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  „Aveenas Lied” von AlienVibe   (Emailadresse siehe Autorenseite)
Alle hier vorkommenden Personen gehören den jeweiligen Eigentümern. Bitte veröffentlichen Sie diese Geschichte nicht ohne vorheriges Einverständnis der Autorin.
 
Thema:  Mehr Testergebnisse
Zeitpunkt:  weit vor Beginn der ersten Staffel
Charaktere:  Sprecher, Navigator und Heiler der Jaridians, die Gesangshütenden des Wasser-, Erd- und Windvolkes, der Sprecher derer auf dem Weg (die Besatzung des Kreuzers, Angehörige der vier Völker)
 

 

AVEENAS LIED

Kapitel 10

 

Wir stiegen nacheinander in das Shuttle, eines der geräumigen Frachttransporter, die während des Aufbauens des Schildes im Einsatz gewesen waren, und ich wurde zu einem der Sitze an der Rückwand dirigiert. Auf Anweisung des Sprechers setzte ich mich darauf - es fühlte sich glatt an, wie vom Wasser ausgewaschener Fels, war aber weich - und plazierte die Beine dicht davor. Der Sprecher drückte einen Knopf am rechten Seitenteil des Sitzes, und um meine Beine schlangen sich breite, flache Stricke, die fest angezogen wurden ...
So fest, daß ich mich hüftabwärts nicht mehr bewegen konnte.
Der Sprecher berührte meinen rechten Flügel. „Das sind Sicherheitsgurte,” erklärte er, „wenn Du erneut diesen Knopf drückst, öffnen sie sich wieder - aber wir bitten Dich darum, sie während des Fluges zu belassen, wo sie sind. Wir werden nach dem Austritt aus Eurer Atmosphäre schwerelos sein, und Du hast Dich noch nie bei Nullgravitation bewegt ... ” - ein Gedankenbild von mir, ohne Gurte den Halt am Sitz verlierend und hilflos unter der Decke schwebend. „Du könntest Dich verletzen ...” Ich hatte begriffen. „Oder jemanden von Euch ...” Die Gurte waren Schutz, nicht Behinderung.
Die Jaridians nahmen die drei anderen Sitze ein, vor der Vorderwand des Shuttles, an der eine Fläche entlanglief, die mit den verschiedensten Tasten und blinkenden Lichtern bedeckt war. Darüber schwebten vor der Wand vier holographische Darstellungen. Eine davon zeigte den Kreuzer, die anderen vielfarbige Linien, die sich bewegten und ineinander woben sowie kleine Zeichen wie die, die ich schon auf dem Bildschirm des Gerätes gesehen hatte, mit dem beim Rathalten unsere Welt dargestellt worden war. Der Navigator hatte den Platz in der Mitte davor eingenommen und deutete mit einer umfassenden Handbewegung darauf. „Die Steuerkonsole ... damit wird das Shuttle geflogen.” Er drückte auf einige der Tasten, und über der stetigen Trägerwelle, die von den
Shuttles ausging, wob sich ein neuer, komplexer Akkord - Braun-, Grün- und kräftige Rottöne, die in ein intensives Orange übergingen ... Eine Berührung an meinem rechten Flügel - der Sprecher hatte seinen Platz verlassen und war erneut zu mir herüber gekommen. „Noch etwas Wichtiges,” sagte er. „Der Flug wird nicht lange dauern. Sage uns trotzdem bitte sofort, wenn etwas nicht stimmt. Du mußt währenddessen möglichst still sitzen; halte Deine Flügel am besten dicht am Körper, damit Du während des Starts und beim Abbremsen nicht an die Wand stößt. Und vor allem ...” er schaute mich eindringlich an, „hier drinnen darfst Du nicht singen.” Ich erschrak, als ich den Eindruck dazu in seinem Geist sah. Ich hatte nämlich schon angefangen, den komplexen neuen Akkord mit zu summen und unwillkürlich für die tiefen Töne die Resonanzsehnen mit eingesetzt ... ein zerspringendes kleines Objekt mit glänzender Oberfläche, gefolgt vom Bild eines Shuttles, das hilflos in der Luft schlingerte, anstatt zielgerichtet zu fliegen ... „Es tut mir leid ...” „Du konntest es nicht wissen,” sagte er, löste den Kontakt und nahm seinen Platz wieder ein. Alle drei Jaridians sicherten sich gleichfalls mit Gurten, allerdings nicht um die Beine, sondern um den Körper. Der Akkord intensivierte sich. Ich legte die Flügel eng an und saß unbeweglich. Ein Ruck ging durch das Shuttle - und dann spürte ich, wir waren in der Luft.

