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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite)
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Thema:  Muster der Ordnung / Ankunft auf Jaridia
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  die Gesangshütenden des Erd- und des Wasservolkes, der auf dem Weg, Aveena, der Erinnerer der Zhawi, der Sprecher, der Heiler und der Anführer der Jaridians (die Besatzung des Kreuzers, die übrigen Zhawi, Jaridia, zwei Atavi)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 16

 

Etliche Hell- und Dunkelphasen später hatten wir uns dem System so weit genähert, daß die Zhawi ihren zukünftigen Heimatplaneten mit ihrem wieder hergestellten Schiff leicht würden erreichen können. Sie hatten, wann immer es möglich war, die notwendigen Reparaturen durchgeführt und das Schiffsinnere endgültig so umgestaltet, daß sie sich in ihrer neuen Gestalt frei darin bewegen und die Geräte darin bedienen konnten. Der Interdimensionsantrieb hatte sich allerdings als nicht mehr rekonstruierbar erwiesen, was sowohl die Zhawi als auch die Jaridian wirklich bedauerten.
Der Planet war mit Multifunktionssonden noch mehrfach untersucht worden - er bot wirklich alle Bedingungen, die die Zhawi zum Überleben brauchten, vor allem gab es mehrere Arten Sträucher und Kräuter, die den dringend benötigten Botenstoff enthielten so wie ungewöhnlich aussehende sechsfüßige graue Geschöpfe, die sich davon ernährten - die Zhawi bekamen leuchtende Augen beim Anblick der entsprechenden Aufzeichnungen ... Mit dem Konzept der Jagd konnte ich ebenso wenig anfangen wie mit dem des Krieges und fand es beängstigend, darüber nachzudenken - ich konnte es nur als existent akzeptieren und als eine Notwendigkeit für die Zhawi, die so anders waren als wir ... Wir hatten auf dem langen Flug bis hier her immer wieder Zeit mit ihnen verbracht und staunend gelernt - über die Geschichte ihres Volkes und ihrer Welt, über die Macht und Bedeutung der Steinbildnisse, die diese Geschichte nicht nur bewahrten, sondern auch zukünftige Wege aufzeigten ... Wenn mehrere Zhawi gemeinsam an einem der großen Bildnisse arbeiteten, waren sie einander, der Idee des Bildes und dem Material, aus dem sie es fertigten, auf eine sehr ähnliche Weise verbunden wie wir es sind, wenn wir Kontakt aufnehmen mit der, die uns trägt. „Sie sehen die Ordnung, wie die Meinen es tun”, hatte der auf dem Weg dazu gesagt, „nur sehen wir sie in den Feuern, und sie folgen den Spuren in den Stein ...”
Wir staunten immer wieder über ihre Art der Stammesorganisation, die sich von der unseren so sehr unterschied - bei den Zhawi hatte, ähnlich wie bei den Jaridians, jeder seinen festen Platz im Gefüge und entschied nur innerhalb seines Bereiches, und der Stammeserste bestimmte über die Belange, die alle betrafen, während bei uns jeder tat, was er wollte und konnte, dabei immer wieder in das Ganze hinein fühlend, ob es stimmig war, und über alles Wichtige immer gemeinsam Rat gehalten wurde von allen, die es betraf ... Was taten bei den Zhawi diejenigen, die mit einer Entscheidung ihres Stammesersten nicht einverstanden waren? Was hatte es mit dem Konzept der „Ehre” bei ihnen auf sich, und wie fühlte es sich an, kleine Nichtflügge in die Welt zu setzen, die, inklusive der Federn, bereits ihre Erwachsenengestalt hatten?
So viele Fragen, die jetzt unbeantwortet blieben ... Die Zhawi hatten ihr Schiff auf die Abkoppelung vom Kreuzer vorbereitet. Die Jaridians hatten sie mit einer reichlichen Menge an Vorräten versehen, sowohl an Nahrung als auch an Botenstoff-Lösung, sowie mit mehreren ihrer galaxisweit arbeitenden Kommunikationsgeräte und allen Werkzeugen, von denen sie sich Hilfe für die Zhawi beim Aufbau ihres Lebens auf ihrer neuen Heimatwelt versprachen. Jetzt standen die gesamte Kreuzer-Besatzung, die Zhawi und wir beieinander in dem riesigen Raum, der die Shuttles beherbergte und an den das Zhawi-Schiff noch angedockt war, und nahmen Abschied.
Der Erinnerer, der Sprecher und wir waren in Kontakt, und der Erinnerer sagte, laut und über die Berührung: „Mein Volk dankt den Euren aus tiefstem Herzen. Ihr habt den Verlorenen Hoffnung gegeben ... Wir werden tun, was in unserer Macht steht, um den Weg zu ebnen, daß die Unseren frei werden. Wir werden die Muster der Ordnung in Stein fügen, auf daß der Weg sich öffnet und die Jäger einst wieder aufsteigen über den Gipfeln und den roten Ebenen. Und was wir in Stein fügen, soll mit Euch sein, auf daß auch Eure Wege dort hin führen, wo die Höhlen geräumig sind und die Beute zahlreich ist, auf daß Eure wachsenden Stämme gedeihen ...”
Er schaute jeden von uns noch einmal an. Über den Kontakt ließen wir ihm Energie und unsere guten Wünsche für ihn und die Seinen zufließen. Vom Sprecher der Jaridians kam tiefer Respekt und vor allem der Wunsch, es möge gelingen, die Zhawi auf ihrer Ursprungswelt zu befreien. Schließlich löste sich der Erinnerer aus der Berührung und wandte sich den Seinen zu. „Die Zeit ist da”, sagte er. „Werden wir eins mit dem, was die Ordnung einst in Stein fügte ...”

Das Abkoppelungsmanöver verlief nach Plan, und während der Kreuzer das System verließ, sahen wir auf den Hologrammen auf der Brücke das Zhawi-Schiff den Planeten anfliegen und in einen Orbit darum gehen. Dann wurde angeordnet, daß wir vier uns in unserer Unterkunft in die Beschleunigungsbehältnisse zu begeben hatten, und darin verbrachten wir dieses Mal eine so lange Zeit, daß ich darüber die Orientierung verlor und selbst nach Verlassen des Schutzbehälters und entsprechender Information über die Dauer meines Aufenthaltes darin kein Gefühl mehr dafür hatte, wie lange wir insgesamt schon unterwegs waren. Wir waren Jaridia schon sehr nahe; in zwei Hell- und einer Dunkelphase würden wir dort landen, hatte der Sprecher gesagt ... Ich hockte auf dem Mitte-Lager, im Moment in unserer Bleibe allein, und hielt den kleinen Beutel mit Muschel, Zeichen, Stein und Ph'taalblatt offen in den Flügelhänden. Die Schwingungen derer, die uns trug und unser Ganzes war, wärmten mich, während ich überdachte, was vor uns lag.
