer anderen Welt, ebenfalls in sanften Blau- und Grün-Tönen und von einem Mond umkreist - der Planet der Menschen. Die Linie floß durch ihn hindurch und verlor sich in der gestirnten Schwärze.
Der aus den Tiefen und der aus den Feuern hatten sich erhoben und betraten das schimmernde Band, das die Zeit war. Der aus den Wassern wandte sich der Atavus-Welt zu, der auf dem Weg der der Menschen. „Die Begegnung mit dieser Welt wird über Eure und der Taelon Zukunft entscheiden”, sagte der Feuervolk-Angehörige, und seine Stimme ließ mich schaudern. Für Bruchteile eines Augenblicks wurde aus der Silberlinie von Unendlichkeit zu Unendlichkeit plötzlich ein Kreis, und die Eindrücke der beiden Welten schoben sich übereinander - es wirkte, als seien sie eins ... Das flüchtige Bild verklang, und die Planeten schwebten wieder einzeln in der Dunkelheit.
Die Jaridians starrten auf das Geschehen wie gebannt. Der Eindruck der Menschenwelt wurde überlagert von den vier Wesen, die wir aus der Vision von Feuer und Abendhimmel kannten ... bei denen jetzt ein Taelon, ein Jaridian und zwei Atavi standen. Der eine der beiden sah aus wie jemand vom Volk auf dem Weg und wirkte beinahe noch lebendiger und kraftvoller als diese ... Der andere war der mit dem schwarzen Kopffell und der seltsamen engen Bekleidung in der Farbe des Alls.
Der Anblick des zweiten Atavus ließ den aus den Feuern heftig zusammenzucken. „Nein ...” Ich war bei ihm und hielt ihn, und alle anderen umringten uns, spürbar in der Berührung. Der auf dem Weg versteifte sich und verdrehte die Augen. Der aus den Tiefen, die Erd-Gesangshüterin und ich begannen zu summen - die ersten Akkorde des Gesangs vom Anfang der Taelons und Jaridians, ohne genau zu wissen, warum ... Die Gesangshüterin derer im Dunklen wob mit den Resonanzsehnen den Vierer-Rhythmus dazu, der uns damals durch das Rathalten getragen hatte, und ich stimmte ein, was den Feuervolk-Angehörigen sichtlich stützte - er entspannte sich und richtete sich schließlich auf, atmete tief aus und sein Blick wurde klar. Als er wieder fest stand, vollführte er die Geste, die half, sich in der Zeit zu bewegen und sang das Wort dazu ... die Linie der Zeit, um die wir standen, wurde zu silbrigem, strudelndem Nebel, durch den wir fielen, um einmal mehr auf der Ursprungswelt der Taelons und Jaridians zu landen.
Es herrschte grelles Licht, und um uns herum waren Atavi in fieberhafter Aktivität. Wir befanden uns in einer der riesigen künstlichen Höhlen, die dieses Volk in den Leib seiner Welt zu graben begonnen hatte, und die Atavus-Wesen hier unterschieden sich deutlich von den Anhängern Ramaz`, die wir zuvor so lange hatten handeln sehen ... An ihnen war nichts Vergeistigtes, Ätherisches, obwohl sie ausnahmslos Gezeichnete waren - und alle hatten sich den Veränderungen unterziehen lassen, die es ihnen ermöglichten, jedem anderen Geschöpf die Lebenskraft zu entziehen, um sie der eigenen hinzu zu fügen.
Sie waren dabei, ein begehbares, gebäudeähnliches Etwas zu beladen, das auf merkwürdigen Stützen stand und an seinem unteren Ende zu glühen schien ... sie schleppten Packen, Bündel, Nahrungsvorräte und andere Dinge hinein; und irgendwann betraten sie es selbst, blieben darin und verschlossen alle sichtbaren Öffnungen hinter sich. Das Gebilde begann zu vibrieren, das Glühen wurde zu blendendem Licht - und ein tiefer, vielschichtiger Akkord baute sich auf, in Braun- und dunklen Rottönen, von denen einige zu Orange und gleißendem Gelbgold wurden ... das erinnerte mich an den Klang eines Sokhara-Kreuzer-Antriebs, und plötzlich wußte ich, was wir beobachteten - den Start eines Raumschiffes.