Zu schnell, das Shuttle stieg viel zu schnell auf ... Unwillkürlich spannte sich meine Flugmuskulatur. Der Jaridian, der mich mit dem Vitalscanner versehen hatte, zog ein Gerät aus der Tasche, das einen hellen Ton von sich gab, schaute darauf und dann zu mir. Auch der Navigator sah zu mir herüber, mit belustigtem Gesichtsausdruck. „Shuttles fliegen anders als Ihr,” meine er, „und sie fliegen ganz von selbst - Du brauchst hier überhaupt nichts zu tun ...” Er beschleunigte den Aufstieg weiter, und dann legte sich das Shuttle in eine Linkskurve - viel zu steil, ich wußte genau, daß wir jetzt über die Ph'taalbäume hinaus aufsteigen sollten, aber mit diesem Kurvenansatz würden wir statt dessen in die Kronen ...
Ich hatte die Flügel so weit ausgespannt, wie es irgend ging, den linken weiter als den rechten, um abzubremsen und die Kurve abzuflachen, aber nichts geschah ... außer, daß die drei Jaridians, vor allem der Navigator, jetzt laut ihrer Belustigung Ausdruck verliehen.
Nichts war passiert. Wir flogen in einer steilen Bahn aufwärts, immer noch beschleunigend. Ich hatte die Flügel wieder angelegt und war dank der Unbesorgtheit der Jaridians über den Schrecken hinweg. Dieses Shuttle flog wirklich vollkommen anders als wir oder irgendein geflügeltes Wesen auf unserer Welt ... und es flog sicher und geschickt ... Es gelang mir schließlich, über die Füße und meinen Rücken an der Wand in seinen Rhythmus des Fliegens hineinzufinden, so daß nach einer Weile seine Manöver nicht mehr überraschend kamen, sondern ich darauf eingestellt war und sie „mit flog”. Und erst, als ich mit dem rechten Flügel schmerzhaft gegen die Wand stieß, merkte ich, daß ich das nicht nur in Gedanken getan hatte ... Der Navigator bemühte sich krampfhaft, nicht in meine Richtung zu schauen. Ich faltete die Flügel wieder ein und legte die Flügelhände ineinander, aber still sitzen konnte ich trotzdem nicht ... so fliegen zu können, wie dieses Shuttle ... Und mit einem Mal wurde ich sanft vom Sitz hochgezogen.
„Wir haben Nullgravitation,” verkündete der Navigator.
Ich löste die Flügelhände voneinander. Das hier fühlte sich vollkommen faszinierend an ... Meine Flügel breiteten sich von allein aus, und das einzige, was mich am Fortschweben hinderte, waren die Gurte. Ich widerstand der Versuchung, sie zu lösen, nur mit Mühe. Selbst auf dem stärksten Aufwind, der mich je getragen hatte, hatte ich mich nicht so leicht gefühlt ... Beinahe hätte ich laut losgesungen, drückte aber im letzten Moment den Schnabel zu und zog den Bauch wieder ein. Der Heiler der Jaridians, der meine „Vitalwerte” überwachte, blickte kritisch auf sein Gerät. „Alles in Ordnung,” sagte ich ihm, „es geht mir wirklich gut ...” Ich legte mit Mühe die Flügel wieder an und die Flügelhände erneut ineinander und versuchte, auf dem Sitz zu bleiben. Der Jaridian war noch nicht zufrieden. „Dein Herz schlägt zu schnell,” meinte er. „Wenn das so bleibt, werden wir uns etwas einfallen lassen müssen, das wird zu anstrengend ...”
Plötzlich wurde ich heftig in den Sitz gedrückt. „Wir bremsen,” sagte der Navigator. Der Kreuzer nahm jetzt den gesamten Raum der holographischen Darstellung ein, so groß, daß deutlich Einzelheiten zu erkennen waren, vielgestaltige, rätselhafte Ausbuchtungen, Vorrichtungen und Objekte.
Nach einer Weile ließ der Andruck nach, und schließlich schwebten wir, offenbar durch eine riesige Öffnung, in den Kreuzer hinein. Auf den holographischen Abbildungen gab es nichts, das ich irgendwo hätte einordnen können. Schließlich gab es einen sanften Ruck und das Shuttle lag still, nur die Trägerwelle war noch spürbar ... und darunter etwas anderes, viel Stärkeres ... Die Jaridians lösten sich aus ihren Sicherheitsgurten, ich tat es ihnen gleich. Das Shuttle öffnete sich und wir betraten einen engen Gang, dem wir bis an eine merkwürdig geformte, durchsichtige, sehr stabile Wand folgten. Über einen Bildschirm daneben wanderten ähnliche Zeichen, wie ich sie auf dem Bildschirm des Sprechers gesehen hatte, als dieser den Schild für uns berechnet hatte. Dann blinkten in rascher Folge mehrere Lichter auf und schließlich tat sich die durchsichtige Wand auf. Durch die entstandene Öffnung betraten wir einen weiteren Gang, viel höher und weiter als der, den wir gerade verlassen hatten. Mit einem Mal empfand ich mich als schwerfällig und viel langsamer als zuvor im Shuttle, als hätte ich plötzlich mehr Gewicht als sonst ... Im Shuttle hatte ich nicht auf die Temperatur der Umgebung geachtet, aber hier spürte ich jetzt bewußt, wie kühl es war - wie bei uns an einem klaren Tag in der Kaltphase über den Bergen ... und ich merkte, wie mein Körper bereits begonnen hatte, sich dem anzupassen und den Stoffwechsel so zu steigern, daß ich mich in kürzester Zeit hier wohl fühlen würde.
In einer wärmeren Umgebung als dieser hier würde es dem Navigator und denen, die so waren wie er, kaum gut gehen ... ich überlegte jetzt, wie er es bei uns hatte aushalten können und erinnerte mich daran, was der Sprecher über vorhandene Medikamente gesagt hatte. Bevor ich aber danach fragen konnte, war der Heiler mit seinem Überwachungsgerät an meiner Seite. Das Gerät gab einen Summton von sich und zeigte auf seinem Bildschirm hüpfende farbige Linien und blinkende Punkte. Er legte mir eine Hand auf den rechten Flügel. „Du verbrauchst Deine Kraft zu schnell - sämtliche Werte weichen vom Normalbereich ab ...” „Es ist aber nichts Besonderes,” sagte ich. „Seit wir die Schleuse verlassen haben, hat sich Dein Puls noch einmal verdoppelt, und Dein Fell steht vom Körper ab.” Ich verstand. Das hatte er nicht wissen können. „Das ist nur die Anpassung ... eine normale Reaktion auf die Temperatur hier bei Euch ...” „Du frierst?” „Nein, eben nicht ... denke daran, wir können hoch über den Wolken fliegen, und es fühlt sich wunderbar an ...” Tatsächlich fühlte ich mich genau wie sonst auch, abgesehen von Aufregung und Erwartung. „Ihr wißt doch, wie gern wir fliegen ...” Der Jaridian war nicht überzeugt. „Du darfst nicht Deine ganze Energie verausgaben ... notfalls breche ich den Test vorzeitig ab ...” Er drückte einige Tasten auf dem Überwachungsgerät, das daraufhin aufhörte zu summen und zu blinken.

Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Welt befand sich jemand von denen, die sie trug, auf einem Raumschiff ... ich hielt die Flügel angelegt, um niemanden zu behindern und nirgendwo anzustoßen, und schaute und schaute. Von dem Anblick unseres Planeten auf dem einen und dem Blick ins All auf einem anderen Bildschirm konnte ich mich lange nicht losreißen ... Daß der Kreuzer flog, war nur an der konstanten Trägerwelle unter meinen Füßen spürbar. Sie klang exakt wie die der Shuttles, aber um vieles kraftvoller ... Nur an einer Stelle im Schiff, die wir mehrmals passierten, wich sie von dem gewohnten Klang ab, da gab es einen merkwürdigen, irritierenden Oberton ... Auch hier kam ich nicht dazu, nachzufragen. Ich wurde der gesamten Besatzung vorgestellt, auf die ich genau so neugierig war wie diese auf mich. Die meisten hatten ja von uns und allem, was seit der ersten Landung ihrer Shuttles auf unserer Heimatwelt passiert war, nur Aufzeichnungen gesehen - die allerdings alles übertrafen, was ich mir je hätte darunter vorstellen können. Bis auf die Wahrnehmung über den Kontakt vermittelten sie bis ins kleinste Detail, was geschehen war, und zwar aus der Perspektive des jeweiligen Jaridian, der die Aufzeichnung gefertigt hatte ... Die Szene aus unserer allerersten Begegnung mit ihnen, aufgenommen vom Sprecher, in der die Gesangshüterin derer, die das Dunkle birgt, ihn an den Händen genommen und ihm zu verstehen gegeben hatte, er wäre nicht besser als ein Taelon, wenn er über uns hinweg entscheiden würde ... Das vierte Lied des Rathaltens, der Gesangshüter der Wasser, von der Zukunft singend, vom Vierten Mal ... das die Höhle füllende Gedankenbild von der fremden Welt und den vier Völkern darauf war in der Aufzeichnung, die an dem Ort hier lief, der „Brücke” genannt wurde, nicht sichtbar. Trotzdem hatte ich das Gefühl, wieder in unserem riesigen Kreis zu sitzen, während ich unserem aufgezeichneten Gesang zuhörte ...
Mit jedem Besatzungsmitglied, das es wünschte, gab es Kontakt, aber es blieb leider keine Zeit, wechselseitig alle unsere Fragen zu beantworten. Der Jaridian, der den Seinen Heiler war, drängte darauf, anstehende Tests meiner Reaktion auf Beschleunigung und Schwerelosigkeit durchzuführen - der kurze Flug mit dem Shuttle hatte keine ausreichenden Daten dazu liefern können. Es gab offenbar einen Zeitplan einzuhalten, und da in ihrer seltsamen Struktur des Findens von Entscheidungen die anderen Jaridians einfach taten, was er sagte, anstatt daß wir alle gemeinsam prüften, ob es wirklich so und nicht anders zu tun war, wurde ich als nächstes in einen weiten Raum geführt, in dem ein Behältnis mit geöffnetem Deckel stand. Innerhalb des Behältnisses gab es eine Fläche mit Gurten darum herum, schmal, aber groß genug, daß ich ausgestreckt darauf liegen konnte. „Das ist ein Beschleunigungs-Simulator,” erklärte der Navigator, half mir hinein und wies mich an, mich auf die Fläche zu legen und die vorhandenen Gurte in einer bestimmten Anordnung über mich zu ziehen und um mich herum zu befestigen. „Du mußt die Flügel über Brust und Bauch übereinanderlegen ... die Konstruktion für Euch war die schwierigste von allen ...” Ich zog mit Mühe mit der rechten Flügelhand den letzten breiten Gurt schräg nach links herüber und ließ ihn an der dafür vorgesehenen Stelle einrasten.
Verschnürt wie ein Nichtflügges ... Eine Erinnerung tauchte in mir auf, die ich sofort wieder beiseite schob. Das hier war etwas unbequem, weiter nichts. Und es war Bestandteil dessen, was wir für das Ganze zu tun hatten ...
„Die Beschleunigung, die Du erleben wirst, ist die, der Du hier im Schiff während eines normalen Starts ausgesetzt bist, egal, ob der Start von einer Planetenoberfläche oder von einem Orbit aus erfolgt. Die Zeitdauer dieses Tests entspricht ebenfalls der eines normalen Starts, gefolgt von einer Routinebremsung bis zur Geschwindigkeit des aktuellen Orbitalfluges,” sagte der Navigator, meinen rechten Flügel berührend. Ich signalisierte Zustimmung. Er löste den Kontakt, ließ den Deckel über mir herunter und verschloß das Behältnis von außen.

Was das Behältnis tat, wußte ich nicht. Jedenfalls fühlte sich das Ganze zunächst an wie Start und Bremsung des Shuttles sich angefühlt hatten. Aber das hier dauerte viel, viel länger, und die Kraft, die mich auf die Fläche drückte, steigerte sich ständig ... Irgendwann hatte ich Mühe, zu atmen und das dringende Bedürfnis, wenigstens den Sicherheitsgurt über Brust und Flügeln zu lösen ... und als die Luft wirklich knapp wurde, hatte ich alle Warnungen des Navigators, die er mir diesbezüglich über den Kontakt vermittelt hatte, vergessen, atmete tief aus, um unter dem Gurt Raum zu gewinnen und versuchte, mit einer ruckartigen Bewegung des rechten Flügels den Knopf zu erreichen, der die Verschnürung öffnete.
Es gelang nicht. Statt dessen gab es ein lautes Geräusch und einen plötzlichen, heftigen Schmerz im oberen Flügelhauptgelenk, der blieb.
Dann ließ die unerbittliche Kraft nach, die mir den Atem genommen hatte. Ich rang nach Luft, und irgendwann war es vorbei und alles, was zuvor um mich herum geleuchtet, geblinkt und Töne von sich gegeben hatte, hörte damit auf. Mit Mühe erreichte ich die Taste, die die Gurte löste, und drückte sie. Die Verschnürung gab mich sofort frei. Ich richtete mich auf, während sich über mir bereits der Deckel des Behältnisses hob. Den rechten Flügel konnte ich nicht bewegen, er hing einfach herunter und schmerzte. Hätte ich nur auf den Navigator gehört - statt dessen war ich blindlings in Panik geraten ...
Der Heiler war an meiner Seite und half mir aus dem Behältnis. Ich stand etwas hilflos da, während er mit seinem Überwachungsgerät über den rechten Flügel strich. „Ausgerenkt,” stellte er fest. Er wiederholte den Vorgang mehrmals. „Sehnen und Gelenkkapsel sind intakt geblieben ... das behandele ich sofort, dann kannst Du den Flügel gleich wieder gebrauchen.” „Es war meine eigene Schuld,” erklärte ich kläglich. Durch meine Unüberlegtheit brachte ich gerade den Zeitplan durcheinander und ließ vielleicht sogar diesen Test scheitern, von dem so viel abhing ... Der Heiler, der jetzt meine rechte Halsseite abtastete, hatte das über den Kontakt mitbekommen. „Nein,” sagte er bestimmt. „Es ist niemandes Schuld, schon gar nicht Deine. Wir haben nicht wissen können, daß Du in Atemnot gerätst - keiner hat mit einer Beschleunigung Deines Stoffwechsels in diesem Ausmaß gerechnet. Das hier heißt nur, daß Ihr, wenn Ihr mit uns fliegt, während Start- und Bremsmanövern zusätzlich Sauerstoff braucht ...” Er zog etwas Kleines, Glänzendes hervor und setzte es mir an den Hals. „Das ist gegen die Schmerzen ...” Ein kurzes Kältegefühl, und mein Flügel fühlte sich plötzlich leicht an, der Schmerz war fort.
Der Heiler legte die rechte Hand von vorn auf das merkwürdig verformte Gelenk und nahm mit der linken den oberen Anteil meines Flügelarms in einen festen Griff, um ihn anschließend nach unten, nach vorn, nach oben und, unterstützt durch Druck mit der rechten, nach hinten zu bewegen. Wieder ein Geräusch, diesmal nicht ganz so laut, und es fühlte sich richtig an ... Er ließ mich los und benutzte noch einmal das Überwachungsgerät. „In Ordnung .. sobald die Wirkung des Medikamentes nachläßt, kannst Du ihn wieder bewegen.” Ich bedankte mich, aber davon wollte er nichts wissen. „Das war wohl das Mindeste ...”