Das Ganze, das Jaridia war, war seit unvorstellbarer Zeit geprägt vom Krieg gegen die Taelons. Dieser Krieg bestimmte alles auf dem Planeten und vieles auf den Welten, die zum jaridianischen Imperium gehörten. Die Jaridians lebten füreinander, für ihre Welt und dafür, diese vor den Taelons zu bewahren. Und wir würden ihre Welt bald betreten, um ihnen zu sagen, daß sie nur überleben könnten, wenn sie ihren Kampf beendeten und akzeptierten, daß sie und ihre Todfeinde einander brauchten ... Selbst wenn sie im Kontakt würden spüren können, daß dies für uns eine Wahrheit war - wer waren wir denn? Seltsame Wesen mit etwas undurchschaubaren Fähigkeiten und einer merkwürdigen Geisteshaltung von einer winzigen Welt, die per Zufall eine wichtige Rohstoffquelle darstellte, deren Bewohner jedoch nicht einmal eine Handwaffe halten konnten und noch nie jemanden auch nur geschlagen hatten ... Weshalb sollten die Anführer Jaridias überhaupt hören wollen, was wir zu sagen hatten? Gut, aus Neugier ... aber unsere neu gefundene Wahrheit war der ihren diametral entgegengesetzt ...
Die Tür zu unserer Unterkunft öffnete sich, und der auf dem Weg trat ein, was mich aus meinen Gedanken auftauchen ließ. Ich zog den kleinen Beutel wieder zu, schaute den Feuervolk-Angehörigen an und wünschte mir in diesem Augenblick, die Muster der Ordnung in der Zukunft sehen zu können, egal wie, so wie er oder die Zhawi es konnten ... Er hockte sich zu mir, legte mir eine Hand auf den linken Flügel und fing auf, womit ich beschäftigt war. „Ich weiß nicht, ob man das jemandem beibringen kann ... aber wenn Du willst, kann ich Dir zeigen, wie ich es tue”, bot er an, und als er wahrnahm, wie sehr ich mich darüber freute, ging er zu einer der Halterungen an der Wand, wo sein Bündel verstaut war, und entnahm diesem die Feuerschale, die er ab und zu benutzte, zwei Hände voll toten Holzes, einen glatten, schwarzen Stein sowie den kleinen metallenen Gegenstand, der ihm half, ein Feuer zu entzünden. Mit all dem kehrte er auf das Mitte-Lager zurück, schichtete das Holz auf besondere Weise in der Schale auf und schlug mit dem Metallstück einen kräftigen Funken aus dem schwarzen Stein. Das Holz begann sofort zu brennen, mit stetiger orangefarbener Flamme.
Der auf dem Weg hatte die Schale so plaziert, daß sie sich genau in der Mitte zwischen uns befand. „Schau ins Feuer ...” sagte er, „schau ins Feuer und sieh die Ordnung darin ...”
Ich blickte in die Flammen, die tanzend das Holz in sich einschlossen, an den Rändern golden werdend, fühlte ihre Hitze ... und spürte, wie schwer meine Augenlider wurden ... Der auf dem Weg nahm sanft meine Flügelhände. „Nein, nicht träumen”, meinte er, „Du willst doch die Ordnung sehen ... bleib' konzentriert ...” Ich bemühte mich, wach und klar in die Flammen zu schauen, und bemerkte plötzlich, daß sie keineswegs nur länglich, orange und golden waren, sondern daß auch andere Farben immer wieder darin aufflackerten: grün ... blau ... weiß ... gelb ... und daß diese Farben offenbar regelmäßigen Mustern folgten ... spiraligen Formen, wie bei der Muschel, die ich in dem Beutel bei mir trug, und diese Formen waren überall ... in groß, in klein, in ganz winzig ... große Formen brachten kleinere Formen hervor, kleinere die ganz winzigen ... bis ... bis in die Unendlichkeit ... bis in die Ewigkeit ... Der auf dem Weg nahm meine Flügelhände in einen festen Griff. „Nicht auflösen ... hier bleiben ... Du hast richtig geschaut und eines der wichtigsten Prinzipien der Ordnung erkannt, aber Du mußt mit Dir eins bleiben dabei ...” Er intensivierte den Kontakt. „Wir versuchen etwas anderes ...” - plötzlich hatte ich das Gefühl, von ihm umschlossen zu werden. „Schau in die Flammen ... aber dieses Mal durch meine Augen ...” Ich schaute.
Die Flammen waren vollkommen verändert. Da waren die Farben und die unendlichen Spiralmuster, und da war noch viel mehr ... ich sah das verkohlende Holz - und plötzlich die Blätter und die orangenen Beeren daran, es waren Zwischenholzästchen, die der auf dem Weg verbrannte ... und ein riesiger Ph'taal rückte in mein Blickfeld, auf dem der mächtige Zwischenholzstrauch siedelte, zu dem diese Ästchen gehörten ... „Wir schauen in die Vergangenheit”, erklärte der auf dem Weg, „und in die Gegenwart ...” So deutlich und vollkommen hatte ich noch nie ein Feuer gesehen. „Die Ordnung im Feuer ist die Ordnung in und zwischen den Sternen”, klang es um mich herum, „denn was sind die Sterne anderes als Feuer, Raum und Zeit erleuchtend und Wärme gebend für das Leben im Universum?” Ich war mitten im All, und die Sterne, die ich um mich herum wahrnahm, waren eingewoben in ein Netz aus silbrigen Linien. „Die Muster der Ordnung von Raum und Zeit ...” Ich glaubte, Spiralmuster darin zu erkennen und bekam Bestätigung, ich schaute und fühlte, sprachlos vor Staunen - und vor Freude. Das hier war ...
