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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite)
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Handlung:  Die Taelons glauben an eine leichte Eroberung
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Aveena, die Gesangshüter des Erd - und des Wasservolks, Quo'on, T'than, Zo'or, Da'an, Mit'gai, zwei Atavus-Wesen, (weitere Angehörige der drei Völker auf dem Planeten)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 2

 

Irgendwann versuchte ich vom Boden hochzukommen ... ich würde das Erdvolk wieder und wieder rufen ... aber ich sackte einfach in mich zusammen wie nasses Laub, und schließlich versank ich in einem Dunkel aus Angst und Erschöpfung, aus dem es keinen Ausweg mehr zu geben schien. Etwas sehr Vertrautes ließ mich aus diesem Zustand schließlich wieder auftauchen. Unter mir bebte rhythmisch der Boden - offenbar war einem der größeren Stämme in unserer Region die Höhle zu klein geworden, und sie sangen und tanzten für neuen Raum für ihren Zuwachs ... Normalerweise hätte ich mich darüber gefreut, aber ... etwas stimmte nicht, das war nicht nur der Rhythmus, der neue Räume im Inneren der Erde öffnete, da waren ungewohnte, angespannte Unterschwingungen ...
Irgend etwas stieß mir schmerzhaft gegen den Bauch; ich ignorierte es und konzentrierte mich weiter auf die Vibrationen unter mir. In mir stieg plötzlich ein Bild auf: Wüste, leblose Wüste von Horizont zu Horizont...und schlagartig wußte ich wieder, wo ich war und was jetzt das Wichtigste war. Und jetzt verstand ich auch die pulsierenden Unterschwingungen unter den vertrauten Vibrationen:

„Es wird nicht sein!
Es wird nicht sein!
Es wird nicht sein!”

Nicht nur der Boden, sondern die ganze Behausung der Taelons bebte im Rhythmus tanzenden Erdvolks - Tausende von ihnen mußten hier ganz in der Nähe sein, um solche Erschütterung verursachen zu können ... ich hatte sie gerufen, und ich hatte sie erreicht.

Ich streckte mich ganz aus, um Einzelheiten aus ihrem Lied mitzubekommen. Dann stieß mich etwas in die Rippen, mehrmals und schließlich so unangenehm, daß ich es nicht mehr ignorieren konnte und davor weg kroch. Über mir sagte eine zornige Stimme: „Komm endlich hoch!” und ich wurde erneut angestoßen. Die Stimme gehörte T'than. Das Beben der Behausung intensivierte sich.
„Wir lassen es nicht zu, wir lassen es nicht zu...” sangen die Erdbewohner draußen, und in ihrem Lied schwangen jetzt auch Stimmen meines Windstammes mit . „Wir handeln...wir lassen es nicht geschehen...” Jemand versetzte mir einen heftigen Schlag auf den Kopf. Ich schützte mich mit den Flügeln, stolperte auf die Füße und wich T'than aus, der mit einem schwer wirkenden Gegenstand in den Händen erneut ausholte. Jetzt wurde mir erst die Situation um mich herum bewußt. Die ganze Behausung war in Bewegung. Die Trennwand meines Raumes war verschwunden, sehr viele zornige und offenbar auch ängstliche Taelons waren anwesend. Zo'or hielt wieder eine Energiewaffe in den Händen, T'than versuchte offenbar seit einer geraumen Weile, mich zum Aufstehen zu bewegen, was ihm schließlich auch gelungen war. Bevor dieser ein zweites Mal zuschlug, stoppte Quo'on ihn mit einer energischen Geste. „T'than, wenn Du es umbringst, und sei es aus Versehen, dann lassen sie das Gebäude hier über uns zusammenstürzen ...” Er wandte sich an mich . „Du kommst mit uns nach draußen. Sie haben uns gesagt, wenn wir nicht herauskommen, um ... um zu singen und zu reden und zu tanzen ... wenn wir nicht herauskommen, dann lassen sie hier alles zusammenbrechen ...” Er verfärbte sich heftig. „Ich begreife es nicht! Woher beherrschen sie plötzlich unsere Sprache? Und wie sind sie imstande ...” T'than unterbrach ihn grob: „Quo'on, wir sollten jetzt gehen.” Und die Taelons begaben sich auf den Weg, ihre Behausung zu verlassen, unsicher auf dem heftig schwankenden Boden, während ich den vertrauten Rhythmus des Platzschaffens, der alle übrigen Rhythmen und Botschaften sicher trug, einfach mittanzte. Alle hielten Abstand zu mir. Und schließlich hatten wir Gebäude und Energiekuppel verlassen, und ich war endlich wieder unter freiem Himmel.

Der Anblick draußen war überwältigend. Allein vom Volk der Erde waren mindestens zwanzig Stämme versammelt, in deutlich wahrnehmbarer Ordnung dicht an dicht rund um die von den Taelons geschaffene Felsplattform, auf der die Behausung stand. Bei unserem Auftauchen draußen hatten sie in ihrem Tanz innegehalten. Riesige Schwärme meines Volkes kreisten über der Energiekuppel und hockten in jedem einzelnen Ph'taalbaum. Und dort, wo die Landzunge ins Meer mündete, waren Scharen des Wasservolkes aufgetaucht ... ich hatte noch nie so viele meiner Welt auf einmal versammelt gesehen ... Die Erdleute hatten vor dem Ausgang aus der Energiekuppel einen Kreis frei gelassen. In diesem Kreis standen zwei aus meinem Stamm ... und die Gesangshüterin des Erdvolkes sowie der Gesangshüter der Wasser mit fest geschlossenen Kiemenspalten und aktivierten Lungen ... Die Taelons blieben stehen und bedeuteten mir, das gleiche zu tun. Jetzt herrschte atemlose Stille.