Im Stehen schleifte der noch lahme Flügel auf dem Boden, also hob ich ihn mit der linken Flügelhand an und spürte erneut, wie schwer ich hier war. Ich fühlte mich so wie ganz zu Beginn der simulierten Beschleunigung, mit dem Unterschied, daß das Schwerersein sich weder verstärkte noch wieder aufhörte ... Dank ihrer wesentlich ausgeprägteren Muskulatur würden die, die das Dunkle birgt, leichter mit ihrem zusätzlichen Gewicht zurechtkommen als wir vom Windvolk. Wirklich schwierig würde es hier auf dem Schiff für die Bewohner der Tiefen - das Atmen an Land mit aktivierten Lungen bedeutete bereits Anstrengung für sie, und hier war es, als ob sie gegen einen zusätzlichen Widerstand würden arbeiten müssen ... Sie würden nicht genug Sauerstoff in die Lungen bekommen ... Ich sprach den Heiler darauf an, und er erklärte, das sei bereits berücksichtigt. Die aus den Tiefen würden sich auf dem Kreuzer überwiegend nicht auf dem Trockenen, sondern unter Wasser aufhalten; an einem entsprechenden Konzept werde gerade gearbeitet.
In meinen Flügel kehrten langsam Gefühl und Beweglichkeit zurück, und der Navigator schlug vor, den Schwerelosigkeitstest anzuschließen. Erneut wurde ich mit dem Überwachungsgerät gescannt. „Der Test ist verschoben,” sagte der Heiler entschieden. „Sie hat zu viel Energie verbraucht, die sie erst ersetzen muß.” Ich bekam ein längliches, flaches, grün glänzendes Etwas mit Zeichen darauf in die Flügelhände gedrückt. „Das ist ein Nahrungskonzentratriegel,” wurde mir erklärt. „Wir haben bei der Synthetisierung Eure aufgezeichneten Stoffwechselparameter berücksichtigt. Die Ration enthält sämtliche Stoffe, die Du brauchst. Allerdings wirst Du mit einem davon wohl nicht auskommen ...” Der Gegenstand in meinen Flügelhänden sah überhaupt nicht aus wie irgend etwas zu essen, aber ich wollte nicht noch mehr Verzögerung verursachen, also hob ich ihn Richtung Schnabel - und bekam ihn sanft wieder abgenommen. „Es ist ähnlich wie bei einer Frucht, deren Schale man nicht mit essen kann ...” Der Heiler schüttelte den Riegel an einem Ende und zog daran. Das grün Glänzende war tatsächlich eine Art Schale, die er entfernte und mir dann das, was übrig blieb, wieder in die Flügelhände legte. Ich brach ein Stück davon ab und kostete es.
Davon sollte ich mehr als eines brauchen? Es schmeckte nach überhaupt nichts - aber diese Nahrung war die gehaltvollste, die ich je gegessen hatte. In diesem kleinen Stück war ein Vielfaches der Kraft enthalten, die aus einer großen Bodenfrucht zu ziehen war ... Würden wir unsere Nichtflüggen damit ernähren, hätten sie in der Hälfte der Zeit Erwachsenengröße erreicht, und mit zwei Flügelhänden voll dieser Riegel käme ich wahrscheinlich durch eine gesamte Kaltphase ...
Mit der Hälfte der angebotenen Menge hatte ich wirklich genug und reichte die andere mit Dank zurück. Der Heiler nahm sie skeptisch entgegen, wieder wurde ich gescannt und kritisch betrachtet. Ich berührte ihn. „Es geht mir wirklich gut ...” Über den Kontakt spürte ich, daß er weder mir noch seinem Gerät richtig glaubte. „Diese kleine Menge kann nicht ausreichen,” meinte er, „nach meinen Berechnungen ...” „Ich fühle mich so stark wie selten,” stellte ich fest, „und bereit für den nächsten Test ...” „Es kann nicht sein ...” „Ich kann Dich nicht belügen.” Schließlich stellte sich heraus, daß bei der Berechnung der Inhaltsstoffe zwar unsere Stoffwechselparameter verwendet worden waren, zur Ermittlung der erforderlichen Konzentration derselben pro Mengeneinheit Nahrung aber die durchschnittliche Stoffwechselrate eines Jaridian, und zwar eines Jaridian mit genetischer Variante - der tatsächlich die vierfache Menge dessen, was ich brauchte, benötigte. Schaden war durch diese Fehlberechnung nicht entstanden, nur Verwirrung ...

Der Schwerelosigkeitstest war pure Freude. Ich wurde in den selben Raum gebracht, in dem zuvor der Beschleunigungstest stattgefunden hatte, aber das entsprechende Behältnis war fort. Der Raum war leer. Es gab verschiedene Gurte und Griffe - hier wurde sonst Fracht verstaut, die sicher befestigt sein mußte während des Fluges - und als einzige Anweisung bekam ich diesmal nur, mich langsam und vorsichtig zu bewegen.
Die drei Jaridians sicherten sich mit den Gurten, und ich schwebte mitten im Raum mit ausgebreiteten Flügeln ... eine Abwärtsbewegung der Flügel ließ mich an die Decke steigen und sanft dort anstoßen, und das Anstoßen beförderte mich wieder ein Stück in den Raum zurück ...
Schwerelosigkeit macht fast jede denkbare Bewegung möglich, allerdings viel langsamer als beim Fliegen über unsere Welt, und es gibt keinen Wind. Ich flog - oder besser schwebte - jedes Manöver, das mir einfiel, und jedes einzelne, das ich nie für möglich gehalten hätte ... Das Einzige, was Anstrengung kostete, war, nicht vor Begeisterung zu singen ...
Dieser Test hätte von mir aus bis tief in die Dunkelphase hinein andauern können.