Sanft schoben sich orangene und goldene Flammen vor die Sterne, und ich nahm das herunterbrennende Feuer in der Schale wieder wahr. Hellgraue, federleichte Asche hatte sich auf deren Grund zu bilden begonnen, die silbrig glitzerte und ein Band zu formen schien ... ich bekam einen sanften Stoß in den Rücken und flog plötzlich, wieder im All, mit den Gefühl von „vorwärts” ... „Wir schauen in die Zukunft ...” sagte der auf dem Weg, mit etwas wie Ehrfurcht in der Stimme. Die Sterne vor uns erkannte ich - das war das System, in dem Jaridia lag. Und dann waren wir Bestandteil eines Kontaktkreises, in jeder Hand die Hand eines Jaridians, der mit uns in die Zeit schaute ... Aus deren Tiefen heraus traten zwei Gestalten, hochgewachsen, muskulös und grobknochig, die Gesichtszüge ähnlich denen dessen auf dem Weg, mit kalt flammenden blauen Augen der eine, mit langem schwarzem Kopfpelz und in merkwürdige, enge schwarze Bekleidung gehüllt der andere ...
Ich flog aus dem Kontakt und landete unsanft im Laub des Mitte-Lagers, während der auf dem Weg mit leerem Blick zusammensackte. Ich konnte ihn gerade noch auffangen und die Flammen in der kleinen Feuerschale löschen, ehe er hinein gefallen wäre. Ich schob die Schale beiseite, nahm ihn zwischen die Flügel und drückte ihn an mich. Er zitterte am ganzen Körper, und sein Herz schlug viel zu schnell ... Er kämpfte darum, bei Bewußtsein zu bleiben, und ich hielt ihn, so fest ich konnte ... die beiden Gestalten hatten ihm sehr große Angst gemacht. „Sie sind meines Stammes”, brachte er mühsam hervor. „Und der eine”, - es erschien der Eindruck des Wesens mit den kalten blauen Augen - „hat bereits namenloses Elend über diese Galaxis gebracht ...”
Ich wärmte den zitternden Feuervolk-Angehörigen und sang ihm Geborgensein ... und betrachtete die kompakte Gestalt in dem Gedankeneindruck, der immer noch in der Berührung war. Jemand seines Stammes ... Atavus.
Die Gestalt mit den blauen Augen, in denen blanke Besessenheit stand, war ein Atavus.
Und ich kannte ihn.
Ich kannte ihn aus der Arbeit mit dem Sprecher - oder viel mehr aus meinen Traumvisionen danach. Der Gezeichnete, der besessen war von der tausendfältigen Bedeutung des Wortes „Leben” im Lied der Komplexschwingung, von der Idee, „Ewigkeiten zu überdauern ...”
In Gedanken trat ich der Gestalt entschlossen gegenüber und wies mit der rechten Flügelhand auf die Tür unseres Quartiers. Der Atavus bedachte mich mit einem spöttischen Blick, wandte sich um und verließ uns.
Die zweite Gestalt war nirgends mehr zu sehen.
Der auf dem Weg kam langsam wieder zu sich, mit spürbarer Erleichterung. Sein Herzschlag hatte sich beruhigt, und ich half ihm, sich aufzurichten, bevor ich aus dem Bündel der Erd-Gesangshüterin eine Hand voll des Kräutergemisches holte, aus der sie damals für den Sprecher und mich den Sud hergestellt hatte, der uns wieder in uns selbst verankerte. Ich entnahm der Nahrungsspendeeinheit einen Becher mit heißem Wasser, gab die Kräuter hinein, hockte mich wieder zu dem aus den Feuern, gab ihm den Becher in die Hände und nahm ihn so zwischen die Flügel, daß er sich bei mir anlehnte.
„Es tut mir leid”, meinte er, „ich wollte Dich doch nicht so erschrecken ...” „Es ist gut ...” antwortete ich ihm, „ich habe die Schönheit der Ordnung gesehen ... und was alles andere betrifft ...” Der auf dem Weg straffte sich und nahm einen Schluck von dem Kräutersud. „Was alles andere betrifft - davon muß gesungen werden, und zwar auf Jaridia ...” Er gab das Bild in die Berührung, kurz bevor die beiden Wesenheiten aufgetaucht waren: ein Kontaktkreis, je ein Jaridian zwischen zweien von uns - der eine war der Sprecher, ein anderer der, in dessen Hand der Sprecher in seiner Vision meine Flügelhand gelegt hatte und zwei, die ich nicht kannte - in einem Raum mit grauen Wänden und Unmengen von Geräten und holographischen Darstellungen. „Auf Jaridia ...”

Irgendwann füllte Jaridia die Bildschirme auf der Brücke ganz aus. Das Abbremsen und Einschwenken in einen hohen Orbit um die riesige Welt erfolgten so behutsam, daß wir die Schutzbehälter nicht aufzusuchen brauchten und auf der Brücke sein konnten, so lange wir uns still verhielten. Es herrschten Aufregung und Erwartung unter den Besatzungsmitgliedern, vor allem aber Freude darüber, ihre Welt und die, die sie dort zurück gelassen hatten, wieder zu sehen. In einiger Entfernung tauchte auf unserer Umlaufbahn schließlich ein sehr großes dunkles Gebilde auf, gegen das sich auf der holographischen Darstellung der Kreuzer verschwindend klein ausnahm. Die Jaridians nannten es eine „Raumstation”, und das Schiff wurde davon aufgenommen, wie es selbst ein Shuttle in sich aufnahm - und dann war es Zeit, unsere zusammengepackten Bündel an uns zu nehmen und den Kreuzer, der unser provisorisches Zuhause geworden war, zu verlassen.
Von der Raumstation selbst bekamen wir nicht viel zu sehen. Wir durchwanderten einen Teil davon zusammen mit der Kreuzerbesatzung, erreichten einen unüberschaubaren Shuttle-Hangar und bestiegen alle gemeinsam ein Shuttle, das mit einem geräumigen Wasserbehältnis und Sitzen ausgestattet war, sicherten uns, wie wir es gelernt hatten und hatten die Station wenig später verlassen. Der Flug dauerte wesentlich länger als einer von unserer Welt zu dem Jaridian-Schiff in ihrer Umlaufbahn gedauert hatte, und verlief ereignislos. Die Jaridians waren bester Stimmung, der aus den Feuern tief in Gedanken, wie schon die ganze Zeit seit unserer gemeinsamen Reise zu den Mustern der Ordnung. Die Erd-Gesangshüterin wirkte ruhig und zuversichtlich. Der Hüter der Gesänge der Tiefen war eingeschlafen, und zusätzlicher Sauerstoff sprudelte in seinem Behältnis. Ich war aufgeregt und bedrückt zur gleichen Zeit; ich brannte vor Neugier auf die Heimatwelt derer, von denen ich mehr über das Ganze, zu dem wir gehörten, gelernt hatte als ich mir je hätte vorstellen können ... und gleichzeitig flüsterte Furcht in mir .. so viel Überlebenswichtiges war hier zu singen .. was wäre denn, wenn niemand das hören wollte? Wenn unser Gesang niemandes Inneres hier erreichte?