Beim Anblick der beiden aus meinem Stamm und der Gesangshüter in der Mitte des Kreises vergaß ich die blauen Wesen hinter mir völlig. Ich eilte halb hüpfend, halb flatternd auf die vier zu - und sie empfingen mich mit weit ausgebreiteten Flügeln und Armen ... wir formten einen warmen, festen Kreis, und der größere Kreis der anderen um uns herum schloß sich, als sich zahllose Arme/Flügel nach uns ausstreckten und den Kontakt herstellten ... die anderen hielten mich, ich konnte nicht mehr stehen, und die ganze Angst, das ganze Entsetzen und alle hilflose Verzweiflung dieser Zeit mit den Taelons brach aus mir heraus und strömte in den großen Kreis der anderen ... und ihre Wärme, ihr sonnen-, erd- und wasserfarbenes Leuchten ließ die Kälte in mir verschwinden, die durch das Bild unserer toten Welt entstanden war, und ersetzte sie durch Kraft und den Wunsch, zu handeln... „Wir lassen es nicht zu ... unsere Welt bleibt lebendig ...” „Ihnen fehlt so viel ... wir haben genug ...” Alle um die Taelon-Felsplattform Versammelten waren jetzt miteinander im tiefen Kontakt. „Wir können sie heilen ... sie haben auf Dich reagiert ... kein Wesen sollte so etwas aushalten müssen ...” „Sie können doch bleiben ... wir bauen ihnen Höhlen ...” „Sie bleiben und wir heilen sie, dann gehören sie zu uns, als ein neuer Stamm ...” „Das Pflanzenhaus soll in der Sonne sein ...” „Wir fliegen mit den Shuttles, wir lernen ...” „Sie dürfen nichts mehr zerstören ...” „Wenn sie geheilt sind, werden sie das Ganze spüren können ... wer etwas vom Ganzen zerstört, zerstört etwas von sich selbst ...” ” Sie wünschen sich ihr Brudervolk zurück ... aber sie wollen ihr Brudervolk zerstören ...” „Die Jaridians können wir ihnen nicht wiedergeben ...” „Sie können ein neuer Stamm sein ...” Blaugrüne, sandbraune, lufthelle Ströme ... Sorge um die, die aus dem Nichts gekommen waren, und Sorge um unsere Welt ... Und alle diese Ströme ließen entstehen, was die Vernichtung des Ganzen, unserer Welt, verhindern würde. Es wurde gemeinsam entschieden, daß ich diejenige sein sollte, die den Taelons unterbreitete, was beschlossen worden war.

Die beiden anderen Hüter des Gesangs und ich lösten uns aus dem Gesamtkontakt, wandten uns um und gingen vorsichtig auf die angespannt wartenden Taelons zu, die immer wieder nervöse Blicke auf die Behausung hinter sich warfen. Der Synodenführer straffte seine Gestalt und blickte uns entgegen, Zo'or richtete die Energiewaffe auf uns. Quo'on schob Zo'or zur Seite. „Was habt Ihr uns zu sagen?” richtete er das Wort an uns. T'than legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Synodenführer, Du willst jetzt mit diesen Wesen verhandeln?” fragte er ihn leise. „Ich denke, die Synode hat entschieden ?” Quo'on schüttelte ihn ab. „T'than, schau Dich mal um...” er wies auf die unzähligen Bewohner unserer Welt, die dicht an dicht immer noch im Kontakt miteinander ganz leise zu singen begonnen hatten, „Was willst Du denn unternehmen?” Er konzentrierte sich wieder auf uns. Die versammelten Stämme sangen das Lied vom Ganzen, summten mehr als daß sie sangen, und auf diesen tragenden Klängen brachte ich Quo'on und seinem Volk unsere Botschaft dar:

„Volk aus dem Nichts
bereit, das Nichts zu bringen
so viel Leid...

Eure Heimat verspielt
Eure Brüder verloren
so viel Leid...”

Alle anderen ließen das Lied vom Ganzen sanft stärker werden. Der Boden begann zu vibrieren, daß es unter den Füßen spürbar wurde...

„Wir haben von dem, was Ihr braucht
wir haben mehr als genug
wir sehen Eure Not
und sind bereit zu teilen...”

Farbenfrohe, wärmende Klänge wirbelten durch die Luft, strömten durch die Erde, Singende und Taelons verbindend ... einige der Energiewesen begannen sich zu verfärben; der Synodenführer verlor einen Teil seiner Fassade, das Wesen namens Da'an kämpfte sichtbar darum, die seine zu halten...

„Laßt Euren Krieg
wenn Ihr wollt, was Ihr braucht
lebt mit uns
als ein Stamm unter vielen
teilt mit uns und werdet ganz...”

Da'an brach zusammen, schien sich in blauviolettem Leuchten aufzulösen. T'than und Zo'or standen wie zu Stein erstarrt. Quo'on wirkte Äonen alt ... sein Blick war leer wie ein Himmel ohne jeden
Stern ... die übrigen Taelons waren Wirbel aus Licht und Farbe ...

„Teilt mit uns und werdet ganz
bleibt und zahlt den Preis
keine Macht keine Zerstörung
nicht diese Welt für Euch
sondern Ihr für diese Welt
nicht die Bestimmer
sondern ein Stamm unter vielen
teilt mit uns und werdet ganz...”

Intensive Wärme, Dichte, Schwingen...die ganze Vielfalt und Kraft unserer Welt in unserem alles einhüllenden Gesang...Meine Stimme erhob sich von allein im Kontrapunkt darüber:

„Vier Völker
eine Welt
Ihr könnt nicht allein entscheiden
nicht ohne uns
gemeinsam entscheiden wir
was unsere Zukunft sei

Ihr seid frei zu bleiben
und frei zu gehen, wenn Ihr das wünscht
aber wenn Ihr geht
dann nehmt Euren Krieg mit
nichts davon
darf unsere Welt je wieder berühren

wenn Ihr geht
dann für immer
mit allem was Ihr habt und bringt
mit allem was Ihr ward und werdet
wenn Ihr geht
dann für immer

fühlt
fühlt was Ihr in der Tiefe wollt
entscheidet...
wir wünschen
daß Ihr bleibt
um ganz zu werden”