Statt dessen wurde ich wieder gescannt. Diesmal gab es keine kritischen Blicke und der Test wurde für beendet erklärt. Nach der absoluten Gewichtslosigkeit war das Schwerer-Sein-als-sonst in den Gängen des Kreuzers anstrengend ...
Als wir dieses Mal die Stelle Richtung Brücke passierten, an der der unpassende Oberton über der beständig hör- und fühlbaren Trägerwelle des Schiffsantriebs schwebte, empfand ich das als so störend, daß ich stehen blieb und den Kopf in die Richtung drehte, aus der der Ton kam. Nach links nahm er deutlich an Intensität zu.
Wenn wir auf unserer Welt derartige Mißklänge vernehmen, gehen wir dem nach als einem Zeichen, daß etwas nicht in Ordnung ist und sich darum gekümmert werden muß ... Ich vergaß, wo ich mich befand, wandte mich nach links und folgte dem Oberton, bis ich vor der Wand wenige Schritte vor dem Eingang zur Brücke stand. Der Klang war durchdringend und lästig. Ich legte eine Flügelhand auf die Stelle, die ihn hervorbrachte - die entsprechende Vibration war genau so unangenehm. Etwas stimmte überhaupt nicht ...
Jemand legte mir fest eine Hand auf die rechte Schulter - der Sprecher. „Was tust Du da eigentlich?” Ich spürte einmal mehr erwachtes Mißtrauen. „Hört Ihr das denn nicht?” „Hören? Was denn?” Jetzt waren auch die beiden anderen mit im Kontakt. „Diesen Ton ... so klingen doch Eure Schiffe normalerweise nicht ...” Niemandem war etwas aufgefallen. Ich produzierte den Oberton ganz kurz mit den obersten horizontalen Stimmbändern, und die drei Jaridians fuhren heftig zusammen - nicht wegen des Klangs, der, wie mir jetzt klar wurde, oberhalb ihres Hörvermögens lag, sondern wegen der zugehörigen Oszillation, die sie über die Berührung wahrnahmen. „Das schwingt hinter dieser Wand,” ließ ich ihnen zufließen, „es fühlt sich falsch an, und es klingt schrecklich.” Die Jaridians schauten einander an. „Sie kann doch nicht ...” „Sie kann uns nicht anlügen ...” „Ich verständige die Technik,” meinte schließlich der Sprecher, „eine Überprüfung, selbst wenn nichts dabei herauskommt, schadet nicht ...”
Schließlich wurde ich erneut gescannt und mein Testaufenthalt auf dem Kreuzer für beendet erklärt. Die Jaridians waren mit dem bisherigen Ergebnis zufrieden, und ich fühlte mich wohl bis auf eine zunehmende Müdigkeit, die ich mit dem Schwerer-Sein-als-sonst in Verbindung brachte. Auf dem Rückflug war das Schwierigste wieder das Stillsitzen ... Nachdem die Jaridians mich am Strand abgesetzt hatten, fand sich sofort ein großer Kreis der Unseren zusammen, und schlagartig war meine Müdigkeit verflogen. Und erst im Kontakt mit ihnen fühlte ich, was mir in dieser Hellphase gefehlt hatte - die ständige intensive Verbindung mit den Unseren und unserer Welt ... All das Neue und ganz Andere hatte mich so sehr ausgefüllt, daß mir dieser Mangel nicht bewußt geworden war. Ich hatte noch nie in meinem Leben darauf verzichten müssen - auf das selbstverständliche Mitfließen in den klingenden Strömen unseres Ganzen, auf das Eingewobensein in sein vielfarbiges Geflecht ... Wie lange dauerten Reisen ins All? Wie weit weg von unserem Ganzen hier würden die Reisen gehen, die vielleicht vor uns lagen? Was wäre, wenn ich fort müßte und die Welt, die uns trägt, für einen ganzen Umlaufzyklus oder länger nicht spüren könnte? „Es gehört zu unserer Aufgabe ...” kam es aus dem Kreis. „Wenn der Verzicht dazu gehört, müssen wir ihn leisten ...” Ich dachte an die Jaridians auf dem Kreuzer, von denen die meisten mehr als ihr halbes Leben unterwegs im All verbracht hatten. Es fühlte sich leer und traurig an ...
Wenn es dazu beitrug, daß sie irgendwann für immer dort bleiben konnten, wohin sie sich gehörig fühlten, dann mußte auch ich in der Lage sein, unsere Welt für eine Zeit zu verlassen, um meine Arbeit für das Ganze zu tun ... Irgendwo im Kreis löste sich jemand vom Feuervolk behutsam aus dem Kontakt und wanderte mit nachdenklichem Gesichtsausdruck davon.

Einige Hellphasen später landeten die Jaridians erneut mit dem Frachtshuttle am Strand. Es waren immer noch mehrere Stämme mit der Befestigung der inzwischen zu Behausungen gewordenen Arbeitsflächen beschäftigt. Ein Teil derer auf dem Weg hatte sich an den hiesigen heiligen Ort zurückgezogen und sich um den Eingang zu den Feuern des Inneren versammelt. Andere der Ihren hatten abseits der neuen Behausungen einige der ungewöhnlichen Feuerstätten errichtet, die sie uns während des Rathaltens im zweiten Lied gezeigt hatten. Sie waren konzentriert auf die sehr heißen Feuer und eine schwierige und kompliziert erscheinende Arbeit. Das Feuer schien ihnen zu helfen, glühendem Material mit einem konstanten Rhythmus ein Lied der Form zu singen, das ich nie zuvor gehört hatte. Ich schaute ihnen seit einer Weile fasziniert zu, als das Shuttle eintraf.
Diesmal wollten die Jaridians den Gesangshüter der Tiefen, die Erd-Gesangshüterin und mich zusammen mit auf den Kreuzer nehmen, für weitere Tests und einen Aufenthalt über insgesamt sieben Hell- und Dunkelphasen.
Ich begab mich ins Meer und rief den Gesangshüter der Wasser, der kurze Zeit später auftauchte, an Land kam und sofort zustimmte. Die Gesangshüterin des Erdvolkes war gleichfalls einverstanden, bat aber darum, noch einige Vorbereitungen treffen zu dürfen. Sie verschwand Richtung Wald und war nach einer Weile mit einem kleinen Bündel auf dem Rücken wieder da. Inzwischen war einer der Angehörigen derer auf dem Weg zu uns herüber gekommen, schaute uns zu und schien auf etwas zu warten ...
Während jedem von uns ein Vitalscanner auf der Brust befestigt wurde, nahm die Gesangshüterin derer im Dunklen eine Handvoll Kräuter aus ihrem Bündel und ein kleines Behältnis, aus dem sie Flüssigkeit darüber gab. Sie verschloß das Behältnis wieder und packte es weg. Dann formte sie aus den befeuchteten Kräutern einen Klumpen, den sie in zwei Teile brach, von denen sie einen dem Gesangshüter der Tiefen reichte. Beide aßen von ihrem jeweiligen Anteil; der Gesangshüter der Wasser verzog das Gesicht.
Der Heiler der Jaridians verfolgte das Geschehen mit äußerster Neugier, legte der Erd - Gesangshüterin schließlich eine Hand auf die Schulter und fragte: „Was habt Ihr gerade getan?” Er deutete auf den Rest des Klumpens, den sie in den Mund schob. „Was ist das?” „Medizin,” antwortete sie. „Aveena braucht das nicht, sie ist das Fliegen gewohnt und über den Wolken zu Hause, aber unsere Stämme ...” Sie vollführte eine Geste, die den Wasser-Gesangshüter mit einschloß, „kennen die Höhe nicht - die Höhe, die schnellen Bewegungen des Fliegens oder die Schwerelosigkeit ...” Dem Jaridian war anzumerken, daß er noch viel mehr fragen wollte, statt dessen jedoch nahm er das Überwachungsgerät aus einer seiner Taschen, scannte uns alle drei und signalisierte Aufbruchsbereitschaft.
Der Feuervolk-Angehörige, der uns beobachtet hatte, trat zwischen uns und das Shuttle, drei kleine Gegenstände in den Händen. „Wartet einen Moment ... Ihr braucht das hier noch ...” Er trat auf mich zu und hob einen der Gegenstände. Es war eine Art weiches, winziges verschlossenes Bündel, aber nicht gewebt aus toten Zwischenholzzweigen oder trockenem Gras, sondern aus irgend etwas Glattem, sich sanft Anfühlendem ... Es war befestigt an einer aus Gras geflochtenen Schnur. „Bück` Dich mal, ” sagte er. Ich tat es, und er hängte mir den kleinen Gegenstand an der Schnur um den Hals. Ich bedankte mich erstaunt. Für die Gesangshütenden von Erdvolk und Tiefenbewohnern tat er das Gleiche. Der Sprecher der Jaridians deutete auf das Bündel, das jetzt oberhalb des Vitalscanners auf meiner Brust ruhte. „Was ist das?”
„Medizin,” antwortete der Feuer-Stammesangehörige lächelnd. Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort um und verließ uns in Richtung der Seinen, die um ihre Feuerstätten versammelt waren.