Das hier waren die Atavi, die sich zwar ewiges Leben wünschten wie Ramaz und dessen Anhänger, die aber mitnichten bereit waren, ihre Körper dafür aufzugeben und all die Erfahrungen, die physische Existenz ausmachten ... Vor allem das Erleben von Energieaufnahme - und zwar um des Preis des Lebens dessen, dem diese Energie genommen wurde - gab ihnen so viel, daß sie ohne sie nicht mehr sein wollten, zumal die Lebenskraft anderer sie weit über das Maß hinaus erhielt, das ihnen durch materielle Nahrung und die damit verbundene Produktion eigener Energie gegeben war ... Sie gab ihnen die Ewigkeit, vorausgesetzt, es fanden sich genügend Lieferanten dafür ... Und eine andere Erfahrung, von der sich zu trennen sie nicht bereit waren, war die der leidenschaftlichen, ekstatischen Begegnung mit Ihresgleichen - oder jedem anderen Wesen, mit dem so etwas vorstellbar war - zur Schaffung von Neubeginn oder nur um des Erlebens willen ... Letzteres hatten Ramaz`s Anhänger für sich längst als viel zu primitiv und reinen Geistes unwürdig erkannt und waren dabei, sich dessen zu entledigen, wenn auch - noch nicht - mit dem gewünschten Erfolg.
Der dritte Weg ... Ramaz und die Seinen waren schließlich zu Taelons geworden, die zähen und kämpferischen Nichtgezeichneten zu Jaridians. Und diese Atavus-Wesen hier, eine kleine Gruppe, die sich irgendwann den nach reinem Geist-Sein Strebenden hätten anschließen müssen, um von diesen nicht genau so ausgerottet zu werden, wie sie die Nichtgezeichneten auszurotten versuchten, hatten das Wissen, das ihnen die Komplexschwingung in ihnen vermittelte, genutzt, um einen dritten Weg zu finden: sie hatten ein Raumschiff gebaut, um ihre Heimat, auf der ihre Lebensweise keine Zukunft hatte, zu verlassen ... auf der Suche nach einer neuen ...
Wort und Handbewegung dessen auf dem Weg brachten uns unter freien Himmel, und wir beobachteten, wie der Grund zu unseren Füßen sich teilte und das Schiff der Atavi entließ , welches sich erhob und davonflog ... Wieder wechselten wir den Ort, jetzt befanden wir uns bei den Höhlen, in denen Ramaz die ungeheuren Energievorräte für die Seinen aufbewahrte. Das Raumschiff schwebte hoch darüber, und ein gleißender Lichtstrahl ging von ihm aus und berührte den Boden ... der sich daraufhin auftat, und zwei der unzähligen Behältnisse komprimierter Lebenskraft, ausreichend für Zeiträume, die mich schwindeln ließen, sowie ein großes, ungewöhnlich geformtes, flächiges, filigran gemustert erscheinendes Gebilde stiegen durch das Licht auf und verschwanden im Schiffsinneren. „Sie haben gut vorgesorgt ...” sagte der auf dem Weg, „sie wissen nicht, wie lang ihre Reise dauern wird ...” „Aber das ist keine Atavus-Energie mehr,” meinte die Hüterin der Gesänge derer im Dunklen, „werden sie dann nicht wie die Taelon?” „Sie haben einander und ihre Lebensweise ... das genügt, um zu bleiben, was sie sind ... und wenn nicht - der Prozeß, diese Energie zu dem zu machen, was sie jetzt ist, ist umkehrbar ... das Werkzeug dazu haben sie sich ja gerade gleich mit angeeignet ...” Die Komplexschwingungs-Matrix - das unförmige Gebilde, das wir zusammen mit den Energiebehältnissen hatten aufsteigen sehen, war die Komplexschwingungsmatrix ... benutzte man diese in Umkehrung, rekonfigurierte sich die Taelon-Energie wieder in ihre ursprüngliche Qualität ...
Das Schiff schoß in die Dunkelheit davon.
Der dritte Weg ...
Geste und kurzer Gesang - wir standen wieder zusammen auf der silbrigen Linie der Zeit, den Blick auf die Welt der Menschen gerichtet. „Wie es aussieht, führte der Dritte Weg hierher ... und die Verletzlichen wissen nichts davon ...”