Ich ließ die letzten Worte ausklingen in die verflochtenen Akkorde des Liedes vom Ganzen, das vielfarbig und stark und lebendig in uns allen vibrierte und nur ganz langsam leiser wurde, leiser und durchscheinender, bis es schließlich ausklang und nur noch die Bäume und der Grund unter unser aller Füßen sanft nachschwangen.
Die Taelons standen vollkommen reglos. Da'an hatte seine Fassade teilweise wiedergewonnen. Die übrigen verfärbten sich noch vereinzelt. Quo'on wandte sich abrupt zu den anderen Taelons um und vollführte die Geste, die zum Schluß ihres Kontaktkreises aufforderte, und alle beeilten sich, dem nachzukommen. Es wurde kein Wort gesungen oder gesprochen. Der geistige Kontakt zwischen den blauen Wesen dauerte eine ganze Zeit lang ... die meisten Impulse, sichtbar als bläuliches Aufflackern und spürbar als hauchfeine Vibrationen im Boden, schienen von Zo'or und T'than auszugehen und riefen bei den anderen blauviolettes Sichverfärben und heftige Schwankungen in der Fassade hervor. Dann gab es einen schwachen, hellvioletten Impuls von Da'an, beantwortet von einem grellblauen Energieausbruch Zo'ors; T'than schickte eine ganze Kette von glühend heiß erscheinenden Impulsen in den Kreis ... und dann schien sich der gesamte Kreis auf die Frequenz dieser Impulse einzuschwingen, unterstützt und umlagert von einem gleichfrequenten weißen, pulsierenden Leuchten, das jetzt von Quo'on ausging ... das energetische Pulsieren des gesamten Kreises intensivierte sich, und irgendwann verschmolzen alle farbigen Energiestränge zu Weiß, schwingend in der Frequenz, die T'than vorgegeben hatte ... Alle Taelons hatten jetzt eine stabile Gestalt oder eine intakte, geschlossene Fassade, niemand schwankte oder flackerte mehr. Der gesamte Kreis strahlte eine machtvolle, offenbar in sich selbst ruhende Kraft aus ... Durch meine Füße spürte ich diese Kraft vibrieren und wußte, sie würden fortgehen.
Ein aufblitzender Energieimpuls Quo'ons beendete den energetischen Kontakt der Taelons, die den Kreis lösten und sich uns wieder zuwandten. Wieder allein stehend, begann Da'ans Fassade erneut zu flackern, er schien Mühe zu haben, sie aufrechtzuerhalten. Quo'on trat, sich sehr gerade haltend, einige Schritte auf mich zu. Er vollführte eine komplizierte Handbewegung und schaute mich direkt an, und in seinen Augen war wieder diese schwarze Leere ... Ich mußte die Flügelhände zusammenpressen, um nicht dem Impuls nachzugeben, dieses uralte, völlig erschöpft erscheinende Wesen an mich zu ziehen ..
” Hört, was das Volk der Taelons entschieden hat ”, sprach er, sehr klar und sehr deutlich; „es besteht kein Interesse unsererseits, Euer primitives Leben mit Euch zu teilen. Wir streben seit Äonen danach, unseren Geist zu vervollkommnen - die Stufe, auf der Ihr steht, haben wir mit den Jaridians, unseren Feinden, die uns durch das ganze Universum jagen, hinter uns gelassen. Ihr habt nichts, das für uns erstrebenswert wäre, Ihr habt nur Eure naiven Illusionen. Die Jaridians sind auf dem Weg zu Euch, unseren Spuren folgend, und wenn wir sie nicht bekämpfen, dann werden sie uns zu vernichten suchen und auf Euch dabei keine Rücksicht nehmen. Wenn wir hier bei Euch bleiben, vernichten sie uns auf jeden Fall. Daher werden wir Euch jetzt verlassen. Wir werden unsere Shuttles mitnehmen. Unsere Station hier ” - er deutete auf die komplexe pflanzenartige Behausung hinter uns - „müssen wir zurücklassen. Verfahrt damit, wie Ihr wollt - es spielt keine Rolle. Die Synode hat entschieden, und die Entscheidung der Synode ist unwiderruflich.”
Er machte eine ungeduldige Geste, und die übrigen Taelons sammelten sich hinter ihm.
Sie gingen.
Wir hatten sie nicht erreicht mit unserem Gesang.
Wir machten ihnen Platz, bildeten eine breite Gasse von der Energiekuppel zu den Shuttles, zu denen sie sich jetzt gemessenen Schrittes bewegten. Als Da'an, völlig geistesabwesend, an mir vorbeiging, streifte er mich zufällig mit einer Hand am linken Flügel...die Berührung ließ seine Fassade aufflammen, und er ging in die Knie. Ich fing ihn zwischen den Flügeln auf, als er zusammenbrach.