Die Jaridians und wir stiegen in das Shuttle. Diesmal gab es einen Sitz mehr und etwas, das aussah wie das Beschleunigungstest-Behältnis, aber mit Wasser gefüllt war. Auf Anweisung der Jaridians stieg der Gesangshüter des Volkes in den Tiefen hinein und der Deckel des Behältnisses wurde geschlossen. Im Inneren desselben gab es eine Taste, mit der man ihn von dort aus öffnen konnte sowie ein Kommunikationsgerät, so daß Verständigung jederzeit möglich war. Die Gesangshüterin des Erdvolkes und ich sicherten uns mit den Gurten an unseren Sitzen. Der ihre war anders geformt als meiner und sie hatte einen zusätzlichen Gurt schräg über Brust und Bauch, um mehr Halt zu haben.
Der Flug verlief ohne Schwierigkeiten. Als wir den Kreuzer erreicht hatten, halfen die Jaridians dem Wasser-Gesangshüter aus dem Behältnis und überreichten ihm einen merkwürdig geformten Gegenstand. „Du mußt eine kurze Zeit außerhalb des Wassers verbringen,” erklärte ihm der Heiler, bis Ihr Euer Quartier erreicht habt. Das hier ...” - er deutete auf den Gegenstand - „ist ein Sauerstoff-Konzentrator. So bald Du merkst, daß Du mehr Luft brauchst, als Du bekommst, atmest Du hier durch diese Öffnung ...”
Wir gingen durch den schmalen Gang, der vom Shuttle in das Schiff hinein führte, und nach den ersten mühsamen Atemzügen nahm der Wasser-Gesangshüter den Konzentrator in Gebrauch. Als wir am Eingang zur Brücke vorbei kamen, war ich erleichtert, daß der störende, falsch klingende Oberton verschwunden war ... Wir wurden tiefer in das Schiff hinein geführt als ich beim letzten Mal gekommen war, und erreichten schließlich einen sehr großen Raum, halb Frachtraum, halb riesiges Wasserbehältnis, getrennt durch eine durchsichtige Wand. Im Wasser herrschte grünliches Licht, der übrige Raum war in ein gedämpftes warmes Rot getaucht. In einer Ecke lag ein großer Haufen Ph'taal-Laub, genug für ein kleines Mitte-Lager. Außerdem gab es zwei Behältnisse, ähnlich einem Beschleunigungssimulator, an der hinteren Wand und in der rechten eine Öffnung und mehrere untereinander angeordnete Tastenreihen. An der durchsichtigen Wand waren übereinander Griffe angebracht, die oberhalb des Wasserspiegels zu einem Durchgang führten, dessen Deckel offenstand. „Hier werdet Ihr für die nächsten sieben Eurer Hellphasen wohnen,” sagte der Sprecher. „Ihr müßt noch verschiedene Tests durchlaufen, aber dazwischen braucht Ihr einen Ort zum Ausruhen ... Ihr seid jederzeit überall im Schiff willkommen - und wenn Ihr unter Euch sein wollt, könnt Ihr das hier.” Er erklärte uns die an der Wand angebrachten Tasten - zum Verschließen der Tür zu diesem Raum hier, zum Benutzen der eingebauten Kommunikationseinheit und zum Erbitten von Wasser und Nahrungskonzentrat-Riegeln - sowie die Bedienung der beiden Behältnisse, die wir während unserer Zeit hier einüben sollten. Unter Anleitung des Heilers stieg der Gesangshüter des Wasservolkes mit Hilfe der Griffe die durchsichtige Wand hoch, sicherte den Sauerstoff-Konzentrator am obersten Griff, stieg durch die Öffnung und benutzte die Halterung daneben. Er verschloß den Deckel, betätigte einen Knopf seitlich davon und hatte damit seine Kommunikationseinheit nach draußen eingeschaltet.
Der Sprecher schaute uns an. „Wir haben Eure Unterkunft nach außen hin schalldicht gemacht,” meinte er. „Das heißt, Ihr könnt hier so viel und so laut singen wie Ihr wollt - Ihr wißt, daß Ihr im Schiff nicht singen dürft, aber hier ist es in Ordnung,”
Ich nahm ihn an beiden Händen, sprachlos und dankbar, und ließ ihm zufließen, was ich empfand. So viel Arbeit, damit wir es gut hätten bei ihnen ... „Das ist das Mindeste,” antwortete er, „und es ist wenig, gemessen daran, was Ihr für uns zu tun bereit seid ...” Die Gesangshüterin derer im Dunklen berührte meinen rechten Flügel, und wir formten mit den beiden anderen Jaridian und dem Wasser-Gesangshüter, der seine Flossen an die durchsichtige Wand legte, einen losen Kontaktkreis. „Wir alle, Ihr eingeschlossen, tun, was wir tun, für das Ganze ...” gab der Hüter der Gesänge der Tiefen in die Berührung. Die Jaridians schauten uns und einander an, und wir standen eine Zeit lang still zusammen.