Erneut schienen die sich in der Schwärze verlierenden „Enden” der Zeitlinie sich in der Ferne miteinander zu verweben, so daß ein schimmernder Kreis entstand - und erneut schoben sich die beiden Planeten übereinander - so, als wären sie ein einziger, als wären sie die selbe Welt ...
Hatten nicht die Jaridians, voller Haß und Verzweiflung, bei ihrer Flucht vor den Taelons ihren gemeinsamen Ursprungsplaneten zerstört? Was bedeutete dieses Bild? Instinktiv streckte ich die rechte Flügelhand aus, versuchte in Gedanken die unvorstellbare Entfernung zu dem/den Planeten zu überbrücken - und berührte ihn/sie ... und war übergangslos inmitten wirbelnder Eindrücke. Der Hügel mit Ramaz' unterirdischen Bauten ... eine atemberaubend schöne Landschaft, blühende vielfarbige Pflanzen um einen tiefen klaren See ... erstickend feuchte Wärme und Nebel, in dem unförmige Wesen unterwegs waren ... ein feuerspeiender Berg, in dessen Flammen und glühende Gesteinsbrocken ein Wesen hineingeriet, das einem Windvolk-Angehörigen ähnlich war - es verbrannte mit einem furchtbaren Schrei ... Ich verlor jeden Halt in dieser Flut von Bildern, und es war, als stritten sich Kräfte um meinen Körper, die den meinen um so vieles überlegen waren, daß es kein Entrinnen geben würde - dieses Mal nicht ... Das Schiff der Atavi, das in der Nähe des Feuer speienden Berges landete, der inzwischen zur Ruhe gekommen war ... eine verwüstete, tote, verbrannte Landschaft, so weit man sehen konnte ... gebeugt hüpfende Wesen mit dunklem Fell und langen Armen, von denen eines direkt vor mir auftauchte und mich anblickte aus einem Gesicht, das dem eines Verletzlichen sehr glich ... ein Jaridian-Schiff, das eine Energieladung auf einen Planeten abfeuerte ...
Die übermächtigen Kräfte zerrten an mir, gleichzeitig in verschiedene Richtungen, und Eindrücke strömten durch meinen ausgespannten Körper ... Verletzliche, die vor Atavi davon liefen ... Feuer, das aus einem dunklen Himmel heraus eine schlafende Welt in Brand setzte ... ein merkwürdig geformtes Taelon-Schiff, das unweit eines Ufers ins Meer stürzte - nein, darin zu landen schien ... ein Atavus in einem seltsamen Behältnis, ganz still und mit geschlossenen Augen ... sämtliche Atavi in all diesen Szenen verfügten über wirres dunkles Kopffell und diese seltsame, eng anliegende Bekleidung in der Farbe des tiefen Raumes ...
eine Verletzliche mit sehr hellem, halblangem Kopfpelz, die einem dieser Atavi gegenüberstand, mit einer Art Waffe in den Händen und zornerfülltem Gesichtsausdruck ... ein Taelon und ein Jaridian, mit offen dargebotenen Handflächen aufeinander zu gehend ... wieder die Landschaft mit dem See und den vielfarbigen, zarten Pflanzen ... Atmen konnte ich längst nicht mehr, und als mein Körper schließlich zertrennt wurde, wußte ich nicht, ob ich im Raum oder in der Zeit zerrissen worden war ...
Es blieb ein einziger Eindruck: ein Taelon, ein Jaridian, jemand, der aussah wie die aus den Feuern, ein Mensch und der Atavus mit dem langen schwarzen Kopffell aus der Vision, die der auf dem Weg mit mir geteilt hatte, im Halbkreis stehend und einander anschauend.
Abwartend.
Von irgendwo kam die Stimme dessen aus den Feuern, weit entfernt und dennoch kraftvoll und klar:

„Wenn Geist und Lust
Kälte und Leidenschaft
unendliche Komplexität und pure Kraft
Himmel und Flammen
zueinander finden
entsteht mehr
als die Getrennten einstmals waren

Ganz waren die Unseren
bevor sie Taelon wurden
und Jaridian
und neu ganz werden sie
wenn das, was sich trennte
wird, was es war:
eins ...

Und eins können sie Sorge tragen
für die, die den Dritten Weg gingen
und ziehen lassen
welche diese hervorbrachten
die Verletzlichen
die, die sich die Menschen nennen ...”

Und der aus den Tiefen fuhr fort:

„Eins zu werden
bereit zu sein
ist
was der Getrennten Zukunft birgt
aber die Freiheit der Verletzlichen
muß geachtet bleiben
sonst kann es nicht gelingen

Die Euren haben deren Wege berührt
obwohl die Ordnung es verbietet.
Achtet die Verletzlichen
oder der Dritte Weg
führt für alle ins Nichts.

Das vierte Mal birgt die Lösung ...”

Die Zeit war wieder ein Silberband von Unendlichkeit zu Unendlichkeit, auf der der Hüter der Gesänge der Tiefen und der aus den Feuern Rücken an Rücken standen, der eine schaute mit ungeschütztem Blick auf die Heimatwelt der Taelons und Jaridians, in die Vergangenheit, der andere, voll Trauer und Hoffnung zugleich, auf die der Menschen, in die Zukunft. Warum waren beide Welten eine Zeit lang eins gewesen? Waren der Ursprungsplanet der Atavi und der der Menschen ein und die selbe Welt, und all unsere Reisen hatten nur durch die Zeit geführt - oder waren es wirklich zwei unausdenkbar weit voneinander entfernte Himmelskörper, und wir waren durch Zeit und Raum unterwegs gewesen? Es blieb unfaßbar ... ich hatte nicht einmal irgendein Gefühl dafür, wo - und wann - ich mich selbst in diesem Moment befand ...
Mein Körper hatte sich irgendwie wieder zusammengefunden ... leer und schwindelig schaute ich mich um. Ich entdeckte die Jaridians und die Meinen weit weg, tief unter mir in engem Kontakt auf einem etwas ungewöhnlich aussehenden Mitte-Lager, reglos zusammengesunken, mit mir selbst zwischen der Zweiten und dem Anführer, die ich allerdings ebenso wenig spürte wie irgend jemand anderen aus dem Kreis ... Um mich herum flimmerten nur noch Sterne in der Dunkelheit, die Zeitlinie und die Planeten waren verblaßt. Ich war allein hier oben ... allein wie damals, als die Zwischen-Zeit mich fortgeworfen hatte ... und der Abschied von den Meinen tat so weh ...
Abschied?
Da unten war mein Körper, die Flügel um zwei Jaridians geschlungen, ganz flach atmend ...
Hier oben war ich, offenbar intakt ...
Die einzige Verbindung, die ich noch zu unserem Kreis hatte, war eine Art hauchdünner, sonnenheller Schnur, wie ein feiner Strang aus Energie, der mich mit ihnen in Berührung hielt ...
Was hatte der aus den Feuern zu mir gesagt, auf meinen Körper auf dem Mitte-Lager deutend? „Jetzt ist nicht die Zeit zu gehen - Du wirst gebraucht, Du mußt mit uns den Weg für das Ganze gehen ...”
Tiefe Sehnsucht vertrieb den Schwindel aus mir und die Bilderfetzen aus meinem Kopf. Ich überlegte einen Augenblick - und tat dann das Einzige, was mir sinnvoll erschien in dieser seltsamen Situation hier - ich ließ mich entlang des dünnen Energiestranges abwärts sinken, auf den Kreis zu.
Es gab einen heftigen Ruck, und das Nächste, was ich wahrnahm, waren die beiden Jaridians unter meinen Flügeln - und dann alle anderen ... Ich fühlte zu ihnen hin. Sie tauchten nacheinander aus ähnlichen Tiefen auf wie ich, die Jaridian gleichzeitig benommen und sehr bewegt. Das hier war die mächtigste Vision gewesen, die wir je mit jemandem geteilt hatten ...
Der Anführer richtete sich mühsam aus seiner zusammengesackten Haltung auf, und ich stützte ihn mit dem linken Flügel. Der Zweiten neben mir gelang es nicht, sich wieder aufzusetzen, sie rollte sich statt dessen in dem weichen Material des Lagers zusammen, blieb aber wach. Der Hüter der Gesänge der Tiefen und der aus den Feuern schauten einander immer noch in die Augen, bis der aus den Wassern langsam die Zwischenlider schloß. Auf beider Gesichter lag ein abwesender Ausdruck, und sie waren noch nicht wieder deutlich in der Berührung spürbar ... Die Gesangshüterin derer im Dunklen war am stärksten präsent und ließ Wärme und tiefes Rot in den Kreis strömen. Sie hatte sich so hingesetzt, daß sie den Sprecher und den Verwalter mit den Beinen berührte, während sie ihr Bündel zu durchsuchen begonnen hatte. Der Verwalter hielt sich an ihr und dem Gesangshüter der Tiefen fest und blickte diesen und den Feuervolk-Angehörigen immer wieder fassungslos an. In dem Sprecher war Begeisterung wahrzunehmen und etwas wie Furcht, während der Anführer bereits versuchte, in seinem Geist zu ordnen, was wir erlebt hatten, und es mit der konkreten Gegenwart der Seinen in Verbindung zu bringen.
Die Erd-Gesangshüterin hatte gefunden, was sie suchte, und löste sich mit einem großen umwickelten Blatt in der Hand aus dem Kontakt, um zu der Nahrungsspendeeinheit in der Wand links von der Tür hinüber zu gehen. Durch den Boden fing ich auf, was sie vor hatte, löste mich gleichfalls aus der Berührung und half ihr, Becher mit heißem Wasser und den Kräutern aus dem Ph´taalblatt an alle weiter zu reichen, dieses Mal auch an die Jaridians - um mit den Eindrücken umzugehen, die hier aufgetaucht waren, mußte jeder von uns fest in sich verwurzelt sein ... Schließlich hockten wir wieder mit im Kreis. Der heiße Sud klärte meine Wahrnehmung endgültig, und es war wohltuend, die anderen zu spüren ...