Dieses Wesen starb! Instinktiv floß meine ganze Kraft zu ihm hin, aber ich war außerstande, den klaffenden Riß in seinem innersten Sein zu füllen oder zu überbrücken, durch den seine Lebensenergie davonströmte. Jemand packte mich an den Schultern und drehte mich zu sich herum - die Gesangshüterin des Erdvolkes. Ganz sanft nahm sie mir das sterbende Geschöpf aus den Flügeln. „Laß mich das tun” sagte sie ruhig, Da'an in ihre muskulösen Arme schließend ... viele Flügel fingen mich auf, als ich den Halt verlor, und hüllten mich ein, und durch den Kontakt, den die anderen mit der Erd-Gesangshüterin hielten, konnte ich spüren, was sie tat.
Diese Art der Heilung beherrschen auf unserer Welt nur die Erd-Leute. Die Hüterin der Gesänge der Erde versuchte nicht, den tödlichen Riß in Da'ans Sein zu schließen - statt dessen schloß sie seine davondiffundierende Lebensenergie in ihre eigene Kraft ein, in die stetige, stabile, haltgebende, inne - haltende Kraft der Erde. Es war, als sei der sich auflösende Taelon in eine enge Höhle mit braungrauen, von tiefrot pulsierenden Streifen durchzogenen Wänden eingeschlossen, aus der es keinen Ausgang gab. Die Energie brach sich wieder und wieder an diesen Wänden, hellviolett und blau aufflammend...und da es keinen Ausweg gab, kehrte sie schließlich wieder zu ihrem ursprünglichen Muster zurück...und die Kraft der Erdhüterin schloß sich eng um Da'ans Gestalt und hielt ihn zusammen, bis die heftigen Energiebewegungen endlich zur Ruhe kamen, aus reiner Erschöpfung ... Die Erdhüterin begann das Wesen in ihren Armen zu wiegen und leise zu summen. Der Riß in dem Geschöpf war immer noch spürbar, der Riß, der zwischen der absoluten Loyalität gegenüber seinem Volk und dessen Synode auf der einen und dem verzweifelten Wunsch, hier bei uns zu bleiben, auf der anderen Seite bestand ...
Einen Taelon hatten wir mit unserem Gesang erreicht. Einen einzigen. Und ihn in einen inneren Konflikt gestürzt, an dem er jetzt beinahe zugrunde ging...
Ich klammerte mich hilflos an die, die mich hielten. Die Erdhüterin hatte den Gesang des Lebens angestimmt, und wir alle summten den Refrain mit, immer und immer wieder ... „Jedes Leben ist es wert, gelebt zu werden ...” Da'an begann, sich gegen die Umarmung der Erdhüterin zu wehren, und in seinem Geist flammte erneut die Verzweiflung auf: „Wir werden das vernichten, was wir am meisten brauchen ... die Entscheidung der Synode ist unwiderruflich ...” Sie hielt ihn still und entschlossen weiter fest. Und ließ Bilder in ihn hinein strömen, wie es sein würde, wenn er wirklich hier bliebe ... zeigte ihm das Leben ihres Volkes unter der Erde, in Wärme und Dunkelheit, gehalten vom ewigen Stein, dem Leib unserer Welt ... „Du wärst hier der Einzige unter uns ...” sang sie ihm, „keiner der Deinen will bleiben ...” und in Da'ans Geist formte sich als Antwort ein seltsames Bild ... das Davonfliegen seiner Artgenossen in einem riesigen, leuchtenden, halb durchsichtigen Gebilde ... und er selbst hier unten unter den Erdleuten, dessen Gestalt sich plötzlich drastisch veränderte, von dem grazil gebauten bläulichen Wesen, das er war, hin zu etwas, das den Erdleuten erstaunlich ähnlich sah, groß, kompakt, muskulös und von braungrauer Hautfarbe... „Atavus” war Da'ans Begriff dafür - und jetzt straffte sich seine Gestalt in der Umarmung der Erdhüterin. Das Bild seiner selbst als „Atavus” erfüllte ihn mit Abscheu. Als solch ein Wesen hätte er alles, was seine Rasse an geistiger Entwicklung bisher vollbracht hatte, aufgegeben ... wenn er hier bliebe, würde er so „primitiv”, so schlicht und geistlos wie wir ... und der Riß in seinem Sein schloß sich. Es gab keinen Konflikt mehr in seinem Wesen, keinen Widerspruch. Seine Energie schien jetzt durchpulst von dem weißen Licht, das zuletzt den energetischen Kontakt der Taelons nach unserem Gesang bestimmt hatte, entschlossen und kraftvoll. Seine Gestalt war stabil, die Fassade geschlossen und makellos. In seinem Geist erschien das Bild, das nie wieder zu sehen ich so sehr gehofft hatte: Eine Wüste von Horizont zu Horizont, totenstill. „Die Entscheidung der Synode ist unwiderruflich ...” Die Gesangshüterin der Erde ließ Da'an los und trat einen Schritt zurück. „Geh, Da'an,” sagte sie. „Geh mit den Deinen ...”

Da'an sah die Gesangshüterin der Erde eine Zeit lang an, mit seinen großen hellen Augen und einem undeutbaren Gesichtsausdruck, dann wandte er sich um und folgte den letzten seiner Artgenossen, die gerade die drei verbliebenen Shuttles bestiegen. Er betrat das letzte, und die drei Flugwesen hoben ab, stiegen auf und verschwanden im Nichts. Zitternd und fest zusammengekrümmt hockte ich zwischen den Flügeln der Meinen, immer noch das Bild der endlosen Wüste vor Augen, und konnte mich nicht beruhigen. Die Taelons hatten sich nicht nur entschieden, uns zu verlassen. „Die Entscheidung der Synode ist unwiderruflich...”
Wir hatten für sie gesungen, mit ihnen geteilt, angeboten, ihnen ein neues Brudervolk zu sein ... und ihre Synode hatte entschieden - entschieden, unsere Welt in eine Wüste zu verwandeln, in der es kein Leben mehr gab ... um ihre Stützpunkte darauf zu bauen, mittels derer sie ihr einstiges Brudervolk zu vernichten trachteten; um von unserem Planeten aus weitere Welten zu erobern, mit denen sie den Abgrund in sich füllen zu können glaubten ... ich versuchte verzweifelt zu verstehen, aber es gelang mir nicht.
Sehr warme kräftige Hände berührten mich und richteten mich auf. Die Gesangshüterin der Erde schaute mir in die Augen: „Aveena,” sagte sie ruhig, „es ist jetzt nicht die Zeit zu trauern. Jetzt ist die Zeit zum Handeln.” Ich fühlte ihre Energie die meine stützen und stabilisieren, ähnlich wie sie das für Da'an getan hatte, und lehnte mich gegen sie, bis ich zu meiner eigenen Kraft zurückgefunden hatte. Was aus uns und unserer Welt werden würde, lag auch in unseren Flügeln/Flossen/Händen ...