Die nächste Zeit war ausgefüllt mit den verschiedensten Tests und vor allem mit Übungen aller Art. Wir lernten, uns in jeder nur denkbaren Notsituation im Schiff richtig zu verhalten - in einem Raumschiff im All drohen einem lebenden Wesen andere Gefahren als auf unserer Welt ... Wir lernten den Umgang mit Sauerstoff-Konzentratoren (die Benutzung dieses Gerätes war dem Wasser-Gesangshüter am schnellsten vertraut, da er sich ohne es nicht im Schiff bewegen konnte), mit Druckventilen, mit allen in den Wänden verborgenen Schutzeinrichtungen unseres Quartiers und mit den Beschleunigungsbehältnissen, in denen wir die entsprechenden Phasen bei einer tatsächlichen Reise im All verbringen würden. Wir lernten schwindelerregende Dinge über das Reisen im Weltraum selbst, über unvorstellbare Entfernungen, über Gravitation, Wurmlöcher, Ereignishorizonte, Umlaufbahnen, Nebel und interstellare Staubströme. Wir lernten die wichtigsten Grundlagen über jaridianische Schiffstechnik und über die Dinge, die in Notfällen in den verschiedenen Sektionen und Ebenen des Kreuzers zu beachten waren ...
Und wenn die Zeit es zuließ, waren wir im Schiff unterwegs, schauten uns um und erlebten die unterschiedlichsten Kontakte mit den Mitgliedern der Besatzung. Ich erhielt unerwarteten Dank dafür, daß ich auf den Mißklang in der Nähe der Brücke hingewiesen hatte - ausgelöst worden war er von einem Schaden an der Energiezuleitung zur Navigationskonsole. Wäre das nicht repariert worden, wäre die Einheit ausgefallen, was sehr viel Aufwand verursacht hätte. Wir mußten versprechen, sofort jemanden zu verständigen, wann immer uns etwas Ungewöhnliches auffiele.

Bevor zum letzten Mal für diesen Aufenthalt hier das Licht in unserer Unterkunft auf Dunkelphase umgestellt wurde, wanderte ich mit angelegten Flügeln den zentralen Gang entlang an der Brücke vorbei, und die Stimmen zweier Besatzungsangehöriger dort zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. „Stell' Dir vor, mit diesem Schild würden wir jeden einzelnen Planeten innerhalb unseres Territoriums schützen,” sagte einer der beiden, „wie viele Kampfflotten könnte man mit dem eingesparten Material des überflüssig gewordenen PDS bauen?” Ich betrat die Brücke. Zwei junge Jaridians saßen vor ihren Konsolen, behielten die Bildschirme im Auge und waren so konzentriert auf ihr Gespräch, daß sie mich gar nicht wahrnahmen. „Ich denke, mehr als genug, um den Taelons mindestens ein Viertel ihres jetzigen Gebietes wieder abzunehmen,” antwortete der andere, „aber ich habe da eine bessere Idee ...” „Welche?” „Ich habe gehört, wenn so ein Schild aktiviert ist, läßt er nicht einmal mehr Licht durch ...” „Ja und?” „Hast Du Dir einmal überlegt, was passieren würde, wenn wir so einen Schild um einen Taelon-Planeten legen? Wenn wir eine Vorrichtung hätten, ihn aus dem All zu aktivieren ... und ihn dann einfach aktiviert zu lassen ...”
Durch den Schiffsboden spürte ich den unterschwelligen Zorn der beiden Jaridians, ihren Wunsch, den Taelons zu schaden, so wie diese den Ihren und vielleicht auch ihnen selbst geschadet hatten ... Für sie hier war das, was wir als Wahrheit gefunden hatten über sie und ihre Feinde, noch nichts als eine merkwürdige abstrakte Idee ... Mit keinem von beiden hatte bisher jemand von uns Kontakt gehabt. Ich machte mich mit vernehmlichem Flügelrascheln bemerkbar, und die beiden Brückenwachen wandten sich zu mir um. Der unterschwellige Zorn klang ab und wich der Neugier. „Ich habe zufällig mit angehört, daß Ihr über unseren Schild gesprochen habt,” sagte ich vorsichtig. „Die Strategie, die Ihr gerade entwickelt, hat leider einen Fehler ...” „Du verstehst etwas von Strategie?” fragte einer der beiden ungläubig. „Nein, eigentlich nicht,” mußte ich zugeben, „ich meine folgendes ...” Ich streckte ihm eine Flügelhand zum Kontakt hin. Er wich ein Stück zurück und schaute erst mich, dann seinen Stammesangehörigen skeptisch an. „Davon haben alle berichtet, die bei Euch unten waren,” sagte er, „wenn Ihr jemanden berührt, könnt Ihr dessen Gedanken lesen ...” „Und derjenige meine,” antwortete ich, „so ist die Verständigung viel leichter und klarer ...” „Und wenn ich nicht will, daß Du meine Gedanken kennst?” Ich legte die Flügelhände ineinander und trat einen Schritt zurück. „Keiner von uns würde einen anderen gegen dessen Willen berühren. Wir können niemanden absichtlich verletzen ... es wäre für uns genau so unangenehm wie für den, dem wir das antun würden ...” „Auch davon haben alle erzählt,” meinte der andere Jaridian, „und trotzdem habt Ihr die Taelons vertrieben ...” Er streckte vorsichtig eine Hand aus und berührte meinen rechten Flügel. „Was stimmt nicht mit unseren Überlegungen zu weiteren Verwendungsmöglichkeiten Eures Schildes?”
Über die Berührung ließ ich ihm das Bild unseres Planeten zufließen, wie er geworden wäre, wenn den Taelons die Verwirklichung ihrer diesbezüglichen Pläne gelungen wäre: tote Wüste, bevölkert nur noch von einigen Gruppen Taelons in ihren wasserpflanzenähnlichen Behausungen unter schützenden Energiekuppeln. „So sähe nach einiger Zeit eine Welt aus, die Ihr mit dem Schild isolieren würdet,” gab ich ihm über die Berührung zu verstehen, „Ihr hättet alles darauf vernichtet - außer den Taelons ...”
Der junge Jaridian war wirklich erschrocken. „So weit habe ich nicht gedacht ...” Der andere, der zuvor den Kontakt abgelehnt hatte, schaute ihn verständnislos an - er hatte die Hälfte unseres Dialoges nicht mitbekommen. Sein Stammesangehöriger packte ihn ohne zu überlegen am Unterarm und hatte den Kontakt damit hergestellt. „Sie hat recht,” sagte er, „wir haben es nicht richtig durchdacht ...” Die Augen des anderen weiteten sich vor Überraschung, als auch er jetzt den Eindruck unserer verwüsteten, von den Taelons übernommenen Welt wahrnahm ... und anstatt den Kontakt abzubrechen - er hatte offenbar gar nicht verstanden, was gerade geschehen war - führte er die zugehörigen Gedanken sofort weiter: „Somit eignet sich diese Vorgehensweise nicht für Planeten, die von den Taelons besiedelt sind - aber es wäre ein Verfahren, ihre Verbündeten zu dezimieren ...” Das Gedankenbild, das er dazu in den Kontakt gab, zeigte eine felsige, karge Welt unter einer tiefroten Sonne, und zwischen seltsam aussehenden toten Bäumen lagen sehr still große, fünfgliedrige, knochig und vertrocknet wirkende schuppige Geschöpfe mit blicklosen Augen.
Ich krümmte mich unter diesem Eindruck. Das Bild war so schmerzhaft, daß ich mich zwingen mußte, den Kontakt zu halten. Ich kannte diese Wesen - das waren die Implantierten, gegen die der Sprecher gekämpft und dabei seine Gefährtin verloren hatte - Geschöpfe, die längst keinen eigenen Willen mehr hatten ... „Das willst Du ihnen antun? Du willst wirklich Wesen auslöschen, die genau so leiden wie Ihr?” Ich hatte vergessen, mit wem ich in Berührung war, und fühlte mich nur noch elend. In mir war die Erinnerung an die Synodensitzung, die ich miterlebt hatte, an Zo'or mit seiner grenzenlosen Verachtung für alles, was nicht seinesgleichen war, und an T'than, der mit steinernem Gesichtsausdruck bestimmte: „Wir sterilisieren den Planeten ...” „Wenn es das ist, was Ihr wirklich wollt, dann seid Ihr um nichts besser als sie!” brachte ich heraus, verzweifelt bemüht, das aufsteigende Entsetzen unten zu halten, was mir nicht gelang. Bilder von Zerstörung und Sterben fluteten in meinen Geist und damit in den Kontakt, alles, was ich aus den Berührungen mit den Taelons mitbekommen hatte, die Erinnerungen des Sprechers, meine Erinnerungen an die Visionen des Bewohntwerdens durch die Komplexschwingung und daran, nicht mehr helfen zu können, Erinnerung an Kälte, Schmerz und Tod ...