Wir saßen eine Zeit lang nur still zusammen in der Berührung, die Eindrücke aus der geteilten Vision aufsteigen lassend, ohne etwas damit zu tun. Es war schließlich der Anführer, der zuerst sprach: „So, wie es sich jetzt darstellt, scheinen wir keine Wahl zu haben - unsere Zukunft ist eins mit den Taelons - oder gar nicht ... entweder wir werden, gemeinsam mit ihnen, zu einer neuen Atavus-Rasse und übernehmen darüber hinaus noch Verantwortung für das, was unsere Vorfahren damals angerichtet haben, indem sie sich auf der Welt dieser Menschen niederließen - oder es wird schließlich weder uns noch die Taelons geben ...” In seinem Geist stieg auf, wie er dem Taelon in der Arbeit mit dem Feuervolk-Angehörigen gegenüber gestanden hatte - voller Zorn auf diesen, der ihn mit Abscheu und Verachtung betrachtete. Bitterkeit war in ihm und schneidender Schmerz, als er meinte: „Jetzt müssen wir nur noch die Taelons dazu bekommen, dabei mit zu machen, und schon läuft alles wunderbar ... es ist ja ganz einfach ...” Die Zweite gab einen Eindruck in den Kreis: sie selbst, die dem Taelon gegenüber stand, und ich, beide berührend - und die kalte, vernichtende Leere, die sie in ihrem Feind gespürt hatte, die so weh tat, daß sie nur noch wollte, daß es aufhörte ... „Sie hat vermittelt ...”, sagte sie, über den Kontakt auf mich deutend. „Ohne sie hätte ich das nicht fühlen können ...”
Der Verwalter hatte sich inzwischen wieder gefaßt, und sein geduldiger Geist war dabei, Vision und das, was für ihn Fakten waren, einander gegenüber zu stellen. „Nehmen wir an, das, was wir hier gesehen und gefühlt haben, wäre tatsächlich relevant - und wir würden wirklich ein Interesse daran entwickeln, auf die Taelons zuzugehen, um sie dafür zu gewinnen, eins mit uns zu werden. Ich gebe Dir” - er wandte sich über den Kontakt an den Ersten - „Recht - weshalb sollte das die Taelons in irgendeiner Form berühren? Sie würden keinerlei Gewinn darin sehen, wieder Atavus zu werden - im Gegenteil, sie würden nichts mehr verachten und von sich weisen als das ... Keiner der Ihren würde sich von primitiven stofflichen Geschöpfen, wie wir es sind oder Ihr es seid, berühren lassen. Ihr Ziel ist es, uns auszurotten, und sie verfolgen es seit unvorstellbarer Zeit - und wir dürfen nicht vergessen, daß unsere augenblicklich gewonnenen Vorteile nur daraus resultieren, daß uns ihre Haltung bewußt ist und wir bereit sind, zu kämpfen bis zum Letzten! Geben wir auch nur um ein Minimum nach, wäre das unser Untergang ...” „Gewonnene Vorteile?” Das war der Sprecher, in dem jetzt Zorn spürbar war, verbunden mit der Erinnerung daran, wie er auf unserer Welt die Nachricht hatte entgegennehmen müssen vom Durchbruch seiner Feinde in genau den Sektor der Galaxis, der von uns aus geschützt gewesen wäre, hätten sie nicht über die Interdimension den Weg hinein gefunden. „Ja, gewonnene Vorteile”, antwortete der Verwalter ruhig. Im Kreis war ein Gedankenbild der gesamten Galaxis in Form einer holographischen Karte. Das darin grün aufleuchtende Gebiet war etwa anderthalbmal so groß wie das blau markierte. Wo beide