Die Gesangshüterin derer im Dunklen, die links neben mir saß, legte mir einen Arm um die Schultern, und der Sprecher, der sich zwischen mir und dem Behältnis des Wasser-Gesangshüters gesichert und meinen Gesichtsausdruck bemerkt hatte, berührte meinen rechten Flügel. „Sie werden Euch zuhören,” sagte er. „Sie achten Euch für das, was Ihr bisher getan habt, und sie wollen Euch unbedingt kennen lernen. Ich kann nicht sagen, wie sie über das entscheiden werden, was Ihr mit uns gefunden habt. Aber ich weiß, daß sie Euren Gesang anhören und sich davon bewegen lassen werden - das ist allein schon eine Sache der Ehre unter Kriegern ..” „Unter Kriegern? Wir sind doch aber nicht ...” „In ihren Augen schon - und zwar hervorragende ... sie kennen Euch noch nicht so, wie wir Euch kennen gelernt haben. Sie sehen in Euch vor allem die Rasse, die ohne jede Technologie die Taelons von ihrem Planeten vertrieben hat - und das Wort von jemandem, der dazu imstande ist, ist in jedem Falle geachtet ...” Ich fand das eher verwirrend, aber die Zuversicht, die er ausstrahlte, tat mir gut ... Dann drückte uns ein ausgedehntes Bremsmanöver in die Sitze, und schließlich setzte das Shuttle sanft auf.
Der Heiler weckte den Gesangshüter der Tiefen, half ihm aus dem Behältnis und reichte ihm seinen Sauerstoffkonzentrator. Das Shuttle öffnete sich, und wir stiegen nacheinander aus. Wir hatten Jaridia während einer Dunkelphase erreicht, und über uns wölbte sich ein tiefschwarzer Himmel voller funkelnder Sterne. Es war etwas kälter als auf dem Kreuzer, und mein Fell stellte sich auf. Die Kreuzerbesatzung beobachtete uns erwartungsvoll. Ich stand mit den Füßen auf dem glatten, steinähnlichen Untergrund, auf dem wir gelandet waren, im Kontakt mit den Meinen, und spürte darunter die machtvolle, fremde Präsenz, die sich so ganz anders anfühlte als die, die die Unseren trug -
Jaridia.
Und diese Präsenz nahm uns wahr. Es war, als werfe sie einen kurzen Blick auf das winzige Fremde, von dem sie da berührt wurde, billigte es - und wandte sich wieder eigenen Dingen zu ... Wir vier schauten einander an.
Diese mächtige Welt war einverstanden mit unserem Hier-Sein.
Ob sie uns irgendwann erlauben würde, mit ihr zu singen, wie wir es mit der, die die Unseren trug, taten?
Ein kalter Windstoß fuhr mir unter die Flügel. Wind ... das hatte mir auf dem Kreuzer so sehr gefehlt: das Fliegen ... Die Tatsache, daß wir dort wie hier schwerer waren als auf unserer Welt, hatte schon dafür gesorgt, daß wir, anstatt an Kraft zu verlieren, stärker waren als je zuvor, und ich hatte immer wieder die Bewegungen, die zum Fliegen gehörten, geübt, vor allem zusammen mit den Zhawi, die sie wieder neu lernen mußten, obwohl ihr Denkgewebe sich erinnerte, wie sie auszuführen waren. Hier würde ich tatsächlich fliegen können ... in diesen ungewohnt dunklen Himmel aufsteigen und mich vom Wind tragen lassen ...
Wenn es Zeit dafür gab. Inzwischen hatte sich eine andere Gruppe Jaridians zu uns gesellt, die der Kreuzer-besatzung und uns - sehr achtsam, uns nicht zu berühren - die mitgebrachten Bündel und Packen abnahm und jeden einzelnen von uns scannte, mit einem Gerät, das sich deutlich anders anfühlte als die medizinische Überwachung, intensiver und etwas unangenehm, vor allem, weil es eine konstante mißtönende Schwebung produzierte. Der Sprecher entschuldigte sich dafür, aber so seien nun einmal die Sicherheitsbestimmungen ... In dem Moment, wo mir der Jaridian mit dem ungewohnten Scanner über den Brustbereich strich, gab das Gerät einen Alarmton von sich, und ich mußte meinen Medizinbeutel öffnen und den Inhalt vorzeigen. Der kleine Stein löste den Alarm ebenso aus wie das metallene Symbol des Feuervolkes. Vor allem das Symbol wurde mißtrauisch geprüft, bis der auf dem Weg auf seinen Arm deutete, in den es farbig eingeritzt war. Mit ihm gingen die Jaridians besonders vorsichtig und mit spürbarem Respekt um - für sie war er Atavus, einer ihrer geheimnisumwobenen, fast vergessenen Vorfahren ... sie konnten nicht wissen, was er und die Seinen inzwischen noch anderes waren als das ... „Wir suchen vor allem nach Taelon-Technologie”, erklärte einer der Jaridians, die uns dieser Prozedur unterzogen. „Nach angehefteten oder sonstwie beigebrachten Sendern, nach Aufzeichnungsgeräten und nach Waffen, die ihre Energieladung mit großer, genau berechneter Verzögerung zünden ... eigentlich ist das eher ein Problem bei Schiffen und ihrer Besatzung, die Planeten dicht hinter der Front anfliegen, aber nach dem, was Euch geschehen ist, müssen wir die gleichen strikten Maßstäbe anlegen ...”
Schließlich hatten wir unsere Bündel wieder, bestiegen erneut ein Shuttle, dieses Mal für einen sehr kurzen Flug, und hatten bald ein riesiges steinernes Gebäude erreicht. Als wir es zusammen mit der Besatzung des Kreuzers betraten, wußte ich sofort, wo wir waren: in der Behausung aus der Vision, die ich mit dem Sprecher geteilt hatte. Hier befand sich das Hauptkommando Jaridias.