Wir hielten Rat, hier wo wir waren, alle versammelt um die verlassene Taelon-Behausung und immer noch mehr der unseren strömten dazu ... inzwischen war die Dunkelphase angebrochen und wir wußten, daß uns nur wenig Zeit blieb ... wir hielten tiefen Kontakt, und ich ließ in diesen Kontakt rückhaltlos und ungeordnet alles einströmen, was ich an Bildern, Worten, Klängen, Gedanken und Gefühlen aus meinem Zusammensein mit den Taelons mitgenommen hatte ... und die anderen nahmen es auf und begannen es zu drehen und zu wenden, zu sortieren, neu zu beleuchten, in unsere ureigenen Zusammenhänge einzuordnen ... jemand dicht neben mir filterte einen glühend heißen Gedankenstrang aus dem Strom heraus, sehr komplex und straff strukturiert: T'thans geplantes Vorgehen bei der „Sterilisierung” unseres Planeten. Ich zuckte zurück und wollte diesen Strang um keinen Preis berühren, bekam ihn aber in die Flügelhände gedrückt ... Die Taelons würden zu Beginn der nächsten Hellphase mit einer großen Gruppe Shuttles und anderer Flugwesen am Rande der Zentralwüste auftauchen, von dort aus in einem bestimmten Muster über die Wälder fliegen und Energiewaffen abwerfen, die in einem großen Radius alles der Wüste gleichmachen würden. Über den Meeren würden Substanzen abgeworfen werden, die das Wasser so verändern würden, daß Leben darin unmöglich wäre. Es hatte ursprünglich einen anderen Plan gegeben, der vorsah, die „Sterilisierung” mit einer unvorstellbaren Waffe vom Mutterschiff aus vorzunehmen, dies war aber verworfen worden, da sich der Planet dadurch so verändert hätte, daß sich auch die Taelons nicht mehr hier hätten aufhalten können.
T'than hatte letzteren Plan aber ohne Bedenken aufgegeben - beliebig viele Shuttles konnten gleichzeitig über unseren Wäldern auftauchen, es bestünde niemals Gefahr für sie - weil wir hier unten keinerlei Abwehrwaffen besaßen ... Völker auf anderen Planeten verfügten offenbar über Energien oder Gegenstände, mittels derer sie fliegende Geschöpfe einfach aus dem Himmel abstürzen lassen konnten - wir hier hatten nichts dergleichen. Mit äußerster Mühe hielt ich meine Konzentration gegen die Woge von Entsetzen zusammen, die uns alle gleichzeitig überflutete, als uns das klar wurde: Wir hatten nichts, was wir den Taelons entgegensetzen konnten...wir hatten nie „Waffen” entwickelt; wozu braucht man Gegenstände, die nur dazu dienen, zu zerstören, womit man tief verbunden ist? Die Taelons würden kommen, sobald es wieder hell wurde, um unsere Welt zur Wüste zu machen mit Donner, Blitz und Sturm, wie zuvor den Kleinen Wald...

Donner, Blitz und Sturm ... In meinem Geist entstand das Bild des schlimmsten Unwetters, daß unseren Stamm je für längere Zeit in den Bäumen gehalten hatte...Hell- und Dunkelphasen waren nicht mehr zu unterscheiden gewesen, Wasser war aus dem Himmel gestürzt, und selbst die Stärksten und Ausdauerndsten unter uns hatten nicht aufsteigen können, um in den Wolken zu tan - zen ... hatten nicht fliegen können ... nicht fliegen ... Dieses Bild, verbunden mit dem Geschmack von Regen und einem grünen Aufleuchten einer möglichen Hoffnung, ließ ich in den Kontakt strömen ... wenn wir dafür sorgen könnten, daß die Shuttles nicht fliegen konnten ... und alle griffen es auf, drehten und wendeten es wie zuvor die Eindrücke von den Taelons und T'thans Pläne ... Wenn die Sonne auf dem Höhepunkt eines Umlaufzyklus so lange brennt, daß unsere Blattdächer braun und durchlässig werden und die Früchte an den Zweigen vergären, noch bevor sie reif sind, dann fliegen wir hinaus aufs Meer und rufen die, die in strömenden Tiefen zu Hause sind, um Hilfe an. Und sie beginnen in den Wassern zu tanzen ... und Wasser steigt hinauf in den Himmel und formt sich zu Wolken ... und wir singen die Wolken über die Wälder ... und Regen fällt und erhält das Leben der Bäume, der Erde und der Unseren ... Ein kraftvoller, blaugrüner Gedankenstrang wand sich um das Bild, das ich in den Kontakt gegeben hatte - der Gesangshüter der Wasser. Die Wasser-Leute sind das älteste Volk unserer Welt, sie sind den Anfängen des Lebens so nahe wie kein anderes. Sie hüten die ältesten Legenden ... und eine davon ließ ihr Gesangshüter jetzt in den Kontakt strömen, kraftvoll und Hoffnung weckend:

„ Diese Welt war einst Stein
Stein und Hitze
Druck und Bewegung
und aus dem Stein wurde das Wasser gepreßt...”

Die Legende vom Ursprung der lebenden Völker ... Und als er weiter sang, formte sich in uns allen langsam der Weg, wie wir unsere Welt vielleicht würden bewahren können. Dieser Weg würde, wenn es gelänge, ihn zu gehen, das Gesicht unseres Planeten für immer verändern; und viele von uns würden wohl nicht überleben. Aber ein Teil eines jeden Volkes würde am Leben bleiben, und ein Teil alles anderen Lebens hier auch. Wenn wir alle mit unserer Welt zusammenwirken würden, würde es keine ewige Wüste geben.