Als ich endlich daraus wieder auftauchte, blickte ich in zwei junge jaridianische Gesichter, deren Augen Fassungslosigkeit und Schrecken ausdrückten. Ich saß, an eine Wand gelehnt, auf dem Boden, und beide Jaridians hielten Kontakt mit mir, indem sie mich stützten. „Ich wollte Dir keinen Schmerz zufügen ...” sagte der eine, zutiefst verunsichert. „Ich habe nicht gewußt, daß es so ist ...” „Du konntest es nicht wissen,” ließ ich ihm zufließen. „Ihr habt gelernt, zu kämpfen und dabei möglichst nichts zu fühlen ... Sterben bedeutet für Euch Sterben im Kampf und somit Ehre, und der zugehörige Schmerz muß halt ertragen werden, sowohl der Eure als auch der Eurer Gegner ... Jetzt kämpft Ihr um Euer Überleben wie die Taelons, und dieser Weg führt nirgendwo hin ...”
Bewußt gab ich die beiden mächtigen Bilder in den Kontakt, die wir während des letzten Rathaltens gefunden hatten: das lebendige, pulsierende, vielfarbige Gewebe und die vier Menschen, die um das in den Himmel lodernde Feuer saßen ... und fühlte, wie ein Teil meiner Kraft zurückkehrte. Von den beiden Jaridians kam Überraschung - und so etwas wie ein erstes Verstehen. „Es fühlt sich so richtig an,” meinte der eine, „aber es kann doch nicht sein ...” „Es ist aber so,” antwortete ich über die Berührung, „und so, wie es aussieht, ist es der einzige Weg ...”

Später, allein in unserer Unterkunft, hockte ich auf unserem Ph'taallaub-Lager, das winzige verschlossene Bündel, das an der Grasschnur um meinen Hals hing, in den Flügelhänden ... es gab mir Halt, weil es das Lied unserer Welt sang.
Dank des Bündels hatte niemand von uns diesen zehrenden Mangel erleben müssen, der meinen ersten Aufenthalt hier unterschwellig mitbestimmt hatte - wir trugen die Schwingungen unserer Welt auf Schritt und Tritt mit uns ... Ich hatte in einer Pause zwischen den Tests und Übungsaufgaben einmal hinein geschaut. Es enthielt ein kleines Stück klingenden Fels, eine winzige hellgrüne Muschel, ein weiches Ph'taalblatt und einen kleinen silbrig glänzenden Gegenstand, der einen Kreis darstellte, in dessen Mitte sich zwei Linien kreuzten, die mit seinem Rand verschmolzen - die auf dem Weg hatten dieses Zeichen für sich gefunden, viele von ihnen hatten es sich auf die Haut gemalt oder trugen es, wie ich das kleine Bündel, an einer Schnur um den Hals.
Jedes Objekt in dem Bündel schwang in den Frequenzen bestimmter Teile unseres Ganzen - und somit blieben wir unserer Welt verbunden, auch wenn unsere Füße sie nicht berührten. Der Feuervolk-Angehörige hatte Recht - es war Medizin ...
Ich war in Gedanken wieder bei der Begegnung mit den beiden Brückenwachen. Unsere Arbeit für das Ganze ... was würde daraus, wenn die Jaridians das, was wir geben konnten, zum Beispiel den klingenden Fels, statt für eine Beendigung des Krieges als Werkzeug dafür einsetzen würden - als Waffen, für Vernichtung und Zerstörung - wie es die beiden auf der Brücke entworfen hatten? Hatten wir irgendeine Möglichkeit, das zu verhindern, ohne unser Angebot - beziehungsweise das unserer Welt - zurückziehen zu müssen?
Einige Zeit später trafen die Erdvolk-Gesangshüterin und der Gesangshüter der Wasser ein, und wir teilten in der Berührung, was uns in der Zeit, die wir getrennt voneinander verbracht hatten, begegnet war. Wir beschlossen, die Fragen, die wir hier nicht lösen konnten, einmal mehr im Kontakt mit unserer Welt zu klären - vor allem über den klingenden Fels mußte sie entscheiden, denn sie hatte angeboten, von sich zu geben ...
Zu Beginn der nächsten Hellphase wurden wir ein letztes Mal gründlich gescannt, und der Heiler wirkte sehr erleichtert, vor allem über den Zustand des Gesangshüters derer in den Tiefen, um den er sich die meisten Sorgen gemacht hatte. Wir wurden auf unsere Welt zurück geflogen. Als wir aus dem Shuttle ausstiegen und uns verabschiedeten, warteten nicht nur alle auf uns, die im Kontakt unsere Erfahrungen teilen wollten, sondern auch zwei derer auf dem Weg - auch das Feuervolk war gebeten worden, sich auf Raumtauglichkeit testen zu lassen. Die Jaridians hatten akzeptiert, daß das Vierte Volk auf unseren Planeten gehörte, hatten aber den Wunsch geäußert, daß Angehörige desselben, die ja ihre genetischen Vorfahren waren, ihre Heimatwelt irgendwann besuchten. Die beiden bestiegen mit den Jaridians das Shuttle, das sofort wieder abhob, während wir mit den Unseren einen Kreis formten.

 

Ende von Kapitel 10

 

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