Von dem Gebäude selbst wurde uns nicht viel gezeigt. Wir durchwanderten lange Gänge, betraten zwischendurch einen engen Raum, der sich von allein in die Höhe hob wie ein startendes Shuttle, aber ohne dabei Kurven zu fliegen, verließen diesen wieder, um erneut einen Gang entlang zu gehen und standen schließlich vor einer Tür, die sich in ein ähnliches Quartier öffnete wie das, welches wir auf dem Kreuzer bewohnt hatten, allerdings war dieses hier in beiden Anteilen erheblich geräumiger. „Hier seid Ihr für's erste untergebracht”, meinte der Sprecher, „Ihr seid innerhalb des Gebäudes überall willkommen. Verlaßt es aber bitte nicht ohne einen der Unseren bei Euch - Ihr kennt unsere Welt nicht, und ohne jemanden von uns könntet Ihr verloren gehen oder in Gefahr geraten. Es wurde verfügt, daß Ihr jeden unserer Besatzung ansprechen könnt; wir werden für Euch da sein. Auch wir sind hier untergebracht, bis jeder zu dem, was auf diesem Einsatz geschehen ist, gehört wurde. Gestaltet Euch dieses Quartier hier so, wie es für Euch angenehm ist, und bleibt vorerst hier. Ihr werdet in Kürze abgeholt, um unseren Anführenden zu begegnen ... wir haben uns während des Landeanflugs mit ihnen verständigt, und sie waren übereinstimmend der Meinung, was wir mitbrächten, sei zu wichtig, um Aufschub zu dulden. Sie wollen alles über den Schild um Eure Welt und den Rohkristall erfahren, den Ihr liefern werdet ...” Er legte dem vom Feuervolk und mir je eine Hand auf die Schulter. „Aber vor allem wollen die, die uns führen, wissen, wer und was Ihr seid, und das gilt vor allem für Dich.” Sein Blick ruhte auf dem auf dem Weg, und in der Berührung tauchten flüchtig die beiden Atavus-Gestalten auf, die wir in den Feuern gesehen hatten.
Der Sprecher fuhr zusammen, und der auf dem Weg atmete tief aus und löste sich behutsam aus dem Kontakt. „Wir werden bereit sein”, meinte er, „wir werden bereit sein ...”
Der Sprecher schaute ihn für einen Augenblick sehr nachdenklich an, dann wandte er sich ab und verließ uns, gefolgt von den Seinen.
Kurze Zeit später hatten wir uns aus dem an einer der Wände aufgehäuften weichen Material ein Mitte-Lager errichtet, während der Hüter der Wasser-Gesänge damit beschäftigt war, aus einem Teil der Pflanzen auf seiner Seite der durchsichtigen Trennwand eine haltbare Behausung zu flechten. Durch die eingeschaltete Kommunikationsanlage und durch die Schwingungen, die durch Wand und Boden drangen, sangen wir miteinander, als sich die Tür zu unserer Unterkunft öffnete und vier Jaridians eintraten, die ganz anders gekleidet waren als die auf dem Kreuzer und Energiewaffen an breiten Gurten am Körper trugen.

Im ersten Moment erschrak ich bei ihrem Anblick, vor allem wegen der Bewaffnung. Auf dem Kreuzer hatte die Besatzung nur für die Dauer von Alarmphasen Waffen am Körper getragen ... „Unsere Führenden wollen Euch jetzt sehen”, sagte einer der Jaridians. „Wir bringen Euch dorthin ...” Seine Stimme klang ausdruckslos, und alle vier hielten Abstand zu uns. Ich schaute in ihre Gesichter - und jegliche Furcht war vergessen. Sie strahlten keinerlei Feindseligkeit aus, nur kaum gezügelte Neugier ... Durch den Boden war spürbar, daß sie uns am liebsten hemmungslos anstarren und mit unzähligen Fragen überschütten würden, und der, der dem auf dem Weg am nächsten stand, hätte beinahe eine Hand ausgestreckt, um ihn zu berühren, wurde aber durch einen scharfen Blick eines seiner Artgenossen daran gehindert. Offenbar hatten sie Anweisung, sich strikt an die Regeln zu halten, die für ein Ereignis wie dieses hier galten, und dazu gehörten Schweigsamkeit und Distanz wohl ebenso wie das Tragen dieser merkwürdigen Waffen an ihren Gurten.
Mit den Jaridians waren wir einmal mehr durch endlos erscheinenden Gänge unterwegs. Wir benutzten erneut den seltsamen Raum, der sich bewegte, diesmal nach unten. Die Enge darin nutzte einer unserer Begleiter, um „versehentlich” meinen rechten Flügel zu streifen, fing dabei meine Verwunderung über unsere augenblickliche Art der Fortbewegung auf und war darüber so erstaunt, daß er sich beinahe verraten hätte. Er bemühte sich, unauffällig aus den Augenwinkeln in meine Richtung zu schauen, ich berührte ihn ebenso „versehentlich”, als der Raum schließlich anhielt und ließ ihn wissen, daß von mir niemand etwas von diesem Kontakt erfahren würde. Sein Gesicht wurde ausdruckslos, als der Raum sich öffnete. Kurze Zeit später standen wir vor einer steinernen Wand, vor dem Umriß eines großen Durchlasses. Einer der Jaridians berührte die Wand daneben, und aus dem Umriß wurde eine Öffnung, die wir durchschritten.
Mir blieben Atem und Stimme weg.
Das hier war der riesige Versammlungssaal aus der Vision, die der Sprecher und ich geteilt hatten. Und er war so überfüllt wie damals die Höhle der Gesänge beim Rathalten über unsere Zukunft, nur daß die Jaridians in einer anderen Ordnung saßen als wir, nicht in Kreisen, die sich um Kreise schlossen, sondern dicht an dicht in die gleiche Richtung schauend - auf eine Reihe nebeneinander stehender Sitze hinter einer langen Fläche, und vier davon waren frei.
Dort hin führten uns unsere vier Begleiter, durch ein Meer von Blicken und leisen Stimmen, durch eine Flut von Gedanken und Gefühlen, die den Boden unter unseren Füßen vibrieren ließen, Neugier, Skepsis, Verwunderung über unsere jeweilige äußere Gestalt, etwas wie Scheu gegenüber dem aus den Feuern, vor allem aber Erwartung.