Es blieb uns so wenig Zeit ... Das Dringlichste war, die Stämme zu warnen, die in den Gebieten lebten, die als erstes zur „Sterilisierung ” vorgesehen waren, damit so viele wie möglich noch fliehen konnten ... kaum war dieses Gedanke in den Kontakt gegeben, begannen schon die ersten die Warnung zu singen und aus dem riesigen Kreis herauszugeben.
Jemand anderes aus dem Wasservolk hatte die Legende der langen Trockenzeit angestimmt, die davon handelte, wie die Wasserleute die Stämme jenseits der Zentralwüste davor bewahrt hatten, in einer ungewöhnlich lang anhaltenden Dürre auszusterben, indem sie das Meer zum Kochen brachten und Sturm und der rettende Regen über die Wüste kamen ... Die Shuttles durften nicht fliegen ... „Wir müssen den Sturm rufen ...” „wir brauchen Regen ...” „Hell- und Dunkelphasen müssen ununterscheidbar werden ...” „die Erde bebt, das Meer kocht...” „erinnert Euch...” „wir tanzen in den Wassern, an den heiligen Orten ...” „wenn das Feuer aus der Erde bricht, wird es dunkel über den Bäumen ...” „die alten Gesänge, die uralten ...” Bilder und Gedankenstränge fluteten durch den Kreis, unübersehbare Schwärme unseres Volkes in Formation um riesige, tiefdunkle, schwere Wolkengebirge fliegend ... eine gigantische, aufsteigende Flutwelle ... tanzendes Erdvolk und aus einem Felsen hervorbrechendes Feuer ... Regen, Sturm und Dunkelheit...
„Wälder werden vernichtet werden ...” „es wird kalt werden, so kalt ...” „nichts wird wachsen können, in der Dunkelheit, für lange Zeit ...” „wir haben doch Vorrat angelegt für die kalte Zeit ...” „ihr werdet in der Erde leben, mit uns ... niemand friert ...” „wie lange wird es dauern ...” Die Gedanken, Lieder und Bilder verflochten sich, wanden sich wieder auseinander, verflochten sich neu und anders ... dazwischen wob sich die Antwort der Stämme am Rand der Zentralwüste: „Wir haben Euer Lied vernommen ... wir geben unsere Bäume auf und unsere Höhlen, um die Unseren zu retten ...”
Und dann war der Weg entschieden, den es zu gehen galt, um von uns und unserer Welt zu bewahren, was in unserer Kraft stand. Wir würden den Sturm rufen. Und den Regen. Wir würden das Feuer rufen aus den Tiefen unserer Welt, auf daß es dunkel würde über den Wäldern. Nichts und niemand würde mehr fliegen können für eine lange Zeit.

Als die Hellphase anbrach, hatte sich unser Kreis bereits aufgelöst. Alle bewußten Wesen dieser Welt versammelten sich ... an den Orten, von denen aus ein besonders guter Kontakt möglich war ... Kontakt mit dem Innersten unserer Welt, wo das Feuer wohnt ... mit den Stellen im Meer, an denen sich das Wasser zu riesigen Flutwellen türmen kann ... mit den kreisenden Strömen hoch am Himmel, die die Stürme gebären helfen ...

Die Shuttles der Taelons erschienen und verwüsteten das Gebiet, das in dieser Hellphase dafür vorgesehen war. Alles Volk war noch in der Dunkelheit geflohen. Wir sangen und tanzten in der Luft, in den Wassern und auf der Erde. Wir sangen und tanzten mit einer einzigen, gigantischen Stimme den Gesang, den wir im Kreis gefunden hatten:

„Höre,
Welt, die uns trägt
die, die aus dem Nichts kamen,
werden uns zu Nichts machen
einsam wirst Du sein
niemand mehr, der singt
niemand mehr, der tanzt
einsam wirst Du sein
tot und kalt

Nichts wirst Du mehr hervorbringen
nichts mehr ins Leben weben
tot und kalt

Höre,
Welt, die uns trägt
wir wünschen, daß Du lebst
daß das Ganze bleibt
so wie es war
von den Anfängen an
vergehend und werdend
unter dem Himmel
sich ständig wandelnd
in lebendiger Bewegung...”

Millionen Füße, den gleichen Rhythmus tanzend ... Millionen Kehlen und Resonanzsehnen, die gleiche Trägerwelle aufbauend ... Millionen Flügel im gleichen Rhythmus in der Luft ... Millionen Stimmen, die gleichen Obertöne webend ... Die Erde dröhnte. Die Meere begannen zu kochen. Und der Sturm brach los.

Und dann war eine neue Stimme da ... eine Stimme ungeheurer Kraft, zornerfüllt, ein gigantischer pulsierender Rhythmus unter dem unseres Rufes, der immer mehr anschwoll ... aus den Tiefen der Meere, aus den Tiefen der Felsen ... die ureigene Stimme der Welt, die uns trägt - die Stimme des Planeten selbst. Entlang der Linien, die die heiligen Orte des Kontaktes mit ihm miteinander verbinden, brach die Erde auf und hob sich empor ... und Asche, Rauch und Feuer erfüllten die Luft ... Als schließlich die Stimme unserer Welt unseren Gesang übertönte, ließen wir ihn ausklingen.