einander berührten, woben sie sich unregelmäßig ineinander, und von dem blauen Gebiet aus zogen sich Linien in die Schwärze der restlichen Darstellung, auf einzelne Punkte und Kreise zu haltend. „Vergiß nicht, wie viel Territorium wir den Taelons in den letzten zweihundert Umlaufzyklen wieder abgenommen haben ... Seit T´than ihr Kriegsminister ist, verlieren sie immer mehr Boden an der Front ... Ich kenne T´than, er ist gerissen und zu jedem Verrat bereit, aber er ist ein schlechter Taktiker ...” Sein Shaqarava aktivierte sich. „Sieh richtig hin - wir sind dabei, sie in die Flucht zu schlagen ... ihre Synode setzt offenbar immer mehr darauf, irgendwo im All neue Welten zu erobern, statt die alten zu halten ... sie brauchen ständig Nachschub an Kämpfern ...”
Die Zweite berührte den Eindruck, den der Verwalter in den Kreis gegeben hatte, in Gedanken mit einer Hand und setzte mit den Fingerspitzen eine der Linien, die in noch unerobertes Gebiet führten, fort. An einer Ansammlung winziger Punkte hielt sie an. „Hier liegt die Welt derer, die Ihr die Verletzlichen nennt ...”, meinte sie. „Sie werden irgendwann dort sein ...” „Nicht, wenn wir es zu verhindern wissen”, entgegnete der Verwalter. „Das hier führt nirgendwo hin.” Das war der Anführer. „Es ist wahr - wir können nicht einfach aufhören zu kämpfen, uns waffenlos vor die Taelons stellen, sie in die Arme schließen und hoffen, daß alles gut wird - das wäre unser sofortiger Untergang. Aber wahr ist auch, daß unser großes Volk dabei ist, auszusterben - und daß das, was die Taelons sind, dies verhindern kann ...” Er deutete auf seine Nachfolgerin. „Ihre Heilung ist eine Tatsache.”
Der Verwalter schaute die stellvertretende Führende sehr skeptisch an. „Gut, sie ist geheilt ... aber wer sagt, daß das nicht nur ein glücklicher Zufall war? Und wenn es stimmt, daß es die Vereinigung mit dem Taelon war, die sie wiederhergestellt hat - warum ist sie nicht Atavus, und warum bist Du” - er wandte sich an den aus den Feuern - „noch da?” Der auf dem Weg antwortete mit spürbarem Bedauern: „Es hat nicht ganz gelingen können - alle Taelon-Energie ist mit dem Gemeinwesen verbunden, und dieses hat in seinem Innersten gespürt, was hier mit dieser Energie geschah ... hätte sich die Vereinigung vollständig vollzogen, wäre sie jetzt Atavus - und sie wäre viel, viel mehr als ich. Ich bin noch hier, weil sie und ich beide physische Geschöpfe sind, und zwei körperliche Wesen können nicht unbeschadet zur selben Zeit den selben Raum einnehmen - diese Art Einswerdung ist nicht möglich. Wenn Taelons und Jaridians zusammen kommen, durchdringen Materie und Energie einander, und wenn es gelingt, ist das Ergebnis Atavus - ganz, so wie ich es bin, aber bereichert um das, was Euer beider Spezies - unsere Spezies - im Laufe von Äonen an Erfahrung dazu gewonnen haben ... die Taelon-Energie, die ich getragen habe, hat noch die Ordnung in ihr wiederherstellen können, um ihre Physis für Einssein tauglich zu machen. Dann hat das Unbewußte des Gemeinwesens,das Unvollständigkeit nicht duldet, sie wieder an sich gezogen ... und uns damit getrennt, so daß ich außerstande war, sie zurückzurufen ...” Er schaute die Zweite an. „Ich hätte mir für Dich gewünscht, es wäre gelungen ...”