Wir bekamen unsere Plätze zugewiesen. Ich wurde neben einen der Jaridian gesetzt, den ich wiedererkannte - es war der aus der Vision - links neben mich die Gesangshüterin des Erdvolkes, zwischen sie und den auf dem Weg der Hüter der Gesänge der Wasser und neben dem aus den Feuern befand sich wieder ein Jaridian. Mit insgesamt zehn Jaridians waren wir hier zusammen - und schauten auf Hunderte? Tausende? Die vielen Gesichter schienen zu verschwimmen, und für einen Moment wurde mir schwindelig, bis ich mir klar machte, daß das hier nichts anderes war als eine Versammlung Rathaltender - die ungewohnte Ordnungen bevorzugten und denen Unbequemlichkeit offenbar egal war ...
Ein mächtiger Klang hallte durch den Raum, tief und metallisch, worauf hin alles still wurde. Der Jaridian neben mir erhob sich von seinem Sitz und begann zu sprechen. Er stellte uns den Seinen als die jüngsten Mitglieder des Imperiums vor, die sich diesem aus freien Stücken als Verbündete angeschlossen hätten und neue Technologie sowie Rohstoff-Nachschub einbrächten, darüber hinaus angeboten hätten, bei notwendigen Verhandlungen aller Art zu helfen, was noch zu prüfen wäre, und noch etwas sehr Besonderes auf ihrer Welt willkommen geheißen hätten - die Urahnen der Jaridians, die Atavus-Geschöpfe aus den ältesten Legenden dieses Planeten ... Er meinte sehr ehrlich, er sei bis zu diesem Moment skeptisch gewesen, was den letzten Fakt betreffe - Aufzeichnungen seien manipulierbar, obwohl er sich nicht vorstellen könne, welchen Nutzen solche Manipulation für uns haben würde. Aber dieses Wesen - er deutete auf den Feuervolk-Angehörigen, der sich darauf hin ebenfalls erhob - sei eindeutig ein Atavus und nichts anderes. Er glaube den Aufzeichnungen, die die Seinen gefertigt hatten, daß es auf unserer Welt einen Stamm dieser Wesen gebe und daß sie sich in mancher Hinsicht verhielten, wie es die Legenden beschrieben, auch wenn vieles davon rätselhaft sei.
Der auf dem Weg stand aufrecht da und schaute auf die, die - genetisch betrachtet - seine Nachkommen waren, und in seinen Augen standen Trauer, Wärme und etwas wie Hoffnung ... Ich spürte um ihn flüchtig wieder die beiden anderen Atavus-Gestalten, die, die wir gemeinsam gesehen hatten. Der Jaridian, der zuvor gesprochen hatte, blickte ihn auffordernd an. „Berichte uns ... berichte uns über die Geschichte Deines Stammes, so weit fort von dieser Welt ...”
Trotz der Tatsache, daß jeder von uns inzwischen die Sprache Jaridias problemlos verstand - über Kontakt war jede Sprache leicht zu lernen - waren unsere Plätze mit Geräten ausgestattet, die das, was wir sagten oder sangen, in klares Jaridian übersetzten. Das Verstehen und das Sprechen einer neuen Sprache sind zweierlei, vor allem für Wesen mit mehreren Stimmbandpaaren ... Die Übersetzungsgeräte ersetzten wenigstens einen Teil des fehlenden Kontaktes und schafften zum Beispiel da Klarheit, wo es um Begriffe unserer Welt ging, für die es auf Jaridia kein Wort gab, indem es sie passend umschrieb.
Der aus den Feuern schaute den Jaridian neben mir an, dann wieder die Vielen vor sich. Und dann berichtete er - so, als trage er einen unserer Gesänge vor, aber in der uralten Sprache des Atavus-Volkes, bereichert um die Wandlungen, die der besondere Weg seines Stammes sie hatte erfahren lassen ... er sang vom Weg der Seinen, wie sie als Taelons über unsere Welt gekommen waren, um Tod zu bringen - und, daran scheiternd, als Taelons starben, um als Atavi wiederzukehren ... und wie sie von uns im Leben gehalten wurden, um schließlich durch die Jaridians zu werden, was sie jetzt waren: die auf dem Weg ... das, was Taelons und Jaridians gewesen waren, bevor der Stern gefallen war, das, was sie hätten werden können und etwas ganz anderes ...
Die Menge hörte atemlos zu, tief bewegt. Erst, als der auf dem Weg geendet hatte, wagten die ersten, sich zu rühren, und weit hinten begann jemand leise zu sprechen, was der Jaridian neben mir mit einer einzigen Handbewegung unterband.
Ohne ihn zu berühren, fühlte ich zu ihm hin und konzentrierte mich auf ihn. Was ihn so deutlich von den anderen hier unterschied, war die absolute Präsenz, die er ausstrahlte - er schien den hintersten Ausgang in diesem unüberschaubaren Raum genau so im Blick zu haben wie die vorderste Reihe der Seinen oder die, die hier oben mit ihm waren ... er mußte bei den Seinen eine sehr hohe Position einnehmen ... Er nahm sofort wahr, daß Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war, und warf mir einen abschätzenden Blick zu, bevor er die Hüterin der Gesänge derer im Dunklen aufforderte, über das Geschenk unserer Welt zu sprechen - den klingenden Fels.
Und sie sang von unserer Welt, von der umhüllenden, wärmenden Schönheit ihres Inneren, das die Ihren beherbergte seit Anbeginn der Stämme, sang vom Platzschaffen, was eine tiefe, anhaltende Vibration im Raum entstehen ließ, bis sie mit einem Ausdruck von Belustigung ihre Resonanzsehnen entspannte, sang vom Formsingen, von der Erschaffung von Schönheit aus Schönheit ... Sie berührte meinen linken Flügel mit der Bitte, den hohen und ultrahohen Part des Kristallsingens in ihrem Lied zu übernehmen, und so sangen wir schließlich gemeinsam von klingenden Feuerschalen und winzigen, symmetrischen Partikeln ... Sie strich dem Gesangshüter der Tiefen über die rechte Flosse, und seine Stimme füllte den Raum zwischen unseren, und wir sangen den versammelten Jaridians von dem Schild, den die Ihren mit uns gefunden hatte und der jetzt unsere - und in Zukunft vielleicht manche andere - Welt schützte ...

Diesmal gab der Jaridian neben mir der Begeisterung der Seinen, mit der sie unseren Gesang aufnahmen, Raum, bevor er erneut die Hand hob und sofortiges Schweigen entstehen ließ.
Und in diesem Schweigen wandte er sich mir zu.
Wieder der abschätzende Blick - ich wurde geprüft und für's Erste nicht für falsch befunden ...