Wir verbargen uns in Gebieten, wo die Erde nicht bebte, wo keine Feuer speienden Berge hervorgebrochen waren. Wir hausten im verschlungenen Geäst der Ph'taalbäume, die nicht von den tobenden Stürmen gebrochen wurden. Wir hockten dicht an dicht in den Höhlen des Erdvolkes, für eine lange, lange Zeit.
Die Taelons flogen zunächst ihre Angriffe auf unsere Welt weiter. Die Shuttles sprangen aus dem Nichts in den Sturm, in die Aschewolken, in die Feuer oder in die dröhnende Dunkelheit. Sie warfen keine vernichtenden Waffen mehr ab. Den meisten gelang gerade eben noch der rettende Sprung zurück ins Nichts, andere, die hilflos die Orientierung verloren hatten, stürzten ab, über der Wüste, ins Meer oder in die feuerspeienden Berge ... Einige wenige stürzten in das dicht verwobene Geäst der Ph'taalbäume, eines davon in den Baum, unter dessen Wurzeln unser Stamm mit den dort ansässigen Erdleuten lebte. Wir spürten die heftige Erschütterung in dem riesigen Baum, als es darin landete, und drei aus meinem Stamm und ich krochen zwischen den Wurzeln hervor, mühten uns den heftig schwankenden Ph'taal hoch und bargen es, indem wir es so tief zwischen die Äste zogen, daß der Sturm es nicht mehr forttragen konnte. Es hatte so weich aufgesetzt, daß es nicht einmal verletzt war, nur vollkommen verwirrt. Ich brachte es dazu, seinen Bauch zu öffnen - so konnte ich nach den beiden Wesen darin sehen, deren Bewußtseine ich von draußen hatte wahrnehmen können ... Die beiden Taelons im Inneren des Shuttles starrten mich völlig entsetzt an. Den einen von ihnen erkannte ich wieder, das war das Wesen, das in der Synodenversammlung gesagt hatte, wir wären nicht in der Lage, abstrakt zu denken - was immer damit gemeint war -, der andere war mir fremd. Beide hatten eine Hülle um ihre Energie, die immer wieder heftig aufleuchtete. Und beide waren unverletzt, wie das Shuttle, und genau so verwirrt.
Sehr vorsichtig ging ich ein paar Schritte auf sie zu, mit aneinander gelegten Flügelhänden signalisierend, daß ich keinesfalls die Absicht hatte, sie zu berühren. In ihrer Sprache lud ich sie ein, mit uns den Baum hinunter in die Höhle der Erdleute zu kommen, bei denen wir für die Dauer der Unwetter draußen untergekommen waren. Die beiden Wesen drückten sich in ihre Sitze und lehnten mein Angebot mehr entsetzt als entschieden ab. Ich erklärte ihnen die Vorzüge einer warmen Höhle gegenüber einem sturmgeschüttelten Ph'taalbaum, in den jeden Augenblick der Blitz würde einschlagen können...aber ihre Angst vor einer Berührung mit jemandem von uns war größer als die Furcht, vom Blitz getroffen zu werden...vor allem, weil sie ihr Shuttle als einen sicheren Schutz davor betrachteten... Die beiden Taelons blieben im Baum in ihrem Shuttle, egal, wie oft wir später noch versuchten, sie zu uns einzuladen. Wir schauten oft nach ihnen, verankerten das Shuttle immer wieder neu in den Ästen. Die meiste Zeit verbrachten die beiden blauen Wesen in einem Zustand völliger Erstarrung, mit geschlossenen Augen in einer aufrechten, gesammelt und konzentriert erscheinenden Haltung. Sie wollten weder Wasser noch Nahrung noch Beistand von uns. Anfangs, als ich sie in diesem Zustand wahrnahm, fürchtete ich um ihre Unverletztheit, also wagte ich es, den einen, den ich kannte, ganz sanft mit der Flügelspitze zu berühren...er merkte es gar nicht, er war im Geiste verbunden mit seinem Volk hoch über unserer Welt, mit seinem „Gemeinwesen”...

Als es begann, hatten wir einmal mehr das Shuttle-Wesen in den Ästen des Ph'taalbaumes verankert, aus denen der unvermindert anhaltende Sturm es immer wieder loszureißen drohte. Ich war vorsichtig in es hinein gestiegen - die beiden Taelons saßen in ihrer erstarrten Haltung mit geschlossenen Augen da wie sonst auch, aber statt des gewohnten blaßblauen Farbtons erschien ihre Haut aschfahl, und ihre angespannten Gesichtszüge drückten etwas wie Verzweiflung aus ... eine flackernde, ungute Vibration erfüllte das Shuttle, etwas war überhaupt nicht in Ordnung ... Sehr vorsichtig berührte ich die beiden Wesen mit je einer Flügelhand ... und war mit ihnen verbunden ... mit ihnen und unzähligen anderen Taelons, so wie damals in dem allerersten Kontakt mit Mit'gai ... diesmal bemerkte mich keiner von ihnen. Alle waren auf ihren gemeinsamen Energiekontakt konzentriert und auf das, was in diesem gewirkt wurde. Noch mehr Taelons hatten ihren blauen Farbton verloren und statt dessen dieses ungute Grau angenommen, einige davon waren nur noch blaßgraue, durchscheinende Energie, die ständig ihre Form zu verlieren drohte ... Zo'or löste sich aus dem Kontakt und griff nach einer Art Stab, den er in einer zeremoniell wirkenden Geste erhob. Dann schied der Synodenführer aus dem Kontakt aus, vollführte ebenfalls eine solche Handbewegung und erhob die Stimme:

„Ihr, die Ihr auf diesem Planeten
die nächste Ebene oder Obdach gefunden habt,
zählt nicht länger zu den Meinen...”

Die beiden Taelons, die ich berührte, durchlief ein heftiger Schauder.

„Keiner von Euch,
gleich auf welcher Ebene er weilt,
zählt mehr zu unserem Volk.

Ihr habt berührt,
was uns vernichten könnte;
Ihr tragt es in Euch
und brächtet es mit zu uns,
nähmen wir Euch wieder auf in diesen Kreis.

Wären wir vereint mit Euch,
wären wir nicht mehr die, die wir sind;
dem Verlust unseres Geistes
wären die Türen geöffnet,
umsonst wäre unser Kampf gewesen.

Geht
für die Ewigkeit.
Keiner von Euch
wird je eine unserer Sphären mehr betreten.
Keiner von Euch
zählt mehr zu unserem Volk.”

Zo'or ging während dieser Worte von einem seiner grau verfärbten Artgenossen zum nächsten und durchschlug mit einer einzigen präzisen Bewegung mit dem Stab die bläuliche, energetische Struktur, die den jeweiligen Taelon mit der Energie des Gemeinwesens verband. Die so Getrennten flammten noch einmal hell auf - und waren verschwunden.
Ihre Trennung vom Gemeinwesen ließ die beiden Taelons hier im Shuttle krampfartig zusammenfahren und in eine Art Bewußtlosigkeit fallen. Inzwischen hatten sich auch die drei meines Stammes, die draußen noch weitere Äste um die Füße des Shuttles geflochten hatten, herein gedrängt, und gemeinsam gingen wir vorsichtig in tiefen Kontakt mit den offenbar verletzten Wesen ... Ihr Volk hatte sie ausgestoßen. Das riesige Mutterschiff über unserem Planeten würde bald davonfliegen, so wie ich es in Da`ans Geist gesehen hatte, und alle Taelons, die hier abgestürzt waren, seien es tödlich Verunglückte oder Überlebende, wurden nicht nur physisch hier zurückgelassen, sondern waren auch aus dem Gemeinwesen, der geistigen Verbindung aller Taelons untereinander, verbannt worden - um den Einfluß, dem sie hier vielleicht ausgesetzt waren, nicht in das Gemeinwesen hinein tragen zu können ... und das bedeutete für die hier Zurückbleibenden ein so furchtbares Ausmaß an Einsamkeit, daß es ihr ganzes Sein für immer verändern würde...
Atavus.