Die Augen der Stellvertretenden strahlten wieder. „Es ist gelungen ... für einen Augenblick ...” Sie schaute uns alle an. „Ich war Atavus - und das ist ...” - blendend weißes Aufleuchten, inneres Weitwerden, und ein kraftvolles ekstatisches Gefühl von Freiheit, durchdrungen von Wärme und Annahme für alles Wahrgenommene - „Ihr habt es gesehen, Ihr habt es gefühlt ... Wenn das die Zukunft der Unseren sein soll, wünsche ich mir nichts mehr als das ...”
Ich spürte in den Kreis und merkte, daß sich meine Tiefensinne geöffnet hatten. Der Verwalter hatte das Shaqarava deaktiviert und seine Energie zusammengezogen zu einem dichten, dunkelgrauen Gebilde, das einen langsam pulsierenden roten Kern einschloß. Der aus den Feuern war jetzt warmes Braun und Gold, meine Energie und die des Sprechers flossen zusammen, sonnenhell und vibrierendes Grün. Der aus den Tiefen war blaugrüne, sanfte konzentrierte Aufmerksamkeit, die, die die Gesänge derer im Dunklen hütet, achtsame Beobachterin und gelegentlich Ordnende, die hier und da in den Fluß unseres Miteinanders griff und etwas zurecht rückte, woraufhin sich alles leichter anfühlte. Die Zweite war wirbelndes, golddurchwirktes Weiß, das durch unser Grün und Sonnenhell hindurchschoß und sich immer wieder um das solide dunkle Grau wob, in der Hoffnung, es möge sich öffnen und in Bewegung kommen ...
Zweierlei Wahrheit.
Gäben die Jaridians den Kampf einfach auf, würden die Taelons sie vernichten.
Die Energie eines Taelon hatte geheilt, was die dem Ersten Nachfolgende ausbrannte und ihrem Nachwuchs das Leben um weitere Umlaufzyklen verkürzt hätte.
Ihrem Nachwuchs ...
Die Taelons waren dabei, auszusterben, weil sie seit undenkbaren Zeiten keine Jungen mehr hatten - keinen Nachwuchs ...
Ordnung in allen Zellen der Zweiten. Ordnung in dem, was ihr Körper gab, um Junge daraus werden zu lassen ...
Ordnung in allen Zellen der Atavi.
Atavi konnten Junge haben.
Mit all ihrer Biotechnologie und ihren genetischen Manipulationen war es den Taelons offenbar nicht gelungen, Nachwuchs zu haben, nachdem sie ihre Existenz als physische Geschöpfe aufgegeben hatten - wären sie Atavi, wäre das kein Thema mehr ...
Ich ließ das dem Verwalter zufließen, als sanften, tiefen, weiß-violetten Strang, von der Frequenz vier Achttonschritte unter der der Zweiten.
Das Grau kräuselte sich an der Oberfläche - und wurde wieder fest. „Nicht um den Preis der Berührung ... nicht um den Preis der Verseuchung reinen Geistes ... nicht um den Preis der Primitivität ...”
„Nicht primitiv ... mehr, viel mehr ... mehr als er ...” Die Zweite deutete auf den auf dem Weg. „Mehr als Jaridian ... mehr als Taelon ... viel mehr ...” „Sie würden es nicht glauben”, erwiderte das feste Grau. „Und sie würden unsere Verbündeten hier genau so wenig an sich heran lassen wie einen von uns ...”
Zweierlei Wahrheiten.
Die nicht übereinbringbar schienen ...

 

Ende von Kapitel 20

 

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