Er hob langsam beide Hände mit nach oben geöffneten Handflächen in meine Richtung. Ich schaute ihn überrascht an, dann hob ich meinerseits die Flügelhände, öffnete die Krallen und näherte meine Handflächen vorsichtig den seinen. Er vollführte eine bestätigende Geste. Das hier war tatsächlich eine Aufforderung zur Berührung ...
Und sehr behutsam legte ich meine Hände in seine, er umschloß sie mit den Fingern und ich ihn sanft mit den Krallen.
Wir waren in Kontakt ...
Er hatte nicht nur eine hohe Position innerhalb seines Volkes - er war der Anführer, der Erste. Der, bei dem alle Informationen zusammen liefen, derjenige, der letztendlich alle Entscheidungen traf ... und für den nichts in seinem Leben wichtiger war als das Wohl und die Zukunft der Seinen. Ich war sehr selten einem so komplexen Geist und so großer Wärme begegnet ... Ich fühlte seine Überraschung über die Flut an Einzelheiten, die er über die Berührung plötzlich über mich zur Verfügung hatte, und wie er sofort begann, diese nach Wichtigkeit für die Belange der Seinen zu sortieren: als Gegnerin im physischen Kampf war ich würdig, da offenbar mutig, aber harmlos wegen der leicht zu brechenden Knochen; daß ich gar nicht kämpfen konnte, verstand er noch nicht, und es spielte keine Rolle; als Verbündete hatte ich einiges zu bieten und es war mir ernst damit ... für ihn stand, verknüpft mit verschiedenen taktischen Überlegungen, die jüngsten Ereignisse an der Front betreffend, das Thema „klingender Fels” im Vordergrund, also begann er systematisch in meinen Gedanken danach zu suchen - um im selben Moment inne zu halten: „Es tut mir leid ...” - er hatte nach seinem Verständnis gerade eine Verletzung der Freiheit meines Geistes begangen - „Das hier ist sehr ungewohnt für mich ...” „Es ist in Ordnung”, ließ ich ihm zufließen, zusammen mit meiner Achtung für seine bedingungslose Hingabe für sein Volk. Ich öffnete ihm meine Gedanken und ließ alles aufsteigen, was mit der Gabe derer, die die Unseren trug, für die Jaridians zu tun hatte ... wie wir mit ihr darum gesungen hatten ... wie die Gegenfrequenz aufgetaucht war ...
Erneut blieben mir Atem und Stimme weg. Die Gegenfrequenz zum Gesang der Waffen Jaridias ... sie wußten ja noch nichts davon ... ich wappnete mich innerlich gegen den Zorn, dem ich mich wohl jetzt würde stellen müssen. Dunkelrot, fest und glänzend, färbte unseren Kontakt, ohne daß ich es verhindern konnte. Der Anführer der Jaridians reagierte mit Überraschung, hatte noch nicht verstanden, warum ich jetzt offenbar etwas befürchtete ... Ich zwang mich, weiter zu atmen, und ließ ihm zufließen, was unsere Welt über das, was sie ihm zu geben bereit war, entschieden hatte. Daß die Seinen aus dem klingenden Fels alles fertigen konnten - nur keine Waffen. Weil nichts von dem, was wir gaben oder unsere Welt, einem einzigen Lebewesen auch nur Schmerz zufügen sollte, geschweige denn, dessen Leben nehmen.
Der Anführer schaute in meine Gedanken, folgte dem Geschehen, das ich ihm zeigte, mit absoluter Aufmerksamkeit, prüfte jedes einzelne Bild, jeden einzelnen Eindruck. Er ließ die Unterschwingung dessen, woraus unsere Welt bestand, die Gegenfrequenz, auf sich wirken - schweigend, konzentriert und ausdruckslos. Er wandte sich von da aus noch einmal dem Fakt unseres augenblicklichen Kontaktes zu und der Tatsache, daß dies die besondere Art unserer Völker war, miteinander - und mit jedem anderen Lebewesen - zu kommunizieren, so selbstverständlich und so unabdingbar wie unser Atem. Er verstand, daß wir vor diesem Hintergrund außerstande waren, ein anderes Wesen mit Absicht zu verletzen - daß sogar der Gedanke daran schmerzhaft war.
In seinem Geist tauchte der Eindruck eines Raumes auf, der an einen der Frachträume im Kreuzer erinnerte, aber um ein Vielfaches größer war. Er war bis unter die Decke mit klingendem Fels gefüllt - und gehörte zu einer ausgedehnten Anlage, in der Waffen gefertigt wurden. Verbunden damit waren Kampfszenen im All und das Bild einer holographischen Sternenkarte, durch deren Mitte eine sehr unregelmäßige Linie verlief - eine Darstellung der Front ...
Wir hätten ihn niemals überzeugen können, das, was unsere Welt anbot, nicht für die Herstellung von Waffen zu verwenden.
Ich gab mir keine Mühe, meine Furcht zu verbergen.
Er nahm das wahr.
Und das starke Gefühl, das in ihm aufstieg, war kein Zorn.
Es war Belustigung. Grenzenlose Belustigung, vermischt mit Respekt.
Respekt vor etwas, das in seinen Augen eine absolut gelungene Kriegslist darstellte, erdacht von jemandem, den er dringend auf Seiten der Seinen wissen wollte, da derjenige offenbar über echte strategische Begabung verfügte ...
Seine Reaktion verwirrte mich mehr als daß sie Erleichterung bewirkt hätte - ich war mir nicht sicher, ob er wirklich begriffen hatte, was unsere Welt und wir getan hatten, aber er meinte, laut und über die Berührung: „Ich habe sehr wohl verstanden ...” und gab eine Folge von Bildern in den Kontakt ... Das erste zeigte eine jaridianische Flotte, die auf unseren Planeten zu flog - und ihn zerstörte. Ich hätte beinahe den Kontakt abgebrochen.
Der nächste Eindruck war der einer Gruppe streitender Jaridians in dem großen Raum bei der Waffenherstellungsanlage - dieser war jetzt leer bis auf eine Hand voll Staub. Einer der Jaridians sagte zornig: „Hätten wir nicht Rache genommen, gäbe es jetzt auch kein Nachschubproblem ...”
Es folgte erneut ein Bild einer Kampfflotte im Anflug auf unsere Welt; wie beim ersten Mal hatten wir natürlich den Schild nicht aktiviert - was hatten wir schon zu befürchten von unseren Verbündeten? Dieses Mal tauchte eine größere Menge Shuttles in die Atmosphäre unserer Welt, flog über Wälder und Meere und verbreitete einen merkwürdigen Nebel. Als dieser sich gelichtet hatte, waren die Bäume kahl und an den Stränden lagen tote Wasserbewohner.