Die beiden aschfahlen Wesen fühlten sich kaum mehr lebendig an. Ihre Gesichtszüge wirkten stumpf und vergröbert, die jetzt halb geöffneten Augen blicklos. Beide schienen den größten Teil ihrer Energie verloren zu haben. Wir fühlten, daß wir diese hilflosen Wesen nicht allein hier im Baum lassen konnten, also schafften wir sie sehr vorsichtig hinab und nahmen sie mit uns in die Behausung des Erdstammes, bei dem wir jetzt lebten. Nach dem Shuttle würde weiterhin jeden Tag einer der Unseren schauen gehen, auch wenn dieses gar keine Notiz von uns nahm und nur sinnlos vor sich hin summte. In der Erdhöhle angelangt, fanden wir für die beiden Taelons einen Platz in der Nähe einer Feuerstätte und betteten sie auf aufgeschüttetes Ph'taal-Laub. Immer war jemand von uns oder vom Erdvolk an ihrer Seite. Wir wachten über sie, konnten aber nichts für sie tun - jeder Versuch, hinzufühlen, was sie brauchen könnten, scheiterte an der Verkapselung, in der sich ihr Bewußtsein zu befinden schien ... wir erreichten nichts, was hätte antworten können, weder mit unseren Gedanken und Gefühlen noch mit heilender Energie oder den Klängen und Vibrationen dessen, was wir für sie sangen ... und sie begannen, sich weiter zu verändern. Aus den grazilen, fast ätherischen Geschöpfen, die sie gewesen waren, wurde etwas viel Stofflicheres, Gröberes ... etwas, das schließlich dem Wesen aus Da'ans Geist gleich wurde. Jeder einzelne von ihnen wurde zu einem Atavus, zu dem, was Da'an aus Furcht davor veranlaßt hatte, das Angebot, zu bleiben, auszuschlagen... „geistlos”, „primitiv” hatte Da'an es genannt und es verabscheut ... Ich hockte neben einem der beiden und betrachtete es, als es sich plötzlich krampfartig streckte und die Augen aufschlug. Sein Blick traf meinen - und im nächsten Moment war das Wesen auf den Füßen und sprang mich an.

Viel zu überrascht, um mich zu fürchten oder zu wehren, ging ich mit dem Atavus zu Boden. Er umklammerte mich mit viel mehr Kraft, als er in seinem geschwächten Zustand hätte haben dürfen, und starrte mir ins Gesicht ... mit tiefschwarzen, völlig leeren Augen ... und ich wurde in einen Sog gerissen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab ... Dieses Wesen war dabei, zu verhungern .. .alles, was es einmal davor bewahrt hatte, diesen Abgrund aus Leere in sich zu spüren, den jeder Taelon in sich trug, war ihm mit dem Ausstoß aus dem Gemeinwesen genommen worden. Geblieben war nur die Leere selbst, schwarz und kalt ... Mit nichts verbunden, außerstande, selbst lebendige Energie hervorzubringen, Wärme oder Gefühl, war dieses Wesen nur noch Verzweiflung, getrieben von nichts als dem Wunsch, den Abgrund in sich zuzuschütten, um ihn nicht mehr fühlen zu müssen ... und jede beliebige Energie taugte dafür, egal, wer oder was sie hervorgebracht hatte ... so unendlich viel Schmerz ... meine Reflexe setzten ein, antworteten auf den tödlichen Hunger des Atavus, und die Kraft begann zu fließen, in einem breiten, sonnenhellen, warmen Strom ... das hier war anders als im Kontakt mit den Taelons, die ich zwischen den Flügeln gehalten hatte ... nichts widersetzte sich dem Kraftstrom, und nichts antwortete darauf ... ich verstärkte den Energiefluß zu maximaler Intensität, ließ das Bild eines ausgetrockneten Flußbettes mit hinein strömen, das sich in einem ausgiebigen, heftigen warmen Sommerregen wieder mit Wasser füllt...und das Bild eines der unseren, der sich satt ißt...das Bild einer aus dem Erdvolk, den Körper ganz durchwärmt von der Sonne ... und spürte irgendwann etwas wie ein Echo, ein Signal, daß die strömende Kraft etwas erreicht hatte ... der Sog, den ich am Anfang gefühlt hatte, verstärkte sich ... und dann sah ich in der Ferne, weit weg in der Dunkelheit, in die meine Kraft verschwand, eine kleine blaugrüne Flamme aufflackern. Wenn es mir gelang, diese Flamme zu stärken, zu einem Feuer anzufachen ... in mir öffneten sich Reserven, von denen ich selbst nicht gewußt hatte, daß ich darüber verfügte ... der Energiestrom wurde heiß und golden und unendlich breit und begann endlich, den Abgrund wirklich zu füllen ... Der Sog ließ nach und ebbte schließlich ganz ab. Kälte und Schwärze waren vertrieben, der Hunger gestillt ... aber die blaugrüne Flamme war immer noch unstet und schwach ... in einem goldfarbenen Nebel trieb ich auf sie zu, suchte und fand einen neuen, sehr dünnen Energiestrom in mir, den ich ihr zufließen ließ ...
Eine massive, sehr warme, tiefrote Energie versperrte mir den Weg dorthin. Ein entschiedenes, unwiderrufliches Nein. Sie schloß sich um mich, obwohl ich mich dagegen wehrte, und dann wurde ich aus dem goldenen Nebel fortgerissen ... weg von der Flamme, die doch ein Feuer werden mußte ... „Nein, Aveena, nicht jetzt ...” Ich fand mich in den Armen der Erd-Gesangshüterin wieder, umringt von Wind- und Erdleuten, die Kontakt hielten. Neben mir lag der Atavus, ebenfalls von zahlreichen Flügeln und Händen gehalten ... er hatte den Kopf in meine Richtung gedreht und schaute mich an. In seinen großen Augen lag ein hauchfeiner goldener Glanz.

 

Ende von Kapitel 2

 

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