Ich hatte angefangen zu zittern, hielt aber den Kontakt - das hier war zu wichtig, und ich weigerte mich, die Hoffnung aufzugeben, daß hieraus Lösung erwachsen konnte ... Das nächste Gedankenbild zeigte unzählige Jaridians, die die toten Ph'taal fällten, mit Geräten in die Höhlen der umgekommenen Erdstämme eindrangen und begannen, klingenden Fels abzubauen - und darüber schob sich der Eindruck der Gesangshüterin derer im Dunklen bei unserem allerersten Kontakt mit dem Volk des Anführers, die den Sprecher bei den Händen nahm, ihm in die Augen blickte und sagte: „Wenn Ihr so handelt, seid Ihr nicht viel besser als die Taelons.”
Dieses Bild löschte alle anderen Eindrücke und blieb für eine Weile zwischen uns - und ich hatte verstanden.
Indem wir erleichtert einverstanden waren, daß unsere Welt das Gestein, aus dem sie bestand, auf die Gegenfrequenz jaridianischer Bewaffnung prägte, hatten wir nicht nur erreicht, daß damit keinem Lebewesen direkt Schaden zugefügt werden konnte, sondern hatten gleichzeitig auch den Jaridians nur eine einzige Handlungsoption gelassen: die, unser Angebot dennoch anzunehmen. Aus Zorn darüber unsere Welt zu zerstören, hätte sie des gewünschten Rohstoffes beraubt - und vier Völker zu vernichten, die außerstande waren, sich zu wehren, ging ihnen so sehr gegen das, was sie als ihre „Ehre” definierten, daß sie es nicht über sich brächten. Und um sich so einen Plan auszudenken, bedurfte es in den Augen des Anführers eines strategischen Geschickes, das ihm wirklich Respekt abnötigte ...
Belustigt war er vor allem darüber, daß sich die Seinen, die eine so lange Zeit mit uns gewesen waren, sich so leicht hatten belügen lassen, daß wir, mit unserem unschuldigen Gebaren, sie so hatten täuschen können, daß sie nicht gemerkt hatten, daß die Gabe unserer Welt nicht ohne Bedingung gegeben worden war - und auch solche Täuschungskunst respektierte er, auch dies wurde im Krieg gebraucht ...
Ich konnte ihn nur fassungslos anschauen. Über nichts dergleichen hatten wir auch nur nachgedacht, als wir damals unsere Welt um Hilfe baten, daß nicht noch mehr Schmerz über die komme, die in diesem Krieg bereits so viel gelitten hatten ... zum Ganzen gehörten doch auch die Taelons, weil ohne sie die Zukunft derer in Frage stand, die uns Freund geworden waren ... In meinem Geist stieg das Bild des vielfarbigen Geflechtes auf, in dem das Weiß-Violett des Shaqarava stumpf-blaue Stränge zum Aufleuchten brachte, verbunden mit dem ruhig werdenden Herzschlag des Navigators, der das Geflecht berührte. Jetzt war der Anführer derjenige, der mit Verwirrung reagierte. „Du meinst das wirklich ehrlich ...” Ich ließ ihm die Wärme zufließen, die ich für ihn und die Seinen empfand, und spürte, daß ihm das angenehm war, obwohl es etwas in ihm gab, das dies als unangemessen ablehnte. „Ihr habt viel für uns getan ...” bedeutete ich ihm. „Ihr habt uns gelehrt, was wir sind - Teil eines größeren Ganzen, als wir es uns je hätten vorstellen können ... und Ihr habt uns Schutz gegeben für unsere Welt ...” „Der sich ohne Eure Ideen und Fähigkeiten nicht hätte verwirklichen lassen - und von dem auch wir profitieren”, antwortete er. Ich dachte an die intensive Zeit des Planens und Bauens des Schildes, und plötzlich war in meinen Gedanken die Ladung Kristallstaub, die wir noch gesungen hatten, als der Schild bereits fertiggestellt war, als Ersatz, falls es Schäden durch Angriffe geben würde ... Diese Nanokristalle waren an Bord des Kreuzers verladen worden, bevor unsere Welt jedes Gestein, selbst das Stückchen Fels in meinem Beutel, geprägt hatte ... Mein Brustkasten wurde eng. „Bitte nicht ...”
Der Anführer der Jaridian hielt meine Flügelhände fest und blickte mir in die Augen, erneut belustigt, aber mit einer Spur Verunsicherung darunter. „Ihr seid wirklich unglaublich ...” Er musterte mich von oben bis unten, als erwarte er sich davon noch Aufschlüsse, die sich ihm bisher verborgen hatten. „Diese Kristall-Ladung ist längst unterwegs Richtung Front”, sagte er. „Sie ist ausreichend, um einen unserer gefährdetsten Planeten zu schützen - mit einem Schild wie dem Euren.”
Sehr erleichtert ließ ich ihm Dankbarkeit für seine Großzügigkeit und Freundlichkeit zufließen. Er drückte meine Flügelhände und ließ mich dann los, um sich den Seinen zuzuwenden, die uns gebannt anstarrten. Er erklärte mit kurzen Worten, was wir miteinander geteilt hatten, worauf erhebliche Unruhe aufkam - es war fühlbar, daß die meisten dachten, wir hätten bezüglich des klingenden Felses einen hervorragend ausgearbeiteten Plan verfolgt ... Er ließ der Menge Zeit, das alles zu erörtern, bevor er erneut Schweigen gebot. „Das genügt für's Erste,” meinte er. „Wir haben das aktuell Notwendige erfahren. Über Eure Fähigkeiten als Vermittelnde, die Ihr uns anbietet, und Eure Ideen über den Krieg, den wir zu führen haben, werden wir Euch später in kleinerem Kreis anhören - die Aufzeichnungen derer, die mit Euch waren, lassen sehr viele Fragen offen.” Er vollführte eine Geste Richtung Ausgang, und die Jaridians, die uns hierher geführt hatten, erhoben sich von ihren Sitzen in der ersten Reihe. „Ihr werdet wieder in Eure Unterkunft gebracht”, verfügte er. „So bald wir Euch brauchen, lassen wir Euch erneut abholen.”

 

Ende von Kapitel 16

 

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